Von Abendland bis Widerstand D eutungs muster der Rechtspopulisten Dieter Rucht Mit der weit nach rechts gedrifteten „Alternative für Deutschland“ (AfD) hat in zwischen auch Deutschland eine gewichtige rechtspopulistische Partei. Nach wie vor beruht jedoch die Stärke des Rechtspopulismus hierzulande auf nicht parteiförmigen Gruppierungen. Von Pegida reicht eine Kette zurück zu den Netzwerken von Pro Sachsen, Pro NRW, Pro Köln, zur Deutschen Liga für Volk und Heimat und zu früheren rechtsradikalen Formationen. Der seit den 1990er Jah ren offensiver auftretende Rechtspopulismus ist nach wie vor organisatorisch zersplittert und in taktischen Fragen uneins. Im Folgenden soll es allein um den ideologischen Kern des gegenwärtigen Rechtspopulismus in Deutschland gehen, wobei vor allem Äußerungen aus Kreisen von Pegida & Co. sowie der AfD heran gezogen werden. Entsprechende Ideen sind jedoch breiter verankert. Sie finden sich bei der NPD, bei rechten Kameradschaften, autonomen Nationalisten und Hooligans gegen Salafisten, aber auch, zur politischen Mitte hin, bei relevanten Teilen der CSU (vereinzelt auch der CDU) und in Weltbildern von sogenannten Normalbürgern, die meist keiner politischen Organisation angehören. Die rechtspopulistische Semantik und Symbolik, von Intellektuellen meist als primitiv und klischeehaft abgetan, ist facettenreich und flexibel. Das wird bei einem näheren Blick auf die Reden, Texte, Zeichen und Bilder im Kontext von Pegida deutlich. Hierbei wird auf diverse Quellen, darunter Presseberichte, Mitschnitte und Transkriptionen, aber auch mehrfache eigene Beobachtungen und Aufzeichnungen von studentischen Beobachtungsteams zurückgegriffen. Diese Materialien dokumentieren Geschmacklosigkeiten und wüste Attacken neben richtigen wie falschen Tatsachenbehauptungen, ultimative Forderungen an die Politik, Aufrufe zur Selbsthilfe, Geschichtsklitterungen, Horrorszenarien, aber auch Abgrenzungen und sogar Entschuldigungen für „zu weit“ gehende Äußerungen aus dem eigenen oder benachbarten Lager. Was wie ein wirres Konglomerat wirken mag, lässt sich in seiner Tiefenstruktur durchaus in einen inneren Zusammenhang bringen. Dazu kann das framing-Kon zept dienen. Ausgehend von Überlegungen des Soziologen Erving Goffman wur de es vor allem in der Bewegungsforschung entwickelt und ist inzwischen in andere Forschungsfelder eingesickert. Ein Frame ist ein Deutungs- und Inter pretationsrahmen, der einen Sachverhalt in einem ganz bestimmten Licht er scheinen lässt und entsprechende Assoziationen, Emotionen und Bewertungen hervorruft. Beispielsweise kann die zivile Nutzung der Atomkraft als Segen für die Menschheit („Atoms for Peace“), als Pakt mit dem Teufel oder als äußerst gefährliche Dinosaurier-Technologie gedeutet werden. Das von David Snow und Robert Benford vorgestellte Konzept enthält drei zentrale Bausteine: diagnostic, prognostic und motivational framing. In ähnlicher Weise unterscheide ich die Di mensionen der Problematisierung, der Schuldzuweisung und der Motivierung und wende sie auf den Rechtspopulismus an. Summary: R ight-wing populism’s way of interpreting the world is formed from a few simple elements. The huge influx of refugees, the conflicts sur rounding their reception in Germany, and the enormous media interest in this issue have led to these interpre tations having a widespread impact. German groups such as Patriotic Eu ropeans Against the Islamization of the West (Pegida) and Alternative for Germany (AfD) are benefitting from this. Nevertheless, their visible mobi lization is less significant in the long term than the undercurrents of rightwing populism that reach both into mainstream society and deep into the right-wing extremist scene. Kurz gefasst: Das rechtspopulistische Deutungsmuster ist aus wenigen