Förderverein ehemalige Synagoge Stadthagen e.V. Stolpersteine in Stadthagen Biographien jüdischer Opfer Herausgegeben vom Arbeitskreis „Zur Geschichte der Juden in Stadthagen“ Zum Geleit für die Stolpersteinverlegung in Stadthagen am 30. Juni 2015 Redaktionelle Umsetzung Umschlagentwurf, Composing und Bearbeitung: Florian Grumblies Bildquelle Coverbild: Christian Meyer Satz: Florian Grumblies Texte: Arbeitskreis „Zur Geschichte der Juden in Stadthagen“ Druck: Förderverein ehemalige Synagoge Stadthagen Fotos: Christian Meyer, Staatsarchiv Bückeburg, Hauptstaatsarchiv Hannover, Privatbesitz Jürgen Lingner u.a. Impressum Copyright 2015, Föderverein ehemalige Synagoge Stadthagen Erste Auflage Förderverein ehemalige Synagoge Stadthagen e. V. Bernd Hellmann, Vorsitzender Im Bruch 4 31655 Stadthagen 05721 / 76365 Fax: 05721 / 77 398 Homepage: http://www.stadthagen-synagoge.de/ Arbeitskreis „Zur Geschichte der Juden in Stadthagen“ Jürgen Lingner Telefon: 05721 / 76541 Email: [email protected] Inhalt Vorwort Bahnhofstraße 43 Hans Max Lachmann........................................................................................................ 5 Emma Philipp..................................................................................................................... 6 Bahnhofstraße 15 Alfred und Sophie Katz..................................................................................................... 8 Westernstraße 12 Gertrud Rosenfeld............................................................................................................. 9 Lotte Schindel, geb. Rosenfeld......................................................................................11 Kurt Rosenfeld/Kenneth Rapley...................................................................................13 Nordstraße 3 Herbert Pommer..............................................................................................................14 Louise Pommer................................................................................................................16 Wallstraße 3 Erich Rosenfeld................................................................................................................18 Ernst Rosenfeld................................................................................................................20 Obernstraße 17 Hermann Philippsohn.....................................................................................................21 Krebshäger Straße 38 Johanne Eßmann.............................................................................................................22 Probsthäger Straße 1 Johanna Schmitz.............................................................................................................23 Karl und Else Schmitz.....................................................................................................23 Werner Schmitz...............................................................................................................24 Rudolf Stern......................................................................................................................25 Gartenstraße 20 Hugo Hirsch......................................................................................................................25 Vorwort Anfang des Jahres 2011 beschloss der Förderverein ehemalige Synagoge Stadthagen e.V., die Aktion „Stolpersteine“ des Kölner Künstlers Gunter Demnig auch in Stadthagen durchzuführen. Gunter Demnig erinnert an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihren letzten selbstgewählten Wohnorten Gedenktafeln aus Messing in den Fußweg einlässt. Inzwischen liegen Stolpersteine in über 1200 Orten Deutschlands und in 19 europäischen Ländern. Mit mehr als 50.000 verlegten Steinen stellt diese Aktion vermutlich das größte Flächendenkmal der Welt dar. Im Landkreis Schaumburg wurden in Bückeburg, Bad Nenndorf, Beckedorf, Rodenberg, Lauenau und Rinteln Stolpersteine verlegt. Obernkirchen kommt in diesem Jahr hinzu. Der Arbeitskreis „Zur Geschichte der Juden in Stadthagen“, gemeinsam vom Förderverein und der Volkshochschule Schaumburg getragen, übernahm die Aufgabe, die Aktion vorzubereiten. Es galt, die Opfer des Nationalsozialismus in Stadthagen, für die die ersten Stolpersteine verlegt werden sollten, festzulegen, in den Archiven in Stadthagen, Bückeburg und Hannover zu forschen, um ihre Biografien zu erarbeiten, die Finanzierung durch Spenden zu sichern, einen Flyer für die Öffentlichkeitsarbeit zu entwickeln und alle organisatorischen Arbeiten – und das sind viele – zu erledigen. Letztlich konnte Gunter Demnig am 6. Oktober 2011 die ersten fünf Steine in Stadthagen verlegen, unter großer Beteiligung von Stadthäger Bürgerinnen und Bürgern, Schülerinnen und Schülern. Am 5. Dezember 2012 wurden 18 Steine verlegt, am 27. November 2013 weitere 13 und am 30. Juni folgen 2015 die letzten 19 Stolpersteine. Das bedeutete für den Arbeitskreis, die Biografien von 55 Personen zu erarbeiten. Für Laien keine leichte Aufgabe! Zum Glück wurden die Arbeitskreismitglieder unterstützt von dem Historiker Florian Grumblies. Ohne ihn hätte das Ergebnis, das mit dieser kleinen Broschüre vorgestellt wird, so nicht erreicht werden können. Geplant ist, 4 dass in Kürze eine Broschüre mit allen Biografien erscheint. Dem Arbeitskreis und auch dem Vorstand des Fördervereins ist dabei klar, dass nicht nur der jüdischen Opfer, sondern aller Opfer gedacht werden soll, also auch der politischen Opfer, der Zwangsarbeiter, der Menschen mit Behinderungen. Ob das mit Stolpersteinen, Stolperschwellen oder in anderer Form geschieht ist noch nicht endgültig geklärt. Was die jüdischen Opfer betrifft, haben sich der Vorstand des Fördervereins und der Arbeitskreis darauf verständigt, alle Jüdinnen und Juden, die zwischen 1933 und 1945 ihren letzten freiwilligen deutschen Wohnsitz in Stadthagen hatten, als Opfer zu betrachten, also nicht nur die ermordeten Menschen. Das waren fast 60 Männer, Frauen und Jugendliche. Alle Stadthäger Jüdinnen und Juden mussten in jenen Jahren darunter leiden, dass ihnen die menschliche Würde und alle Rechte und einigen auch das Leben genommen wurden. Jürgen Lingner Stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins ehemalige Synagoge Stadthagen e.V. Arbeitskreis „Zur Geschichte der Juden in Stadthagen“ Mitglieder des Arbeitskreises: Wilfried Brinkmann, Florian Grumblies, Gerhard Klugmann, Frieder Korff, Jürgen Lingner, Kurt Maurer, Christian Meyer, Karin Plöger, Susanne Schlader er während der Woche ebenfalls eine Unterkunft. Am Wochenende fuhr er mit der Bahn so oft wie möglich zu seiner Gastfamilie nach Stadthagen, weil er sich dort heimisch fühlte. Im Anschluss an seine Lehrzeit arbeitete er noch bis zum April 1938 in der hannoverschen Firma, die ihn dann wegen der „Arisierung“ des Betriebs entlassen musste. Bahnhofstraße 43 Hans Max Lachmann Hans Max Lachmann wurde am 19. April 1918 als Sohn Salo Lachmanns und seiner Ehefrau Emma (genannt: Emmy), geb. Storch, in Stadthagen geboren. Die Familie wohnte hier im Haus der Großeltern in der Bahnhofstraße 35. Sein Vater Salo übernahm nach dem Tod des Schwiegervaters im Jahr 1925 trotz schwerer Kriegsbeschädigung die „Eisen und Metall Rohproduktion“ (Altmetallhandlung). Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse nach dem Ersten Weltkrieg erlitt dieser einen Nervenzusammenbruch und schied schließlich durch Suizid aus dem Leben. Hans Max Lachmann war gerade zehn Jahre alt. Nach der Grundschule besuchte er das „Realprogymnasium“ in Stadthagen bis zur zehnten Klasse. Da seine alleinstehende Mutter keine nennenswerten finanziellen Mittel besaß, bestritt sie den Lebensunterhalt für sich und den Jungen als Hausangestellte bei jüdischen Familien in verschiedenen deutschen Städten. Max musste in Stadthagen bleiben und wurde durch seine „Kinderfrau“ Lina Scheper, geb. Stahlhut, die bei seinen Eltern als Hausangestellte tätig gewesen war, versorgt und betreut. Daher wohnte er auch während dieser Zeit im Haus der Familie Stahlhut in der Windmühlenstraße 21. Von 1934 bis 1937 machte er in Hannover eine kaufmännische Lehre bei der Firma Gebr. Lenzberg & v.d. Walde in der Fössestraße; dort hatte Hans Lachmann im Kreis der Familie Stahlhut in der Windmühlenstraße Danach wurde er ziemlich schnell in eine „Umschichtungsstelle“ der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland in Berlin-Niederschönhausen vermittelt. Dort kam er bis zum Juli 1939 in einer Tischlerei unter. Er erhielt Unterkunft und Verpflegung, aber keinerlei Bezahlung. Es war für ihn in dieser Zeit bereits gefährlich, sich auf öffentlichen Straßen zu bewegen, da jüdische Menschen grundlos verhaftet und verschleppt wurden. So musste er mit ansehen, wie zwei seiner Kameraden aus der Umschichtungsstelle auf der Straße ergriffen und verschleppt wurden; er selber konnte sich gerade noch verstecken , sah sich aber aufgrund dieser bedrohlichen Lebensumstände gezwungen zu emigrieren. Am 6. Juli 1939 gelang es ihm, nach England zu fliehen, wo er zunächst auf einer Lehrfarm unterkam. Im Mai 1940 wurde er nach Kanada gebracht und dort interniert. Nach der Entlassung im August 1941 kehrte er nach England zurück. Dort arbeitete er anfangs im Londoner Gebiet als Küchenhelfer in einem Restaurant. In den Jahren 1942/43 war er in der Kriegsindustrie tätig. Im Mai 1944 übernahm er einen Posten in einer Damenschneiderei, da die Fortsetzung seines erlernten kaufmännischen Berufs in England nicht möglich war. 5 Hans Lachmann heiratete 1941 die Wienerin Gertrude, geb. Engel, (*16.08.1917), die als Jüdin ebenfalls nach England geflohen war. 1942 wurde ihr Sohn Peter geboren. Das Ehepaar Langham: 70. Hochzeitstag 2011 Jack Langham verstarb plötzlich im Juni 2014 nur drei Tage nach seiner Ehefrau, die nach langer schwerer Krankheit gestorben war. Karin Plöger, einem Mitglied des Arbeitskreises, gelang es, Jack Langhams Anschrift in Australien ausfindig zu machen; sie hatte über längere Zeit telefonischen und brieflichen Kontakt zu ihm. Emma Philipp Hans Lachmann/Jack Langham in London Hans Lachmann hatte inzwischen seinen Namen in Jack Langham ändern lassen. Die Familie wanderte im März 1951 nach Australien aus. Er fand dort zunächst Arbeit als Schneider in einer Damenschneiderei. Diesen Betrieb konnte er später von dem verstorbenen Inhaber übernehmen und leitete ihn einige Jahre gemeinsam mit einem Kompagnon. Danach machte er sich noch mit einem Damenoberbekleidungsgeschäft selbstständig, so dass er in Melbourne zwei Geschäfte besaß, die er lange Jahre mit seiner Frau führte. 1957 stellte er einen Antrag auf Entschädigung für Schäden im beruflichen Fortkommen. Nach langen Verhandlungen mit den deutschen Behörden erhielt er eine bescheidene Rente zugesprochen. Die Familie bewohnte zunächst einen Bungalow in Melbourne; später lebte das Ehepaar Langham in einem Altersapartment im nahegelegenen Burwood. 6 Emma (gen. Emmy) Philipp, geb. Storch, verwitwete Lachmann, wurde am 9. Mai 1894 in Stadthagen als Tochter Michel Hermann Storchs und seiner Ehefrau Helene, geb. Meier, geboren. Ausweislich ihrer Geburtsurkunden waren ihre Eltern jüdischen Glaubens. Ihre beiden Söhne Max und Alfred Storch fielen im Ersten Weltkrieg. Ein Grabstein auf dem Jüdischen Friedhof erinnert an sie. Ihre Tochter Margarethe wurde in einem KZ umgebracht. Der Vater Michel Hermann Storch war Inhaber einer „Eisen und Metall Rohproduktion“ (Altmetallhandel) in Stadthagen, Bahnhofstraße 35, dazu gehörte auch ein Haus mit Grundstücken. Die Firma verfügte über einige Lastkraftwagen und beschäftigte etliche Arbeiter. Emma Philipp besuchte nach der Volksschule bis zum 16. Lebensjahr die höhere Mädchenschule vor Ort. Danach ging sie ein Jahr lang zur Haushaltsschule in Ahlem bei Hannover. Bis zu ihrer Heirat lebte sie im Haushalt der Eltern. Am 11. September 1917 heiratete sie Salo Lachmann. Am 18. April 1918 wurde ihr Sohn Hans Max geboren. Die Familie wohnte dann in der Bahnhofstraße 34 in einer Etagenwohnung. Ihr Ehemann diente im Ersten Weltkrieg als Soldat und kam schwer verwundet zurück. Er betätigte sich in der Firma ihres Vaters, der 1925 verstarb. Salo Lachmann beendete sein Leben 1928 durch Suizid. Um den Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn zu sichern, war Emma Philipp ab 1930 an verschiedenen Orten (Köln, Bochum, Recklinghausen, Stettin und Hannover) in Privatfamilien als Wirtschafterin tätig. Da es auch in jüdischen Haushalten immer schwieriger wurde, eine Anstellung zu finden, entschloss sie sich, Deutschland zu verlassen. Sie lebte ca. zwei Jahre bis zu ihrer Emigration bei ihrer Schwester Margarete, verh. Hirschland, in Hannover in der Alten Celler Heerstraße. Dort hinterließ sie auch diverse Möbel und Haushaltsgegenstände aus ihrer Stadthäger Wohnung. Zwischenzeitlich hielt sie sich immer mal wieder kurzzeitig in Stadthagen auf, wo sie in der Bahnhofstraße 35 (heute 43) gemeldet war, weil dort noch ihre Mutter wohnte. Ihren Sohn hatte sie in Stadthagen in Obhut der Familie Stahlhut zurücklassen müssen. sind. Ihre Schwester Margarete, geb. 1890, verheiratete Hirschland, musste ab 1941 als Jüdin in Hannover in einem sogenannten Judenhaus leben, wurde im Dezember 1941 ins Ghetto Riga deportiert und ist wahrscheinlich später im KZ Buchenwald umgekommen. Aus Angst um ihr Leben emigrierte Emma Philipp im Juni 1939 zu ihrem Sohn nach England. Dort hatte sie als „feindliche Ausländerin“ größte Schwierigkeiten, Arbeit zu bekommen. Sie war daher auf die Unterstützung durch eine jüdische Organisation angewiesen. Am 3. August 1939 heiratete sie in zweiter Ehe Hermann Philipp. Das Ehepaar trennte sich jedoch 1943 wieder. Hermann Philipp folgte nach Berichten von Angehörigen seinen Eltern nach Brasilien, so dass die Verbindung zwischen den Eheleuten abriss. 1947 erhielt Emma Philipp die britische Staatsangehörigkeit. Sie erlernte noch das Schneiderhandwerk und arbeitete darin in den folgenden Jahren in verschieden Firmen. Infolge der sich verschlechternden wirtschaftlichen Verhältnisse in England fand sie bald sogar in London keine Arbeit mehr und entschloss sich daher 1950, nach Australien auszuwandern. Im Februar ließ sie sich in Melbourne nieder. Auch ihr Sohn Hans Max, der ebenfalls die britische Staatsangehörigkeit und außerdem den Namen Jack Langham angenommen hatte, folgte ihr mit seiner eigenen Familie (Ehefrau und Sohn) im März 1951 nach Melbourne. Die folgenden fünf Jahre arbeitete Frau Philipp dort im Schneiderhandwerk. Als sich ihr Gesundheitszustand ab 1955 immer mehr verschlechterte, und sie schließlich nicht mehr arbeiten konnte, beantragte sie in Deutschland aufgrund ihrer Verfolgung durch das Naziregime eine Rente, die ihr schließlich ab 1.April 1960 gewährt wurde. Frau Philipp verstarb am 21.Juli 1965 in Dandenong Rd., Caulfield, Victoria in Australien. Emma Philipp Aus ihrer weiteren Familiengeschichte erfahren wir, dass ihre zwei Brüder, Alfred und Max Storch, als Soldaten im Ersten Weltkrieg gefallen 7 Bahnhofstraße 15 Alfred und Sophie Katz Alfred Katz wurde am 10. Dezember 1905 als Sohn des jüdischen Viehhändlers Richard Katz und seiner Frau Fanny, geb. Grünbaum, in der Bäckerstraße 48 in Rinteln geboren. Alfred Katz besuchte von 1911 an die Volksschule Rinteln und ging ab 1916 auf das dortige Gymnasium. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1918 verließ er die Schule und wechselte auf eine Privatschule in Dedesdorf bei Geestemünde. Später erlernte er den Beruf eines Schlachters bei Levi Hess in Zierenberg und legte 1922 die Gesellenprüfung vor der Handwerkskammer Kassel ab. In diesem Beruf arbeitete er anschließend u.a. in Hamburg und Karlsruhe. Als Vertreter für fotografische Vergrößerungen bereiste er seit 1924/1925 fast ganz Deutschland. Zu dieser Zeit wohnte er in Stadthagen in der Bahnhofstraße 43. 1928 war er Generalvertreter für die Firma Hoegg aus Düsseldorf. Am 9. September 1932 heiratete Alfred Katz die Damenschneiderin Marie Sophie Rinke, die christlichen Glaubens war. Sie wurde am 8. Mai 1906 als eines von vier Kindern der Eheleute Karl und Sophie Rinke, geb. Mensching, in Stadthagen geboren. Die Familie Rinke wohnte zu diesem Zeitpunkt in der Loccumer Straße 25. Sophie Marie Rinke besuchte sechs Jahre lang die Volksschule in Stadthagen und danach eine Fortbildungsschule. Etwa ab 1920 absolvierte sie eine Lehre als Putzmacherin und Damenschneiderin bei Anna Watermann in Stadthagen. Im 8 Anschluss an ihre Lehrzeit war sie einige Jahre als Gehilfin tätig. Nach ihrer Meisterprüfung bei der Handwerkskammer Bielefeld machte sie sich als Damenschneiderin selbstständig (1928). Ihr Gewerbe wurde im Juni 1933 in die Handwerksrolle eingetragen. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten ging nach ihren Angaben aufgrund ihres jüdischen Ehemanns ihr Verdienst von jährlich 2.500 RM stark zurück. Ende 1937 wurde Alfred Katz die Reiselegitimationskarte entzogen, so dass er ab Anfang 1938 über kein Einkommen mehr verfügte. Weil er auch seine Miete nicht mehr bezahlen konnte, zogen die Eheleute Katz wahrscheinlich in das Haus von Sophie Maries Eltern in der Loccumer Straße 25. Am 7. November 1938 ließ sich Sophie Marie Katz vom Stadthäger Bürgermeisteramt bestätigen, dass sie als Inhaberin eines Auslandspasses „deutschblütiger Abstammung“ sei. Am 10. November 1938 wurde Alfred Katz im Hause seiner Schwiegereltern verhaftet; dabei wurden die Betten aufgeschnitten und die Reifen seines Autos beschädigt. Anschließend transportierte man ihn mit anderen Stadthäger Juden über Bielefeld in das Konzentrationslager Buchenwald. Etwa einen Monat später kehrte er von dort zurück. Kurz danach, am 21. Dezember 1938, wanderte das Ehepaar Katz in die USA aus. Am 1. Januar 1939 erreichten sie New York an Bord des Schiffes „Präsident Hardings“. In den USA konnte das Ehepaar Katz zunächst keine Arbeit finden. Vom Frühjahr 1939 an arbeitete Alfred Katz eigenen Angaben zufolge als Hilfsarbeiter. Ab Mitte 1939 konnte Sophie Katz, die sich in den USA nun mit Vornamen „Susan“ nannte, ein bescheidenes Einkommen als Putzfrau verdienen. Alfred Katz gelang es ab 1941, wieder in seinem erlernten Beruf als Metzgergeselle zu arbeiten. Seine Ehefrau war nun als Heimarbeiterin beschäftigt. Von 1944 bis 1948 betätigte sich Susan Katz schließlich als Arbeiterin in einer Handschuhfabrik. Im Herbst 1948 eröffnete Alfred Katz als Teilhaber einen kleinen Metzgerladen in New York, den er aber aus gesundheitlichen Gründen 1958 wieder aufgeben musste. Das Ehepaar übersiedelte daraufhin in ein Haus in Lake Worth im Bundesstaat Florida. Am 27. März 1963 kehrte das Ehepaar Katz zurück nach Deutschland. Sie wohnten wieder in Stadthagen, Loccumerstraße 25, bei Sophies Schwester. Neun Jahre später zog das Ehepaar Katz in die Stegmannstraße 19 und wohnte dort in der Wohnung Martha Vogels, einer weiteren Schwester Sophies. Am 1. Juli 1973 verstarb Alfred Katz mit 68 Jahren im Kreiskrankenhaus in Stadthagen. Am 8. Oktober, 3 Monate nach ihrem Mann, starb Sophie Katz 67-jährig ebenfalls dort. Nach Auskunft der Friedhofsverwaltung der St.Martini-Gemeinde in Stadthagen wurden beide auf dem christlichen Friedhof dieser Gemeinde beerdigt. Westernstraße 12 Gertrud Rosenfeld Gertrud Julia Rosenfeld, geb. Wolf, kam als jüngstes von vier Kindern des Ehepaares William und Bertha Nathan Wolf am 18. August 1899 in Stadthagen zur Welt. Von den Geschwistern kamen alle im 1. oder 2. Weltkrieg um: Der älteste Sohn Adolf starb als deutscher Soldat im Ersten.Weltkrieg. Gertrud, ihre Schwester Paula Lilienfeld und ihr Bruder John Wolf wurden von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet. Ihre Kindheit verbrachte Gertrud mit ihrer Familie im Haus Am Markt 6. Aufgrund des Erfolgs des vom Großvater gegründeten und von ihrem Vater William und dessen Bruder Max geführten Familienunternehmens ist anzunehmen, dass Gertrud in einigem Wohlstand aufwuchs. Die Magnus Wolf OHG handelte vornehmlich mit Leder und verkaufte bzw. wartete außerdem Nähmaschinen, Milch-Zentrifugen, Schuhmacher- und Schlachterbedarf sowie weitere Produkte. Sowohl William und Max Wolf als auch Gertruds Bruder John engagierten sich in vielen Bereichen der Stadthäger Gesellschaft. Gertrud besuchte die örtliche Bürgertöchterschule. Am zweiten September 1921 heiratete Gertrud Wolf den 1887 geborenen Paul Hugo Rosenfeld. Dessen Familien lebte an der Wallstraße 3 in Stadthagen und achtete strenger auf den Glauben als die Familie Wolf, obwohl auch Gertruds Vater William der Stadthäger Synagoge von 1911 bis 1929 vorstand. Die Trauung wurde 9 von einem Rabbi im Haus Am Markt 6 vollzogen, gefolgt von einem Empfang. Paul Hugo Rosenfeld hatte bis mindestens 1915 in Aachen gelebt. Er war in der Textilindustrie tätig und besaß 1922 mit seinem Partner Paul Rath das Großhandelsunternehmen Rosenfeld und Rath, welches sich auf Anzugstoffe spezialisiert hatte. In Aachen stammte mehr als die Hälfte aller dort gehandelten Textilien aus jüdischer Herstellung. Rosenfeld und Rath war eines von mehr als 50 jüdischen Stoffhandelsunternehmen, von denen Textilien in ganz Deutschland vertrieben wurden. Gertrud und Hugo Rosenfeld lebten in Aachen in einer Wohnung in der Lothringer Straße 74 inmitten des Frankenberger Viertels, nur einige Blöcke vom Büro der Firma entfernt. Das Ehepaar hatte zwei Kinder, die beide in Aachen zur Welt kamen: Lotte Rosenfeld wurde 1922 geboren, Kurt Adolf Rosenfeld 1929. Am 26. Mai 1930 erlag Hugo einem Herzinfarkt. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Aachen beigesetzt. Noch im selben Jahr zog seine Frau Gertrud mit ihren Kindern zurück nach Stadthagen, wo sie auf die Unterstützung durch ihre Familie zählen konnte. Hier wohnte Gertrud im ersten Stock des Hauses in der Westernstraße 12 zur Miete. Auf dem großen über dem Garten liegenden Balkon der Wohnung widmete sie sich ihren vielen Pflanzen. Nach dem Ende des ersten Schulhalbjahres 1938 zog Gertrud mit ihren Kindern von Stadthagen nach Berlin, da diesen der Besuch der Stadthäger Schulen verwehrt worden war. Gertrud Rosenfeld erhoffte sich von den ausländischen Konsulaten in der Hauptstadt Hilfe bei der Organisation einer sicheren Ausreise aus Deutschland. In Berlin lebte Gertrud mit Lotte und Kurt in einer Wohnung in der Courbièrestraße 1 im Bezirk Schöneberg. Das Mietshaus gehörte Clara Brauer, der Mutter des Ehemannes von Gertruds Stadthäger Cousine Hilde Brauer, geb. Wolf. Gertrud konnte ihre Kinder vor den Nationalsozialisten retten: Lotte Rosenfeld gelangte 10 zusammen mit der Familie Brauer im Juni 1939 nach England. Im August 1939, nur eine Woche vor der Invasion der Wehrmacht in Polen und vor dem Beginn des 2. Weltkriegs, kam Kurt Rosenfeld mit einem der letzten Kindertransporte nach England. So überlebten beide Kinder Gertrud Rosenfelds getrennt voneinander den Krieg. Lotte, Gertrud und Kurt Rosenfeld Im Verlauf des Jahres 1939 zog Gertruds Nichte Hanna Lilienfeld, die Tochter Paula Lilienfelds, zu Gertrud nach Berlin. Hanna war 1922 geboren worden; und es war ihr ebenfalls verwehrt worden, ihre schulische Laufbahn fortzusetzen. 1941 teilte Gertrud ihre Wohnung mit ihren Neffen, den Zwillingen Ernst und Ludwig Lazarus, die 1926 von der Schwester ihres Mannes in Wunstorf zur Welt gebracht worden waren. Zeitweise vermietete Gertrud Teile der Wohnung auch an Bekannte. Ebenso wie Gertrud wurden auch Hanna Lilienfeld sowie Ernst und Ludwig Lazarus deportiert und ermordet. Das gleiche Schicksal traf alle Untermieter Gertruds sowie alle weiteren jüdischen Bewohner des Hauses in der Courbièrestraße 1. Gertrud wurde einige Tage vor ihrer Deportation in die Synagoge in der Levetzowstraße in Berlin Moabit gebracht. Das Gebäude wurde von den Nationalsozialisten als Deportations-Sammelstelle genutzt. Hier wurden Gertrud und alle anderen Deportationshäftlinge unter brutalen und unhygienischen Bedingungen zusammengepfercht und streng bewacht. Die Gestapo zwang die Menschen, alle Besitztümer aus ihren Wohnungen aufzulisten und die Ansprüche darauf an das Reich abzutreten. Im November des Jahres 1942 fand eine Massenerschießung in Piaski statt. Falls Gertrud diese sowie die harten Bedingungen des Ghettos bis in den November des Jahres 1943 überlebt haben sollte, fiel sie möglicherweise der Aktion „Erntefest“ zum Opfer: Innerhalb von zwei Tagen wurden über 43.000 Menschen im Distrikt Lublin durch Massenerschießungen ermordet. Von den 973 deutschen Juden, die im “Ost-Transport 11” deportiert wurden, überlebten nur drei den Krieg. Es ist nicht bekannt, an welchem Ort, zu welchem Zeitpunkt und auf welche Weise Gertrud Wolf Rosenfeld starb. Text: Andrew Schindel (Enkel Gertrud Rosenfelds), Übersetzung: Mattias Brinkmann Gertrud Rosenfeld Nach einem sieben Kilometer langen Marsch von der Synagoge zum Bahnhof Berlin-Grunewald wurden die Häftlinge abtransportiert. Am 28. März 1942 wurde Gertrud Rosenfeld vom Gleis 17 aus im Zuge des „Ost-Transportes 11“ als eine von mindestens 973 Menschen in das PiaskiLuterskie-Ghetto im damaligen Distrikt Lublin in Polen deportiert. Ein Großteil der Deportierten des „Ost-Transportes 11“ wurden in Viehwagen gedrängt, andere in Passagierwaggons. Am 30. März 1942 erreichte der Zug das Arbeitslager Trawniki. Hier mussten Häftlinge die Kleider und persönlichen Besitztümer