in warhait ich bin vom Esel auf ein Schoene frei Pfert

„... in warhait ich bin vom Esel auf ein Schoene frei
Pfert chestichen.“
Sprachliche Analyse und Kontextualisierung der Briefe Elisabeth Kleinegesses,
Auswanderin aus Westfalen nach New York
INHALT
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Einleitung.................................................................................................. 1
Einordnung des Materials ............................................................................ 2
2.1 Beschreibung der Briefe und ihrer Bearbeitung .......................................... 2
2.2 Zur Person der Schreiberin...................................................................... 2
2.3 Kontextualisierung: Kleinegesses Briefe im Spiegel der Westfä-lischen
Auswanderung ............................................................................................. 4
2.4 Inhalte................................................................................................ 7
Sprachliche Analyse .................................................................................... 9
3.1 Phonologie – Orthographie ..................................................................... 9
3.1.1 Vokale....................................................................................... 9
3.1.2 Dehnung und Schärfung ............................................................. 11
3.1.3 Konsonanten ............................................................................ 15
3.2 Morphologie....................................................................................... 18
3.2.1 Buchstabeneinfügungen ............................................................. 19
3.2.2 Apokopen / Synkopen ................................................................ 19
3.2.3 Kasusdifferenzierungen .............................................................. 20
3.2.4 Pluralbildung............................................................................ 21
3.2.5 Genusdifferenzen ...................................................................... 21
3.2.6 Konjunktionen: als – wie ............................................................ 21
3.3 Syntax .............................................................................................. 22
3.3.1 Satzgefüge, Satzanschlüsse......................................................... 22
3.3.2 Verbformen und Subjektauslassungen ........................................... 23
Resumée / Schlußbetrachtungen ................................................................ 25
Literaturverzeichnis.................................................................................. 26
Anhang.................................................................................................... 27
6.1 Exemplarischer Analysebrief.................................................................. 27
6.2 Transkriptionen .................................................................................. 29
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Einleitung, Seite 1
1. Einleitung
Die Beschäftigung mit Briefen von Auswanderern in die «Neue Welt» kann nur in einem
interdisziplinären Rahmen stattfinden, da geschichtliche, soziale, kulturelle und nicht
zu-letzt sprachliche Überlegungen sich gegenseitig im Erkenntnisprozeß ergänzen.
Behan-delt man die Gattung des Auswandererbriefes als «Dokument vor der Forschung»,
wel-ches „gemeinhin der Kategorie des Zufälligen zugeteilt“ (Mesenhöller 1985, S. 111)
wird, so verengt dies die Sicht unnötig, da gerade Regelmäßigkeiten und generalisierbare
Forschungsergebnisse unbeachtet bleiben. Das gilt zunächst für die sozio-historische
Analyse, da an der Erforschung der Auswandererbriefe auch immer „die Lebensgeschichte seines Absenders, seine sozio-kulturellen Voraussetzungen wie individualpsychologischen Dispositionen [..] beteiligt“ (Mesenhöller 1985, S.111) sind. So konnte eine
Untersuchung individueller und historischer Komponenten nicht vernachlässigt werden.
Wie sehr die vorliegenden Briefe über das rein Individuelle, Zufällige hinausgehen, wird
vor allem durch die Nutzung des Briefes als halböffentliche Werbung für die Auswanderung deutlich, denn stets „wurde er auch von Personen um den Empfänger (Verwandte,
Freunde, Bekannte) rezipiert, und dieser Tatsache trug der Absender immer auch Rechnung. [...] Der augenscheinlich private Charakter der Briefe konnte bewußt zur Schaffung
von Öffentlichkeit genutzt werden“ (Mesenhöller 1985, 117) . Diese Motivationsversuche
werden auch sehr stark in Kleinegesses Briefen deutlich und sind in Kapitel 2.4 behandelt. Hauptuntersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind allerdings sprachliche Phänomene, wobei nicht nur individuelle Schreibarten offenbar werden, sondern vor allem dialektal bedingte, generalisierbare Eigenarten können allgemein Aufschluß über das Leben
(und Schreiben!) Westfälischer Auswanderer des 19. Jahrhunderts geben. Die sprachli-che
Analyse beschränkt sich auf einen Brief, der stellvertretend untersucht wird – zeitli-che
Entwicklungen in der Schreibsprache der Elisabeth Kleinegesse sind kaum aufzu-zeigen.
Diese Analyse muß aufgrund der ungeheuren Anzahl an Abweichungen zu-nächst als
quantitative Forschung angelegt sein, da nur der Beleg den Forscher vor allzu vagen
Hypothesen und Überlegungen retten kann. Im Rahmen einer Hausarbeit ist die
komplette Untersuchung eines solchen Materials sicherlich nicht möglich, doch soll im
folgenden ein Ansatz verdeutlicht werden, der seine qualitativen Aussagen auf quantitativer Ebene begründet und diese mit historischen und sozialen Begebenheiten in Kontext
setzt.
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Einordnung des Materials, Seite 2
2. Einordnung des Materials
2.1 BESCHREIBUNG DER BRIEFE UND IHRER BEARBEITUNG
Das der Analyse zugrunde liegende Material besteht aus sieben Briefen der Rietbergerin
Elisabeth Kleinegesse, die sie zwischen 1859 und 1868 aus New York City nach Westfalen, an ihre Geschwister Katharina und Maria in Rietberg sowie ihren Bruder Heinrich in
Langenberg, schickte. Neben den behandelten Briefen liegen drei weitere vor, die zu der
Korrespondenz zwischen Elisabeth Kleinegesse und ihren Geschwistern gehören,
allerdings nach ihrer Rückkehr nach Westfalen geschrieben wurden. Hierbei handelt es
sich um einen Brief der Schwester Maria an Elisabeth (wahrscheinlich 1896) und zwei von
dieser an ihren Bruder Heinrich (wahrscheinlich 1896 und 1898). Diese Briefe blei-ben
aber weitgehend unbeachtet in der vorliegenden Arbeit. „Unklar ist, ob weitere Briefe
existiert haben“ (Fritsch 1987, S.125). Nachdem sich die Briefe 130 Jahre in Familienbesitz befanden, entdeckte die Hausfrau und Hobby-Genealogin Regina Linnemann aus Verl
(Kreis Gütersloh) 1988 die Briefe in Avenwedde (Kreis Gütersloh) im Haus der Nachfahren
einer Bekannten der Schwestern Kleinegesse. Regina Linnemann transkri-bierte die
Briefe; Kopien jener Transkriptionen lagen mir zunächst aus Privatbesitz vor. Jedoch
waren diese zur Verfügung stehenden Kopien von äußerst schlechter Qualität, mit
Schreibmaschine getippt, handschriftlich verbessert, lücken- und teilweise leider wohl
auch
fehlerhaft
und
nicht
völlig
zuverlässig.
Die
im
Anhang
aufgeführten
Transkriptionen, die die vorliegende Arbeit untersucht, basieren weitestgehend auf den
Abschriften Lin-nemanns, wurden aber durch Vergleiche mit Bearbeitungen von Regina
Fritsch vom Freilichtmuseum Detmold sowie mit den Kopien der Originalbriefe
aktualisiert. Die fol-gende Analyse hat Inhalte und (Schreib-) Formen dieser Briefe zur
Aufgabe, in der sprachlichen Analyse wurde der Computer als Unterstützung benutzt, da
hier sowohl das Vorkommen verschiedenener Auffälligkeiten geprüft (und absolut
gezählt) als auch vor allem Ersetzungsproben vorgenommen werden konnten. Zitate und
Belege aus den Briefen sind kursiv gedruckt, die nachstehende Zahl bezeichnet die Zeile
im unter Kapitel 6.1 abgedruckten Analysebrief.
2.2 ZUR PERSON DER SCHREIBERIN
Elisabeth Kleinegesse wurde am 05.10.1832 auf dem Hof „Lütkegerse“ in Varensell
(zwischen Gütersloh und Rietberg) geboren. Sie war das vierte von fünf Kindern aus der
zweiten Ehe des Colon Christian Kleinegesse mit Anna Maria Heitreck. Informationen über
ihre Schulbildung sind nicht überliefert, doch ist es recht sicher, daß sie eine
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Einordnung des Materials, Seite 3
Grundausbildung im Lesen und Schreiben erhalten hat. Als der Vater 1853 stirbt, ist Elisabeth bereits als Dienstmagd in Freckenhorst beschäftigt. Während der jüngste Sohn aus
erster Ehe den Hof des Vaters erbt, ist Elisabeth als Halbschwester eine Summe von 30
Talern zugedacht, die sie sich 1859 (bereits sechs Jahre vor der Auszahlung der
Schwestern ) auszahlen läßt. Mit einigem Ersparten kann sie sich so die Überfahrt nach
Amerika so eben leisten. Ihre Gründe zur Auswanderung sind in den Quellen nicht genannt, doch ist davon auszugehen, daß sie "die persönlichen, finanziell trostlosen Aussichten, die Abhängigkeitsverhältnisse [...] und die hoffnungslos anmutende Wirtschaftslage" hinter sich bringen wollte (Die Glocke, 18-03-88) und in Amerika die Chance
für einen neuen Anfang sah. Ein weiterer Ansporn mag gewesen sein, daß ihr 1854 ausgewanderte Vetter Christoph "[..] gerade nach zwei Jahren Aufenthalt aus Amerika zurückgekommen [war], vermutlich mit dem Geld, das ihm hier ein gesichertes Leben ermöglichte" (Die Glocke, 18-03-88). Ursprünglich hatte Elisabeth Kleinegesse vorgehabt,
nach Cincinnati zu reisen, wo bereits viele Deutsche lebten, doch durch eine Bekanntschaft auf dem Schiff erhält sie sofort 1859 bei der Ankunft in New York ein Stellenangebot und entscheidet sich für "eine Gutte Kristliche und daische Herschaft" (1). Diese betreibt ein Wirtshaus an der James Street, New York (Strotdrees 1992, S.86). In den folgenden Jahren wechselt sie die Stellung mehrmals, kehrt einige Male zu ihrer ersten
Herrschaft zurück und verbessert ihren Verdienst entscheidend. Um 1865 heiratet Elisabeth Kleinegesse einen 12 Jahre jüngeren deutschen Auswanderer aus Bayern: Ludwig
(Lui) Keßler. Die Eheleute kaufen selbst ein Gasthaus und können ihren monatlichen
Verdienst auf bis zu 200 Taler pro Monat verbessern. Kurz darauf bekommt Elisabeth ein
Kind, ein Mädchen, und wenig später, im März 1866, einen Sohn. Lui Keßler geht nach
Kalifornien, "vermutlich im allgemeinen Goldrausch, der das Land erfaßt hatte"
(Strotdrees). In der neunten Woche nach seiner Abreise stirbt die Tochter. Von Lui Keßler selbst ist lediglich überliefert, daß er in Kalifornien erkrankte, seine Rückkehr zu Elisabeth ist eher zweifelhaft. Auch vom Sohn ist nichts überliefert. Zu einem
unbestimmten Zeitpunkt zwischen 1868 und 1894 kehrt Elisabeth Kleinegesse als
verwitwete Keßler nach Rietberg zurück. Wohl hatte sie schon mehrmals in der
Vergangenheit
darüber
nachgedacht,
"wieder
nach
Westfalen
zurückzukehren."
(Strotdrees, S.87) . Mit dem in Amerika gesparten Geld kauft Elisabeth Kleinegesse 1894
zusammen mit ihren Schwe-stern Maria und Katharina ein zweistöckiges Fachwerkhaus
am Rietberger Kirchplatz für 1200 Mark . Hier stirbt sie im Juni 1903.
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Einordnung des Materials, Seite 4
2.3 KONTEXTUALISIERUNG: KLEINEGESSES BRIEFE IM SPIEGEL DER WESTFÄ-LISCHEN
AUSWANDERUNG
Die Auswanderung Elisabeth Kleinegesses ist in die zweite große Periode der Amerikaauswanderung einzuordnen. Diese „umfaßt das 19. Jahrhundert, genauer gesagt die
Zeit von1815 bis 1914, das heißt vom Wiener Kongreß bis zum ersten Weltkrieg.“
(Moltmann 1986, S.40). In dieser Zeit gingen ca. „5,5 Millionen Deutsche in die Vereinigten Staaten“ (Moltmann 1986, S.40). Seit den dreißiger Jahren war die Zahl der Auswanderer kontinuierlich angestiegen, wobei 1854 als auswanderungsstärkstes Jahr gilt:
240000 (Hansen 1979, S.11) bzw. 215000 (Krohn 1992, S.80) Menschen verlassen ihr
Land. Für die Herkunftsregion Kleinegesses bedeutete dies ebenfalls hohe Auswanderungszahlen: „Allein im Jahr 1857 wanderten 5700 Menschen aus Westfalen aus" (Strotdrees 1992, S.86), während in den vorangegangenen Jahrzehnten die Abwanderung vor
allem aus dem südwestdeutschen Gebieten stattfand.
Wer war es aber, der den beschwerlichen Weg auf sich nahm, und welche Gründe
zwangen sie zur Abreise? – Versuche, die Motivationen der Auswanderer zu kategorisieren, unterscheiden sogenannte Push-Faktoren (schlechte Verhältnisse im Herkunftsland)
von Pull-Faktoren (Bedingungen im Zielland, Mythen vom «Land der unbegrenzten Möglichkeiten»). So wird festgestellt, daß, während bis Mitte des 19. Jahrhunderts „die
«pus-hing power», die abstoßende Kraft der Heimat, sehr wichtig für die Auswanderung
ge-wesen sein dürfte, [..] nun stärker die «pulling power», die Anziehungskraft der
Länder «mit den unbegrenzten Möglichkeiten» in den Vordergrund“ (Hansen 1979, S.18)
trat. Allerdings „sind Push und Pull keine Entweder-oder-Alternativen, sondern stellen
eine Sowohl-als-auch-Situation dar.“ (Kamphoefner 1982, S. 19)
Obschon immer wieder das Scheitern der Revolution von 1848 (als Push-Faktor) und der
Goldrausch (als Pull-Faktor) als Gründe der Auswanderung genannt werden, ist davon
auszugehen, daß die Wenigsten politisch motiviert waren. „Zweifellos [..] hat [..] hier
eine Verwechslung der eigentlichen Auswanderungsgründe mit den die Auswande-rung
auslösenden, oberflächlichen [...] Anlässen stattgefunden“ (Kamphoefner 1982, S.75).
Die Auswanderung des 19. Jahrhunderts hing in erster Linie zusammen mit der
„außerordentlichen Vermehrung der europäischen Bevölkerung, die sich von etwas 140
Millionen Menschen im Jahre 1750 auf etwa 255 Millionen Menschen im Jahre 1850 fast
verdoppelte“ (Hansen 1976, S.9). So waren die „Motive, die hinter der deutschen Massenauswanderung nach Übersee standen, [..] vorwiegend wirtschaftlicher und sozialer
Natur. Religiöse und politische Gründe spielten im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten eine relativ geringe Rolle. Deutschlands soziale ökonomische Lage war gekenn-
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Einordnung des Materials, Seite 5
zeichnet durch den zunehmenden Bevölkerungsdruck, den beginnenden Prozeß der
Industrialisierung und die wachsenden Schwierigkeiten in der immer noch die Mehrzahl
aller Arbeitskräfte beschäftigenden Landwirtschaft." (Hansen 1976, S.11) Das Preisniveau stieg ständig und die „Mittel, seinen Lebensunterhalt zu gewinnen“ (Krohn 1992,
S.78), waren überaus beschränkt. Für Nordwestdeutschland und vor allem auch das
Webereigebiet um Münster und Minden herum muß die Auswanderungsbewegung seit den
vierziger Jahren „im Zusammenhang mit diesen Auswirkungen der Industrialisierung
gesehen werden“ (Hansen 1979, S.15). Der „Niedergang der Heimindustrie bildet [in
Nordwestdeutschland] den vorherrschenden Faktor, der noch über die Erbschaftssysteme
gelegt werden muß, um das Auswanderungssystem zu verstehen“ (Kamphoefner 1982,
S.26). Im „begrenzten Bereich des Bezirks Münster ist die Verbin-dung zwischen
ländlicher Industrie und Emigration sehr stark“ (Kamphoefner, S.34). So waren es vor
allem „Emigranten mit den sozialen Beweggründen gewesen, die aus der Unter- und
Mittelschicht stammten und auf die relative Überbevölkerung reagierten [...]“
(Kamphoefner 1982, S.57). Andererseits konnten das Gros der Auswanderer kaum die
ganz Armen ausmachen, „sondern die, die noch genug Geld hatten [...], um die Reise
über das Meer und eine neue Existenzgründung zu finanzieren. [...] Nicht die Mittellosen
zogen fort, sondern diejenigen, die noch Geld hatten, aber befürchteten, arm zu werden.“ (Moltmann 1986, S.43f). Und dennoch hatte die beschriebene Bevölkerungsgruppe
kaum mehr als ein spärliches, ungenügendes Auskommen, „Auswanderung [bot] zwar den
Hungernden keinen Ausweg [..]; trotzdem bedeutet das längst nicht, daß die mei-sten
Auswanderer wohlhabend waren.“ (Kamphoefner 1982, S.66)
Daß eine alleinstehende, westfälische Frau sich allerdings alleine auf den Weg machte,
war äußerst selten . Zum Vergleich: In einer Osnabrücker Quelle „wurden ausnahms-weise
auch die Berufe lediger Frauen aufgeführt. In ihrer Schichtzugehörigkeit unter-schieden
sie sich von ihren männlichen Wanderungsgenossen kaum. Vier Fünftel gaben sich als
Mägde oder Dienstmägde aus; andere Berufe kamen nur vereinzelt vor.“ (Kamphoefner
1982, S.60). Aus dem Regierungsbezirk Osnabrück wanderten zwischen 1832 und 1859
175 alleinreisende Frauen aus, von denen 133 unverheiratete Dienst-mägde waren. Diese
besaßen durchschnittlich ein Vermögen von 61 Reichstalern, von denen die Reise in den
meisten Fällen kaum oder gerade eben bezahlt werden konnte (Elisabeths Reise kostete
unchefer 54 Tahler (37)), wobei 2/3 der Frauen sogar mit we-niger als 50 Talern
auskommen mußten. Damit waren sie noch schlechter bemittelt als Heuerleute und
Ackerknechte.
