Begriff: Kolonie - UK

Dekolonisierung
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Die koloniale Welt
Koloniale Gebiete 2005
Begriff: Kolonie
Kolonie ist ein durch Invasion in Anknüpfung an
vorkoloniale Zustände neu geschaffenes politisches
Gebilde, dessen landfremde Herrschaftsträger in
dauerhaften Abhängigkeitsbeziehungen zu einem
räumlich entfernten imperialen Zentrum stehen.
Dieses Zentrum erhebt exklusive Besitzansprüche
auf die Kolonie.
(nach: Jü
Jürgen Osterhammel, Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, Mü
München ²1997, S. 16.)
Definitionen: Dekolonisierung
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Begriffsgeschichte: erstmals vom amerikanischen Soziologen
Seligman 1932 verwendeter Begriff in der Encyclopedia of
Social Sciences
Staats- und völkerrechtliche Definition:
Dekolonisierung bezeichnet einen Wechsel der Souveränität.
Dieser kommt zustande, wenn ein Staat die staatliche
Unabhängigkeit einer Bevölkerung anerkennt, über die er
vorher geherrscht hat. Damit erkennt er auch deren Recht auf
nationale Selbstbestimmung an.
Dekolonisierung meint die Auflösung einer globalen kolonialen
Ordnung, die seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts die
Beziehungen zwischen dem Westen und großen Teilen der
außereuropäischen Welt bestimmte. Diese waren durch
asymmetrische Macht- und Wirtschaftsbeziehungen,
strukturelle Abhängigkeiten, Rassismen, Sendungsideologien
und kulturelle Arroganz geprägt.
Begriff: Dekolonisierung
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Mehrdimensionaler Prozess der Auflösung
alter und der Entwicklung neuer Strukturen,
Institutionen und Ideen
Dekolonisierung = Transformationsprozess
Bereiche
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Herrschaftsstrukturen
Zurücknahme extraterritorialer Rechte und anderer
politischer, wirtschaftlicher und sozialer Privilegien
Ende unmittelbarer und vollständiger
wirtschaftlicher Kontrolle
Entwicklung ökonomischer Nationalismen
Migration europäischer Siedler und kolonialer
Funktionseliten
Austausch kultureller Einflüsse auf Gesellschaft und
Staat
Veränderungen im internationalen Staatensystem
Dekolonisierung der europäischen Kolonialmächte
Analyseebenen
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Periphere Perspektive
Metropolitane Perspektive
Internationale/Globale Perspektive
Fazit
(Photo: Jakarta 1945)
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Alle drei Perspektiven sind nötig
Instrumente kolonialer Herrschaft
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Kooptierte Partner
Direkte und indirekte Verwaltung
Steuern
Zwangsarbeit
Wirtschaft, Technologie, Entwicklung
Bildung
Charakter der Kolonialherrschaft
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Autokratische Elemente
Despotische Elemente
Gatekeeper-Staat
Variationen von Kolonialherrschaft: Großbritannien
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Dezentralisiertes Empire
Bedingtes Entgegenkommen gegenüber nationalistischen
Bewegungen und Forderungen in Südasien: Wahlen auf
verschiedenen Ebenene, Indigenisierung der Verwaltung,
Teilautonomie
Fernziel: Unabhängigkeit in der fernen Zukunft
Variationen von Kolonialherrschaft: Frankreich
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Zentralisiertes Empire
Gewaltsame Unterdrückung aller nationalistischen Hoffnungen
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Fernziel: Integration von Metropole und Peripherie
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Variationen von Kolonialherrschaft:
die kleinen Kolonialmächte
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Niederlande: sehr begrenzte soziale
und politische Reformen. Vision:
Status quo für die absehbare Zukunft
Portugal: unverblümte Ausbeutung,
Unterdrückung. Vision: Kolonialismus
für Immer!