der Opfer aus den drei nahegelegenen Vernichtungslagern Majdanek, Sobibor und Belzec verwerten. Die Deportierten des „OstTransportes 11“ blieben jedoch nicht in Trawniki, sondern mussten vom Bahnhof aus den zwölf Kilometer langen Weg in das Ghetto Piaski mit ihrem Gepäck zu Fuß zu bewältigen. Das Ghetto Piaski war stark überfüllt, es gab nur bedingt Zugang zu Wasser. Hauptsächlich diente es als Durchgangsghetto, wo Juden für Tage oder Wochen festgehalten wurden, bis man sie entweder zum Arbeiten nach Trawniki oder in eines der Vernichtungslager transportierte. Lotte Schindel, geb. Rosenfeld Lotte Schindel, geb. Rosenfeld, wurde am 8. August 1922 in Aachen geboren. Ihre Eltern waren die Stadthäger Hugo und Gertrud Rosenfeld. Lotte besuchte zunächst eine Schule in Aachen, zog dann aber nach dem Tod des Vaters im Mai 1930 mit ihrer Mutter Gertrud und ihrem einjährigen Bruder Kurt nach Stadthagen, wo sie für die nächsten acht Jahre lebte. Sie selbst hatte in Aachen lange Zeit an Scharlach gelitten und war – besonders nach dem Tod ihres Vaters – erfüllt von dem Wunsch, anderen Menschen zu helfen und sie zu beschützen. Wie schon ihr Vater liebte es auch Lotte, sich zu bilden und zu lernen. Ihr Wunsch war es, Ärztin zu werden – ein Wunsch, der ihr, wie sie selber voller Abneigung sagte, „von Herrn Hitler verwehrt wurde.“ Lotte besuchte zwischen Oktober 1930 und Ostern 1938 die Bürgertöchterschule und das Staatliche Reformrealprogymnasium in Stadthagen. Mit zunehmendem Einfluss der Nationalsozialisten in der Gesellschaft sahen sich Lotte und ihr Bruder immer häufiger verbalen und physischen Drohungen innerhalb wie außerhalb der Schule ausgesetzt. Nachdem es den Kindern verboten wurde, öffentliche Schulen zu besuchen, beschloss ihre Mutter, nach Berlin umzuziehen. Dort erlebte Lotte die Reichspogromnacht. 11 In der Zeit vom Oktober 1938 bis zum Januar 1939 arbeitete sie als Praktikantin bei einem Ernährungswissenschaftler im Israelitischen Krankenheim in der Elsässerstraße 85. Das 16-jährige „Fräulein Rosenfeld“ beeindruckte ihren Vorgesetzten, der über sie schrieb, sie sei „sehr geschickt, fleißig, reinlich, sorgfältig, sparsam und in der Lage, eigenständig zu arbeiten.“ Lottes Eigenständigkeit war in der Tat eines ihrer Markenzeichen. Am 14. Juni 1939 verließ sie das Deutsche Reich. Von Bremerhaven reiste sie mit ihrer Cousine Hilde Brauer (geboren 1908 in Stadthagen), Hildes Ehemann Alfred und deren Tochter Ellen nach England. Während die Familie Brauer in die Vereinigten Staaten weiterreiste, wo Alfred eine Stelle am „Institute for Advanced Study“ in Princeton, New Jersey, erhielt, blieb Lotte in Southampton. Lotte Rosenfeld, 1939 Direkt nach ihrer Ankunft in England begann Lotte, in verschiedenen Krankenhäusern in London und Südengland zu arbeiten. Zwei Jahre später, im August des Jahres 1941, startete sie eine Ausbildung zur Krankenschwester am St. James Hospital in London. Das in einer ärmeren Gegend gelegene Krankenhaus behandelte Patienten mit allen denkbaren Leiden. Deshalb konnte Lotte sich hier ein sehr breites medizinisches Wissen aneignen, wofür sie sehr dankbar war. Ihr Leben lang verfolgte sie bei jedem 12 Krachen des Gewitterdonners die Erinnerung an die Explosion deutscher Bomben auf London. In jeder Flagge sah sie das Banner der Nationalsozialisten mit dem Hakenkreuz. Im Frühjahr 1945 erhielt Lotte ihr Ausbildungszeugnis. Sie hatte „mit Auszeichnung“ bestanden; ihr Ergebnis war in ganz England auf Platz 19 von fast 900 frisch ausgebildeten Krankenschwestern. Die folgenden zwei Jahre arbeitete Lotte als Stationsschwester, zunächst im St. James Krankenhaus, später auch in anderen Krankenhäusern in London. Mit der Emigration in die Vereinigten Staaten im Jahr 1947 erfüllte sich für Lotte Rosenfeld eine lange Sehnsucht, da sie hoffte, hier mit ihrem Bruder Kurt und ihrer Mutter Gertrud ein neues Leben beginnen zu können. Ihren Bruder zog es 1956 letztendlich auch in die Vereinigten Staaten; aber ihre Mutter Gertrud war von den Nationalsozialisten ermordet worden. In Amerika lebte Lotte zunächst in New York, wo sie auch als Stationsschwester arbeitete. Im Herbst des Jahres 1947 traf sie Louis Schindel, einen Veteranen des United States Coast Guard. 1948 heirateten die beiden und lebten bis zu Louis Tod 2004 in dessen Geburtsort in New Jersey. Ihre Familie - die Schindels - mit drei Kindern und fünf Enkelkindern erfüllte Lotte mit enorm viel Stolz und Freude. Nachdem sie sich über ein Jahrzehnt nahezu ausschließlich ihren Kindern gewidmet hatte, kehrte Lotte in den 1960er Jahren ins Berufsleben als Krankenschwester zurück. Sie wurde wegen ihres Könnens und ihrer Führungsqualitäten schnell zur Oberschwester in der chirurgischen Abteilung eines Krankenhauses befördert. Aufgrund der hohen Qualität von „Frau Schindels Abteilung“ vertrauten die Ärzte des Krankenhauses ihre kranken Freunde und Verwandten dieser Station an. Ihre Beliebtheit zeigte sich auch, als im Jahr 1987 über 150 Menschen zu ihrer Abschiedsfeier kamen. Ihren Ruhestand genoss Lotte Schindel glücklich und in Frieden, umgeben von Kunst, Natur, Stickereien und frischen Blumen sowie auf Reisen - und vor allem mit ihrer Familie. Die eifrige Beobachterin von Ereignissen in aller Welt klagte aber mit ihrer empathischen Natur immer wieder politische und ethnische Gewalt an, wo immer sie vorkam. Nach ihrer Hochzeit behielt Lotte zunächst ein “R.” im Namen bei und nannte sich „Lotte R. Schindel“. Um ihre schmerzhafte Vergangenheit stärker hinter sich zu lassen , legte sie diesen Teil ihres Namens später ab, der nicht nur für ihren Geburtsnamen, sondern auch für die Erinnerung an die Tragödie der Familie im Holocaust stand . Lotte Schindel und ihr Bruder Kenneth Rapley verloren durch die Judenverfolgung in Nazideutschland ihre geliebte Mutter, ihren Onkel, ihre Tanten, Cousins und Cousinen sowie ihre Großeltern – insgesamt mindestens 19 Verwandte zwischen 10 und 86 Jahren. Sie verloren darüber hinaus ihren Besitz, ihre Träume, ihre Heimat und große Teile ihrer Familiengeschichte. bessere Chancen zur Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland hoffte. Die Familie lebte in der Courbièrestraße 1 in Schöneberg. Da Kurt der Besuch öffentlicher Schulen auch hier verwehrt blieb, besuchte er in dieser Zeit die Joseph-Lehmann-Schule der reformierten Jüdischen Gemeinde Berlins. Mit zehn Jahren gelang es, Kurt Rosenfeld in einem der letzten“ Kindertransporte“ aus Deutschland zu retten. Diese existierten seit der Reichspogromnacht; so wurde über 10 000 überwiegend jüdischen Kindern das Leben gerettet. Am 23. August 1939 erreichte Kurt England, nur eine Woche später begann der Zweite Weltkrieg. Für Jahrzehnte befand sich für Lotte zwischen ihrem Leben in den USA und der Vergangenheit mit den Sorgen des Holocausts eine psychologische Barriere. Erst in den letzten Jahren ihres Lebens begann eine allmähliche Aussöhnung mit der tragischen Geschichte der Familie im Holocaust in Stadthagen, in Deutschland und darüber hinaus. Lotte Schindel verstarb 2011 im Alter von 89 Jahren. Text: Andrew Schindel (Sohn Lotte Schindels), Übersetzung: Mattias Brinkmann Kurt Rosenfeld/Kenneth Rapley Kurt Rosenfeld wurde am 12. Mai 1929 in Aachen geboren. Seine Eltern, Gertrud und Hugo Rosenfeld, stammten beide aus Stadthagen. Kurts zweiter Vorname sollte an seinen Onkel Adolf Wolf erinnern, der im 1. Weltkrieg in Somme-Py (Frankreich) fiel. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1930 zog Gertrud Rosenfeld mit dem einjährigen Kurt und seiner Schwester Lotte nach Stadthagen in die Westernstraße 12. Kurt besuchte dort die Bürgerknabenschule, bis ihm als Jude der weitere Schulbesuch verboten wurde. 1938 zog Gertrud mit ihren Kindern nach Berlin, da man hier auf Kurt Rosenfeld Während des Krieges lebte Kurt in einer Gastfamilie in Guildford, für die er viel Zuneigung und Dank empfand. Zum Ende des Krieges, im Jahr 1945, zog Kurt nach London und arbeitete zuerst in der Elektronikindustrie, danach als Tanzlehrer und schließlich als Geschäftsführer eines Cafés. 1948 änderte Kurt Rosenfeld seinen Namen und nannte sich nun Kenneth Rapley. Er lebte weiterhin in London, bis er 1956 in die Vereinigten Staaten emigrierte. 