Im «Land der unbegrenzten Möglichkeiten» hatten "junge Mädchen und ledige Frauen
[..] gute Verdienstmöglichkeiten als Hausmädchen oder Köchinnen, doch für die Deut-
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Einordnung des Materials, Seite 6
schen war auch diese Chance auf Grund der Sprachschwierigkeiten nur begrenzt nutz-bar"
(Bretting, S.95). Auf jeden Fall war wohl ihr Status ls Frau und Bedienstete ein an-derer
als in der Heimat, die Frau in Amerika hatte es vielfach einfacher, „ihre Arbeit ist
leichter, sie hat mehr Muße, sie genießt mehr Respekt, das Recht schützt sie stärker“
(Helbich 1985, S.129).
Nach ihrer Ankunft blieb Elisabeth entgegen ihrer Pläne in New York. "Die meisten der
nach 1830 einwandernden Deutschen schienen ohnehin ein Ziel im Westen der Vereinigten Staaten anzusteuern. Dennoch blieben immer auch Deutsche in New York, und mit
Zunahme der Einwanderung wuchs die «deutsche Kolonie» der Stadt, bis sie 1860 mit
rund 118000 Personen ca. 15 Prozent der Bevölkerung Manhattans ausmachte und rund
31 Prozent der Ausländer in der Stadt." (Bretting 1981, S.81). Für die meisten war New
York City "nur eine Zwischenstation auf ihrer Reise, sie wollten ins Landesinnere.“
(Bretting 1981, S.44) So war der „Verkauf von Fahrkarten in das Landesinnere [...] ein
lukrativer Geschäftszweig und dementsprechend von Betrügern überlaufen" (Bretting,
S.44), sogenannte Runner warben die Ankommenden für schlechtbezahlte Arbeit oder
überteuerte Unterkünfte und die Unkenntnis der Sprache machte viele Deutsche zu Opfern. Erst als sich die «Deutsche Gesellschaft der Stadt New York» etabliert hatte und mit
der Einwnaderungsbehörde zusammen arbeitete, konnte der alltäglichen Schikane Einhalt
geboten werden. „Mit Stolz wird [..] vermerkt, daß sich etwa jeder zweite deut-sche
Einwanderer im Büro des Unternehmens in irgendeiner Form habe beraten oder helfen
lassen“ (Krohn 1992, S.293). Von Elisabeth Kleinegesse ist uns keine Verbindung mit der
Deutschen Gesellschaft bekannt – abgesehen von einem Konto bei der deut-schen
Sparbank – wohl auch, weil sie deren Dienste nicht beanspruchen mußte und sofort eine
Anstellung in einer deutschen Familie fand.
Während die fehlenden Englischkenntnisse vor allem Arbeiter in den Städten ohne deutsche Siedlungen vor große finanzielle und soziale Probleme stellte, brauchten sich der
Bedienstete in deutschen Familien keine großen Sorgen machen, „weil er so gut wie alle
Verständigungsbedürfnisse in seiner Muttersprache befriedigen konnte, jedenfalls dann,
wenn er sich Mühe gab, Hochdeutsch zu sprechen. (In einer ähnlichen Lage war auch ein
großer Teil der Frauen, die nicht außer Hause arbeiteten.)“ (Helbich 1985, S.57). Wer
kein Englisch konnte, „war entweder auf deutsche Arbeitgeber angewiesen (die häufig
niedrigere Löhne zahlten) oder von beinahe allen qualifizierten und gut bezahlten
Tätigkeiten ausgeschlossen.“ (Helbich 1985, S.57). Während in den Briefsammlungen und
Abhandlungen immer wieder einsichtig wird, daß mit dem Spracherwerb in der Re-gel ein
Sprachverlust einhergehe , wird dieses Phänomen in den Briefen Kleinegesses kaum
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Einordnung des Materials, Seite 7
sichtbar. Obschon vor allem Rechtschreibung, aber auch Grammatik und Satzbau
fehlerhaft sind, kann man diese Fehler kaum auf den Einbruch des Englischen in ihre
Sprache zurückführen. Vielmehr handelt es sich um Resultate einer lautlich orientierten
und daher dialektal verzerrten Schreibweise, die weder durch vieljährige Schulbildung
noch durch häufige Übung im Umgang mit Schrift und Geschriebenen verbessert oder
vereinheitlicht werden konnte. Diese großen Probleme mit der Rechtschreibung zeigte
sich „vor der Jahrhundertwende bei Frauen noch stärker [...] als bei Männern“ (Weber
1995, S.265), was auf die „unzureichende Schulausbildung besonders der Mädchen in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ (Weber 1995, S.266) zurückgeht.
2.4 INHALTE
Die Briefe sind geprägt durch einige inhaltliche Schwerpunkte, die hier kurz skizziert und
erläutert werden sollen. Der wohl auffälligste Themenkomplex ist der der Finanzen und
des Geldes. Fast ein Fünftel des Geschriebenen befaßt sich mit Fragen der Löhne und
Gehälter, Preise, Inflation, des Bankwesens. Die Inflation aufgrund des Bürgerkrieges ist
nicht nur Thema der Tageszeitungen und Politik, sondern konkret spürbar. Elisabeth
Kleinegesse hat ein Sparkonto, wahrscheinlich bei der 1895 von der « Deutschen Gesellschaft der Stadt New York» initiierten «Deutschen Sparbank» , das ihr einerseits
Sicherheiten verschaftt, andererseits ihr „Hartgeld“ in inflationäres Papiergeld verwandelt. Der Ehrgeiz Elisabeths und ihre unsicheren Pläne lassen sie ihre Finanzen immer
wieder reflektieren. Ihr sozialer Aufstieg vom Dienstmädchen zur Wirtsherrin ist nicht
zuletzt diesem Ehrgeiz, einem nüchternen Kalkül und dem unerbittlichen Glauben an das
amerikanische Leistungsprinzip zu verdanken.
Überhaupt scheint Elisabeth von den wirtschaftlichen und politischen Begebenheiten
nicht so unberührt, wie es für ihre Klasse, ihre Bildung und ihren Status anzunehmen
wäre. Vor allem im dritten, vierten und fünften Brief berichtet sie ausführlich von den
po-litischen Verhältnissen, den Grausamkeiten der Schwarzenverfolgung, dem Werdegang
des Krieges bis hin zur Ermordung Lincolns. „Keineswegs alle deutschen Einwanderer
reagierten schockiert und empört auf die Unterdrückung von Minderheiten in ihrer neuen
Heimat; zumeist paßten sie sich den in der Region ihrer oder in ihrer sozialen Schicht
herrschenden Einstellungen an“ (Helbich 1985, S.130), nicht aber Elisabeth Kleine-gesse,
ihre Darstellungen sind rührend, mitleidig, ohne zu verflachen.
Zentrales Thema, vor allem der ersten beiden Briefe, ist Elisabeths Reise und ihre Reisepläne. Sie beschreibt ihre Fahrt von Gütersloh nach Bremen, die Überfahrt nach New
York sowie ihr ursprüngliches Reiseziel Cincinnati. Ihre Schilderungen sind ausführlich,
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Einordnung des Materials, Seite 8
detailliert und unterhaltsam. Auch in den späteren Briefen geht es einige Male um das
Reisen, die Pläne, nach Cincinnati oder zurück nach Hause zu fahren.
Ein weiterer Aspekt ihres Schreibens sind ihre Arbeitsbedingungen, -aufgaben, Stellenwechsel und ihr Verhältnis zu ihren „Herrschaften“. Hierbei stellt sie vor allem die Unterschiede zum Leben und Arbeiten in Deutschland heraus und macht allgemeine Beobachtungen bezüglich der amerikanischen Sitten und Gepflogenheiten. "Ihre Schilderungen fallen nicht zuletzt deswegen so euphorisch aus, weil sie immer wieder versuchte,
ihre beiden Schwestern Katharina und Maria dazu zu bewegen, doch zu ihr nach Ame-rika
zu kommen" (Strotdrees, S.87). So finden sich allein sechs mehr oder minder direkte
Aufforderungen, auch nach Amerika zu kommen, in ihren Briefen. Allerdings wird ihr
Hoffen immer schwächer und sie erwägt mehr und mehr eine Rückreise nach Westfalen.
So ist es dann auch wenig verwunderlich, daß sie in ihren letzten Briefen mehr Bezug zu
den Geschehnissen in der Heimat nimmt (Hauskauf, Krankheiten etc.) und die Schilderungen über ihre Arbeit und das «Land der unbegrenzten Möglichkeiten» zurückgehen.
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Sprachliche Analyse, Seite 9
3. Sprachliche Analyse
3.1 PHONOLOGIE – ORTHOGRAPHIE
Nach Überprüfung des Materials in Hinsicht auf Veränderungen und Entwicklungen der
Orthographie über die Jahre hinweg, konnte festgestellt werden, daß die Schreibweise
der späteren Briefe kaum von der der ersten Briefe variiert. Aus diesem Grund kann die
Analyse von nur einem Brief weitgehend auf die anderen übertragen werden. Gewählt
wurde der zweite Brief, da er der umfangreichste ist und alle Aspekte der Schreibspra-che
der Elisabeth Kleinegesse hier aufgezeigt werden können. Kleinegesses Sprache ist vor
allem dialektal beeinflußt, das Westfälische läßt sich anhand der orthographischen
Abweichungen von der Hochsprache gut nachweisen. Englische Elemente sind in den
Briefen kaum zu finden, so daß hierauf nur am Rande eingegangen wird. In den Briefen
wird deutlich, daß die Schallereignisse vor allem auditiv, also nach Gehöreindruck, von
der Schreiberin «analysiert» und segmentiert werden. Artikulatorische und akustische
Aspekte der verschiedenen Laute sind ihr lediglich unbewußt bekannt, allerdings werden
ihr die Unterschiede zwischen Hochsprache und Mundart durchaus bewußt und führen zu
zahlreichen Normabweichungen, die im folgenden beschrieben werden. Einige The-men
sind vernachlässigt worden, da das Vorkommen nicht sehr groß war (Hiattilgung,
assimilierende Konsonantenverbindungen, Schreibung des Gleitlautes ??? als ‚i‘ etc.).
Außerdem wurde die Groß- und Kleinschreibung wie auch die Interpunktion in der vorliegenden Analyse vernachlässigt, da hier nur äußerst schwerlich Regelhaftigkeiten aufzu-stellen waren, bzw. eine Untersuchung dieser sehr fehlerhaften Aspekte den Rahmen
dieser Arbeit spränge. Allerdings fließen Teilaspekte dieser Themen in den Be-reich der
Syntax mit ein.
3.1.1 Vokale
Da die „mundartlichen Vokalinventare gegenüber der Hochsprache überausgestattet sind“
(Niebaum 1977, S.25), sind Fehler in der Vokalverwendung vor allem bei westfä-lischen
Mundartsprechern anzunehmen. Während die Normverstöße im Bereich der kur-zen Vokale
nur sehr gering sind, können in bezug auf Dehnung und Schärfung (siehe Kapitel 3.1.2)
und
auf
die
Diphthongverwendung
große
Probleme
nachgewiesen
werden.
Überraschenderweise weitgehend fehlerfrei ist die Verwendung von Vokalen vor ‚r‘, obschon das Westfälische diese als «unechte Diphthonge», d.h. überlang und gegebenenfalls geschlossener artikuliert .
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Sprachliche Analyse, Seite 10
Kurze Vokale werden weitgehend ohne Normverstöße verwendet. Lediglich die für das
Westfälische typische e/ä-Unsicherheit tritt mehrmals auf: So wird ‚e‘ statt ‚ä‘ verwendet
(habsehchlich (59), umstende (4)) sowie ‚ä‘ statt ‚e‘ (Färlassende (20)), was „auf die
hoch-sprachlich identische Aussprache von ä und e (wenn ein Kurzvokal gemeint ist)“
(Nie-baum 1977, S.25) zurückgeht. Sehr vereinzelt treten weitere Vokalvertauschungen
auf: Der Laut ??? wird beispielsweise durch das Graphem ‚e‘ dargestellt (richtech (13))
und umgekehrt ??? und ????durch ‚i‘ (chiwis (9), wirdihne [=verdiene] (61)). Singuläre
Normabweichungen wie Verwendung der Grapheme ‚i‘ für ??? (missen (59)), ‚a‘ für ???
(Anchstich [=ängstlich] (32)) und ‚e‘ für ??? (Monnete (73)) sind wohl eher als
Schreibauslassungen («Flüchtigkeitsfehler») zu bewerten, zumal zahlreiche Gegenbeispiele gefunden werden können (müssen (42), Monnat (1, 25, 56, 64, 74, 85)).
Im Bereich der langen Vokale finden so gut wie keine Vokalvertauschungen statt. In drei
Fällen werden lange Umlaute nicht bezeichnet (Grußet (53), Schones (52), Marz (73)),
was wahrscheinlich auf Nachlässigkeit der Schreiberin zurückzuführen ist. Auch wird im
Bereich der langen Vokale die e/ä-Schwäche wieder deutlich (Merst [=März] (62),
dinsmetchen (65), Schifkabiten (9)).
Auffällig und besonders unsicher ist der Umgang mit Diphthongen. Der Laut ???? wird
orthographisch in 3/4 der Fälle falsch umgesetzt. Fast durchgängig wird das Graphem ‚ai‘
verwendet, wobei eine Kontinuität nicht erreicht werden kann. So finden sich verschiedene Umsetzungsvarianten für gleiche Lexeme: ein~ (14 mal) – ain~ (16 mal), bei
(dreimal) – bai (13 mal), weil(l) (dreimal) – wail(l) (fünfmal) u.v.m. Interessant ist
hierbei, daß es sogar unterschiedliche Schreibungen in direkter Nachbarschaft gibt (mit
ainander (44), miteinanter (45)), was auf die teilweise bewußte Unsicherheit der
Schreiberin schließen läßt. In vier Fällen wird der Laut ???? durch das Graphem ‚äi‘
dargestellt (Zäilen (3), Schräiben (4), mäine (5), äinen (9)), auffälligerweise zu Beginn
des Briefes – eine Entscheidung zugunsten der ai-Schreibung hatte noch nicht
stattgefunden. Diese Schreibweise deutet auf die mundartliche Aus-sprache ???? des
Lautes ???? hin, die im Westfälischen weitverbreitet ist. In einem Fall wird ???? durch
das Graphem ‚i‘ reali-siert (mine (3)). Nun böte es sich an, hier ein Ein-brechen des
Englischen in die Sprache zu vermuten, da die Briefe aber ansonsten weit-gehend frei
sind von englischen Einflüs-sen, erscheint es sinnvoller, diese Abweichung als
«Flüchtigkeitsfehler» zu kategorisie-ren. Noch schwieriger fällt der Schreiberin aller-dings
die Umsetzung des Lautes ????. In nur einem Fall ist ihr die richtige Schreibung
gelungen (Freunde (54)). Jeweils einmal ver-wendet sie die Grapheme ‚äu‘ (äuern (1))
und ‚aü‘ (aüch (79)), was zunächst als Ver-such der Verschriftlichung des Schallereignis-
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Sprachliche Analyse, Seite 11
ses ???? sinnvoll erscheint. Überraschend allerdings ist, daß sie in nahezu 90% der Fälle
das Graphem ‚ai‘ verwendet, was auf eine mundartliche Aussprache als ???? oder ????
hinweist. Nun entsprechen diese Realisa-tionen nicht dem Westfälischen, sondern sind
eher im Ostpreußischen, Schlesischen oder Jiddischen anzusiedeln. Da aus ihrer
Biographie nichts bekannt ist, was sie mit die-sen Dialekten hätte verbinden können –
sie lebte schließlich ausschließlich in Westfalen, so lange sie in Deutschland wohnte –
ist anzunehmen, daß ihr die graphische Umset-zung des Lautes ???? schlichtweg unbekannt war. Insgesamt nur viermal in den ge-sammelten Briefen (fast 6000 Wörter) tritt
das Graphem ‚eu‘ auf, dreimal in den Lexe-men ‚Freude‘ oder ‚Freund‘, einmal im Lexem
‚Kreuz‘ – Wörter, die sie höchstwahr-scheinlich verschriftlicht aus Kirche oder Schule
kannte. Das Graphem ‚äu‘ taucht sogar nur ein einziges Mal auf. Anzunehmen ist auch,
daß ???? und ???? von der Schreiberin kategorial wahrgenommen werden. Dem Aspekt
der vokalischen Überausstattung des Westfälischen widerspricht dies nicht, da man davon
ausgehen kann, daß der Schreibe-rin diese Vokalvielfalt nicht bewußt war und ihr eine
adäquate Segmentierung der z.T. minimal verschiedenen Schallereignisse noch weniger
gelingen konnte.
