Dorit Kreysler. - CCC

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Beeindruckende Begegnung
mit einer großen alten Dame:
Eine Begegnung mit der
Schauspielerin Dorit Kreysler
Tagebuchaufzeichnungen von
Yin Yan
(CCC-Seminarschülerin
von Frau Dr. Elfriede Schmidt)
Elfriede Schmidt ©
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Wir mußten lange klingeln und noch länger warten,
bis endlich ein junger Mann mit einem Lächeln die
Tür in hohem Bogen aufmachte und uns hereinbat.
Das war auch alles, was er in Bewegung setzte,
danach verschwand er in irgendeinem Teil der
Wohnung, welche groß war. Sehr verunsichert sah
ich mich um. Und das, was mir in das Blickfeld kam,
gefiel mir gar nicht: Gedämpftes Licht hie und da,
alte Möbel, auf denen sich der Staub sammelte. Alles schien so unfreundlich und leer: Obwohl es das
nicht war. Denn überall auf dem Boden lagen neben
unzähligen hohen Stapeln Zeitungen, Blättern und
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Sonstiges, auch der Müll. Begleitet von einem ständigen unangenehmen Geruch, der sicherlich dadurch entstand, weil schon länger nicht gelüftet
oder gar geputzt wurde. Als ich in die Küche kam,
stockte mir fast der Atem: Ganz unscheinbar, saß
dort eine Frau mit schneeweißen Haaren, dick bekleidet auf dem Sessel und freute sich über den
Besuch von Frau Doktor Schmidt, zwei anderen
Jugendlichen und mir. Anfangs hatte ich nur Augen
für das Desaster in dem Raum, das sich allen Übels
noch Küche nannte. Überall lagen Dosen, Schachteln, wiederum uralte Zeitungen, und weiß Gott was
noch alles. Ich kann mich noch an diesen museumsreifen Fernseher erinnern, der zwar dauernd
lief, aber man konnte nichts erkennen, weil das
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Programm nicht scharf eingestellt war. Aber das
schien diese Frau wohl nicht zu stören. „Diese
Frau“ wenn ich mich ausdrücken darf, trug den Namen Dorit Kreysler.
Viele werden diesen Namen kennen. Gewiß älteren Menschen wird er geläufig sein. Eine grandiose
Schauspielerin, die ihre Blütezeit schon längst hinter sich hatte, und jetzt nur noch Erinnerungen mit
sich trägt. Erinnerungen die sie, so bin ich mir sicher, für immer in ihrem Herzen tragen wird, und
auch andere Erinnerungen, an denen andere auch
Teil haben konnten. Und dies in Form von unzähligen Filmen und ausdrucksvollen Fotos, die die kahle Wand in ihrem Vorzimmer schmückten.
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Nach einiger Zeit beachtete ich meine ungewohnte
Umgebung nicht mehr,
sondern fing an, Frau
Kreysler nur mehr für mich ganz allein zu studieren.
Das mache ich immer bei fremden Leuten so. Sie
von oben bis unten einmal betrachten, ganz diskret,
sie anzuschauen, um so meine ersten Eindrücke
zu sammeln. Sie saß da inmitten dieses Durcheinanders auf einem Sessel, ihre Kleider waren alt,
und dürftig. Eine zierliche, ja fast dünne, gewöhnliche, alte Frau, könnte man sagen. Aber das war sie
durchaus nicht. Was mich am meisten faszinierte,
war vor allem und in erster Linie, ihr Gesicht. Auch
hier fanden sich, kann man fast sagen, die typische
Handschrift des Lebens und des Alters: Ihre Haare
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hatten die Farbe von frisch gefallenen Schnee, ihr
Gesicht war schmal und man sah beinahe schon
nichts mehr außer Falten. Doch diesen Ausdruck
habe ich auch noch heute vor mir. In ihren Augen
steckten so viel Güte und sie strahlten für mich so
viel aus, dass ich es kaum
in Worte fassen kann. Es war einerseits die anscheinende Gelassenheit, mit der sie alles aufnahm, und andererseits sprachen sie für mich Bände. Und um ihren Mund schien immer ein sanftes
Lächeln zu liegen.