1957 heiratete Kenneth. Er lebte in Washington DC und arbeitete in der Gastronomiebranche. bald leitete er den United States Senate Dining Room, wo er auch das Mittagsmahl für John F. Kennedy’s Amtseinführung als Präsident ausrichtete. Kenneth war begeisterter Kartenspieler. Seinen Ruhestand genoss er mit seiner Frau auf Reisen um die Welt, vor allem 13 auf Kreuzfahrten. Bei einem kurzen Aufenthalt in Berlin besuchte er auch die Courbièrestraße; das alte Haus stand allerdings nicht mehr. Obwohl er seiner Vergangenheit in Deutschland durchaus neugierig gegenüber stand, waren seine Gefühle Stadthagen gegenüber sehr gemischt. Auf der einen Seite erinnerte er sich gerne an Diskussionen mit Lotte auf den Stufen des Hauses in der Westernstraße 12, an die Besuche bei Rudolph Weinberg, dem Ehemann seiner Cousine Ruth Lilienfeld Weinberg, der im Kaufhaus Lion arbeitete, sowie an Gespräche mit den Betreibern von Fahrgeschäften auf den Jahrmärkten vor dem Haus zum Wolf Am Markt 6. Auf der anderen Seite hingegen überwogen sorgenvolle Gedanken an diese Zeit. Seine Abneigung gegenüber Schnee und Winter wurde beispielsweise dadurch ausgelöst, dass er als Jude von seinen Mitschülern mit Schneebällen beworfen und auch beschimpft worden war. Dies waren nicht die einzigen Demütigungen. Es schmerzte Kenneth auch Jahrzehnte später noch sehr, dass sich das Versprechen seiner Mutter vor dem Kindertransport, die Familie werde später wieder glücklich zusammenleben, nie erfüllte. Der größte ihn belastende Schmerz war natürlich der Verlust seiner Mutter. Schwester Lotte erkannte in ihrem Bruder Kenneth viele Ähnlichkeiten mit seiner Mutter. Er sei wie sie aufgeschlossen, liebevoll und beliebt gewesen – ein wahrer ‚Bon Vivant‘. Nach 54 glücklichen Ehejahren verstarb Kenneth Rapleys Frau. Er selbst verstarb 2012 im Alter von 82 Jahren. Text: Andrew Schindel (Neffe Kenneth Rapleys), Übersetzung: Mattias Brinkmann Nordstraße 3 Herbert Pommer Herbert Pommer wurde am 18. August 1907 in Rostock geboren. Seine Eltern waren Gustav und Birthe Pommer. Der Vater war jüdischen Glaubens. Die Mutter - als Birthe Skolander in Alsen, Dänemark, geboren - gehörte der evangelischlutherischen Religion an und trat vor der Geburt des ersten Kindes zum jüdischen Glauben über. Der Vater betrieb in Rostock, Lange Straße 72, ein Möbel- und Warenhaus. Dort wohnte die Familie auch. Herbert Pommer besuchte die Schule in Rostock bis zur Obersekunda. Dann begann er eine Lehre als Kaufmann in Laage. Er arbeitete danach in Ückermünde und in Geldern. Am 1. Dezember 1930 meldete er sich in Stadthagen, Echternstraße 42, an und arbeitete als Verkäufer und später als Abteilungsleiter im Kaufhaus Lion. Er verliebte sich in Louise Nord, eine Christin, die als Verkäuferin ebenfalls bei Lion beschäftigt war. Im „Stürmer“, dem antisemitischen Hetzblatt der Nationalsozialisten, erschien im April 1934 ein Arikel über den „rasseschänderischen Umgang“ des Liebespaars miteinander. Auch in Stadthagen gab es höchstwahrscheinlich einen örtlichen „Stürmer-Kasten“, in dem die jeweils aktuelle Ausgabe der Zeitschrift ausgehängt wurde. Man kann also davon ausgehen, dass vielen Einwohnern der Stadt der antisemitische Inhalt des Artikels bekannt wurde. 14 Stadtarchiv Nürnberg AvPer.627_15_03 S. 5. Noch im April 1934 — mindestens vom 14. bis zum 16. April — wurde das Ehepaar im Gefängnis in Stadthagen in „Sicherheitsverwahrung“ genommen. Ihren Plan zu heiraten, gaben sie trotz allem nicht auf. Die Hochzeit fand am 20. April 1934 in Rostock statt, also noch kurz vor dem Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze im darauf folgenden Jahr. Danach waren Ehen von Juden mit „Ariern“ verboten. Da sie weiterhin in Stadthagen, Nordstraße 3, wohnten, beantragten sie bei der Schaumburg-Lippischen Landesregierung am 4. September 1935 einen Reisepass, um nach Chile ausreisen zu können. Sowohl die Kriminalpolizei Bückeburg als auch der Bürgermeister Stadthagens erhoben keine Einwände, so dass die Pässe am 17. September 1935 ausgestellt wurden. Zur Auswanderung kam es allerdings nicht. Am 6. Januar 1936 zogen beide nach Rostock, wo Herbert im Kaufhaus seines Vaters arbeitete. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde das Geschäft boykottiert; es gab eine Reihe von Übergriffen und Belästigungen. Am 14. August 1937 „nahm der Vater sich, da er keinen Ausweg aus dieser unheilvollen Situation sah, das Leben“, wie seine Frau Birthe Pommer nach dem Krieg berichtete. Sie wurde nun Leiterin des Geschäfts. Zwei Töchtern und drei Söhnen Gustav und Birthe Pommers gelang es in dieser Zeit, nach Chile und in die USA zu fliehen. Im August 1936 zog ein junges Ehepaar W. in das Haus ein, in dem das Ehepaar Pommer wohnte. Sie freundeten sich miteinander an. Frau W. war Katholikin und - wie es im Urteil gegen Herbert Pommer vom 19. Juni 1939 heißt- „rein deutschblütiger Abstammung“. Sie wurde, wie es weiter hieß, von ihrem Mann schlecht behandelt und mehrfach geschlagen. Sie beschloss 1938, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen und zog nach Harburg. Herbert Pommer traf sich im Oktober 1938 mehrmals mit ihr in einem Hotelzimmer in Hamburg. Zu einem geplanten Treffen am 9. November 1938 kam Frau W. nicht, da sie wohl Bedenken bekommen und ihre Mutter sie gewarnt hatte. Wer Herbert Pommer denunziert hatte, ist nicht bekannt. In der Pogromnacht des 9./10. Novembers 1938 konnte Herbert Pommer zunächst entkommen, weil er nicht in Rostock weilte. Er wurde aber dann am 15. November 1938 verhaftet und von der Polizei 15 in das Gefängnis Alt-Strelitz überstellt, von dort am 4. Januar 1939 entlassen und der Gestapo übergeben. Wegen des „Vergehens der Rassenschande“ wurde Herbert Pommer am 6. Januar 1939 in Hamburg verhaftet. Vom 7. bis 11. Januar 1939 saß er im KZ Fuhlsbüttel in „Schutzhaft“; anschließend war er bis zum 20. Oktober im Untersuchungsgefängnis Hamburg, Holstenglacis 3, in Haft. Am 19. Juni 1939 wurde er vom Landgericht Hamburg wegen „Rassenschande“ zu 6 Jahren Zuchthaus und 6 Jahren „Ehrverlust“ verurteilt. In der Urteilsabschrift vom 19. Juni 1939 heißt es: „Der Angeklagte hat im 4. Jahr nach Erlass der Nürnberger Gesetze sich an einer deutschen Frau vergangen. Die ihm bekannte Tatsache, dass Rassenschande sehr hart bestraft wird, vermochte nicht, ihn von seiner Tat abzuhalten. Er hat die seelische Niedergebrochenheit der Zeugin und ihre Verzweiflung in gemeinster Weise ausgenutzt. […] Der Angeklagte war auch skrupellos und kaltschnäuzig genug, seine Verabredung am 9. November 1938 einzuhalten, obwohl damals infolge des ruchlosen Pariser Mordes sich des ganzen deutschen Volkes eine ungeheure Empörung gegen die Juden bemächtigt hatte. [...] In seinem ganzen Verhalten dieser Zeugin gegenüber tritt das planmäßige Vorgehen des typisch jüdischen Verführers offen zu Tage. […] Das Gericht verkennt nicht, daß ein Jude eine Ehrauffassung und Ehrgefühl wie ein Deutscher nicht kennt. Trotzdem hat das Gericht gemäß § 32 StGB auf Ehrverlust erkannt, weil 1.) nach außen hin zum Ausdruck gebracht werden muß, daß dieses Verhalten des Juden vom Standpunkt eines Deutschen aus als ehrlos betrachtet wird und 2.) der Angeklagte die auf ihm als Juden lastende Pflicht des Gastes seinem Gastvolk gegenüber auf Innehaltung der Gesetze in schamloser Weise mißachtet hat.“ (StAH, 213-1, Ablieferung 8, 143 EL 3b Nr. F 255) 16 Herbert Pommer Ab dem 25. Oktober 1939 war er im Zuchthaus Bremen-Oslebshausen in Haft. Am 26. März 1943 wurde er in das KZ Auschwitz deportiert, zunächst nach Auschwitz III/ Monowitz. Er hatte dort die Häftlingsnummer 113 383. In diesem Lager arbeitete er vermutlich für die Buna-Werke. Nachdem ihm aus unbekannten Gründen im Häftlingskrankenhaus Buna/Monowitz der rechte Daumen amputiert worden war, „überstellte“ man ihn in das Vernichtungslager Auschwitz. Dort starb er am 2. Januar 1944 an den Folgen einer Herzmuskelschwäche bei Bronchopneumonie, (eine schwere Form der Lungenentzündung). In der Sterbeurkunde des Standesamts II Auschwitz heißt es, er sei „glaubenslos früher mosaisch“ gewesen. Louise Pommer Louise Pommer wurde am 8. Juni 1906 als Louise Nord in Stadthagen geboren. Die christliche Familie Nord wohnte in der Klosterstraße 3. Louise arbeitete als Verkäuferin im Kaufhaus Lion, wo sie Herbert Pommer kennen lernte. Trotz des Hetzartikels im „Stürmer“ heirateten sie 1934, nachdem sie für kurze Zeit – mindestens vom 14. bis 16. April – in „Sicherheitsverwahrung“ genommen worden waren. 