[...] Problem der Unterbringung wo Leerstand herrscht Für die steigende Anzahl Asylsuchender in Österreich fehlt es an leistbarem Raum. Bei struktureller Wohnungslosigkeit erscheint die gleichzeitige Existenz von Leerstand, vor allem im städtischen Raum, erstaunlich. Die Lösung könnte in der lokalen Politik zu finden sein. D urch Aufwertung öffentlicher Räume erhofft sich die Politik ihre Stadt attraktiver zu machen, etwa für Touristen oder Konzerne. Leider werden diese Orte dadurch zunehmend privatisiert und Konsumzwängen ausgesetzt. Der sogenannte neoliberale Urbanismus als Überbergriff ist bestimmt von seinem obersten Ziel: Wachstum zu fördern. Die Bedürfnisse der Bewohner laufen dabei Gefahr, in den Hintergrund zu rücken. Von Privatisierung oder funktionaler Spezialisierung öffentlicher Orte profitiert nur ein Teil der Bevölkerung. Es wird eine Zugangsbeschränkung geschaffen, die vor allem einkommensschwache und ohnehin schon marginalisierte Gruppen trifft. Laut dem französischen Sozialwissenschaftler Henri Lefebvre ist ein öffentlicher Ort ein Platz der Begegnung, wo Unterschiede aufeinander treffen und überwunden werden können. Hat man den Zugang zu den Plätzen des Zusammentreffens und des Austausches nicht, wird man aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Wieso das so fatal ist? Weil es ohne öffentliche Plätze zu Isolation kommen würde.1 Sie symbolisieren eine Teilhabe am urbanen Leben. Was die Integration verschiedener Bevölkerungsgruppen und deren Einstieg in die Gesellschaft betrifft, ist dieser Aspekt aufgrund seiner politischen und sozialen Rolle entscheidend. Gerade jetzt, da in Verbindung mit der Flüchtlingsthematik ein Erstarken von Xenophoben zu erkennen ist, erscheint es wichtig, darüber zu diskutieren. Des Weiteren werden Wohnungen häufig nicht als Wohnraum für die Nutzer_innen betrachtet, sondern als ein Mittel der Profitsteigerung. Das betrifft vordergründig 1 Vgl. Schmid, Christian: Stadt, Raum und Gesellschaft. Henri Lefebvre und die Theorie der Produktion des Raumes. München. Franz Steiner 2005. S. 177. den städtischen Raum. Denn Städte waren immer schon die wichtigen strategischen Schauplätze der Neoliberalisierung. So kommt es, dass viele Räumlichkeiten einfach leer stehen, anstatt sie zu angemessenen Preisen zur Verfügung zu stellen. machen. Die moderne Bewegung sprengt längst das theoretische Konstrukt und Forderungsausmaß Lefebvres. Leerstand ist dabei nur Teil des großen Begriffs „Recht auf Stadt“, der eine Ansammlung vieler politischer Forderungen im urbanen Raum darstellt. Leerstand ist kein isoliertes Teilproblem. Vielmehr berühren seine Existenz und der Umgang mit ihm ganz grundsätzliche politökonomische Fragen, die alle angehen.3 Städte fungieren aber nicht nur als Orte, an denen sich Probleme manifestieren, sondern auch als solche, wo vermeintliche Lösungsansätze und damit Prototypen neuer Politikansätze entstehen und wo Widersprüche und Widerstand gegen ebensolche Politikmodelle ausbrechen – wie die Stadtforscherin Margit Mayer es formuliert.2 Die „Recht auf Stadt“-Bewegung wendet sich gegen die neoliberalen Bestrebungen und versucht öffentlichen Raum zugänglich für alle Menschen zu Die IG Kultur Wien hat in den vergangenen Jahren das Thema vermehrt aufgegriffen. In Wien gibt es keine aktuellen Zahlen zur Situation Leerstand, weder zu Wohnungen, Firmengebäuden, oder Gebäuden im öffentlichen Besitz. Die letzte vorliegende Studie zu Leerstandsdaten im Wohnbereich wurde vor 20 Jahren durchgeführt. 2. Vgl. Mayer, Margit: Urbane soziale Bewegungen in der neoliberalisierenden Stadt. In: Sub.urban. Zeitschrift für kritische Stadtforschung. Bd. 1/ Heft 1: 2013. S. 157. 