3.1.2 Dehnung und Schärfung
Seit 1838 sind die Regeln zur Dehnung und Schärfung von Vokalen nahezu identisch mit
den heutigen. Dennoch konnten sie sich nur schwer und langsam durchsetzen und große
Unsicherheiten und Normverstöße finden bis in dieses Jahrhundert statt. In der
Schriftsprache des 19. Jahrhunderts ist auffällig, daß die Probleme bei der Kennzeichnung von Längen kleiner sind als von Kürzen. Dies ist im vorliegenden Material nicht
nachzuweisen.
In fast 70% aller Fälle ist die Dehnungskennzeichnung normabweichend, größer wäre
diese Zahl noch, wenn nicht das korrekte Auftreten lediglich durch die immer gleichen
Wörter gesichert würde (sehr, ihr). Hier werden vor allem dialektale Einflüsse deutlich;
die Schwierigkeiten treten besonders auf, da die „vokalischen Kürzen und Längen [..] in
Mundart und Hochsprache unterschiedlich verteilt“ (Niebaum 1977, S.35) sind. Die Dehnung wird im Deutschen durch Vokalverdoppelung, ein dem Vokal folgenden ‚h‘ oder ein
dem ‚i‘ folgendem ‚e‘ aufgezeigt. Die Unterscheidungskriterien sind noch immer recht
unsystematisch und das Erlernen korrekter Handhabung wird erschwert durch die unbezeichneten Längen, die das Deutsche ebenfalls aufweist.
Durch Vokalverdoppelung (aa, ee, oo) wird nur in wenigen deutschen Wörtern eine gedehnte Aussprache bezeichnet. Zwar waren bis in die erste Hälfte des 19 Jahrhunderts
hinein Vokaldoppelungen sehr viel verbreiteter, und die Empfehlung, die kürzere Vari-
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Sprachliche Analyse, Seite 12
ante zu verwenden, setzte sich nur langsam durch. Die These, „daß in Zweifelsfällen
lieber ein Vokal zuviel als zu wenig gesetzt wurde“ (Schikorsky 1990, S.251) läßt sich am
vorliegenden Material nicht nachweisen. Ein fälschlich gesetzter Doppelvokal ist nicht zu
finden, in den drei relevanten Wörtern werden falsche Schreibweisen benutzt: In einem
Fall wird ein Dehnungs-h anstelle eines Doppelvokals (Seh (6)) – obschon diese Variante
in vergleichbaren Texten sehr selten ist – und in zwei Fällen wurde ein einfa-cher Vokal
(bar [=paar] (17), Schne (87)) gesetzt.
Wesentlich schwerer fällt der Schreiberin die korrekte Setzung des Dehnungs-h. Hiermit
ist sie keine Ausnahme in ihrer Zeit. Gründe für diese große Unsicherheit liegen wohl
einerseits „in den widersprüchlichen und willkürlichen Anweisungen über die Verwendung bzw. Nichtverwendung“ (Schikorsky 1990, S.252), andererseits aber vor allem im
westfälischen Dialekt. In Brief 2 wird 58 mal ein ‚h‘ gesetzt an Stellen, an denen die
Länge korrekt unbezeichnet bliebe. Dies ist in den meisten Fällen als hyperkorrekte Längenbezeichnung zu werten, „die offensichtlich hochsprachliche Kürze vermeiden soll,
weil ihr mundartliche Kürze entspricht“ (Niebaum 1977, S.38). Besonders deutlich wird
dies, wenn Kürzen als Längen gekennzeichnet werden (sohl(t)e~ [=soll(t)e~] (68, 83);
chefählt (69); wohltet [=wolltet](77); wihl [=will] (78)). Der Grad der Unsicherheit wird
darin deutlich, daß der umgekehrte Fall ebenso zu finden ist (Fülle [=fühle] (3)). Insgesamt 16 mal fehlt das ‚h‘, zumeist bei Längen in offenen Silben. Auf die Zeit bezogen
können wohl einige dieser Schreibweisen noch als korrekt bezeichnet werden (z.B. mahl
(49, 88)) , andere sind besonders typische Fehlschreibungen (‚h‘ an der falschen Position von Lexemen, die vorher mit ‚th‘ geschrieben wurden : Tahler (37, 37, 45), getahn
(16)). Auffällig ist, daß nur wenige, oft wiederholte Wörter (sehr, ihr) korrekt
geschrieben sind, zu denen sich allerdings auch Gegenbeispiele finden lassen (ser (13,
26)). Insge-samt überwiegen die Normabweichungen jedoch stark.
Der Bereich der Dehnung durch ‚ie‘ ist ebenfalls durch zahlreiche Normabweichungen
geprägt: Nur sieben Wörter weisen die richtige Schreibweise auf (die, wie, sie, lieb~,
wieder, verdien~), wobei auch Gegenbeispiele vorhanden sind. Oft wird anstelle des ‚ie‘
ein Dehnungs-h gesetzt – die Länge wurde erkannt, jedoch durch ein inkorrektes Dehnungszeichen markiert (dih (zweimal), sih (neunmal), wi/verdihn~ (zweimal)). Eine
fälschliche Setzung von ‚ie‘ tritt im Zusammenhang der Dehnung überhaupt nicht auf ,
was besonders erstaunlich ist, da es für Westfälische Mundartsprecher typisch ist,
«diphthongierte» Vokale vor ‚r‘ durch ein ‚e‘ zu dehnen. Demnach findet hier wohl kaum
eine Überanpassung statt, sondern vielmehr wird das ‚ie‘ als Längenzeichen fast kontinuierlich ausgelassen. Die Tendenz, das ‚ie‘ zu vermeiden, ist darauf zurückzuführen, daß
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Sprachliche Analyse, Seite 13
„die Schreibung ie einen Zusammenhang mit dem mundartlichen Brechungs-diphthong
/ie/ assoziiert“ (Niebaum 1977, S.36), den die Schreiberin durch Hyperkorrek-tion
umgehen möchte. Teilweise handelt es sich aber auch um unterlassene Längenbezeichnungen in offener Silbe, also um einen nicht mundartspezifischen Fehlertypus. Bis
zum letzten Viertel des 19. Jahrhunderts waren „die Merkmale beim Gebrauch des dehnenden ‚(i)e‘ nicht [..] scharf konturiert“ (Schikorsky 1990, S.254), so war ‚Dinstag‘ als
Variante erlaubt, die Endung –iren neben –ieren akzeptiert und regelwidrige Schreibweisen wie ‚hir‘ überaus häufig . Das vorliegende Material weist ebenfalls Varianten wie
dinst~ (viermal) – dienst~ (zweimal), vil~ bzw. fil~ oder will~ (10mal) – viel~ (einmal)
und lib~ (12mal) – lieb~ (einmal) auf. Generell scheint die Schreiberin sich allerdings
selbt die Regel aufgestellt zu haben, das ‚ie‘ nicht zu verwenden.
Im Bereich der Schärfung entstehen ebenfalls große Probleme, da sich die „Regel zur
orthographischen Konsonantenverdoppelung in der Hochsprache [..] nicht auf die Mundart übertragen" (Niebaum 1977, S.40) läßt. Im Gegensatz zu den Untersuchungen Schikorskys überwiegen im vorliegenden Material die Normabweichungen in bezug auf die
Schärfung gegenüber denen der Dehnung nicht: Insgesamt 136 regelwidrige Schreibweisen sind zu finden, d.h. in 62% der Fälle. Generell kann man davon ausgehen, daß
diese Fehler dadurch entstehen, „daß Wörter mit mundartlich langem Vokal (bzw.
Diphthong) in der Hochsprache Kürze und nachfolgende Konsonantenverdoppelung
verlangen“ (Niebaum 1977, S.40). Allerdings ist auch hier davon auszugehen, daß dafür
„teilweise [..] banale Ursachen, wie etwa die Flüchtigkeit des spontanen Schreibens,
verantwortlich“ (Schikorsky 1990, S.256) sind. Für eine bewußte Bevorzugung der kürzeren Formen, wohl auch aus Gründen der Vereinfachung, spricht die Tatsache, daß in zwei
Dritteln der Normabweichungen ein Konsonant zu wenig steht.
Die größten Probleme finden sich bei Konsonantenkombinationen mit ‚s‘/‚ss‘ und ‚n‘/‚nn‘
– jeder zweite Fehler in bezug auf die Schärfung passiert in diesem Bereich. Für den
Bereich der s-Laute gilt allgemein, daß die Schreiberin sehr oft ein ‚s‘ zu wenig setzt, nur
in zwei Fällen hyperkorrekt ein zusätzliches ‚s‘ einfügt (Gessund (2), Zukertosse (42)). Es
muß darauf hingewiesen werden, daß diese Bevorzugung der kürzeren Variante
möglicherweise auf generelle niederdeutsche Aussprachebesonderheiten zurückgeht.
Beachtet man die richtigen Schreibungen mit ‚ss‘, so wird deutlich, daß eine korrekte
Umsetzung nur dann erfolgt, wenn der Doppelkonsonant von zwei Vokalen umrahmt wird.
Gegenbeispiele hierzu sind lediglich die Verben ‚verlassen‘ (8, 22) und ‚müssen‘ (5).
Interessant ist auch, daß das Graphem ‚ß‘ der Schreiberin sehr ungewöhnlich er-scheint.
So tritt es in allen sieben Briefen nur 22 mal in nur acht verschiedenen Lexemen
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Sprachliche Analyse, Seite 14
(zuzüglich der Namen ‚Kleinegeße‘ und ‚Keßler‘) auf. Ein Prozeß des Vergessens dieses
Graphems ist allerdings nicht nachzuweisen, da nur die Briefe 1, 5 und 7 keine Verwendungen aufweisen. Für den Bereich der n-Verdoppelung ist die These aufgestellt wor-den,
daß die orthographische Besonderheit des Markierens von Konsonantenver-dop-pelung
durch einen Querstrich über dem einfachen Konsonant zu den meisten Ab-wei-chungen
führte, da dieser oft vergessen wurde. In den Briefen der Elisabeth Kleine-gesse kann
dies nicht als Fehlerquelle gewertet werden, da die Originale diese Schreib-weise nicht
zeigen. Dennoch überwiegen die ausgelassenen Doppelkonsonanten ge-genüber den
zusätzlichen (80%). Auffällig ist, daß diese Auslassungen nahezu aus-schließlich im
Auslaut vorkommen (in ‚Mann‘, ‚denn‘, ‚wenn‘, ‚dann‘). Die hohe Zahl der Abweichungen
läßt sich auf die häufige Verwendung dieser Wörter zurückführen. Schwer kategorisierbar
sind die Fälle der fälschlichen Setzung des Doppelkonsonanten. Das Lexem ‚Monat‘ wird
fast ausschließlich mit nn geschrieben, die weibliche Ablei-tungssilbe –in wurde, wie
hier in Fraindinne, bis ins 19. Jahrhundert hinein noch häufig mit nn geschrieben, nicht
erklärbar sind die Schreibungen lann und länncher.
Bezogen auf den Gebrauch anderer Doppelvokale als Schärfungszeichen ergibt sich ein
ähnliches Bild: durch den Hang zu «orthographischer Ökonomie» überwiegen in fast
allen Fällen die Auslassungen. Das ‚ck‘ kommt im analysierten Brief überhaupt nicht vor,
tatsächlich scheint es vergessen worden zu sein, da nur der erste Brief zwei Schreibungen mit ‚ck‘ aufweist. In den Fällen fälschlich gesetzter Doppelkonsonanten handelt es
sich teilweise um Hyperkorrektionen, das gilt vor allem für das Doppel-l vor t (chehallten
(5), Allten (11), schullt (19)) sowie für die Schreibung braffen (31), die auf die
stimmlose, wahrscheinlich sehr viel schärfer klingende Aussprache des Graphems ‚v‘
zurückzufüh-ren ist. Mundartlich geprägt sind Schreibungen wie gutte bzw. chutte (34,
62, 83), Gütterslo (38), ammerika (26, 30) und Bremmen (38, 39, 40).
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Schreiberin sowohl im Bereich der Dehnung
als auch dem der Schärfung die kürzeren Varianten bevorzugt. Hier findet sie eine gewisse individuelle Regelhaftigkeit und ist sogar, durch die Vermeidung jeglicher orthographischer Fülle, in ihrem Schreibduktus relativ modern.
Sicherlich wird ihre geringe Schulbildung und ihr sozialer Status in den vielen Abweichungen ersichtlich, da „vor allem ein früher Schreibzeitpunkt und ein niedriger Sozialstatus die Normabweichungen bei den Dehnungs- und Kürzungszeichen bedingen, eine
Beobachtung, die im Zusammenhang mit dem ungenügenden Deutschunterricht im niederen Schulwesen am Beginn des 19. Jahrhunderts zu sehen ist“ (Schikorsky 1990,
S.251).
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Sprachliche Analyse, Seite 15
3.1.3 Konsonanten
Die große Fehlerhaftigkeit in der Bezeichnung der Konsonanten ist wohl weniger darauf
zurückzuführen, „daß die „Mundart eine Reihe von hochsprachlichen Konsonanten nicht
kennt“ (Niebaum 1977, S.42) – denn sogar Affrikaten wie ???? und ???? sind der
Schreiberin bekannt – , sondern darauf, daß Laute in Hochsprache und Mundart unterschiedlich distribuiert werden. Da das Schallereignis eines Lautes in der Mundart anders
wahrgenommen wird, kann es auch in vielen Fällen nur anders und regelwidrig segmentiert werden. Die größte Auffälligkeit in den vorliegenden Briefen ist wohl die
Unsicherheit in bezug auf die Verwendung der Grapheme ‚g‘ und ‚ch‘. Dies soll im
folgenden unter-sucht werden. Die gewählten Kategorien ergeben sich aus dem
Vorkommen der ver-schiedenen Schreibweisen im Material, jedoch ist eine gewisse
Orientierung an den bei Niebaum zu findenen Fehlerkategorien vorhanden.
3.1.3.1 g, ch, k
Obschon
dem
Mundartsprecher
die
gutturalen
Laute
der
Hochsprache
(???????????????????????) bekannt sind, kommt es zu zahlreichen Verwechslun-gen. Im
Westfälischen ist dies vor allem auf das «westfälische g», den Laut ???, zurück-zuführen.
„Im größten Teil des Westfälischen [...] wird auch heute noch das silbeninitiale oder
postvokalische ‚g‘ spirantisch artikuliert, so daß die Unterscheidung von hochdeutschem
??? und ???? anhand von Regeln und Einzelwörtern erlernt werden mußte. Für die
Mundart der Elisabeth Kleinegesse gilt nicht nur, daß dem „hoch-sprach-lichen
geschriebenen g (lautlich ???, im Auslaut und inlautend vor Konsonant ???) [...] in der
Regel ein Reibelaut (??? bzw. ?????)“ (Niebaum 1977, S.47) entspricht, sondern teilweise
sogar in der Stellung nach ??? kein wirklicher Verschlußlaut gespro-chen wird. In den
meisten Fällen wird „die mundartliche Lautvorstellung ??? auf den die-sem Rei-belaut in
der Hochsprache am nächsten kommenden Reibelaut ????? übertra-gen“ (Niebaum 1977,
S.48). Die Menge an Ersetzungen des Graphems ‚g‘ durch ‚ch‘ ist auf-fällig – zwar sind nur
ca. 30% der ch-Setzungen falsch, die Rate erhöhte sich aber deut-lich (bis zu 80%),
wären die korrekten Schreibungen nicht in den häufig wiederhol-ten Wörtern nach, ich,
mich, sich, gleich, noch, doch, euch (aich), auch, durch, nicht, recht, etc. zu finden.