und einfachen Bausteinen zusammenge setzt. Die zahlreich zuwandernden Flüchtlinge, die Konflikte um ihre Auf nahme und das enorme mediale Inte resse daran haben diesen Deutungen eine große Breitenwirkung verschafft. Davon profitieren in Deutschland Gruppierungen wie Pegida und AfD. Langfristig bedeutsamer als deren sichtbare Mobilisierung sind jedoch die Tiefenströmungen des Rechtspo pulismus, die einerseits bis in die ge sellschaftliche Mitte und andererseits weit in das rechtsradikale Spektrum reichen. Problematisierung beschreibt hier zwei Denkfiguren: die Beschwörung einer akuten Bedrohung und die Selbststilisierung als Opfer. Ein bislang als gegebe ner, erworbener und als gesichert geltender materieller, physischer und kultu rell-symbolischer Bestand wird als in seiner Existenz akut gefährdet gesehen. Das bedrohte Gut kann in vielfacher Weise benannt werden: rechtschaffene Bür ger, Christen, (deutsches) Volk, Europa, Abendland oder, wie in einem Positions papier von Pegida, die „christlich-jüdisch geprägte Abendlandkultur“. Bedeutsa mer als eine reale Benachteiligung ist dabei die gefühlte Bedrohung. Am wichtigsten erscheint hier, erstens, die Wahrnehmung materieller Benachteili gung: Angst vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg. Angeblich oder tatsäch WZB Mitteilungen Heft 151 März 2016 31 lich bevorzugte Vergleichsgruppen sind fallweise „die da oben“, „die Reichen“, „Sozialschmarotzer“, „Arbeitsscheue“, vor allem aber Flüchtlinge und Migranten und Migrantinnen, die besser als „die Deutschen“ versorgt würden, wie eine gängige Behauptung lautet. Eine zweite Dimension betrifft die physische Integrität der eigenen Gruppe, die als rein und homogen, aber von außen bedroht gesehen wird. Es gilt dann, die von Fremden ausgehenden Bedrohungen abzuwenden, darunter Diebstahl, kör perliche Attacken bis hin zur Vergewaltigung, aber auch eingeschleppte Krank heiten und Terrorismus. Eine dritte, zunehmend bedeutsamer erscheinende Wahrnehmung von Bedrohung ist kultureller Art: die Furcht vor „Überfrem dung“, die von Zuwanderern an den Tag gelegte Missachtung der Kultur des Auf nahmelandes und damit die Gefährdung von Tradition, Heimat und Christentum (Plakat: „Islam = Karzinom“). Aus der Denkfigur der Bedrohung ergibt sich die Selbststilisierung als Opfer. Man werde an den Rand von Gesellschaft und Politik gedrängt, betrogen und belogen, dürfe seine Meinung nicht mehr frei sagen, drohe zu einer Minderheit innerhalb des eigenes Landes zu werden, sei ein Spielball von Globalisierung und fremden Mächten. Auf einem Pegida-Plakat im Januar 2015 war zu lesen: „Wir vermissen unser Land! Es hatte folgende Eigenschaften: Meinungsfreiheit, Redefreiheit, Pressefreiheit, Demokratie, christlich-jüdische Abendlandkultur, Frieden, Sicherheit, Geborgenheit, Solidarität und Anstand. Stärke. Recht. Frei heit. Ungenderisierte & blumige Sprache. Sollten Sie dieses Land irgendwo se hen, helfen Sie, es zu bewahren!“ Wer sich als Opfer versteht, weiß auch die Schuldigen zu benennen. Für Pegida sind dies erstens die politischen Entscheidungsträger und ihr Umfeld (die „poli tische Klasse“), die Gesamtheit der „Altparteien“, welche die Sorgen und Nöte des kleinen Mannes nicht kennen (wollen), die ihre Privilegien sichern (Plakat: „Poli Berufung auf den „Widerstand“: Keine Pegida-Kundgebung, auch hier Anfang Februar in Dresden nicht, kommt ohne die „Wirmer-Flagge“ (links) aus. Die kreuzförmige Flagge hat Joseph Wirmer, der zum konservativen Widerstand gegen die Nationalsozialisten gehörte und nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet wurde, entworfen. [Foto: dpa / picture alliance] 32 WZB Mitteilungen Heft 151 März 2016 tikerabschaum. Volksverräter“). Das sind zweitens die Kultureliten, die Intellek tuellen, die Linken, die