5,50 € | 7,80 sFr www.welt-sichten.org 3-2016 März AGENDA 2030: Schluss mit der Politik der Widersprüche! ÄTHIOPIEN: Hunger, doch keine Katastrophe SÜDAFRIKA: Traumatherapie nach eigenem Rezept Magazin für globale Entwicklung und ökumenische Zusammenarbeit flucht und migration Dahin, wo es besser ist DIESMAL IN DER NEUEN ZEOZWEI: 30 JAHRE TSCHERNOBYL Wendland-Ikone Marianne Fritzen und die anderen Köpfe des Anti-Atom-Widerstands ziehen Bilanz. Wie geht es weiter? zeozwei Das Magazin für KliMa. Kultur. Köpfe. taz. zeozwei | Magazin für KliMa. Kultur. Köpfe. | www.zeozwei.de | 02.2016 | € 5,50 So SIEHT WIDERSTAND AUS 30 Jahre Tschernobyl: Wendland-Ikone Marianne Fritzen und die anderen Köpfe des Anti-Atom-Widerstands ziehen Bilanz. Wie geht es weiter? Die neue erscheint am 8. Mär z Weitere Themen: DIE HYSTERISCHE NATION Wovor haben die Deutschen Angst? zeozwei-Gespräch mit Juli Zeh Harald Welzer über Flüchtlinge, Nationalismus und Scharfmacher WIE GRÜN IST GRÜN? Wie grün ist grün? Die Grünen regieren in sehr vielen Bundesländern. Was es wirklich bringt – der Check. Die hysterische NatioN. - Wovor hat die Gesellschaft Angst? zeozwei-Gespräch mit Juli Zeh - Harald Welzer über Flüchtlinge, Nationalismus und Scharfmacher Die Grünen regieren in neun Bundesländern. Doch was bringt das für die grünen Themen? Der zeozwei-Check Mit Elke Heidenreich, Erhard Eppler, Wolfgang Niedecken, Monika Griefahn, Rainer Baake, Michael Sailer, Claudia Kemfert, Gerd Rosenkranz, Manfred Kriener, Anne Lund, Harald Zindler u. v. a. zeozwei erscheint viermal im Jahr. Ein Jahresabo kostet 20 Euro, eine einzelne Ausgabe am Kiosk 5,50 Euro. www.zeozwei.de | [email protected] | T (0 30) 2 59 02-200 taz Verlags- und Vertriebs-GmbH, Rudi-Dutschke-Str. 23, 10969 Berlin taz. editorial Liebe Leserinnen und Leser, Hanna Pütz Volontärin jedes Jahr verlassen Millionen Menschen ihre Heimat. Die meisten hoffen auf ein besseres Leben – sicherer, freier und ein bisschen wohlhabender. Das ist schon immer so gewesen, nur war es in Deutschland lange wenig spürbar. Seit dem vergangenen Herbst ist das anders. Dabei kommen die meisten Flüchtlinge überhaupt nicht nach Europa, schreibt „welt-sichten“-Chefredakteur Bernd Ludermann: Viele verbreitete Mythen über Flucht und Migration erweisen sich bei genauerem Hinsehen als falsch. Flüchtlinge belasten die Nachbarländer der Kriegsschauplätze oft wesentlich stärker. Wie Tansania damit umgeht, berichtet Prosper Kigwize: Der ostafrikanische Staat hat Hunderttausende Menschen aus Burundi eingebürgert. Auch die Regierung von Dschibuti nimmt viele Flüchtlinge auf, seit Neuestem vor allem aus dem Bürgerkriegsland Jemen, schreibt „welt-sichten“- Wir fragen für Sie! Redakteurin Gesine Kauffmann. Die meisten möchten Sie fragen sich, wie in Nepal der Wiederaufbau nach dem Erdbeben vorankommt? Sie wollen wissen, ob der Klimawandel den Krieg in Syrien verursacht hat oder was die Weltbank damit meint, dass die Armut sinkt? Ab Mai lassen wir in solche Fragen unserer Leserinnen und Leser von Fachleuten in kurzen Interviews beantworten. Beteiligen Sie sich schon jetzt und schreiben Sie uns, was Sie wissen wollen (E-Mail: [email protected])! nach dem Krieg zurückkehren. Andere träumen von einem dauerhaften Aufenthalt in einem anderen Land, dürfen aber nicht bleiben – so wie Misael Contreras, der in die USA geflohen war und dann nach El Salvador ausgewiesen wurde. Er hat Cecibel Romero erzählt, warum er in seiner Heimat in Angst lebt. In Gambia hat Louise Hunt Familien getroffen, die hoffen, dass ihre Angehörigen in Italien arbeiten und Geld zurücksenden können. Doch die Chancen auf einen legalen Job stehen schlecht. Dabei braucht Europa Arbeitsmigranten, sagt der Völkerrechtler François Crépeau. Im Gespräch erklärt er, warum es die beste Migrationspolitik wäre, legale Wege für die Arbeitssuche zu öffnen. Einer tödlichen Gefahr sind derzeit Millionen Äthiopier ausgesetzt: Das Land wird von der schlimmsten Dürre seit 50 Jahren heimgesucht. Die Aussichten sind düster, aber nicht katastrophal, schreibt Philipp Hedemann: Die Regierung hat gut vorgesorgt. Wie der Staat in Algerien gegen radikale islamische Strömungen vorgeht, beleuchtet Anouar Boukhars. Und Birgit Morgenrath hat sich angeschaut, wie südafrikanische Psychologen eigene Wege des Umgangs mit Traumatisierten suchen. Eine anregende Lektüre wünscht | 3-2016 3 inhalt getty images 4 12 Die griechische Insel Lesbos gilt als Eintrittspforte nach Europa. Wie dieses Paar kamen im vergangenen Jahr eine halbe Million Menschen auf diesem Weg in die Europäische Union. Die meisten sind vor den Kriegen in Syrien, Afghanistan und dem Irak geflohen – und treffen in Europa auf große Hilfsbereitschaft, aber auch auf Ablehnung. Nicolas Economou/Invision/laif In Berlin-Kreuzberg wohnen Menschen aus 120 Nationen. Das Zusammenleben und die Suche nach gemeinsamen Werten gelingen nur, wenn alle Seiten ihre Absolutheitsansprüche aufgeben. Flucht und Migration 12 Fakten gegen die Panikmache Europa nimmt mehr Schutzsuchende auf als andere Regionen? Falsch. Es ist Zeit, mit ein paar Irrtümern aufzuräumen Bernd Ludermann 18 Auf vermintem Gelände Ein junger Salvadorianer ist vor der Gewalt in die USA geflohen – bleiben durfte er nicht Cecibel Romero 20 Wunderbare Parallelgesellschaften Die Integration der Flüchtlinge in Deutschland braucht Offenheit und Mut Hadija Haruna-Oelker 22 „In Europa ist das Führungsversagen katastrophal“ Gespräch mit dem UN-Sonderbeauftragten für die Menschenrechte von Migranten, François Crépeau, über Grenzzäune und Arbeitsmigration Kommentieren Sie die Artikel im Internet: www.welt-sichten.org 26 „Menschen nicht wie Müll abladen“ Der Menschenrechtler Hadi Marifat erklärt, warum Ausweisungen nach Afghanistan nicht zu verantworten sind 27 Träume vom gelobten Land Wer aus Gambia nach Europa geht, muss der Familie seinen Erfolg beweisen Ein Teil der Auflage enthält Beilagen der Christlichen Initiative Romero, des informationszentrums 3. Welt (iz3w), des „Philosophie Magazins“, der Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe . sowie eine Bestellkarte von 20 Louise Hunt 31 Raum in kleiner Hütte Dschibuti nimmt viele Flüchtlinge aus dem Jemen auf Gesine Kauffmann 3-2016 | Nick Hannes/laif inhalt Standpunkte 6 Die Seite Sechs 7 Leitartikel: Von wegen sauber. Elektroautos verdienen keine Prämie Gesine Kauffmann 8 Kommentar: Schluss mit der Politik der Widersprüche! Die Nachhaltigkeitsziele stärken die alte Forderung nach mehr Kohärenz Claudia Schwegmann 10 Leserbriefe In Algerien ist der Salafismus im Aufwind. Zwar nehmen nur wenige seiner Prediger politisch Stellung. Aber der strenge Glaube ist Ausdruck einer moralischen Revolte gegen den Staat. 11 Herausgeberkolumne: Barmherzigkeit als Antrieb. Beim Klimaschutz muss es stärker als bisher um Gerechtigkeit gehen 39 Pirmin Spiegel Journal 48 Medien: Jeden Tag eine gute Idee 32 Geflüchteten mit Bildung helfen Die Palästinenserin Sylvia Haddad bringt syrische Kinder im Libanon bis zum Abitur Prosper Kigwize 35 Bücher zum Thema welt-blicke 36 Äthiopien: Hoffnung trotz Hunger Auf die schwerste Dürre seit Jahrzehnten ist das Land gut vorbereitet Anouar Boukhars 43 Südafrika: Das Schweigen brechen Westliche Konzepte passen oft nicht – Psychologen entwickeln eigene Therapien für Gewaltopfer 53 Berlin: Das Entwicklungsministerium entdeckt die Religion 54 Schweiz: Armutsbekämpfung versus Friedensförderung 55 Brüssel: Keine Einigung bei Konfliktrohstoffen 57 Kirche und Ökumene: Kirchengemeinden am Persischen Golf wachsen 59 Personalia Philipp Hedemann 39 Algerien: Der Staat wünscht andere Prediger Die Regierung will radikale Strömungen des Islam zurückdrängen 50 Flüchtlinge: Berichte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz Erhard Brunn 34 Neue Heimat Tansania Das Land hat Hunderttausende Burunder eingebürgert 49 Studie: Was passiert zwischen Baumwollfeld und Discounter? service 60 Filmkritik 60 Rezensionen 64 Impressum Birgit Morgenrath 46 „In meiner Muttersprache kann ich direkter sein“ Gespräch mit dem kenianisch-amerikanischen Autor Mukoma Wa Ngugi über Heimat, Krimis und Rassismus | 3-2016 65 Termine 5 standpunkte die seite sechs Reife Leistung Gado, 2015 6 Wer ist’s? „Diese Gespräche werden in Vergessenheit geraten durch Armeestiefel, durch die Demokratie der Armeestiefel.“ Der syrische Politologe Hasan Hasan im syrischen Staatsfernsehen zu den Friedensgesprächen in Genf. Sie ist stark, mutig und schön – ein Vorbild für viele Frauen, nicht nur in ihrer afrikanischen Heimat. Schon als junges Mädchen rebellierte sie gegen ihr Schicksal. Sie sollte mit einem alten Mann verheiratet werden, doch sie lief von zu Hause weg und kam zunächst bei Verwandten in der Hauptstadt ihres Heimatlandes unter. Doch das war nicht weit genug entfernt. Um die Fami lienehre zu bewahren, musste sie das Land verlassen und wurde in den Norden geschickt – auf einen Weg, den inzwischen viele junge Afrikanerinnen und Afrikaner freiwillig wählen. Sie musste viel durchmachen, bis sich ihr Schicksal wendete; zeitweise lebte sie auf der Straße, zeitweise in einem Heim. Doch sie war zäh – und sie hatte Glück. Plötzlich war sie jemand, sie machte Karriere, wurde berühmt und einflussreich. Diesen Einfluss nutzt sie auch für ihr soziales Engagement, ihren Kampf gegen eine Menschenrechtsverletzung, die sie selbst erlitten hat. Mit über 30 Jahren sprach sie das erste Mal öffentlich über dieses Verbrechen – das sei sehr belastend gewesen, aber sie habe es nie bereut. Es sei ihre „Mission“, diese Praxis auszurotten, betonte sie einmal in einem Interview. Dafür hat sie Bücher geschrieben, hat Filme gedreht und ist mehrfach ausgezeichnet worden. Umso frustrierender müssen für sie die jüngsten Zahlen der Vereinten Nationen gewesen sein, die belegen, dass der Kampf nicht so leicht zu gewinnen ist. Sie wird ihn sicher mit vollem Einsatz fortführen. Wer ist’s? Auflösung aus Heft 2-2016: Gesucht war der Milzbrand, der durch den bacillus anthracis verursacht wird. Der Muslim kommt, das Schwein geht. In Finsterdeutschland wird gerade mal wieder eine neue Sau durchs Dorf getrieben: Immer mehr Kindertagestätten streichen Schweinefleisch von ihren Speiseplänen, von Flensburg bis Passau, von Stuttgart bis Dresden. Vor allem aus gesundheitlichen und geschmacklichen Gründen, beteuern die meisten Kita-Betreiber. Wer’s glaubt, ist ein Opfer der Lügenpresse: Der Islam steckt dahinter und eine falsche Toleranz, wissen die selbst ernannten Retter deutscher Werte und Kultur – und fordern, es der dänischen Stadt Randers nachzumachen: Der Stadtrat dort will sich diese Schweinerei nicht mehr gefallen lassen und hat angeordnet, dass alle öffentlichen Einrichtungen in ihren Kantinen Kotelett und Co servieren, auch wenn’s dem Muslim sauer aufstößt. Es gehe um die dänische Kultur, einschließlich der Esskultur. Das ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen ist ein Land, das seine Kultur mithilfe von Schweinemett und Rostbratwürsten verteidigen muss, ohnehin dem Untergang geweiht, ganz ohne islamische Invasion. Zum anderen weiß jeder Dänemark-Besucher, dass unsere wackeren Nachbarn im Norden alles Mögliche haben, aber bestimmt keine Esskultur. Andererseits stimmt es ja: Es kann nicht sein, dass Julian, Charlotte und Paul in der Kita jetzt auch noch beim Essen Rücksicht nehmen müssen auf Mustafa, Ahmed und Fatima. Wir sind ein freies Land, wo jeder essen darf, was er will – und nicht nur das, was irgendein Prophet oder heiliges Buch für bekömmlich halten. Das gilt dann aber auch für die Ernährungsratgeber müslimampfender Mittelschichteltern. Sollen die Kinder doch selbst entscheiden, auch wenn es morgens, mittags und abends auf Kuchen, Cola und Cornflakes hinausläuft. Und auch auf die Gefahr hin, dass das den Mamas und Papas von Julian, Charlotte und Paul gehörig auf den Magen schlägt. 3-2016 | leitartikel standpunkte Von wegen sauber Elektroautos verdienen keine Prämie Von Gesine Kauffmann S ie sind Ladenhüter. Zu teuer, zu geringe Reichweite, zu wenige Stromtankstellen, zu lange Ladezeiten für den Motor: Elektroautos sind bei deutschen Autofahrern wenig beliebt. Rund 218.000 Fahrzeuge wurden im Januar neu zugelassen, Benziner lagen knapp vor den Dieseln, weit abgeschlagen folgten Elektromodelle wie Tesla, BMWi3 und Co mit 0,2 Prozent. Insgesamt fahren auf deutschen Straßen bislang rund 19.000 E-Autos – rund eine Million sollen es bis 2020 sein, auf diesem Ziel beharrt die Bundesregierung seit Jahren. Doch Beharren alleine nützt eben nichts. Deshalb soll es jetzt wieder einmal eine Prämie richten. 