Lobbying zwischen Freipass und Ärgernis

Lobbying zwischen Freipass und Ärgernis,
Notwendigkeit und Überfluss
Präsentation vom 09. Juni 2015
Referent:
Claude Longchamp
© gfs.bern
Der "Anlass"
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Zum Hintergrund: Datenjournalismus =
Transparenz durch Medien und Wissenschaft
Die Beziehung zwischen
Parteien und Verbänden
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Die Badges der
PolitikerInnen
Zur laufenden Debatte: gläserne Politik
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Fünf gescheiterte Vorstösse
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•
Akkreditierung und Register für Lobbyisten (SR Berberat 2011):
öffentlich zugängliche Erfassung, abgelehnt
•
Register für ehemalige Ratsmitglieder (NR Baumann): als
Misstrauensvotum abgelehnt
•
keine Badges für Lobbyisten (SR Minder, 2012): Beschränkung auf
Familienmitglieder und persönliche MitarbeiterInnen, persönliche
Begleitung von Lobbyisten als "Gäste", abgelehnt
•
Spielregeln und Transparenz (NR Caroni, 2012): Akkreditierung,
wegen Umsetzungsproblemen (Definition, keine Mengenbegrenzung,
Bürokratisierung), abgelehnt
•
eigene Regeln (SR Berberat, 2014): Allgemeinverbindlichkeit der
Standesregeln, abgelehnt
Drei Positionen unter LobbyistInnen
• keine Regulierungen nötig, Lobbying ist die notwendige Ergänzung
professionell geführter Politik im vorherrschenden Milizsystem
• Selbstregulierungen zur Publikation von Mandaten in einem
öffentlichen Register, mit Sanktionsmöglichkeiten bei Verstössen,
betreffend das Lobbying innerhalb und ausserhalb der Wandelhalle
des Parlaments.
• gesetzliche Regelungen nach europäischem (oder
amerikanischem) Vorbild um den Grad der
Allgemeinverbindlichkeit zu erhöhen
Thomas Gees: "Die Kasachstan-Affäre könnte zur ersten Bewährung,
wenn nicht zur Zerreisprobe innerhalb des Lobbyistenverbandes
SPAG führen." NZZ, 16.5.2015
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Liste aktueller Baustellen
• Initiativprojekt Minder zur Regelung des Lobbyismus im
Bundeshaus (Stossrichtung: keine Mandate für StänderätInnen,
Mandatstransparenz bei NationalrätInnen)
• Initiativprojekt SP Transparenz bei den Parteifinanzen (ohne
weitere Konkretisierung)
• Kontroverse zum Götti- resp. Akkreditierungssystem bei der
Zulassung von Lobbyisten im Bundeshaus
• Motion (Lukas) Reimann für ein verbindliches Lobbyregister mit
Methoden und Adressaten der LobbyistInnen
• parlamentarische Initiative (Andrea) Caroni, wonach die
Zutrittsberechtigung nur noch erteilt werden soll, wenn Mandate
offen gelegt werden
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Blick auf die Diskussion im Ausland
USA
EU
Lobbying-Skepsis (Checks & Balances im
Präsidialsystem als Muster)
Lobbying-Interesse (liberaler Korporatismus
als Muster)
• Gesetzgebung durch Kommission und
Administration, beschränkte Kontrolle
durch das Parlament (Budget, Wahl)
• Austausch zwischen Politik und
gesellschaftlichen Akteuren als Form der
Informationsbeschaffung explizit
erwünscht, Beitrag zur
zivilgesellschaftlichen Rückbindung der
Politik
• möglichst breites Spektrum an Interessen/
LobbyistInnen sollen institutionell
eingebunden werden
• keine Beschränkung auf das Parlament,
explizit auch für Kommission und
Generaldirektion gültig
• Akkreditierungssystem
• regelmässige Kritik, big business werde
bevorzugt
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Gesetzgebung durch das Parlament
geprägt, als Gegenstück zur Macht des
Präsidenten
Hearings als Orte der Meinungsbildung
zwischen Politikern und
Interessenvertretern mit
Medienöffentlichkeit
Verbot der direkten Begünstigung von
Politikern, umfassende Offenlegungspflichten und Strafmöglichkeiten
Karenzfristen vor und nach Antritt von
Stellen in Regierung und Administration
für Lobbying bleiben umstritten
verbreitete Durchsetzungsprobleme, wie
krasse Fälle von Verstössen zeigen
Zwei Thesen
Verbot Begünstigungen
willkommene Vernetzung
Jede Form der direkten
Begünstigung von Personen/
Gruppen, die öffentliche Ämter
bekleiden, in materieller Hinsicht,
ist problematisch, denn sie öffnet
das Tor zu Korruption.
Sie gehört gesetzlich verboten.
Jede Form der Vernetzung
zwischen Politik und Gesellschaft/
Wirtschaft ist erwünscht, denn sie
hilft, breitabgestützte
Entscheidungen zu treffen.
Bester Schutz gegen
Begünstigungen ausserhalb des
Gesetzes sind die Schaffung
potenzieller Öffentlichkeit durch
Transparenz und guter Bezahlung
von PolitikerInnen und BeamtInnen.
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Die Mittel und Wege hierzu lassen
sich nicht eindeutig und losgelöst
von der Eigenheit des politischen
Systems bestimmen. Sie müssen
adäquat entwickelt werden.