Antifa-Gruppen, die die traurige Realität beschönigen und ideologisch rechtfertigen. Und das sind drittens von außen kommende Kräf te, seien es hoch organisierte Gruppen von CIA bis zu Al-Qaida, seien es die „Horden“ von Flüchtlingen und „Scheinasylanten“ aus dem Balkan, dem arabi schen Raum und letztlich aus der ganzen Welt. Diffuse Verschwörungstheorien eignen sich in besonderer Weise dazu, all dies in einen Zusammenhang zu brin gen. Die dritte Dimension des framing, die Motivierung, enthält die soziale Konstruk tion des eigenen Kollektivs und den Aufruf zum Widerstand. Das positiv besetzte Gegenstück zu den inneren und äußeren Feinden ist ein als homogen gedachtes und insofern klar abgrenzbares Kollektiv. Zuweilen figuriert es als ein schlich tes „Wir“ der jeweils Anwesenden und Aufgerufenen. Ein Pegida-Aufruf zum „5. Großen Spaziergang“ im November 2014 ist mit den Zeilen überschrieben: „Je der muss mit! Für Eure Familie. Für Euer Vaterland.“ Dieses „Wir“ wird nicht nur verbal beschworen, sondern auch durch konkrete Anweisungen an Demonstrierende verstärkt. So können bei Veranstaltungen von Pegida zwar Slogans und Fahnen unterschiedlicher Art und unterschied lichster Gruppierungen (bis hin zu einer IG-Metall-Fahne einerseits und der Flagge der „Identitären Bewegung“ andererseits) gezeigt werden. Durch Plakate oder Fahnen Parteizugehörigkeit zu bekunden, untersagen die Organisatoren allerdings, um die Suggestion der Geschlossenheit nicht zu untergraben. Dieter Rucht ist Fellow der Abteilung Global Gover nance sowie Honorarprofessor am Institut für Sozio logie der Freien Universität Berlin. Bis 2011 war er Koleiter der Forschungsgruppe Zivilgesellschaft, Citi zenship und politische Mobilisierung in Europa am WZB. [Foto: wzb] [email protected] „Wir sind das Volk“ ist neben “Lügenpresse“ der am häufigsten gemeinschaftlich skandierte Slogan, der vor allem in den teilweise gezielt gesetzten Kunstpausen der Redner erklingt. Dabei ficht es die Demonstrierenden nicht an, dass ihre Zahl nach wie vor überschaubar ist, dass auch die Facebook-Gemeinde bei einer Größenordnung von unter 200.000 stagniert, dass zuweilen‒– vor allem in den westlichen Bundesländern – eine Überzahl von Gegendemonstranten präsent ist und zudem bundesweite Umfragen keine große Zustimmung zu Pegida er mitteln. Die Parole „Wir sind das Volk“ ist empirisch falsch. Gedacht ist sie viel mehr als eine normative aufgeladene Selbstzuschreibung: Man ist das „wahre“ Volk. Damit verbindet sich häufig der Mythos einer nahtlosen geschichtlichen Kontinuität, die es zu bewahren und in die Zukunft zu verlängern gelte. Dabei werden, so in einer Rede von Björn Höcke, dem Thüringer Landesvorsitzenden der AfD, tausend Jahre Vergangenheit und tausend Jahre Zukunft auf einen Nen ner gebracht. Aus dem Szenario der akuten und vielfältigen Bedrohung, die die politischen Entscheidungsträger nicht abwehren wollen oder können, erwächst die erklärte Notwendigkeit von Selbsthilfe und Widerstand und damit der Aufruf zur Selbst ermächtigung (Plakate bei Pegida: „Ein Patriot muss immer bereit sein, sein Land zu verteidigen“; “maximaler Widerstand“; Wenn Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“). Das Spektrum der Abwehrmaßnahmen reicht von der Stimmenthaltung beziehungsweise der Unterstützung rechter Parteien (Björn Höcke: „Für mich ist die AfD die letzte evolutionäre Chance für dieses Volk“) über die Forderung nach mehr direkter Demokratie bis hin zur mehr oder weniger offenen Proklamation einer Propaganda der Tat, also letztlich körperli chen Angriffen auf Politiker, Andersdenkende und Flüchtlinge. Dabei gibt es eine Arbeitsteilung zwischen verbalen und symbolischen Attacken im Rahmen von Pegida einerseits und der Handgreiflichkeit rechtsradikaler Zirkel andererseits. Redner von