Kategorisiert man die Fehler in verschiedene Gruppen, so wird deutlich, daß die
fehlerreichste die Schreibung des Partizipialmorphems ‚ge-‘ als ‚che-‘ ausmacht. Das
spezifisch westfälische Dialektmerkmal der Bildung von Partizipien ohne Präfix ist hier
nicht vorhanden. In den meisten Fällen sogar anlautend, wird das Partizip in 29 Fällen
falsch geschrieben, während nur fünfmal das Graphem ‚g‘ verwendet wurde. Dies macht
die Stärke des Kleinegesser Dialektes deutlich, da selbst im Anlaut der Laut ??? als ???
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Sprachliche Analyse, Seite 16
realisiert und als ‚ch‘ umgesetzt wird. Auch Lexeme, die das ‚g‘ im Anlaut haben, werden
mit ‚ch‘ realisiert: ‚gern‘ (4), ‚geh~‘ (30, 33, 69), ‚geb~‘ (50), ‚ungefähr‘ (37, 87), ‚genau‘
(30, 46), ‚genug‘ (87), ‚geschirr‘ (42, 42, 43) u.v.m. Nicht nur das ‚ge-‘ wird im Anlaut
andersartig wahrgenommen und umgesetzt, sondern auch, wenn auch in weit weniger
Fällen, ‚gi-‘ (z.B. chibz (34)), ‚ga-‘ (chans/z (46, 47, 69), char (68)) und ‚gu-‘ (chut~ (34,
66, 69)). Vor allem inlautend, teilweise aber auch hier im Anlaut, tritt das ‚ch‘ vor allem
vor Konsonanten (19 mal) und intervolkalisch (10 mal) auf. In erster Gruppe ist auffällig,
daß vor allem vor Liquiden (erchrämd (17), chros (18, 26), Silberchroschen (37, 40, 41,
45), chrob (67), zuchlaich (50), bechlaiders (83)) sowie vor ‚t‘ ((che)sacht (6, 31),
chekricht (25), wacht (66)) ‚ch‘ anstatt ‚g‘ geschrieben wird. Es wird deutlich, daß das
‚ch‘ nicht nur nach kurzen Vokalen auftritt, das ‚g‘ wird vielmehr als ??? (nach vorderen
Vo-kalen ?????), bzw. ??? (nach nicht vorderen ?????) realisiert. Auch auslautend ist die
Setzung des ‚ch‘ längenunabhängig: richtech (13), billich (38), kluch (29), betruch (30),
Wasserkruch (44), chenuch (87). Eine interessante Besonderheit findet sich teilweise
nach ???, während dem Hochsprachler die Aussprache der Lautfolge ???? wohl sehr
schwer fällt, scheint dies im Dialekt Kleinegesses möglich zu sein: Enchlisch (29, 75),
anchstich [=ängstlich] (32), Junche (20), lanche (36, 80), länncher (85). Wahrscheinlich
ist, daß das vorangestellte ‚n‘ nahezu in der mundartlichen Aussprache verschwindet.
Diese These unterstützen die Belege unterzüzuch (11) und Hofnuch (46), die sogar in der
Schreibung auf das ‚n‘ verzichten. Die Verwendung des Graphems ‚g‘ ist im vorlie-genden
Material zwar selten (nur 48 mal), aber durchgängig korrekt, Hyperkorrektionen treten
nur vereinzelt in den anderen Briefen auf. Äußerst selten sind auch Normabwei-chungen
bezogen auf die Verwendung des Graphems ‚k‘: In Zeile 42 wird es fälschli-cherweise
anstelle des Graphems ‚ch‘ benutzt, dies bleibt allerdings auf das Lexem ‚blech‘
beschränkt.
3.1.3.2 sch, s
In den Briefen der Elisabeth Kleinegesse treten wenige der für Münsterländer typischen
Fehler in bezug auf den Laut ??? auf, obschon die westfälischen Mundarten ursprünglisch keinen sch-Laut kennen. Von 94 Schreibungen des Graphems ‚sch‘ ist nur eine
falsch, und es fehlen nur zwei. Dies ist auf den Sonderfall der Darstellung der Lautfolge
???? durch das Graphem ‚sp‘ zurückzuführen, der der Schreiberin nicht gelingt (Schbrechen (29), sbrechen (75), sbaren (78)). Allerdings fällt ihr die Unterscheidung der Laute
??? und ???? schwer, so daß das vorangestellte ‚t‘ einige Male entfällt: daische (62),
Taischland (11, 14).
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Sprachliche Analyse, Seite 17
3.1.3.3 Affrikata
Größer sind ihre Probleme bei der Darstellung des Lautes ????: So verwendet sie die
Grapheme ‚s‘ (chans (46, 47)), ‚st‘ (Merst (62), Lestezait (51), irst [=jetzt], iest (88)), ‚t‘
(sont (10)) ‚z‘ (Marz (73), nüzlich (61), nichz (10, 85), brinz (13), chibz (34),
Hozaitz/Hochzeiz (25, 26), unterzüzuch (11)) relativ durcheinander – teilweise richtig,
teilweise falsch – für die Darstellung der Laute ???? und ????? . Gründe hierfür liegen
darin, daß das West-fälische ursprünglich keine Affrikata kennt, und der Mundartsprecher oft bemüht ist, diese „mit dem ihr phonetisch am nächsten stehenden Laut, dem
???, zu bezeichnen“ (Niebaum 1977, S.53). Andererseits liegen die Fehler nahe, da die
Verschiedenheit der Darstellung des ???? in der Hochsprache sehr verwirrend ist. Die
Unsicherheit kann so groß werden, daß das Graphem ‚s‘ für ???? benutzt wird (s.o.).
Für den Bereich der Labiale prägt sich diese Unsicherheit ebenfalls aus. Fast scheint es,
als sei der Buchstabe ‚p‘ der Schreiberin gänzlich unbekannt, doch sowohl eine typisch
westfälische Reduktion des Lautes ???? auf ein ‚p‘ (Kop, Brief 3) als auch eine überraschend richtige Schreibung (Pfert, Brief 1). Ansonsten kommt der Buchstabe ‚p‘ überhaupt nicht vor. Generell läßt sich auch durch die anderen Briefe belegen, daß ????
nahezu grundsätzlich als ‚f‘ geschrieben wird. Umgekehrte Hyperkorrektionen sind nicht
vorhanden.
3.1.3.4 Stimmhaftig- / -losigkeit: p/b, t/d, f/w/v
Das vorliegende Material weist einige Fehler im Bereich der Wahl der Konsonanten auf.
Dies ist auf zwei Gründe zurückzuführen: Einerseits „besteht der Gegensatz stimmhaft :
stimmlos im Auslaut [zwischen Fortis und Lenis, Anm. d. Verf.] und in stimmloser Umgebung nicht mehr“ (Niebaum 1977, S.54), andererseits kann man in der Sprache Kleinegesses eine – für das Ostwestfälisch typische – Tendenz zur Erweichung dieser Konsonanten feststellen. Erschwert wird die Wahl des richtigen Konsonanten noch durch die
Tatsache, daß das Deutsche Doppelformen, also graphemische Varianten, für ein Pho-nem
aufweist (w, v für ???, k, q, c, ch für ??? etc.), wie auch verschiedene Phoneme durch
dasselbe Graphem dargestellt werden kann (Dachs ???, Dach ???). Im vorlie-genden Brief
ist die d/t-Verwechslung am häufigsten: In 25 Fällen ist die Schreibung im Auslaut
falsch, da die Unterschiedung Fortis-Lenis nicht vorhanden ist. Wenn im Auslaut fälschlicherweise ein ‚d‘ gesetzt wird (er Fraid [=erfreut] (2); ward (3); zaid (5); erchrämd (17);
verdind (36)), so kann mann davon ausgehen, daß es sich um Hyperkorrektionen handelt, da die fälschliche Schreibung des Auslautes mit ‚t‘ weit überwiegt (wärent (5); schit
(17); Kleit (24, 25); balt (25, 72, 84); abent (40); Bilt (48, 49); chesunt/Gesunt (55,
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Sprachliche Analyse, Seite 18
87); Taischl-ant (14); Gelt (29, 31, 36, 36, 45, 77, 81)). Auch die Stellen, an denen ein
‚t‘ als Realisa-tion des Lautes ??? steht, sind als Hyperkorrektionen zu bewerten: die
Schrei-berin spricht hier den Lenis, glaubt aber, um hochsprachlich zu schreiben, den
Fortis setzen zu müssen (Taischland/t (11, 14); liebenter (13, 22); untankbar (16); Erte
(19); Laten (32); Zukertosse [=Zuckerdose] (42); miteinanter (45)). Auch im Bereich der
Pho-neme ??? und ??? sind einige Normabweichungen vorhanden. Einerseits liegt das an
der Tendenz zur weichen Aussprache (wür (81, 14); willes (16); wilaicht (19); werdihne
(61); werdich [=fertig] (13); würchtet (84)), andererseits führt das Graphem ‚v‘ als für
zwei verschiedene Phoneme mögliches zu einigen Fehlern: So gibt es regelwidrige, reinlaut-liche Umsetzungen des Lautes ????(fil(l) (1, 31, 51, 55); fon (6, 17); ferlass~ (8,
20); Hannoferraner (29); braffe (31)), hyperkorrekte Schreibungen mit ‚v‘ (val (80); vült
(44); Schivschelt (36); vort (33); vür (16, 21, 31) ; vorschen (27)) und ei-nige aus der
allge-meinen Verunsicherung entstandene Fehlschreibungen des Lautes ??? (fil (32); vil
(69, 35); vail (26); ven (33); libensverdt (1)). Auch im Bereich der Laute ??? und ???,
der wesentlich schwächer von Normabweichungen geprägt ist, zeichnet sich die Tendenz
zur Konsonantenerweichung: viermal wird anstelle eines ‚p‘ – welches ansonsten überhaupt nicht vorkommt – ein ‚b‘ gesetzt (Schifkabiten (9); bersohn (38), Bastor (53), Abril
(73)). Sonderfälle wie der Laut ???? sind, wie auch die Verwendung der Grapheme ‚g‘ und
‚k‘ bereits in den Kapiteln 3.1.3.1 und 3.1.3.2 erläutert worden.
3.2 MORPHOLOGIE
Generell ist zu sagen, daß im Bereich der Morphologie in den Briefen Kleinegesses nicht
so deutliche Normverstöße und Unsicherheiten zu erkennen sind wie im phonetisch-orthographischen Bereich. Fast ist es erstaunlich, daß die Schreiberin über relativ gute
Schreib- oder vielmehr Grammatikkenntnisse verfügt, denkt man an ihre mundartliche
Prägung. Fehler, die in diesem Bereich zu erkennen sind, liegen teilweise in der nur vagen Normierung im 19. Jahrhundert begründet, andererseits wird bei den Normabweichungen deutlich, „daß es sich nicht um in der Schriftsprache allgemein übliche Gebrauchsweisen handelt, sondern um typische Elemente einer sprechsprachlich beeinflußten Schriftlichkeit“ (Schikorsky 1990, S.294). Allerdings überwiegen auch hier (wie
im phonetischen Bereich) „entsprechend der einfacheren dialektalen Formbildung [...]
ver-kürzte Schreibweisen“ (Schikorsky 1990, S.294). Wenig fehlerhafte Aspekte, die zwischen Morphologie und Syntax liegen, wie z.B. Konjunktionen oder die Personalformen
des Verbs, werden im Zusammenhang mit der Syntaxanalyse betrachtet werden, da die
Fehler zumeist durch syntaktische Abweichungen, nicht aber durch generell morphologische Fehlannahmen entstehen.
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Sprachliche Analyse, Seite 19
3.2.1 Buchstabeneinfügungen
„Ein Übergangsphänomen zwischen Orthographie und Morphologie stellt die Einfügung
von Buchstaben dar“ (Schikorsky 1990, S.262), die in den vorliegenden Briefen aber
zumeist nicht in hyperkorrekter Absicht erfolgte, sondern aus der damals schon antiquierten Form der ‚e‘-Einfügung in Verbformen besteht, die aber in ihrer Zeit nicht als
unkorrekt bewertet wurden. Da Kleinegesse mehrere Personen gleichzeitig adressiert,
steht das zusätzliche ‚e‘ zumeist in Verbformen der zweiten Person Plural, sowie im Imperativ Plural: könnet (18), lasset (47), Grüßet/Grüsset/Grußet (51, 52, 53), Schraibet
(72, 76). Dies ent-spricht der Tendenz, daß sich „häufig [...] ein zusätzliches ‚e‘ [..] in
den Abschiedsfor-meln der Briefe [befindet], die dadurch einen pathetischen Beiklang
erhalten“ (Schi-korsky 1990, S.262). Denn gerade im „Gebiet stereotyper Formeln und
Wendungen [...] [konnten] altertümliche Gestaltungsweisen besonders lange konserviert
bleiben“ (Schi-korsky 1990, S.263). Andere Buchstabeneinfügungen, die eher selten sind
(Färlassende (20), chelegender (70), armerikanisch (75)), sind als hyperkorrekte
Schreibungen zu werten. Eine altertümliche Gestaltungsform ist auch das Hinzufügen
eines Dativ-‚e‘. Ob-schon sich in den Untersuchungen Schikorskys „nur eine schwache
Tendenz zum Ver-zicht auf das Dativ-‚e‘ abzeichnet“, ist im vorliegenden Material die
Verwendung des Da-tiv-‚e‘ realtiv selten: (mit den Grösten Rechte (12); bai Tische (58)).
Kurios erscheint aller-dings die Tatsache, daß auch in anderen Kasus ein ‚e‘ angefügt
wird (z.B. im Nominativ: das Laide (20), oder im Akkusativ: ieden Tache (70)), teilweise
gar bei Hauptwörtern, die nicht einmal im Genitiv ein –es haben (versrauliche Fraue
(21), Fraindinne (6)).
3.2.2 Apokopen / Synkopen
Morphologische Verkürzungen treten dreimal so häufig auf wie Buchstabeneinfügun-gen.
Im vorliegenden Material gibt es einige ‚e‘-Auslassungen (äuern (1), widrum (3), andern
(56, 57), besre (74)), von denen die meisten im 19. Jahrhundert durchaus noch erlaubte
Variationen darstellten. Häufiger sind jedoch Buchstabenauslassungen im In-laut, die
teilweise aufgrund der Flüchtigkeit des Schreibens (Gechiben (4), cheschrben (89))
entstanden, teilweise auf mundartlichen Assimilationen und Verschleifung basieren. So
gibt es eine Tendenz zum n-Schwund (legeren (6), trik Wasser (44) etc.), zur Auslassung von ‚ch‘ (Hozaitz (25), nohmer (25), nomal (51)) und vereinzelt auch von ‚l‘
(waihir (30), Anchstich (32)), ‚d‘ (Abens (39), Schwinlich (43)), ‚r‘ (Heschaft (62)), ‚w‘
(aufarden (58)), ‚t‘ (habsehchlich (59)) und ‚st‘ (Dinboten (67)), wobei hier nicht immer
klar zu urtei-len ist, ob es sich nicht doch um Flüchtigkeitsfehler handelt. Apokopen treten relativ sel-ten auf, sind aber durchaus vorhanden. Die ‚e‘-Apokope tritt in der Verb-
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Sprachliche Analyse, Seite 20
form der ersten Person Singular (verdien (35), hab (89)) sowie in Substantiven (stund
(8)) auf. Die Apoko-pierung des auslautenden ‚t‘ ist erstaunlich selten (nich (47)),
obwohl im Westfälischen zur Vermeidung einer Konsonantenhäufung in der Endung der
dritten Person Plural in der Regel nach ‚t‘, ‚p‘, ‚k‘, ‚f‘, ‚ch‘ und ‚s‘ apokopiert wird. Weitere
Buchstabenauslassun-gen (lann (4), seh (29), anfange (32), habe (83)) lassen sich als
Flüchtigkeitsfehler kate-gorisieren. Kontraktionen lassen sich am vorliegenden Material
nur schwerlich studieren, da im Rahmen der Zusammen- bzw. Getrenntschreibung so
zahlreiche Fehler gemacht worden sind. Heute gängige und regelhafte Verschleifungen
bzw. Kontraktionen, die zu zusätzlichen Fehlern führen, sind in Kleinegesses Briefen
ebenso zu finden (bam [beim] (10), brinz [=bringt’s] (13)) wie zahlreiche normwidrige
Zu-sammenschreibungen, bei de-nen allerdings nur selten Buchstaben ausgelassen werden.