Beispiel: Indien unter britischer Herrschaft
Entwicklung zur Unterentwicklung
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Bevölkerungswachstum (keine Bemühungen am
Arbeitsmarkt)
Kapitalakkumulation durch parasitäre Eliten
Eher ungünstige Bedingungen für Investitionen
(Ausnahme: Unternehmen aus der jeweiligen
Kolonialmacht)
Unzureichender Aufbau einer Infrastruktur oder von
Bewässerungssystemen
Unzureichende Integration von ländlichen Gebieten
und Städten
Geringes Vertrauen in Regierung und Staat
Prekärer Charakter kolonialer Herrschaft
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Diskrepanz von kolonialem Anspruch und
kolonialer Realität
Westliche Ideen und Ideale (Werte der
Aufklärung) breiten sich in kleiner
intellektueller Elite aus
Verdichtung von Kommunikation und
Information
Wachsende Verbindungen zwischen
intellektuellen Eliten und ländlichen
Bevölkerungen
Entstehen von Nationalismen
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Westliches Gedankengut: Aufklärung
und Kommunismus
Autochthone Religionen
Ab 1930er, besonders nach 1945: in
Afrika Konstruktion einer vorgestellten
Vergangenheit
Frühe nationalistische Bewegungen
in Asien
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Indien: Gründung des Indian National Congress
1885 – Bündnis von urbanen Intellektuellen mit
bäuerlichen Massen
Indonesien: Gründung der Sarekat Islam 1907 –
religiöser Bezugsrahmen spricht städtische
Nationalisten und bäuerliche Massen gleichermaßen
an.
Vietnam: Gründung verschiedener nationalistischer
Gruppen nach 1904 – urbane Intellektuelle ohne
Bindung an bäuerliche Gesellschaft
Typen von Nationalisten in Afrika
nach 1945
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Modernisierer: universalistische (nationale) politische Vision –
fast überall auf nationaler Ebene siegreich (danach: Tendenz
zum Ethno-Nationalismus)
Traditionalisten: Konstruktion einer afrikanischen
sozioökonomischen und kulturellen Realität, die an
vorkoloniale Zeiten anknüpft – in der Regel kompromittiert
durch Kooperation mit Kolonialmächten
Ethno-Nationalisten: ethnischer Separatismus – nicht
erfolgreich auf nationaler Ebene, aber fähig zu Aufständen
und Rebellionen
Katalysator der Dekolonisierung: Der Zweite Weltkrieg
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Afrika: Bildung zunächst verstreuter
nationalistischer Gruppen in England, den USA
und in Afrika
Ende der kolonialen Herrschaft in Südostasien
– Entlarvung des Mythos von europäischer
Überlegenheit und Unbesiegbarkeit
– Japanische Besatzung
– Japanische Gewährung der Unabhängigkeit in
Burma (Myanmar) und den Philippinen
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Indien
– ‘Quit India-movement’: Nationalistische Bewegung
macht langfristige koloniale Kontrolle unmöglich
– Kolonialmacht GB wird Schuldner der Kolonie
Zukunftsentwürfe der Kolonialmächte 1940-1945
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Großbritannien: Unabhängigkeit in einer
nicht definierten Zukunft
Frankreich: Konferenz von Brazzaville
(Congo) 1944: Integration kolonialer
Territorien mit Frankreich
Niederlande: ‘Partnerschaft’ – andauernde
niederländische Dominanz in Indonesien
Portugal: kein Krieg, keine Veränderung
Europa 1945/46
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Rückkehr von Soldaten, Reorganisation des
privaten und öffentlichen Lebens
Rationierung von Lebensmitteln
Wiederaufbau
Legitimation anhaltender kolonialer Herrschaft
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Zivilisierende Mission – nun im neuen Gewand des
Entwicklungsdiskurses (Tenor: Afrika zu wenig entwickelt und
Afrikaner nicht in der Lage, sich selbst zu regieren)
Prestige und Internationales Standing
Wirtschaftliche Erwägungen – ausgeprägt auch in Frankreich,
besonders aber in den NL
Unabhängigkeit des indischen Subkontinents:
Umstrittene Interpretationen
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Machttransfer (Transfer of power)?
Freiheit in Indien (Towards Freedom in India)?
