Stolpersteine in Stadthagen - Förderverein ehemalige Synagoge

Förderverein
ehemalige Synagoge Stadthagen e.V.
Stolpersteine in Stadthagen
Biographien jüdischer Opfer
Herausgegeben vom
Arbeitskreis „Zur Geschichte der Juden in Stadthagen“
Zum Geleit für die Stolpersteinverlegung in Stadthagen
am 30. Juni 2015
Redaktionelle Umsetzung
Umschlagentwurf, Composing und Bearbeitung: Florian Grumblies
Bildquelle Coverbild: Christian Meyer
Satz: Florian Grumblies
Texte: Arbeitskreis „Zur Geschichte der Juden in Stadthagen“
Druck: Förderverein ehemalige Synagoge Stadthagen
Fotos: Christian Meyer, Staatsarchiv Bückeburg, Hauptstaatsarchiv Hannover,
Privatbesitz Jürgen Lingner u.a.
Impressum
Copyright 2015, Föderverein ehemalige Synagoge Stadthagen
Erste Auflage
Förderverein ehemalige Synagoge Stadthagen e. V.
Bernd Hellmann, Vorsitzender
Im Bruch 4
31655 Stadthagen
05721 / 76365
Fax: 05721 / 77 398
Homepage: http://www.stadthagen-synagoge.de/
Arbeitskreis „Zur Geschichte der Juden in Stadthagen“
Jürgen Lingner
Telefon: 05721 / 76541
Email: [email protected]
Inhalt
Vorwort
Bahnhofstraße 43
Hans Max Lachmann........................................................................................................ 5
Emma Philipp..................................................................................................................... 6
Bahnhofstraße 15
Alfred und Sophie Katz..................................................................................................... 8
Westernstraße 12
Gertrud Rosenfeld............................................................................................................. 9
Lotte Schindel, geb. Rosenfeld......................................................................................11
Kurt Rosenfeld/Kenneth Rapley...................................................................................13
Nordstraße 3
Herbert Pommer..............................................................................................................14
Louise Pommer................................................................................................................16
Wallstraße 3
Erich Rosenfeld................................................................................................................18
Ernst Rosenfeld................................................................................................................20
Obernstraße 17
Hermann Philippsohn.....................................................................................................21
Krebshäger Straße 38
Johanne Eßmann.............................................................................................................22
Probsthäger Straße 1
Johanna Schmitz.............................................................................................................23
Karl und Else Schmitz.....................................................................................................23
Werner Schmitz...............................................................................................................24
Rudolf Stern......................................................................................................................25
Gartenstraße 20
Hugo Hirsch......................................................................................................................25
Vorwort
Anfang des Jahres 2011 beschloss der Förderverein ehemalige Synagoge Stadthagen e.V.,
die Aktion „Stolpersteine“ des Kölner Künstlers
Gunter Demnig auch in Stadthagen durchzuführen. Gunter Demnig erinnert an die Opfer
der NS-Zeit, indem er vor ihren letzten selbstgewählten Wohnorten Gedenktafeln aus Messing in den Fußweg einlässt. Inzwischen liegen
Stolpersteine in über 1200 Orten Deutschlands
und in 19 europäischen Ländern. Mit mehr als
50.000 verlegten Steinen stellt diese Aktion vermutlich das größte Flächendenkmal der Welt dar.
Im Landkreis Schaumburg wurden in Bückeburg,
Bad Nenndorf, Beckedorf, Rodenberg, Lauenau
und Rinteln Stolpersteine verlegt. Obernkirchen
kommt in diesem Jahr hinzu.
Der Arbeitskreis „Zur Geschichte der Juden in
Stadthagen“, gemeinsam vom Förderverein und
der Volkshochschule Schaumburg getragen,
übernahm die Aufgabe, die Aktion vorzubereiten.
Es galt, die Opfer des Nationalsozialismus in
Stadthagen, für die die ersten Stolpersteine verlegt werden sollten, festzulegen, in den Archiven
in Stadthagen, Bückeburg und Hannover zu
forschen, um ihre Biografien zu erarbeiten, die
Finanzierung durch Spenden zu sichern, einen
Flyer für die Öffentlichkeitsarbeit zu entwickeln und alle organisatorischen Arbeiten – und
das sind viele – zu erledigen. Letztlich konnte
Gunter Demnig am 6. Oktober 2011 die ersten
fünf Steine in Stadthagen verlegen, unter großer
Beteiligung von Stadthäger Bürgerinnen und
Bürgern, Schülerinnen und Schülern.
Am 5. Dezember 2012 wurden 18 Steine verlegt,
am 27. November 2013 weitere 13 und am 30.
Juni folgen 2015 die letzten 19 Stolpersteine.
Das bedeutete für den Arbeitskreis, die Biografien
von 55 Personen zu erarbeiten. Für Laien keine
leichte Aufgabe! Zum Glück wurden die Arbeitskreismitglieder unterstützt von dem Historiker
Florian Grumblies. Ohne ihn hätte das Ergebnis,
das mit dieser kleinen Broschüre vorgestellt wird,
so nicht erreicht werden können. Geplant ist,
4
dass in Kürze eine Broschüre mit allen Biografien
erscheint.
Dem Arbeitskreis und auch dem Vorstand des
Fördervereins ist dabei klar, dass nicht nur der
jüdischen Opfer, sondern aller Opfer gedacht
werden soll, also auch der politischen Opfer,
der Zwangsarbeiter, der Menschen mit Behinderungen. Ob das mit Stolpersteinen, Stolperschwellen oder in anderer Form geschieht ist
noch nicht endgültig geklärt. Was die jüdischen
Opfer betrifft, haben sich der Vorstand des Fördervereins und der Arbeitskreis darauf verständigt, alle Jüdinnen und Juden, die zwischen 1933
und 1945 ihren letzten freiwilligen deutschen
Wohnsitz in Stadthagen hatten, als Opfer zu
betrachten, also nicht nur die ermordeten Menschen. Das waren fast 60 Männer, Frauen und
Jugendliche. Alle Stadthäger Jüdinnen und Juden
mussten in jenen Jahren darunter leiden, dass
ihnen die menschliche Würde und alle Rechte
und einigen auch das Leben genommen wurden.
Jürgen Lingner
Stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins
ehemalige Synagoge Stadthagen e.V.
Arbeitskreis
„Zur Geschichte der Juden in Stadthagen“
Mitglieder des Arbeitskreises: Wilfried Brinkmann, Florian Grumblies, Gerhard Klugmann,
Frieder Korff, Jürgen Lingner, Kurt Maurer,
Christian Meyer, Karin Plöger, Susanne Schlader
er während der Woche ebenfalls eine Unterkunft.
Am Wochenende fuhr er mit der Bahn so oft wie
möglich zu seiner Gastfamilie nach Stadthagen,
weil er sich dort heimisch fühlte. Im Anschluss
an seine Lehrzeit arbeitete er noch bis zum April
1938 in der hannoverschen Firma, die ihn dann
wegen der „Arisierung“ des Betriebs entlassen
musste.
Bahnhofstraße 43
Hans Max Lachmann
Hans Max Lachmann wurde am 19. April 1918 als
Sohn Salo Lachmanns und seiner Ehefrau Emma
(genannt: Emmy), geb. Storch, in Stadthagen
geboren.
Die Familie wohnte hier im Haus der Großeltern
in der Bahnhofstraße 35. Sein Vater Salo übernahm nach dem Tod des Schwiegervaters im
Jahr 1925 trotz schwerer Kriegsbeschädigung
die „Eisen und Metall Rohproduktion“ (Altmetallhandlung). Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse nach dem Ersten Weltkrieg
erlitt dieser einen Nervenzusammenbruch und
schied schließlich durch Suizid aus dem Leben.
Hans Max Lachmann war gerade zehn Jahre alt.
Nach der Grundschule besuchte er das „Realprogymnasium“ in Stadthagen bis zur zehnten
Klasse. Da seine alleinstehende Mutter keine nennenswerten finanziellen Mittel besaß, bestritt sie
den Lebensunterhalt für sich und den Jungen
als Hausangestellte bei jüdischen Familien in
verschiedenen deutschen Städten. Max musste
in Stadthagen bleiben und wurde durch seine
„Kinderfrau“ Lina Scheper, geb. Stahlhut, die bei
seinen Eltern als Hausangestellte tätig gewesen
war, versorgt und betreut. Daher wohnte er auch
während dieser Zeit im Haus der Familie Stahlhut
in der Windmühlenstraße 21.
Von 1934 bis 1937 machte er in Hannover eine
kaufmännische Lehre bei der Firma Gebr. Lenzberg & v.d. Walde in der Fössestraße; dort hatte
Hans Lachmann im Kreis der Familie Stahlhut in der
Windmühlenstraße
Danach wurde er ziemlich schnell in eine
„Umschichtungsstelle“ der Reichsvereinigung
der Juden in Deutschland in Berlin-Niederschönhausen vermittelt. Dort kam er bis zum Juli 1939
in einer Tischlerei unter. Er erhielt Unterkunft
und Verpflegung, aber keinerlei Bezahlung. Es
war für ihn in dieser Zeit bereits gefährlich, sich
auf öffentlichen Straßen zu bewegen, da jüdische
Menschen grundlos verhaftet und verschleppt
wurden. So musste er mit ansehen, wie zwei
seiner Kameraden aus der Umschichtungsstelle
auf der Straße ergriffen und verschleppt wurden;
er selber konnte sich gerade noch verstecken , sah
sich aber aufgrund dieser bedrohlichen Lebensumstände gezwungen zu emigrieren. Am 6. Juli
1939 gelang es ihm, nach England zu fliehen, wo
er zunächst auf einer Lehrfarm unterkam. Im Mai
1940 wurde er nach Kanada gebracht und dort
interniert. Nach der Entlassung im August 1941
kehrte er nach England zurück. Dort arbeitete er
anfangs im Londoner Gebiet als Küchenhelfer in
einem Restaurant. In den Jahren 1942/43 war er
in der Kriegsindustrie tätig. Im Mai 1944 übernahm er einen Posten in einer Damenschneiderei,
da die Fortsetzung seines erlernten kaufmännischen Berufs in England nicht möglich war.
5
Hans Lachmann heiratete 1941 die Wienerin
Gertrude, geb. Engel, (*16.08.1917), die als Jüdin
ebenfalls nach England geflohen war. 1942
wurde ihr Sohn Peter geboren.