3.2.3 Kasusdifferenzierungen
Im vorliegenden Material lassen sich im Bereich der Kasusverwendungen zwar keine
häufigen Fehler bezüglich der Umschreibung des Genitivs nachweisen – obschon dieser
Kasus im Westfälschen komplett ausfällt , finden sich einige, wenn auch schwerfällige
Genitivkonstruktionen im Text – allerdings ist die zweite große Gebrauchsbesonder-heit,
die Ersetzung des Dativs durch den Akkusativ, festzustellen. „Diese Variation galt zwar
im 19. Jahrhundert nicht als grammatischer Zweifelsfall der Standartsprache, war aber in
der mündlichen Kommunikation üblich, so daß die regionalen, temporalen und sozialen
Merkmale und Entwicklungen in der gesprochenen Sprache zur Erklärung der Verwen-dung
im schriftlichen Bereich mit herangezogen werden konnten“ (Schikorsky 1990, S.299). So
gibt es Formulierungen wie mit den Grösten Rechte (12), der [...] die Mutter sohvil Gelt
schon cheschikt hatte (15), ven hir den Man die Frau nicht chefällt (33), sih könen sih
hir [...] nicht befehlen (67), das ich [...] bei sihblaibe (73), werde ich mich eine
armerikanische Herschaft nemen (75), ich habe maine Nichte [...] cheschrben (89); bai
ihre Schwester [...] blaiben (10). Auffällig ist, daß zumeist nicht die Substantive selber,
son-dern ihre Begleiter, Pronomen und Artikel, im falschen Kasus stehen. Diese
Kasusunsicherheit tritt auch umgekehrt im Akkusativ auf: Schwester, vur der er soh willes
getahn hatte (16); Grußet [...] alle maine Freunde und Bekande (54); ihr [...] habt mir
um ains anchehalten (49); was mir nützlichmacht (61). Somit wird deutlich, daß „Da-tiv
und Akku-sativ [..] häufig im Zuge einer formalen Vereinigung zusammen“ gehen
(Niebaum 1977, S.65). Die meisten Fehler treten bezüglich der Verwendung der Personalpronomen der ersten Person Singular auf. Diese fehlende Trennschärfe findet Begründung „in den Ein-heitsformen beider Kasus in den niederdeutschen Mundarten“
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Sprachliche Analyse, Seite 21
(Schikorsky 1990, S.301), da hier das „Personalpronomen der 1. und 2. Pers. [...] Zusammenfall von Dativ und Ak-kusativ“ (Niebaum 1977, S.64) zeigt (???). Insgesamt sind
die Fehler sehr viel seltener als für das Westfälische angenommen – allgemein gilt, daß
der Kasusbereich die „Spitze der mundartlich bedingten Normverstöße“ (Niebaum 1977,
S.66) ausmacht. Weitere Ka-susfehler treten im Zusammenhang mit Präpositionen auf (in
mindesten (12), an allerbe-sten (76), in Oktober (87)). Das liegt daran, daß die „Präpositionen in der Mundart teil-weise andere Kasus [regieren]. Differenzen sind auch in
Bedeutung und Verwendung festzustellen“ (Niebaum1977, S.72). Hier allerdings sind die
semantischen Inhalte mit denen der Hochsprache in den meisten Fällen gleichzuset-zen ,
lediglich der richtige Kasus wird verfehlt.
3.2.4 Pluralbildung
Die Pluralbildung in den Briefen Elisabeth Kleinegesses ist nahezu fehlerfrei. Immer wieder taucht jedoch die Anrede ‚chelibte Schwester und Brüder‘ auf, die einerseits den Plural von ‚Schwester‘ nicht bezeichnet und andererseits inhaltlich unstimmig ist, da nur ein
Bruder, Heinrich, adressiert wird. Da sich ebenso Gegenbeispiele finden lassen, bei denen die korrekte Pluralbildung gelingt (Schwestern (76, 55, 18)), wird hier sehr deutlich, daß es sich um eine oft gehörte Phrase (wahrscheinlich aus der Kirche) han-delt,
die unreflektiert übernommen wurde. Ansonsten findet sich im vorliegenden Brief lediglich der unkorrekte Plural Mans (28), der zwar niederdeutsch motiviert ist , aber auch
nicht zu den geläufigen «falschen» Pluralen des Wetfälischen gehört.
3.2.5 Genusdifferenzen
Genusdifferenzen sind im vorliegenden Material selten. Lediglich an vier Stellen wird das
grammatikalische Geschlecht nicht richtig erkannt: ein daische und Gutte Heschaft (62),
ein Großes Trauer (21), aine bar Tage (17), der Trauer (18) . Eine Erklärung fällt hier
schwer, spekulativ ließe sich aufgrund der geringen Abweichungszahl davon ausgehen,
daß es sich hier um Flüchtigkeitsfehler handelt.
3.2.6 Konjunktionen: als – wie
Auffällig im Bereich der Konjunktionenverwendung ist lediglich, daß die vergleichende
Konjunktion ‚als‘ relativ selten gegenüber der Verwendung von ‚wie‘ auftritt. Diese ist
nach heutigem Urteilen in manchen Fällen regelwidrig (chelegender wie den andren (71),
schöner wider andre (71), länncher wie (85)), für die Entstehungszeit des Briefes aber
nicht erstaunlich, da „sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Regeln für die Verwendung der Konjunktionen ‚wie‘ und ‚als‘ in ver-gleichender Funktion“ (Schikorsky 1990,
S.266) ganz wesentlich veränderten. Obwohl manche Theoretiker das verglei-chende
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Sprachliche Analyse, Seite 22
‚wie‘ als spezifisch norddeutsch auswiesen, ist wohl eher davon auszugehen, daß die
allgemeine
Verwirrung
während
des
Regelum-bruchs
und
die
Verwendung
gleichberechtigter Formen zu einer „Phase grammatischer Überkompensation [...], in der
‚wie‘ auch in Fällen gesetzt wurde, in denen ‚als‘ regel-konform gewesen wäre“ (Schikorsky 1990, S.268).
3.3 SYNTAX
3.3.1 Satzgefüge, Satzanschlüsse
Der Versuch, die Syntax der vorliegenden Briefe zu untersuchen, gestaltet sich schon
allein wegen der mangelhaften Interpunktion als schwierig. Sätze sind nicht als solche
gekennzeichnet und auch die Groß- und Kleinschreibung gibt keinen Aufschluß über
intendierte Satzanfänge. Um allerdings zu weiterführenden Aussagen kommen zu können, ist der Text segmentiert worden in die kleinstmöglichen Satzeinheiten, wobei Nebensätze in Abhängigkeit der entsprechenden Hauptsätze betrachtet werden . Das Niederdeutsche fügt „seine Sätze im allgemeinen nicht nach dem Prinzip der Unterordnung,
sondern nach dem der Beiordnung zusammen“ (Niebaum 1977, S.90). So finden sich im
vorliegenden Brief etwa 60 nebengeordnete unabhängige Sätze gegenüber ca. 40 Fäl-len,
in denen ein (oder mehrere) Nebensätze vom Prädikat des Hauptsatzes abhängen und
diesem untergeordnet sind. Die Unterordnung und Verschachtelung von Sätzen ge-lingt
aber dennoch, auffälligerweise vor allem zu Beginn des Briefes. Die Mehrzahl der
untergeordneten Sätze sind Relativsätze oder mit ‚daß‘ angebundene Objektsätze. Für den
Bereich der Relativpronomina gilt, daß die Schreiberin zumeist die heute gängigste Form
verwendet: ‚der‘ und ‚die‘, teilweise mit Präpositionen verbunden, schließen in über 50%
Prozent der Fälle den Relativsatz an, während Relativa wie ‚was‘ (27, 61, 30) und ‚wo‘
(43, 44, 34, 39) selten sind. Das Relativpronomen ‚welcher‘ kommt gar nicht vor. Außer
den genannten treten vor allem Nebensätze mit kausaler und konditionaler An-bindung
auf. Die verwendeten Konjunktionen variieren kaum. Einerseits gilt zwar: „Da in den
Dialekten weniger Varianten zur Verfügung stehen, um syntaktische Abhängigkeitsverhältnisse semantisch auszudrücken, übernehmen einige Konjunktionen zusätzliche
semantische Rollen, die von den Zuweisungen der Standardsprache abweichen“ (Schikorsky 1990, S.301); andererseit sind hier die Konjunktionen fast ausschließlich (hochsprachlich-) korrekt, d.h. regelkonform verwendet worden, der semantische Inhalt entspricht dem heutigen und weist keine Besonderheiten des 19. Jahrhunderts auf.
Den-
noch ist die geringe Abwechslung im Konjunktionengebrauch auffällig: Hauptsätze werden zumeist durch koordinierende Konjunktionen wie ‚und‘, ‚aber‘, ‚denn‘ und ‚dann‘ eingeleitet, kausal angebundene Nebensätze durch ‚weil‘, Konditionalsätze mit ‚wenn‘. Be-
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Sprachliche Analyse, Seite 23
trachtet man die normwidrigen Satzgefüge, so ist auffällig, daß es eine Tendenz zu elliptischen Konstruktionen gibt, vor allem zu Prädikatsauslassungen (Sätze 15, 24, 47) und
Subjektauslassungen (Satz 38). Allerdings gibt es auch einige schwer verständliche
Satzanschlüsse wie z.B. dahmit inder (Satz 30), was wahrscheinlich als Konzessi-vanschluß geplant war, oder die Verwendung von ‚daß‘ anstelle einer modalen / instrumentalen Konjunktion (Satz 49) und von ‚die‘ anstelle der Konjunktion ‚denn‘ (Satz 95).
Letztere ist wohl als Flüchtigkeitsfehler zu bewerten.
3.3.2 Verbformen und Subjektauslassungen
Untersucht man die Verbformen im vorliegenden Brief, so wird deutlich, daß der Umgang
mit Tempora und Modi relativ sicher ist. Es finden sich Formen im Präsens (‚ich fühle
mich‘ (3)), Perfekt (‚ich habe gesehen‘ (2)), Präteritum (‚sie wollte bleiben‘ (9f)), Plusquamperfekt (‚sie war gekommen‘ (6)) und Futur (‚ich werde nehmen‘ (75f)). Präteritum
und Perfekt gehen – wie in der Sprechsprache – oft ineinander über und sind funktional
kaum voneinander abgegrenzt. Beide Modi, Indikativ und Konjunktiv (‚ich hätte geschrieben‘ (4)), treten auf. Auch das Passiv ist als Genus verbi bekannt (‚hier wird gemacht‘
(57f), ‚hier werden gesucht‘ (65)). Vor- und Nachzeitigkeiten sind zumeist korrekt ausgewiesen, der Konjunktiv wird als Irrealis bzw. Potentialis (Konjunktiv II), aber auch als
Optativ (Konjunktiv I) beherrscht, wobei der Konjunktiv II auch anstelle des Konjunktiv I
vorkommt (das er Fil Gelt hätte (31)). Auch die immer wiederkehrenden Imperative sind
korrekt. Die im Westfälischen häufige Apokopierung des auslautenden ‚t‘ in der dritten
Person Singular Präsens ist kaum zu finden und auch die „pluralischen Einheitsendun-gen
im Präsens und Präteritum“ (Niebaum 1977, S.81) kommen nicht vor. Inkorrekte
Verbformen finden sich an zwei Stellen: maine Herschaften siht in vür ainen Braffen Man
an und sacht (31); Grüßet in Fillmahl und sachen im (51). Im ersten Fall wird der Plural
nicht erkannt, da die ‚Herrschaften‘ als eine Institution begriffen und somit Singularformen gesetzt werden. Die Unterscheidung zwischen starken und schwachen Verben ist
fehlerfrei.
Häufiger ergeben sich Fehler durch syntaktische Normabweichungen, d.h. Auslassun-gen,
Inversionen und Subjekt-Objekt-Vertauschungen aufgrund veränderter Satzplanun-gen. So
gibt es inhaltliche Auslassungen bzw. Ungenauigkeiten (sih brinz auch richtech werdich
(13) – was?), Satzumplanungen, die zu falschen Verbformen führen (das saine 2
Schwestern irst ihren so Jugen Bruder mit 23 Jahre alt wilaicht durch ihre schullt under
der Erte Ruen mus (18f); elliptische Sätze und Auslassungen des Verbs (Junche
Färlassende Frau Baider das Laide cheschrai durch aus kan ende nemen wollte [?] soh
denkt nur (20); was den aichentlich mit den Mans zu duhn [sei / ist] (28); der seh
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Sprachliche Analyse, Seite 24
kluchist und Enchlisch Schbrechen und Schreiben [kann] (29); und [ich bin] dennoch die
dride Klasse che-faren (38f); das ich aich nicht umsonst cheschriben [habe] (46); wie
man [es] bei euch [muß] (66); wen hir der Dienstbote auch char kaine Ursache [hat]
(68); man [kann] hir hir ieden Tache wohl 100 Dienstekrigen (70); wen ihn der Libe Gott
am Le-ben läst [und er] dan in seinen alten Dachen nicht mehr soh laufen [kann] (78f)).
Satzum-pla-nungen wer-den auch durch die Wortwahl deutlich: ihre Schwester dih sich
sont nichz aus ihre Schwester dah sih nah in Taischland war bekümert hate (10f) . Inversive Satzstel-lungen gelingen teilweise und sind im 19. Jahrhundert noch regelkonform
(Schwester wen ihr sohltet dihsen Sommer gelegenhait habe und Gutte Raise bechlaiders
Krichen könnt (82f); aber ich will aire Bitten verfolben und Schiken aich 2 mahl main
Bilt (49)), führen aber ebenfalls zu Fehlern: und wer hir etwas sbaren wihl sich ainige
Zait ain schönes vermögen haben kan (78), anstatt: ‚und wer sich hier etwas sparen will
kann (in) einige(r) Zeit ein schönes Vermögen haben‘. Auch sind völlig unver-ständliche
Kon-struktionen vorhanden: Dan haben wir einen Strosak haben (41); wohman sich in
Bre-chen ein (43); das ermich die Letztezait mit das ich auf der Reise soh main Schones
aus-kommen chehabt (51f); wen sih verbesern kann soh mus man nicht saimen (86).
Diese Ungenauigkeiten in der Satzkonstruktion beweisen ein weiteres Mal die Nähe zur
gesprochenen Sprache. Die Satzplanung wird nicht vor dem Schreiben gemacht und gilt
dann als verbindlich, vielmehr ist sie variabel, stets veränderbar. Daß dies zu falschen
Verbformen, elliptischen Sätzen und zweifelhaften Bezügen führt, liegt an der Ungewohntheit des Schreibens sowie an fehlender Konzentration und Flüchtigkeit.
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Resumée / Schlußbetrachtungen, Seite 25
4. Resumée / Schlußbetrachtungen
Durch die Kontextualisierung und Einordnung des Materials konnte die Schreiberin der
vorliegenden Briefe bezüglich ihrer sozialen Schicht, ihrer Bildung, ihrer Motivationen
und ihrer durch die Inhalte der Briefe offenbar gewordenen Persönlichkeit charakterisiert
werden. Sicherlich ist sie «nur» eine von vielen Tausenden, die ihre Hoffnungen an das
«Land der unbegrenzten Möglichkeiten» banden und den Weg über das Meer wagten, das
amerikanische Leistungsideal beherzend. Die Benachteiligung der unteren Schich-ten, der
oftmals zur Auswanderung geführt hat, spiegelt sich in den Briefen wieder, wo-bei der
Schriftgebrauch allein schon von mangelhafter Schulbildung und ländlich-mund-artlicher
Prägung zeugt. Und dennoch darf die sprachliche Analyse nicht vergessen, daß sich viele
Normierungen des Schreibens gerade erst im letzten Jahrhundert (oder gar später)
fanden und durchsetzten. So kann es nicht darum gehen, «Fehler» der Schreibe-rin zu
korrigieren, sondern die Gründe, die zu Normabweichungen führten, zu durch-leuchten.
Daß die Abweichungen in der vorliegenden Arbeit recht gut kategorisiert wer-den
konnten, beweist die «Regelmäßigkeit» der stets ähnlichen, wiederholten Fehler – als sei
die Schreiberin zwar nicht dem gerade aktuellen und offiziellen Regelwerk ver-pflichtet,
doch aber dem eigenen, vereinfachenden, das sie relativ konsequent durch-setzt. Schon
hier zeigt sich ihre Fähigkeit zur Organisation, ihre Unverfangenheit und ihr Mut, die
Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Elisabeth Kleinegesse war aohl weder im Leben
noch im Schreiben eine Zweiflerin – hyperkorrekte Schreibungen sind beispiels-weise
eher selten, Verbesserungen zeigen die Originale kaum.
Daß die Briefe der Elisabeth Kleinegesse spannende Zeitdokumente sind und hervorragendes Forschungsmaterial darstellen, ist in der Analyse immer deutlicher geworden. Die
Tatsache, daß die Normabweichungen innerhalb des phonetisch-orthographischen
Bereichs so zahlreich sind, morphologische und syntaktische Regeln aber weitgehend
beherrscht werden, weist darauf hin, daß es vor allem an mangelnder Schulbildung und
«standesgemäßer» Ungewohnheit des Schreibens lag, daß Elisabeth Kleinegesses Briefe
so fehlerhaft scheinen. Die Versiertheit, mit der sie über politische, ökonomische und
private Dinge berichtet, zeichnet sie als eine außergewöhnliche Frau des 19. Jahrhunderts aus, deren Zielstrebigkeit und Mut sie – bedenkt man ihre Herkunft und Mittel –
zu gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Erfolg führte.
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Literaturverzeichnis, Seite 26
5. Literaturverzeichnis
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Stefan (Hrsg.): Beiträge zur Volks- und Hausforschung 2. Detmold 1987. S.145-150.
