Exzellenzen, Sehr geehrte Gäste, Zu Beginn des

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Rede des Flämischen Ministerpräsidenten Geert BOURGEOIS
Neujahrsempfang des Diplomatischen Korps
Brüssel, 18. Januar 2016
Exzellenzen,
Sehr geehrte Gäste,
Zu Beginn des neuen Jahres ist es eine große Freude, Sie
hier im Palast du Akademien – zahlreich begrüßen zu
dürfen.
Ich wünsche Ihnen und allen, die Ihnen nahestehen, ein
glückliches, gesundes und erfolgreiches 2016. Möge es
Ihnen sowohl privat als auch beruflich gut gehen.
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„Das Jahr, in dem das Inland verschwand“. So beschrieb
das flämische Magazin Knack das Jahr 2015 in seinem
Leitartikel.
Es ist eine Parodie, aber es stimmt tatsächlich, dass es
kein Inland mehr ohne Ausland gibt.
Es ist der internationale Kontext, der zunehmend die
nationale Agenda bestimmt.
Ob es um
-Syrien-Kämpfer aus eigenem Land,
-den Dschihad-Terror in Paris,
- ein zerrissenes Land wie die Ukraine,
-den Bürgerkrieg in Burundi oder
-die Erwärmung der Erde geht.
Internationale
Organisationen,
Länder,
aber
auch
Teilstaaten müssen dabei über ihre Rolle nachdenken,
sowohl kurz- als auch langfristig.
Flandern beteiligt sich nicht an militärischen Operationen,
sondern hat die Zuständigkeit und die Pflicht, vor allem in
der Tiefe zu arbeiten.
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Das Ausschalten des schrecklichen IS-Regimes ist eine
Sache.
Danach wartet der Wiederaufbau von Syrien.
Es
wird
ein
langer
Prozess
werden,
der
nicht
medienwirksam ist, denn die Fernsehsender werden dann
längst auf einer anderen Seite der Welt sein.
Es geht dann um den Bau von Häusern und einer
Infrastruktur. Aber auch um das soziale Gefüge, das
Gesundheitswesen und das Bildungswesen.
Und auch eine humane Rückkehrpolitik wird dann ein
Thema sein.
Gleichzeitig geht es um individuelle Rechte und um das
Zusammenleben, um Traumata und wie man miteinander in
gegenseitigem Respekt umgeht.
Die flämische Regierung arbeitet auf mehreren Linien:
- mit einer Entwicklungszusammenarbeitspolitik mit im
vorigen Jahr 1,7 Millionen Euro Nothilfe
- mit einem Menschenrechtsbericht
-
mit
einer
verantwortungsbewussten
Exportwaffenpolitik
Handels-
und
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-
mit
dem
Verkünden
Friedensgedankens
in
des
allen
Dialogs
unseren
und
des
internationalen
Beziehungen
-
mit
einem
aktiven
Beitrag
zu
den
belgischen
internationalen Standpunkten, sodass wir auch auf diese
Art
und
Weise
mehr
Einfluss
auf
die
europäische
Außenpolitik nehmen können.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Mit den Schengen-Verträgen sind unsere Binnengrenzen
verschwunden.
Wenn wir die Schengen-Zone aufrechterhalten wollen,
muss
dringend
europäischen
an
einer
Migrations-
starken
und
gemeinschaftlichen
Außengrenzen-Politik
gearbeitet werden.
Der europäische Kompromiss Ende des vorigen Jahres,
der aufgrund der gewalttätigen Ereignisse in Köln zur
Diskussion
steht,
geht
Grenzschutzkorps aus.
von
einem
europäischen
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Hotspots,
geschlossene
Einrichtungen
an
den
Außengrenzen, müssen politische Flüchtlinge aufnehmen.
Kriegsflüchtlingen
müssen
wir
gemäß
der
Genfer
Konvention vorübergehend ein Unterkommen bieten.
Der letzte Schritt ist eine europäische Verteilung der
Flüchtlinge, die einreisen dürfen.
Europa wird auch an einer humanen Rückkehrpolitik
arbeiten müssen. Nur ein Teil der Asylbewerber ist auf der
Flucht vor einem Krieg oder Verfolgung.
Lediglich durch strukturelle Maßnahmen können wir die
chaotischen Migrationsströme aufhalten.
Nur auf diese Weise kann Europa seine Außengrenzen
kontrolliert wieder in den Griff bekommen und überblicken,
wer in diese einzigartige Union der Freiheit und der
gemeinsamen Aufklärungsideale hineinkommt.
Auf flämischer Ebene liegt unser Fokus auf der Integration
und Zivilintegration von Neuankömmlingen.
Ab diesem Jahr betrachtet die flämische Regierung die
Integration
von
Neuankömmlingen
nicht
mehr
Mittelverpflichtung, sondern als Ergebnisverpflichtung.
als
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Die Beherrschung unserer Sprache, ein Verständnis und
Respekt für unsere Gesellschaft und das Bildungswesen
sind die allernotwendigsten Voraussetzungen für eine
hoffnungsvolle Zukunft, Aussicht auf einen Arbeitsplatz
und
eine
bessere
gesellschaftliche
und
soziale
Eingliederung.