Das Ehepaar Langham: 70. Hochzeitstag 2011
Jack Langham verstarb plötzlich im Juni 2014 nur
drei Tage nach seiner Ehefrau, die nach langer
schwerer Krankheit gestorben war. Karin Plöger,
einem Mitglied des Arbeitskreises, gelang es, Jack
Langhams Anschrift in Australien ausfindig zu
machen; sie hatte über längere Zeit telefonischen
und brieflichen Kontakt zu ihm.
Emma Philipp
Hans Lachmann/Jack Langham in London
Hans Lachmann hatte inzwischen seinen Namen
in Jack Langham ändern lassen. Die Familie
wanderte im März 1951 nach Australien aus.
Er fand dort zunächst Arbeit als Schneider in
einer Damenschneiderei. Diesen Betrieb konnte
er später von dem verstorbenen Inhaber übernehmen und leitete ihn einige Jahre gemeinsam
mit einem Kompagnon. Danach machte er sich
noch mit einem Damenoberbekleidungsgeschäft selbstständig, so dass er in Melbourne
zwei Geschäfte besaß, die er lange Jahre mit
seiner Frau führte. 1957 stellte er einen Antrag
auf Entschädigung für Schäden im beruflichen
Fortkommen. Nach langen Verhandlungen mit
den deutschen Behörden erhielt er eine bescheidene Rente zugesprochen. Die Familie bewohnte
zunächst einen Bungalow in Melbourne; später
lebte das Ehepaar Langham in einem Altersapartment im nahegelegenen Burwood.
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Emma (gen. Emmy) Philipp, geb. Storch, verwitwete Lachmann, wurde am 9. Mai 1894 in
Stadthagen als Tochter Michel Hermann Storchs
und seiner Ehefrau Helene, geb. Meier, geboren.
Ausweislich ihrer Geburtsurkunden waren ihre
Eltern jüdischen Glaubens. Ihre beiden Söhne
Max und Alfred Storch fielen im Ersten Weltkrieg. Ein Grabstein auf dem Jüdischen Friedhof
erinnert an sie. Ihre Tochter Margarethe wurde
in einem KZ umgebracht. Der Vater Michel Hermann Storch war Inhaber einer „Eisen und Metall
Rohproduktion“ (Altmetallhandel) in Stadthagen,
Bahnhofstraße 35, dazu gehörte auch ein Haus
mit Grundstücken. Die Firma verfügte über einige
Lastkraftwagen und beschäftigte etliche Arbeiter.
Emma Philipp besuchte nach der Volksschule bis
zum 16. Lebensjahr die höhere Mädchenschule
vor Ort. Danach ging sie ein Jahr lang zur Haushaltsschule in Ahlem bei Hannover. Bis zu ihrer
Heirat lebte sie im Haushalt der Eltern. Am 11.
September 1917 heiratete sie Salo Lachmann. Am
18. April 1918 wurde ihr Sohn Hans Max geboren.
Die Familie wohnte dann in der Bahnhofstraße
34 in einer Etagenwohnung. Ihr Ehemann diente
im Ersten Weltkrieg als Soldat und kam schwer
verwundet zurück. Er betätigte sich in der Firma
ihres Vaters, der 1925 verstarb. Salo Lachmann
beendete sein Leben 1928 durch Suizid.
Um den Lebensunterhalt für sich und ihren
Sohn zu sichern, war Emma Philipp ab 1930
an verschiedenen Orten (Köln, Bochum, Recklinghausen, Stettin und Hannover) in Privatfamilien als Wirtschafterin tätig. Da es auch in
jüdischen Haushalten immer schwieriger wurde,
eine Anstellung zu finden, entschloss sie sich,
Deutschland zu verlassen. Sie lebte ca. zwei Jahre
bis zu ihrer Emigration bei ihrer Schwester Margarete, verh. Hirschland, in Hannover in der Alten
Celler Heerstraße. Dort hinterließ sie auch diverse
Möbel und Haushaltsgegenstände aus ihrer
Stadthäger Wohnung.
Zwischenzeitlich hielt sie sich immer mal wieder
kurzzeitig in Stadthagen auf, wo sie in der Bahnhofstraße 35 (heute 43) gemeldet war, weil dort
noch ihre Mutter wohnte. Ihren Sohn hatte sie
in Stadthagen in Obhut der Familie Stahlhut
zurücklassen müssen.
sind. Ihre Schwester Margarete, geb. 1890, verheiratete Hirschland, musste ab 1941 als Jüdin
in Hannover in einem sogenannten Judenhaus
leben, wurde im Dezember 1941 ins Ghetto Riga
deportiert und ist wahrscheinlich später im KZ
Buchenwald umgekommen.
Aus Angst um ihr Leben emigrierte Emma Philipp im Juni 1939 zu ihrem Sohn nach England.
Dort hatte sie als „feindliche Ausländerin“ größte
Schwierigkeiten, Arbeit zu bekommen. Sie war
daher auf die Unterstützung durch eine jüdische
Organisation angewiesen. Am 3. August 1939
heiratete sie in zweiter Ehe Hermann Philipp. Das
Ehepaar trennte sich jedoch 1943 wieder. Hermann Philipp folgte nach Berichten von Angehörigen seinen Eltern nach Brasilien, so dass die
Verbindung zwischen den Eheleuten abriss.
1947 erhielt Emma Philipp die britische Staatsangehörigkeit. Sie erlernte noch das Schneiderhandwerk und arbeitete darin in den folgenden
Jahren in verschieden Firmen. Infolge der sich
verschlechternden wirtschaftlichen Verhältnisse
in England fand sie bald sogar in London keine
Arbeit mehr und entschloss sich daher 1950,
nach Australien auszuwandern.
Im Februar ließ sie sich in Melbourne nieder.
Auch ihr Sohn Hans Max, der ebenfalls die britische Staatsangehörigkeit und außerdem den
Namen Jack Langham angenommen hatte, folgte
ihr mit seiner eigenen Familie (Ehefrau und Sohn)
im März 1951 nach Melbourne. Die folgenden
fünf Jahre arbeitete Frau Philipp dort im Schneiderhandwerk. Als sich ihr Gesundheitszustand
ab 1955 immer mehr verschlechterte, und sie
schließlich nicht mehr arbeiten konnte, beantragte sie in Deutschland aufgrund ihrer Verfolgung durch das Naziregime eine Rente, die ihr
schließlich ab 1.April 1960 gewährt wurde. Frau
Philipp verstarb am 21.Juli 1965 in Dandenong
Rd., Caulfield, Victoria in Australien.
Emma Philipp
Aus ihrer weiteren Familiengeschichte erfahren
wir, dass ihre zwei Brüder, Alfred und Max
Storch, als Soldaten im Ersten Weltkrieg gefallen
7
Bahnhofstraße 15
Alfred und Sophie Katz
Alfred Katz wurde am 10. Dezember 1905 als
Sohn des jüdischen Viehhändlers Richard Katz
und seiner Frau Fanny, geb. Grünbaum, in der
Bäckerstraße 48 in Rinteln geboren. Alfred Katz
besuchte von 1911 an die Volksschule Rinteln
und ging ab 1916 auf das dortige Gymnasium.
Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1918 verließ
er die Schule und wechselte auf eine Privatschule
in Dedesdorf bei Geestemünde. Später erlernte
er den Beruf eines Schlachters bei Levi Hess in
Zierenberg und legte 1922 die Gesellenprüfung
vor der Handwerkskammer Kassel ab. In diesem
Beruf arbeitete er anschließend u.a. in Hamburg und Karlsruhe. Als Vertreter für fotografische Vergrößerungen bereiste er seit 1924/1925
fast ganz Deutschland. Zu dieser Zeit wohnte er
in Stadthagen in der Bahnhofstraße 43. 1928
war er Generalvertreter für die Firma Hoegg aus
Düsseldorf.
Am 9. September 1932 heiratete Alfred Katz
die Damenschneiderin Marie Sophie Rinke, die
christlichen Glaubens war. Sie wurde am 8. Mai
1906 als eines von vier Kindern der Eheleute Karl
und Sophie Rinke, geb. Mensching, in Stadthagen
geboren. Die Familie Rinke wohnte zu diesem
Zeitpunkt in der Loccumer Straße 25.
Sophie Marie Rinke besuchte sechs Jahre lang
die Volksschule in Stadthagen und danach eine
Fortbildungsschule. Etwa ab 1920 absolvierte sie
eine Lehre als Putzmacherin und Damenschneiderin bei Anna Watermann in Stadthagen. Im
8
Anschluss an ihre Lehrzeit war sie einige Jahre
als Gehilfin tätig. Nach ihrer Meisterprüfung bei
der Handwerkskammer Bielefeld machte sie sich
als Damenschneiderin selbstständig (1928). Ihr
Gewerbe wurde im Juni 1933 in die Handwerksrolle eingetragen. Mit der Machtübernahme der
Nationalsozialisten ging nach ihren Angaben
aufgrund ihres jüdischen Ehemanns ihr Verdienst
von jährlich 2.500 RM stark zurück. Ende 1937
wurde Alfred Katz die Reiselegitimationskarte
entzogen, so dass er ab Anfang 1938 über kein
Einkommen mehr verfügte. Weil er auch seine
Miete nicht mehr bezahlen konnte, zogen die
Eheleute Katz wahrscheinlich in das Haus von
Sophie Maries Eltern in der Loccumer Straße 25.
Am 7. November 1938 ließ sich Sophie Marie
Katz vom Stadthäger Bürgermeisteramt bestätigen, dass sie als Inhaberin eines Auslandspasses „deutschblütiger Abstammung“ sei. Am
10. November 1938 wurde Alfred Katz im Hause
seiner Schwiegereltern verhaftet; dabei wurden
die Betten aufgeschnitten und die Reifen seines
Autos beschädigt. Anschließend transportierte
man ihn mit anderen Stadthäger Juden über Bielefeld in das Konzentrationslager Buchenwald.
Etwa einen Monat später kehrte er von dort
zurück. Kurz danach, am 21. Dezember 1938,
wanderte das Ehepaar Katz in die USA aus. Am 1.
Januar 1939 erreichten sie New York an Bord des
Schiffes „Präsident Hardings“.
