»Ich will hier keinen Rummelplatz« Severin von Hoensbroech, Betreiber von Schloss Türnich, zu dem auch ein DemeterBetrieb gehört, will Nachhaltigkeit zukünftig unterhaltsamer präsentieren. Ein Gespräch über den Spagat zwischen ökologischen Visionen und finanziellen Möglichkeiten Herr von Hoensbroech, Sie haben als Kind auf Schloss Türnich gelebt. Was ist das Besondere dieses Ortes? Das Schloss ist seit mehr als 150 Jahren in Familienbesitz. Orte wie dieser waren als großer Kreislauf organisiert. Es gab ja nicht nur das Schloß, sondern eine große Landwirtschaft, eine Mühle, Scheunen, Ställe, Gärten und Wohnungen. In der großen Schlossküche wurden bis zu siebzig Leute bekocht. Das Schlosscafé, wo wir jetzt sitzen, war früher die Sattelkammer, daneben der Kuhstall. Ihr Vater hat in den 80er Jahren auf ökologischen Landbau umgestellt. Für einen »Schlossherrn« ungewöhnlich. Was hat ihn dazu bewogen? Mein Vater ist ja alles Mög liche, nicht nur Schlossherr. Er ist Jurist, Rechtsanwalt, Agraringenieur, staatlich geprüfter Kuhmelker (lacht) und Philosoph. Die Gegend hier ist stark durch Industriali sierung geprägt: eine Agrarwüste mit großen Feldern, die hauptsächlich rechteckig sind — der Erft-Kanal kann es mit jedem Lineal aufnehmen. Und meinem Vater war das Ende der 80er Jahre schon ein Dorn im Auge. Er wollte Landwirtschaft und Landschaft wieder miteinander versöhnen. 30 titel Mit welchem Ergebnis? Meine Eltern haben kilometerlange Hecken gepflanzt, die Gärten saniert, die Landwirtschaft auf Bio umgestellt und wie einen riesigen Park gestaltet. Das Ergebnis ist eine wunderschöne Landschaft mit einer erstaunlichen Artenvielfalt. Wir haben wieder zahlreiche Rote-Liste-Arten hier, wie etwa den Schwarzspecht und den Eisvogel. Die Landschaft ist ein einma liges Biotop geworden. Warum ist Ihnen das Thema biologische Vielfalt und Demeter-Anbau so wichtig geworden? In meinem Theaterstück »Foodcrash« frage ich die Leute oft: Was ist Bio? Dann kommen Antworten wie »Bio ist gesund« oder »Bio schmeckt besser, ist aber zu teuer«. Dann merke ich, dass die Leute gar nicht wissen, worum es bei Bio eigentlich geht. Es gibt eine Studie mit dem Titel »Planetary Boundaries«, die die Frage stellt, was unser Planet noch aushält. Das Ergebnis ist, dass die industrielle Landwirtschaft für den Klimawandel, den Rückgang der Artenvielfalt und für fast alle anderen Faktoren, die unseren Planeten ruinieren, hauptverantwortlich ist. Diese Erkenntnis hat mich erschüttert. Was genau hat Sie dann bewogen, wieder aufs Land zu ziehen und ökologischen Anbau zu betreiben? Ich bin ja eigentlich Schauspieler und Regisseur und arbeite als Trainer für Führungskräfte. Die Bedeutung von ökologischer Landwirtschaft war mir immer klar, aber ich habe mich erst in den vergangenen Jahren, als ich das Stück »Foodcrash« auf die Bühne gebracht habe, näher damit auseinandergesetzt. Mir sind die ganzen Zusammenhänge auf einmal klar geworden. Ehrlich gesagt, haben meine Frau und ich am Anfang überlegt, ob wir die Landwirtschaft nicht einfach sein lassen, doch wir finden, dass es wichtig ist, Leuten zu zeigen, dass wir gute Landwirtschaft brauchen. Obwohl es sehr schwer ist. Und das ist ein Problem der ökologischen Landwirtschaft: Sie ist kein Geschäftsmodell. Man kann schon froh sein, wenn man eine schwarze Null schreibt, weil man mit dem Produkt selbst nicht viel verdient. Aus Schloss Türnich soll langfristig ein Erfahrungsort für Kreislaufprozesse und Nachhaltigkeit werden. Um solche Ideen zu vermitteln, muss man Öffentlichkeit gewinnen. Werden Sie deshalb das Angebot von Schloss Türnich erweitern, damit mehr Menschen den Ort aufsuchen? Ja, natürlich. Wir wollen viele Führungen und Kurse zum Thema anbieten, auch verstärkt für Kinder. Wir werden die Schlossküche wieder in Betrieb nehmen und Kochveranstaltungen durchführen. Mittelfristig soll es ein Hotel geben, einen Naturkindergarten, eine gläserne Produktion