Die Glocke (Westfälische Tageszeitung). Gütersloh 18-20.03.88 / 08-10.04.88
Grewendorf, Günther / Hamm, Fritz / Sternefeld, Wolfgang: Sprachliches Wissen. Eine Einführung in
moderne Theorien der grammatischen Beschreibung. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993.
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Moltmann, Günter: Charakteristische Züge der deutschen Amerika-Auswanderung im 19. Jahrhundert. In:
Trommler, Frank (Hrsg.): Amerika und die Deutschen. Be-standaufnahme einer 300jährigen
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Niebaum: Westfälisch. Reihe: Broch, Werner / Löffler, Heinrich / Reich, Hans H. (Hrsg.):
Dialekt/Hochsprache – kontrastiv. Sprachhefte für den Deutschunterricht. Düsseldorf: Schwann 1981.
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Schikorsky, Isa: Private Schriftlichkeit im 19.Jahrhundert. Untersuchungen zur Ge-schichte des alltäglichen
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Weber, Ulrich: „...ich mus jetz immer hochdeutsch sprechen, den hir können sie kein platdeutsch“
Niederdeutsch in Briefen deutscher Amerikaauswanderer. In: Goossens, Jan (Hrsg.): Niederdeutsches
Wort. Beiträge zur niederdeutschen Philologie. Bd.35. Münster: Aschendorff 1995. S.265-284.
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1994.
Ernst, Robert: Immigrant Life in New York City, 1825-1863. Port Washington, NY: Friedman, 1949.
Bretting, Agnes: Frauen als Einwanderer in der Neuen Welt: Überlegungen anhand einiger Selbtzeug-nisse
deutscher Auswanderinnen. In: Amerikastudien 33 (1988). S 319-327.
Dösseler, E.: Die Aus- und Einwanderung Westfalens. In: Westfälische Forschungen 19/1966). S.161-166.
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Anhang, Seite 27
6. Anhang
6.1 EXEMPLARISCHER ANALYSEBRIEF
Näiuork den 15.März 1860
1. 1Filchelibte Schwester und Brüder äuern Libensverdten Brif habe ich schon sait 3 Monnaten und
2. habe mich dahrüber sehr er Fraid und habe chesehen das ihr noch allerecht Gessund und
3. munder ward 2aber irst (ver) Fülle ich mich widrum sehr verflichtet an aich mine liben ainige Zäilen
4. zu Schräiben 3ich hätte aich schon lann chern Gechiben 4aber maine umstende haben mich immer
5. davon zurük chehallten, 5den ich habe wärent der zaid sehr vilnaies erleben müsen 6den mäine
6. Fraindinne die mit mir über die Seh chekommen war wofon ich aich in legeren Brife von chesacht
7. habe die schult war das ich in Naiork chebliben bin bai desen Bruder ich in Dinst chekommen bin
8. die hat mich Schnel Ferlasen weil sih auch noch eine Schwester aine stund weges von Naiork
9. wohnen hate die chiwis sehr Raich ist wail sih äinen Schifkabiten chehairatet hat 7soh wollte si dah
10. liber bai ihre Schwester als bam Bruder blaiben 8und ihre Schwester dih sich sont nichz aus ihre
11. Schwester dah sih nah in Taischland war bekümert hate und der Allten Mutter kaine unterzüzuch
12. nicht in mindesten cheschikt hatte drit irst mit den Grösten Rechte auf ihre Schweder ihrem Bruder
13. zu nemen 9und sih brinz auch richtech werdich 10und main Her ein ser Herz libenter man der doch
14. wür die Schwester 150 Taller bares Gelt nach Taischlant cheschikt hate um saine Schwester
15. baisich zuhaben und die Mutter sohvil Gelt schon cheschikt hatte muste irst mit Verdrus sehen
16. das im saine iüngere Schwester vur der er soh willes getahn hatte soh untankbar war 11und soh hat
17. er sich soh sehr erchrämd darüber und wurde aine bar Tage krank 12und soh schit er den fonuns in
18. die andere Welt 13der Trauer war Sehrchros 14ihr könnet aich denken das saine 2 Schwestern irst
19. ihren so Jugen Bruder mit 23 Jahre alt wilaicht durch ihre schullt under der Erte Ruen mus 15undie
20. Junche Färlassende Frau Baider das Laide cheschrai durch aus kan ende nemen wollte 16soh denkt
21. nur das das alles vür mich auch ein Großes Trauer war soh maine Gute versrauliche Fraue zu
22. verlasen und mainen soh libenten Hern soh schnel zu verlassen 17aber irst haben wir uns alle wider
23. ehrholt 18ich habe schon wieder einen Hern bekommen weill die Frau nicht gut lahnge widwe sain
24. konnte 19soh haben wir schonwider Hochzait chehabt 20ich habe ain schönes Trauer Kleit und ein
25. schönes Hozaitz Kleit in 6 Monnaten chekricht und nohmer 21ich selbit hätte Schonbalt Gehairatet
26. 22aber mit mainer Hochzeiz wil ich erst noch warten 23den vail hir in ammerika die vorsicht ser chros
27. sain mus soh will auch ich vorsicht brauchen und wil warten und noch vorschen was den
28. aichentlich mit den Mans zu duhn 24er war als Laden Diner hir ain sehr neder und anchesehheder
29. Man ain Hannoferraner der seh kluchist und Enchlisch Schbrechen und Schreiben 25und das Gelt
30. was in Ammerika sehr Falsch rechirt waihir alles vil auf betruch anchet das kent er sehr chenau
31. 26und maine Herschaften siht in vür ainen Braffen Man an und sacht das er Fil Gelt hätte und auch
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Anhang, Seite 28
32. ainen Laten anfange Fil 27ich abber mache mich Anchstich vür die Heiraderei wail man soh vielle
33. unchikliche Ehlaite hat 28ven hir den Man die Frau nicht chefällt soh cheter derbai vort 29und und
34. kainer kann wissen wohin oder woher sih sich herum draiben 30dahmit inder chibz auch sehr chutte
35. Menschen 31doch ich vil mit mainer Harat noch noch warten 32den ich hab noch zait 33ich verdien
main
36. Schönes Gelt 34ich hab main Schivschelt schon lanche wider verdind 35den maine Raise von Haus
37. aus bis hir in Naiork hat mich unchefer 54 Tahler chekostet 361 Tahler 23 Silberchroschen hat maine
38. Kiste und maine bersohn von Gütterslo bis Bremmen chekostet 37das ist doch sehr Billich 38und
39. dennoch die dride Klasse chefaren. 39Abens 6 ur waren wir schon in Bremmen 40dan haben wir aine
40. Nacht in Bremmen cheschlafen 41das abent Essen hat ainen ieden 17 Silberchroschen gekostet.
41. 42Dan haben wir einen Strosak haben 43ieder hat einen ieden auch 17 Silberchroschen chekostet
44und
42. etwas Blek cheschir hat man dan noch haben müssen und Trinkcheschir Blekerne Zukertosse und
43. blekerne Nachtcheschir wohman sich in Brechen ein weil sich ein ieder etwas Schwinlich und
44. Übel vült und dan noch ein Blechern Wasserkruch womman trik Waser ain dut 45das mit ainander
45. kostet 12 Silberchroschen Schifschelt 51 Tahler 46das miteinanter kommt sich auf 54 Taler 47irst habe
46. ich aich alles chans chenau geschriben in der Hofnuch das ich aich nicht umsonst cheschriben
47. 48den ich denke das ihr mich nich soh chans allain in Amerika lasset 49libe Schwester und Brüder ich
48. will aich doch eine kleine Fraide machen das ich aich main Bilt Schike 50und ihr maine Schwester
49. habt mir um ains anchehalten 51aber ich will aire Bitten verfolben und Schiken aich 2 mahl main Bilt
50. und Bitte aich zuchlaich das ihr doch das das aine mainem Liben Bruder Heinrich cheb en
51. Möchtet 52und Grüßet in Fillmahl und sachen im doch nomal Herzlich Tank das ermich die Lestezait
52. mit das ich auf der Raise soh main Schones auskommen chehabt 53und Grüsset villmall saine
53. sohlibe Frau 54und Grußet von mir Besohnders mainen Unkel Heitrek und den Hern Bastor und soh
54. alle maine Freunde und Bekande
55. 55Filchelibte Schwestern und Brüder ich bin Gott seidank noch recht chesunt und Munter 56aber irst
56. habe ich einen andern Dinst anchetreten 57den hir ist das soh 58hir kann man ieden Monnat einen
57. andren Dinst haben 59und man mus auch erst alle arbait erst Lernen 60den hir wird alles etwas anders
58. gemacht 61den beider ersten Herschaft dahabe ich Schruben und Kochen und bai Tische aufarden
59. missen 62und hir mus man habsehchlich Kochen Waschen und Bügeln 63alsoh das Waschen und
60. Bügeln das konnte ich baider ersten Herschaft nicht Lernen können 64aber baidiser Herschaft lerne
61. ich auch das was mir nüzlichmacht 65ich wirdihne hir auch nur 7 Thaler wail ich noch Lernen mus
62. 66ich bin erst im Merst hir hin chekomen und habe wider ein daische und Gutte Heschaft bekomen
63. 67aber wen ich erst mit dem Waschen und Bügeln durch bin dan kann ich vilmer verdinen 68dankan
64. man hir den Monnat 8 bis 9 Taler allenthalben haben nur wen man sachen kann ich kann alle
65. Arbeit 69den die dinstmetchen werden hir soh sehr chesucht 70hir braucht man sich nicht alles
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Anhang, Seite 29
66. chefallen lassen wie man bai aich 71und das wissen die Herschaften auch recht chut 72hir wacht sich
67. kaine Herschaft ainen Dinboten edwas chrob zubehandeln 73den sih könen sih hir durch aus nicht
68. befehlen das sie Blaiben sohlen wen hir der Dienstbote auch char kaine Ursache weswechen
69. ernicht blaiben vil 74wens mir hir nicht chanz chut chefählt soh kann ich chehen zu iederzait 75und
70. man hir hir ieden Tache wohl 100 Dienstekrigen 76den ainen komt man noch chelegender
71. wie den andren 77und der aine Dinst ist alle noch schöner wider andre 78Gelibte Schwester und
72. Brüder ich Bitte aich Schraibet mir doch recht balt wider 79den hir beidihser Herschaft chefalts mir
73. nicht soh sehr 80ich bin willens das ich unter 2 Monnete bai sihblaibe alsoh Marz und Abril dih 2
74. Monnate 81den ich kann schon irst wider andre besre Herschaften krigen und mehr Lohn haben 82und
75. wail ich schon etwas Enchlisch sbrechenkann soh werde ich mich aine armerikanische Herschaft
76. nemen 83den beiden hat mans doch noch an allerbesten, 84Liebe Schwestern ihr Schraibet mir in den
77. vorigen das ihr noch auch mal kommen wohltet 85und ihr Glaubt nur das man hir sehr laicht ans Gelt
78. komt. 86und wer hir etwas sbaren wihl sich ainige Zait ain schönes vermögen haben kan 87und wen
79. ihn der Libe Gott am Leben läst dan in seinen alten Dachen nicht mehr soh laufen wie es baiaüch
80. der val ist soh lanche wider Arme stehen kan mus er arbaiden. 88Das siht man doch hirnicht 89hir sind
81. kaine auschaben 90hir Brauchen die Eltern wür ihre Kinder kain Schul Gelt zuzahlen 91hir krigen
82. sochar die Bücher noch cheschenkt 92das sai Reich oder armes kind 93vilchelibte Schwester wen ihr
83. sohltet dihsen Sommer Gelechenhait habe und Gutte Raise bechlaiders Krichen könnt soh
84. würchtet aich nicht zukomen 94Schraibt mir iah erst balt wieder dahmit der Brif mich doch baidiser
85. Herschaft nach andrefe 95diehir Blaibe ich nichz länncher wie 2 Monnate 96den wen sih verbesern
86. kann soh mus man nicht saimen 97den iemer man verdihnen kann ie liber 98es ist hir in Naiork recht
87. Gesunt 99die Luft ist uncheferh soh wie baiaich 100es war in Oktober schon Schne chenuch hir und ist
88. auch iest noch immer kalt 101doch immer blaibe ich nicht hir 102ich werde noch mahl waider ins Land
89. machen 103ich habe maine Nichte in sänsinnatie noch nicht cheschrben 104ich hab ihren namen nicht
90. recht chekant 105den namen Schreibt mir.
(1437 Wörter)
6.2 TRANSKRIPTIONEN
Brief 1
Naiork den 21. August 1859
Filchelibte Schwestern und Bruder ich erchreife die Feder – an Aich zu Schreiben um aich
Maine Fraide und Zufridenhait und Glük mit zuteilen die mir inder Fremde zu
teilcheworden ist. Den ich bin imchanzen nur 17 Tage auf der Raise chefesen und habe
nur 1 Tach Sekranhait chehabt wobei ich nicht das Esen sainlassen konte Den auf den
Schive bekam man zimlich chutes Essen Das Brot wurde almal auf 8 Tage aus cheteilt Dan
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Anhang, Seite 30
chabes des Morgens und des Abens Te oder Cafe, dabei brauchte der Zucker nicht bethar
werden 10 ur chabs wol mal Bulion oder Herich es chab auch wol mal wain des Mittachs
chabs subbe und Katofeln und Butich. und Flaisch so fil wie ain ieder nur haben wolte
und das war sehr chutes Esbarbares Flaisch. Wir haben auf dem Schive recht
Filferchnügen chehabt Mussik Tanzen und Sihngen welte nicht darauff es waren darunter
wol lange Sekranke aber doch wenige Toten uns waren andi 7 100 Siben Hundert Man,
auf dem Schive, wovon doch nur 1 Toter war. Den haben wir nach 2 Tagen vor den das
wir von dem Schive kammen in die Seh bechraben Das war ein Reicher man und ein Alter
Man und soh sint wir am Montache Nachmitach um 3 ur ans Lant chekomen Die Fraide
war sehrchros Dan wurden wir mit derchrösten Fraintlichkait in ain Grosses Haus chefürt
woman im ente selich Bleiben konte auch die Amerikaners kamen uns dan mit der
chrösten Fraintlichkeit zufor nun über Nachteten wir dan alzusammen am andern Morgen
wurden dan unsre Kisten chewochen und das Aissenbans Gelt dan zur Waider Raise auch
bezalt auch ich wolte wichesacht nach Sensinätie Reisen nun. Die Aissen ban chinch erst
am abent 6 ur ab. Des Tages kamen dan recht ville Herschaften um Metchen zuhaben
doch keiner wolte in Naiork bleiben. Dan war ich mit ainem Metchen auf den Schive
bekantcheworden die einen Bruder in Naiork Wonnen hate, ain sehrnete Brafefraue und
Gottes vüchtige Berson, sie Ferlis uns chlaich den ersten Abent als wir ans Land kammen
Den ihr Bruder stant schon am rade um sih in emvanchzunemen. Er ist aun ser Raicher
Man chat aine ser iunge und Brafe Frau Nun am antren Tage kam sie wieder nach uns mit
ihrem Bruder und dessen Frau wail sih sich noch nicht chut von uns trennen konte den
sih war char zichutes Herzen. Sih brachte allerhant cheschenke mit um uns dan enlich zu
verlasen weil sin imer von uns chehorhate das wir waider wolten. ihr Bruder der sochern
ain daisches Mechen haben wolte machte einen antrach ob den keiner von uns baiim
bleiben wolte ich sachte ia ich wolte wolbei im bleiben abber er wehre vast unmöchlich
Den das Aissenbans Gelt wäre schon vür mich bezalt und ich Glaubte Die zurühbezahluch
würte mir voleivht chelingen nun er tat nun sain Möchliche und es Gelanch im das ich
main Gelt widerzurük bekam und ich solte mich nun drenn von meinen Reisechefärten Si
aber Schbrachen mir allezu warum ich nun nicht mit ihn Raisen wolte ich aber in der
Sicherheit das ich eine Gutte Kristliche und daische Herschaft bekommen würde so
drente mich toch von ihnen und blib in Naiork woh ich nun meine Fraiden Fraien kan.