Pegida wecken Verständnis für Aktionen, die als konsequente Fort setzung jener Kritik begriffen werden können, die AfD, NPD, Pegida und Co. wor treich artikulieren. Manche Rechtsextremisten umgeben sich, wie es der Sozio loge Alexander Häusler formuliert hat, mit einer „rechtspopulistischen Hülle“, um für moderatere, aber für Ressentiments anfällige bürgerliche Kreise an schlussfähig zu sein. Die historischen Parallelen für den auch heute angesagten Widerstand können sehr unterschiedlicher Art sein: der Ansturm der Türken auf Mitteleuropa im 16. Jahrhundert, der Widerstand konservativer Politiker gegen das Hitler-Regime (das zeigt die bei jeder Veranstaltung sichtbare Wirmer-Fahne, die von Joseph WZB Mitteilungen Heft 151 März 2016 33 Wirmer, einem Mitglied des Widerstands, entworfen wurde), oder aber die Bür gerrechtsbewegung in der DDR (Plakat bei Pegida: „Weil wir die Knechtschaft kennen, ist uns die Freiheit heilig!“). Referenzen finden sich auch auf die linke Ikone Che Guevara, die Linksautonomen (in der Namensgebung „Autonome Nati onalisten“) sowie prorussische Separatisten in der Ostukraine. Einzelne Frames können sich durch die Technik des frame bridging in ein über geordnetes Master Frame einfügen. Einen Hinweis auf das von Pegida offerierte Master Frame bietet die Namensgebung „Patriotische Europäer gegen die Isla misierung des Abendlandes“. Diese Stoßrichtung ist nicht neu. So waren bereits 2008 Vertreter der Wählervereinigung „Arbeit – Familie – Vaterland“ mit dem Slogan „Sachsenmut stoppt Moslemflut“ aufgetreten. Im Grunde geht es jedoch nicht speziell um Islam und Islamisierung, sondern um die Abwehr des „Frem den“ schlechthin. Als Master Frame des heutigen Rechtspopulismus kann somit wohl gelten, ein Bollwerk gegen das Fremde zu errichten. Rechtspopulisten nutzen ein im Kern überschaubares Repertoire inhaltlicher, rhetorischer und symbolischer Elemente. Je nach Teilgruppe, aktuellen Proble men und öffentlicher Resonanz (Gegenproteste, verstehende oder beleidigende Aussagen von Kommentatoren, Reaktionen von Spitzenpolitikern) können diese Bausteine unterschiedliches Gewicht und unterschiedliche Ausformungen er langen. Beispielsweise bleiben im Pegida-Kontext manche Positionen anderer rechter Gruppen weitgehend ausgespart (Antisemitismus, expliziter Aufruf zur Gewalt). Insgesamt aber beruht der Rechtspopulismus auf einem prägnanten Grundmuster, das sich mittels des framing-Konzepts in seiner Struktur erschlie ßen lässt. Dieses Muster hat an Attraktivität gewonnen, angesichts stark gestie gener Flüchtlingszahlen, verbaler Ausfälle von Teilen des politischen Establish ments, des überbordenden Medieninteresses (angeheizt auch durch eine partielle Verweigerungshaltung gegenüber den etablierten Medien und deren Charakterisierung als „Lügenpresse“) sowie einer starken Gegenmobilisierung mit symbolischen und handgreiflichen Provokationen. Wie viele Menschen Pe gida und Co. mobilisieren können, unterliegt konjunkturellen Schwankungen, die durch interne wie externe Faktoren beeinflusst werden. Das rechtspopulis tische Deutungsmuster ist aber bei beachtlichen Teilen der deutschen Bevölke rung relativ stabil verankert; es wird voraussichtlich weiterhin Bestand haben, vielleicht sogar an Boden gewinnen. Literatur Goffman, Erving: Frame Analysis. New York: Harper & Row 1974. Rucht, Dieter: „Pegida und Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens“. In: betrifft: Bürgergesellschaft. Hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung, 2015, Nr. 41, S. 1-15. Snow, David A./Benford, Robert D.: „Ideology, Frame Resonance, and Participation Mobilization“. In: International Social Movement Research, Vol. 1. Greenwich, CT: JAI Press 1988, pp. 197-217. 34 WZB Mitteilungen Heft 151 März 2016
© Copyright 2025 ExpyDoc