1936 zogen sie nach Rostock. Dort erfuhr sie 1938 von der Verhaftung ihres Mannes wegen „Rassenschande“, später von seiner Verurteilung zu Zuchthaus, seiner Deportation in das KZ Auschwitz und seinem Tod. Sie selbst wurde dienstverpflichtet und musste in der Neptun-Werft in Rostock und später im Bergbau unter Tage schwere Arbeit verrichten. Von ihrem Mann ließ sie sich nicht scheiden. In einer eidesstattlichen Versicherung, die nach 1945 von Dr. jur. Werner Winterhoff im Zusammenhang mit dem Entschädigungsverfahren abgegeben wurde, heißt es: „Die ihm vorgeworfenen Beziehungen zu einer arischen Frau scheinen nicht schwerwiegender Natur gewesen zu sein, da seine eigene Ehefrau mir wiederholt erklärt hat, dass sie keine Veranlassung sähe, von ihrem Ehemann abzurücken. Sie hat bis zum bitteren Ende treu zu ihm gehalten. Diese Umstände erweckten bei mir den Eindruck, dass nationalsozialistische Kreise nur einen losen Vorwand gesucht haben, um Herbert Pommer zu liquidieren.“ lebe und Entschädigungsansprüche nur geltend gemacht werden könnten, wenn der Antragsteller in einem Land lebe, mit dem die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen unterhalte. Die Ersatzansprüche der übrigen Erben wurden im Gegensatz dazu positiv beschieden. Am 1. November 1992 kehrte sie nach Stadthagen zurück und wohnte zunächst in der Loccumer Straße 16 C. Am 1. Januar 1994 zog sie nach Nienstädt, Liekweger Straße 146. Dort starb sie am 4. März 1994. Louise Pommer, geb. Nord 1947 heiratete Louise Pommer den Zahnarzt Herbert Brüning, der 1990 verstarb. Bis 1992 wohnte sie in Weimar. Als frühere Ehefrau und Erbin Herbert Pommers erhielt sie eine Entschädigung. Ihr Antrag auf eine Wiedergutmachungszahlung wegen „Schadens am Leben“ wurde aber mit der Begründung abgelehnt, dass sie in der DDR (laut Urteilstext in der „sowjetisch besetzten Zone“) 17 Wallstraße 3 Erich Rosenfeld Erich Rosenfeld wurde am 23. Mai 1904 als Sohn Moses und Bertha Rosenfelds, geb. Hahn, und als Ernsts Zwillingsbruder sowie neun weiterer Geschwister in der Wallstraße 3 in Stadthagen geboren. Von 1910 bis 1915 besuchte er die Volksschule und in den Jahren von 1915 bis 1921 das Realprogymnasium in Stadthagen bis zur Reifeprüfung. Anschließend absolvierte er bis 1923 eine Ausbildung zum Bankkaufmann im Bankhaus Löwenbach in Nienburg/Weser. Es folgten 1921 bzw. 1922 Wohnortwechsel von Stadthagen nach Sandstedt (1921) sowie nach Schöttmar und jeweils wieder zurück nach Stadthagen. Außerdem war Erich in Aachen bei Rosenfeld und Co als Reisender beschäftigt. Im März 1934 meldete er sich in Stadthagen nach Lobitten, Kreis Königsberg, ab. Bis zum 01. April 1934 arbeitete Erich als kaufmännischer Angestellter in der Tuchgroßhandlung Paul Rath in Aachen. Im April 1935 kehrte er von Hannover aus erneut nach Stadthagen zurück. Dann verlegte er seinen Wohnort im April 1936 nach Kuhlenkamp bei Asendorf, Kreis Hoya; im Mai 1936 war er wieder in seiner Heimatstadt ansässig. Den Beruf als Reisender musste er 1934 wegen seiner jüdischen Abstammung aufgeben. 1934/1935 betätigte sich Erich Rosenfeld als landwirtschaftlicher Lehrling ohne Einkommen. Vor diesem Hintergrund entschloss er sich, nach Palästina auszuwandern. 18 Dafür beantragte er im August 1936 eine entsprechende Dringlichkeitsbescheinigung zur Ausreise, die zur Mitnahme von 50 Reichsmark in Scheidemünzen berechtigte. Er bemühte sich außerdem um die weiteren notwendigen Unterlagen für seine Auswanderung, um sich Ende August einem zusammengestellten Auswanderungstransport nach Palästina anschließen zu können. Das Finanzamt Stadthagen und die Zollfahndungsstelle Hannover ließen die Ermittlungen, die Anhaltspunkte für Vermögensverschiebungen ins Ausland verfolgten, einstellen. Daraufhin teilte die deutsche Grenzüberwachungsstelle Salzburg mit, dass der Viehhändler Erich Rosenfeld die deutsche Grenze am 11. oder 12. August 1936 zum Zwecke der Auswanderung nach Palästina überschreiten werde. Er meldete sich am 19. August 1936 bei der Staatspolizei Bielefeld (Außenstelle Bückeburg) in Stadthagen ab. Erich Rosenfeld In Palästina angekommen, erkrankte Erich Rosenfeld Ende Oktober 1936 an Dysenterie (Ruhr),die mit Fieber und blutigem Durchfall verbunden war. Er wurde im Regierungskrankenhaus in Haifa medikamentös behandelt. Nach seiner Auswanderung war Erich Rosenfeld als niedrig entlohnter Gelegenheitsarbeiter im Straßenbau und als Landarbeiter auf Orangenplantagen tätig. Dazu war er gezwungen, längere Strecken mit dem Fahrrad zurück zu legen und schwere Lasten zu tragen. Am 19. Mai 1946 heiratete er Hanna Sonnheim, die am 9. März 1908 in Münchweiler geboren worden war. Ihr gemeinsamer Sohn Seev, der heute in Israel lebt und zu dem der hiesige „Förderverein ehemalige Synagoge e.V.“ Kontakt hat, kam am 30. Dezember 1946 in Haifa zur Welt. 1958 arbeitete Erich Rosenfeld als Sackhändler in Pardess Hanna. Seit 1948 litt er laut einer Bescheinigung seines Hausarztes an Arthritis mit Schmerzen und Schwellungen an beiden Händen sowie den Kniegelenken. 1953 kamen Herzbeschwerden mit Kurzatmigkeit und erhöhtem Blutdruck dazu. Im März 1955 bat Erich Rosenfeld die Stadt Stadthagen – möglicherweise für die Stellung eines Entschädigungsantrags, den er dann 1953 stellte – um eine Bestätigung, dass er von Januar 1935 bis zu seiner Auswanderung nach Israel in Stadthagen gewohnt habe. 1955 teilte er der Entschädigungsbehörde mit, dass er sich in finanzieller Notlage befände und bat um bevorzugte Bearbeitung seines Antrags. Friedel Schirmer, damaliger SPD- Bundestagsabgeordneter des hiesigen Wahlkreises, stellte im Januar 1957 beim Regierungspräsidenten in Hannover eine Anfrage zur Wiedergutmachung für Erich Rosenfeld und bemängelte, dass auf den Antrag von 1953 keine Antwort erfolgt sei. Der Neffe Erich Rosenfelds – Rechtsanwalt Alfred Wienrich aus Karlsruhe –, der auch mit der Durchführung der Wiedergutmachung seines Zwillingsbruders Ernst und seiner Schwester Gertrud beauftragt war, schrieb sogar einen Brief an das Bundeskanzleramt in Bonn, das sich daraufhin in dieser Angelegenheit an den Niedersächsischen Innenminister wandte. Rechtsanwalt Berndt forderte für Erich Rosenfeld im April 1957 Akteneinsicht beim Regierungspräsidenten in Hannover. Von dort wurde ihm mitgeteilt, dass die Akte aktuell nicht auffindbar sei, da sie bei der Abgabe von einer zur anderen Dienststelle dort nicht angekommen sei. Im Juni 1957 schrieb der Minister des Inneren in Niedersachsen an den Rechtsanwalt Wienrich, die Akten seien momentan nicht verfügbar, da sie im Geschäftsgang seien. Maria Meyer-Sevenich, Abgeordnete der SPD im Niedersächsischen Landtag aus Hildesheim, bemängelte, dass die Behörde nicht gut daran getan habe, auf die vielen Anfragen nicht einmal zu antworten. Im Mai 1957 bat Anwalt Wienrich die Stadt Stadthagen, in der Angelegenheit „Wiedergutmachung an Erich Rosenfeld“ die deutsche Staatsangehörigkeit seines Mandanten für das Jahr 1936 zu bescheinigen. Die Stadt beantwortet das Schreiben damit, dass bis 1933 keine Einträge im Melderegister zu finden seien. Die Personalien seien zwar vermerkt, die Staatsangehörigkeit sei aber nicht angegeben. Im Januar 1958 stellte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) in Berlin ebenfalls die Frage nach der Staatsangehörigkeit Erich Rosenfelds, um den Anspruch auf Ruhegeld für ihn bearbeiten zu können. Die Antwort der Stadt fiel auch hier — wie oben angegeben — negativ aus. Rechtsanwalt Wienrich schrieb im Januar 1958 an den Regierungspräsidenten in Hannover, dass ihm im Fall Rosenfeld wegen verloren gegangener Akten immer noch keine Nachricht über die Entschädigung zugegangen sei und sein Mandant sich in schlechter Verfassung befinde. Gleichzeitig verlangte er die Auszahlung eines fünfstelligen Betrages für seinen Mandanten. Im März 1958 forderte der Rechtsanwalt und Notar Eckstein aus Berlin zur weiteren Bearbeitung der Entschädigungsforderung (Schaden an Leben, Schaden an Körper und Gesundheit, Schaden an Freiheit durch Freiheitsentzug oder -beschränkung innerhalb der Verfolgungszeit, Schaden an Eigentum und Vermögen sowie Schaden in beruflichem und wirtschaftlichem Fortkommen) seines Mandanten Erich Rosenfeld von der Stadt Stadthagen eine Meldebescheinigung sowie Angaben zum Glaubensbekenntnis an. Die Stadt schrieb zurück, dass bei einer Anmeldung vom Januar 1923 „mosaisch“ angegeben worden sei. 19 Im April 1958 wurde Erich Rosenfeld unter Vorbehalt eine vierstellige Summe für Schaden im beruflichen Fortkommen ausgezahlt. Rechtsanwalt Eckstein forderte in diesem Zusammenhang beim Regierungspräsidenten in Hannover die Kontoauszüge aus der Sozialversicherung seines Mandanten an. Im März 1960 bat der Landkreis Schaumburg die Stadt Stadthagen um Mitteilung der Staatsangehörigkeit und des Religionsbekenntnisses zur Wiedereinbürgerung Erich Rosenfelds. Die Stadt erwiderte – wie auch bei den Anfragen des Rechtanwalts – dass die Staatsangehörigkeit Erich Rosenfelds nicht bekannt sei. Ein Stadtamtmann aber habe ihn persönlich gekannt und wisse, dass dieser die deutsche Staatsangehörigkeit besessen habe. Zur Bearbeitung des Entschädigungsanspruchs wegen Schäden an Körper und Gesundheit forderte der Regierungspräsident in Hannover ein vertrauensärztliches Gutachten bei seinen behandelnden Ärzten in Israel und aus dem Krankenhaus in Haifa in deutscher Übersetzung an. Im Gutachten vom Oktober 1962 wurden seine Erkrankungen nur zum Teil auf die Verfolgung zurückgeführt. Der verfolgungsbedingte Schaden habe zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 25 Prozent geführt. 