5000 Euro pro Auto soll sie nach dem Willen von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) betragen. Die Unterstützung reicht von den Grünen bis zur CSU, Finanzminister Wolfgang Schäuble hält allerdings dagegen. Im März will die Regierung eine gemeinsame Lösung gefunden haben. Eine umweltfreundliche Verkehrspolitik braucht den Mut, auf deutschen Autobahnen das längst fällige Tempolimit einzuführen. Gesine Kauffmann . ist Redakteurin bei | 3-2016 Wir erinnern uns: Schon 2009 sollte eine Umweltprämie – als „Abwrackprämie“ zum „Wort des Jahres“ gekürt – dafür sorgen, dass alte Spritfresser gegen abgasärmere Modelle getauscht werden. Automobilindustrie und Umwelt sollten davon gleichermaßen profitieren. Doch die ökologische und die ökonomische Bilanz waren bestenfalls gemischt, langfristige Effekte suchten Wissenschaftler vergebens. All das scheint vergessen – oder der Blick nach China ist zu verführerisch. Peking sieht in der Elektromobilität einen wichtigen Weg, um der Umweltund Gesundheitsbelastung durch Smog in den chinesischen Großstädten zu Leibe zu rücken. Chinas Führung hat deshalb mit Hilfe von Steuererleichterungen den Absatz von E-Autos angekurbelt. Im vergangenen Jahr wurden rund eine Viertel Million Elektroautos in der Volksrepublik verkauft, mehr als doppelt so viele wie 2014, und erstmals mehr als in den USA. Doch das taugt nicht als Vorbild. Keine Frage: Im Verkehr müssen Emissionen eingespart werden – ebenso wie in vielen anderen Bereichen, wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will. Doch die Elektromobilität kann dazu beim derzeitigen Stand der Technik keinen Beitrag leisten: Die Ökobi- lanz der E-Autos ist zu schlecht. Ihre Produktion setzt laut einer Studie des Fraunhofer-Institutes fast zwei Drittel mehr Kohlendioxid frei als die von Autos mit Verbrennungsmotor, besonders energieintensiv ist die Herstellung der Akkus und der aus Aluminium gefertigten Karosserien. Bis dieser Nachteil in der Gesamtbilanz ausgeglichen ist, muss man 20.000 Kilometer fahren – und auch das reicht nur, wenn man Strom aus Sonne und Wind tankt. Mit dem gegenwärtigen Strommix müssen je nach Berechnung zwischen 60.000 und 100.000 Kilometer zurückgelegt werden, damit ein E-Auto eine bessere Klimabilanz aufweist als ein Benziner. Eine Kaufprämie für Elektroautos ist verschwendetes Geld. Sie ist ein Geschenk an die Autoindustrie und alle diejenigen, die sich ohnehin ein solches Fahrzeug für mehrere zehntausend Euro leisten können und die Prämie gerne mitnehmen, vielleicht für ihren Zweit- oder Drittwagen. Sie heizt den Individualverkehr an und setzt damit die falschen Anreize – denn es muss um einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs gehen. Wenn schon eine staatliche Förderung, dann sollte sie der Elektrifizierung von Stadtbussen – und damit der Allgemeinheit – zu Gute kommen. Auf den festgelegten Bustouren ließen sich Nutzung und Aufladen gut organisieren, den smoggeplagten Innenstädten würde die sauberere Luft besonders guttun. Die umstrittene Kaufprämie lenkt die Diskussion über eine umwelt- und gesundheitsfreundliche Verkehrspolitik auf ein Nebengleis. Denn dafür ist mehr nötig, als den Absatz von E-Autos anzukurbeln. Zum Beispiel der Mut, auf deutschen Autobahnen das längst fällige Tempolimit von 120 Stundenkilometern einzuführen. Es ist ein Armutszeugnis, dass eine solch einfache Maßnahme, die nachweislich Emissionen einspart und die Verkehrssicherheit erhöht, noch immer nicht durchgesetzt wird. Das hieße natürlich, den freien deutschen Bürgern ihre freie Fahrt zu nehmen – und da will sich kein Politiker die Finger verbrennen. Bei der Durchsetzung der gesetzlich vorgesehenen Abgas- und Verbrauchswerte von Autos mit Diesel- und Benzinmotoren ist der politische Wille ebenfalls nicht besonders ausgeprägt. Auch in den Ausbau der Fahrradwege sollte mehr Geld investiert werden, um den Umstieg auf eine andere Form von Elektromobilität zu fördern: E-Bikes. Sie erfreuen sich nicht nur bei Freizeitradlern wachsender Beliebtheit. Kurze bis mittlere Entfernungen lassen sich damit ohne weiteres zurücklegen, ohne allzu sehr ins Schwitzen zu geraten – auch auf dem Weg ins Büro. 7 8 standpunkte kommentar Schluss mit der Politik der Widersprüche! Die Nachhaltigkeitsziele stärken die alte Forderung nach mehr Kohärenz Von Claudia Schwegmann Billigfleischexporte nach Westafrika, Waffenexporte in Krisenregionen – oft konterkarieren wirtschaftliche Interessen die Bemühungen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Um das zu ändern, müssen sich zivilgesellschaftliche Entwicklungsorganisationen jetzt in die Debatte über eine neue Nachhaltigkeitsstrategie für Deutschland einschalten. Die im vergangenen Herbst verabschiedeten Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) bieten eine Chance, der Forderung nach Kohärenz neuen Auftrieb zu geben. Entwicklungsförderndes Regierungshandeln ist selbst eines der Nachhaltigkeitsziele. Außerdem betreffen die SDGs etliche entwicklungspolitisch relevante Politikbereiche wie die Handelsoder die Sicherheitspolitik. Und schließlich liegt die Umsetzung der SDGs in der Verantwortung der gesamten Bundesregierung und erfordert, dass sich die Ressorts untereinander abstimmen. Bis kommenden Juni werden in Deutschland wichtige Weichen zur Verwirklichung der 2030-Agenda gestellt. Gegenwärtig erarbeitet die Bundesregierung unter Federführung des Zivilgesellschaftliche Organisationen sollten eigene Indikatoren für die Nachhaltigkeitsziele vorschlagen. Kanzleramtes einen nationalen Umsetzungsplan der Agenda; der Plan ist Teil der neuen nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, die im Herbst verabschiedet werden soll. Die Zivilgesellschaft sollte diese Chance nutzen und sich aktiv in diese Arbeit einbringen, um ihr Anliegen nach entwicklungspolitischer Kohärenz voranzutreiben. Wichtig für ambitionierte Nachhaltigkeitsziele und für die Kontrolle, ob sie erreicht werden, ist die Definition von angemessenen Indikatoren, denn nur was gemessen wird, wird auch erle- digt. Es muss verhindert werden, dass die in harten Verhandlungen erreichten Kompromisse bei den Zielen durch die Indikatoren wieder aufgeweicht werden. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um diese Diskussion von zivilgesellschaftlicher Seite mitzugestalten. Im Gegensatz zu den langwierigen Verhandlungen über die Nachhaltigkeitsziele stand die Definition der Indikatoren bisher kaum im entwicklungspolitischen Rampenlicht. Auf internationaler Ebene ist die Suche bereits weitgehend abgeschlossen. Eine kleine internationale Expertengruppe, die Inter-Agency and Expert Group on the SDG Indicators, hat nur vier Monate nach der Verabschiedung der 2030-Agenda einen Vorschlag von 229 Indikatoren an die UN-Kommission für Statistik übermittelt, von denen 80 noch weiter diskutiert werden sollen. In Deutschland hingegen stehen wichtige Entscheidungen zu den Indikatoren auf nationaler Ebene noch an. Bislang haben alle Ministerien Indikatoren für die anstehende Nachhaltigkeitsstrategie vorgeschlagen. Die Zivilgesellschaft soll sich in einer öffentlichen Konsultation einbringen können, allerdings ohne die Vorschläge der Ministerien zu kennen, da diese nicht öffentlich sind. Sowohl die offiziellen Vorschläge als auch die Ergebnisse der Konsultation sollen im Sommer in eine Endfassung fließen, die dann im Oktober verabschiedet wird. Ob die Beteiligung der Öffentlichkeit großen Einfluss auf das Endergebnis haben wird, darf bezweifelt werden. Unter der Hand signalisieren Vertreter von Ministe- rien und Bundestagsabgeordnete, dass nach der Veröffentlichung des ersten Entwurfs für die Nachhaltigkeitsstrategie im Mai wesentliche Änderungen schwierig sein werden. Bisher haben nichtstaatliche Organisationen verschiedene Positionspapiere zur 2030-Agenda und zur deutschen Umsetzung veröffentlicht. Das ist sinnvoll, reicht jedoch nicht. Das Kernstück der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie sind die Indikatoren. Der Rechenschaftsbericht, den die Bundesregierung alle zwei Jahre zur Nachhaltigkeitsstrategie veröffentlicht, heißt nicht ohne Grund „Indikatorenbericht“. Die Ministerien senden dem Kanzleramt gegenwärtig nicht irgendwelche Positionspapiere, sondern Vorschläge für maßgebliche Indikatoren. Sie sind das Herzstück einer ambitionierten 2030-Agenda. Und sie sind entscheidend dafür, die Regierung an ihren Zielen zu messen. Die Fachleute in den zivilgesellschaftlichen Organisationen müssen sich deshalb in diese Debatte einbringen. Gute Vorschläge für Indikatoren für die nächste deutsche Nachhaltigkeitsstrategie sind deshalb dringend nötig, weil der von der internationalen Expertengruppe vorgelegte Katalog völlig unzureichend ist. Knapp 30 der 229 Indikatoren beziehen sich auf Unterziele, die für Deutschland gar nicht relevant sind, beispielsweise der Indikator zur Anzahl der Bankautomaten pro 100.000 Erwachsene. Andere Indikatoren wiederum sind nicht sinnvoll auf nationaler Ebene, weil sie sich nur auf die internationale Ebene beziehen wie zum Beispiel der Indi- 3-2016 | 9 Wolfgang Ammer kommentar standpunkte Claudia Schwegmann ist Vorstandsmitglied der Open Knowledge Foundation Deutschland und leitet das Projekt 2030-Watch.de zum Monitoring der 2030-Agenda in Deutschland. | 3-2016 kator zur Anzahl der Länder mit Aktionsplänen zu nachhaltigem Konsum. Besonders problematisch ist, dass mehr als die Hälfte der Indikatoren die vereinbarten Unterziele nur teilweise abdeckt. So hat zum Beispiel Unterziel 16.4 zu illegalen Finanzströmen, zum Waffenhandel, zur Rückgabe gestohlener Vermögenswerte und zum organisiertem Verbrechen nur Indikatoren zu zwei dieser vier Punkte. Zahlreiche Indikatoren spiegeln zudem nicht die besondere Verantwortung von Industriestaaten wie Deutschland für die Erreichung der entsprechenden Ziele wider. Genau da, wo entwicklungspolitische Kohärenz anfängt, hören diese Indikatoren auf. Ein gutes Beispiel dafür ist das Unterziel 3.3 zur Bekämpfung tropischer Krankheiten. Die dazu vorgeschlagenen Indikatoren der internationalen Expertengruppe messen Gesundheitsdaten wie die Anzahl der Malariafälle auf 1000 Einwohner. Die Verantwortung von Industriestaaten, ärmeren Ländern Zugang zu erschwinglichen Medikamenten zu ermöglichen, findet hingegen keine Erwähnung. Zivilgesellschaftliche Organisationen sollten deshalb eigene, anspruchsvollere Indikatoren vorschlagen. Drei Punkte sollten sie dabei beachten: Ersten sollten die Indikatoren so konkret wie möglich sein und Schwellenwerte enthalten, wann ein Wert als gut und wann als schlecht zu bezeichnen ist. Zweitens sollte die Zivilgesellschaft dem Ansinnen der Bundesregierung entgegentreten, die Zahl der Indikatoren für Deutschland möglichst klein zu halten. Die 2030-Agenda ist hoch komplex, die 17 Nachhaltigkeitsziele haben 169 Unterziele. Themen, die nicht in Indikatoren abgebildet werden, riskieren unter den Tisch zu fal- len. Drittens sollte die Zivilgesellschaft darauf drängen, dass auch von ihr erhobene Daten zur Kontrolle der 2030-Agenda berücksichtigt werden. Entwicklungspolitische Organisationen sammeln über ihre Projekte seit Jahren Daten, um Fortschritte in bestimmten Politikfeldern zu messen. Im Sinne der vielbeschworenen Multistakeholder Partnerschaft und der Effizienz ist es sinnvoll, auch solche Daten für die Kontrolle der 2030-Agenda heranzuziehen. Über Indikatoren zu streiten, ist nicht besonders sexy. Aber angesichts der mageren Fortschritte in den vergangenen Jahren, entwicklungspolitisch kohärentes Regierungshandeln voranzubringen, und angesichts der großen Chance, die die Nachhaltigkeitsziele genau dafür bieten, muss sich die entwicklungspolitische Zivilgesellschaft jetzt in die Diskussion einmischen. In wenigen Monaten ist es zu spät. 10 standpunkte leserbriefe leserbriefe Die Mörder sind Muslime Zum Kommentar „Neuer Terror, alte Dummheiten“, welt-sichten 12/20151/2016 Man muss den Scharfsinn von Frau Kaldor bewundern. Es ist in der Tat schon ein Unterschied, ob ich von Akademikern aus der Mittelschicht umgebracht werde oder von ungebildeten, arbeitslosen Amateuren aus den Problemzonen der großen Städte. Wie die meisten Artikel zum Thema vermeidet auch dieser den scharfen Blick auf eine unübersehbare Tatsache: Die Mörder sind Muslime. Willkürlich angefangen bei Lockerbie über 9/11 über unzählige Anschläge auf Moscheen von Sunniten/Schiiten, wobei die eigenen Glaubensbrüder zerfetzt werden, bis zum aktuellen Verbrechen: Die Mörder sind Muslime. Es ist daher suboptimal, auf Entscheidungen von Hollande, Assad oder Putin zu warten. Die Vorbereitungen zu allen Attentaten beginnen in unserer Nachbarschaft. Daher ermöglichen erst Schweigen und Wegschauen Untaten wie diese. Zu viele Mitbürger wollten Multikulti, jetzt wird manch einer zu Besinnung kommen. Gleichgesinnte töten sich nicht. Es ist nicht zu erwarten, dass Ihre Postille meine Meinung veröffentlicht, die Schere höre ich schon klappern. Gespannt darf man sein, was „welt-sichten“ schreibt, wenn demnächst Deutsche in großer Zahl von Moslems ermordet werden. Georg Lohmann, welt-sichten.org Herrn Drescher. Ich habe auch volles Verständnis dafür, dass er extrem zurückhaltend sein muss mit öffentlichen Äußerungen, um seine nordkoreanischen Partner und die Zukunft seiner Arbeit nicht zu gefährden. Aber wenn man ein Interview voller diplomatischer Floskeln und ohne Bezug zur Realität vorliegen hat, dann sollte eine kritische Zeitschrift auf den Abdruck verzichten. Albrecht Benzing, Zimmern Diplomatische Floskeln Zum Interview „Die Wiedervereinigung ist weiter weg denn je“, welt-sichten 12/2015-1/2016 Dieses Interview ist grotesk. Stellenweise weiß man nicht, ob hier ein Vertreter einer deutschen Missionsgesellschaft oder ein Sprecher von Kim Jong Un interviewt wird. Es verschlägt einem die Sprache, wenn Lutz Drescher sagt, man dürfe Nordkorea nicht auf die Frage der Menschenrechte reduzieren. Oder wenn er sagt, man müsse vorsichtig sein mit Aussagen zur Verfolgung von Christen in dem Land, darüber wisse man zu wenig. Ich habe keine Zweifel an der Wichtigkeit der Arbeit von Keine Alternative zur „grünen Revolution“ Zum Artikel „Mit Knoblauch gegen Heuschrecken, welt-sichten 12/20151/2016 Gegen Bio-Anbau ist nichts einzuwenden, auch nicht in Indien. Aber der Bio-Anbau ist überall auf der Welt eine Nische, die nur dann signifikant höhere Preise für den Produzenten sichert, wenn er eine Nische bleibt und nicht alle auf den Zug aufspringen. Als Vermarktungsstrategie eine feine Sache, aber ob sich damit die vielfältigen Probleme der indischen Landwirtschaft lösen lassen, darf bezweifelt werden. Nur eine Intensivierung der Produktion kann Ressourcenschonung und steigenden Bedarf an Nahrungsmitteln unter einen Hut bringen. Genau das hat die „Grüne Revolution“ bewirkt: die Versorgung einer rasant wachsenden Bevölkerung ohne Ausdehnung des Anbaus in ökologisch fragile Gebiete. Dieser Spagat funktioniert nur durch steigende Hektarerträge, und das ist sicher nicht die Kernkompetenz des BioAnbaus. Ohne die „grüne Revolution“ wäre das Wachstum der Bevölkerung gar nicht möglich gewesen, die sich in Indien seit den 1950er Jahren etwa vervierfacht hat. Es gab keine Alternative zur schnellen Modernisierung der Landwirtschaft, nachdem die Nahrungsmittelversorgung in den 1960er Jahren – als der sozusagen „vorrevolutionäre Bio-Anbau“ noch Standard war – extrem angespannt war und viele Menschen in Indien verhungerten. Das sollte nicht vergessen werden. Martin Benninger, welt-sichten.org Die Redaktion freut sich über Leser briefe, behält sich aber vor, sie zu kürzen. 