Die Deutschen Wirtschaft Realitätsfern Von Obama lernen Von Henryk M. Broder _ Spitzenkader der Politik denken gleich und r eden gleich. Von Silvio Borner _ In der Energiestrategie des Bundesrates wird die Atomkraft abgeschrieben. Zu Unrecht: Sie ist sauberer als die fälschlicherweise als «erneuerbar» angepriesenen Alternativen. Z wei Tage vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt gab der Vorsitzende der SPD, Sigmar Ga briel, den RTL-Nachrichten ein «Exklusiv-Interview», in dem er vor Zuversicht beinah platzte. Gefragt, ob er «Angst vor Sonntag» habe, setzte er ein Siegerlächeln auf und antwortete: «Nee, ganz sicher nicht, sondern ich glaube, dass wir besser abschneiden, als das viele erwarten.» Das Einzige, wovor er Angst habe, sagte Gabriel, sei, «dass zu wenige Menschen zur Wahl gehen», denn «wenn die Demokraten zu Hause bleiben, dann gewinnen die, die mit der Demokratie nix am Hut haben». Das Ergebnis ist bekannt. In allen drei Ländern war die Wahlbeteiligung so hoch wie noch nie. Die Demokraten waren nicht zu Hause geblieben. Sie hatten nur in zwei der drei Länder Gabriel und den Seinen die rote Karte gezeigt. In Sachsen-Anhalt stürzte die SPD von 21,5 auf 10,6 Prozent ab, in Baden-Württemberg von 23,1 auf 12,7 Prozent. Allein in Rheinland-Pfalz konnte die allseits beliebte sozialdemokratische Spitzenkandidatin Malu Dreyer ihre Partei zum Erfolg führen. Einen Tag nach den Wahlen stellte sich Gabriel den Fragen zweier ZDF- Journalisten: «Was nun, Herr Gabriel?» Gefragt, ob er und seine Truppe «weiter so» machen würden, tat er, als gäbe es für diese Frage keinen Anlass: «Ganz sicher werden wir unsere Politik nicht ändern. Sie haben es ja gesehen, dass sie in Rheinland-Pfalz zu einem grossen Erfolg geführt hat . . .» Etwa zur selben Zeit trat die Kanzlerin vor die Presse, um zu erklären, warum ihre Partei ebenfalls in zwei Ländern (Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz) abgeschmiert ist und sich nur in einem Land (Sachsen-Anhalt) mühsam behaupten konnte. Sie sagte: «Es gab Menschen, die haben gar nicht zugehört und sind wählen gegangen und haben einfach ‹Protest› gewählt, und das müssen wir durch Problemlösung, nicht durch theoretische Debatten, sondern durch Lösung der Probleme auch wieder, äääh, beenden oder möglichst beenden.» Mehr muss man über die Spitzenkader der Politik nicht wissen. Sie leben «in einem Wolkenkuckucksheim» (Thomas Rietzschel), weitab von jeder Realität. Sie denken gleich, sie reden gleich, und wahrscheinlich kiffen sie auch das gleiche Zeug. 22 E rneuerbar und sauber soll die Energie der Zukunft sein. Strom aus Sonne, Wind und Wasser erfüllt zumindest auf den ersten Blick diese Anforderungen. Diese strahlen, wehen oder fallen einfach vom Himmel, ohne eine Rechnung zu stellen. Demgegenüber buddeln wir Kohle, Uran, Erdöl oder Erdgas als absolut begrenzte Ressourcen aus dem Boden. Schwieriger einzuordnen sind Biomasse und Geothermie, weil auch sie begrenzte Landressourcen beanspruchen oder nicht erneuerbare Wärmespeicher anzapfen. Wenn wir «sauber» als «CO2-frei» definieren, dann ist die Cleantech-Rangliste klar: Bei Kernenergie und Wasserkraft beträgt der CO2-Ausstoss e twa 6 Gramm pro Kilowattstunde, bei Windkraft sind es 17 Gramm, bei Sonnenenergie schon 62 Gramm, bei anderen Energieträgern wie Erdgas 430 Gramm, bei Erdöl 800 Gramm und bei Kohle mit 910 Gramm fast ein Kilo. China rechnet daher die Nuklearproduktion konsequent der Cleantech zu. Aber auch Obama sieht das neuerdings so. Wenn also die USA von Kohle auf Gas umsteigen, dann können