Meine Regierung wird dieses Jahr in einer Stellungnahme
über
die
Zukunft
der
EU
unter
anderem
diesen
entscheidenden Punkt weiter ausarbeiten.
Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere grundlegenden
Rechte und Freiheiten beeinträchtigt oder angegriffen
werden.
Unsere
europäische
Demokratie
muss
sich
selbstbewusster und wehrhafter verhalten.
Unsere
Demokratie,
grundlegenden
unser
Rechte
und
Rechtsstaat,
Freiheiten
unsere
bilden
das
Fundament unserer Gesellschaft. Wir fordern, dass jeder
Neuankömmling
die
Werte
und
Normen
unserer
Gesellschaft aufrichtig akzeptiert.
Ohne die gemeinsamen Werte der Aufklärung ist soziale
Kohäsion
unmöglich,
Zusammenleben
mit
Vergangenheit unmöglich.
ist
einer
ein
gemeinsames
unterschiedlichen
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Meine Damen und Herren,
Die flämische Regierung hat Ende vorigen Jahres ihre
Zukunftsvision 2050 entwickelt.
Die Vision geht von einer Reihe von Trümpfen aus, einer
deutlichen Transition Flanderns, verknüpft mit einem
starken Fortschrittsoptimismus.
Der Teilstaat Flandern hat eine interessante geografische
Position in Europa.
Dies macht diese Region zu einer logistischen Drehscheibe
und zum Tor zu Europa für internationale Wissens-,
Menschen- und Warenströme.
Der offene Charakter der flämischen Wirtschaft stellt dabei
einen wichtigen Trumpf dar.
Im kleinen Flandern liegen Unternehmen nahe beieinander.
Darüber hinaus verfügt es über mehrere international
anerkannte
Wissenszentren
und
Forscher,
die
in
Zusammenarbeit mit den Unternehmen eine treibende Kraft
hinter Innovationen darstellen.
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Wir glauben an die „Triple Helix“, eine Kooperation
zwischen Unternehmen, Forschungszentren und Behörden,
die in einer „klügeren“, wettbewerbsfähigen Wirtschaft
resultieren muss.
2050 scheint noch weit weg, aber die Kinder, die jetzt
geboren werden, werden dann erst 35 Jahre alt sein.
Der Anspruch ist hoch, denn wir wollen „ein soziales,
offenes,
vitales
und
internationales
Flandern,
das
Wohlstand und Wohl auf kluge, innovative und nachhaltige
Art und Weise schafft und in dem jeder zählt.“
Wir machen uns mit sieben Transitionsprojekten an die
Arbeit:
- Umgang mit disruptiven Innovationen und Bereitschaft
dazu
- Den Sprung zu Industrie 4.0 wagen
- Lebenslang lernen und allen zu einem Arbeitsplatz
verhelfen
- Die Entwicklung einer Demografie-Strategie und die
Arbeit im Bereich Gesundheit und Soziales 4.0
- Durchsetzung des Übergangs zu einer Kreislaufwirtschaft
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- Die Arbeit an einem reibungslosen und sicheren
Mobilitätssystem
- Umstellung auf ein kohlenstoffarmes Energiesystem.
Die Zukunftsvision ist auf Flandern ausgerichtet, entspricht
aber
auch
den
nachhaltigen
Entwicklungszielen
der
Vereinten Nationen für 2030.
Exzellenzen,
Ich sagte es bereits: es gibt kein Inland mehr ohne
Ausland. Deshalb verstärkt Flandern seine internationale
Politik.
Ich bereite derzeit - im Hinblick auf noch mehr Kohärenz die Umwandlung des Auswärtigen Amts Flanderns in ein
echtes Außenministerium vor.
In den vergangenen Jahren baute die flämische Regierung
Schritt für Schritt eine Außenpolitik mit eigenen flämischen
Instrumenten aus.
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So verfügt Flandern über ein Netzwerk von Diplomaten im
Ausland, das während dieser Regierungsperiode noch
erweitert werden wird. Dieses Jahr werde ich die Eröffnung
eines neuen Postens ankündigen.
Die flämische Regierungsagentur Flanders Investment and
Trade hat ein eigenes ausländisches Netzwerk mit mehr als
hundert Büros. Auch dort erfolgen Anpassungen.
Ich werde meinen Besuch der drei baltischen Staaten vom
9. bis 12. Mai nutzen, um ein neues Büro in Vilnius zu
eröffnen.
Auf dem amerikanischen Kontinent werden neue Büros in
Lima (Peru) und Houston in den Vereinigten Staaten
eröffnet, sowie auch sogenannte Antennen im kanadischen
Vancouver und Panama oder San José (Costa Rica).
In Afrika verstärkt Flanders Investment and Trade die
Präsenz mit einem neuen Büro in Lagos (Nigeria).
In Asien werden schließlich ein neues Büro in Yangon
(Myanmar) und „Antennen“ in Kuwait und im chinesischen
Chongqing oder Shenzhen eröffnet.