In den USA konnte das Ehepaar Katz zunächst
keine Arbeit finden. Vom Frühjahr 1939 an arbeitete Alfred Katz eigenen Angaben zufolge als
Hilfsarbeiter. Ab Mitte 1939 konnte Sophie Katz,
die sich in den USA nun mit Vornamen „Susan“
nannte, ein bescheidenes Einkommen als Putzfrau verdienen. Alfred Katz gelang es ab 1941,
wieder in seinem erlernten Beruf als Metzgergeselle zu arbeiten. Seine Ehefrau war nun als
Heimarbeiterin beschäftigt. Von 1944 bis 1948
betätigte sich Susan Katz schließlich als Arbeiterin in einer Handschuhfabrik. Im Herbst 1948
eröffnete Alfred Katz als Teilhaber einen kleinen
Metzgerladen in New York, den er aber aus
gesundheitlichen Gründen 1958 wieder aufgeben
musste. Das Ehepaar übersiedelte daraufhin in
ein Haus in Lake Worth im Bundesstaat Florida.
Am 27. März 1963 kehrte das Ehepaar Katz
zurück nach Deutschland. Sie wohnten wieder
in Stadthagen, Loccumerstraße 25, bei Sophies
Schwester. Neun Jahre später zog das Ehepaar
Katz in die Stegmannstraße 19 und wohnte dort
in der Wohnung Martha Vogels, einer weiteren
Schwester Sophies. Am 1. Juli 1973 verstarb
Alfred Katz mit 68 Jahren im Kreiskrankenhaus in
Stadthagen. Am 8. Oktober, 3 Monate nach ihrem
Mann, starb Sophie Katz 67-jährig ebenfalls dort.
Nach Auskunft der Friedhofsverwaltung der St.Martini-Gemeinde in Stadthagen wurden beide
auf dem christlichen Friedhof dieser Gemeinde
beerdigt.
Westernstraße 12
Gertrud Rosenfeld
Gertrud Julia Rosenfeld, geb. Wolf, kam als
jüngstes von vier Kindern des Ehepaares William und Bertha Nathan Wolf am 18. August
1899 in Stadthagen zur Welt. Von den Geschwistern kamen alle im 1. oder 2. Weltkrieg um: Der
älteste Sohn Adolf starb als deutscher Soldat im
Ersten.Weltkrieg. Gertrud, ihre Schwester Paula
Lilienfeld und ihr Bruder John Wolf wurden von
den Nationalsozialisten deportiert und ermordet.
Ihre Kindheit verbrachte Gertrud mit ihrer Familie
im Haus Am Markt 6. Aufgrund des Erfolgs des
vom Großvater gegründeten und von ihrem Vater
William und dessen Bruder Max geführten Familienunternehmens ist anzunehmen, dass Gertrud
in einigem Wohlstand aufwuchs. Die Magnus
Wolf OHG handelte vornehmlich mit Leder und
verkaufte bzw. wartete außerdem Nähmaschinen,
Milch-Zentrifugen, Schuhmacher- und Schlachterbedarf sowie weitere Produkte.
Sowohl William und Max Wolf als auch Gertruds
Bruder John engagierten sich in vielen Bereichen
der Stadthäger Gesellschaft. Gertrud besuchte
die örtliche Bürgertöchterschule.
Am zweiten September 1921 heiratete Gertrud
Wolf den 1887 geborenen Paul Hugo Rosenfeld. Dessen Familien lebte an der Wallstraße
3 in Stadthagen und achtete strenger auf den
Glauben als die Familie Wolf, obwohl auch Gertruds Vater William der Stadthäger Synagoge
von 1911 bis 1929 vorstand. Die Trauung wurde
9
von einem Rabbi im Haus Am Markt 6 vollzogen,
gefolgt von einem Empfang.
Paul Hugo Rosenfeld hatte bis mindestens 1915
in Aachen gelebt. Er war in der Textilindustrie
tätig und besaß 1922 mit seinem Partner Paul
Rath das Großhandelsunternehmen Rosenfeld
und Rath, welches sich auf Anzugstoffe spezialisiert hatte. In Aachen stammte mehr als die
Hälfte aller dort gehandelten Textilien aus jüdischer Herstellung. Rosenfeld und Rath war eines
von mehr als 50 jüdischen Stoffhandelsunternehmen, von denen Textilien in ganz Deutschland vertrieben wurden.
Gertrud und Hugo Rosenfeld lebten in Aachen
in einer Wohnung in der Lothringer Straße 74
inmitten des Frankenberger Viertels, nur einige
Blöcke vom Büro der Firma entfernt. Das Ehepaar
hatte zwei Kinder, die beide in Aachen zur Welt
kamen: Lotte Rosenfeld wurde 1922 geboren,
Kurt Adolf Rosenfeld 1929.
Am 26. Mai 1930 erlag Hugo einem Herzinfarkt.
Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Aachen
beigesetzt. Noch im selben Jahr zog seine Frau
Gertrud mit ihren Kindern zurück nach Stadthagen, wo sie auf die Unterstützung durch ihre
Familie zählen konnte. Hier wohnte Gertrud im
ersten Stock des Hauses in der Westernstraße
12 zur Miete. Auf dem großen über dem Garten
liegenden Balkon der Wohnung widmete sie sich
ihren vielen Pflanzen.
Nach dem Ende des ersten Schulhalbjahres 1938
zog Gertrud mit ihren Kindern von Stadthagen
nach Berlin, da diesen der Besuch der Stadthäger
Schulen verwehrt worden war. Gertrud Rosenfeld
erhoffte sich von den ausländischen Konsulaten
in der Hauptstadt Hilfe bei der Organisation einer
sicheren Ausreise aus Deutschland. In Berlin lebte
Gertrud mit Lotte und Kurt in einer Wohnung in
der Courbièrestraße 1 im Bezirk Schöneberg. Das
Mietshaus gehörte Clara Brauer, der Mutter des
Ehemannes von Gertruds Stadthäger Cousine
Hilde Brauer, geb. Wolf.
Gertrud konnte ihre Kinder vor den Nationalsozialisten retten: Lotte Rosenfeld gelangte
10
zusammen mit der Familie Brauer im Juni 1939
nach England. Im August 1939, nur eine Woche
vor der Invasion der Wehrmacht in Polen und vor
dem Beginn des 2. Weltkriegs, kam Kurt Rosenfeld mit einem der letzten Kindertransporte nach
England. So überlebten beide Kinder Gertrud
Rosenfelds getrennt voneinander den Krieg.
Lotte, Gertrud und Kurt Rosenfeld
Im Verlauf des Jahres 1939 zog Gertruds Nichte
Hanna Lilienfeld, die Tochter Paula Lilienfelds, zu
Gertrud nach Berlin. Hanna war 1922 geboren
worden; und es war ihr ebenfalls verwehrt
worden, ihre schulische Laufbahn fortzusetzen.
1941 teilte Gertrud ihre Wohnung mit ihren
Neffen, den Zwillingen Ernst und Ludwig Lazarus,
die 1926 von der Schwester ihres Mannes in
Wunstorf zur Welt gebracht worden waren. Zeitweise vermietete Gertrud Teile der Wohnung
auch an Bekannte.
Ebenso wie Gertrud wurden auch Hanna Lilienfeld sowie Ernst und Ludwig Lazarus deportiert
und ermordet. Das gleiche Schicksal traf alle
Untermieter Gertruds sowie alle weiteren jüdischen Bewohner des Hauses in der Courbièrestraße 1.
Gertrud wurde einige Tage vor ihrer Deportation in die Synagoge in der Levetzowstraße in
Berlin Moabit gebracht. Das Gebäude wurde von
den Nationalsozialisten als Deportations-Sammelstelle genutzt. Hier wurden Gertrud und alle
anderen Deportationshäftlinge unter brutalen
und unhygienischen Bedingungen zusammengepfercht und streng bewacht. Die Gestapo zwang
die Menschen, alle Besitztümer aus ihren Wohnungen aufzulisten und die Ansprüche darauf an
das Reich abzutreten.
Im November des Jahres 1942 fand eine Massenerschießung in Piaski statt. Falls Gertrud diese
sowie die harten Bedingungen des Ghettos bis in
den November des Jahres 1943 überlebt haben
sollte, fiel sie möglicherweise der Aktion „Erntefest“ zum Opfer: Innerhalb von zwei Tagen
wurden über 43.000 Menschen im Distrikt Lublin
durch Massenerschießungen ermordet. Von den
973 deutschen Juden, die im “Ost-Transport 11”
deportiert wurden, überlebten nur drei den Krieg.
Es ist nicht bekannt, an welchem Ort, zu welchem
Zeitpunkt und auf welche Weise Gertrud Wolf
Rosenfeld starb.
Text: Andrew Schindel (Enkel Gertrud Rosenfelds),
Übersetzung: Mattias Brinkmann
Gertrud Rosenfeld
Nach einem sieben Kilometer langen Marsch von
der Synagoge zum Bahnhof Berlin-Grunewald
wurden die Häftlinge abtransportiert. Am 28.
März 1942 wurde Gertrud Rosenfeld vom Gleis
17 aus im Zuge des „Ost-Transportes 11“ als eine
von mindestens 973 Menschen in das PiaskiLuterskie-Ghetto im damaligen Distrikt Lublin in
Polen deportiert.
Ein Großteil der Deportierten des „Ost-Transportes 11“ wurden in Viehwagen gedrängt,
andere in Passagierwaggons. Am 30. März 1942
erreichte der Zug das Arbeitslager Trawniki. Hier
mussten Häftlinge die Kleider und persönlichen
Besitztümer der Opfer aus den drei nahegelegenen Vernichtungslagern Majdanek, Sobibor
und Belzec verwerten. Die Deportierten des „OstTransportes 11“ blieben jedoch nicht in Trawniki,
sondern mussten vom Bahnhof aus den zwölf
Kilometer langen Weg in das Ghetto Piaski mit
ihrem Gepäck zu Fuß zu bewältigen.
Das Ghetto Piaski war stark überfüllt, es gab
nur bedingt Zugang zu Wasser. Hauptsächlich
diente es als Durchgangsghetto, wo Juden für
Tage oder Wochen festgehalten wurden, bis man
sie entweder zum Arbeiten nach Trawniki oder
in eines der Vernichtungslager transportierte.
Lotte Schindel, geb. Rosenfeld
Lotte Schindel, geb. Rosenfeld, wurde am 8.