1958 und 1959 erhielt Erich Rosenfeld nach langem Kampf und mehrfachem behördlichen Versagen schließlich einen vierstelligen Vorschuss einer Kapitalentschädigung für Schaden im beruflichen Fortkommen sowie 1961 zusätzlich noch eine fünfstellige Restzahlung zur Abgeltung aller Schäden. Am 25. Juli 1983 verstarb Erich, der sich in Israel Mosche Rosenfeld nannte, im israelischen Hedara. Er war zuletzt wohnhaft in Pardess Hanna, Israel. Rechtsanwalt Monk beantragte im März 1984 für die Ehefrau Hanna Rosenfeld eine Hinterbliebenenrente, die aber abgelehnt wurde, da der Tod ihres Mannes nicht auf die Verfolgung zurückzuführen sei. 20 Ernst Rosenfeld Ernst Rosenfeld wurde am 23. Mai 1904 als Sohn Moses und Berta Rosenfelds, geb. Hahn, geboren (weitere Einzelheiten siehe oben). Er war von 1927 bis 1935 als Angestellter bei seinem Bruder Wilhelm im Viehhandelsgeschäft in Stadthagen in der Wallstraße 3 auf Gehalt und Provision angestellt. Dort bewohnte er eine ihm gehörende Zweizimmerwohnung. Zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit besaß er ein Motorrad. Ab 1933 verschlechterte sich fortwährend die wirtschaftliche Lage des Geschäfts seines Bruders. Ernst wollte ursprünglich als Mitinhaber in die Firma eintreten; was aber durch ihre erzwungene Auflösung unmöglich wurde. Im März 1935 musste er seine Stellung schließlich aufgeben. Ernst Rosenfeld Ernst Rosenfeld entschloss sich daher zur Auswanderung nach Israel. Sein Mobiliar sowie sein Barvermögen, welches er auf 6.000 Reichsmark schätzte, musste er zurücklassen. Für die Genehmigung zur Auswanderung musste er 3.000 Reichsmark aufbringen. Von April 1935 bis 1942 war Ernst Rosenfeld, der sich in Israel Halevi nannte, in der Landwirtschaft tätig. Am 15. Juni 1941 heiratete er in Tel Aviv Gila Ilse Alperowitz, die am 12. Oktober 1912 als Tochter Chaim und Gertrud Wolffheims geboren worden war. Seit 1942 war Ernst Rosenfeld Fuhrhalter mit einem Pferd und einem kleinen Landbesitz in einem Kibbuz. Am 13. März 1946 wurde dem Ehepaar die Tochter Judith geboren, die heute noch in Israel lebt. Für die Zeit ab 1933 stellte Ernst Rosenfeld einen Entschädigungsantrag. Seit 1949 bestand bei ihm eine Erwerbsunfähigkeit von 35 Prozent; und aus einer Bescheinigung geht hervor, dass er seit dem 1. Januar 1956 zu 50 Prozent berufsunfähig war. Er erhielt ab diesem Zeitpunkt eine kleine monatliche Rente. Für den Zeitraum vom 1. Januar 1945 bis zum 31. Oktober 1953 erhielt er eine Kapitalentschädigung und danach — für die Zeit ab dem 1. November 1953 — eine bescheidene monatliche Rente. Am 7. April 1982 verstarb Ernst Rosenfeld. Obernstraße 17 Hermann Philippsohn Hermann Philippsohn wurde am 4. Oktober 1862 in Obernkirchen geboren. In Nürnberg heiratete er am 28. Januar 1893 Flora Gift. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor: Bernhard und Julius, die beide als Ärzte promovierten. Bernhard Philippsohn verstarb bereits 1931. Julius Philippsohn hingegen praktizierte nach Erhalt seiner Approbation ab Januar 1923 in Ronnenberg bei Hannover, wo er mit seiner Ehefrau Marie, einer Nicht-Jüdin, und ihrem gemeinsamen Sohn Gerd lebte. Von 1914 bis 1919 wohnte das Ehepaar Hermann und Flora Philippsohn in Eisenach. Danach zog das Paar mit seinen Kindern nach Stadthagen und bewohnte in der Obernstraße 17 eine großzügige Mietwohnung. Hermann Philippsohn arbeitete in Stadthagen als Pferdehändler. 21 Er und seien Frau waren wie alle Juden im NSStaat gezwungen, ihrem Vornamen die Namen Israel bzw. Sara hinzufügen und mussten die Verhaftung ihres Sohnes Julius am 10. November 1938 miterleben. Krebshäger Straße 38 Johanne Eßmann Hermann Philippsohn Hermann und Flora, beide bereits hoch betagt, mussten 1939 in die Obernstraße 26 umziehen da nach dem Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden vom April 1939 Juden und „Arier” nicht mehr zusammen in einem Haus leben sollten. Mietverhältnisse mit Juden konnten sofort gekündigt werden. Philippsohns mussten deshalb aus ihrer alten Wohnung im Haus Fritz Gregors aus- und in das Haus Obernstraße 26, das dem Juden Adolf Goldschmidt gehörte, einziehen. Hier lebte das Ehepaar bis zum Tod Hermanns am 27. August 1941. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Stadthagen beigesetzt. 22 Johanne Eßmann, geb. Meyer, wurde am 22. Oktober 1883 in Hildesheim als Kind jüdischer Eltern geboren. Sie arbeitete als Schneiderin und Verkäuferin. Bis 1903 wohnte sie in Herford, Bad Oeynhausen, Hannover und in Braunschweig. Verheiratet war sie mit August Eßmann, geb. am 14. Februar 1875 in Essen. Er gehörte der evangelisch-lutherischen Religion an. Zunächst arbeitete er als Dreher, dann als Bürogehilfe. Ab 1932/33 war er Bürovorsteher a. D. Er war vermutlich wie sein Vater und seine Brüder bei der Firma Krupp beschäftigt. Am 3. August 1910 wurde ihr Sohn Heinrich geboren, der aber noch am selben Tag verstarb. Johanne Eßmann zog nach Stadthagen, Krebshägerstraße 38, zu Verwandten ihres Mannes. Am 31. März 1942 wurde sie in das Warschauer Ghetto deportiert. Vermutlich ist sie dort gestorben beziehungsweise ermordet worden. Leider konnten genauere Informationen dazu nicht gefunden werden. So ist auch nicht bekannt, weshalb sie als einzige Jüdin aus Stadthagen nicht über die für Menschen aus dem Kreis Schaumburg-Lippe übliche Zwischenstation Bielefeld, sondern wie die in der Grafschaft Schaumburg ansässigen Juden über HannoverAhlem deportiert wurde. Grundstück an der Probsthäger Straße realisiert werden. Frau Johanna Schmitz behielt in ihrem Haus Wohnrecht. Wegen einer Erkrankung war sie ab 1939 im israelitischen Krankenhaus in der Ellernstraße in Hannover untergebracht. Dort ist sie am 21. Januar 1940 verstorben. Sie wurde auf dem jüdischen Friedhof in Stadthagen neben ihrem Manne beigesetzt. Probsthäger Straße 1 Johanna Schmitz Johanna (auch Johanne genannt – in der Sterbeurkunde steht Hannchen) Lilienfeld wurde am 15. Dezember 1864 in Sülbeck (Nienstädt) geboren. Ihre Eltern waren der Viehhändler Levi Lilienfeld und Karoline, geb. Ruben, in Nienstädt. Am 7. Mai 1901 heiratete sie in Bückeburg den Viehhändler Philipp Schmitz aus Stadthagen, geb. am 10. Juli 1870 in Bornheim. Sie wohnten dann in der Probsthäger Straße 1 in Stadthagen, wo hinter dem heute noch bestehenden Wohngebäude auch für die Viehhandlung benötigte Stallungen vorhanden waren. Ein Sohn Georg, geboren am 6. September 1904, starb bereits mit 10 Jahren. Der am 14. April 1906 geborene Sohn Karl war beim Tod des Vaters am 25. Dezember 1917 11 Jahre alt. Er führte – wahrscheinlich nach entsprechender Ausbildung – die väterliche Viehhandlung fort. Über die wirtschaftliche Situation in dieser Zeit ist wenig bekannt. Die Größe des Hauses ermöglichte die Vermietung von Zimmern, so z. B. an Mitarbeiter des Kaufhauses Lion. Johanna Schmitz war auf einem festen Platz auf der Frauenempore der Synagoge in der jüdischen Gemeinde stets präsent. Nach Geburt des Enkels Werner am 9. November1931 verschlechterte sich dann ab 1933 die Lage für die Viehhandlung des Sohnes drastisch, da im NS-Staat für Juden eine für das Gewerbe benötigte Reisegenehmigung eingezogen bzw. nicht verlängert wurde. Deshalb betrieb ihr Sohn die Auswanderung der jungen Familie nach Argentinien; sie konnte aber erst Ende 1937 nach dem Verkauf von Haus und Grabstein Johanna Schmitz Es war dort die bis heute vorletzte Beisetzung vor der langen Unterbrechung bis 2008, als eine weitere Grabstelle neu angelegt wurde. Karl und Else Schmitz Karl Schmitz wurde am 14. April 1906 in Stadthagen geboren. Seine Eltern waren der Viehhändler Philipp Schmitz und seine Frau Johanne, geb. Lilienfeld. Sie wohnten in Stadthagen in der Probsthäger Straße 1, wo sich hinter dem Wohngebäude auch Einrichtungen für die vom Vater betriebene Viehhandlung befanden. Er besuchte die Grundschule und danach die damalige Höhere Schule für Jungen. 