Exorzisten, Diener der Nächstenliebe - Ein

Exorzisten - „Boten der Nächstenliebe“ (Teil 1/2)
Fällt der Begriff „Exorzismus“, denken die meisten sogleich an Horrorfilme oder obskure
Praktiken, die im Geheimen vollzogen werden. Tatsächlich handelt es sich um einen
Ritus, zu dem Jesus selbst Vollmacht und Auftrag erteilte (vgl. Mk 3,15; 6,7.13; 16,17).
Von Exorzismus spricht man, „wenn die Kirche öffentlich und autoritativ im Namen Jesu
Christi darum betet, dass eine Person oder ein Gegenstand vor der Macht des bösen
Feindes beschützt und seiner Herrschaft entrissen wird.“ (Katechismus der Katholischen
Kirche 1997, Editrice Libreria Vaticana)
Prälat Helmut Moll, der seit 1998 in der Erzdiözese Köln für die Selig- und
Heiligsprechungsverfahren zuständig ist und seit 2004 den Lehrstuhl für Exegese und
Hagiographie an der Gustav-Siewerth-Akademie in Weilheim-Bierbronnen innehat, führte
mit ZENIT ein Interview zum Thema und berichtete über seine reichhaltigen Erfahrungen
als Experte für Exorzismus. Er ist seit Jahren auf dem Gebiet tätig und nahm auch in
diesem Jahr an dem Kurs „Exorzismus und Befreiungsgebet“ des „Ateneo Pontificio
Regina Apostolorum“ in Rom (13. bis 18. April 2015) teil.
Herr Prälat, wie wurde Ihr Interesse für den Exorzismus geweckt?
Prälat Helmut Moll: Mittlerweile beschäftige ich mich seit 30 Jahren mit der Materie. Ab
1984 war ich zwölf Jahre für die Gottesdienstkongregation im Vatikan tätig. In dieser Zeit
wurde dort eine neue Auflage zum Exorzismus vorbereitet. Bis dato war noch die Fassung
von 1614 gültig, die sich als gute Zusammenfassung bewährt hatte, allerdings die
modernen Erkenntnisse der Humanwissenschaften außer Acht ließ. Deshalb gab Ende der
80er Jahre die Kongregation für den Gottesdienst gemeinsam mit der Kongregation für
die Glaubenslehre eine überarbeitete Fassung heraus. Intensiv beschäftige ich mich seit
2008 mit dem Exorzismus. Kardinal Meisner suchte damals einen Experten für
Exorzismus in der Diözese Köln und wählte mich aus.
Nahmen Sie zum ersten Mal am Kurs des „Ateneo Pontificio Regina
Apostolorum“ teil?
Prälat Helmut Moll: Nein, es war schon das zweite Mal. In diesem Jahr kamen fast 200
Menschen aus aller Welt zusammen, um sich auf dem Gebiet des Exorzismus
weiterzubilden. Zu den Teilnehmern zählen neben Psychologen und Ärzten viele, die von
ihren Bischöfen gesandt wurden. Auch viele Frauen, die beim Ritus des Priesters
beistehen, gehörten zu den Teilnehmerinnen.
Wann spricht man von Exorzismus?
Prälat Helmut Moll: Man muss den Exorzismus in einfacher Form und den Großen
Exorzismus unterscheiden. Der einfache Exorzismus wird bei der Taufe vollzogen. Der
Große Exorzismus hingegen wird praktiziert, um „Dämonen auszutreiben oder vom
Einfluss von Dämonen zu befreien und zwar kraft der geistigen Autorität, die Jesus seiner
Kirche anvertraut hat“ (Katechismus der Katholischen Kirche 1997, Editrice Libreria
Vaticana). Er darf nur von einem Priester und nur mit der Erlaubnis des Bischofs
vollzogen werden.
Wer sucht die Hilfe eines Exorzisten auf?
Prälat Helmut Moll: In Köln können sich die Menschen, die meinen, besessen zu sein, an
das Maternushaus wenden. Oft sind die Menschen, die Hilfe ersuchen, jedoch depressiv,
Suizid gefährdet und von negativen Gedanken durchsetzt. Ärzte stehen ihrer Krankheit
oftmals ratlos gegenüber und können keine Heilung bringen. Diese Menschen wenden
sich dann häufig in ihrer Not an die Kirche, um hier endlich eine Lösung für ihre Probleme
zu finden. In der Regel sind es junge Menschen, und mehr Frauen als Männer, die die
Hilfe der Kirche suchen.