und Veranstaltungsräume. Die Landwirtschaft soll erlebbar und die bereits bestehenden Saisongärten erweitert werden. Das kann nur gelingen, wenn die Leute aus der Umgebung mitmachen. Glauben Sie, dass die Türnicher Ihre Ideen dauerhaft annehmen werden? Das ist natürlich unser Anliegen. Wir sind aber auf dem Land, und das Land ist immer noch Bio-Diaspora, da darf man sich nichts vormachen. Dennoch merken wir etwa bei unserem kleinen Markt, dass es inzwischen echten Bedarf gibt. Ich kenne aber auch Leute, die das Thema Bio komplett verstanden haben und trotzdem beim Discounter einkaufen. Wenn man bei denen zu Hause einen Blick in den Kühlschrank wirft, dann stehen ein paar Bioprodukte drin, aber hauptsächlich konventionelle Lebensmittel. Am Ende entscheidet eben doch der Preis. Es ist aber nicht notwendigerweise eine Frage des Geldes. Nach wie vor werden große Autos gefahren, teure Smartphones gekauft und hohe Mieten gezahlt. Das ist genau der Punkt: Für Materielles wird Geld ausgegeben. Dem neuesten iPhone gibt man eine Wertigkeit, dem Essen nicht. Bei McDonald’s bekommt man einen Burger mit einem Stück Fleisch für einen Euro. Mithilfe der hohen EU-Subventionen produzieren wir in Deutschland billiges Essen. Wir können nur so billig essen, weil die industrielle Landwirtschaft die Kosten externalisiert. Im Getreidepreis ist zum Beispiel die Versauerung der Gewässer, der Klimawandel oder der Rückgang der Artenvielfalt nicht eingepreist. Ein Hühnchen ist nur so billig, weil das Soja, das es frisst, in Brasilien auf gerodetem Regenwaldboden angebaut wird. Sie wollen in Türnich dazu beitragen, dass solche Themen mehr diskutiert werden. Wie gehen Sie das an? Die Menschen haben keine Lust auf schlechte Laune, die wenigsten wollen mit Problemen konfrontiert werden. Deswegen finde ich, dass man die Idee der Nachhaltigkeit positiv vermitteln muss. Wenn ich am Abend total kaputt ins Kino gehe, dann gehe ich in keinen Problemfilm — egal, wie gut der ist. Und so wollen wir das hier auch handhaben: mehr Unterhaltung bieten, das Thema mit Humor unter die Leute bringen — und mit Genuss. Ich träume von einem »Essbaren Kultursommer« — mit Sommertheater, kleinem Markt und regionalem Essen. Hier im heutigen Schlosscafé war im vergangenen Jahr noch eine Bibliothek — jetzt sind alle Bücher raus, warum? Das hat zwei Gründe. Ich finde wichtig, dass man auf Türnich erkennt, um was für einen Ort es sich einmal gehandelt hat. Hier war die Sattelkammer, es ging also um Pferdegeschirre. Bücher gehören hier nicht hin. Der pragmatische Grund ist natürlich, dass wir auch Geld verdienen müssen und jetzt passen mehr Menschen in den Raum. Der Ort muss funktionieren, auch finanziell. Von Kinderführungen allein können wir nicht leben. Meinetwegen kann hier auch Mercedes Benz seine Vorstandssitzung abhalten oder Miele Waschmaschinen präsentieren — wenn der Ort von sich aus erzählen kann, wofür er steht. Also zukünftig mehr Events und Veranstaltungen? Mir ist wichtig, dass Türnich ein ruhiger Ort bleibt, der eine grundsätzliche Atmosphäre vermittelt und für ein Thema steht. Auch dann, wenn Veranstaltungen stattfinden. Da bin ich mittlerweile streng. Bio-Catering etwa ist Pflicht. Schloss Türnich ist eine der schönsten Anlagen im Rheinland. Ich will hier keinen Rummelplatz, auch wenn beim Erntedankfest schon mal 5000 Leute kommen. Anja und Severin von Hoens broech (41 und 43), Eltern von vier Kindern, haben vor drei Jahren den Betrieb auf Schloss Türnich übernommen, zuvor lebten sie in Köln. Anja von Hoensbroech, Juristin und Expertin für Menschenrechte, verantwortet mit Landwirt Simon Ritzkowsky den Obstund Gemüseanbau. Severin von Hoensbroech kümmert sich um die Entwicklung des Gesamt ensembles. Seit 2015 gibt es auf dem Schlossareal neben Veranstaltungen wie der Biogartenmesse oder dem Erntedankfest auch Saisongärten zum Pachten. titel 31
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