Das woh in ich wohne ist ain Wirzhaus ieden Abent ist dan Ball woh den sehr Anstendige
cheselschaft kömt meine Arbeit ist Haus Reinigen Disch aufwarten und Kochen helfen ich
verdine des Monnaz 7 Tohlarh das ist nach airem Gelte unchefehr 10 Tahler den ein
Tohlarh ist 1 Tahler 11 ½ Silberchroschen und ven ich nun erst länger bei ihr chefesen
bin soh bekomm ich noch mer ich bin sehr sufriden Des Nachmitachs 2 ur habe ich maine
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Anhang, Seite 31
Arbeit chetan Des Abens 5 ½ Ur wirt wider chechessen Dan haht man die Schüsel eben
zuwaschen dan folt wider der langer Abent woman vür sich arbeitenkan Oh wie Fraie ich
mich das ich Taischlant verlasen habe und nur Frisch die Reise anchetreten habe den die
halbe Arbeit hat man hir wie chegen in Taischlan hir wirt man noch cheachtet wie ein
Mensch hir essesn de Hunde weid beser wie bai aich die Mensche hir ist das beste Weis
Brot und Zukerkuchen das chefönichlichebrut mer wie 10 der Schbeisen werden hir auf
der Dafel chebracht und man kan Esen was dafon das Herz verlanch ich Ese irst besere
Schbeisen wie in Taischlant die Raichsten Heren und Schmekt mir noch chut nicht wie es
bei aich so ist Der Amerikaner Schbeisen Schmektnit ich binnoch recht Gessunt und ich
hoffe das mei Schriben aich bei chutter Gesuntheit antreffen werde Gelibte geschwistern
ihr habt mir traurich Ferlasen doch dröstet aich denich hofe das wir uns doch noch
widersen und hir in Armerika, ich sache aich in warhait ich bin vom Esel auf ein Schoene
frei Pfert chestichen ich hatte mich in Taischlant alles Bösse verchestelt und habe alles
Gutte emwangen Filchelibte Schwestern ich wüschte ihr färet hir den Du meine Schwester
Katrina bist eine cheschickte Nährin und die Nährinne werden hir nicht 10 chesucht
sondern Hunderte wen sih nur Knofblöcher, Raifröke oder sonst etwas Nähenkönne
Kleider macheherinnen können des Monnaz wol 20 bis 30 Tohlahr haben und du meine
Schwester marie brauchst dich für 12 Thaler die kant du hir in Naiork in ainem Monnat
haben Metches werden 1000 Gesucht. Alles welche lust haben nach amerika die Möchten
sich doch nicht lange betenken den ich schreibe aich keine Lügen wer was verdinen wil
und noch arbeiten kan der bedenke sich nicht lange Schreibt mir doch balt wider Grüset
vonmir alle das Babir febittet mir daschriben Lebet alle recht wohl
Liebe Elisabeth
Brief 2
Naiork den 15. März 1860
Filchelibte Schwester und Brüder äuern Libensverdten Brif habe ich schon sait 3
Monnaten und habe mich dahrüber sehr er Fraid und habe chesehen das ihr noch
allerecht Gessund und munder ward aber irst (ver) Fülle ich mich widrum sehr verflichtet
an aich mine liben ainige Zäilen zu Schräiben ich hätte aich schon lann chern Gechiben
aber maine umstende haben mich immer davon zurük chehallten, den ich habe wärent
der zaid sehr vilnaies erleben müsen den mäine Fraindinne die mit mir über die Seh
chekommen war wofon ich aich in legeren Brife von chesacht habe die schult war das ich
in Naiork chebliben bin bai desen Bruder ich in Dinst chekommen bin die hat mich
Schnel Ferlasen weil sih auch noch eine Schwester aine stund weges von Naiork wohnen
hate die chiwis sehr Raich ist wail sih äinen Schifkabiten chehairatet hat soh wollte si
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Anhang, Seite 32
dah liber bai ihre Schwester als bam Bruder blaiben und ihre Schwester dih sich sont
nichz aus ihre Schwester dah sih nah in Taischland war bekümert hate und der Allten
Mutter kaine unterzüzuch nicht in mindesten cheschikt hatte drit irst mit den Grösten
Rechte auf ihre Schweder ihrem Bruder zu nemen und sih brinz auch richtech werdich
und main Her ein ser Herz libenter man der doch wür die Schwester 150 Taller bares Gelt
nach Taischlant cheschikt hate um saine Schwester baisich zuhaben und die Mutter
sohvil Gelt schon cheschikt hatte muste irst mit Verdrus sehen das im saine iüngere
Schwester vur der er soh willes getahn hatte soh untankbar war und soh hat er sich soh
sehr erchrämd darüber und wurde aine bar Tage krank und soh schit er den fonuns in die
andere Welt der Trauer war Sehrchros ihr könnet aich denken das saine 2 Schwestern irst
ihren so Jugen Bruder mit 23 Jahre alt wilaicht durch ihre schullt under der Erte Ruen
mus undie Junche Färlassende Frau Baider das Laide cheschrai durch aus kan ende nemen
wollte soh denkt nur das das alles vür mich auch ein Großes Trauer war soh maine Gute
versrauliche Fraue zu verlasen und mainen soh libenten Hern soh schnel zu verlassen
aber irst haben wir uns alle wider ehrholt ich habe schon wieder einen Hern bekommen
weill die Frau nicht gut lahnge widwe sain konnte soh haben wir schonwider Hochzait
chehabt ich habe ain schönes Trauer Kleit und ein schönes Hozaitz Kleit in 6 Monnaten
chekricht und nohmer ich selbit hätte Schonbalt Gehairatet aber mit mainer Hochzeiz wil
ich erst noch warten den vail hir in ammerika die vorsicht ser chros sain mus soh will
auch ich vorsicht brauchen und wil warten und noch vorschen was den aichentlich mit
den Mans zu duhn er war als Laden Diner hir ain sehr neder und anchesehheder Man ain
Hannoferraner der seh kluchist und Enchlisch Schbrechen und Schreiben und das Gelt was
in Ammerika sehr Falsch rechirt waihir alles vil auf betruch anchet das kent er sehr
chenau und maine Herschaften siht in vür ainen Braffen Man an und sacht das er Fil Gelt
hätte und auch ainen Laten anfange Fil ich abber mache mich Anchstich vür die
Heiraderei wail man soh vielle unchikliche Ehlaite hat ven hir den Man die Frau nicht
chefällt soh cheter derbai vort und und kainer kann wissen wohin oder woher sih sich
herum draiben dahmit inder chibz auch sehr chutte Menschen doch ich vil mit mainer
Harat noch noch warten den ich hab noch zait ich verdien main Schönes Gelt ich hab
main Schivschelt schon lanche wider verdind den maine Raise von Haus aus bis hir in
Naiork hat mich unchefer 54 Tahler chekostet 1 Tahler 23 Silberchroschen hat maine
Kiste und maine bersohn von Gütterslo bis Bremmen chekostet das ist doch sehr Billich
und dennoch die dride Klasse chefaren. Abens 6 ur waren wir schon in Bremmen dan
haben wir aine Nacht in Bremmen cheschlafen das abent Essen hat ainen ieden 17
Silberchroschen gekostet. Dan haben wir einen Strosak haben ieder hat einen ieden auch
17 Silberchroschen chekostet und etwas Blek cheschir hat man dan noch haben müssen
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Anhang, Seite 33
und Trinkcheschir Blekerne Zukertosse und blekerne Nachtcheschir wohman sich in
Brechen ein weil sich ein ieder etwas Schwinlich und Übel vült und dan noch ein
Blechern Wasserkruch womman trik Waser ain dut das mit ainander kostet 12
Silberchroschen Schifschelt 51 Tahler das miteinanter kommt sich auf 54 Taler irst habe
ich aich alles chans chenau geschriben in der Hofnuch das ich aich nicht umsonst
cheschriben den ich denke das ihr mich nich soh chans allain in Amerika lasset libe
Schwester und Brüder ich will aich doch eine kleine Fraide machen das ich aich main Bilt
Schike und ihr maine Schwester habt mir um ains anchehalten aber ich will aire Bitten
verfolben und Schiken aich 2 mahl main Bilt und Bitte aich zuchlaich das ihr doch das
das aine mainem Liben Bruder Heinrich cheb en Möchtet und Grüßet in Fillmahl und
sachen im doch nomal Herzlich Tank das ermich die Lestezait mit das ich auf der Raise
soh main Schones auskommen chehabt und Grüsset villmall saine sohlibe Frau und Grußet
von mir Besohnders mainen Unkel Heitrek und den Hern Bastor und soh alle maine
Freunde und Bekande
Filchelibte Schwestern und Brüder ich bin Gott seidank noch recht chesunt und Munter
aber irst habe ich einen andern Dinst anchetreten den hir ist das soh hir kann man ieden
Monnat einen andren Dinst haben und man mus auch erst alle arbait erst Lernen den hir
wird alles etwas anders gemacht den beider ersten Herschaft dahabe ich Schruben und
Kochen und bai Tische aufarden missen und hir mus man habsehchlich Kochen Waschen
und Bügeln alsoh das Waschen und Bügeln das konnte ich baider ersten Herschaft nicht
Lernen können aber baidiser Herschaft lerne ich auch das was mir nüzlichmacht ich
wirdihne hir auch nur 7 Thaler wail ich noch Lernen mus ich bin erst im Merst hir hin
chekomen und habe wider ein daische und Gutte Heschaft bekomen aber wen ich erst mit
dem Waschen und Bügeln durch bin dan kann ich vilmer verdinen dankan man hir den
Monnat 8 bis 9 Taler allenthalben haben nur wen man sachen kann ich kann alle Arbeit
den die dinstmetchen werden hir soh sehr chesucht hir braucht man sich nicht alles
chefallen lassen wie man bai aich und das wissen die Herschaften auch recht chut hir
wacht sich kaine Herschaft ainen Dinboten edwas chrob zubehandeln den sih könen sih
hir durch aus nicht befehlen das sie Blaiben sohlen wen hir der Dienstbote auch char
kaine Ursache weswechen ernicht blaiben vil wens mir hir nicht chanz chut chefählt soh
kann ich chehen zu iederzait und man hir (kann) hir ieden Tache wohl 100 Dienstekrigen
den ainen komt man noch chelegender wie den andren und der aine Dinst ist alle noch
schöner wider andre Gelibte Schwester und Brüder ich Bitte aich Schraibet mir doch recht
balt wider den hir beidihser Herschaft chefalts mir nicht soh sehr ich bin willens das ich
unter 2 Monnete bai sihblaibe alsoh Marz und Abril dih 2 Monnate den ich kann schon
irst wider andre besre Herschaften krigen und mehr Lohn haben und wail ich schon etwas
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Anhang, Seite 34
Enchlisch sbrechenkann soh werde ich mich aine armerikanische Herschaft nemen den
beiden hat mans doch noch an allerbesten, Liebe Schwestern ihr Schraibet mir in den
vorigen das ihr noch auch mal kommen wohltet und ihr Glaubt nur das man hir sehr
laicht ans Gelt komt. und wer hir etwas sbaren wihl sich ainige Zait ain schönes
vermögen haben kan und wen ihn der Libe Gott am Leben läst dan in seinen alten
Dachen nicht mehr soh laufen wie es baiaüch der val ist soh lanche wider Arme stehen
kan mus er arbaiden. Das siht man doch hirnicht hir sind kaine auschaben hir Brauchen
die Eltern wür ihre Kinder kain Schul Gelt zuzahlen hir krigen sochar die Bücher noch
cheschenkt das sai Reich oder armes kind vilchelibte Schwester wen ihr sohltet dihsen
Sommer Gelechenhait habe und Gutte Raise bechlaiders Krichen könnt soh würchtet aich
nicht zukomen Schraibt mir iah erst balt wieder dahmit der Brif mich doch baidiser
Herschaft nach andrefe diehir Blaibe ich nichz länncher wie 2 Monnate den wen sih
verbesern kann soh mus man nicht saimen den iemer man verdihnen kann ie liber es ist
hir in Naiork recht Gesunt die Luft ist uncheferh soh wie baiaich es war in Oktober schon
Schne chenuch hir und ist auch iest noch immer kalt doch immer blaibe ich nicht hir ich
werde noch mahl waider ins Land machen ich habe maine Nichte in sänsinnatie noch
nicht cheschrben ich hab ihren namen nicht recht chekant den namen Schreibt mir.
Brief 3
Naiork, den 25. Juli 1863
Filchelibte Schwester und Brüder Schon soh lange warte ich auf eine Brif von aich aber
fercheblich ist main sehnen ich hätte aich schon lange chern cheschriben aber die
unruhe in Ammerika haist mir nicht zuchellasen was sich hir kürzlich hat zuchedragen ist
von aine Grose Schebichkait und das kam so Wail durch den Krich doch schon 1000 sende
sint verloren chchangen so hat der Bressedent den befel auschecheben die Bürger von
Naiork die auch nicht zu den Soltateden Gehören hätten alle zu chehen und so druch es
sich zu das hir Reweluzzion chab zu ehrst wolten sih die schfarzen die hir in Naiork
waren alle dötten woh nur ein schfarzer herkam über die strasse dahwarren Mer wie
Daussende von Menschen hinter innen und Fersuchten in zu dötten Wail doch die Nort
amerikaner vür die Freiheit der Schwarzen müssen Faiten und die Schwarzen nicht im
Krich chehen wohlen und die waissen sohlen alle chehen deswechen chab es sohn
aufzuch woh den ahle Nikker wiman sihirhaist die Haißer in Faier chesest wurden und
woh sie irgent inen Niker sahhen auf der stelle doht chemecht ob es ain kind oder ain
Grais warr ach Schreklich aller Scheklichkaiten woh sinde armen Unschuldigen Armen
Nikker kinder 2 an den Armen und Kop und 2 anden Füssen nahmen und sie aus ain ander
Rißen in 100 stüken und die altern schreklich ver Schintten und ihr die Haut vom Laibe
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Anhang, Seite 35
zuchen und Tötteten andre ins Wasser zürden woh siese mit nahmen Schainhaillich und
ueber Schif ins Wasser zurzten haufen der Wais ain Großes Waisen Haus Für die Nikker
armmen Weissen kinder wurde ins Faier chesest und dan woh sih iest kaine Nikker mer
sahhen dan chins an die waissen woh sich Gerichtz Haiser und steschen Haißer wo die
Fillen Bohlizai und Oberkaiten wohnden von dah zu den Grossen Ladens Zaichladen Golt
und SilberLaten Schuh und stiffel Laden das ist hir in Naiork alles Fertich und im Grossen
zu verkaufen Hüte und Blumen Flinten und Bistollen Laden kuzum alles wurde mit chefalt
ain Gebrochen und den Laitten alles Geraubt das das dauerte 2 Tahche und 2 Nächte und
Wurden sohfille Bohlizaidiner und Bürchers Laite um chebracht kain oretlicher Mensch
durfte aich bliken lasen der wurde auf der strasse anchehalten und abche Blündert und
noch recht verschlagen oh ich sache aich maine Libbe dis draurigen Schiksal unsrer Stat
war unbeschreiblich bis 2 Tage und 2 Nächte verchangen waren wohten den die Bohlizai
von andren Orten heran kamen und Soltahten 5000 die hir mit Kanonen und Scharf
befafnent sint und chetraut [e handschriftlich eingefügt] sich iest keiner mer etwas anzu
wangen und es heist erst serchut das die Stad solte balt chewohnen haben da sie Schon
merere Große stete zusich chenemen hat und es mus wol sohwas sain wail Golt und Silber
in nidrigen Breis iest ist wir hatten sait ain Jar kain andres Gelt wie Babir den das Golt
hatte ain unchefairen Brais wen wir Für ainen Babirnen Dahler ain Golt Dahler haben dan
krichten wir nur einen Halben Gulten wür ainen Babirene Dahler woh doch ain Dohlar 4
Halbe Gulden sint aber ist chest schon beser iest ain Babirner Dahler 3 ½ Halbe Gulden
wert iest konz balt das das Golt Gelt nicht mehr wert hat wis Babern ich hat schreken
chenuch aus chehalten wegen main Gelt was ich in der Sbar Bank hatte Unt wür nichz sai
wen ichs halte dan bekom ich nur bebirn Gelt und das Babirn Gelt hete sohwehnich Wert
gegen das Golt und was kan man duhn wen weider Raissen wil den in andre Orten hats
kain wert soh bin ich iez recht Glüklich und zufriden ich habe Schon 600 Dahler inder
Schbarbank und habbe 15 Dahler den Mohnat ich bin wieder Lange bai maine Alte und
Erste Herschaft denkonen nicht ohne michmehrsain aiesie sohmit den Lohn aufsteichen
Zuerst habe ich 2 Dahler chehabt dan warich mahl 2 Mohnat anderst danhaben sihmich
wieder cheholt und haben mir 8 Dahler checheben dan war ich mahlwider word und
danwaren sihfider hinter mir und chabben mir 10 und war ich auch in ainem Gutten und
andern Blast ein Ganges Jar woh ich 12 Dahler hatte aber dan habben mir wieder kaine
Ruhe chellahsen und haben mir wieder cheholt und cheben mir 15 Dahler ohne was ich