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Für die Umsetzung müssen sich die Lebens- und Konsumgewohnheiten vor allem in den reichen Ländern tiefgreifend ändern. Voraussetzung ist eine Haltung, der das eigene wie das fremde Leiden nicht gleichgültig ist. Von Pirmin Spiegel „Mit einem kleinen Hammer kann man große Dinge erreichen.“ Mit diesen Worten besiegelte der französische Außenminister Laurent Fabius am 12. Dezember 2015 überraschend eilig das Klimaabkommen von Paris. Bis zuletzt hatten 195 Staaten um den Vertragstext gerungen. Fabius, so schien es, wollte jede weitere Verzögerung vermeiden. Nun müssen die Unterzeichnerstaaten alle weiteren Schritte im Kampf gegen den Klimawandel einleiten beziehungsweise weiter auf den Weg bringen. Es geht beim Klimaschutz um nicht weniger als den Horizont einer weltweiten Solidarität. Pirmin Spiegel ist Hauptgeschäftsführer des katholischen Hilfswerks Misereor. | 3-2016 Denn die Ziele für die Verminderung von Treibhausgasemissionen (INDCs), die die Regierungen 2015 für ihre Länder jeweils festgelegt haben, reichen in der Summe bei weitem nicht aus, um die in Paris gesteckten Ziele zu erreichen. Gerade wenn die Weltgemeinschaft eine Obergrenze von deutlich unter zwei Grad für die Erderwärmung anstrebt, müssen alle bisherigen Maßnahmen zum Klimaschutz sofort intensiviert werden. Vor allem um der Armen und Verletzlichsten willen, deren Lebensgrundlagen bereits jetzt von den Auswirkungen des Klimawandels bedroht sind. Dass die Weltgemeinschaft nach jahrelangem und oftmals erfolglosem Ringen gemeinsam zu einem vielversprechenden Ergeb- nis gefunden hat, ist ein großer Erfolg. Es kann als Ausdruck der Einsicht gewertet werden, dass die Sorge um die Erde als „unser gemeinsames Haus“, wie sie Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato Si‘“ bezeichnet, eine Aufgabe ist, die nur gemeinsam bewältigt werden kann. Der Geist von „Laudato Si‘“ war in Paris präsent: in den Reden der Staats- und Regierungschefs, inklusive hoher Vertreter des Vatikans, aber auch in den Botschaften vieler kirchlicher und nichtkirchlicher Organisationen. Die Vorschusslorbeeren der Öffentlichkeit müssen den Regierungen – insbesondere den Industrieländern als Hauptverursachern des Klimawandels – Antrieb sein, nun tatsächlich ein Mehr an Gerechtigkeit in die Klimafrage zu bringen. „Das Recht ströme wie Wasser; die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach“ ist das Motto der diesjährigen Fastenaktion von Misereor. Die Klage des Propheten Amos (5,24) gegen Unrecht und die Sehnsucht nach Gerechtigkeit entspringen einer Haltung, der das eigene wie das fremde Leiden nicht gleichgültig ist: der Barmherzigkeit. Dies ist die Grundhaltung Gottes gegenüber allen Menschen, besonders gegenüber den Armen, den Benachteiligten, den Verletzlichen und gegenüber allen, deren Leben bedroht ist und die um ihre Rechte gebracht werden. Auch für die Umsetzung der Ergebnisse von Paris ist die Haltung der Barmherzigkeit eine entscheidende Triebfeder. Im Kontext der Klimafrage bedeutet sie, dass uns die Menschen in den ver- letzlichen Regionen nicht gleichgültig sind. Es geht dabei um nicht weniger als den Horizont einer weltweiten Solidarität. Mit der Anerkennung klimabedingter Verluste und Schäden (loss and damage) im Pariser Abkommen ist ein weiterer wichtiger Schritt in diese Richtung getan. Auch das ambitionierte Temperaturziel ist Ausdruck des Bestrebens, weitere Risiken und Schäden als Folge des Klimawandels möglichst klein zu halten. Damit all dies keine bloßen Lippenbekenntnisse sind, müssen die Industriestaaten deutlich vorangehen – auch wenn sich in Paris alle Staaten zu mehr Klimaschutz verpflichtet haben. Ein Schlüssel hierzu liegt im Energiesektor, auch in Deutschland. Übereinstimmend mit den Beschlüssen der G7 auf dem Gipfel in Elmau forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel in Paris eine „weitgehende Dekarbonisierung“ und die „grundlegende Transformation aller Sektoren unseres Wirtschaftens“. Klimagerechtigkeit steht auch in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Abbau von Kohle und ihrer Verstromung in Deutschland und Europa. Auch die Konsumgewohnheiten wachsender Mittelschichten und globalisierte Produktionsweisen – die sogenannten Schwellenländer eingeschlossen – stehen einem Mehr an Gerechtigkeit in der Klimafrage entgegen. Deutlich wird: Es geht um tiefgreifende Veränderungen in allen Bereichen unserer Gesellschaft. Daher muss auch die Umsetzung der globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) im Rahmen der Agenda 2030 konsequent mit den Pariser Beschlüssen zum Klimaschutz zusammen gedacht werden. Dies zu erkennen und umzusteuern, anders zu leben sowie gerechte und nachhaltige Regeln für unser Zusammenleben zu finden – dazu ist die Haltung der Barmherzigkeit ein Antrieb. 11 12 schwerpunkt flucht und migration Fakten gegen die Neue Heimat: Die Familien von Ahmad und Ali Ghazni aus Afghanistan in der Aufnahmestelle für Flüchtlinge in Halberstadt in Sachsen-Anhalt. matthias Bein/dpa/picture alliance 3-2016 | flucht und migration schwerpunkt Panikmache Rund eine Million Menschen sind 2015 über das Mittelmeer nach Europa gekommen, die meisten von der Türkei aus. Nun warnen viele, der Alte Kontinent stehe im Brennpunkt eines Ansturms von Flüchtlingen und Armutsmigranten. Das ist einer von vielen verbreiteten Irrtümern über Migration. Von Bernd Ludermann S chlichte Rezepte haben Konjunktur: Populisten in Europa verlangen, die Landesgrenzen dicht zu machen. Manche Regierungen sprechen vornehmer von der Sicherung der Außengrenzen. Ergänzend oder als Alternative heißt es, man müsse den Migrationsdruck verringern. Dazu solle man in armen Ländern Entwicklung fördern, besonders in Afrika mit seiner jungen und stark wachsenden Bevölkerung, sagt etwa der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller. In der Debatte treten Annahmen über Migration zutage, die näherer Überprüfung nicht standhalten. Kommen die meisten Flüchtlinge nach Europa? Keineswegs. Richtig ist, dass mehr Menschen infolge von Kriegen von ihrem Wohnort vertrieben worden sind als je zuvor: Laut dem Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen hat die Zahl 2015 die Grenze von 60 Millionen überschritten. Schätzungsweise 38 Millionen leben aber weiter im eigenen Staat – also in Ländern wie Syrien, dem Südsudan und Zentralafrika, von denen die meisten arm sind, von Kämpfen zerrissen oder beides. Ins Ausland geflüchtet waren Mitte 2015 etwa 20 Millionen Menschen, manche bereits vor langer Zeit – so die Palästinenser, die im Zuge der Gründung Israels geflohen sind und mit ihren Nachkommen nun fünf Millionen zählen. Die meisten Flüchtlinge haben in Nachbarländern der Kriegsschauplätze Aufnahme gefunden. Die sind dadurch wesentlich mehr belastet als die Staaten Europas, zumal im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl und ihrem Wohlstand (siehe Grafik Seite 24). Und ein Teil dieser Flüchtlinge zieht, da die Lebensverhältnisse im Gastland desolat sind, nach Europa weiter. | 3-2016 13 14 schwerpunkt flucht und migration Suchen immer mehr Menschen ihr Glück in Auswanderung? Nein. Zwar hat die Zahl der Migranten – definiert als Menschen, die mindestens ein Jahr außerhalb ihres Geburtslandes leben – laut Schätzungen der Vereinten Nationen zugenommen: Von etwa 92 Millionen 1960 auf 172 Millionen 2000 und 244 Millionen 2015. Flüchtlinge sind davon heute grob ein Zehntel. Es gehören auch im Ausland Studierende dazu oder Fachkräfte, die Konzerne ins Ausland schicken. Aber nicht nur die Zahl der Migranten wächst, sondern auch die Bevölkerung. Der Anteil der Migranten an der Weltbevölkerung liegt heute ungefähr so hoch wie 1960: bei 3,3 Prozent. Bis 1990 ist er leicht gesunken, dann wieder gestiegen. Ein Teil des Anstiegs hat nicht mit der Bewegung von Menschen über Grenzen zu tun, sondern mit der Schaffung neuer Grenzen: Die Aufteilung der UdSSR machte Sowjetbürger, die zum Beispiel in Kasachstan oder Litauen geboren waren und in Russland blieben, und umgekehrt Russen, die in den neuen Staaten blieben, zu Migranten. In geringerem Ausmaß geschah das Gleiche bei der Teilung Jugoslawiens und zuletzt des Sudan. Der Anteil der Weltbevölkerung, der sich ins Ausland aufmacht, ist überschaubar und wächst kaum. Aber im Norden leben doch mehr Migranten als früher? Das stimmt. Denn die Muster der weltweiten Wanderungsbewegungen haben sich verändert. Fünf große Trends hat das von Hein de Haas geleitete Projekt über Bestimmungsfaktoren der Migration an der Universität Oxford aufgezeigt: Erstens ist Westeuro- pa, von wo in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch viele nach Amerika oder Australien ausgewandert waren, nach dem Zweiten Weltkrieg zur Einwanderungsregion geworden. Im Zuge der Dekolonisierung kamen Menschen aus den früheren Kolonien in Nordafrika, Südasien und Indonesien in die „Mutterländer“ Frankreich, Großbritannien beziehungsweise Niederlande. Deutschland holte im Zuge des Wirtschaftswunders „Gastarbeiter“ aus Südeuropa und der Türkei. Auf den Fall des Eisernen Vorhangs folgte ab den 1990er Jahren eine starke Wanderung von Ost- nach Westeuropa. Zweitens wandelte sich Lateinamerika von einer Einwanderungs- zu einer Abwanderungsregion. Ein Grund ist, dass der Subkontinent bis in die 1990er Jahre ökonomisch wieder gegenüber dem Norden zurückgefallen ist. Drittens blieben Nordamerika und Australien klassische Zuwanderungsregionen, doch die Migranten kommen nun aus Lateinamerika sowie aus Süd- und Südostasien. Viertens traten Länder wie die Philippinen, Marokko oder Indien als neue Quellen von Migranten auf. Und fünftens sind die reichen Ölstaaten am Persischen Golf seit den 1990er Jahren zu einem der größten Anziehungspunkte für Migranten geworden, vor allem aus Asien. So kommen Migranten heute aus mehr Ländern des Südens als früher und gehen in weniger Aufnahmeländer, vorzugsweise reiche. Dort ist der Anteil von Migranten an der Bevölkerung höher als in armen und er steigt. Im Schnitt liegt der Anteil jetzt bei 13 Prozent mit großen Unterschieden von Land zu Land (siehe Grafik). Nach Europa kommen aus mehr Herkunftsregionen jeweils kleinere Gruppen. Kommen vor allem die Armen zu uns? Nein. Außer im Fall der früheren Kolonialmächte stammt die Mehrheit der Zugewanderten in Europa aus anderen Ländern dieses Kontinents. Und die Mehrheit der überregionalen Migranten weltweit kommt aus Ländern mit mittlerem Einkommen. Wie viele sich wo neu auf den Weg gemacht haben, hat das Wittgenstein Center in Wien aus Daten über den Bestand an Migranten in jedem Land errechnet. Danach ist seit 1990 die Abwanderung aus Afrika viel langsamer gewachsen als aus Südasien. In den fünf Jahren von 2005 bis 2010 haben Afrika rund 3,3 Millionen Migranten verlassen; aus Lateinamerika, wo halb so viele Menschen leben, waren es 5,4 Millionen und 8,5 Millionen aus Südasien, das anderthalb Mal so viele Einwohner hat wie Afrika. Die größten überregionalen Migrationsströme gehen heute von Südasien in die Golfstaaten und von Mittelamerika in die USA. Grob die Hälfte der Afrikaner, die ins Ausland gehen, bleibt auf dem Kontinent – viel mehr als bei Lateinamerika und Südasien. Zudem kommen Migranten aus dem Süden in aller Regel nicht aus armen Schichten ihres Heimatlandes. Wer hungert oder im Elend lebt, hat kaum Chancen, nach Europa zu gelangen. In den Norden gehen die, die dazu die nötigen Mittel haben: Geld und eine gewisse Bildung. Wichtig ist auch ein Netzwerk von Landsleuten oder Verwandten im Zielland, das beim Start hilft. Viele Migranten gehen in Länder und Städte, wo bereits Landsleute sind. Werden das Bevölkerungswachstum und Umweltkrisen mehr Süd-Nord-Wanderung bringen? Nicht unbedingt. Experten rechnen damit, dass in Zukunft mehr Menschen infolge von Umweltkrisen ihre Lebensgrundlage verlieren. Ein großer Teil der Opfer dürfte jedoch im eigenen Land oder in Nachbarländern bleiben. Bei Naturkatastrophen ist das bisher die Regel – schon weil den Betroffenen die Mittel für den Weg in reiche Länder fehlen. Auch schleichende 3-2016 | flucht und migration schwerpunkt Kann man Migration mit Grenzzäunen aufhalten? Das können demokratische und wirtschaftlich offene Staaten nur sehr begrenzt. Zum einen wacht die Justiz über Schutzrechte von Flüchtlingen oder das Recht auf Familiennachzug. Zum anderen behindern Grenzkontrollen den Außenhandel, weshalb mächtige Lobby-Gruppen aus der Wirtschaft dagegen arbeiten. Das Ergebnis ist eine widersprüchliche Politik. Das von Hein de Haas geleitete Projekt hat statistisch untersucht, wie viele Änderungen von Zuwanderungsregeln in europäischen und anderen Zielländern liberal oder restriktiv waren. Ergebnis: Die Regeln für Einreise, Aufenthalt und Integration sind ständig gelockert worden – besonders für Studierende und qualifizierte Migranten. Gleichzeitig wurden die Grenzkontrollen verschärft, um unerwünschte Gäste auszufiltern. Seit den 1990er Jahren wurden zudem die Regeln für Ausweisungen schärfer. Grenzkontrollen in Demokratien können Zuwanderung erschweren, aber nicht verhindern. Migranten finden dann andere Wege – notfalls mit Schleusern. Und der gegenwärtige Ansturm von Flüchtlingen lenkt davon ab, dass irreguläre Migranten meist legal einreisen: Laut einer Untersuchung der Internationalen Organisation für Migration von Mitte 2015 waren neun von zehn afrikanischen Migranten in Spanien mit Visum eingereist und dann abgetaucht – genauso wie Mitte der 1990er Jahre die große Mehrheit der „irregulären“ Mexikaner in den USA. Da sind Grenzkontrollen nutzlos. Sie können sogar kontraproduktiv sein: Wer befürchten muss, nach einer Ausreise nicht zurück zu dürfen, bleibt im Gastland und holt seine Familie nach, statt sie im Heimatland zu besuchen. Dieser Effekt hatten zum Beispiel der Anwerbestopp für türkische Gastarbeiter in Deutschland und die Befestigung der US-Grenze zu Mexiko. Grenzbarrieren sind oft, wie der Politologe Peter Andreas in den 1990er Jahren für die USA feststellte, innenpolitisches Theater: Sie besänftigen fremden- Katastrophen infolge des Klimawandels dürften in erster Linie Wanderung im Land oder der Region auslösen, etwa von Bangladesch nach Indien. Das Bevölkerungswachstum wiederum bestimmt, wie viele junge Menschen aus einem Gebiet abwandern können, aber es sagt allein nichts darüber, wo sie das tun. Entscheidend dafür sind politische Stabilität und wirtschaftliche und soziale Entwicklung. „Aus den Golfstaaten, wo die Bevölkerung stark wächst, wandert niemand ab, wohl aber aus Osteuropa, wo sie schrumpft“, sagt Hein de Haas, der nun Professor in Amsterdam ist. Lässt sich Abwanderung mit Entwicklung bremsen? Nur langfristig. Kurz- und mittelfristig kann man auf Fluchtursachen einwirken, indem man Kriege beendet und Geflohene unterstützt. Aber die Arbeitsmigration nimmt zunächst zu, wenn sich sehr arme Länder entwickeln: Auf dem Land werden Arbeitskräfte freigesetzt, die Verstädterung wird beschleunigt, die Gesellschaft mobiler. Menschen verlieren alte Lebensgrundlagen, haben aber neue Chancen, bessere zu finden. Mit | 3-2016 feindliche Strömungen und nähren Schleuser, ohne die Zahl der Migranten erheblich zu verringern. Soll man die Schleuser bekämpfen? Das ist Unfug – selbst wenn man davon absieht, dass die meisten Migranten legal einreisen. Schleuser zu bekämpfen, macht informelle Einreisen schwieriger und teurer und damit das Schleusen lukrativer. Das wird aber Migranten nicht aufhalten, die längst sogar Lebensgefahr in Kauf nehmen, um ihre Chance im Norden zu suchen. Es ändert nichts an den Gründen der Arbeitsmigration – etwa der Nachfrage nach billiger Schwarzarbeit im Norden. Und erst recht ändert es nichts an Fluchtursachen. Wer sollte unter dem Bombardement in Aleppo ausharren, weil in der Ägäis Schleuser bekämpft werden? Schrecken Einschränkungen der Sozialleistungen und des Asylrechts Migranten ab? Das ist unwahrscheinlich. Ob Flüchtlinge zurückgehen, hängt davon ab, ob der Krieg in ihrer Heimat endet; so ist die Mehrheit der Bosnier, die nach Westeuropa geflohen waren, nach dem Frieden von Dayton 1995 zurückgekehrt. Aber Frieden ist in Syrien, dem Irak und Afghanistan nicht in Sicht, Flüchtlinge von dort können nicht zurück. Ihnen Hilfen zu kürzen und den Zugang zu Asyl zu erschweren, führt vor allem dazu, dass EU-Staaten um die schärfsten Regeln wetteifern und sich Flüchtlinge gegenseitig zuschieben. Auch gegen Migration hilft Knauserigkeit wenig. Migranten suchen sich ihre Ziele nach Jobchancen und den Netzwerken aus, auf die sie zurückgreifen können. Es gibt keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass Sozialleistungen ein Kriterium sind, erklärt de Haas. Sonst würden nicht so viele in die USA und nach Großbritannien gehen, wo die Sozialsicherung schlecht ist. der Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur, dem Bildungsniveau und den Einkommen verbessern sich die Möglichkeiten, ins Ausland zu gehen oder einen Familienangehörigen zur Arbeit in den Norden zu schicken. Wenn später der Wohlstand weiter zunimmt, sinkt die Abwanderung wieder und wandelt sich in Zuwanderung. Diesen sogenannten Migrationsübergang haben Südeuropa und dann Osteuropa nach der Aufnahme in die Europäische Union durchlaufen und inzwischen auch die Türkei: Dort wandern nun mehr Menschen zu als ab, erklärt de Haas – Flüchtlinge nicht mitgerechnet. Wenn Subsahara-Afrika sich schneller entwickelt, dürfte also die Abwanderung zunächst wachsen. Man muss aber deshalb keinen Ansturm auf Europa fürchten. Die Zuwanderung aus anderen Regionen dürfte sinken. „Vermutlich wird sich nicht die Zahl, sondern die Herkunft der Migranten in Westeuropa ändern: vielleicht weniger Türken und Osteuropäer und mehr Afrikaner“, sagt de Haas. Zudem dürften neue Länder zum Ziel von Migranten werden – etwa China, wenn es politisch und wirtschaftlich stabil bleibt. Schon heute gehen Migranten aus Asien und selbst Afrika dorthin. 15 16 schwerpunkt flucht und migration Wie viele Einwohner sind Migranten? Länder mit niedrigem 2000 Pro-Kopf-Einkommen 2015 1,8 % 1,4 % Länder mit mittlerem 2000 Pro-Kopf-Einkommen 2015 1,1 % 1,2 % Anteil an der Bevölkerung Länder mit hohem 2000 Pro-Kopf-Einkommen 2015 9,2 % Deutschland 2000 2015 Teil der Migranten, der aus einer anderen Großregion stammt. Zugrunde liegen die sechs Großregionen Europa, Afrika, Nordamerika, Lateinamerika und Karibik, Asien, Ozeanien. 12,5 % 11,0 % 14,9 % Schweiz 2000 2015 21,9 % Österreich 2000 2015 12,4 % Frankreich 2000 2015 17,5 % 10,6 % 12,1 % Großbritannien 2000 2015 8,0 % USA 2000 2015 29,4 % Teil der Migranten, der nicht aus Europa stammt. Teil der Migranten, der nicht aus Nordamerika stammt. 13,2 % 12,3 % Teil der Migranten, der nicht aus Asien stammt. 14,5 % Saudi-Arabien 2000 2015 24,6 % 0 5 10 15 20 25 Quelle: UN Population Division (www.unpopulation.org), Stand 2015 32,3 % 30 35 Prozent 40 © Gefährdet zu viel Zuwanderung den sozialen Zusammenhalt und die Demokratie? Die Frage ist offen. Die Antwort wird sich unter anderem daran ablesen lassen, ob der Aufschwung von Populismus und Fremdenfeindschaft anhält. Eine intelligente Verteidigung der These liefert der niederländische Soziologe und Journalist Paul Scheffer. Er betont, dass Migration einen doppelten Verlust bedeutet: Zuwanderer lassen ihre gewohnte Lebenswelt zurück und verändern unwiderruflich die der Eingesessenen. Man müsse nun neue staatsbürgerliche Gemeinschaften unter Einschluss der Zuwanderer aufbauen und die damit verbundenen Konflikte und kulturellen Spannungen austragen. Doch kann das nur gelin- gen, wenn man die Zuwanderung bremst und Grenzen schließt? Dagegen spricht: Der Verlust an Gemeinsinn und demokratischer Mitbestimmung in Europa, den Scheffer beklagt, geht nicht in erster Linie auf Zuwanderung zurück. Größeren Einfluss haben Fehlentwicklungen wie wachsende soziale Ungleichheit, die Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse und die Privatisierung und Verödung öffentlicher Räume. Sie begünstigen auch irreguläre Zuwanderung und erschweren es, Migranten zu integrieren. Wer aber gegen diese Fehlentwicklungen angehen will, muss sich mit einflussreichen Teilen der eigenen Bevölkerung anlegen. Zäune zu bauen, erscheint erst einmal leichter. ZUM WEITERLESEN Bernd Ludermann . ist Chefredakteur von Mathias Czaika und Hein de Haas The Globalization of Migration: Has the World Become More Migratory? International Migration Review vol. 28 no. 2 (2014), http://onlinelibrary.wiley. com/doi/10.1111/imre.12095/epdf Paul Scheffer Die Eingewanderten Toleranz in einer grenzenlosen Welt Carl Hanser Verlag, München 2016 (Neuausgabe), 536 S., 22,90 Euro UN-Daten zum Bestand an Migranten weltweit: www.unmigration.org Daten des Wittgenstein Center über Wanderungsbewegungen: http://www.global-migration.info/ 3-2016 | flucht und migration schwerpunkt BESUCHEN SIE UNS! 16. MÄRZ 2016 | BERLIN ZUKUNFTSKONGRESS MIGRATION UND INTEGRATION Presse- und Informationsamt der Bundesregierung „Mit Interamt können wir schnell und unkompliziert auf Bewerbungen reagieren. Davon profitieren alle!“ NICOLA THOMAS Teamleiterin Personalplanung und -entwicklung Landeshauptstadt Magdeburg MODERNE PERSONALBESCHAFFUNG – EINFACH, FLEXIBEL, EFFIZIENT Das bedarfsgerecht angelegte E-Recruiting von Interamt automatisiert Standardprozesse, beschleunigt das Bewerbermanagement und macht Ihre Stellenbesetzung nachhaltig und komfortabel. EFFIZIENZ GEWINNEN UND RESSOURCEN SPAREN: WWW.INTERAMT.DE | 3-2016 17 18 schwerpunkt flucht und migration Auf vermintem Gelände Ein junger Salvadorianer ist in die USA geflohen – nun ist er wieder zurück El Salvador gilt als gefährlichstes Land in Amerika: Die Gewalt der Jugendbanden ist außer Kontrolle geraten. Misael Contreras hat versucht, ihr zu entkommen. Text und Foto: Cecibel Romero M isael Contreras blickt ständig um sich: nach links, nach rechts, über die Schulter. Er sitzt am Tisch eines kleinen Cafés in einer lauten Shopping Mall, Menschen mit vollen Plastiktüten gehen vorüber. Contreras ist in ständiger Alarmbereitschaft. Auch wenn er im Stadtbus unterwegs ist. „Du weißt nie, wann und von woher etwas kommt“, sagt er. Seit vier Monaten lebt er wieder in El Salvador, seitdem steht er unter Hochspannung. Vorher war er acht Jahre lang in den USA – illegal. Und doch war er dort viel ruhiger. Mit knapp 18 Jahren schickte ihn seine Familie in den Norden. Die Risiken auf dem Weg – Überfälle, Entführungen, Tod – spielten keine Rolle angesichts der Gefahr, die ihm zu Hause drohte: dem Zwang, sich einer Mara anzuschließen, einer jener gefährlichen Jugendbanden, die in Zentralamerika ganze Stadtteile kontrollieren und jeden jungen Mann mit dem Tod bedrohen, der nicht mitmachen will. Im Vergleich dazu kam ihm der lange Weg in den Norden fast schon wie eine Abenteuerreise vor. 6500 USDollar hat seine Familie dem „Coyoten“ bezahlt, dem Schlepper, der ihn über die Grenze brachte. Einen Monat war Misael unterwegs. Heute kassieren die „Coyoten“ 12.000 Dollar für solche Dienste, ihre Arbeit tun sie seit Jahrzehnten. Die Massenauswanderung von Salvadorianern in die USA begann in den 1980er Jahren, eine Folge des bis 1992 dauernden zwölfjährigen Bürgerkriegs. Mehr als zwei Millionen Salvadorianer – rund ein Drittel der Bevölkerung – leben heute nach Schätzungen der Regierung in den Vereinigten Staaten. Der Krieg ist längst vorbei, doch die Gewalt hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Heute sterben in El Salvador so viele Menschen eines gewaltsamen Tods wie zu Zeiten des Bürgerkriegs: Damals wurden im Durchschnitt 6600 Menschen pro Jahr getötet, so viele wie im vergangenen Jahr. Das treibt viele Salvadorianer in die Flucht. In Guatemala hat sich die Zahl der Asylanträge zwischen 2013 und 2014 nahezu verdoppelt, in Mexiko verdreifacht und in den USA sogar vervierfacht. Ilopango, ein Vorort der Hauptstadt San Salvador, gilt als besonders gefährlich. Dort wohnt Misael bei seinen Großeltern. Verantwortlich für die Gewalt sind vor allem die Jugendbanden. Die größte, die mehrere zehntausend Mitglieder zählende „Mara Salvatrucha“, haben Kinder von Flüchtlingen in den 1980er Jahren in Los Angeles gegründet. Nach dem Ende des Krieges wurden die kriminellen Jugendlichen nach El Salvador abgeschoben und errichteten dort ihre Herrschaft aus Angst und Erpressung. Mit anderen Banden liefern sie sich blutige Gefechte um Einflussgebiete, sie handeln mit Drogen und erpressen Schutzgeld. Aus diesem Hexenkessel ist Misael geflohen. Er wollte eigentlich bleiben und den Hauptschulabschluss nachholen. Aber an den Schulen versuchten die Maras, neue Mitglieder anzuwerben, erst freundlich und dann mit Gewalt. Er wurde überfallen, es kam zu einer Schlägerei. „Aber ich hatte Glück“, erzählt er. „Ein Straßenköter in der Nähe hat sich so aufgeregt, dass er einen der Angreifer gebissen hat. Da haben sie aufgehört.“ Fortan aber war es für ihn noch gefährlicher in Ilopango. Der Stadtpark, die Bushaltestellen, alle öffentlichen Orte wurden schon damals und werden noch immer von Maras kontrolliert. Er sah keine andere Möglichkeit mehr, als seiner Mutter zu folgen. Die war schon drei Jahre zuvor illegal in die USA ausgewandert. A n einem frühen Morgen des Jahres 2008 stieg Misael an einer Tankstelle im US-Bundesstaat Maryland aus dem Bus. Seine Mutter wartete dort auf ihn. „Ich war im Land der unbegrenzten Möglichkeiten“, erzählt er. „Ich war entspannt. Ich wusste, dass ich hier irgendetwas arbeiten konnte und niemand mich daran hindern würde.