36 Problem der Unterbringung wo Leerstand herrscht

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Problem der Unterbringung
wo Leerstand herrscht
Für die steigende Anzahl Asylsuchender in Österreich fehlt es an
leistbarem Raum. Bei struktureller Wohnungslosigkeit erscheint
die gleichzeitige Existenz von Leerstand, vor allem im
städtischen Raum, erstaunlich. Die Lösung könnte in der
lokalen Politik zu finden sein.
D
urch Aufwertung öffentlicher Räume erhofft
sich die Politik ihre Stadt attraktiver zu machen, etwa für Touristen oder Konzerne. Leider
werden diese Orte dadurch zunehmend privatisiert und
Konsumzwängen ausgesetzt. Der sogenannte neoliberale
Urbanismus als Überbergriff ist bestimmt von seinem
obersten Ziel: Wachstum zu fördern. Die Bedürfnisse
der Bewohner laufen dabei Gefahr, in den Hintergrund
zu rücken. Von Privatisierung oder funktionaler Spezialisierung öffentlicher Orte profitiert nur ein Teil der Bevölkerung. Es wird eine Zugangsbeschränkung geschaffen,
die vor allem einkommensschwache und ohnehin schon
marginalisierte Gruppen trifft.
Laut dem französischen Sozialwissenschaftler Henri
Lefebvre ist ein öffentlicher Ort ein Platz der Begegnung,
wo Unterschiede aufeinander treffen und überwunden
werden können. Hat man den Zugang zu den Plätzen
des Zusammentreffens und des Austausches nicht, wird
man aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen.
Wieso das so fatal ist? Weil es ohne öffentliche Plätze
zu Isolation kommen würde.1 Sie symbolisieren eine
Teilhabe am urbanen Leben. Was die Integration verschiedener Bevölkerungsgruppen und deren Einstieg in
die Gesellschaft betrifft, ist dieser Aspekt aufgrund seiner politischen und sozialen Rolle entscheidend. Gerade
jetzt, da in Verbindung mit der Flüchtlingsthematik ein
Erstarken von Xenophoben zu erkennen ist, erscheint es
wichtig, darüber zu diskutieren.
Des Weiteren werden Wohnungen häufig nicht als
Wohnraum für die Nutzer_innen betrachtet, sondern als
ein Mittel der Profitsteigerung. Das betrifft vordergründig
1 Vgl. Schmid, Christian: Stadt, Raum und Gesellschaft. Henri Lefebvre und die
Theorie der Produktion des Raumes. München. Franz Steiner 2005. S. 177.
den städtischen Raum. Denn Städte waren immer schon
die wichtigen strategischen Schauplätze der Neoliberalisierung. So kommt es, dass viele Räumlichkeiten einfach
leer stehen, anstatt sie zu angemessenen Preisen zur
Verfügung zu stellen.
machen. Die moderne Bewegung sprengt längst das theoretische Konstrukt und Forderungsausmaß Lefebvres.
Leerstand ist dabei nur Teil des großen Begriffs „Recht
auf Stadt“, der eine Ansammlung vieler politischer Forderungen im urbanen Raum darstellt. Leerstand ist kein
isoliertes Teilproblem. Vielmehr berühren seine Existenz
und der Umgang mit ihm ganz grundsätzliche politökonomische Fragen, die alle angehen.3
Städte fungieren aber nicht nur als Orte, an denen
sich Probleme manifestieren, sondern auch als solche,
wo vermeintliche Lösungsansätze und damit Prototypen
neuer Politikansätze entstehen und wo Widersprüche
und Widerstand gegen ebensolche Politikmodelle ausbrechen – wie die Stadtforscherin Margit Mayer es formuliert.2 Die „Recht auf Stadt“-Bewegung wendet sich
gegen die neoliberalen Bestrebungen und versucht
öffentlichen Raum zugänglich für alle Menschen zu
Die IG Kultur Wien hat in den vergangenen Jahren
das Thema vermehrt aufgegriffen. In Wien gibt es keine
aktuellen Zahlen zur Situation Leerstand, weder zu Wohnungen, Firmengebäuden, oder Gebäuden im öffentlichen
Besitz. Die letzte vorliegende Studie zu Leerstandsdaten
im Wohnbereich wurde vor 20 Jahren durchgeführt.
2. Vgl. Mayer, Margit: Urbane soziale Bewegungen in der neoliberalisierenden Stadt.
In: Sub.urban. Zeitschrift für kritische Stadtforschung. Bd. 1/ Heft 1: 2013. S. 157.
3 Vgl. Hedja, Willi et.al. (Hrsg.): Wer geht leer aus? Plädoyer für eine andere
Leerstandspolitik. Monochrom. Wien: 2014. S. 7.