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Meine Damen und Herren,
Die Internationalisierung der flämischen Wirtschaft hat für
die flämische Regierung oberste Priorität.
Internationalisierung ist die Lebenslinie der flämischen
Wirtschaft, nicht nur für Unternehmen, die international
Geschäfte machen, sondern auch für die flämische
Wirtschaft, die ausländische Investoren benötigt.
Wir verstehen sehr gut, dass wir im jetzigen weltweiten
Kontext, in dem Europa eine immer kleiner werdende
Handelszone wird, einen Zahn zulegen müssen, um
wettbewerbsfähig zu bleiben.
Wir müssen auf zukünftige Tendenzen eingehen.
Wie können wir beispielsweise in der Kreislaufwirtschaft
oder Bio-Ökonomie eine Rolle spielen?
Welche Trümpfe können wir noch einsetzen, um unsere
Fertigungsindustrie tonangebend zu machen?
Wie sieht unsere Logistik im Jahr 2050 aus?
Wir müssen unsere Stärken auf eine höhere Ebene bringen
oder
die
fehlenden
Glieder
anziehen.
Wir
müssen
möglichst viele Hindernisse für Unternehmer beseitigen,
sowohl in Flandern als auch in Belgien und international.
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Die
Internationalisierung
in
unserem
Teilstaat
muss
zusätzliche Impulse erhalten. In den vergangenen Monaten
haben wir Zivilgesellschaftsorganisationen, strategische
Forschungszentren,
Unternehmen
Wirtschaftsplattformen
zusammengebracht,
um
und
Themen
und
Methoden zur Beschleunigung der Internationalisierung zu
suchen.
Am 25. Januar organisieren wir den Flanders International
Economic Summit im flämischen Parlament mit allen, die
an diesem Prozess mitgearbeitet haben.
Dort
werde
ich
die
Strategie
vorstellen
und
den
Startschuss für eine engere Zusammenarbeit zwischen den
vielen Partnern geben, um Flandern international noch
besser zu positionieren.
Exzellenzen,
wie im vorigen Jahr begleite ich im Jahr 2016 eine Reihe
von Missionen. So werde ich von 24. bis 29. April Indien
besuchen. Die Städte Mumbai, Pune und Bangalore stehen
auf dem Programm, mit einem besonderen Fokus auf
Cleantech, Smart-Cities-Infrastruktur und Hightech.
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Diese Woche findet bereits das World Economic Forum in
Davos statt. Ich freue mich darauf, an den Seminaren
teilzunehmen, aber auch auf die Begegnung mit den vielen
CEOs von Unternehmen, die eine Verbindung zu Flandern
haben.
Im Oktober vorigen Jahres leitete ich gemeinsam mit dem
niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte eine
Wirtschaftsmission in Atlanta und im Bundesstaat Georgia.
Die flämische Regierung wünscht ein ambitioniertes
Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und
den Vereinigten Staaten.
Wir verfolgen die Verhandlungen gewissenhaft und hoffen
auf ein befriedigendes Ergebnis Ende dieses Jahres.
Es ist wichtig, ausreichende Offenheit an den Tag zu legen
und nicht nur die „defensiven“, sondern vor allem die
„offensiven“ europäischen Interessen zu verteidigen.
Diesbezüglich hatte ich vorigen Dienstag ein Treffen mit
der EU-Kommissarin für Handel Malmström.
Der Inhalt und die Ausführung des Vertrags sind dabei
wichtiger als die Geschwindigkeit der Verhandlungen.
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- Verbesserung des Marktzugangs
- Zurückdrängung von Handelshindernissen
- Gemeinschaftliche Vorschriften und
- Vereinbarkeit von Gesetzessystemen
bilden eine Win-Win-Situation.
Der Vertrag ist etwas, das wir für unsere Unternehmen - vor
allem für unsere KMU - und die Bevölkerung einfach nicht
unberücksichtigt lassen dürfen.
Andererseits
möchte
Flandern
mit
einer
eigenen
Gesetzgebung die Sozial- und Umweltpolitik weiterhin
regeln und beharrt auf seinem Standpunkt in Bezug auf
audiovisuelle Dienstleistungen, kulturelle Diversität und
Sprachenvielfalt.
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Exzellenzen,
Meine Damen und Herren,
Ich möchte meine große Wertschätzung für Ihre Arbeit in
unserem Land ausdrücken.
Die
Anforderungen,
die
an
Diplomaten
in
dieser
unberechenbaren Welt gestellt werden, sind hoch und
werden zweifellos noch zunehmen.
In diesem Sinne blicke ich mit gewisser Nostalgie auf eine
Unterrichtung zurück, die vor rund hundert Jahren von
einem europäischen Außenministerium versendet wurde:
“The councellors and assistants of the foreign office are
kindly requested to structure their working hours so as to
be able to enter their offices no later than by noon.”
Auf unsere Zusammenarbeit und Freundschaft und auf ein
glückliches und gesundes 2016 möchte ich mit Ihnen das
Glas erheben.