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Juristische Fakultät
Konversatorium zum GK BGB I von Bien/
Sonnentag im Wintersemester 2015/16
Fall 6: Geschenkte Belastung – 24.11.2015
Sachverhalt
V will seinem zwölfjährigen Sohn S ein vermietetes Haus schenken. Er
geht am 26.10.2007 mit S zum Notar N, der das Schenkungsangebot
des V und die Annahmeerklärung des S beurkundet. Am 4.12.2007 gibt
V im eigenen Namen sowie in Vertretung seines Sohnes S vor N die
Auflassungserklärungen ab. S wird am 7.1.2008 als Eigentümer ins
Grundbuch eingetragen.
Ist S Eigentümer des Hauses geworden? Beachte §§ 181 und 566 BGB!
Abwandlungen
Abw.
1:
V
vertritt
S
auch
schon
bei
der
Annahme
seines
Schenkungsangebots.
Abw. 2: Das Grundstück war belastet mit
a) einer Grundschuld (vgl. § 1191 BGB)
b) einer Reallast (vgl. § 1105).
Abw. 3: V behält sich Nießbrauch (vgl. § 1030 BGB) vor.
Abw. 4: V schenkt S kein Grundstück, sondern eine Wohnung.
Abw. 5: V behält sich ein Rücktrittsrecht vom Schenkungsvertrag vor.
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Lösung
Ausgangsfall
Eigentumserwerb des S am Haus?
Beachte das Trennungs- und Abstraktionsprinzip: Die Übertragung des
Eigentums
erfolgt
durch
ein
selbstständiges
Rechtsgeschäft
(Erfüllungsgeschäft), nicht durch den Kaufvertrag!
Voraussetzung für ET-Erwerb des S am Haus:
• Wirksame Übereignung des Grundstücks nach §§ 873, 925 BGB
• vgl. §§ 93, 94 BGB: Häuser können nicht Gegenstand besonderer
Rechte sein  Übereignung mit Grundstück
Wirksame Übereignung des Grundstücks, §§ 873, 925 BGB?
Übersicht: Voraussetzungen der Übereignung eines Grundstücks
1. Einigung (§ 873 BGB) in der Form des § 925 BGB (Auflassung)
2. Eintragung im Grundbuch, § 873 BGB
3. Einigsein im Zeitpunkt der Eintragung
4. Berechtigung des Veräußerers
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Hier:
• Eintragung im Grundbuch (+)
• Berechtigung des V mangels anderweitiger Angaben im SV (+)
• Wirksame Einigung?
I.
Form des § 925 BGB (+)
Einigung von V und S (vertreten durch V) vor dem Notar über den
Eigentumsübergang
II.
Problem:
Wirksamkeit
der
Auflassungserklärung
des
S:
Vertretungsmacht des V?
• Vater
ist
als
gesetzlicher
Vertreter
des
Sohnes
grds.
vertretungsberechtigt, §§ 1626 I, 1629 I BGB
• Aber: Unwirksamkeit gem. § 1629 II 1 i.V.m. § 1795 II i.V.m. § 181
BGB (Insichgeschäft)?
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Prüfungsschema § 181 BGB („Insichgeschäft“)
1. Rechtsgeschäftliche Vertretung…
2. entweder
a. im Namen des Vertretenen mit sich im eigenen Namen
(„Selbstkontrahieren“ – 1. Alternative)
oder
b. als Vertreter zweier Parteien
(„Mehrvertretung“ – 2. Alternative)
Rechtsfolge:
Grunds.: keine Vertretungsmacht (Rechtsgeschäft ist schwebend
unwirksam)
Ausnahme:
1. Gestattung des Insichgeschäfts und/oder
2. Erfüllung einer Verbindlichkeit
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Hier:
1. Rechtsgeschäftliche Vertretung (+)
V hat bei der Auflassung des Grundstücks als Vertreter des S
gehandelt
2. Selbstkontrahieren oder Mehrvertretung?
V: auf Veräußererseite (im eigenen Namen) und auf Erwerberseite
(in Vertretung des S)  Selbstkontrahieren, Alt. 1 (+)
Rechtsfolge: Grds. keine Vertretungsmacht des V, aber evtl.
Ausnahmen?
3. Gestattung (-)
4. Insichgeschäft möglich, da Übertragung des Eigentums zur
Erfüllung einer Verbindlichkeit?

Verbindlichkeit
des
V
gegenüber
S
evtl.
aufgrund
Schenkungsvertrag (§ 516 BGB)?