Frau Dr. Schmidt erzählte mir viel von dieser Frau,
die 1998 noch ihre Nachbarin war: Sie war eine
hoch umjubelte berühmte Schauspielerin ihrer Zeit.
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Sie hatte alles erreicht, was man sich nur wünschen
konnte. Berühmtheit, Anerkennung und Achtung
von der „high society“ und Erfolg. Alles Dinge, von
denen man nur träumen könnte, sie aber hat dies
alles wirklich erreicht. Doch wie kommt es, dass eine so berühmte Frau, doch so arm und einsam im
Alter endet? Wie konnte es so weit kommen, das
sie nun in ihrer Wohnung saß, ganz bescheiden
und allein, einsam, nur mit ihren Erinnerungen?
Durch
Frau
Doktor
Schmidts
CCC-Kreativ-
Seminare kam ich schon öfters mit Berühmtheiten
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So hatte ich auch
Gelegenheit mit Hollywood-
Legende Leon Askin Worte zu wechseln, ich schüttelte auch dem deutschen Film- Plakatmaler Klaus
Dill, welcher auch für seine Winnetou Zeichnungen
bekannt ist, die Hand. Meine Amateurzeichnungen
wurden vor einigen
Jahren in einem CCC-
Workshop vom tschechischen
Künstler Miroslav
Wagner in Augenschein genommen ... doch bevor
ich mich hier verliere möchte ich wieder zurück zu
meinem eigentlichen Thema kommen...
Noch nie zuvor hatte ich von all diesen Leuten gehört. Das alles hatte einen Vorteil: Ich konnte mich
auf jeden dieser von mir genannten Menschen völlig auf deren Auftreten, deren Art und deren ganzen
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Persönlichkeit einstellen, mich in sie hineinfühlen.
Ohne, dass immer ein Titel oder ein Ruf im Weg
stand. Für mich waren sie von Anfang an nur Menschen. Nicht mehr und nicht weniger. Ich hatte also
die Möglichkeit, sie mir als „Mensch“ und jeden für
sich als solchen einzuprägen. Und jeder hatte seinen Eindruck bei mir hinterlassen, der ein Leben
lang bleibt. Entweder hatte mich der Mensch an
sich interessiert, oder sein Lebenslauf. Doch die
Persönlichkeit war letzten Endes das Ausschlaggebende. So war es auch bei Frau Dorit Kreysler
Nie zuvor hatte ich ihren Namen gehört, auch wenn
ich vielleicht einmal einen Film mit ihr gesehen haben sollte, so konnte ich den Namen nicht zuordnen
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und mich dann, als ich Dorit Kreysler persönlich
kennenlernte, nicht an sie erinnern. Später erzählte
mir Frau Doktor Schmidt, dass sie - da sie doch
während des Krieges ihre große Filmkarriere machte - auch bei einem von Hitler's Gala-Abenden in
Berlin zu Gast war. So lernte ich eine Künstlerin
kennen, die in einer Zeit sehr berühmt und beliebt
gewesen ist, die für so viele Menschen unerträglich
war. Wie uns Frau Dr. Schmidt in den vorangegangenen Seminaren erzählte, "mißbrauchte" Hitler
auch die KünstlerInnen
und Künstler für seine
menschenverachtende Politik.
Sie mußten den
Menschen , dem Volk, eine heile Welt vorspielen,
sie lächelten von der Filmleinwand und lenkten von
seinem häßlichen Krieg ab. Auch darüber denke ich
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nach... Wieviele Schauspielerinnen und Schauspieler hat Hitler auf diese Weise verführt? Wie wurden
die Menschen, das Volk damals verführt? Auch diese Frau, die mich nicht los läßt...
