Erziehungs-Journalismus

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05. Januar 2016, 16:34 Uhr
S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal
Erziehungs-Journalismus
Eine Kolumne von Jan Fleischhauer
41 Prozent der Deutschen haben den Eindruck, dass kritische Stimmen in der Flüchtlingskrise zu kurz kommen. Nur jeder Vierte glaubt,
dass von den zu uns Kommenden ein realistisches Bild gezeichnet wird. Was läuft da falsch?
Am 30. Dezember hatte Claus Kleber im "heute journal" einen Auftritt, der es wert ist, dass er hier noch einmal wiedergegeben wird. Anlässlich des
Jahresrückblicks, den seine Redaktion vorbereitet hatte, fasste Kleber in seiner Anmoderation die Lage zum Jahreswechsel wie folgt zusammen:
"Europa ist zusammen geblieben, die deutsche Wirtschaft brummt, in der Flüchtlingskrise merkt Deutschland verblüfft, wozu es fähig ist.
Hilfsbereitschaft, Empathie, Willkommen stellen in den Schatten, was Fremdenfeinde, Nationalisten und Zweifler auf die Straße bringt."
Wonnesender ZDF. Was wären wir in diesen grauen Tagen ohne dich!
Nun gut. Dass ein Moderator beim Rückblick auf das Krisenjahr 2015 einen eher sonnigen Ansatz wählt, soll man ihm nicht ankreiden. Ich bin der letzte, der
einem Journalisten Vorhaltungen machen würde, weil er die Dinge nicht nur schwarz in schwarz sieht. Die Überraschung ist für mich der zweite Teil von
Klebers Aufsager.
Wer außerhalb der ZDF-Nachrichtenredaktion hätte gedacht, dass "Zweifler" die Steigerungsform von "Nationalist" und "Fremdenfeind" sein könnte? Wenn
ich zu "Fremdenfeind" einen Superlativ wählen müsste, würde mir "Nazi" einfallen oder, meinetwegen, "rechte Dumpfbacke". Ich hielt "Zweifler" bislang für
eine neutrale Bezeichnung, die einen als Journalisten eher schmückt.
Die Episode wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn sie sich nicht in das Bild von einem Rundfunk einfügen würde, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die
Flüchtlingspolitik der Bundesregierung medial zu flankieren. Wenn es um dieses Thema geht, kennt das öffentlich-rechtliche Fernsehen keine Fremden mehr,
sondern nur noch Landsleute. Kein Wunder, dass jeder, der Zweifel sät, des Defätismus verdächtig ist.
Man muss sich nur die Besetzung deutscher Talkshows ansehen, in denen das Flüchtlingsthema 2015 behandelt wurde. In der Regel saßen dort vier
Menschen guten Willens, um auf einen einzureden, der sich hartnäckig weigerte, in das Willkommens-Mantra einzustimmen. Die Rolle des Uneinsichtigen
war dabei entweder einem Ungarn zugeteilt, von dem man ohnehin weiß, was man von ihm zu halten hat, oder dem armen Markus Söder, der so etwas wie
der Ungar aus München ist. "Willkommens-Rundfunk" hat der Medienredakteur der "FAZ", Michael Hanfeld, diese Form betreuten Fernsehens treffend
genannt.
In der Flüchtlingskrise fühlen sich viele nicht angemessen informiert
Ich bin öfter zu Vorträgen oder Podiumsdiskussionen eingeladen. In der anschließenden Diskussion kommt regelmäßig die Klage über die
Voreingenommenheit der Medien. Ich habe mich am Anfang immer gefragt, was die Leute lesen. Der "FAZ" kann man nicht den Vorwurf machen, in der
Asylfrage auf Regierungslinie zu sein. Auch im SPIEGEL finden sich viele kritische Texte zur Flüchtlingspolitik - Kanzlerlob war nie wirklich unsere Sache.
Wenn man nachfragt, was die Leute meinen, wenn sie von "den Medien" sprechen, stellt man fest, dass sie in erster Linie die öffentlich-rechtlichen Sender
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vor Augen haben. Was die Nachrichten angeht, bestimmen ARD und ZDF noch immer stark das Bild, allen Abgesängen auf die Meinungsmacht der
Öffentlich-Rechtlichen zum Trotz.
Dass bei einem Teil der Bevölkerung der Eindruck vorherrscht, die Medien würden eher einem pädagogischen als einem journalistischen Auftrag folgen, lässt
sich auch mit Zahlen belegen. Mehr als zwei Drittel der Deutschen halten die Berichterstattung in der Tagespresse und im öffentlich-rechtlichen Fernsehen im
Großen und Ganzen für zuverlässig, wie gerade eine Umfrage von Allensbach ergab. In der Flüchtlingskrise allerdings fühlen sich viele nicht angemessen
informiert. 41 Prozent haben den Eindruck, dass kritische Stimmen ausgeblendet werden. Nur jeder vierte Zuschauer glaubt, dass ein realistisches Bild
derjenigen gezeichnet wird, die zu uns kommen.
Man darf gespannt sein, welchen Raum die Silvesternacht vor dem Kölner Hauptbahnhof in der Berichterstattung einnehmen wird. Es handelt sich bei den
Tätern nach allem, was man weiß, nicht um Syrer, sondern um Marokkaner und Tunesier, aber das macht die Diskussion nicht viel einfacher. Als der
damalige FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle vor drei Jahren einer "Stern"-Redakteurin ein schiefes Kompliment machte, das diese als unangemessen
empfand, war das zahllosen Talkrunden Anlass genug, die sexuelle Belästigung von Frauen zu behandeln.
Bei "heute-journal" und "Tagesthemen" schafften es die Vorfälle in Köln am Montagabend immerhin in den Nachrichtenüberblick. Etwas über eine Minute
widmeten die "Tagesthemen" den Übergriffen, allerdings nicht ohne gleich eine warnende Stimme einzuspielen, dass man sich vorsehen müsse, jetzt nicht
den falschen Leuten in die Hände zu spielen.
"Es ist ja schon absehbar, dass das rechte Spektrum genau diesen Sachverhalt nutzen wird, um zu sagen: seht ihr, das haben wir euch immer gesagt",
kommentierte ein braver Gewerkschaftsmann der Polizei die Geschehnisse der Silvesternacht. Das ist das Enervierende am Nanny-Journalismus: Es gibt
kein Bild und keinen O-Ton, bei denen man den Menschen nicht dazu sagt, welchen Reim sie sich darauf zu machen haben.
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