Naturstrom will eigenen Grünstrom liefern

Naturstrom will eigenen Grünstrom liefern
Energiehändler investiert in Kraftwerkspark / Für Eigenstrom-Vermarktung braucht es neue staatliche Regeln
bü. DÜSSELDORF, 25. Mai. Im Handel mit
Ökostrom hat sich die Düsseldorfer Naturstrom AG mit ihren rund 250 000 Kunden
und mehr als 230 Millionen Euro Jahresumsatz fest etabliert. In großen Schritten will der
Grünstrom-Spezialist jetzt auch die eigene,
bislang noch sehr bescheidene Energieproduktion ausbauen und sein Geschäftsmodell
um ein zusätzliches Standbein erweitern.
„Binnen zwei Jahren könnte sich die installierte Leistung, auf die wir zurückgreifen
können, mehr als verdoppeln“, sagte Vorstand Oliver Hummel im Gespräch mit dieser
Zeitung.
Die ersten Gehversuche hat das im Jahr
1998 von Mitgliedern aus Umweltverbänden
wie BUND und Nabu gegründete Unternehmen schon erfolgreich absolviert. Seit zehn
Jahren projektiert und betreibt Naturstrom
eigene Ökokraftwerke - meistens in enger
Zusammenarbeit mit Kommunen und Anwohnern vor Ort. Das macht es leichter, die
notwendigen Genehmigungen zu bekommen. Aber mit den neuen Plänen stößt der
Ökostromanbieter nun in für seine Verhältnisse ganz neue Dimensionen vor. Rund 70
Millionen Euro sind im laufenden Jahr für
den Bau von Windkraftanlagen vorgesehen.
Und wenn alles glatt läuft, werde man im Jahr
2016 zusammen mit Partnern aus den Regionen weitere 100 Millionen Euro investieren,
kündigte Hummel an. Mit den neuen Kraft-
werken will sich Naturstrom einerseits vor
Schwankungen der Strom-Großhandelspreise schützen und unabhängiger von externen
Lieferanten werden. Doch die Investitionsoffensive wird nicht nur von wirtschaftlichen
Erwägungen angetrieben. „Wir leisten damit
einen direkten Beitrag zur Energiewende“,
Grünstrom-Erzeuger
betonte der Vorstand, der rund 950 von der
Sache überzeugte Aktionäre hinter sich weiß.
Naturstrom hat sich zum Ziel gesetzt, rund
ein Drittel des Stromverbrauchs seiner Kunden selbst zu produzieren.
Das heißt freilich nicht, dass die Kunden ihre Elektrizität in Zukunft direkt aus
Foto: Unternehmen
den eigenen und gemeinschaftlich mit Partnern betriebenen Ökokraftwerken beziehen
werden. Das scheitert an einer der vielen
Merkwürdigkeiten der Energiemarktregulierung. Das im vorigen Sommer reformierte
Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zwingt
die Betreiber in aller Regel, den Strom aus
staatlich geförderten Anlagen über die Börse
zu verkaufen. Dort aber wechselt die grüne EEG-Energie die Farbe, vermischt mit
Atom- und Kohlestrom wird daraus „Graustrom“. Und diese Mischung darf den umweltbewussten Kunden dann nicht mehr als
Ökostrom verkauft werden.
Aktuell bezieht Naturstrom seine Elektrizität deshalb fast ausschließlich aus deutschen Wasserkraftwerken. Für Hummel ist
das nur eine Übergangslösung. So bald wie
möglich will er den Kunden wieder Strom
aus eigenen Kraftwerken und anderen Windund Solaranlagen liefern. Zusammen mit
anderen Ökostromern haben die Düsseldorfer dafür ein neues Konzept entwickelt, das
„Grünstrom-Markt-Modell. Die Grundidee
des im Detail sehr komplizierten Vorschlages: Anlagenbetreiber könnten ihren Strom
ohne den Umweg über die Börse direkt
an einen Versorger liefern. Statt aus dem
EEG-Umlagesystem käme ihre Vergütung
dann vom Großhändler. Der Versorger wiederum erhält dafür einen Herkunftsnachweis und dürfte den Strom dann als „grün“
vermarkten. Mehr als 30 Unternehmen und
Branchenverbände unterstützen den Ansatz,
nicht nur reine Ökostromer, sondern auch der
Branchenriese ENBW und der Mannheimer
Stadtwerkekonzern MVV.
Sollte das Bundeswirtschaftsministerium der Umstellung zustimmen, wäre das ein
wichtiges Vermarktungsargument, das helfen
könnte, die stark abflauende Nachfrage nach
dem Grünstrom wieder stärker in Gang zu
bringen. Denn viele Kunden erwarten wie
selbstverständlich von einem Ökotarif, dass
ihr Strom aus der Region kommt. Auch Naturstrom könnte den Impuls gut gebrauchen.
Waren die Kundenzahlen bis 2011 steil in die
Höhe geschossen, geht es seit dem Beschluss
zum Atomausstieg nur noch gemächlich herauf. 4000 Neukunden waren es 2014, dieses
Jahre läuft es auch dank einer Preissenkung
besser.
Hummel hält es nicht für unrealistisch,
bis Jahresende bis zu 10 000 neue Verträge
zu verkaufen. Die „inhaltlich total verzerrte
Debatte“ über die hohen Kosten von Windund Sonnenstrom hätten die Erneuerbaren
in ein schlechtes Licht gerückt, meinte er.
Nun könnte sich der Wind wieder drehen.
Vor allem die hitzige Diskussion über die
Klimaschäden durch die Braunkohleverstromung könne dazu beitragen, das Interesse an
Ökostromprodukten wieder stärker zu beleben, hofft der Naturstrom-Vorstand.