August 1922 in Aachen geboren. Ihre Eltern
waren die Stadthäger Hugo und Gertrud Rosenfeld. Lotte besuchte zunächst eine Schule in
Aachen, zog dann aber nach dem Tod des Vaters
im Mai 1930 mit ihrer Mutter Gertrud und ihrem
einjährigen Bruder Kurt nach Stadthagen, wo
sie für die nächsten acht Jahre lebte. Sie selbst
hatte in Aachen lange Zeit an Scharlach gelitten
und war – besonders nach dem Tod ihres Vaters
– erfüllt von dem Wunsch, anderen Menschen
zu helfen und sie zu beschützen. Wie schon ihr
Vater liebte es auch Lotte, sich zu bilden und zu
lernen. Ihr Wunsch war es, Ärztin zu werden – ein
Wunsch, der ihr, wie sie selber voller Abneigung
sagte, „von Herrn Hitler verwehrt wurde.“
Lotte besuchte zwischen Oktober 1930 und
Ostern 1938 die Bürgertöchterschule und das
Staatliche Reformrealprogymnasium in Stadthagen. Mit zunehmendem Einfluss der Nationalsozialisten in der Gesellschaft sahen sich Lotte
und ihr Bruder immer häufiger verbalen und physischen Drohungen innerhalb wie außerhalb der
Schule ausgesetzt. Nachdem es den Kindern verboten wurde, öffentliche Schulen zu besuchen,
beschloss ihre Mutter, nach Berlin umzuziehen.
Dort erlebte Lotte die Reichspogromnacht.
11
In der Zeit vom Oktober 1938 bis zum Januar
1939 arbeitete sie als Praktikantin bei einem
Ernährungswissenschaftler im Israelitischen
Krankenheim in der Elsässerstraße 85. Das
16-jährige „Fräulein Rosenfeld“ beeindruckte
ihren Vorgesetzten, der über sie schrieb, sie
sei „sehr geschickt, fleißig, reinlich, sorgfältig,
sparsam und in der Lage, eigenständig zu
arbeiten.“
Lottes Eigenständigkeit war in der Tat eines ihrer
Markenzeichen. Am 14. Juni 1939 verließ sie
das Deutsche Reich. Von Bremerhaven reiste sie
mit ihrer Cousine Hilde Brauer (geboren 1908 in
Stadthagen), Hildes Ehemann Alfred und deren
Tochter Ellen nach England. Während die Familie
Brauer in die Vereinigten Staaten weiterreiste,
wo Alfred eine Stelle am „Institute for Advanced
Study“ in Princeton, New Jersey, erhielt, blieb
Lotte in Southampton.
Lotte Rosenfeld, 1939
Direkt nach ihrer Ankunft in England begann
Lotte, in verschiedenen Krankenhäusern in
London und Südengland zu arbeiten. Zwei Jahre
später, im August des Jahres 1941, startete sie
eine Ausbildung zur Krankenschwester am St.
James Hospital in London. Das in einer ärmeren
Gegend gelegene Krankenhaus behandelte Patienten mit allen denkbaren Leiden. Deshalb
konnte Lotte sich hier ein sehr breites medizinisches Wissen aneignen, wofür sie sehr dankbar
war. Ihr Leben lang verfolgte sie bei jedem
12
Krachen des Gewitterdonners die Erinnerung an
die Explosion deutscher Bomben auf London. In
jeder Flagge sah sie das Banner der Nationalsozialisten mit dem Hakenkreuz. Im Frühjahr 1945
erhielt Lotte ihr Ausbildungszeugnis. Sie hatte
„mit Auszeichnung“ bestanden; ihr Ergebnis war
in ganz England auf Platz 19 von fast 900 frisch
ausgebildeten Krankenschwestern. Die folgenden
zwei Jahre arbeitete Lotte als Stationsschwester,
zunächst im St. James Krankenhaus, später auch
in anderen Krankenhäusern in London.
Mit der Emigration in die Vereinigten Staaten
im Jahr 1947 erfüllte sich für Lotte Rosenfeld
eine lange Sehnsucht, da sie hoffte, hier mit
ihrem Bruder Kurt und ihrer Mutter Gertrud ein
neues Leben beginnen zu können. Ihren Bruder
zog es 1956 letztendlich auch in die Vereinigten
Staaten; aber ihre Mutter Gertrud war von den
Nationalsozialisten ermordet worden. In Amerika lebte Lotte zunächst in New York, wo sie
auch als Stationsschwester arbeitete. Im Herbst
des Jahres 1947 traf sie Louis Schindel, einen
Veteranen des United States Coast Guard. 1948
heirateten die beiden und lebten bis zu Louis
Tod 2004 in dessen Geburtsort in New Jersey.
Ihre Familie - die Schindels - mit drei Kindern
und fünf Enkelkindern erfüllte Lotte mit enorm
viel Stolz und Freude. Nachdem sie sich über
ein Jahrzehnt nahezu ausschließlich ihren Kindern gewidmet hatte, kehrte Lotte in den 1960er
Jahren ins Berufsleben als Krankenschwester
zurück. Sie wurde wegen ihres Könnens und ihrer
Führungsqualitäten schnell zur Oberschwester in
der chirurgischen Abteilung eines Krankenhauses
befördert. Aufgrund der hohen Qualität von „Frau
Schindels Abteilung“ vertrauten die Ärzte des
Krankenhauses ihre kranken Freunde und Verwandten dieser Station an. Ihre Beliebtheit zeigte
sich auch, als im Jahr 1987 über 150 Menschen
zu ihrer Abschiedsfeier kamen.
Ihren Ruhestand genoss Lotte Schindel glücklich
und in Frieden, umgeben von Kunst, Natur, Stickereien und frischen Blumen sowie auf Reisen
- und vor allem mit ihrer Familie. Die eifrige
Beobachterin von Ereignissen in aller Welt klagte
aber mit ihrer empathischen Natur immer wieder
politische und ethnische Gewalt an, wo immer
sie vorkam.
Nach ihrer Hochzeit behielt Lotte zunächst ein
“R.” im Namen bei und nannte sich „Lotte R.
Schindel“. Um ihre schmerzhafte Vergangenheit
stärker hinter sich zu lassen , legte sie diesen Teil
ihres Namens später ab, der nicht nur für ihren
Geburtsnamen, sondern auch für die Erinnerung
an die Tragödie der Familie im Holocaust stand .
Lotte Schindel und ihr Bruder Kenneth Rapley
verloren durch die Judenverfolgung in Nazideutschland ihre geliebte Mutter, ihren Onkel,
ihre Tanten, Cousins und Cousinen sowie ihre
Großeltern – insgesamt mindestens 19 Verwandte zwischen 10 und 86 Jahren. Sie verloren
darüber hinaus ihren Besitz, ihre Träume, ihre
Heimat und große Teile ihrer Familiengeschichte.
bessere Chancen zur Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland hoffte. Die Familie
lebte in der Courbièrestraße 1 in Schöneberg.
Da Kurt der Besuch öffentlicher Schulen auch
hier verwehrt blieb, besuchte er in dieser Zeit die
Joseph-Lehmann-Schule der reformierten Jüdischen Gemeinde Berlins. Mit zehn Jahren gelang
es, Kurt Rosenfeld in einem der letzten“ Kindertransporte“ aus Deutschland zu retten. Diese
existierten seit der Reichspogromnacht; so wurde
über 10 000 überwiegend jüdischen Kindern das
Leben gerettet. Am 23. August 1939 erreichte
Kurt England, nur eine Woche später begann der
Zweite Weltkrieg.
Für Jahrzehnte befand sich für Lotte zwischen
ihrem Leben in den USA und der Vergangenheit
mit den Sorgen des Holocausts eine psychologische Barriere. Erst in den letzten Jahren ihres
Lebens begann eine allmähliche Aussöhnung mit
der tragischen Geschichte der Familie im Holocaust in Stadthagen, in Deutschland und darüber
hinaus. Lotte Schindel verstarb 2011 im Alter von
89 Jahren.
Text: Andrew Schindel (Sohn Lotte Schindels),
Übersetzung: Mattias Brinkmann
Kurt Rosenfeld/Kenneth Rapley
Kurt Rosenfeld wurde am 12. Mai 1929 in Aachen
geboren. Seine Eltern, Gertrud und Hugo Rosenfeld, stammten beide aus Stadthagen. Kurts
zweiter Vorname sollte an seinen Onkel Adolf
Wolf erinnern, der im 1. Weltkrieg in Somme-Py
(Frankreich) fiel. Nach dem Tod des Vaters im Jahr
1930 zog Gertrud Rosenfeld mit dem einjährigen
Kurt und seiner Schwester Lotte nach Stadthagen
in die Westernstraße 12. Kurt besuchte dort die
Bürgerknabenschule, bis ihm als Jude der weitere
Schulbesuch verboten wurde. 1938 zog Gertrud
mit ihren Kindern nach Berlin, da man hier auf
Kurt Rosenfeld
Während des Krieges lebte Kurt in einer Gastfamilie in Guildford, für die er viel Zuneigung und
Dank empfand. Zum Ende des Krieges, im Jahr
1945, zog Kurt nach London und arbeitete zuerst
in der Elektronikindustrie, danach als Tanzlehrer
und schließlich als Geschäftsführer eines Cafés.
1948 änderte Kurt Rosenfeld seinen Namen und
nannte sich nun Kenneth Rapley. Er lebte weiterhin in London, bis er 1956 in die Vereinigten
Staaten emigrierte. 1957 heiratete Kenneth.
Er lebte in Washington DC und arbeitete in der
Gastronomiebranche. bald leitete er den United
States Senate Dining Room, wo er auch das Mittagsmahl für John F. Kennedy’s Amtseinführung
als Präsident ausrichtete. Kenneth war begeisterter Kartenspieler. Seinen Ruhestand genoss er
mit seiner Frau auf Reisen um die Welt, vor allem
13
auf Kreuzfahrten. Bei einem kurzen Aufenthalt in
Berlin besuchte er auch die Courbièrestraße; das
alte Haus stand allerdings nicht mehr. Obwohl er
seiner Vergangenheit in Deutschland durchaus
neugierig gegenüber stand, waren seine Gefühle
Stadthagen gegenüber sehr gemischt. Auf der
einen Seite erinnerte er sich gerne an Diskussionen mit Lotte auf den Stufen des Hauses in der
Westernstraße 12, an die Besuche bei Rudolph
Weinberg, dem Ehemann seiner Cousine Ruth
Lilienfeld Weinberg, der im Kaufhaus Lion arbeitete, sowie an Gespräche mit den Betreibern von
Fahrgeschäften auf den Jahrmärkten vor dem
Haus zum Wolf Am Markt 6.