Wichtig ist, dass der Exorzist sehr gründlich bei seiner Diagnose vorgeht. Der Exorzist
muss sehr bedacht sein und sich streng an die Regeln halten. Bevor er einen Exorzismus
durchführt, muss er sich deshalb vergewissern, dass es sich um die Gegenwart des bösen
Feindes handelt. Der Exorzist muss eine psychische Krankheit ausschließen. Ihre
Behandlung obliegt allein den Fachärzten.
Ist es nicht schwierig, einen Besessenen von einem Menschen zu unterscheiden,
der ein psychisches Leiden hat?
Prälat Helmut Moll: Ja, es erfordert große Gewissenhaftigkeit, Erfahrung und
Genauigkeit. Dem Exorzisten stehen vier Kriterien zur Verfügung, anhand derer er eine
Diagnose vornehmen kann. Das vierte und wichtigste Kriterium ist die sogenannte
„aversio a deo“, die Ablehnung Gottes.
Gottesdienstbesuche oder auch die Berührung mit Weihwasser sind Besessenen
unerträglich. Die „aversio a deo“ widerspricht dem Ersten Gebot, da sie Esoterik,
Okkultes und Satanismus befürwortet. Die Ablehnung des Besessenen richtet sich nicht
nur gegen Gott selbst, sondern auch gegen die Mutter Gottes, da sie die Schlange
zertreten hat, sowie gegen alles Heilige. Diese Ablehnung zeigt sich zumeist in
unkontrollierten Gewaltausbrüchen und sehr häufig in verstellten Stimmen, mit denen die
Besessenen während der Behandlung zu sprechen beginnen.
Neben dem vierten und wichtigsten Kriterium, der Ablehnung Gottes, stehen dem
Exorzisten drei weitere zur Verfügung, um seine Diagnose zu stellen. Das dritte Kriterium
sind übermenschliche Kräfte, von denen bereits der Evangelist Markus (Mk 5) berichtet.
Einem Besessenen ist es zum Beispiel möglich, mit nur einem Finger ein schweres Sofa
hochzuheben. Oft bedarf es mehrerer Helfer, um den Besessenen ruhig zu halten und
sowohl Angriffe gegen den Exorzisten als auch gegen die eigene Person zu vermeiden.
Das zweite Kriterium ist die Gabe des Besessenen, zukünftige Ereignisse vorauszusagen.
Das erste Kriterium hingegen besteht in der Fähigkeit, in fremden Sprachen, die der
Besessene nie zuvor erlernt hat, kommunizieren zu können.
Diese vier Kriterien sind nicht erschöpfend, auch wenn das vierte Kriterium, die „aversio
a deo“, ein eindeutiges Ergebnis liefert. Hinzu kommen noch weitere Unterkriterien,
denen während des Ritus nachgegangen wird. Wichtig ist, dass der Priester Fragen stellt,
deren Beantwortung Aufschluss über den Zustand des Menschen geben kann. Der
Priester darf nicht leichtgläubig sein. Mehr als die Hälfte der Fälle der Menschen, die sich
an einen Exorzisten wenden, resultieren als seelisch labil, aber keineswegs als besessen.
Um einen Menschen als besessen zu definieren, bedarf es einer nachweisbaren
Sicherheit.
Gibt es verschiedene Stufen der Besessenheit?
Prälat Helmut Moll: Ja, es gibt drei Stufen: die „infestatio“, die „circumsessio“ und die
„possessio“. „Infestatio“ heißt, die böse Macht will in den Menschen eindringen. Falls das
willentlich geschehen ist, hat der Besessene Schuld. Die zweite Stufe, die „cirumsessio“
oder Umsessenheit bedeutet, dass die teuflische Macht sich im Umfeld des Betroffenen
manifestiert, ohne in den Körper des Besessenen einzudringen. In diesen Fällen kann z.B.
Abhilfe geschaffen werden, indem der Priester die Wohnung des Betroffenen segnet oder
der Betroffene das „Vater Unser“ oder das Gebet des Erzengels Michael betet. Bei der
„possessio“ hat die teuflische Macht die vollkommene Kontrolle über die Person und
macht sie zu seinem willenlosen Objekt. Körperlich und geistig übt der Teufel seine Macht
über den Besessenen aus und beraubt ihn jeder Freiheit. Während des Ritus vollzieht der
Besessene häufig unkontrollierte Gesten und stößt Schreie von sich. Es ist wichtig, auch
hier stets eine genaue Diagnose vorzunehmen und festzustellen, welche der drei Stufen
vorliegt.