1922 ging er - wahrscheinlich zur Ausbildung - nach Schötmar/Lippe (heute Bad Salzuflen) und 1925 nach Vehlen (heute Obernkirchen). Ende der 20-er Jahre 23 begann er wie einst sein 1917 verstorbener Vater vor ihm vom elterlichen Anwesen aus eine eigene Viehhandlung zu betreiben. 1929 heiratete er Else Meyer aus Frille (geb. 07.08.1907). Ihr Sohn Werner wurde am 9. November 1931 geboren. Mit der Veränderung der politischen Situation im Jahr 1933 wurde — wie der Selbsteinschätzung gegenüber der örtlichen Synagogengemeinde zu entnehmen ist — durch die Einziehung bzw. die Nichtverlängerung seines Reisegewerbescheines die Grundlage für seine wirtschaftliche Existenz zerstört. Dennoch zog sich die geplante Auswanderung nach Argentinien noch bis Ende 1937 hin. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde das Anwesen an der Probsthäger Straße verkauft. In Argentinien erhielt die Familie einen Wohnplatz in der Kleinstadt Monigotes, Provinz Santa Fé, ca. 600 km nordwestlich von Buenos Aires im kargen Inneren des Landes. Dort blieb sie bis 1955, obwohl die ungewohnte Landarbeit und das Klima für alle erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen mit sich brachten. 1940 und 1942 wurden noch zwei Töchter geboren: Juana und Ester. Eine von ihnen, die schon seit 1946 in Buenos Aires lebte, führte später das elterliche Lebensmittelgeschäft (Delikatessen) weiter. Sie hatten dies ab ca. 1957 in Villa Ballester im Außenbereich der Landeshauptstadt, wohin sie mit ihren Kindern gezogen waren, betrieben. Die Mutter war aus gesundheitlichen Gründen zur Mithilfe im Laden nicht in der Lage. Ab 1949 bemühte sich Karl Schmitz sowohl um eine Restitution seines Eigentums in der Probsthäger Straße bzw. einen finanziellen Ausgleich für die Tatsache, dass der Verkauf nicht freiwillig geschah, als auch um eine Entschädigung für die beruflichen und gesundheitlichen Benachteiligungen aufgrund der allgemeinen Diskriminierung und der dadurch erzwungenen Auswanderung. Die Restitution zog sich entfernungsbedingt, aber auch aufgrund fehlender echter Kontakte zwischen dem neuen Eigentümer und Karl Schmitz quälend hin. Erst nach Übernahme der Interessen durch einen Anwalt in Hannover konnten die eigentlich nicht zu versöhnenden Interpretationsunterschiede über die Schadenshöhe und -umstände zwischen dem 24 Alt- und dem Neueigentümer aufgelöst werden, und Karl Schmitz erhielt eine finanzielle Entschädigung. 1968 wurde ihm darüber hinaus auf seinen Antrag hin wegen erlittener Nachteile durch Zwangsausweisung und beruflicher Behinderung ein finanzieller Nachteilsausgleich vom Regierungspräsidenten in Hannover gewährt. Der erneute Versuch, in einem sehr langwierigen Widerspruchsverfahren eine höhere Entschädigungssumme - möglichst in Form einer Rente - zu erhalten, schlug fehl. Die Sache erledigte sich schließlich durch die Rücknahme des Widerspruchs durch Karl Schmitz. Parallel dazu beantragten die Eheleute Schmitz beim damaligen Landkreis Schaumburg-Lippe ihre Wiedereinbürgerung. 1975 wurde diese vom Regierungspräsidenten in Hannover durch Aushändigung der entsprechenden Urkunden in der Deutschen Botschaft in Argentinien vollzogen. Karl Schmitz verstarb am 7. Oktober 1977 in Buenos Aires. Seine Frau Else bezog danach eine Witwenrente. Sie verstarb am 3. September1996 in Villa Ballester (Buenos Aires). Werner Schmitz Werner Schmitz wurde am 9. November 1931 in Stadthagen geboren. Seine Eltern sind der Viehhändler Karl Schmitz und seine Frau Else, geb. Meyer, die Ende 1937 nach Argentinien auswanderten. Sie wurden im kargen Inneren des Landes angesiedelt. Die dort notwendige harte Arbeit in der Landwirtschaft war bei dem ungewohnten Klima von ihnen nur schwer zu bewältigen. Werner Schmitz besuchte die lokale Volksschule; eine erwünschte höhere Ausbildung mit folgendem Ingenieur-Studium war nicht realisierbar. Erst 1955 konnte er mit seinen Eltern nach Villa Ballester am Westrand der Hauptstadt Buenos Aires umsiedeln, wo diese ein Lebensmittelgeschäft führten. Er selbst arbeitete in einer nahen Fabrik als Hilfsarbeiter. Zwischen 1957 und 1966 bemühte er sich wegen der erzwungenen Auswanderung der Familie um eine Entschädigung aufgrund der Benachteiligung in seinen Lebensmöglichkeiten. Ihm wurde ein finanzieller Ausgleich zugesprochen; eine mit Widerspruch beantragte Erhöhung des erhaltenen Betrages aber abgelehnt, da die Auswanderung bereits im Alter von 6 Jahren erfolgt war. Über das weitere Schicksal von Werner Schmitz oder auch seiner Schwestern konnte im Rahmen der bisherigen Nachforschungen nichts Genaueres in Erfahrung gebracht werden. . Rudolf Stern Rudolf Stern wurde am 7. Januar 1915 in Hohenlimburg – heute ein Stadtteil der Stadt Hagen – geboren. Er arbeitete im Kaufhaus Lion als Verkäufer und wohnte in Stadthagen in der Probsthäger Straße 1 bei der Familie des Viehhändlers Schmitz zur Miete. Am 5. April 1937 wanderte er in die Niederlande aus, wo er in Wieringen, heute Hollands Kroon, Provinz Nordholland, wohnte. Über sein weiteres Schicksal konnte im Rahmen der bisherigen Nachforschungen nichts in Erfahrung gebracht werden. Gartenstraße 20 Hugo Hirsch Hugo Hirsch wurde als Sohn Hulda und Isaak Hirschs am 21. August 1908 in Bad Wildungen geboren. Er arbeitete in Achim bei Bremen und in Bad Oeynhausen. Am 1. Juni 1932 zog er nach Stadthagen in die Gartenstraße 20. Hugo Hirsch arbeitete als Verkäufer im ortsansässigen Kaufhaus Lion. Hugo Hirsch 1935 beantragte und erhielt er einen Auslandsreisepass. 1939 wanderte er schließlich nach Palästina aus. Nach der Staatsgründung Israels arbeitete er nach Auskunft seines Neffen Freddy 25 Hirsch als Regierungsbeamter. Dieser teilte darüber hinaus mit, dass Hugo Hirsch eine aus Polen stammende Jüdin heiratete. Sie hatten gemeinsam einen Sohn. Hugo Hirsch soll um das Jahr 1970 herum gestorben sein. 26 Die ehemalige Synagoge in Stadthagen befindet sich im Hinterhof des Hauses „Böger kreativ“, Niedernstr. 19. Sie ist über die „Gasse zur alten Synagoge“ zu erreichen. Die Synagoge wurde am 5. Mai 1858 von dem Rabbiner Dr. Herrmann Joel eingeweiht. In der Nacht vom 11. zum 12. November 1938 wurde sie von Nationalsozialisten durch einen Brand im Inneren entweiht. Förderverein ehemalige Synagoge Stadthagen e.V. Der Verein wurde im Jahr 2008 gegründet. Vorausgegangen war eine intensive öffentliche Diskussion über die Notwendigkeit der Erinnerung an die Schaumburger Opfer des Nationalsozialismus. Ein Ergebnis war, dass die ehemalige Synagoge zu einem Ort des Gedenkens und des Lernens ausgebaut werden soll. Der Förderverein hat inzwischen eine Konzeption entwickelt, Bau- und Finanzierungspläne beschlossen, erste Schritte der Sicherung des Baus eingeleitet und eine Reihe von Veranstaltungen organisiert. Vor Kurzem konnte mit den Umbauarbeiten der ehemaligen Synagoge begonnen werden. Vorsitzender des Vereins ist Bernd Hellmann. Der Verein besteht inzwischen aus über 140 Mitgliedern. Wer Interesse an einer Mitgliedschaft hat, wende sich bitte an Bernd Hellmann, Im Bruch 4, 31655 Stadthagen oder an Jürgen Lingner: [email protected] (05721- 76541). Weitere Informationen finden Sie unter: www.stadthagen-synagoge.de Arbeitskreis „Zur Geschichte der Juden in Stadthagen“ Der Förderverein führt in Zusammenarbeit mit der VHS Schaumburg einen Arbeitskreis „Zur Geschichte der Juden in Stadthagen” durch. Mit der letzten Verlegung von Stolpersteinen 2015 ist die Arbeit zur Erforschung der Geschichte der Juden in Stadthagen und ganz Schaumburg und zu den anderen Opfern des Nationalsozialismus aber nicht beendet. Wer Interesse an einer Mitarbeit hat, erhält Informationen bei Jürgen Lingner, Telefon 05721-76541. Spenden erbeten Die Kosten für den Umbau des alten Synagoge zu einem Gedenk- und Lernort sind erheblich. Für der Umbau, die Einrichtung und die künstlerische Gestaltung der Fenster durch Frieder Korff sind wir weiterhin auf Spenden angewiesen. Bankverbindung: Förderverein ehemalige Synagoge Stadthagen: Sparkasse Schaumburg Kto. 470 054 222, BLZ 255 514 80 oder Volksbank Stadthagen Kto. 872 773 200, BLZ 254 621 80.
© Copyright 2024 ExpyDoc