“ In seinem ersten Job arbeitete er als Gärtner. Er verdiente 9,50 US-Dollar in der Stunde. Später schuftete 3-2016 | flucht und migration schwerpunkt Misael Contreras lebt in einem Vorort von San Salvador, der als besonders gefährlich gilt. Die USRegierung hat ihn dorthin zurückgeschickt. Cecibel Romero ist freie Journalistin in San Salvador. Sie schreibt unter anderem für die „tageszeitung“ und betreibt mit einem Kollegen das Journalismus-Büro Latinomedia. | 3-2016 er auf dem Bau und bekam zwischen 600 und 700 Dollar in der Woche. Viel Geld, denn in El Salvador verdienen Arbeiter den Mindestlohn von gerade mal 242 Dollar im Monat. Doch dann kam die Banken- und Immobilienkrise und er wurde entlassen. Später lieferte er für einen Großhändler Lebensmittel aus, stürzte dabei aber schwer und verlor am Tag darauf seine Arbeit. Immerhin hat ihm ein Anwalt eine Abfindung erstritten. Contreras tat sich dann mit einem salvadorianischen Freund zusammen, der als selbstständiger Mechaniker Autos reparierte. „Ich hatte keine Ahnung“, sagt er und lacht. „Ich konnte nicht einmal einen Reifen wechseln.“ Er lernte durch Zuschauen und Nachmachen und bald florierte das Geschäft. Misael kaufte sich ein Motorrad, obwohl er keinen Führerschein hat. Weil er immer wieder von der Polizei angehalten wurde, sammelte er ein paar Strafzettel. Zuletzt erwischte man ihn, als er den Wagen eines Kunden Probe fuhr. Er kam als Wie- derholungstäter vor Gericht und wurde zu zehn Tagen Arrest verurteilt. Damit hatten die Behörden seine Adresse. Und am frühen Morgen des 13. März 2015 wurde er von Beamten der Einwanderungsbehörde geweckt. D ie Gefahr war ihm eigentlich bekannt. „Seit 2015 kann jeder Illegale, der mit dem Gesetz in Konflikt gekommen ist, verhaftet werden – selbst dann, wenn es sich um eine Bagatelle handelt“, weiß Misael. Sieben Monate war er im Gefängnis, weil er kein Geld für die Kaution hatte. Sein Anwalt kämpfte vergeblich gegen eine drohende Abschiebung. Das Gericht argumentierte, er habe schließlich in den USA keine Familie zu ernähren. Contreras beantragte Asyl mit dem Argument, er wohne in El Salvador in einer von Banden kontrollierten Gegend, als junger Mann sei dort sein Leben in Gefahr. Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen sieht das genauso: In den Ländern El Salvador, Guatemala und Hondu- ras herrsche auf Grund der weit verbreiteten Gewalt eine Flüchtlingskrise. Doch der Asylantrag wurde abgelehnt. Contreras wurde abgeschoben - als einer von gut drei Millionen Menschen aus Zentralamerika, die in der bisherigen Regierungszeit von Präsident Barack Obama deportiert wurden. Lateinamerikaner in den USA nennen Obama deshalb den „Deportador en Jefe“, den „Chefabschieber“. Als Misael Contreras am 27. Oktober vergangenen Jahres in El Salvador landete, holte ihn sein Großvater vom Flughafen ab. Ilopango am Rande von San Salvador hat sich stark verändert. „Es ist nicht mehr so, wie es war, als ich gegangen bin“, sagt er. „Das ist heute richtig vermintes Gelände.“ An jeder Ecke stehen schwer bewaffnete private Wachmänner, viele Straßen sind mit hohen Toren für den Durchgangsverkehr gesperrt. Seit er zurück ist, schläft Misael jede Nacht nur für wenige unruhige Stunden. 2008, als er ging, gab es in El Salvador 55 Morde pro 100.000 Einwohner. 2015 waren es 104 – der weltweit höchste Wert aller Länder außerhalb von Kriegsgebieten. Contreras traut sich kaum auf die Straße. Chancen auf einen Job hat er nicht. „Wenn der Arbeitgeber meine Adresse sieht, heißt es gleich: Ach so, du bist von dort, wo die Mara Salvatrucha herrscht“, erzählt er. Zehn Jahre lang darf er nicht mehr in die USA einreisen. Das kümmert ihn nicht. Er will wieder weg, sobald er das Geld für einen „Coyoten“ aufgetrieben hat. Es hat ja schon einmal geklappt. 19 20 schwerpunkt flucht und migration Wunderbare Parallelgesellschaften Die Flüchtlinge werden Deutschland verändern. Das ist anstrengend und erfordert Mut und Offenheit. Beides ist das beste Rezept gegen die um sich greifende Angst. Von Hadija Haruna-Oelker D eutschland Anfang 2016 ist in drei Lager geteilt: die Optimisten, die Hasserfüllten und die Skeptiker. Wochenlang war über die ersten beiden Gruppen geschrieben, über ein helles und ein dunkles Deutschland sinniert worden. Inzwischen ist klar, dass es dazwischen noch eine Gruppe gibt: jene, die nie zu einer Pegida-Demonstration gehen würden, sich aber sorgen, dass Angela Merkel sich verhoben hat. Wir schaffen das! Schaffen wir das wirklich? Integration bedeutet, Absolutheitsansprüche aufzugeben, für alle gesellschaftlichen Gruppen. Nach dem Sommer der Hilfsbereitschaft befindet sich das Land im Gefühlskater. Die Jubelrufe an den Bahnhöfen sind verhallt. Dort warten inzwischen mehr und mehr Bundespolizisten auf die Geflüchteten. Der Stimmungsumschwung hat auch mit der paternalistischen Haltung zu tun, die in der Helferstimmung lag. Wer viel erwartet und enttäuscht wird, verbittert irgendwann. Wie die Migrationsströme steuern und die Außengrenzen schützen – das sind die Fragen, die jetzt bewegen. Kein Wunder. Wo von „Strömen“ geredet wird, ist ein Denken in Begriffen wie „Eindämmen“ nicht weit. Und die Flüchtlingslager brennen wieder, in steigender Zahl. Erinnerungen an die 1990er Jahre werden wach. Inzwischen hat auch das Thema „unsere Werte“ wieder Hochkonjunktur. Ich frage mich, von welchen Werten genau, von welchem „uns“ gesprochen wird. Die Sorge um „unsere Werte“ ist für mich Ausdruck eines Hilferufs in einer komplexer werdenden Welt – ob es nun darum geht, sich mit der Fremdheit der Geflüchteten oder mit vermeintlichen Parallelgesellschaften auseinanderzusetzen oder seit der Silvesternacht von Köln patriarchalische Frauenbilder abzuwehren. Persönlich ist mein wichtigster Wert die Freiheit. Im Extremfall verstoßen Extremisten dagegen – im Alltag mein Gegenüber durch rassistisches Verhalten oder Denken, etwa durch die pauschale Be- oder Verurteilung bestimmter Gruppen. Auch die Fähigkeit zu differenzieren ist ein wichtiger Wert. Er ist die Grundlage des Rechtsstaats. Viel wird derzeit über Integration geredet. Über die Idee der CSU zum Beispiel, die Flüchtlinge auf die „deutsche Leitkultur“ verpflichten will. Früher bezog sich diese Debatte hauptsächlich auf Zuwanderer und ihre Nachkommen, etwa aus der Türkei oder Italien, auf die sogenannten Gastarbeiter. Jetzt geht es um die Neuankömmlinge aus Syrien, Afghanistan oder um die Eritreer der nächsten Generation. Der Tenor ist gleich geblieben. Wer will und Deutsch lernt, wer sich anstrengt und anpasst, soll eine faire Chance in Deutschland bekommen. Oder besser gesagt: kann dafür kämpfen, eine solche Chance zu bekommen. Denn genau das bedeutet es für viele Einwandererkinder. Viele von ihnen leben eine „hybride Kultur“, wie es in der Sozialwissenschaft heißt: Sie fühlen sich 3-2016 | flucht und migration schwerpunkt für die der Verlust deutscher Werte kein Ende zu nehmen scheint, sich in die Enge gedrängt fühlen. E Hier in Berlin-Kreuzberg wohnen Menschen aus 120 Nationen. Die Gesellschaft ist vielfältiger, als viele Deutsche wahrhaben wollen. getty images Hadija Haruna-Oelker, Jahrgang 1980, lebt und arbeitet als Autorin, Redakteurin und Moderatorin in Frankfurt am Main. Ihre Schwerpunkte sind Jugend und Soziales, Migration und Rassismusforschung. | 3-2016 mehreren kulturellen Räumen zugehörig. Und sie zählen zu einer Generation, die sich selbstbestimmte Namen gibt. Sie sind die Schwarzen, die Neuen Deutschen, die People of Colour Generation, und sie fordern Verständnis dafür, dass noch nie alle Deutschen weiß waren und dass „unsere Werte“ neu überdacht werden müssen. Auch mein Werteverständnis wurde geprägt von der Erziehung einer christlichdeutschen Mutter und eines muslimisch-ghanaischen Vaters. Mein Wertekanon ist vielfältig. Das ist ein Gewinn. Ihn anderen zu vermitteln, kostet allerdings nicht selten Kraft. Nicht ohne Grund haben sich deshalb die Kinder meiner Generation zusammengetan. Sie schreiben, performen oder bloggen über unser gesellschaftliches Verständnis, um unseren Wertevorstellungen in „unserer“ Gesellschaft Ausdruck zu verleihen. Es geht um die Kopftuch-Frage, um das vermeintliche Integrationsdefizit, die Nationalhymne bei der WM nicht mitzusingen, um rassistische Wörter in Kinderbüchern, diskriminierende Polizeikontrollen oder die Frage nach den Grenzen von Satire. Diese Kinder „mit Migrationshintergrund“, die nicht länger so genannt werden wollen, verhandeln jetzt mit. Sie sind Deutschlands Kinder und Zukunft: aufgewachsen mit oder ohne deutschen Pass, als binationale und „Optionskinder“, die sich mit spätestens 23 Jahren für oder gegen die deutsche Staatsbürgerschaft entscheiden müssen, als Langzeitgeduldete oder irgendwann als die Nachkommen der jetzt neu dazukommenden Geflüchteten. Kein Wunder, dass diejenigen, die die Political Correctness hassen oder s ist Zeit, anzuerkennen, dass „wir“ noch um einiges heterogener in Deutschland sind, als vielen bewusst ist. Wir sind religiös und atheistisch. Wir sind arm und reich, ohne Schulabschluss oder mit Hochschulbildung. Wir sind deutsch – mit und ohne Zuwanderungsgeschichte. Wir sind Ausländer. Wir entsprechen körperlich oder geistig der gesellschaftlichen Norm oder nicht. Wir leben heterosexuell und gleichgeschlechtlich, leben zweigeschlechtlich oder transsexuell. All das sind wir. Wir sind nicht einheitlich, wir leben verschiedene Leben in unterschiedlichen Milieus – in vielen Parallelgesellschaften. Für mich ist deshalb die Grundlage der Integration die Pluralität. Integration ist nicht nur ein Vorgang, bei dem die Neuen zu den Alteingesessenen hinzukommen. Integration bedeutet, Absolutheitsansprüche aufzugeben, für alle gesellschaftlichen Gruppen. Drehen wir die Perspektive um: Was muss eine Gesellschaft leisten, um integrieren zu können? Sie muss verstehen, dass sich dazu alle Seiten anstrengen müssen. Dass es Engagement und Bereitschaft braucht, Menschen offen zu begegnen, ihre Geschichten zu akzeptieren und dabei die eigene nicht zu vergessen. Eine solche Gesellschaft versteht diesen Vorgang nicht als Einbahnstraße. Sie ist offen und erklärt, sie gibt allen Seiten Zeit, zu verstehen. Sie verordnet nicht und fordert auch keine Assimilation, also die einseitige Anpassung der Minderheiten an die Mehrheit. Sie ist bereit, sich mit ihnen zu verändern, und wagt es, den Bedürfnissen aller Rechnung zu tragen – in allen Lebensbereichen: in den Schulen, auf dem Arbeitsmarkt, in der Politik. Dazu muss eine integrierende Gesellschaft bereit sein, sich von Idealvorstellungen zu verabschieden und „die Widersprüche der Wirklichkeit auszuhalten und mit dem eigenen Unvermögen konfrontiert zu bleiben“, wie Bundespräsident Gustav Heinemann das Grundproblem „der Deutschen“ einst beschrieb. Das auszuhandeln, geht nicht ohne Konflikte und Frustrationen. Doch haben wir jahrelange Erfahrung mit Zuwanderung gemacht. So braucht unsere Gesellschaft auch den Glauben an ihre eigene Kraft und den Mut, Fehler zu machen. Es braucht mehr Empathie und muss nicht immer gleich alles glatt laufen. Oder wie die Journalistin Dunja Hayali es in ihrer Dankesrede bei der Verleihung der Goldenen Kamera in der Kategorie „Beste Information“ Anfang Februar ausdrückte: „Wahrheit braucht einfach Zeit.“ Wie sinnvoll wäre es, endlich an gemeinsamen Werten zu arbeiten und sich dabei zu fragen, in welcher Welt wir gemeinsam in Deutschland leben wollen. Beginnen wir mit dem Verbindenden – ohne Angst, denn die „fressen bekanntlich Seele auf“. Denn sollten die erstarkenden Ressentiments gegen muslimisches Leben weiter wachsen, dann wird uns das nachhaltig schaden. Dann hätten wir aus unserer Geschichte so gar nichts gelernt. 21 22 schwerpunkt flucht und migration „In Europa ist das Führungsversagen katastrophal“ Wer Flüchtlinge und Arbeitsmigranten an den Grenzen stoppen will, muss auf sie schießen lassen Gespräch mit François Crépeau Dass reiche Länder ihre Grenzen abschotten, ist sinnlos und unmenschlich, sagt der Völkerrechtler François Crépeau. Als UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte von Migranten hat er sich besonders mit Grenzpolitik in Europa und mit der Ausbeutung von Arbeitsmigranten weltweit befasst. Europa will den Zustrom von Flüchtlingen und Migranten verringern. Ist die Schließung der nationalen oder europäischen Grenzen eine Option? Das hat in den vergangenen 50 Jahren noch nie funktioniert. Die meisten Grenzen auf der Welt sind durchlässig – eine Ausnahme ist Nordkorea. Man kann Grenzen schließen, indem man alle zehn Meter einen Soldaten mit Schießbefehl hinstellt. Aber so funktionieren Demokratien nicht. Und hier wird territoriale Souveränität falsch verstanden, als bedeute sie, niemanden auf das eigene Territorium zu lassen, den man dort nicht haben will. Aber sie bedeutet, dass man wissen sollte, wer über die Grenze kommt. Mit der Verbotspolitik drängen wir viele Migranten in die Hände von Schleuserringen. Die helfen ihnen „An vielen Grenzen weltweit wird Gewalt angewendet. Wir sind bereit, dabei Verluste hinzunehmen.