Auf der anderen Seite hingegen überwogen sorgenvolle Gedanken an diese Zeit. Seine Abneigung gegenüber Schnee und Winter wurde
beispielsweise dadurch ausgelöst, dass er als
Jude von seinen Mitschülern mit Schneebällen
beworfen und auch beschimpft worden war.
Dies waren nicht die einzigen Demütigungen. Es
schmerzte Kenneth auch Jahrzehnte später noch
sehr, dass sich das Versprechen seiner Mutter vor
dem Kindertransport, die Familie werde später
wieder glücklich zusammenleben, nie erfüllte. Der
größte ihn belastende Schmerz war natürlich der
Verlust seiner Mutter. Schwester Lotte erkannte
in ihrem Bruder Kenneth viele Ähnlichkeiten mit
seiner Mutter. Er sei wie sie aufgeschlossen, liebevoll und beliebt gewesen – ein wahrer ‚Bon
Vivant‘. Nach 54 glücklichen Ehejahren verstarb
Kenneth Rapleys Frau. Er selbst verstarb 2012 im
Alter von 82 Jahren.
Text: Andrew Schindel (Neffe Kenneth Rapleys),
Übersetzung: Mattias Brinkmann
Nordstraße 3
Herbert Pommer
Herbert Pommer wurde am 18. August 1907 in
Rostock geboren. Seine Eltern waren Gustav und
Birthe Pommer. Der Vater war jüdischen Glaubens. Die Mutter - als Birthe Skolander in Alsen,
Dänemark, geboren - gehörte der evangelischlutherischen Religion an und trat vor der Geburt
des ersten Kindes zum jüdischen Glauben über.
Der Vater betrieb in Rostock, Lange Straße 72, ein
Möbel- und Warenhaus. Dort wohnte die Familie
auch.
Herbert Pommer besuchte die Schule in Rostock
bis zur Obersekunda. Dann begann er eine Lehre
als Kaufmann in Laage. Er arbeitete danach in
Ückermünde und in Geldern. Am 1. Dezember
1930 meldete er sich in Stadthagen, Echternstraße 42, an und arbeitete als Verkäufer und
später als Abteilungsleiter im Kaufhaus Lion. Er
verliebte sich in Louise Nord, eine Christin, die als
Verkäuferin ebenfalls bei Lion beschäftigt war.
Im „Stürmer“, dem antisemitischen Hetzblatt der
Nationalsozialisten, erschien im April 1934 ein
Arikel über den „rasseschänderischen Umgang“
des Liebespaars miteinander. Auch in Stadthagen
gab es höchstwahrscheinlich einen örtlichen
„Stürmer-Kasten“, in dem die jeweils aktuelle
Ausgabe der Zeitschrift ausgehängt wurde. Man
kann also davon ausgehen, dass vielen Einwohnern der Stadt der antisemitische Inhalt des Artikels bekannt wurde.
14
Stadtarchiv Nürnberg AvPer.627_15_03 S. 5.
Noch im April 1934 — mindestens vom 14. bis
zum 16. April — wurde das Ehepaar im Gefängnis
in Stadthagen in „Sicherheitsverwahrung“
genommen. Ihren Plan zu heiraten, gaben sie
trotz allem nicht auf. Die Hochzeit fand am 20.
April 1934 in Rostock statt, also noch kurz vor
dem Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze im
darauf folgenden Jahr. Danach waren Ehen von
Juden mit „Ariern“ verboten. Da sie weiterhin in
Stadthagen, Nordstraße 3, wohnten, beantragten
sie bei der Schaumburg-Lippischen Landesregierung am 4. September 1935 einen Reisepass,
um nach Chile ausreisen zu können. Sowohl die
Kriminalpolizei Bückeburg als auch der Bürgermeister Stadthagens erhoben keine Einwände,
so dass die Pässe am 17. September 1935 ausgestellt wurden.
Zur Auswanderung kam es allerdings nicht. Am 6.
Januar 1936 zogen beide nach Rostock, wo Herbert im Kaufhaus seines Vaters arbeitete. Nach
der Machtübernahme der Nationalsozialisten
wurde das Geschäft boykottiert; es gab eine
Reihe von Übergriffen und Belästigungen. Am 14.
August 1937 „nahm der Vater sich, da er keinen
Ausweg aus dieser unheilvollen Situation sah,
das Leben“, wie seine Frau Birthe Pommer nach
dem Krieg berichtete. Sie wurde nun Leiterin
des Geschäfts. Zwei Töchtern und drei Söhnen
Gustav und Birthe Pommers gelang es in dieser
Zeit, nach Chile und in die USA zu fliehen.
Im August 1936 zog ein junges Ehepaar W. in das
Haus ein, in dem das Ehepaar Pommer wohnte.
Sie freundeten sich miteinander an. Frau W. war
Katholikin und - wie es im Urteil gegen Herbert
Pommer vom 19. Juni 1939 heißt- „rein deutschblütiger Abstammung“. Sie wurde, wie es weiter
hieß, von ihrem Mann schlecht behandelt und
mehrfach geschlagen. Sie beschloss 1938, sich
von ihrem Mann scheiden zu lassen und zog
nach Harburg. Herbert Pommer traf sich im
Oktober 1938 mehrmals mit ihr in einem Hotelzimmer in Hamburg. Zu einem geplanten Treffen
am 9. November 1938 kam Frau W. nicht, da sie
wohl Bedenken bekommen und ihre Mutter sie
gewarnt hatte. Wer Herbert Pommer denunziert hatte, ist nicht bekannt. In der Pogromnacht des 9./10. Novembers 1938 konnte Herbert
Pommer zunächst entkommen, weil er nicht
in Rostock weilte. Er wurde aber dann am 15.
November 1938 verhaftet und von der Polizei
15
in das Gefängnis Alt-Strelitz überstellt, von dort
am 4. Januar 1939 entlassen und der Gestapo
übergeben. Wegen des „Vergehens der Rassenschande“ wurde Herbert Pommer am 6. Januar
1939 in Hamburg verhaftet. Vom 7. bis 11.
Januar 1939 saß er im KZ Fuhlsbüttel in „Schutzhaft“; anschließend war er bis zum 20. Oktober
im Untersuchungsgefängnis Hamburg, Holstenglacis 3, in Haft. Am 19. Juni 1939 wurde er vom
Landgericht Hamburg wegen „Rassenschande“
zu 6 Jahren Zuchthaus und 6 Jahren „Ehrverlust“
verurteilt. In der Urteilsabschrift vom 19. Juni
1939 heißt es:
„Der Angeklagte hat im 4. Jahr nach Erlass der
Nürnberger Gesetze sich an einer deutschen Frau
vergangen. Die ihm bekannte Tatsache, dass Rassenschande sehr hart bestraft wird, vermochte
nicht, ihn von seiner Tat abzuhalten. Er hat die
seelische Niedergebrochenheit der Zeugin und
ihre Verzweiflung in gemeinster Weise ausgenutzt. […] Der Angeklagte war auch skrupellos
und kaltschnäuzig genug, seine Verabredung
am 9. November 1938 einzuhalten, obwohl
damals infolge des ruchlosen Pariser Mordes
sich des ganzen deutschen Volkes eine ungeheure Empörung gegen die Juden bemächtigt
hatte. [...] In seinem ganzen Verhalten dieser
Zeugin gegenüber tritt das planmäßige Vorgehen des typisch jüdischen Verführers offen
zu Tage. […] Das Gericht verkennt nicht, daß
ein Jude eine Ehrauffassung und Ehrgefühl
wie ein Deutscher nicht kennt. Trotzdem hat
das Gericht gemäß § 32 StGB auf Ehrverlust
erkannt, weil 1.) nach außen hin zum Ausdruck
gebracht werden muß, daß dieses Verhalten des
Juden vom Standpunkt eines Deutschen aus als
ehrlos betrachtet wird und 2.) der Angeklagte
die auf ihm als Juden lastende Pflicht des Gastes
seinem Gastvolk gegenüber auf Innehaltung der
Gesetze in schamloser Weise mißachtet hat.“
(StAH, 213-1, Ablieferung 8, 143 EL 3b Nr. F 255)
16
Herbert Pommer
Ab dem 25. Oktober 1939 war er im Zuchthaus
Bremen-Oslebshausen in Haft. Am 26. März
1943 wurde er in das KZ Auschwitz deportiert,
zunächst nach Auschwitz III/ Monowitz. Er hatte
dort die Häftlingsnummer 113 383. In diesem
Lager arbeitete er vermutlich für die Buna-Werke.
Nachdem ihm aus unbekannten Gründen im
Häftlingskrankenhaus Buna/Monowitz der rechte
Daumen amputiert worden war, „überstellte“
man ihn in das Vernichtungslager Auschwitz.
Dort starb er am 2. Januar 1944 an den Folgen
einer Herzmuskelschwäche bei Bronchopneumonie, (eine schwere Form der Lungenentzündung). In der Sterbeurkunde des Standesamts
II Auschwitz heißt es, er sei „glaubenslos früher
mosaisch“ gewesen.
Louise Pommer
Louise Pommer wurde am 8. Juni 1906 als
Louise Nord in Stadthagen geboren. Die christliche Familie Nord wohnte in der Klosterstraße
3. Louise arbeitete als Verkäuferin im Kaufhaus
Lion, wo sie Herbert Pommer kennen lernte. Trotz
des Hetzartikels im „Stürmer“ heirateten sie 1934,
nachdem sie für kurze Zeit – mindestens vom
14. bis 16. April – in „Sicherheitsverwahrung“
genommen worden waren. 1936 zogen sie nach
Rostock.
Dort erfuhr sie 1938 von der Verhaftung ihres
Mannes wegen „Rassenschande“, später von
seiner Verurteilung zu Zuchthaus, seiner Deportation in das KZ Auschwitz und seinem Tod. Sie
selbst wurde dienstverpflichtet und musste in der
Neptun-Werft in Rostock und später im Bergbau
unter Tage schwere Arbeit verrichten.