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(Photos: Clement Atlee; Jawaharlal Nehru & Mahatma Gandhi)
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Indische Unabhängigkeit
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‘Quit India’-Bewegung macht Land unregierbar:
massenhafter ziviler Ungehorsam
Wachsende Auseinandersetzungen zwischen HinduMehrheit und Moslem-Minderheit
Dezember 1946: Großbritannien muss Einberufung
einer verfassunggebenden Versammlung
konzedieren
Februar 1947: Mountbatton wird letzter Vizekönig:
erkennt Notwendigkeit einer raschen
Unabhängigkeit, um Explosion der religiösen
Spannungen und Katastrophe für Kolonialmacht zu
verhindern
Südostasien: friedliche
Übertragungen der Macht
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Unabhängigkeitsdaten:
– Philippinen 1946 – Unabhängkeit nach definiertem Zeitplan
– Burma 1948 – bis dato verwaltet von Delhi:
Unabhängigkeit im Zuge der Unabhängigkeit Indiens
– Malaya 1957 – Bereitschaft zur Kooperation auf allen
Seiten. Grund: kommunistischer Aufstand, ethnische
Vielfalt, kluge britische Politik
Südostasien: Gewaltsame
Dekolonisierungen
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Intransigente niederländische und
französische Politik
Vietnam, Kambodscha, Laos 1945
Indonesien 1945
Warum die Europäer verloren
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Verlust von Glaubwürdigkeit und Legitimation: keine attraktive Vision
für die Zukunft
Stärke der Nationalisten – Imperial overstretch
Vereinigte Staaten zwischen Niederlande zum Rückzug (Marshall Plan).
Frankreich: nach Niederlage von Dien Bien Phu (1954): USA verdrängen
Frankreich systematisch aus Indochina
Afrika: sozialer und wirtschaftlicher
Kontext
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Urbanisierung
Sinkende Kindersterblichkeit
Größere Familien
Wachsender Bildungssektor
Positive wirtschaftliche Entwicklung bis
Mitte der sechziger Jahre
Steigende Einkommen und wachsende
Ressourcen des Staates
Dekolonisierung in Afrika: Muster oder Rätsel?
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Friedliche Transfers: in Territorien mit
kleinen oder keinen europäischen
Siedlergemeinschaften
Gewaltsame Transfers: in Territorien mit
größeren europäischen
Siedlergemeinschaften. Beispiele:
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Algerien
Kenia
Portugiesische Kolonien: Angola, Mosambik
Rhodesien/Simbabwe
Britische Kolonien: Tendenzen
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Entwicklung zur allmählichen
Selbstregierung
Keine Festlegung von Kriterien für
Selbstregierung
Keine Zeitpläne
Entwicklungspolitik und
Demokratisierung als Strategien zur
Legitimation kolonialer Herrschaft
Französische Kolonien: Tendenzen
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Business as usual
Verbesserungen sozialer Standards: Ende
der Zwangsarbeit 1950, gleiche Gehälter,
Legalisierung von Gewerkschaften, mehr
Schulen
Veränderungen in Folge von Dien Bien Phu
und Algerienkrieg:
– loi cadre (1956): Balkanisierung des
französischen Afrika
– Volksabstimmung 1958: Mehrheit der Afrikaner
wünscht Integration mit Frankreich
– Nationalistische Eliten und Politiker fordern
Unabhängigkeit
Politische Entwicklungen in
Afrika
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Demokratisierung und wachsende politische
Partizipation
Wachsende Bedeutung von Ethnizität in der Politik
Entwicklung verschiedener Gewerkschaften und
Parteien
Aufstieg der „big men“
Beispiel: Ghana (Goldküste)
Ghanaische Visionen
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Konvergenz von verschiedenen und z.T. widerstreitender
Interessen in einem ghanaischen Nationalismus
Gründung der elitären Bewegung United Gold Coast
Convention (1947)
Charismatische Führung: Kwame Nkrumah und die
populistische Convention People´s Party
Wahlsieg 1951
Auseinandersetzung um den
Gatekeeper-Staat
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Opposition im Norden (ländliches Inland v. urbane Küste) und
Forderung nach Föderalisierung (Königreich der Asante)
Unabhängigkeit 1957
Aufbau eines Einparteienstaates
Druck auf Kakaopflanzer
Vom Einparteienstaat zur
Militärdiktatur
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Überproportionale Belastung des Agrarsektors für
staatliche Kapitalbildung
Industrialisierung und erneute Abhängigkeit von
ausländischen Akteuren
Zusammenbruch der Wirtschaft als Folge nationaler
und internationaler Entwicklungen
Militärputsch 1966
Auswirkungen der Dekolonisierung
auf Europa
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Migration von Arabern, Asiaten und
Afrikanern
Übertragung schwieriger und
kostspieliger Verantwortlichkeiten
Verstärktes Interesse an europäischer
Integration
Kollektive Erinnerung: weit
verbreitetes Desinteresse