“ über die Grenze, ohne dass Behörden davon erfahren. Der Versuch, Grenzkontrollen zu verschärfen, hat dafür gesorgt, dass Staaten die Kontrolle über ihre Grenzen verlieren. Wir schießen uns ins eigene Knie. Geht es nur darum, zu wissen wer kommt – nicht auch auszuwählen, wer kommen darf? Die Idee, auszuwählen, wer kommen darf, ist erst zwei Jahrhunderte alt. Hier kann man zwischen Flüchtlingen und anderen Migranten unterscheiden. Flücht- linge müssen ihr Land verlassen und können nicht legal zurückgeschickt werden – im Unterschied zu Überlebensmigranten, die ihre Familie in der Heimat nicht ernähren können. Beide werden aber weiter kommen, ob wir wollen oder nicht; außer wenn wir auf sie schießen. Und dann würden wir in den meisten europäischen Ländern große Probleme mit den Gerichten bekommen. Deshalb wollen wir, dass das außerhalb unserer Grenzen passiert. Wollen Sie sagen, wir bitten zum Beispiel die Türkei oder Marokko, auf Flüchtlinge zu schießen? Wir wollen, dass sie Flüchtlinge mit allen Mitteln stoppen, so lange es diskret geschieht. Genau das passiert bereits. In Marokko wurden Tausende Menschen festgenommen, und Hunderte wurden in der Wüste nahe der algerischen Grenze abgeladen. Viele sind verdurstet. Europa hat das zurückhaltend kritisiert, aber zynisch gesagt wird es als gute Abschreckung angesehen. An vielen Grenzen weltweit wird Gewalt angewendet. Wir sind bereit, dabei Verluste hinzunehmen. Wenn es für Asylsuchende eine Fähre zwischen der Türkei und Lesbos gäbe, würde dort niemand sterben. Wenn wir den Hunderttausenden syrischen Flüchtlingen der vergangenen drei Jahren ein Visum für 200 Euro angeboten hätten, hätten die meisten bezahlt und den europäischen Staaten damit Millionen Euro eingebracht. Und die Flüchtlinge hätten Schutz bekommen. Stattdessen nehmen wir es hin, dass Schleuser sie herbringen und Menschen ihr Leben verlieren. Ist es eine Lösung, Flüchtlingslager außerhalb von Europa zu schaffen, etwa in Nordafrika? Wenn Flüchtlinge dort wirklich beschützt werden, ist das eine gute Sache. Wenn sie aber eher wie ein Gefangenenlager sind, das die Abschiebung zurück nach Hause oder in ein anderes Land vorbereitet, sind sie Teil des Problems, nicht der Lösung. Weder Flüchtlinge noch Migranten werden sich einsperren lassen. Wer seine Familie vor Gewalt oder Armut schützen will, der überwindet die meisten Hindernisse. Die Motive von Flüchtlingen und Arbeitsmigranten scheinen sich zu vermischen. Müssen wir die Unterscheidung zwischen beiden Gruppen überdenken? Nein. Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und das Protokoll von 1967 bieten einen guten Schutzmechanismus insbesondere für Flüchtlinge, trotz aller Mängel. Würden wir die Konvention neu aushandeln, dann würden die Staaten sich auf ein niedrigeres Schutzniveau einigen. Allerdings: Die Menschenrechte schützen alle, auch Flüchtlinge – und oft besser als die Flüchtlingskonvention. Laut der sollen Flüchtlinge zum Beispiel wie Staatsangehörige Zugang zu Grundschulen haben, aber das gilt nicht für weiterführende Schulen. Dagegen hat unter der UN-Kinderrechtskonvention jedes Kind das Recht auf Bildung; in manchen Ländern gilt das bis zum 16. oder 18. Lebensjahr. Die Genfer Konvention definiert Flüchtlinge als Personen, die wegen ihrer Rasse, Religion, Natio- 3-2016 | UN-Photo flucht und migration schwerpunkt François Crépeau ist Professor für Völkerrecht an der McGill-Universität in Montreal (Kanada) und seit 2011 Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zu den Menschenrechten von Migranten. „Europa sollte über sechs Jahre jährlich eine halbe Million syrische Flüchtlinge aus den Transitländern aufnehmen. Das wäre leicht zu bewältigen.“ nalität, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verfolgt werden. Fallen darunter alle Zivilisten, die vor Krieg fliehen? Im Krieg gehört jeder für irgendwen zur falschen Gruppe, deshalb fliehen die Menschen. Das ist die weite Auslegung, die Kanada und sehr häufig auch die Wo leben die meisten Flüchtlinge und woher kommen sie? Die Zahlen beruhen auf den jeweils jüngsten Schätzungen des UNHCR. Die Zahlen für Deutschland sind die Einreisen 2015 bis Januar 2016. Deutschland 1.091.894 39 % aus Syrien Türkei 1.889.780 Iran 90 % Libanon 982.120 aus Syrien 97 % 1.846.150 Jordanien aus Afghanistan 1.000.630 Pakistan 99 % Sudan Tschad 457.130 78 % 1.485.180 94 % aus Syrien 295.410 42 % aus Syrien 821.700 aus Eritrea aus Sudan Uganda 99 % Äthiopien aus Afghanistan 43 % aus Südsudan 642.210 Kenia 42 % aus Südsudan 642.850 69 % aus Somalia Quellen: UNHCR/Bundesregierung | 3-2016 © USA vertreten haben. In Europa wurde das eher eingeschränkt gedeutet. In Deutschland und Frankreich galten Zivilisten in einem Bürgerkrieg nicht als Verfolgte. Das hat sich nach Prozessen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geändert. Es ist nun allgemein anerkannt, dass die breite Auslegung dem Schutzzweck der Konvention besser entspricht. Europäische Politiker argumentieren, dass Flüchtlinge aus Syrien in Jordanien oder der Türkei sicher sind und deshalb, wenn sie nach Europa kommen, Wirtschaftsmigranten sind. Was heißt „sicher” in einem Land, in dem du die Sprache nicht sprichst, keinen Zugang zum Arbeitsmarkt hast und deine Kinder nicht zur Schule gehen können? Wie können sie sich und ihren Kindern eine Zukunft sichern? Das gilt auch für viele Menschen außerhalb von Kriegen. Macht es Syrer, die aus der Türkei zu uns kommen, zu Flüchtlingen? Sie sind immer noch syrische Flüchtlinge – ob in der Türkei oder in Deutschland. Man kann sie nur in die Türkei zurückschicken, wenn die sie wieder aufnimmt, was selten passiert. Und die Türkei hat 1,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen, ohne die internationale Gemeinschaft um Unterstützung zu bitten. Sie hat hier mit wenig Mitteln viel mehr getan als die meisten europäischen Länder. Außerdem wären die Kosten, um Hunderttausende Migranten zurückzusenden, kaum bezahlbar und es wäre ein logistischer Albtraum. Praktisch ist das keine Option. Wie würden menschlichere und sinnvollere Regeln aussehen? Für Flüchtlinge brauchen wir Umsiedlungen: Gemeinsam mit dem UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR wird festgestellt, wo Menschen nicht bleiben können. In Syrien wurden zum Beispiel sieben oder acht Millionen Menschen im eigenen Land oder in die Nachbarländer vertrieben. Insgesamt fast vier Millionen Syrer sind in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien. Das wissen wir schon seit fast fünf Jahren. Aber Europa, Nordamerika, Australien und Neuseeland haben wenig unternommen. Also dachten die Syrer irgendwann: Wenn uns niemand hilft, finden wir eben unseren eigenen Weg. Stattdessen könnte Europa anbieten, über sechs Jahre jährlich eine halbe Million syrische Flüchtlinge aus den Transitländern aufzunehmen. Das hört sich viel an, ist es aber nicht, wenn man die Zahl durch 28 europäische Länder mit 500 Millionen Einwohnern teilt. Für Deutschland wären das 80.000 Flüchtlinge pro Jahr, für die Schweiz 7000. Das könnten diese Länder leicht bewältigen. Für die Bootsflüchtlinge aus Vietnam haben wir es in den 1980er Jahren so gemacht. Wenn das Programm vorher angekündigt wird, werden viele Flüchtlinge nicht länger 25.000 Euro an Schleuser zahlen und ihr Leben sowie das ihrer Kinder aufs Spiel setzen. Europa könnte ihnen Visa ausstellen und Sicherheitschecks über mehrere Monate in der Türkei, Jordanien oder im Libanon durchführen statt wie jetzt an einem überfüllten Strand in Griechenland. 23 24 schwerpunkt flucht und migration Welche Aufnahmeländer tragen die größte Last? Flüchtlinge pro 1 US-Dollar Prokopf-Einkommen (Kaufkraftparitäten) Äthiopien Pakistan Uganda DR Kongo Tschad Kenia Südsudan Afghanistan Kamerun Türkei Sudan Niger Libanon Ruanda Burundi Flüchtlinge pro 1000 Einwohner 469,4 322,5 215,5 207,6 193,1 186,3 134,8 117,4 101,5 94,1 87,5 87,1 80,8 79,7 69,7 0 100 200 300 400 Libanon Jordanien Nauru Tschad Türkei Südsudan Mauretanien Dschibuti Schweden Malta DR Kongo Kamerun Deutschland Iran Kenia Ruanda Österreich Schweiz 500 50,6 89,6 31 23,7 22,3 19,4 16,9 14,7 14,6 13,7 13,3 5,9 Asylanträge / 13,3 Einreisen 12,5 12,3 11,7 10,6 Asylanträge 4,9 Asylanträge 0 50 100 Quelle: UNHCR/UN/Bundesregierung/Schweizerische Eidgenossenschaft/Republik Österreich Die Zahlen beruhen auf UNHCR-Schätzungen von Mitte 2015. Die Zahlen für Deutschland, Österreich und die Schweiz sind von Dezember 2015. Aber die Europäische Union (EU) scheint unfähig, sich darauf zu einigen. Sind nationale Maßnahmen die einzige verbleibende Möglichkeit? Das ist in der Tat ein Problem. Mit solchen Maßnahmen kann man den Zustrom eine Weile verringern, aber es werden weiter Menschen kommen. Wenn das Leben im Herkunftsland derart schlecht ist, scheint alles, was auf dem Weg nach Europa oder in die USA passieren kann, besser. Die Flüchtlingskrise in Europa ist kei- „Migranten kommen nach Europa, weil Tausende Arbeitgeber Schwarzarbeiter suchen, die sie ausbeuten können.“ ne der Kapazität, sondern der politischen Führung. Deutschland und Schweden haben einen Weg gewiesen, doch leider ist ihnen niemand gefolgt. Jetzt sind beide überfordert und die anderen Länder leisten ihren Anteil nicht. Das Führungsversagen in Europa ist absolut katastrophal. Politiker ohne langfristige Vision sorgen sich nur um die nächsten Wahlen, und nationalistische und populistische Bewegungen treiben eine Anti-Einwanderungspolitik vor- an. Die ist in der Tat eine Form der Abschreckung: Es werden weniger Migranten in ein Land kommen, das ihre Rechte verletzt – sie werden sich andere Länder aussuchen. Ich will keine Untergangsstimmung verbreiten, aber da es keinen gemeinsamen Willen in Europa gibt, wird man künftig mehr nationalistische Wahlsiege, mehr Schleuserringe und mehr Tote im Mittelmeer erleben. Macht es den Umgang mit Flüchtlingen schwieriger, dass gleichzeitig Arbeitsmigranten nach Europa kommen? Europa braucht Migranten. Im April 2015 haben die Volkswagen- und die Siemens-Stiftung gefunden, dass Deutschland schnellstens Hunderttausende Migranten braucht, um den Fachkräftemangel zu beheben. Das hat Angela Merkels Entscheidung beeinflusst. In Südeuropa herrscht aber hohe Arbeitslosigkeit. Auf dem formalen Arbeitsmarkt. Daneben haben wir im globalen Norden Untergrund-Arbeitsmärkte akzeptiert, besonders in Wirtschaftszweigen mit niedrigen Gewinnraten: Landwirtschaft, Bauwesen, Gastgewerbe und Pflege. Auf den Tomatenfeldern in Süditalien zum Beispiel sind alle Arbeiter Migranten. Sie kommen, weil Tausende Arbeitgeber Schwarzarbeiter suchen, die sie ausbeuten können. Die Tomatenpflücker bekommen 20 Euro für einen Zehn-Stunden-Tag und haben keine Sozialversicherung. Aber von diesen 20 Euro können sie zwei oder drei an ihre Familien zu Hause schicken. Dafür akzeptieren sie die Bedingungen. Solange der Preis für Tomaten zu niedrig ist, um den Pflückern menschenwürdige Löhne zu zahlen, müssen wir akzeptieren, dass es dort illegale Migranten gibt. Wie könnte man Arbeitsmigration besser regeln? Indem man den illegalen Arbeitsmarkt beseitigt und jedem erlaubt zu kommen, um Arbeit zu suchen. Wer eine Stelle findet, wird offiziell angestellt und erhält eine Arbeitserlaubnis. Wer nichts findet, wird woanders hingehen. Migranten gehen nirgends hin, wo es keine Arbeitsplätze gibt. Ich spreche hier nicht von ungeprüften utopischen Modellen: In den 1950er und 1960er Jahren ist Europa genauso verfahren. Damals kamen Millionen von Nordafrikanern und Türken, alle mit Papieren. Sie suchten einen Job, und wenn sie einen gefunden hatten, 3-2016 | flucht und migration schwerpunkt änderten sie ihr Visum in eine Arbeitserlaubnis. Das ist ein viel effizienteres System als das, was wir jetzt haben. 208,9 150 200 © Wird dadurch die Zuwanderung nicht noch steigen? Nur am Anfang, langfristig jedoch nicht. Man kann intelligente Visa für Menschen auf Arbeitssuche entwickeln. Man lässt sie zum Beispiel über fünf Jahre für drei Monate pro Jahr nach Europa. Wenn sie keinen Job finden, ziehen sie entweder weiter oder gehen zurück nach Hause – sonst können sie nicht legal wiederkommen. Ähnlich war es jahrzehntelang zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten: Wenn es Arbeitsplätze in den USA gab, kamen Mexikaner; in einer Rezession gingen sie nach Hause zurück. Nur wenn man an der Grenze Barrieren baut, bleiben Menschen auch während einer Krise aus Angst, später nicht wieder zurückkehren zu können. Müsste man auch Arbeitgeber, die Menschen schwarz beschäftigen, strenger kontrollieren und bestrafen? Ja. Leider will kein Politiker Schaden in den Wirtschaftssektoren anrichten, die auf Migranten angewiesen sind. Die Richtlinie über Arbeitgebersanktionen wird in keinem EU-Land angewendet. Wenn sich Migranten beschweren, ruft der Arbeitgeber die Migrationsbehörde an, und sie werden ausgewiesen. Deshalb sollte die Arbeitsaufsicht nichts mit der Einwanderungskontrolle zu tun haben. Statt die Ausbeutung illegaler Migranten zu akzeptieren, müssen wir ernsthaft darüber reden, wie wir Wirtschaftszweige mit niedrigen Gewinnmargen stützen können, damit sie auch ohne Ausbeutung wettbewerbsfähig werden. Wir subventionieren die Luftfahrt oder die Pharmakologie, aber nicht Branchen, in denen Menschen ausgebeutet werden. Der Grund ist: Migranten be- schweren sich nicht. Sie haben Angst, in die Heimat zurückgeschickt zu werden. Ist das Grundproblem, dass Migranten im Gastland keine politischen Rechte haben? Auf lange Sicht ist es das größte Problem, dass Migranten keine Stimme auf der politischen Bühne haben. Die meisten benachteiligten Gruppen haben ihre Rechte dank ihrer politischen Stimme erkämpft. Frauen haben ihr Stimmrecht durchgesetzt und es dann genutzt, damit diskriminierende Gesetze geändert wurden. Auf lange Sicht müssen wir die Verknüpfung zwischen Staatsbürgerschaft und Wahlrecht überdenken und Stimmrechte mit dem Aufenthaltsort verknüpfen. In Europa wollte man Migranten ein Stimmrecht auf kommunaler Ebene geben. Das liegt derzeit auf Eis. Aber es ist der Weg der Zukunft. Das Gespräch führte Bernd Ludermann. Anzeige Ausschreibung 2016 Else Kröner Fresenius Preis für Medizinische Entwicklungszusammenarbeit Bewerbungsfrist 10. April 2016 Der Else Kröner Fresenius Preis für Medizinische Entwicklungszusammenarbeit würdigt Projekte, die direkt und nachhaltig der Verbesserung der medizinischen Versorgung in Entwicklungsländern dienen. Der Preis ist mit 100.000 Euro dotiert. Weitere Informationen: www.ekfs.de Else Kröner-Fresenius-Stiftung | Postfach 1852 | 61352 Bad Homburg EKFS_AZ_195x119_Ausschreibung_RZ.indd 1 | 3-2016 10.02.16 16:25 25 26 schwerpunkt flucht und migration „Menschen nicht wie Müll abladen“ Menschenrechtler lehnt Rückführungen nach Afghanistan ab Gespräch mit Hadi Marifat Die Bundesregierung will Flüchtlinge aus Afghanistan zurückschicken. Der Menschenrechtler Hadi Marifat erklärt, warum das verantwortungslos ist – und warum gerade jetzt so viele Menschen sein Land verlassen. Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière hält manche Gegenden Afghanistans für sicher genug, um Flüchtlinge dorthin abzuschieben. Sehen Sie das auch so? Als der deutsche Minister vor einigen Tagen nach Kabul kam, trug er dort einen Schutzhelm. Und während er beim Mittagessen saß, gab es in der Stadt einen Selbstmordanschlag mit mehreren Toten. De Maizière sollte es also eigentlich besser wissen. Der Anschlag richtete sich gegen eine Polizeistation in der Hauptstadt. Gibt es nicht Regionen, die wesentlich sicherer sind? Im Zentrum des Landes gibt es einzelne Orte, die man als sicher bezeichnen könnte. Die Taliban sind auch nicht in jedem kleinen Dorf präsent. Aber kein Mensch kann sich die ganze Zeit an einem Ort aufhalten. Leute müssen zum Arzt, in größere Städte zum Einkaufen. Und unterwegs ist es gefährlich. Im Vorjahr wurden allein auf der Straße zwischen Kabul und Kandahar über 50 Menschen entführt, viele kamen nie zurück. Ein anderer Punkt ist, dass Afghanistan entlang ethnischer Gruppen geteilt ist. Man kann einen Paschtunen nicht einfach nach Zentralafghanistan schicken, wo hauptsächlich Hasaren leben, oder andersrum einen Hasaren in den Süden des Landes. Das Problem sind nicht nur die Taliban, sondern dass der Rechtsstaat viel zu schwach ist, um Minderheiten zu schützen. Ist es moralisch zu verantworten, Menschen nach Afghanistan abzuschieben? Nein. Man zerstört die Hoffnung der Menschen, die auf ihrer Reise oft sehr viel riskiert haben. Das ist auch psychologisch belastend. Ich kenne einige Afghanen, die abgeschoben wurden und sich dann umgebracht haben. Oder sie wurden von den Taliban aufgegriffen. Man kann die Leute nicht einfach wie Müll abladen. Blutet denn das Land nicht noch weiter aus, wenn immer mehr junge Menschen fliehen? Es wäre gut für das Land, wenn sie blieben. Viele haben studiert. Aber es gibt keine Jobs und keine Perspektiven. Ich bin 34 Jahre alt, meine Generation ist im Krieg geboren und aufgewachsen – und jetzt ist der Krieg immer noch da. Aber es gehen ja nicht nur die Jungen, sondern auch ältere und ärmere Menschen verlassen das Land. Während früherer Kriege sind deutlich weniger Afghanen nach Europa geflohen. Warum sind es jetzt so viele? Als die internationale Koalition in Afghanistan eingriff, hatten viele die Hoffnung, dass es besser wird. Aber nach 15 Jahren ist fast nichts besser. 2015 sind noch mehr Zivilisten getötet oder verletzt worden als in den Jahren zuvor. Die Enttäuschung und der Frust sind einfach riesig, daran haben auch die ersten demokratischen Wahlen wenig geändert. Auch der Rückzug der internationalen Truppen ist ein Grund. Zehntausende Afghanen haben dadurch ihre Jobs verloren. Viele, die früher für die internationalen Truppen gearbeitet haben, wissen nicht wohin und werden teilweise sogar bedroht. Hat die deutsche Flüchtlingspolitik einen Einfluss auf die Entscheidung der Flüchtlinge? Ich glaube nicht, dass diese Politik der offenen Tür so eine starke Rolle spielt. Wichtiger ist, dass die Flucht heute nicht mehr so teuer ist wie noch vor einigen Jahren. Vor allem für die Strecke von der Türkei nach Deutschland oder Skandinavien müssen Flüchtlinge manchmal nur noch einige Hundert Euro ausgeben. Durch die vielen Kriegsflüchtlinge ist die Infrastruktur besser geworden. Haben die Leute ein idealisiertes Bild vom Westen? Europa wird schon als Ideal wahrgenommen und von den westlichen Medien auch so dargestellt. Aber es stimmt ja auch: Hier können die Menschen normal leben, was in Afghanistan derzeit nicht möglich ist. Die deutsche Regierung hat vor einigen Monaten eine Kampagne gestartet, um die Menschen vor der Flucht zu warnen – warum funktioniert das nicht? Die australische Regierung macht das schon viel länger und auch sehr viel drastischer. Gebracht hat es wenig, die Menschen fliehen trotzdem, weil sie verzweifelt sind. Viele Afghanen hängen jetzt in Indonesien fest und hoffen darauf, irgendwie nach Australien zu kommen. Die Deutschen haben einfach ein paar Plakate mit einem Link zu einer FacebookSeite aufgehängt, dabei nutzen viele Afghanen gar kein Facebook. Hadi Marifat ist Mitbegründer der Afghanistan Human Rights and Democracy Organization (AHRDO), die sich mit künstlerischen und kulturellen Mitteln für die Demokratisierung in Afghanistan einsetzt. Sebastian Drescher Was müsste der Westen denn tun, um die Situation zu verbessern? Das wichtigste ist die Sicherheit. Die afghanischen Truppen müssen besser ausgerüstet werden. Und sie brauchen mehr Unterstützung: Ein Großteil der ausländischen Truppen im Land kümmert sich mehr um die eigene Sicherheit, statt die afghanischen Truppen zu unterstützen. Auch der Einbruch bei der Entwicklungshilfe ist ein Problem. Wir brauchen mehr Geld, das aber an bestimmte Konditionen gebunden ist, etwa den Kampf gegen die Korruption. Und es müssen Jobs her, zum Beispiel im Bergbau. Trotz allem sind Sie immer noch in Afghanistan. Warum? Ich war selbst Flüchtling, meine Familie ging nach Pakistan, als ich noch ein Kind war. Nach dem Fall der Taliban bin ich 2003 zurück, meine Familie kam später nach. Ich hatte das Gefühl, etwas beitragen und verändern zu können. Seitdem arbeite ich als Menschenrechtler und Aktivist. Aber natürlich habe ich ständig Zweifel. Wenn ich morgens zur Arbeit fahre, verabschiede ich mich immer von meiner Mutter, ohne zu wissen, ob ich abends zurückkommen. Aber wenn es mich erwischt, dann war es wenigstens nicht umsonst. Das Gespräch führte Sebastian Drescher. 3-2016 | flucht und migration schwerpunkt Träume vom gelobten Land Junge Männer fischen am Gambia-Fluss. Ihre Familie können sie damit nicht ernähren. Viele machen sich deshalb auf den Weg in den Norden. Wer aus Gambia nach Europa geht, steht unter starkem Erfolgsdruck. Viele Familien bringen große Opfer, damit ihre Söhne im Norden ihr Glück machen und Geld zurücksenden. Text und Fotos: Louise Hunt E rleichtert betrachtet Nene Sanneh ein Foto ihres Sohnes. Es ist kurz nach seiner Rettung aus dem Mittelmeer entstanden, im Juli 2015. Einen Monat zuvor hatte seine Familie das letzte Mal von Lamin Ceesay gehört – aus Libyen, wo er an Bord eines Schlepperboots gehen und die gefährliche Überfahrt nach Italien wagen wollte. „Ich bin so froh zu sehen, dass es ihm gut geht“, sagt Nene Sanneh. „Wir haben uns solche Sorgen um ihn gemacht. Ich konnte weder essen noch schlafen.“ Lamin Ceesay wurde von der nichtstaatlichen Organisation Migrant Offshore Aid Station (MOAS) aus einem überfüllten Fischerboot gerettet, das ohne | 3-2016 Treibstoff vor der libyschen Küste trieb. Der einzige persönliche Gegenstand, den der 26-Jährige bei sich hatte, war ein Zigarettenpapier mit einem muslimischen Gebet und den Telefonnummern von Verwandten und einem Freund. Er gehört zu den 8500 Gambiern, die es im vergangenen Jahr von Libyen aus über das Mittelmeer nach Italien geschafft haben. Warum hat er sein Leben riskiert, um nach Europa zu gelangen? „ Es ist vor allem die Armut. In Gambia funktioniert gar nichts“, erklärt Ceesay in einem Video-Interview mit MOAS, als er sicher an Bord des Rettungsschiffs ist. „Dort vergeudet man seine Zeit mit Nichtstun.“ Seine Freunde hätten ihm gesagt, in Europa könne er Arbeit finden. Gambia ist das kleinste Land Afrikas: ein schmaler Streifen entlang des Flusses, der ihm seinen Namen gegeben hat, mit einer Bevölkerung von zwei Millionen Menschen. Dennoch gehört die westafrikanische Republik laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zu den sechs Nationen, aus 27 schwerpunkt flucht und migration denen sich in den vergangenen Jahren die meisten Menschen auf den Weg in den Norden gemacht haben. Das Land ist zwar politisch relativ stabil, doch es zählt zu den ärmsten Staaten der Welt. Beim Index für menschliche Entwicklung der Vereinten Nationen lag es 2014 auf Platz 175 von 188. Seine Wirtschaft schrumpfte 2014 um 0,7 Prozent: Die Ebola-Angst bremste den Tourismus, fehlende Niederschläge schadeten der Landwirtschaft. Die Inflation und die Lebenshaltungskosten sind gestiegen, das erschwert vielen Gambiern das Leben, die oft gering qualifiziert sind und schlecht bezahlte Jobs haben. L amin Ceesays Familie lebt in einem Dorf am Rand des riesigen Ballungsraums von Brikama an der Atlantikküste. Im Zentrum drängen sich Marktstände und Händler, an den mit Schlaglöchern übersäten Straßen reihen sich Eisenwaren- und Reifenhandlungen, unzählige Frauen verkaufen am Straßenrand Früchte. In den vergangenen zehn Jahren ist die Stadt explosionsartig gewachsen; viele Menschen aus armen ländlichen Regionen sind zugezogen, um Arbeit zu finden. Aber auch hier sind Unruhe und Unzufriedenheit spürbar. Buba Jallow, ein Freund aus Kindertagen, versteht, warum Lamin Ceesay gegangen ist. „Die Familie glaubt, man ist ein gemachter Mann, wenn man in der Stadt lebt. Aber es gibt einfach keine guten Jobs. Deshalb machen sich die Leute auf den Weg. Sie spüren den Druck, ihre Familien zu ernähren“, sagt Buba, der am Strand Ausritte für Touristen organisiert. „Lamin wollte gehen, um es besser zu haben“, sagt sein älterer Bruder Pa. In der Dreizimmerwohnung der Familie leben elf Menschen. Die Wände aus Rigips bröckeln, der Betonboden ist bis auf ein paar Stücke abgetretenes Linoleum nackt. Ein ramponierter hölzerner Kleiderschrank ist im Wohnbereich das einzige Möbelstück. Pa ist der Haupternährer und arbeitet seit zwanzig Jahren als Schneider. „Aber ich verdiene immer noch nicht genug Geld, um unser Haus instand zu setzen.“ Sein Vater Mamoud baut Cashewnüsse und Mais für den Eigenbedarf der Familie an. Die Preise für Nahrungsmittel schnellten in die Höhe, klagt Pa. Ein Sack Reis koste mehr als 1000 Dalasi (23 Euro). „Die meisten Leute verdienen aber nur 1500 bis 2000 Dalasi im Monat. Hier muss man immer kämpfen.“ Familien mit Verwandten in Europa sind nach allgemeiner Auffassung wohlhabender. „Wenn Sie hier bessere Häuser sehen, wissen Sie, dass die Leute ein Familienmitglied in Europa haben“, sagt Pa. „Manche Häuser haben zwei Stockwerke und Sonnenkollektoren auf dem Dach.“ Gambier sind von jeher ausgewandert, um ihr Glück zu suchen. Sie haben sich überall in Westafrika und in Schweden, Großbritannien und den USA niedergelassen. Überweisungen aus dem Ausland trugen 2014 laut Weltbank ein Fünftel zum Bruttoinlandsprodukt bei. Aber die Zeiten, in denen legale Auswanderer beträchtliche Summen nach Hause schickten, neigen sich dem Ende zu. Die Migranten, Gambia © SENEGAL AFRIKA Dakar MALI 11.295 km2 Einwohner gesamt: 1,97 Mio. Einwohner in Banjul: 504.000 Fläche: Atlantik 28 40 km Banjul Brikama GAMBIA Georgetown GUINEA-BISSAU Lebenserwartung: 64,6 Jahre Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 427 US-$ Quelle: CIA World Factbook, 2015 / Auswärtiges Amt, 2014 die in den vergangenen Monaten Europa erreicht haben, dürften weit weniger verdienen. Dennoch: Wenn ein Euro 40 Dalasi wert ist und schon die kleinste Überweisung den Wohlstand einer Familie merklich steigert, spricht immer noch genug dafür, sich auf den Weg zu machen. Lamin Ceesay hatte einen Job, als er Gambia verließ. Er hatte erst als Gärtner für ein großes Hotel nahe der Hauptstadt Banjul gearbeitet, dann als Steinmetz im benachbarten Senegal. Doch dann soll- 3-2016 | flucht und migration schwerpunkt Links: In Gedanken sind sie oft bei Lamin Ceesay: Bruder Pa, Mutter Nene Sanneh, Bruder Bambu und der Freund Buba Jallow (von links nach rechts). Unten: Bakary Manneh in Greater Brikama bringt seine Familie mit dem Verkauf von Kochtöpfen über die Runden. Sohn Demba sucht in Europa sein Glück. | 3-2016 te er Vater werden – und auswandern schien ihm der einzige Weg, aus der Armut auszubrechen. Wie er entfernt sich die jüngere Generation zunehmend von der traditionellen Lebensweise, auf dem Land zu bleiben und auf der Familienfarm mitzuarbeiten. Allzu oft aber findet die Jugend aufgrund ihrer geringen Qualifikation auch in den städtischen Ballungszentren an der Küste nur schlecht bezahlte oder gar keine Arbeit. Obwohl die meisten Kinder die Sekundarschule abschließen, liegt die Alphabetisierungsrate nur bei 42 Prozent. Mehr als ein Drittel der Jugendlichen war laut dem UN-Entwicklungsprogramm UNDP 2014 arbeitslos. Selbst die, die ein Studium abgeschlossen haben, müssen feststellen, dass es nur wenige sichere, ordentlich bezahlte Stellen gibt. Mamadou etwa muss sich glücklich schätzen, dass er nach dreijähriger Suche eine Arbeit als Wachmann in einer Wohnanlage gefunden hat. Allerdings ist das trostlose Herumsitzen vor deren Eingang weit von der Karriere in der EDV-Branche entfernt, die er sich nach seinem IT-Diplom vorgestellt hatte. „Ich habe mich auf so viele Stellen beworben. Aber einen guten Job bekommt man hier nur, wenn man jemanden kennt, der einem hilft“, sagt der 30-Jährige resigniert. Seine beiden älteren Brüder haben sich auf den sogenannten „back way“ gemacht: Sie sind im vergangenen Jahr nach Italien gegangen. Um die Reise zu bezahlen, hat die Familie ihr gesamtes Vieh verkauft. „Sie suchen in Europa nach grüneren Weiden, damit sie unsere Familie versorgen können“, sagt Mamadou. „Es ist ein Risiko, aber so, wie wir leben, haben wir sowieso keine Wahl.