Von ihrem Mann ließ sie sich nicht scheiden. In
einer eidesstattlichen Versicherung, die nach
1945 von Dr. jur. Werner Winterhoff im Zusammenhang mit dem Entschädigungsverfahren
abgegeben wurde, heißt es: „Die ihm vorgeworfenen Beziehungen zu einer arischen Frau
scheinen nicht schwerwiegender Natur gewesen
zu sein, da seine eigene Ehefrau mir wiederholt
erklärt hat, dass sie keine Veranlassung sähe,
von ihrem Ehemann abzurücken. Sie hat bis
zum bitteren Ende treu zu ihm gehalten. Diese
Umstände erweckten bei mir den Eindruck, dass
nationalsozialistische Kreise nur einen losen Vorwand gesucht haben, um Herbert Pommer zu
liquidieren.“
lebe und Entschädigungsansprüche nur geltend
gemacht werden könnten, wenn der Antragsteller in einem Land lebe, mit dem die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen unterhalte.
Die Ersatzansprüche der übrigen Erben wurden
im Gegensatz dazu positiv beschieden. Am 1.
November 1992 kehrte sie nach Stadthagen
zurück und wohnte zunächst in der Loccumer
Straße 16 C. Am 1. Januar 1994 zog sie nach
Nienstädt, Liekweger Straße 146. Dort starb sie
am 4. März 1994.
Louise Pommer, geb. Nord
1947 heiratete Louise Pommer den Zahnarzt Herbert Brüning, der 1990 verstarb. Bis 1992 wohnte
sie in Weimar. Als frühere Ehefrau und Erbin
Herbert Pommers erhielt sie eine Entschädigung.
Ihr Antrag auf eine Wiedergutmachungszahlung
wegen „Schadens am Leben“ wurde aber mit der
Begründung abgelehnt, dass sie in der DDR (laut
Urteilstext in der „sowjetisch besetzten Zone“)
17
Wallstraße 3
Erich Rosenfeld
Erich Rosenfeld wurde am 23. Mai 1904 als
Sohn Moses und Bertha Rosenfelds, geb. Hahn,
und als Ernsts Zwillingsbruder sowie neun weiterer Geschwister in der Wallstraße 3 in Stadthagen geboren. Von 1910 bis 1915 besuchte er
die Volksschule und in den Jahren von 1915 bis
1921 das Realprogymnasium in Stadthagen bis
zur Reifeprüfung. Anschließend absolvierte er
bis 1923 eine Ausbildung zum Bankkaufmann
im Bankhaus Löwenbach in Nienburg/Weser.
Es folgten 1921 bzw. 1922 Wohnortwechsel
von Stadthagen nach Sandstedt (1921) sowie
nach Schöttmar und jeweils wieder zurück nach
Stadthagen. Außerdem war Erich in Aachen bei
Rosenfeld und Co als Reisender beschäftigt. Im
März 1934 meldete er sich in Stadthagen nach
Lobitten, Kreis Königsberg, ab. Bis zum 01. April
1934 arbeitete Erich als kaufmännischer Angestellter in der Tuchgroßhandlung Paul Rath in
Aachen. Im April 1935 kehrte er von Hannover
aus erneut nach Stadthagen zurück. Dann verlegte er seinen Wohnort im April 1936 nach Kuhlenkamp bei Asendorf, Kreis Hoya; im Mai 1936
war er wieder in seiner Heimatstadt ansässig. Den
Beruf als Reisender musste er 1934 wegen seiner
jüdischen Abstammung aufgeben. 1934/1935
betätigte sich Erich Rosenfeld als landwirtschaftlicher Lehrling ohne Einkommen. Vor diesem
Hintergrund entschloss er sich, nach Palästina
auszuwandern.
18
Dafür beantragte er im August 1936 eine entsprechende Dringlichkeitsbescheinigung zur
Ausreise, die zur Mitnahme von 50 Reichsmark
in Scheidemünzen berechtigte. Er bemühte sich
außerdem um die weiteren notwendigen Unterlagen für seine Auswanderung, um sich Ende
August einem zusammengestellten Auswanderungstransport nach Palästina anschließen
zu können. Das Finanzamt Stadthagen und die
Zollfahndungsstelle Hannover ließen die Ermittlungen, die Anhaltspunkte für Vermögensverschiebungen ins Ausland verfolgten, einstellen.
Daraufhin teilte die deutsche Grenzüberwachungsstelle Salzburg mit, dass der Viehhändler
Erich Rosenfeld die deutsche Grenze am 11. oder
12. August 1936 zum Zwecke der Auswanderung
nach Palästina überschreiten werde. Er meldete
sich am 19. August 1936 bei der Staatspolizei
Bielefeld (Außenstelle Bückeburg) in Stadthagen
ab.
Erich Rosenfeld
In Palästina angekommen, erkrankte Erich Rosenfeld Ende Oktober 1936 an Dysenterie (Ruhr),die
mit Fieber und blutigem Durchfall verbunden
war. Er wurde im Regierungskrankenhaus in
Haifa medikamentös behandelt. Nach seiner Auswanderung war Erich Rosenfeld als niedrig entlohnter Gelegenheitsarbeiter im Straßenbau und
als Landarbeiter auf Orangenplantagen tätig.
Dazu war er gezwungen, längere Strecken mit
dem Fahrrad zurück zu legen und schwere Lasten
zu tragen. Am 19. Mai 1946 heiratete er Hanna
Sonnheim, die am 9. März 1908 in Münchweiler
geboren worden war. Ihr gemeinsamer Sohn
Seev, der heute in Israel lebt und zu dem der hiesige „Förderverein ehemalige Synagoge e.V.“ Kontakt hat, kam am 30. Dezember 1946 in Haifa zur
Welt. 1958 arbeitete Erich Rosenfeld als Sackhändler in Pardess Hanna.
Seit 1948 litt er laut einer Bescheinigung seines
Hausarztes an Arthritis mit Schmerzen und
Schwellungen an beiden Händen sowie den Kniegelenken. 1953 kamen Herzbeschwerden mit
Kurzatmigkeit und erhöhtem Blutdruck dazu.
Im März 1955 bat Erich Rosenfeld die Stadt
Stadthagen – möglicherweise für die Stellung
eines Entschädigungsantrags, den er dann 1953
stellte – um eine Bestätigung, dass er von Januar
1935 bis zu seiner Auswanderung nach Israel
in Stadthagen gewohnt habe. 1955 teilte er
der Entschädigungsbehörde mit, dass er sich in
finanzieller Notlage befände und bat um bevorzugte Bearbeitung seines Antrags.
Friedel Schirmer, damaliger SPD- Bundestagsabgeordneter des hiesigen Wahlkreises, stellte
im Januar 1957 beim Regierungspräsidenten in
Hannover eine Anfrage zur Wiedergutmachung
für Erich Rosenfeld und bemängelte, dass auf
den Antrag von 1953 keine Antwort erfolgt sei.
Der Neffe Erich Rosenfelds – Rechtsanwalt
Alfred Wienrich aus Karlsruhe –, der auch mit
der Durchführung der Wiedergutmachung seines
Zwillingsbruders Ernst und seiner Schwester Gertrud beauftragt war, schrieb sogar einen Brief
an das Bundeskanzleramt in Bonn, das sich daraufhin in dieser Angelegenheit an den Niedersächsischen Innenminister wandte. Rechtsanwalt
Berndt forderte für Erich Rosenfeld im April 1957
Akteneinsicht beim Regierungspräsidenten in
Hannover. Von dort wurde ihm mitgeteilt, dass
die Akte aktuell nicht auffindbar sei, da sie bei
der Abgabe von einer zur anderen Dienststelle
dort nicht angekommen sei. Im Juni 1957 schrieb
der Minister des Inneren in Niedersachsen an
den Rechtsanwalt Wienrich, die Akten seien
momentan nicht verfügbar, da sie im Geschäftsgang seien. Maria Meyer-Sevenich, Abgeordnete
der SPD im Niedersächsischen Landtag aus Hildesheim, bemängelte, dass die Behörde nicht gut
daran getan habe, auf die vielen Anfragen nicht
einmal zu antworten.
Im Mai 1957 bat Anwalt Wienrich die Stadt
Stadthagen, in der Angelegenheit „Wiedergutmachung an Erich Rosenfeld“ die deutsche Staatsangehörigkeit seines Mandanten für das Jahr
1936 zu bescheinigen. Die Stadt beantwortet das
Schreiben damit, dass bis 1933 keine Einträge im
Melderegister zu finden seien. Die Personalien
seien zwar vermerkt, die Staatsangehörigkeit sei
aber nicht angegeben. Im Januar 1958 stellte die
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA)
in Berlin ebenfalls die Frage nach der Staatsangehörigkeit Erich Rosenfelds, um den Anspruch
auf Ruhegeld für ihn bearbeiten zu können. Die
Antwort der Stadt fiel auch hier — wie oben
angegeben — negativ aus.
Rechtsanwalt Wienrich schrieb im Januar 1958
an den Regierungspräsidenten in Hannover, dass
ihm im Fall Rosenfeld wegen verloren gegangener Akten immer noch keine Nachricht über
die Entschädigung zugegangen sei und sein
Mandant sich in schlechter Verfassung befinde.
Gleichzeitig verlangte er die Auszahlung eines
fünfstelligen Betrages für seinen Mandanten.
Im März 1958 forderte der Rechtsanwalt und
Notar Eckstein aus Berlin zur weiteren Bearbeitung der Entschädigungsforderung (Schaden
an Leben, Schaden an Körper und Gesundheit,
Schaden an Freiheit durch Freiheitsentzug oder
-beschränkung innerhalb der Verfolgungszeit,
Schaden an Eigentum und Vermögen sowie
Schaden in beruflichem und wirtschaftlichem
Fortkommen) seines Mandanten Erich Rosenfeld
von der Stadt Stadthagen eine Meldebescheinigung sowie Angaben zum Glaubensbekenntnis
an. Die Stadt schrieb zurück, dass bei einer
Anmeldung vom Januar 1923 „mosaisch“ angegeben worden sei.
19
Im April 1958 wurde Erich Rosenfeld unter Vorbehalt eine vierstellige Summe für Schaden im
beruflichen Fortkommen ausgezahlt. Rechtsanwalt Eckstein forderte in diesem Zusammenhang
beim Regierungspräsidenten in Hannover die
Kontoauszüge aus der Sozialversicherung seines
Mandanten an.
Im März 1960 bat der Landkreis Schaumburg
die Stadt Stadthagen um Mitteilung der Staatsangehörigkeit und des Religionsbekenntnisses
zur Wiedereinbürgerung Erich Rosenfelds. Die
Stadt erwiderte – wie auch bei den Anfragen
des Rechtanwalts – dass die Staatsangehörigkeit
Erich Rosenfelds nicht bekannt sei. Ein Stadtamtmann aber habe ihn persönlich gekannt und
wisse, dass dieser die deutsche Staatsangehörigkeit besessen habe.