 Vss.: Wirksamer Schenkungsvertrag
a) Eingung über Schenkungsvertrag bezügl. Haus (+)
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b) Form: Notarielle Beurkundung gem. § 128 BGB (+) 
Wahrung der Formvorschriften des § 518 BGB und des § 311
b I 1 BGB (+)
c) Wirksamkeit
der
Erklärung
des
S
(Annahme
des
Schenkungsangebots)?
• Schenkungsannahme bringt dem Minderjährigen lediglich
einen rechtlichen Vorteil  (Noch) keine rechtlichen
Verpflichtungen aus Schenkungsvertrag
• Belastungen
und
Verbindlichkeiten
ggf.
erst
durch
späteren rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerb  hier
grds. unbeachtlich (Trennungs- und Abstraktionsprinzip!)
d) Zwischenergebnis: Wirksamkeit des Schenkungsvertrags (+)
 Verbindlichkeit iSd § 181 BGB a.E. grds. (+)
5. Dieses Ergebnis ist jedoch problematisch!
• S würde Eigentümer eines vermieteten Hauses werden
• Vgl. § 566 BGB: Der Minderjährige träte in bestehenden
Mietvertrag ein
• Vermieterstellung bedeutet rechtliche Verpflichtungen und
Nachteile (vgl. z.B. §§ 535 I 2, 536 a, 566 a BGB)
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Deshalb allgemeine Meinung: Eintritt des Minderjährigen in
Mietvertrag ist zu verhindern, sonst Umgehung der gesetzl.
Wertung des § 107 BGB
a) BGH früher: Gesamtbetrachtungslehre
 Folgen des dinglichen Rechtsgeschäfts bereits bei der
Beurteilung der Wirksamkeit des Schenkungsvertrags
berücksichtigen
 Wenn Erfüllung eines an sich lediglich rechtlich
vorteilhaften Verpflichtungsgeschäfts mit rechtlichen
Nachteilen
für
Minderjährigen
verbunden:
Ausnahmetatbestand des § 181 BGB a. E. greift nicht
ein
 In diesem Fall: Vertretungsmacht des V (-)
b) Kritik an Gesamtbetrachtungslehre: Unvereinbarkeit mit
Trennungs- und Abstraktionsprinzip (!!!)

Gesamtbetrachtungslehre
ist
strikt
abzulehnen
(mittlerweile auch vom BGH aufgegeben)
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c) Lösungsmöglichkeit der Literatur:
 Teleologische Reduktion des letzten Halbsatzes des § 181
BGB
 Selbstkontrahieren ist (entgegen des Wortlauts des § 181
BGB) auch bei Erfüllung eines Schenkungsversprechens
unzulässig, wenn Erfüllungsgeschäft dem Minderjährigen
nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil bringt (vgl. § 107
BGB)
 Konsequenz:
Schenkungsvertrag
ist
wirksam,
Auflassungserklärung allerdings unwirksam
d) Ergebnis: Nach beiden Ansichten kein Eigentumserwerb von
S, Notwendigkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers (§
1909 BGB)
Beachte: Auswirkungen des Trennungs- und Abstraktionsprinzips auf
Schenkungsgeschäfte:
(1)
Schuldrechtliche
Ebene:
Schenkungsverträge
können
von
beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen zu ihren Gunsten wirksam
abgeschlossen werden (Keine Verpflichtung, lediglich Ansprüche, also
rechtliche Vorteile iSd § 107 BGB)
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(2) Die Verfügungsebene erweist sich als problematischer:
(a) Erwerb von Eigentum grundsätzlich ebenfalls lediglich rechtlich
vorteilhaft
(b) Wenn jedoch belastetes Eigentum (vermietetes Haus) von
einem Dritten erworben wird: Kein lediglich rechtlicher Vorteil,
Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters erforderlich (Zustimmung
bzw. gesetzliche Vertretung)
(c)
Besondere
Schwierigkeiten,
wenn
Geschäft
zwischen
Minderjährigem und gesetzlichem Vertreter selbst:
 Grundsatz: Verbot des Insichgeschäfts (§ 181 BGB)
 Aber: Ausnahme „es sei denn, dass das Rechtsgeschäft
ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht“
(§ 181 BGB a. E.)
 wortlautgetreue
Anwendung
der
Vorschrift
würde
zur
Wirksamkeit des Insichgeschäfts führen
 Nur eine teleologische Reduktion dieses Ausnahmetatbestandes erlaubt eine angemessene Berücksichtigung des
Minderjährigenschutzes.
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Abwandlung 1 (V als Vertreter auch bei der Annahme des
Schenkungsangebots):
Unwirksamkeit der Annahme des Schenkungsangebots wg. Verbot
des Selbstkontrahierens gem. § 181 BGB?