sie ohne Verzicht auf fossile Energie die Emissionen dramatisch senken. Dasselbe gilt natürlich auch für China, wo vor allem in neue Nuklearreaktoren investiert wird. Zudem springt ins Auge, dass die Schweizer Stromversorgung bereits auf dem absoluten CO2-Minimum angelangt ist, so dass jegliche Änderung im Mix eine Verschlechterung mit sich bringt. Doch jetzt zum Gegensatz von «erneuerbar» und «nicht erneuerbar»: Bei näherer Betrachtung ist diese Dichotomie falsch. Erstens kann Energie physikalisch weder «produziert» noch «konsumiert», sondern nur umgewandelt werden. Sonne, Wind und Regen ermöglichen die natürliche Fotosynthese und erzeugen so Biomasse, die wir in Wärme umwandeln oder Nutztieren verfüttern. Zivilisatorischer Rückschritt Aber wer aus Wasser, Wind oder Sonne Strom gewinnen will, muss leider dafür sehr viele Ressourcen einsetzen. Die entsprechenden Rechnungen kommen dann nicht vom Himmel, sondern rühren von den Staudämmen, den Generatoren, den Solarzellen, Windturbinen, Batterien, Netzinvestitionen und so weiter her. Ob wir einen Atom-Kühlturm bauen oder reihenweise 150 Meter hohe Windturbinen, kommt aufs Gleiche heraus: Wir brauchen nicht erneuer- bare Ressourcen wie Sand, Zement, Stahl, Metalle, seltene Erden und so weiter. Dabei spielt die Energiedichte eine entscheidende Rolle. Aus einem Kilogramm Uran (ein Würfel von 3,74 Zentimeter Kantenlänge) gewinnt man gleich viel Strom wie aus Abermillionen von Litern Wasser, beispielsweise beim Grande-Dixence-Staudamm – ein stattlicher, wenngleich CO2-freier Fussabdruck. F otovoltaik und Windkraft beanspruchen gerade in der wind- und sonnenarmen Schweiz viel Platz, der uns jetzt schon fehlt. Die für 2050 in der Schweiz geplanten 4,26 Terawattstunden aus Windstrom würden eine Kette von Windmühlen vom Bodensee bis zum Genfersee und retour bedingen, die geplanten gut 14 Terawattstunden aus Solarenergie eine Panelfläche von 10 000 bis 20 000 Fussballfeldern. Historisch hatte der Übergang von Biomasse, insbesondere von Holz, zu fossilen und nuklearen Energieträgern eine enorme Einsparung des Landverbrauchs zugunsten der Nahrungsmittelproduktion zur Folge. Eine Rückkehr zu Biomasse als Energieträger durch Anbau von Monokulturen wäre ein ökonomischer, ökologischer und zivilisatorischer Rückschritt. Oder betrachten wir die Batteriespeicherung im Gigawatt-Bereich. Im Gegensatz zur Wasserspeicherung benötigen wir dafür Unmengen von nicht erneuerbarem Lithium. Sofort sagen die Energiewender, davon habe es genug auf dieser Erde. Das gilt aber auch für Uran oder Thorium, Gas, Öl und vor allem Kohle. Entscheidend sind aus ökonomischer Sicht nicht die momentan bekannten Reserven und jährlichen Verbrauchsmengen, sondern die Preise dieser Ressourcen. Alle Stimmen, die ein Ende dieser oder jener Ressource prophezeien – sogenannte Peak-Vorhersagen – übersehen die Rolle des Preises und des technischen Fortschritts. Wenn ein allfälliger Peak sich am Horizont abzeichnet, investieren die (profitgierigen) Rohstoff- und Energiefirmen in Exploration und Innovation. Über die letzten 150 Jahre hinweg sind die Preise für fossile Energieträger, Metalle, Mineralien und Nahrung tendenziell konstant geblieben oder gesunken. Nicht Erneuerbare mögen physikalisch absolut limitiert sein, aber ökonomisch ist das weitestgehend irrelevant, weil steigende Preise und menschlicher Erfindergeist früh genug Alternativen bereitstellen. Mehr zum Thema: Seite 26 Weltwoche Nr. 11.16 Illustration: Bianca Litscher (www.sukibamboo.com)
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