noch cheschenkt kriche Kaine Kleider brauche ich nicht zukaufen das mach seinwas es
wil Schuh und stüf Hemder und Klaider Kurzum alles was ich brauch chab ich in Überflus
und ich bin Gottsaidank noch Recht Gesund und muter und ich bin noch nicht Fer
heirattet den ich Fürchte mich insohaine staht wie Naiork iest zufer Hairaten Wen irst
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Anhang, Seite 36
mal Ruhe ist dan werde ich aich maine Liben Schwester ind Bruder Heinrich ainige
Mohnnaz Lohn heraus Schiken aber erst mus das nidrigen Breisesein ich denke das in 2
oder 3 Monaten hier Ruhe ist und dan werte ich aich nicht Ferchesen den ich Ferdihn iest
Laicht ich duh nichz wie Kochen und cheschircbüllen und Maine Küch und Zimer Buzen
es Grüst aich alle aire Schwester
Elisabet Kleinegesse
Brief 4
Naiork den 23 Dezember 1863
Gelibte Schwester ich habe aire Sehnlich erwartteten Brif richtich erhalten und hab daras
chesehen das noch alle am leben und Gessunt seit welches mir einen Grosse Freide
chemacht hat ia For Freide habbe ich zuerst cheweint befor ich in lessen konte aber auch
kain Funder ich hir soh chanz allein in der Fremde und und sohlange kaine nachrichten
von aich ihr könt aich wohl vorstelehlen wihes mir hir mochte sain und ach was vürain
ainen Grossen Brif das ich ehalten habe vom Hern bastor von meinen Libenswürdichen
Sehlen sohrcher was mich doch Sosehr erfrait hat das alle Laitte im sbrachen Die mus
sich doch wohl recht Gut auf chefürt haben Schohn als Kind das swe Baster doch sovil
auf sih hält ihr könt aich denken wih Herz lichvroh das es mir war das doch die Laitte
nicht denken müssen das man vieläicht wege Schlechtichkeit nach Ammerika chechangen
ist was aohl Filderfal ist nun Gelibte Schwestern ihr habet mir daheine Frage vorchestelt
welches mir recht Filchefreit hat das ich Aich chefis aine Andword dar auchebebe den ihr
wisset wieich schon immer darauf bedacht war ain AIgendes Has zuhaben aber libe
Schwestern ich maine das Has wohvon ihr mich dahsacht das mus ein Haus zu Größes
Haus sein und ander Seiz istz nicht ander Sdraße wieich es mir vorstehle weil ihr mich
Schreibt das es hinter Onkel seinen Haus sei ich denke es were schönner das wir ander
Atraße wohnen teten und auch fileicht noch Billiger wens auch einfenich Klein wehr Für
uns 3 bräuchten. wier ia kein sochroßes zwar weis ichnicht recht wie Gros es ist aber ich
denkmich den Breis nach müste es zimlich Gros sein und Miezleite zuuns hinain nemen
das chefald mir nicht den es ist nichz Schöneres als allein im Haus zusein doch Gelibte
Schwestern ihr wist ia recht Gut wies ist wens aich chefält und das ihr meint das ein ain
Bassendes Haus ist Sowil ich nicht abraten und wens ander Straße ist das wen ich
widerkom ein Kleines chescheft anvangen können und dahrzu Nähen ihr wist das man
sich desto leichter durch brincht. Gelibte Schwestern wie sehr Freites mir das ihr aich
zusamen Beim Onkel seit das ihr aich imer seht und zusamen sait und das ihr Aich doch
Schon sohwil zusamen cheschbard habt welches ich mir nicht vorchestehlt hatte ihr
schreibt mir das aier Dinst charschwer sai welches ich cherne Glaube aber halttet nur
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Anhang, Seite 37
noch ein wehnich aus den ich denke das der Krich hir sich doch mahl balt endichen wert
es kan nicht mer langechen desn 3 Jar sinz iest schon und 4 Jahr hat dieser Bressedent
zu Rechiren und wen ain andrer Bredetent komt soh werst sich doch mahl ändern und
dan werden wir wider Golt und Silber inunsre Hende krigen und dan werde ich aich wen
ihr mäind das das Haus Recht sei 200 Tahler hin aus zu aich Schiken und werde dan auch
balt zuaich wider komen den ich habe iest Schon Siben Hunder Tahller zusamen und habe
15 Tahler Mohnaz wen ich chesund bleibe und das mir sohnst nichz basihrd sobrauche
ich keine 4 Jare mehr ich bin iest erst 4 Jar und 4 Mohnat wort von aich ich denke das
ich in 2 Jaren wider Baiaich bin ach es hat mir Sehrchefreit Katrina das Du von Haus
vord bist den bei den Gröben Laiten zu sein es hat mich imer chefundert wiedu solanche
mit ihr Fertich chewordenbist wen nur der Arme Heinnrich mal Gros war und aus der
Schulle ach dut doch anden Armen Kinde Was ihr könd duhast mir Geschriben das du
inen imer wen du zur Schulle chest etwas mit brinchst wellches mir sehr erfreit ihr habt
mir Geschriben das Heinnrich unser Bruder soh krank war vorm Jar ach um die Zeit hats
mir imer von im Geträimt wer waren imer im Busche und Holz zusamen chebunden und
das ist ain Böser Traum das ist eine Bösse Kranhait oder Dohd ich danke den Liben Gott
das er im noch Fom Dohn befreit hatt was würde die Arme Frau den wohlen anfanchen
mit ihren 4 kleinen Gott der alles ambesten weis soh was bin ich hir Schon inder Grösten
Dohdes Gefar gewesen dah dich keiner das Leben sicher war wen ernur zur Dürhinaus
chinch ich denke sohlanche wie Gott uns zihl chesehat sohkönen wir alle Gefaren
bestehen Gelibte Schwestern wen ihr mir Schreibt soh Schreibt mir doch wie das Haus ist
obes ander Strasse ist und wie Gros es ist den libs wohl ein Haus von steinen das ist
auch nicht imer chebechlich und Schreibt mir ob ihr Gelt wohlt von mihr ich mus
Schlisen Main Schriben Fille Gutte Naichkeiten chibst hir nicht als es ferden Sehrvile
Männer Zum Sohltahden chesucht und werden sehr chut bezult sih müsen auf 3 Jare
einschfören und villeicht das wen sich der Krich balt legen sohlte dan las komen und ein
ieder der Ainschförd iunk und Alt der kricht chleich 400 und 50 Dahler chleich aus
bezahlt und kan das Gelt in der sbarbank dun den erkricht ieden Monat 20 und 30 Tahler
ekstra es ist sehr Filzu verdinen ieder chemeine Arbeiter kricht dechlich 2 Tollar aber
eine Grosse Daierunch alles was man Est und Trinkt ist alles sehr daier ich bin Froh das
ich Kleider und alles was brauch iest nicht Kaufen brauch Gelibte Schwestern und Brüder
ich Wünsche aich alle ein Glükliges Naies Jar Grüßet von mir alle bekante und Ferfante
besonders Mainen Bruder Hainnrich und seine Frau und sacht im das ich wen ich aich
Gelt Schike auch im ain Kleines Geschenk mit ain lechen über Lechs aich recht wohl mit
dem Haus und Schreibd mir woh das ist ich chlaub das das Haus ist gebaut damals woh
ich nach Amerika bin ich chern wisen obs das ich mus Schlisen Main Schriben das Babir
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Anhang, Seite 38
chetzuende Grüset besonders noch Meinen Onkel Heidrek und Seine Frau und Sacht die
Dante das es mir sehr weh duht vür Onkel das der mitder Gemüz Krakhait behaftet ist was
ein Grosses Kreuz in unsre Fammilige ist Betet zu Gott auch ich vil Beten vür im das im
der Libe Got doch noch eime erlössen möge Libe Schwestern ihr habt mir Geschriben das
ihr mich inder Messe befelt dafür denke ich aich den ich kan leider nicht sohchut in
Kirch komen
Brief 5
Naiork den 8 Mai 1865
Gelibte Schwestern und Brüder Ferget mir Main nachläsige Schreiben ich hatte aich
damals Gleich auf airen Liben Brif cheantwortet und habe lange auf eine antwort
chewartet aber Ferchebensnie keinen Brif mer von Aich und dan dachte ich wil warten
weil die Zeit war das ein Andrer Bressident chevält werden sohle und wir uns die
Hofnunch machten das wir Ruhe im Lande krigen werden wowir seit die lesten 3 Jahre
nichz wie Babiren Gelt haben aber unsre Hofnuch war auch wider Fereitelt wir Bekomen
dur die Wal denselben Bressident wider und Wir alle stellen uns noch mal 4 Jahr krich vor
weil er nochmal wür 4 Jar Bressitent ist isch hate mich den Vorchenommen das ich
diesen Früiar wider zu aich komen wohlte aber so war das Golt und Silber zu hoch das
man an Raissen nicht denken durfte und dachte ich das es besser wür mich wär wen ich
mir aine Haimat in Ammerika machen däht und ich einen sehrliben Man haben konte so
habe ich Ferheiratet er ist aus Baiern Gebürdich Sein Nam ist Lui Kessler 23 Jar alt ein
Sehr netter klucher Man der Englisch und Daisch Schreiben und Lesen kan erhatte nur
300 Tahler in Fermöchen er ist erst Einiar hir er hat über 1000 Tahler zu krigen von Haus
aber er kans bicht eher haben bis seine Eltern mit Tot Abchen das macht auch wenich
den ich habe 12 Hundert Tahler und so haben wir uns nun ain Gast Haus anchekauft wo
wir sehr chut zu friden sein können Wir Machen uns manchmal 200 Taler im Monat Wir
saint Gott sei Dank recht Gesund und Munter ich bin 6 Monnat Schwanger und erwarte in
3 Monat ein Kint ich hof ir werdet mir doch balt wider Schreiben bevor ich nider kome
und werde ich auch noch mer saimen Wen ich main kint hab öich gleich mit deilen ich
habe ein Dienst Mechtchen welche ich 12 Taler Monaz cheben mus ich wünsch ...
Das ihr irst hir wert ihr konttet vil verdienen Der Lon ist irst sohoch wier noch niwar
unser Bressident ist von Einen Mauschel Mörder im Diader wimans hir Heist im
Kummerigen Haus in Waschendon Erschossen worden am stillen Vreitach Abent und hat
nur noch Besinunuch los bis zum Andren Morgen Gelebt der Libe Man hast sowait
chebracht chehabt das Freiheit und Friden uns cheworden ist das das Ganze Lant drauert
alle Haisser sint mit Schwarz und Wais behacht bis 30 Tach nach seinem Tot sohchar alle
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Anhang, Seite 39
Laite haben ein Schwarz bant am Liknen Arm aber denoch zu dissem Grossen un chlük fas
unserm Lant basirt ist haben wir den Friden den sein stelvertreder kündet uns den Friden
es var nun Schreklich Tairunch hir aber irst wirz aletach Billiger das Gelt das zu 3 Tahler
und höher war ist irst zu 1 Taler und 1 ¼ herunter chekommen ich hätte aich Schon
lange Gern etwas Gelt um aich ain kleines Ferchnügen zu machen Geschikt aber ihr köng
aich Forstellen wen man Mus für 1 Taler mer wi 3 Taler cheben nicht Freit macht den ich
wuste das ihrs Grat dochnicht so notwendich brautet nur noch ain wenich Gedultich wer
aich denicht chans Ferchessen. Weitere Neiikaiten weis ich aich nicht zu Schreibe und
ich Du hoffe das Aich main Scheiben bei Gutter Gessunheit antreven Werd Grüst Von mir
alle besonders den Her Baster von Neienkirchen und Onkel Heidrek und Frau und Kinder
Meinen Liben Bruder Heinrich und seine Frau Libe Schwestern Katrina und Maria Duht
den Gefallen und Schribt mir iachleich wider Lebt recht wol und drauert nicht um mich
den ich bin Gut versorh und Leb Glükllich Grüst aich Elisabet
und Lui Kessler.
Brief 6
Naiork den 8 Juli 1865
Gelibte Schwestern und Bruder Wie Freude ich mich doch am 5 Juli ainen solach
ersehnten Brif erhalten habe ich dachte nichg mer vorauf den sohlange keine Antwort
zukrigen aber irst habe ich doch chesen das es nicht aire Schult war ihr habt mich
geschriben aber ich war nicht mer in dem Haus wo ich auf die Antresse vor Schrib aber
ich hat gechlaubt das die Loit woich solanch beiwar mir die Brife Fersorcht häten den
wisen wohich bin ich werde mich nimals mer auf ander Lait Ferlassen Gelibte Schwester
Du Schreibst mir das Maria und noch merer im Nervenfiber cheligen sint was aine
Geverliche Krankhait ist aber wie froh bin ich das Maria noch mal wider beser ist ihr habt
wirklich Fil Leiden schaft chehabt aber es ist wis im Efanchelium haist den der Her libhat
den züchtiget er Ferlaßt auch nur auf Gott und er wird auch nicht Ferlaßen seht mich so
chanz alein im Fremden Lande keine bekanten oder Ferwanten keinen Freund nur mein
Man ist irst der eizige dem ich ein Fertrautiges anfertraun kan aber ich mich imer Gott
verlaßen und erhat mir beichestanden ich bin noch nicht krank cheweßen im Fremden
Lant was man chewis Glük nennen kan und auch sonst ist mir noch char kein Unglük
bassirt ich hatte mich Forchenomen aich etwas zu Schiken aber im August den 20
zwanzischten werde ich ins Kint bet komen und man weis ia nicht wis mir Gut oder
schlecht chet und vilaicht Filver Toktern mus aber so wie ich main kint hab und bin wider
Wol soh werde ichs auch zu wissen tun und werde auch ein kleine Freide machen vür dis
mal Schik ich auch das batret von meinen Mann damid ihr ine wenistens kent er ist
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Anhang, Seite 40
sochut zu mir Wie nur ein Man sein kan ich bin Glüklich und ser zu Friden und fünsche
chewis auch aier Wol und wen mir Gott Gessunt wider herstelt nach der Kintbet so
werded ihr denach Freide anmir Vinden Obwol ich im Fremden Lade bin ihr habt aier Herz
schwerchemacht da ir saht das ich Ferheiratet bin das aber alles ist nichz mein Man
sacht das wir wen wir uns etwas Gelt chemacht haben auch wider nach Daitschland
chehen wollen wail man da billiger Leben kan wihir so seit nur nicht betrübt das ir denkt
das wir uns nicht mer in disen Leben nimals wider sen wens Gott wil und keine besondere
Unchlüke uns über komen so sen wir uns noch balt wider den wifile waren hir und sint
wider in Daischlant. Gelibte Schwestern betet doch Für mich besonders das wen die
Schweren Stunten würmich heran nahen werden hört die Heilige Messe wür mich damit
der Libe Gott mir Gnädich ist. ich weis wol das ir nicht vercheset wür mich zubeten ich
werde auch aich nicht vergesen aber ich hab nicht so die chelegen die Die ihr habt ale
Morgen zur Messe zu chen den die Kirche ist nicht sonah wen ihr disen Brif erhaltet so
schreit mir doch gleich wider und ich duhdas Selbe ich vil Schlisen mein Schreiben ich
und mein Man Seint recht Gessunt und Munter es Grüst aich vilmal Elisabet Kleinegeße
und mein Mein Man Lui Keßler auch Grüßt von mir alle bekante und Verwante Besonders
meine Bruder Heinrich und seine Frau und chebt im auch eins der Batrets von mein Man
in der Hovnunch das mein Schreiben aich bei Guter chesunheit andrefen wirt noch mal
Fil dausent Grüsse von mir aire nicht Ferchessende Schwester Elisabeth Kleinegesse
Die Antresse an Elisabet Keßler 102
Street
Kanäl strit Näviork Nort Ammerika
Brief 7
Neiork den 19 Dezember 1868
Libe Schwester und Brüder Schon Balt 4 Jar sint verflossen onne aich zu Schreiben
enschultiget mir schon manges Unchlük habe ich erlebt woh ich aich gern hätte zur Hant
chehabt hätte ich habe 2 Kinder settem Geboren das erste war ein Metchen sih wurde 2
Jar und 3 Monnat alt dan starb sie ain Wunder Schönes Kind mein Man war selbe Zeit in
Kalfonnigen er ist auch irst noch da und das zweite Kint ist ein Knabe ist 21 Monnat alt
er lis mir hir soh alleine mit den 2 Kindern woh er 9 Wochen vort war dtarb mein Dochder
ich konte mich wast nicht wassen in meinem Leiden doch der Herr des Himmels hat mir
Kraft checheben alles zu über winden er hat mir Gessuntheit und Kräftte chcheben Meine
Wirschaft so allein Fort zu füren hat mich mir Fil Glük chegeben ich hab in Zeit Fon 1 Jar
3 Daussent Doller in die Sbar Bank chebracht und auch mein Man vil wider kommen von
„... in warhait ich bin vom Esel ...
Anhang, Seite 41
Kalvonnigen er ist krank chewortten und hat alles müssen zusezen ich chab im 4 Hundert
Daller mit und irst hat er nicht sovil das er zurük kommen kan Filchelibte Schwestern
Schreibet mir doch balt wider und last mir doch wisen wies meinen Bruder Heinrich chet
wen ich weis woh ir seit sokan ich aich etwas schiken was ich Fersbrochen hab sobelt ihr
mir anwortet werte ich aich auch Gleich beantworten ich mus enden Meinschreiben
Grüsset von mir alle Ferwannten und bekante es Grüst aich Elisabeth Kleinegesse
Wonhaft in Nummer 8 Morris strit stait Nuork