Forschungsschwerpunkte – Tobias Oertel-Jäger Arbeitsgebiet: Ergodentheorie und Dynamische Systeme – niedrigdimensionale Dynamik Spezielle Forschungsthemen: Topologische Dynamik und Rotationstheorie auf zweidimensionalen Mannigfaltigkeiten, Dynamische Systeme mit quasiperiodischen Komponenten, seltsame nicht-chaotische Attraktoren, topologische Komplexität dynamischer Systeme Ergodentheorie und Dynamische Systeme. Das allgemeine Ziel des interdisziplinären Wissensgebietes „Dynamische Systeme“ ist die Beschreibung des Langzeitverhaltens von Systemen, die einer zeitlichen Entwicklung unterworfen sind. Es durchdringt damit zahlreiche Anwendungsgebiete wie die Klassische Mechanik in der Physik, Populationsdynamik oder die Theorie metabolischer Netzwerke in der Biologie, die Meteorologie, die für Wirtschaftsund Sozialwissenschaften bedeutende Spieltheorie und viele mehr. Der mathematische Zweig Dynamischer Systeme wird häufig als „Ergodentheorie“ bezeichnet. Diese beschäftigt sich insbesondere mit der rigorosen Analyse des asymptotischen Verhaltens mathematischer Modelle, deren Entwicklungsgesetze durch diskrete Abbildungen oder durch Differentialgleichungen gegeben sein können. Neben den genannten Verbindungen zu anderen Wissenschaften zeichnet sie sich durch vielfältige und enge Beziehungen zu weiteren Disziplinen innerhalb der Mathematik aus, in deren gesamter Breite Fragen der Asymptotik eine stetig wachsende Bedeutung erlangen. Dabei findet ein Transfer in zwei Richtungen statt. Zum einen ist das Hinzuziehen von Hilfsmitteln aus Gebieten wie der Geometrie und Topologie, der Wahrscheinlichkeitstheorie oder der Funktionalanalysis zur Beschreibung von den der Dynamik zugrunde liegenden Räumen unabdingbar. Andererseits hat sich der Einsatz ergodentheoretischer Methoden in Gebieten wie der Zahlentheorie, der Mathematischen Physik oder der Differentialgeometrie als überaus fruchtbar erwiesen und gerade in jüngerer Zeit bei einigen fundamentalen Fortschritten eine wesentliche Rolle gespielt. Eine grundlegende Erkenntnis des vergangenen Jahrhunderts, die durch das Aufkommen von Computerexperimenten ermöglicht wurde und der Etablierung der Ergodentheorie als eigenständige mathematische Disziplin wesentlich Vorschub geleistet hat, war die Beobachtung, dass hochgradig komplexes und chaotisches Verhalten bereits in äußerst einfachen mathematischen Modellen auftreten kann. Als Beispiel kann hier die Parameterfamilie f (x) = x(1 − x) von bereits aus dem Schulunterricht bekannten Parabelfunktionen dienen. Obwohl es sich um Systeme einer einzigen Variablen x handelt, können abhängig von der Wahl des Parameters die durch iterierte Anwendung erzeugten Orbits x, f(x), f2(x), ... ein völlig chaotisches und unvorhersehbares Verhalten an den Tag legen. Insbesondere führen dann bereits kleinste Abweichungen im Startwert, wie sie bei der numerischen Berechung durch Rundungsfehler unweigerlich auftreten, bereits in kürzester Zeit zu einer absoluten Divergenz der Orbits – eine Beobachtung, die auch populärwissenschaftlich unter dem Stichwort „Schmetterlingseffekt“ große Bekanntheit erlangt hat. Forschungsschwerpunkte – von Kaven-Preis 2015 Tobias Oertel-Jäger September 2015 DFG Seite 2 von 3 Weitergehend kann fast die gesamte Bandbreite des möglichen komplexen Langzeitverhaltens dynamischer Systeme bereits durch zwei- oder dreidimensionale Systeme abgebildet werden1. Auch wenn die meisten anwendungsrelevanten Systeme eine wesentlich höhere, oder (im Fall partieller Differentialgleichungen) sogar unendliche Dimension aufweisen, eignen sich niedrigdimensionale Systeme daher aufgrund ihrer einfachen Struktur in besonderer Weise, um grundlegende Mechanismen komplexer Dynamik zu identifizieren und zu beschreiben. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse lassen sich anschließend häufig auch auf höherdimensionale Systeme übertragen. Aus der Tatsache, dass sich mathematische Problemstellungen im niedrigdimensionalen Kontext oft sehr einfach formulieren lassen, aber schwierige und überraschende Lösungen besitzen, ergibt sich zudem eine besondere intrinsische Motivation, die an jene der Zahlentheorie erinnert. Dementsprechend zählt die niedrigdimensionale Dynamik zu den angestammten Kerngebieten der Ergodentheorie. Eines der Phänomene, die in diesem Zusammenhang großes Interesse hervorgerufen haben, ist das Auftreten sogenannter seltsamer Attraktoren. Diese lassen sich zwar durch einfache Computersimulationen leicht visualisieren, sind aber analytisch nur sehr schwer zu beschreiben. Spezielle Forschungsthemen. Unserer Arbeitsgruppe befasst sich überwiegend mit mathematischer Grundlagenforschung im Bereich der niedrigdimensionalen Dynamik, mit Überschneidungen zu den Gebieten der topologischen Komplexität, der zufälligen Dynamik und der Dimensionstheorie sowie mit punktuellen Anwendungen in Physik und Biologie. Zu unseren Forschungsgebieten gehört unter anderem die Beschreibung und Klassifizierung der Dynamik auf zweidimensionalen Mannigfaltigkeiten wie dem Torus oder dem Zylindermantel. Eine wichtige Frage in diesem Bereich ist die nach der Richtung und Geschwindigkeit, mit der Orbits um die Mannigfaltigkeit rotieren (Rotationstheorie). In Anwendungen treten solche Rotationsvektoren beispielsweise als Tupel von Schwingungsfrequenzen angeregter Oszillatoren oder Feuerfrequenzen von Schrittmacherneuronen auf. Eine verwandte Fragestellung ist die Beschreibung niedrigdimensionaler dynamischer Systeme ohne periodische Orbits, die unter anderem in der angesprochenen Klassifizierung zweidimensionaler Dynamik eine wichtige Rolle spielen. Darüber hinaus existieren aber auch breite Klassen dynamischer Systeme, in denen die Existenz periodischer Orbits aus strukturellen Gründen ausgeschlossen 1 Als Dimension eines dynamischen Systems wird die Anzahl seiner Variablen bezeichnet. Forschungsschwerpunkte – von Kaven-Preis 2015 Tobias Oertel-Jäger September 2015 DFG Seite 3 von 3 ist – beispielsweise in den mathematischen Modellen für Quasikristalle in der Festkörperphysik oder quasiperiodisch angeregte Oszillatoren in der klassischen Mechanik. Ein weiteres Kerngebiet unserer Arbeit ist die Untersuchung des Einflusses externer Faktoren auf dynamische Systeme. Diese haben zum Teil gravierenden Einfluss auf den Ablauf parameterabhängiger Verzweigungsprozesse. Unsere besondere Aufmerksamkeit gilt hier sogenannten nicht glatten Verzweigungen, die unter anderem durch das Auftreten seltsamer nicht chaotischer Attraktoren gekennzeichnet sind (s. Abb. 1(b)). Dabei sollen die bei der Beschreibung dieser Objekte und ihrer fraktalen Eigenschaften gewonnenen Erkenntnisse aktuell im Rahmen eines interdisziplinären europäischen Forschungsnetzwerkes (CRITICS – Critical Transitions in Complex Systems) in verschiedene Anwendungsgebiete getragen werden. Forschungsschwerpunkte – von Kaven-Preis 2015 Tobias Oertel-Jäger September 2015 DFG
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