Zur Bearbeitung des Entschädigungsanspruchs
wegen Schäden an Körper und Gesundheit forderte der Regierungspräsident in Hannover
ein vertrauensärztliches Gutachten bei seinen
behandelnden Ärzten in Israel und aus dem
Krankenhaus in Haifa in deutscher Übersetzung
an. Im Gutachten vom Oktober 1962 wurden
seine Erkrankungen nur zum Teil auf die Verfolgung zurückgeführt. Der verfolgungsbedingte
Schaden habe zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 25 Prozent geführt. 1958
und 1959 erhielt Erich Rosenfeld nach langem
Kampf und mehrfachem behördlichen Versagen
schließlich einen vierstelligen Vorschuss einer
Kapitalentschädigung für Schaden im beruflichen Fortkommen sowie 1961 zusätzlich noch
eine fünfstellige Restzahlung zur Abgeltung aller
Schäden.
Am 25. Juli 1983 verstarb Erich, der sich in
Israel Mosche Rosenfeld nannte, im israelischen
Hedara. Er war zuletzt wohnhaft in Pardess
Hanna, Israel. Rechtsanwalt Monk beantragte im
März 1984 für die Ehefrau Hanna Rosenfeld eine
Hinterbliebenenrente, die aber abgelehnt wurde,
da der Tod ihres Mannes nicht auf die Verfolgung
zurückzuführen sei.
20
Ernst Rosenfeld
Ernst Rosenfeld wurde am 23. Mai 1904 als Sohn
Moses und Berta Rosenfelds, geb. Hahn, geboren
(weitere Einzelheiten siehe oben). Er war von
1927 bis 1935 als Angestellter bei seinem Bruder
Wilhelm im Viehhandelsgeschäft in Stadthagen
in der Wallstraße 3 auf Gehalt und Provision
angestellt. Dort bewohnte er eine ihm gehörende
Zweizimmerwohnung. Zur Ausübung seiner
beruflichen Tätigkeit besaß er ein Motorrad. Ab
1933 verschlechterte sich fortwährend die wirtschaftliche Lage des Geschäfts seines Bruders.
Ernst wollte ursprünglich als Mitinhaber in die
Firma eintreten; was aber durch ihre erzwungene Auflösung unmöglich wurde. Im März 1935
musste er seine Stellung schließlich aufgeben.
Ernst Rosenfeld
Ernst Rosenfeld entschloss sich daher zur Auswanderung nach Israel. Sein Mobiliar sowie sein
Barvermögen, welches er auf 6.000 Reichsmark
schätzte, musste er zurücklassen. Für die Genehmigung zur Auswanderung musste er 3.000
Reichsmark aufbringen. Von April 1935 bis 1942
war Ernst Rosenfeld, der sich in Israel Halevi
nannte, in der Landwirtschaft tätig. Am 15. Juni
1941 heiratete er in Tel Aviv Gila Ilse Alperowitz,
die am 12. Oktober 1912 als Tochter Chaim und
Gertrud Wolffheims geboren worden war. Seit
1942 war Ernst Rosenfeld Fuhrhalter mit einem
Pferd und einem kleinen Landbesitz in einem
Kibbuz. Am 13. März 1946 wurde dem Ehepaar
die Tochter Judith geboren, die heute noch in
Israel lebt.
Für die Zeit ab 1933 stellte Ernst Rosenfeld einen
Entschädigungsantrag. Seit 1949 bestand bei ihm
eine Erwerbsunfähigkeit von 35 Prozent; und
aus einer Bescheinigung geht hervor, dass er seit
dem 1. Januar 1956 zu 50 Prozent berufsunfähig
war. Er erhielt ab diesem Zeitpunkt eine kleine
monatliche Rente. Für den Zeitraum vom 1.
Januar 1945 bis zum 31. Oktober 1953 erhielt er
eine Kapitalentschädigung und danach — für die
Zeit ab dem 1. November 1953 — eine bescheidene monatliche Rente. Am 7. April 1982 verstarb Ernst Rosenfeld.
Obernstraße 17
Hermann Philippsohn
Hermann Philippsohn wurde am 4. Oktober 1862
in Obernkirchen geboren. In Nürnberg heiratete
er am 28. Januar 1893 Flora Gift. Aus der Ehe
gingen zwei Söhne hervor: Bernhard und Julius,
die beide als Ärzte promovierten. Bernhard Philippsohn verstarb bereits 1931. Julius Philippsohn hingegen praktizierte nach Erhalt seiner
Approbation ab Januar 1923 in Ronnenberg bei
Hannover, wo er mit seiner Ehefrau Marie, einer
Nicht-Jüdin, und ihrem gemeinsamen Sohn Gerd
lebte.
Von 1914 bis 1919 wohnte das Ehepaar Hermann
und Flora Philippsohn in Eisenach. Danach zog
das Paar mit seinen Kindern nach Stadthagen
und bewohnte in der Obernstraße 17 eine großzügige Mietwohnung. Hermann Philippsohn
arbeitete in Stadthagen als Pferdehändler.
21
Er und seien Frau waren wie alle Juden im NSStaat gezwungen, ihrem Vornamen die Namen
Israel bzw. Sara hinzufügen und mussten die
Verhaftung ihres Sohnes Julius am 10. November
1938 miterleben.
Krebshäger Straße 38
Johanne Eßmann
Hermann Philippsohn
Hermann und Flora, beide bereits hoch betagt,
mussten 1939 in die Obernstraße 26 umziehen
da nach dem Gesetz über Mietverhältnisse mit
Juden vom April 1939 Juden und „Arier” nicht
mehr zusammen in einem Haus leben sollten.
Mietverhältnisse mit Juden konnten sofort
gekündigt werden. Philippsohns mussten deshalb
aus ihrer alten Wohnung im Haus Fritz Gregors
aus- und in das Haus Obernstraße 26, das dem
Juden Adolf Goldschmidt gehörte, einziehen.
Hier lebte das Ehepaar bis zum Tod Hermanns
am 27. August 1941. Er wurde auf dem jüdischen
Friedhof in Stadthagen beigesetzt.
22
Johanne Eßmann, geb. Meyer, wurde am 22.
Oktober 1883 in Hildesheim als Kind jüdischer
Eltern geboren. Sie arbeitete als Schneiderin und
Verkäuferin. Bis 1903 wohnte sie in Herford, Bad
Oeynhausen, Hannover und in Braunschweig.
Verheiratet war sie mit August Eßmann, geb.
am 14. Februar 1875 in Essen. Er gehörte der
evangelisch-lutherischen Religion an. Zunächst
arbeitete er als Dreher, dann als Bürogehilfe. Ab
1932/33 war er Bürovorsteher a. D. Er war vermutlich wie sein Vater und seine Brüder bei der
Firma Krupp beschäftigt.
Am 3. August 1910 wurde ihr Sohn Heinrich
geboren, der aber noch am selben Tag verstarb. Johanne Eßmann zog nach Stadthagen,
Krebshägerstraße 38, zu Verwandten ihres
Mannes. Am 31. März 1942 wurde sie in das
Warschauer Ghetto deportiert. Vermutlich ist
sie dort gestorben beziehungsweise ermordet
worden. Leider konnten genauere Informationen dazu nicht gefunden werden. So ist auch
nicht bekannt, weshalb sie als einzige Jüdin aus
Stadthagen nicht über die für Menschen aus dem
Kreis Schaumburg-Lippe übliche Zwischenstation Bielefeld, sondern wie die in der Grafschaft
Schaumburg ansässigen Juden über HannoverAhlem deportiert wurde.
Grundstück an der Probsthäger Straße realisiert
werden. Frau Johanna Schmitz behielt in ihrem
Haus Wohnrecht. Wegen einer Erkrankung war
sie ab 1939 im israelitischen Krankenhaus in der
Ellernstraße in Hannover untergebracht. Dort ist
sie am 21. Januar 1940 verstorben. Sie wurde
auf dem jüdischen Friedhof in Stadthagen neben
ihrem Manne beigesetzt.
Probsthäger Straße 1
Johanna Schmitz
Johanna (auch Johanne genannt – in der Sterbeurkunde steht Hannchen) Lilienfeld wurde am 15.
Dezember 1864 in Sülbeck (Nienstädt) geboren.
Ihre Eltern waren der Viehhändler Levi Lilienfeld
und Karoline, geb. Ruben, in Nienstädt. Am 7. Mai
1901 heiratete sie in Bückeburg den Viehhändler
Philipp Schmitz aus Stadthagen, geb. am 10.
Juli 1870 in Bornheim. Sie wohnten dann in der
Probsthäger Straße 1 in Stadthagen, wo hinter
dem heute noch bestehenden Wohngebäude
auch für die Viehhandlung benötigte Stallungen
vorhanden waren. Ein Sohn Georg, geboren am
6. September 1904, starb bereits mit 10 Jahren.
Der am 14. April 1906 geborene Sohn Karl war
beim Tod des Vaters am 25. Dezember 1917 11
Jahre alt. Er führte – wahrscheinlich nach entsprechender Ausbildung – die väterliche Viehhandlung fort. Über die wirtschaftliche Situation
in dieser Zeit ist wenig bekannt. Die Größe des
Hauses ermöglichte die Vermietung von Zimmern, so z. B. an Mitarbeiter des Kaufhauses Lion.
Johanna Schmitz war auf einem festen Platz auf
der Frauenempore der Synagoge in der jüdischen
Gemeinde stets präsent. Nach Geburt des Enkels
Werner am 9. November1931 verschlechterte
sich dann ab 1933 die Lage für die Viehhandlung
des Sohnes drastisch, da im NS-Staat für Juden
eine für das Gewerbe benötigte Reisegenehmigung eingezogen bzw. nicht verlängert wurde.
Deshalb betrieb ihr Sohn die Auswanderung der
jungen Familie nach Argentinien; sie konnte aber
erst Ende 1937 nach dem Verkauf von Haus und
Grabstein Johanna Schmitz
Es war dort die bis heute vorletzte Beisetzung vor
der langen Unterbrechung bis 2008, als eine weitere Grabstelle neu angelegt wurde.