3 Vgl. Hedja, Willi et.al. (Hrsg.): Wer geht leer aus? Plädoyer für eine andere Leerstandspolitik. Monochrom. Wien: 2014. S. 7. engagée | 37 [...] Versprechungen der lokalen Politik, dieses Thema erneut in Angriff zu nehmen, blieben bisher unerfüllt. Die IG Kultur hat deswegen einen Leerstandsmelder geschaffen, in den jeder und jede leer stehenden Raum markieren kann. Die Gruppierung hat außerdem eine Studie in Auftrag gegeben, durchgeführt von der TU Wien, in der versucht wurde, Gründe für den Leerstand zu finden. Auf Seiten der Eigentümer_innen gäbe es zu hohe Mieterwartungen und diskriminierende Vorurteile gegenüber bestimmten Gruppen. Auch seien eine nicht ausreichende Vermittlerfunktion und fehlende Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Bedarfsgruppen und Eigentümer_innen gegeben.4 Als Hauptproblem kann aber sicher die fehlende Information und Intransparenz bezüglich vorhandenen Leerraums gesehen werden. Ganz aktuell stellt sich dieses Problem im politischen Diskurs um die Unterbringung der Asylwerber_innen in Österreich, denn dafür mangelt es angeblich an Raum. Flüchtlinge werden in Erstaufnahmezentren weit außerhalb städtischer Ressourcen untergebracht. Doch auch dort ist mittlerweile nicht mehr genug Platz. Dieses scheinbar nicht zu lösende Problem geht soweit, dass die Menschen in Zeltlagern oder im Freien übernachten müssen, so wie es im Sommer 2015 im größten Erstaufnahmezentrum Österreichs in Traiskirchen der Fall war. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International überprüfte vor Ort die Zustände – eine Seltenheit in einem demokratischen und rechtstaatlich gefestigten Land – und stellte ein vernichtendes Urteil für das österreichische Flüchtlingswesen aus. In Österreich nimmt die Zahl der Personen, die Asyl beantragen, rasant zu. Laut der Asylstatistik des Bundesministeriums für Inneres vom August 2015 wurden 46.133 Anträge gestellt, im Vorjahr waren es 13.712.5 Im vergangenen Jahr 2014 waren es insgesamt 28.027 laut Antragsstatistik.6 Obwohl Traiskirchen bereits heillos überfüllt war, weigerten sich die Bundesländer die Quote an Flüchtlingen, die sie aufnehmen müssten, zu erfüllen. Das Innenministerium hatte zwar bereits Sanktionen 4 Vgl. Perspektive Leerstand. Zweiter Teil einer dreiteiligen Studie zum Themengebiet Leerstandsnutzung, Zwischennutzungen und Freiräume in Wien. Oktober 2012, S. 22. 5 BM.I: Asylstatistik Mai 2015, S. 3. 6 BM.I: Asylstatistik Dezember 2014, S. 3. angedroht, konnte oder wollte sich aber lange nicht durchsetzen. Erst im Oktober diesen Jahres wurde ein Durchgriffsrecht beschlossen, das es ermöglicht, ohne Zustimmung der Gemeinde und ohne behördliche Genehmigung Quartiere zu eröffnen. Bei dem ganz offensichtlich enorm hohen Bedarf an leistbarem Wohnraum erscheint die Existenz von Leerstand im so nahe gelegenen Wien erstaunlich. David Harvey hat an die Ideen von Lefevbre angeknüpft und einen wichtigen Gedankengang geprägt. Er sagt, dass die Frage in welcher Art von Stadt man leben wolle, nicht von der Frage getrennt werden kann, „welche Art von Menschen wir sein wollen, welche Art von sozialen Beziehungen wir anstreben.“7 Konflikt um öffentlichen Raum finde mitten im Kampf um soziale Gerechtigkeit statt. Migrationspolitik ist Ausdruck von Macht- und Herrschaftsverhältnissen und ist integraler Bestandteil der Konstruktion moderner nationalstaatlicher Gesellschaften, die maßgeblich auf der Existenz eines nationalen „Wir“ gegenüber dem außenstehenden „Anderen“ beruhen, wie Simone Buckel es ausdrückt, die sich mit dem Spannungsfeld zwischen irregulärer Migration und Politik auseinandergesetzt hat.8 Systematische Exklusion irregulärer Migrant_innen, wie Buckel sie bezeichnet, vom Zugang zu sozialer Infrastruktur werde auf nationalstaatlicher Ebene herbeigeführt. Während auf lokaler Ebene die Organisierung von Zugang zu entsprechenden Gütern, wo es um Unterbringung und Gesundheit geht, über parallele Struktu7 Vgl. Gebhardt, Dirk/Holm, Andrej (Hrsg.): Initiativen für ein Recht auf Stadt. In: Initiativen für ein Recht auf Stadt. Theorie und Praxis städtischer Aneignung. VSA Verlag. Hamburg: 2011, S.28. 