Politikwissenschaftliche Positionen
Diagnosen
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Massnahmen
Aufschrei gegen "Expertokratie" (Einkauf
•
von Wissen durch Verwaltung als Pendant)
Folge des Milizparlamentes unter
veränderten Bedingungen
(Informationsbedarf, Komplexität,
Beschleunigung/Zeitbedarf)
•
Folge des liberalen Korporatismus
•
(Einbindung von Verbänden, Freiwilligkeit)
Folge des Profilierungsbedarfs (mediale
Aufmerksamkeit)
i.d:R. Kohärenz der Interessen,
Beeinflussung der MehrheitsbeschafferInnen
Glaubwürdigkeit der LobbyistInnen als
Kapital
Lobbying vom Ausland nicht ins System
eingepasst (Bauprojekt im Grossen Moos)
Pressing vor Entscheidungen und
Powerlobbying stark umstritten
Verbannung der Lobbyisten aus
Bundeshaus als trügerische Illusion,
denn im Parlament geschehene
Feinanpassungen, Weichenstellungen
sind in der Regel vorher
mehr klar bestimmte MitarbeiterInnen
erhöhte Transparenzregeln, vor allem im
vorparlamentarischen Bereich und bei
Kommissionen
Wie entwickelt sich die Schweiz? (1)
P. Sciarini/M. Fischer (2015):
sinkender Einfluss der
Verbände wegen:
1.
Veränderung zentraler
Dossiers
innerverbandliche
Heterogenität/
Pluralisierung der
Verbände
Europäisierung/
Internationalisierung
neue Politiken,
Medialisierung der
Politik
2.
3.
4.
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Hintergründe (1):
Europäisierung/Internationalisierung
Neue Dominanz der
Verwaltung, vor allem im
europäisierten resp.
internationalisierten Teil der
Politik, mit vorherrschend
technokratischem
Politikmuster
(Problemlösung unterhalb
des Niveaus der politischen
Auseinandersetzung)
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Hintergründe (2): Medialisierung der Politik
Dominanz der Massenmedien,
vor allem in jenen Teilen der
Politik, die sich für die mediale
Logik eignen (Asyl- und
Ausländerpolitik resp.
Missbrauch in der Sozialpolitik)
Transformation des
Mediensystems
(Boulevardisierung mit Trend zu
Personalisierung/
Emotionalisierung)
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Hintergründe (3): Professionalisierung der
Milizpolitik
Milizsystem
Professionalisierung
•
parlamentarische Politik wird im
Nebenamt betrieben, mit der
Absicht der Nutzung
ausserpolitischer
(Berufs-)Erfahrungen und
besserer sozialer Durchmischung
•
•
Milizsystem funktioniert in den
Kantonen meist vorteilhaft, ist
aber auf Bundesebene an seine
Leistungsgrenze gelangt
•
•
heute ist es ein Mischsystem aus
Semiprofessionalisierung der
Parlamentsarbeit und einer
Vollprofessionalisierung des
Umfeldes
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•
Komplexität der Politik: rascher
Anstieg von politischen Fachleuten
(PolitologInnen, PolitikberaterInnen,
KommunikationsberaterInnen,
LobbyistInnen), die in der Schweiz
kaum via parteinahen Stiftungen/
Denkfabriken organisiert sind
Beschleunigung der Politik: Medien
als Treiber, die Themen rasch
wechseln, nur schwache
Prioritätensetzungen in Regierung
und Parlament
gleichzeitig aber Skepsis gegenüber
Professionalisierung als
Machtverlagerung weg vom Volk
Der Kreis schliesst sich
• Mediale Problematisierung und Politisierung des Lobbyings
anhand der Affäre Markwalder ist selber Ausdruck des
neuen Politikmusters, mit populistischer Ausrichtung und
Erwartung der Instant-Regulierung des Lobbyings.
• Übersehen werden dabei die Funktion des Lobbyings in
einer ausdifferenzierten Gesellschaft, die Bedeutung für das
Funktionieren der Politik im Zeitalter der Komplexität und
Beschleunigung.
• Gleichzeitig ist eine adäquate Regulierung des Lobbyings in
der Schweiz bisher nicht gelungen, obwohl Probleme
besten.
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Meine Botschaften
1.
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3.
4.
5.
6.
7.
8.
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Lobbying ist eine verbreitetes und wachsenden Phänomen der
Gegenwartspolitik; es ist ein Teil der Professionalisierung von Politik parallel
zum Milizsystem.
Lobbying ist ein willkommener Teil der Politikformulierung in liberalen
Korporatismus, der diesen aber auch ändert und nicht kritiklos hingenommen
werden soll.
Lobbying ist Politikbeeinflussung, wobei politische Entscheidungen als
Prozess betrachtet wird.
Die mediale Reduktion auf Lobbying gegenüber dem Parlament verkennt,
dass Lobbying auch gegen den Exekutiven erfolgt, sprich Verwaltungen und
Regierungen.
Begünstigungen von politischen Akteure mit behördlicher Stellung gehört
verboten; Einflussnahme soll erlaubt sein, aber Transparenzregeln
unterliegen
Personenunabhängige (Selbstregulierungen) sind personenabhängigen stets
vorzuziehen.
Vermehrte sachlich-Mediale Information über Lobbying ist zu fördern, um die
Glaubwürdigkeit des Lobbyings zu verbessern.
Verhaltensregeln zur Rollenvielfalt vor allem von MilizparlamentarierInnen auf
Bundesebene müssen nachdem Vorbild der Rollenteilung bei
Exekutivmitgliedern gefördert werden.
Auf Wiedersehen und danke für Ihre Aufmerksamkeit
www.gfsbern.ch
Claude Longchamp
gfs.bern
Verwaltungsratspräsident und
Institutsleiter gfs.bern
Lehrbeauftragter der Universitäten SG, ZH
und BE
[email protected]
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