Der zweite Teil des Interviews wird am 5. Juni 2015 veröffentlicht werden.
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Biographische Daten:
Prälat Helmut Moll (jg. 1944) studierte Geschichte und Katholische Theologie in Bonn,
Tübingen, Rom, Regensburg und Münster. Er promovierte 1973 bei Joseph Ratzinger.
1976 empfing er seine Priesterweihe. Von 1984 bis 1995 war er an der Römischen Kurie
tätig. 1993 wurde er Konsultor der Kongregation für die Selig- und
Heiligsprechungsverfahren. Prälat Moll gehört dem Schülerkreis Joseph Ratzingers an. Im
Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz erstellte Prälat Moll das zweibändige Werk
„Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts“, das 2008 mit
dem Stephanus-Preis ausgezeichnet worden ist.
Wie funktioniert der Ritus?
Prälat Helmut Moll: Der Ritus hat die Form eines Wortgottesdienstes. So wird die
Segnung mit Weihwasser vorgenommen, vor dem Ritus die Beichte abgelegt, die
Kommunion empfangen, die Heiligen angerufen, das Evangelium gelesen, der Glaube zur
Kirche bekannt, die drei Fragen wie bei der Taufe und in der Osternacht beantwortet und
dem Teufel abgesprochen. Die sogenannte „formula deprecativa“ richtet sich an Gott und
wird in lateinischer Sprache rezitiert. Mit der Formel bittet der Exorzist Gott und alle
Heiligen als Fürbitter, dass die böse Macht weichen möge. Mit der imperativischen Form
hingegen wendet sich der Exorzist direkt an den Teufel. Anschließend folgt ein Dankgebet
in Form des „Magnificat“. Der Ritus dauert teilweise sehr lange, da er immer wieder
wegen Aussetzer des Besessenen oder Trancezuständen unterbrochen werden muss. Der
Ritus erfordert sehr viel Zeit und Geduld und kann durchaus auch jahrelange
Wiederholungen erfordern.
Kann jeder Besessene behandelt oder geheilt werden?
Prälat Helmut Moll: Wichtig ist, dass der Besessene mitmacht. Er muss sich vom Bösen
abwenden wollen. Das geschieht, indem er seinen Lebenswandel ändert und sein Umfeld
vom Bösen befreit. Er muss eine Reinigung vornehmen, ein gläubiger Christ werden,
regelmäßig beten und die Heilige Schrift lesen, die Sakramente empfangen und sein Herz
öffnen. Auch wer vorher nicht gläubig war, kann natürlich die Hilfe der Kirche erbitten.
Wie ist das Verhältnis in Deutschland zum Exorzismus?
Prälat Helmut Moll: Die Haltung kann man durchaus als kritisch bezeichnen. In
Deutschland lebt eine säkularisierte Gesellschaft, die Stellung und Bedeutung der Kirche
oft in Frage stellt. Viele Menschen wenden sich von der christlichen Religion ab und
versuchen anschließend, ihre spirituelle Leere zu füllen. Teilweise wenden sie sich
irrationalen Kulten zu. Dazu zählen schamanische, esoterische oder okkulte Praktiken,
die eine sehr starke Wirkung haben, weil sie den christlichen Glauben ablehnen. Häufig
wissen die Menschen gar nicht um die Gefahr, der sie sich aussetzen. Deshalb ist es
wichtig, dass die Kirche in geeigneter Form auf diese Phänomene antwortet und die
Menschen von diesen Mächten durch die Erlösung heilt. Das wird zusätzlich erschwert
durch den Umstand, dass diese Kulte in der Regel im Geheimen stattfinden.
In Deutschland ist die Einstellung zum Exorzismus natürlich durch den Fall der Anneliese
Michel in den 70er Jahren nachhaltig geprägt. Die junge Frau starb an Unterernährung.