8 Vgl. Buckel, Simone: Ein Recht auf Stadt für irreguläre MigrantInnen. Städtische Politik als Handlungsraum im Konfliktfeld irregulärer Migration. In: Holm, Andrej/Gebhardt, Dirk (Hrsg.): Initiativen für ein Recht auf die Stadt. Theorie und Praxis städtischer Aneignungen. VSA Verlag, Hamburg: 2011, S. 167. ren, wie etwa durch spezielle Einrichtungen oder durch zivilgesellschaftliche Organisationen mittels öffentlicher Hilfe, läuft.9 Ohne die parallelen Systeme, wäre die Grundversorgung nicht möglich. Jetzt hat die Situation ein Ausmaß erreicht, in der sie trotz dieser Systeme nicht mehr möglich ist. Lokale Politik befindet sich oftmals in einem Spannungsfeld zwischen den Anforderungen nationalstaatlicher Kontrollpolitik und menschenund sozialrechtlichen Zieleinstellungen. Wegdiskutieren lässt sich aber nicht, dass sie für die Bereitstellung und den Zugang zu sozialen Infrastruktursystemen, zu öffentlichen Gütern und existentiellen Rechten maßgeblich (mit)verantwortlich ist.10 Städtische Politik wirkt durchaus auch bei Prozessen mit, die Leerstand produzieren. Somit könnte sie insgesamt durch einen Kurswechsel zur sozialen Inklusion Schutzsuchender beitragen oder diese sogar vorantreiben. Denn neben den oben erwähnten Vorteilen der Stadt, wie Interaktion in öffentlichen Orten und die vielen Möglichkeiten der Unterbringung in leerstehendem Raum, ermöglicht ein urbanes Leben auch noch andere Chancen, wie zum Beispiel einen besseren Zugang zu Arbeit. Derzeit sind Asylwerber_innen weit von der Möglichkeit einer gesellschaftlichen Teilhabe an öffentlichen Orten und Strukturen entfernt. Die meisten Güter und Strukturen, zu denen sie Zugang haben, basieren auf die von Simone Buckel angesprochenen parallelen Systemen, fernab sozialer Infrastruktur. Die soziale Inklusion irregulärer Migrant_innen und ihre Ausgestaltung und Dimension hängt maßgeblich von der Mobilisierung und den Interventionen von Pro-Migrations-Akteuren ab.11 terschiedliche strategische Positionen innerhalb der Stadt ein.12 Bei aller Kollektivität in Form sozialer Bewegungen bleibt doch letztendlich die lokale Politik am Zug, trotz Spannungen zwischen lokaler und nationaler Politik innerhalb der städtischen Handlungsarena. Das Sichtbarmachen von Leerstand und die Möglichkeit einer Um- und Weiternutzung dessen für alle Menschen wäre ein guter Ansatzpunkt im urbanen Raum. Das würde eine Stadtpolitik bedeuten, die den Zugang zu städtischen Ressourcen für alle gewährleisten will. Gerade in einem föderalistischen System wie Österreich eines ist, hätten Städte gegenüber der nationalstaatlichen Politik entsprechenden Handlungsspielraum. Ihre Legitimität reicht zumindest so weit aus, um Strukturen zu schaffen, in der die Wahrnehmung dieses Rechts auf die Stadt stattfinden könnte. Der Leitspruch „Recht auf Stadt“ und dessen Forderung, dass diejenigen, die das städtische Leben aufbauen und aufrechterhalten, einen primären Anspruch darauf haben, die Stadt stärker nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten, könnte durchaus plausible Empfehlungen für einen politischen Diskurs geben. | Magdalena Meergraf „Recht auf Stadt“ birgt in sich verschiedene soziale Kämpfe, ein Zusammenschluss mit anderen Bewegungen wie zum Beispiel die Refugee-Bewegung in Wien wäre in diesem Fall eine Überlegung wert. Aber das sagt sich einfacher, als es im Endeffekt ist. Denn die Bewegungsszene in den heutigen Städten bietet ein heterogenes Bild. Und obwohl sie alle von Enteignungs- und Unterdrückungsformen betroffen sind, nehmen sie un9 Vgl. Buckel, 2011, S. 174f. 10 Vgl. Buckel, 2011, S. 174. 11 Vgl. Buckel, 2011, S. 181. 12 Vgl. Mayer, 2013, S. 162. engagée | 39
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