Umgang mit ethischen Problemen im Alltag diakonischer Führungskräfte I:
Ethische Grundlagen
Prof. Dr. Volker Stümke
1. Moral und Ethik
a. Definition: Ethik ist die wissenschaftliche Lehre vom guten Handeln (= Personalethik)
und von den gerechten Strukturen bzw. Institutionen (= Sozialethik). Sie knüpft an
Moral, Ethos und Sitten an. Und sie setzt Vernunft und Freiheit des Handelnden
voraus.
Moral (individuell), Ethos (Gruppen) und Sitten (Gesellschaft) vermitteln dem Menschen
immer schon ein Vorverständnis von gutem Handeln und von gerechten Strukturen. Das
wird von der Ethik kritisch analysiert und reflektiert – aber nicht ständig, sondern nur
dann, wenn das Vorverständnis nicht mehr weiterhilft.
Vernunft und Freiheit müssen vorausgesetzt werden, um Handlungen als bewusste Akte
ansehen und den Täter darauf ansprechen zu können. Wer nicht vernünftig und frei ist,
kommt nicht als Handelnder in den ethischen Blick – aber das darf nicht mit
Menschenwürde kombiniert werden! Ein Schlafender oder ein Baby ist ein Mensch – aber
kein Subjekt der Ethik.
b. Anwendung: Ethik wird erforderlich als Reflexion auf ein nicht mehr selbstverständliches Ethos [Aristoteles] oder als Begründung moralisch richtigen Handelns
im Pluralismus [Herms]. Sie zielt subjektiv auf die Ausbildung moralischer Urteilskraft
und objektiv auf eine Handlungsempfehlung.
2. Ethische Kriterien
a. Verfahren: Ethik zielt auf eine Bewertung, die eine objektive Handlungsempfehlung
impliziert. Drei Vorgehensweisen leiten ein Werturteil unterschiedlich her.
Deskriptiv (Beschreibung der Sitten; nur implizite Wertung)
Evaluativ (subjektive Wertschätzung; werbend)
Normativ (objektive Bewertung) aufgrund folgender Kriterien:
Teleologisch (Folgen bewerten)
Deontologisch (verbindliche Vorgaben: Normen, Pflichten)
Persönliche Lebensführung (Tugenden)
Werte (subjektive Präferenzen) und Güter (objektive Werte)
b. Man unterscheidet drei Handlungsebenen und vier Konfliktebenen zur Einordnung und
damit Bearbeitung eines Problems.
Handlungsoptionen können pragmatisch (Zweck), personalethisch (Gewissen) oder
sozialethisch (Gerechtigkeit) ausgerichtet sein.
Konflikte können bei Einzelfällen, Regeln, Prinzipien oder Theorien auftreten.
Umgang mit ethischen Problemen im Alltag diakonischer Führungskräfte II:
Schaubild: Ethische Urteilsbildung
1. Problemanalyse (deskriptiv)
a. Die ethische Relevanz erkennen
Was an dieser Situation ist ethisch bzw. moralisch problematisch?
b. Umfassende Situationsanalyse
Was weiß ich wirklich – und was leite ich ab bzw. vermute ich?
Welche Sachverhalte sind für das ethische Problem relevant?
Welche Personen sind (privat oder beruflich) involviert?
Welche Merkmale der betroffenen Personen müssen beachtet werden?
c. Handlungsalternativen entwickeln
Wer kann handeln (inwiefern bin ich als Handelnder involviert)?
Wie kann gehandelt werden (Brainstorming – ohne „Filter“)?
2. Ethische Beurteilung (normativ)
a. Vorentscheidung („Grobfilter“)
Welche Alternativen sind moralisch abwegig?
Welche Alternativen sind objektiv nicht realisierbar?
b. Prüfung der Verantwortbarkeit
Welche Folgen hätte die Handlung, welche Güter würde sie fördern oder verletzen?
Welche Gebote verpflichten mich und wie konkret ist ihre Handlungsforderung?
Welche Tugenden verlangt das Handeln von mir und welche verletzt es?
c. Prüfung der Realisierbarkeit
Was kann ich tun (welche konkreten Handlungen sind gefordert und machbar)?
Welche Mittel müssen dazu eingesetzt werden – und sind die verhältnismäßig?
3. Entscheidung
a. vorläufige Entscheidung
b. Adäquanzkontrolle
Ich: moralische Konsistenz (= kann ich danach noch in den Spiegel gucken?)
Ich: affektive Integrität (= würde ich es meinen Kindern erzählen?)
Umwelt: Akzeptanz (= würde ich es auch tun, wenn ich gefilmt werde?)
c. Entscheidungsumsetzung (Handeln)