Karl und Else Schmitz
Karl Schmitz wurde am 14. April 1906 in Stadthagen geboren. Seine Eltern waren der Viehhändler Philipp Schmitz und seine Frau Johanne,
geb. Lilienfeld. Sie wohnten in Stadthagen in der
Probsthäger Straße 1, wo sich hinter dem Wohngebäude auch Einrichtungen für die vom Vater
betriebene Viehhandlung befanden. Er besuchte
die Grundschule und danach die damalige
Höhere Schule für Jungen. 1922 ging er - wahrscheinlich zur Ausbildung - nach Schötmar/Lippe
(heute Bad Salzuflen) und 1925 nach Vehlen
(heute Obernkirchen). Ende der 20-er Jahre
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begann er wie einst sein 1917 verstorbener Vater
vor ihm vom elterlichen Anwesen aus eine eigene
Viehhandlung zu betreiben. 1929 heiratete er
Else Meyer aus Frille (geb. 07.08.1907). Ihr Sohn
Werner wurde am 9. November 1931 geboren.
Mit der Veränderung der politischen Situation im
Jahr 1933 wurde — wie der Selbsteinschätzung
gegenüber der örtlichen Synagogengemeinde zu
entnehmen ist — durch die Einziehung bzw. die
Nichtverlängerung seines Reisegewerbescheines
die Grundlage für seine wirtschaftliche Existenz
zerstört. Dennoch zog sich die geplante Auswanderung nach Argentinien noch bis Ende 1937 hin.
Erst zu diesem Zeitpunkt wurde das Anwesen an
der Probsthäger Straße verkauft.
In Argentinien erhielt die Familie einen Wohnplatz in der Kleinstadt Monigotes, Provinz Santa
Fé, ca. 600 km nordwestlich von Buenos Aires
im kargen Inneren des Landes. Dort blieb sie bis
1955, obwohl die ungewohnte Landarbeit und
das Klima für alle erhebliche gesundheitliche
Beeinträchtigungen mit sich brachten. 1940 und
1942 wurden noch zwei Töchter geboren: Juana
und Ester. Eine von ihnen, die schon seit 1946
in Buenos Aires lebte, führte später das elterliche Lebensmittelgeschäft (Delikatessen) weiter.
Sie hatten dies ab ca. 1957 in Villa Ballester im
Außenbereich der Landeshauptstadt, wohin sie
mit ihren Kindern gezogen waren, betrieben. Die
Mutter war aus gesundheitlichen Gründen zur
Mithilfe im Laden nicht in der Lage.
Ab 1949 bemühte sich Karl Schmitz sowohl um
eine Restitution seines Eigentums in der Probsthäger Straße bzw. einen finanziellen Ausgleich
für die Tatsache, dass der Verkauf nicht freiwillig geschah, als auch um eine Entschädigung für die beruflichen und gesundheitlichen
Benachteiligungen aufgrund der allgemeinen
Diskriminierung und der dadurch erzwungenen
Auswanderung. Die Restitution zog sich entfernungsbedingt, aber auch aufgrund fehlender
echter Kontakte zwischen dem neuen Eigentümer und Karl Schmitz quälend hin. Erst nach
Übernahme der Interessen durch einen Anwalt
in Hannover konnten die eigentlich nicht zu versöhnenden Interpretationsunterschiede über die
Schadenshöhe und -umstände zwischen dem
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Alt- und dem Neueigentümer aufgelöst werden,
und Karl Schmitz erhielt eine finanzielle Entschädigung. 1968 wurde ihm darüber hinaus
auf seinen Antrag hin wegen erlittener Nachteile
durch Zwangsausweisung und beruflicher Behinderung ein finanzieller Nachteilsausgleich vom
Regierungspräsidenten in Hannover gewährt.
Der erneute Versuch, in einem sehr langwierigen
Widerspruchsverfahren eine höhere Entschädigungssumme - möglichst in Form einer Rente
- zu erhalten, schlug fehl. Die Sache erledigte
sich schließlich durch die Rücknahme des Widerspruchs durch Karl Schmitz.
Parallel dazu beantragten die Eheleute Schmitz
beim damaligen Landkreis Schaumburg-Lippe
ihre Wiedereinbürgerung. 1975 wurde diese vom
Regierungspräsidenten in Hannover durch Aushändigung der entsprechenden Urkunden in der
Deutschen Botschaft in Argentinien vollzogen.
Karl Schmitz verstarb am 7. Oktober 1977 in
Buenos Aires. Seine Frau Else bezog danach eine
Witwenrente. Sie verstarb am 3. September1996
in Villa Ballester (Buenos Aires).
Werner Schmitz
Werner Schmitz wurde am 9. November 1931 in
Stadthagen geboren. Seine Eltern sind der Viehhändler Karl Schmitz und seine Frau Else, geb.
Meyer, die Ende 1937 nach Argentinien auswanderten. Sie wurden im kargen Inneren des Landes
angesiedelt. Die dort notwendige harte Arbeit in
der Landwirtschaft war bei dem ungewohnten
Klima von ihnen nur schwer zu bewältigen.
Werner Schmitz besuchte die lokale Volksschule; eine erwünschte höhere Ausbildung mit
folgendem Ingenieur-Studium war nicht realisierbar. Erst 1955 konnte er mit seinen Eltern
nach Villa Ballester am Westrand der Hauptstadt
Buenos Aires umsiedeln, wo diese ein Lebensmittelgeschäft führten. Er selbst arbeitete in einer
nahen Fabrik als Hilfsarbeiter.
Zwischen 1957 und 1966 bemühte er sich wegen
der erzwungenen Auswanderung der Familie um
eine Entschädigung aufgrund der Benachteiligung in seinen Lebensmöglichkeiten. Ihm wurde
ein finanzieller Ausgleich zugesprochen; eine mit
Widerspruch beantragte Erhöhung des erhaltenen Betrages aber abgelehnt, da die Auswanderung bereits im Alter von 6 Jahren erfolgt war.
Über das weitere Schicksal von Werner Schmitz
oder auch seiner Schwestern konnte im Rahmen
der bisherigen Nachforschungen nichts Genaueres in Erfahrung gebracht werden. .
Rudolf Stern
Rudolf Stern wurde am 7. Januar 1915 in Hohenlimburg – heute ein Stadtteil der Stadt Hagen
– geboren. Er arbeitete im Kaufhaus Lion als Verkäufer und wohnte in Stadthagen in der Probsthäger Straße 1 bei der Familie des Viehhändlers
Schmitz zur Miete. Am 5. April 1937 wanderte er
in die Niederlande aus, wo er in Wieringen, heute
Hollands Kroon, Provinz Nordholland, wohnte.
Über sein weiteres Schicksal konnte im Rahmen
der bisherigen Nachforschungen nichts in Erfahrung gebracht werden.
Gartenstraße 20
Hugo Hirsch
Hugo Hirsch wurde als Sohn Hulda und Isaak
Hirschs am 21. August 1908 in Bad Wildungen
geboren. Er arbeitete in Achim bei Bremen und
in Bad Oeynhausen. Am 1. Juni 1932 zog er nach
Stadthagen in die Gartenstraße 20. Hugo Hirsch
arbeitete als Verkäufer im ortsansässigen Kaufhaus Lion.
Hugo Hirsch
1935 beantragte und erhielt er einen Auslandsreisepass. 1939 wanderte er schließlich nach
Palästina aus. Nach der Staatsgründung Israels
arbeitete er nach Auskunft seines Neffen Freddy
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Hirsch als Regierungsbeamter. Dieser teilte darüber hinaus mit, dass Hugo Hirsch eine aus
Polen stammende Jüdin heiratete. Sie hatten
gemeinsam einen Sohn. Hugo Hirsch soll um das
Jahr 1970 herum gestorben sein.
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Die ehemalige Synagoge in Stadthagen befindet sich im Hinterhof des Hauses „Böger
kreativ“, Niedernstr. 19.
Sie ist über die „Gasse zur alten Synagoge“ zu erreichen.
Die Synagoge wurde am 5. Mai 1858 von dem Rabbiner Dr. Herrmann Joel eingeweiht.
In der Nacht vom 11. zum 12. November 1938 wurde sie von Nationalsozialisten
durch einen Brand im Inneren entweiht.
Förderverein ehemalige Synagoge Stadthagen e.V.
Der Verein wurde im Jahr 2008 gegründet. Vorausgegangen war eine intensive öffentliche Diskussion über die Notwendigkeit der Erinnerung an die Schaumburger Opfer
des Nationalsozialismus. Ein Ergebnis war, dass die ehemalige Synagoge zu einem Ort
des Gedenkens und des Lernens ausgebaut werden soll.
Der Förderverein hat inzwischen eine Konzeption entwickelt, Bau- und Finanzierungspläne beschlossen, erste Schritte der Sicherung des Baus eingeleitet und eine Reihe
von Veranstaltungen organisiert. Vor Kurzem konnte mit den Umbauarbeiten der ehemaligen Synagoge begonnen werden. Vorsitzender des Vereins ist Bernd Hellmann.
Der Verein besteht inzwischen aus über 140 Mitgliedern. Wer Interesse an einer Mitgliedschaft hat, wende sich bitte an Bernd Hellmann, Im Bruch 4, 31655 Stadthagen
oder an Jürgen Lingner: [email protected] (05721- 76541).
Weitere Informationen finden Sie unter: www.stadthagen-synagoge.de
Arbeitskreis „Zur Geschichte der Juden in Stadthagen“
Der Förderverein führt in Zusammenarbeit mit der VHS Schaumburg einen Arbeitskreis „Zur Geschichte der Juden in Stadthagen” durch. Mit der letzten Verlegung von
Stolpersteinen 2015 ist die Arbeit zur Erforschung der Geschichte der Juden in Stadthagen und ganz Schaumburg und zu den anderen Opfern des Nationalsozialismus
aber nicht beendet.
Wer Interesse an einer Mitarbeit hat, erhält Informationen bei Jürgen Lingner, Telefon
05721-76541.
Spenden erbeten
Die Kosten für den Umbau des alten Synagoge zu einem Gedenk- und Lernort sind
erheblich. Für der Umbau, die Einrichtung und die künstlerische Gestaltung der
Fenster durch Frieder Korff sind wir weiterhin auf Spenden angewiesen.
Bankverbindung:
Förderverein ehemalige Synagoge Stadthagen:
Sparkasse Schaumburg Kto. 470 054 222, BLZ 255 514 80 oder
Volksbank Stadthagen Kto. 872 773 200, BLZ 254 621 80.