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Versprechungen der lokalen Politik, dieses Thema erneut in Angriff zu nehmen, blieben bisher unerfüllt.
Die IG Kultur hat deswegen einen Leerstandsmelder
geschaffen, in den jeder und jede leer stehenden Raum
markieren kann. Die Gruppierung hat außerdem eine
Studie in Auftrag gegeben, durchgeführt von der TU
Wien, in der versucht wurde, Gründe für den Leerstand
zu finden. Auf Seiten der Eigentümer_innen gäbe es zu
hohe Mieterwartungen und diskriminierende Vorurteile
gegenüber bestimmten Gruppen. Auch seien eine nicht
ausreichende Vermittlerfunktion und fehlende Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Bedarfsgruppen und
Eigentümer_innen gegeben.4 Als Hauptproblem kann
aber sicher die fehlende Information und Intransparenz
bezüglich vorhandenen Leerraums gesehen werden.
Ganz aktuell stellt sich dieses Problem im politischen
Diskurs um die Unterbringung der Asylwerber_innen in
Österreich, denn dafür mangelt es angeblich an Raum.
Flüchtlinge werden in Erstaufnahmezentren weit außerhalb städtischer Ressourcen untergebracht. Doch auch
dort ist mittlerweile nicht mehr genug Platz. Dieses
scheinbar nicht zu lösende Problem geht soweit, dass
die Menschen in Zeltlagern oder im Freien übernachten
müssen, so wie es im Sommer 2015 im größten Erstaufnahmezentrum Österreichs in Traiskirchen der Fall
war. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International überprüfte vor Ort die Zustände – eine Seltenheit
in einem demokratischen und rechtstaatlich gefestigten
Land – und stellte ein vernichtendes Urteil für das
österreichische Flüchtlingswesen aus.
In Österreich nimmt die Zahl der Personen, die Asyl
beantragen, rasant zu. Laut der Asylstatistik des Bundesministeriums für Inneres vom August 2015 wurden
46.133 Anträge gestellt, im Vorjahr waren es 13.712.5
Im vergangenen Jahr 2014 waren es insgesamt 28.027
laut Antragsstatistik.6 Obwohl Traiskirchen bereits heillos
überfüllt war, weigerten sich die Bundesländer die Quote
an Flüchtlingen, die sie aufnehmen müssten, zu erfüllen.
Das Innenministerium hatte zwar bereits Sanktionen
4 Vgl. Perspektive Leerstand. Zweiter Teil einer dreiteiligen Studie zum Themengebiet Leerstandsnutzung, Zwischennutzungen und Freiräume in Wien. Oktober
2012, S. 22.
5 BM.I: Asylstatistik Mai 2015, S. 3.
6 BM.I: Asylstatistik Dezember 2014, S. 3.
angedroht, konnte oder wollte sich aber lange nicht
durchsetzen. Erst im Oktober diesen Jahres wurde ein
Durchgriffsrecht beschlossen, das es ermöglicht, ohne
Zustimmung der Gemeinde und ohne behördliche
Genehmigung Quartiere zu eröffnen.
Bei dem ganz offensichtlich enorm hohen Bedarf an
leistbarem Wohnraum erscheint die Existenz von Leerstand im so nahe gelegenen Wien erstaunlich. David
Harvey hat an die Ideen von Lefevbre angeknüpft und
einen wichtigen Gedankengang geprägt. Er sagt, dass
die Frage in welcher Art von Stadt man leben wolle,
nicht von der Frage getrennt werden kann, „welche Art
von Menschen wir sein wollen, welche Art von sozialen
Beziehungen wir anstreben.“7 Konflikt um öffentlichen
Raum finde mitten im Kampf um soziale Gerechtigkeit
statt.
Migrationspolitik ist Ausdruck von
Macht- und Herrschaftsverhältnissen und ist integraler Bestandteil der Konstruktion moderner
nationalstaatlicher Gesellschaften,
die maßgeblich auf der Existenz
eines nationalen „Wir“ gegenüber
dem außenstehenden „Anderen“
beruhen,
wie Simone Buckel es ausdrückt, die sich mit dem
Spannungsfeld zwischen irregulärer Migration und Politik auseinandergesetzt hat.8 Systematische Exklusion
irregulärer Migrant_innen, wie Buckel sie bezeichnet,
vom Zugang zu sozialer Infrastruktur werde auf nationalstaatlicher Ebene herbeigeführt. Während auf lokaler
Ebene die Organisierung von Zugang zu entsprechenden
Gütern, wo es um Unterbringung und Gesundheit geht,
über parallele Struktu7 Vgl. Gebhardt, Dirk/Holm, Andrej (Hrsg.): Initiativen für ein Recht auf Stadt.