Damals löste der schreckliche Vorfall einen derartigen Schock bei den Bischöfen aus, dass
sie grundsätzlich Abstand vom Exorzismus nahmen. Der Fall von Anneliese Michel zog
eine intensive Diskussion in der Kirche nach sich und die Reform, dass bei der
Behandlung eines Besessenen Ärzte hinzugezogen werden müssen. Der Priester hat seine
priesterliche Autorität und arbeitet zusätzlich mit Ärzten zusammen, um eine so genaue
und umfassende Diagnose wie nur möglich zum Schutz des Besessenen zu erstellen.
Ein weiterer Grund für die kritische Haltung in Deutschland liegt auch in der Mentalität.
Unsere Kultur basiert auf der „ratio“, der Empfindung wird weniger Bedeutung
zugemessen. Außerdem ist die Konfessionszugehörigkeit der Deutschen bei weitem nicht
so einheitlich wie z.B. in südeuropäischen Ländern, man denke an Italien oder Spanien.
In Deutschland gehören 30 Prozent der Bevölkerung dem katholischen Glauben an, 30
Prozent dem evangelischen und die restlichen sind konfessionslos oder gehören einer
anderen Religion an.
Die Päpste äußerten sich mehrfach befürwortend zum Exorzismus. Papst
Franziskus erkannte im Oktober letzten Jahres die internationale
Exorzistenvereinigung an. Die Haltung des Vatikans ist also positiv?
Prälat Helmut Moll: Ja, das ist richtig. Papst Franziskus wandte sich im Oktober 2014 mit
einem Brief an die Internationale Exorzistenvereinigung und bezeichnete die Exorzisten
als „Boten der Nächstenliebe“. Auch sein Vorgänger, Benedikt XVI., fand ähnliche Worte
für die Tätigkeit der Exorzisten. Im Rahmen einer Generalaudienz im September 2005
ermutigte er sie dazu, „mit ihrem wertvollen Dienst an der Kirche fortzufahren“.
Unterstützung fänden sie „durch die fürsorgliche Begleitung ihrer Bischöfe und durch das
beständige Gebet der ganzen christlichen Gemeinde“. Die Haltung des Vatikans ist
positiv. Der Exorzismus ist ja keine mittelalterliche Einrichtung, sondern ein Auftrag, den
Jesus selbst erteilt hat. Den Auftrag gab er an die Apostel, an Petrus und Paulus, weiter.
Wir müssen diesen Auftrag heute weiterführen, da sein Sinn bis heute in der
Ankündigung des Reiches Gottes liegt.
Heilige sind „exempla virtutis“. Warum erhalten ihre Viten nicht noch mehr
Aufmerksamkeit? Sie könnten doch als positive Beispiele vorgestellt werden,
um vor allem junge Menschen vor der Versuchung des Bösen zu bewahren?
Prälat Helmut Moll: Das ist richtig. Vor allem die modernen Heiligen sind hervorragend
geeignet, um junge Menschen zu erreichen. In einer Märtyrerausstellung stellen wir
deshalb zur Zeit in der Diözese Köln zwanzig jugendliche Märtyrer vor, die für ihren
Glauben im Widerstand gegen den Nationalsozialismus das Leben verloren. Einige waren
erst siebzehn Jahre alt, andere gehörten der Weißen Rose an. Insgesamt 400 Märtyrer
stammen aus der Nazizeit. In dem menschenverachtenden System lebten die Märtyrer
eine echte Alternative vor, das christliche Menschenbild. In den modernen Heiligen
können sich alle Menschen wiedererkennen, weil Männer und Frauen, alle Alters- und
Berufsgruppen unter ihnen vertreten sind. Besonders den jungen Menschen, die wegen
ihrer geringen Lebenserfahrung leichter Verführungen und Gefahren ausgesetzt sind,
muss man eine Alternative zum oberflächlichen Leben ohne wahre Liebe und Werte
aufzeigen.
Biographische Daten:
Prälat Helmut Moll (jg. 1944) studierte Geschichte und Katholische Theologie in Bonn,
Tübingen, Rom, Regensburg und Münster. Er promovierte 1973 bei Joseph Ratzinger.
1976 empfing er seine Priesterweihe. Von 1984 bis 1995 war er an der Römischen Kurie
tätig. 1993 wurde er Konsultor der Kongregation für die Selig- und
Heiligsprechungsverfahren. Prälat Moll gehört dem Schülerkreis Joseph Ratzingers an. Im
Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz erstellte Prälat Moll das zweibändige Werk
„Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts“, das 2008 mit
dem Stephanus-Preis ausgezeichnet worden ist.