 Ausnahmetatbestände (Gestattung/Erfüllung einer Verbindlichkeit)
hier (-)
 Aber nach allgemeiner Meinung: Wertungen des § 107 BGB
berücksichtigen!
o § 181 BGB unanwendbar, wenn Insichgeschäft dem
Vertretenen (hier S) lediglich einen rechtlichen Vorteil bringt
 (weitere) teleologische Reduktion des Tatbestandes
o Begründung:
 Schutzzweck des § 181 BGB: Verhinderung von
Interessenkonflikten und Gefahr der Schädigung eines
Teils
 Soweit aus Vertretung lediglich rechtlicher Vorteil für
Vertretenen: Gefahr des Interessenkonflikts bzw. der
Schädigung (-)
 Deshalb: Annahmeerklärung des S (vertreten durch V) ist wirksam

Schenkungsvertrag
(+)

Verbindlichkeit
(+)
 teleologische Reduktion des § 181 BGB a. E. (wie Ausgangsfall)
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Vorbemerkung zu den Abwandlungen 2 bis 5
• Jedes
der
folgenden
Rechtsgeschäfte
mit
(irgendeinem)
rechtlichen Nachteil
• Wenn alle Nachteile berücksichtigt: Kein Raum mehr für die
Annahme der im Rahmen von §§ 107 und 181 BGB zu prüfenden
rechtlichen Vorteilhaftigkeit
• Daher Wertung notwendig: Unterscheiden zwischen rechtlich
relevanten Nachteilen und solchen (unerheblichen) Nachteilen, die
einem Geschäft die rechtliche Vorteilhaftigkeit nicht nehmen
(1) Früher: Differenzieren zwischen unmittelbaren und mittelbaren
Nachteilen
(kraft
Gesetzes
an
den
vorteilhaften
Immobilienerwerb geknüpfte Nachteile wie Steuern, Abgaben
und Gebühren sind keine rechtlich relevanten Nachteile)
(2) Köhler: sorgerechtliche Betrachtungsweise  Kontrolle durch
die Erziehungsberechtigten für konkretes Rechtsgeschäft nötig?
(3) Stürner/jetzt wohl auch BGH: wirtschaftliche Betrachtungsweise
 Abwägung hinsichtlich Umfang und Wahrscheinlichkeit des
Eintritts eines Nachteils; unproblematisch sind (nur) solche
Rechtsnachteile,
die
typischerweise
ein
ganz
geringes
Gefährdungspotential aufweisen
Die folgende Darstellung von Fallgruppen bedient das Bedürfnis des
Rechtsverkehrs nach Rechtssicherheit:
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Abwandlung 2 a (Grundschuld)
 § 1191 BGB: „aus dem Grundstück“  lediglich dingliche Haftung,
notfalls ist Zwangsvollstreckung in das Grundstück zu dulden
 Keine Verpflichtung zur persönlichen Haftung des minderjährigen
Erwerbers
 Folge: Kein rechtlicher Nachteil für S, Auflassung wirksam
Abwandlung 2 b (Reallast)
 Reallast = wiederkehrende Leistungen aus dem Grundstück, §
1105 I BGB)
 § 1108 BGB: Persönliche Haftung (auch mit restlichem Vermögen)
 Folge: rechtliche Nachteilhaftigkeit, § 181 BGB  Notwendigkeit
der Bestellung eines Ergänzungspflegers, § 1909 BGB
Abw. 3 (Nießbrauch)
 Nießbrauch = Erlaubnis, die Nutzungen der Sache zu ziehen, §
1030 BGB
 jedenfalls dann lediglich rechtlich vorteilhaft, wenn S nicht zum
Aufwendungs- oder Verwendungsersatz gemäß §§ 1049, 677 ff.
BGB verpflichtet  dann ist Annahme des Auflassungsangebots
wirksam
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Abw. 4 (WEG)
Der
(automatische)
Eintritt
in
die
Gemeinschaft
der
Wohnungseigentümer mit den damit verbundenen Verpflichtungen aus
dem WEG (insbes. §§ 10 ff. WEG) ist rechtlich nachteilig, § 181 BGB 
Notwendigkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers, § 1909 BGB
Abw. 5 (Rücktrittsrecht)
 Der Eigentumserwerb wird durch die vertragliche Vereinbarung von
Rücktrittsrechten des Schenkers nicht rechtlich nachteilig
 Rücktrittsvorbehalt
betrifft
nur
die
schuldrechtliche
Ebene
(Trennungs- und Abstraktionsgrundsatz!)
 allenfalls ist damit der unter Rücktrittsvorbehalt stehende (schuldrechtliche) Schenkungsvertrag wegen der aus § 346 Abs. 2 bis 4
eventuell resultierenden Pflichten (Wert- oder Schadensersatz)
nachteilhaft, § 181 BGB
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