In: Initiativen für ein Recht auf Stadt. Theorie und Praxis städtischer Aneignung.
VSA Verlag. Hamburg: 2011, S.28.
8 Vgl. Buckel, Simone: Ein Recht auf Stadt für irreguläre MigrantInnen. Städtische Politik als Handlungsraum im Konfliktfeld irregulärer Migration. In: Holm,
Andrej/Gebhardt, Dirk (Hrsg.): Initiativen für ein Recht auf die Stadt. Theorie
und Praxis städtischer Aneignungen. VSA Verlag, Hamburg: 2011, S. 167.
ren, wie etwa durch spezielle Einrichtungen oder durch
zivilgesellschaftliche Organisationen mittels öffentlicher
Hilfe, läuft.9 Ohne die parallelen Systeme, wäre die
Grundversorgung nicht möglich. Jetzt hat die Situation
ein Ausmaß erreicht, in der sie trotz dieser Systeme nicht
mehr möglich ist. Lokale Politik befindet sich oftmals
in einem Spannungsfeld zwischen den Anforderungen nationalstaatlicher Kontrollpolitik und menschenund sozialrechtlichen Zieleinstellungen. Wegdiskutieren
lässt sich aber nicht, dass sie für die Bereitstellung und
den Zugang zu sozialen Infrastruktursystemen, zu
öffentlichen Gütern und existentiellen Rechten maßgeblich (mit)verantwortlich ist.10 Städtische Politik
wirkt durchaus auch bei Prozessen mit, die Leerstand
produzieren. Somit könnte sie insgesamt durch einen
Kurswechsel zur sozialen Inklusion Schutzsuchender
beitragen oder diese sogar vorantreiben. Denn neben
den oben erwähnten Vorteilen der Stadt, wie Interaktion in öffentlichen Orten und die vielen Möglichkeiten
der Unterbringung in leerstehendem Raum, ermöglicht
ein urbanes Leben auch noch andere Chancen, wie zum
Beispiel einen besseren Zugang zu Arbeit.
Derzeit sind Asylwerber_innen weit von der Möglichkeit einer gesellschaftlichen Teilhabe an öffentlichen
Orten und Strukturen entfernt. Die meisten Güter und
Strukturen, zu denen sie Zugang haben, basieren auf die
von Simone Buckel angesprochenen parallelen Systemen, fernab sozialer Infrastruktur. Die soziale Inklusion
irregulärer Migrant_innen und ihre Ausgestaltung und
Dimension hängt maßgeblich von der Mobilisierung
und den Interventionen von Pro-Migrations-Akteuren
ab.11
terschiedliche strategische Positionen innerhalb der
Stadt ein.12
Bei aller Kollektivität in Form sozialer Bewegungen
bleibt doch letztendlich die lokale Politik am Zug, trotz
Spannungen zwischen lokaler und nationaler Politik
innerhalb der städtischen Handlungsarena. Das Sichtbarmachen von Leerstand und die Möglichkeit einer
Um- und Weiternutzung dessen für alle Menschen wäre
ein guter Ansatzpunkt im urbanen Raum. Das würde
eine Stadtpolitik bedeuten, die den Zugang zu städtischen
Ressourcen für alle gewährleisten will. Gerade in einem
föderalistischen System wie Österreich eines ist, hätten
Städte gegenüber der nationalstaatlichen Politik entsprechenden Handlungsspielraum. Ihre Legitimität reicht
zumindest so weit aus, um Strukturen zu schaffen, in der
die Wahrnehmung dieses Rechts auf die Stadt stattfinden
könnte. Der Leitspruch „Recht auf Stadt“ und dessen
Forderung, dass diejenigen, die das städtische Leben
aufbauen und aufrechterhalten, einen primären Anspruch darauf haben, die Stadt stärker nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten, könnte durchaus plausible Empfehlungen für einen politischen Diskurs geben.
| Magdalena Meergraf
„Recht auf Stadt“ birgt in sich verschiedene soziale
Kämpfe, ein Zusammenschluss mit anderen Bewegungen wie zum Beispiel die Refugee-Bewegung in Wien
wäre in diesem Fall eine Überlegung wert. Aber das sagt
sich einfacher, als es im Endeffekt ist. Denn die Bewegungsszene in den heutigen Städten bietet ein heterogenes Bild. Und obwohl sie alle von Enteignungs- und
Unterdrückungsformen betroffen sind, nehmen sie un9 Vgl. Buckel, 2011, S. 174f.
10 Vgl. Buckel, 2011, S. 174.
11 Vgl. Buckel, 2011, S. 181.
12 Vgl. Mayer, 2013, S. 162.
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