Ich sitze hier nur vor der klimperten Tastatur und
konzentriere mich auf diese Zeilen, doch nebenbei
streift mein Blick immer wieder auf die vielen
schwarz-weißen Kopien ihrer schönen Fotos, die
zum Teil an den Wänden hängen. Sie hat mir sogar
eine Kopie signiert. „Beste Wünsche, Dorit Kreysler“ steht über dem Bild einer Frau, deren Aussehen
eine reine Augenweide ist. Ein strahlendes Lächeln,
und Augen, die auch jetzt ihren Ausdruck nicht im
geringsten verloren haben. Die Kopie eines glän-
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zenden Originalfotos zeigt eine junge zierliche Frau,
die anscheinend keinerlei Sorgen hat, oder je hatte.
Das vermittelt mir dieses Bild. Doch Frau Kreysler
hatte lange gebraucht, um mühsam und fast wie ein
ungeübtes Kleinkind jene guten Wünsche für mich
und ihren Namen über ihr Konterfei anzubringen.
Ihre Schrift ist etwas unsicher und noch immer sehe
ich sie vor mir, so, als hätte sie "alle Zeit der Welt"
mit ihrer Unterschrift angebracht.
Sicherlich trauert sie den alten Zeiten nach, obwohl
sie es nicht wörtlich zugibt, doch sie beklagt sich
auch nicht über ihren heutigen Zustand. Der Zustand war eben ihre Umgebung, ihre Lage. Wie
konnte sie in letzter Zeit nur in diesem Durcheinan-
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der leben? Ja sie selber war zu schwach, um zu arbeiten.
Auch erzählte mir damals Frau Kreysler, wie sie eines Tages hingefallen war, sich nur mit großer Mühe, viel Geschick und Glück mittels Polstern und
Türrahmen wieder aufrappeln konnte. Das war das
Schicksal einer allein lebenden alten Dame, dachte
ich mir. Gleichzeitig verspürte ich einen tiefen Haß
auf jenen jungen Studenten, der uns beim Eingang
die Türe geöffnet hatte und danach einfach rasch
verschwunden ist. Wieso hat dieser Mensch, er war
doch ihr Mitbewohner, hatte die ganze Zeit hier gelebt, aber nichts dergleichen unternommen, um die
Wohnung erträglicher zu machen? Ihm war alles
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anscheinend vollkommen egal .Er konnte tatsächlich in dieser Wohnung leben und diese Frau beinahe unbeachtet lassen?
Egal,- welchen Namen oder Titel ein Mensch hat,
Frau Dorit Kreysler trägt zwar einen Namen, das ist
aber hier nicht wichtig, mir will es jedoch nicht in
den Kopf gehen, dass einem Mitbewohner alles anscheinend nicht besonders viel gekümmert hat. Ich
stellte mir die Frage, wenn sie reich gewesen wäre,
was sie aber nicht mehr war, hätte er vielleicht doch
alles getan, um sie zu betreuen?. Wegen Ihres
Reichtums?
Oder wenn sie noch immer die
Schönheit gewesen wäre, die sie einst war, hätte er
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ihr den Hof gemacht, und alles daran gesetzt, ihre
Aufmerksamkeit zu erlangen?
Doch jene alte stille Frau interessierte ihn nicht. Sie
war alt. Und das war und ist unfaßbar.
Ich sage nicht, dass man sich mit völliger Aufopferung für andere Menschen einsetzen muß, die man
noch dazu nicht kennt. Aber letzen Endes gibt es so
etwas wie Menschlichkeit, die man niemals verlieren darf.
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Anmerkungen:
Diese Aufzeichnungen machte ein Mädchen,
welches vier Jahre hindurch ein außerschulisches CCC-Kreativ-Gruppen- Seminar an der
Hauptschule Engelsdorf, in Graz- Liebenau
bei Frau Dr. Elfriede Schmidt besuchte.
Die CCC-Seminarprogramme behandeln die
Themen Kunst, Kultur und Sport, intensive
Pflege der Muttersprache, kreatives Fremdsprachentraining, interessante KünstlerInnenBegegnungen werden ermöglicht, Begegnungen mit für junge Menschen vorbildhaften
Persönlichkeiten, deren Lebensschicksale
stets Grundlage vieler Diskussionen sind.