“ Das Gefühl der Verzweiflung und der Wertlosigkeit ist unter jungen Männern weit verbreitet. Der Bürgerkrieg in Libyen hat die Grenzen durchlässiger gemacht, und es ist eine regelrechte Schleuserindustrie entstanden. Das hat die Zahl der Migranten stark in die Höhe getrieben. Sich auf den „back way“ zu begeben ist zu einer Art nationaler Obsession geworden: Es scheint, je mehr Menschen weggehen, desto mehr fühlen sich verpflichtet, sich ihnen anzuschließen. D ie sozialen Medien spielen eine wichtige Rolle. Sie verbreiten einen Erfolgsmythos unter denen, die sich bereits in Europa befinden. Aus Stolz oder weil sie ihre Familien nicht enttäuschen wollen, möchten sie einen positiven Eindruck von ihrem neuen Leben vermitteln. Auf Facebook etwa posten gerade erst angekommene Flüchtlinge Selfies, auf denen sie zumeist geliehene oder getauschte neue Kleider und Schmuck tragen. In Wirklichkeit leben sie noch in Aufnahmelagern oder Wohnheimen. Andere schicken das geringe Taschengeld nach Hause, das sie während der Bearbeitung ihres Asylantrags wöchentlich erhalten, um den Eindruck zu erwecken, dass sie schon Geld verdienen. In seinem Video-Interview spricht Lamin über den hohen Erwartungsdruck seitens seiner Familie. „Sie stellen sich vor, dass ich ihnen Geld schicke. Auf den Gedanken, dass es schwierig sein könnte, Arbeit zu finden, kommen sie gar nicht.“ Dabei wollen die meisten Familien nicht, dass ihre Kinder ihr Leben riskieren – seine Absicht, das Mittelmeer zu überqueren, offenbarte Lamin erst, als er in Libyen angekommen war. Er wusste, dass seine Eltern versuchen würden, ihn davon abzubringen. Am Ende steuerte Familie Ceesay 45.000 Dalasi (1012 Euro) zu Lamins Überfahrt bei. „Wir halbierten sämtliche Ausgaben, auch die für Lebensmittel, damit wir einen Beitrag leisten konnten“, sagt Pa. „Es war ein großes Opfer. Aber alle haben das Gefühl, wenn man sein Land aufgibt und das Familienmitglied es bis nach Europa schaffen kann, dann ist es das Opfer wert.“ Während diese Familien sorgenvoll auf die Nachricht ihrer Söhne warten, dass ihnen ein Aufenthaltstitel zum Arbeiten in Europa gewährt wird, wird ihr eigenes Leben durch den Einkommensverlust oft noch schwieriger. Mit seinem ältesten Sohn Demba habe die Familie den Haupternährer verloren, sagt Bakary Manneh, der auf dem blanken Betonboden einer Zwei-Zimmer-Baracke sitzt. Der hatte seinen Eltern erzählt, er ziehe ins Nachbardorf. Im vergangenen Mai wurde er von MOAS aus dem Mittelmeer gerettet. „Als Demba noch hier war, arbeitete er auf dem Bau. Aber das Geld reichte vorne und hinten nicht, und ich werde langsam zu alt, um auf dem Feld zu arbeiten“, sagt Bakary, der sich und seine Familie mit der Herstellung und dem Verkauf von Kochtöpfen gerade eben über die Runden bringt. „Er kannte ande- 29 30 schwerpunkt flucht und migration Louise Hunt ist freie Journalistin mit den Schwerpunkten Soziales, Nachhaltigkeit und Entwicklungszusammenarbeit in London. re Familien hier, die ein besseres Leben führen, weil ihre Söhne aus Europa Geld schicken. Deshalb dachte er, er müsste das auch tun.“ Bakary hebt seinen sorgenvollen Blick von dem kleinen Häufchen Dreck, das er mit den Händen auf dem Boden zusammengewischt hat. „Wenn ein Junge wie Demba den back way nimmt und eine ganze Generation junger Männer dasselbe tut, hat das sehr schlimme Folgen für uns.“ Lamin und Demba warten in Gemeinschaftsunterkünften in Italien auf ihre Asylbescheide. Da man sie wahrscheinlich als Wirtschaftsflüchtlinge einstufen wird, haben sie nur wenige Chancen, in Europa zu bleiben – vor allem, wenn die Strategie der Europäischen Union (EU) nach Plan verläuft, abgelehnte Asylbewerber beschleunigt abzuschieben. Auf dem EU-Afrika-Gipfel in Valletta im vergangenen November wurde ein Aktionsplan gegen illegale Migration aus Afrika verabschiedet, in dem die EU die Herkunftsländer auffordert, ihre Grenzen effektiver zu schützen und Flüchtlinge zurückzunehmen. Auf die Frage, was passiert, wenn Lamin abgeschoben wird, verstummen alle. Schließlich antwortet Pa. „Wenn das passiert, ist es wohl unser Schicksal.“ Allerdings könnten junge Menschen in Gambia bald von verbesserten Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten profitieren: Die EU-Kommission richtete eilends einen „Treuhand-Fonds für Nothilfe in Afrika“ mit 1,8 Milliarden Euro ein. Von anderen Gebern er- hofft sie sich Zuschüsse in gleicher Höhe. Mit dem Geld sollen Maßnahmen finanziert werden, um die Zuwanderung aus Afrika einzudämmen. Dazu gehören Berufsausbildungsprogramme ebenso wie Mikrokredite für Sozialunternehmen und Projekte zur Grundversorgung. Im Senegal wurden im Januar Anträge für verschiedene Programme der Ernährungssicherung bewilligt. Doch diese Politik ist umstritten. Mehr Entwicklungshilfe ist zwar willkommen, doch Migrationsexperten halten es für fraglich, ob sie an die Kontrolle der Migration gebunden werden sollte. Sie bezweifeln, dass es mit dieser „Sofortstrategie“ tatsächlich gelingen wird, Anforderungen zu bewältigen, die unter anderem mit ungerechten Wirtschafts- und Handelssystemen zu tun haben, und Wanderungsbewegungen zu verringern. Sara Tesorieri, Oxfam-Expertin für EU-Migrationspolitik, glaubt, dass sie sogar den gegenteiligen Effekt haben könnte. „Die Anzeichen sprechen dafür, dass Entwicklungsförderung in den ärmsten Ländern kurzfristig die Mobilität erhöht – und zwar hinaus wie hinein.“ Das sei an sich kein Problem. Doch wenn Europa hoffe, die Migration zu verlangsamen, indem es die Lebensumstände vor Ort verbessert, „dann ist das die falsche Voraussetzung“. Die Namen der Gambier wurden zu ihrem Schutz geändert. Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller. Anzeige Die FAIR HANDELN ist eine Messe für alle, die sich engagiert für ein global faires und nachhaltiges Handeln einsetzen. Sie stellt einen Marktplatz dar für Fachbesucher und Endverbraucher und zeigt das Spektrum von fair gehandelten Produkten, Nahrungsmittel bis hin zu Textilien, Kosmetik und Kunst. Mit ihren zahlreichen Bildungsveranstaltungen, Forumsbeiträgen und Podiumsdiskussionen ist sie die Leitmesse für Fair Trade und global verantwortliches Handeln in Deutschland. Ausstellungsbereiche: • Fairer Handel • Entwicklungszusammenarbeit • Nachhaltiger Tourismus • Verantwortliche Unternehmensführung (CSR) • Sonderbereich Nachhaltiges Finanzwesen www.fair-handeln.com Donnerstag 14 bis 22 Uhr 3-2016 | Freitag – Sonntag 10 bis 18 Uhr flucht und migration schwerpunkt Raum in kleiner Hütte Ro Taizz r Oualid Khelifi/UNHCR ee M Auf Krücken, aber am Leben: Seif Zeid Abdullah hofft in Dschibuti auf eine bessere medizinische Versorgung. s te D ie Regierung von Dschibuti zeige sich sehr offen gegenüber den Neuankömmlingen aus dem Bürgerkriegsland Jemen, erklärt UNHCR-Sprecherin Amira Abd El-Khalek. Sie würden ohne weitere Nachweise als Flüchtlinge registriert, erhielten im Lager Markazi ein Zelt, Decken, Kochgeschirr und Lebensmittel. Sie werden dort auch medizinisch versorgt, schwierigere Fälle werden an die Klinik in Obock überwiesen. Die jüngeren Kinder besuchen eine nahegelegene Grundschule außerhalb des Lagers, die älteren werden im Camp unterrichtet, zum Teil von AFRIKA JEMEN A Hälfte der jemenitischen Flüchtlinge lebt in einem eigens für sie errichteten Lager, dem Camp Markazi, vier Kilometer von Obock entfernt. Seine Aufnahmekapazität ist laut UNHCR inzwischen erreicht. Auch Seif Zeid Abdullah ist hier untergekommen. Der 27-Jährige hat die 30 Kilometer lange Überfahrt im vergangenen Oktober gewagt. Bei einem Luftangriff wurde sein linkes Bein zerschmettert. Seif Zeid Abdullah wusste, er würde eine langwierige Behandlung und Rehabilitation brauchen. Schon vor dem Krieg war die gesundheitliche Versorgung in seiner Heimat schlecht. Und da immer mehr staatliche Krankenhäuser zerstört und private Kliniken unerschwinglich sind, entschloss er sich zur Flucht, wie er UNHCR-Mitarbeitern erzählte. „Ich habe viele Kinder, Frauen und Männer getroffen, deren Kriegswunden nicht behandelt werden konnten. Ich bin froh, dass einige von ihnen es ebenfalls bis hierher geschafft haben“, sagt Seif Zeid Abdullah. Nicht nur Kranke sind froh, den Bombardierungen, dem Hunger und dem Elend im Jemen entronnen zu sein. Für Nasr Mohsen Mohamed wurde, wie für viele andere, ein besonders grausamer Angriff zum Aufbruchsignal: Im vergangenen September bombardierte Saudi-Arabien in der Stadt Mokka eine Hochzeitsfeier, mindestens 130 Zivilisten starben. „Das war weniger als drei Kilometer entfernt von dem Ort, an dem wir lebten“, sagt der 47-Jährige. „Das gab endgültig den Ausschlag, nach Dschibuti zu fliehen.“ RE | 3-2016 ASIEN IT E ingeklemmt zwischen Eritrea, Äthiopien und Somalia liegt Dschibuti an der Meerenge Bab al-Mandab. Die Heimat von knapp einer Million Menschen ist kaum größer als Mecklenburg-Vorpommern und eines der ärmsten Länder der Erde: Beim Index für menschliche Entwicklung rangierte es im Jahr 2014 auf Platz 168; 20 Punkte vor dem Schlusslicht Niger. Dschibuti besitzt wenig natürliche Ressourcen und wird immer wieder von Dürren heimgesucht. Doch es gilt als politisch stabil. Das nutzen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, Deutschland und die USA für ihre Militärbasen in der Region. Dschibuti ist außerdem Durchgangs- und Endstation für Flüchtlinge: Rund 22.300 lebten laut dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR Ende Januar im Land. Die große Mehrzahl von ihnen stammt aus Somalia. Sie sind zum Teil bereits mehr als zwei Jahrzehnte in Dschibuti und leben in den Lagern Ali Addeh und Holl Holl. Seit April 2015 schultert das kleine Land eine zusätzliche Last: Immer mehr Jemeniten fliehen vor dem Bürgerkrieg in ihrem Land über das Rote Meer und landen in der Hafenstadt Obock. Rund 6.650 Kinder, Frauen und Männer hat der UNHCR bis Ende Januar gezählt – und rechnet mit weiteren 500 bis 700 Flüchtlingen im Monat, solange die Kämpfe andauern. Dschibuti ist eines der wenigen Länder in der Region, das sie aufnimmt. Und eine Lösung in dem Konflikt zwischen der Regierung von Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi und schiitischen Huthi-Rebellen, an dem auch eine ausländische Militärkoalition unter Führung von Saudi-Arabien beteiligt ist, ist derzeit nicht in Sicht. Etwa die Dschibuti & Jemen © ER Dschibuti ist nicht gerade mit Wohlstand gesegnet. Trotzdem nimmt das Land am Horn von Afrika seit Jahren stetig Flüchtlinge auf – seit neuestem aus dem Jemen. 31 DSCHIBUTI Obock Golf von Aden Dschibuti Abbé-See 50 km ÄTHIOPIEN SOMALIA Eltern, die als ehrenamtliche Lehrer fungieren. Einige Jemeniten sind in Obock oder Dschibuti-Stadt in Gastfamilien untergekommen. „Bislang sind die Beziehungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen sehr gut, die Gastfamilien sind großzügig“, berichtet Amira Abd El-Khalek. Spannungen könnten jedoch jederzeit ausbrechen, denn in Dschibuti sind vor allem Land und Wasser knapp. Die begrenzten Ressourcen müssten für immer mehr Menschen reichen, sagt Abd El-Khalek. Berufliche Perspektiven gebe es nicht für die Flüchtlinge, doch der UNHCR kümmere sich. Viele Jemeniten seien erfahrene Fischer. Zwar hätten sie bislang noch nicht die nötige Erlaubnis, in den Gewässern von Dschibuti zu fischen, aber darüber werde derzeit mit den Behörden verhandelt. Außerdem gäben sie ihr Wissen an Einheimische weiter und verstärkten so die Kontakte zu ihnen. Eine Gruppe von Flüchtlingen habe zudem kürzlich ein Restaurant eröffnet. „Es läuft gut“, sagt Abd El-Khalek. Trotzdem wollten die meisten von ihnen zurückkehren, sobald der Bürgerkrieg im Jemen beendet ist. Sie werden Geduld brauchen – die vorerst jüngsten Friedensverhandlungen waren im vergangenen Dezember nach wenigen Tagen ohne Ergebnis beendet worden. Ein neuer Termin steht noch nicht fest. Gesine Kauffmann Ade 32 schwerpunkt flucht und migration Geflüchteten mit Bildung helfen Eine christliche Hilfsorganisation im Libanon bringt syrische Kinder zum Abitur Für die Palästinenserin Sylvia Haddad ist die Arbeit mit Flüchtlingen eine Berufung. Denn sie ist selbst fern der Heimat aufgewachsen. Von Erhard Brunn E s ist fast zwanzig Jahre her. Doch Sylvia Haddad kann sich noch genau an ihre erste Aufgabe als Generalsekretärin des Gemeinsamen Christlichen Komitees für Soziale Dienste im Libanon (JCC) erinnern: Sie sollte ein Familienzentrum im palästinensischen Flüchtlingslager Schatila in Beirut schließen. „Ich saß am Schreibtisch und plötzlich stand eine Delegation von Männern vor der Tür“, erzählt sie bei einem Gespräch im vergangenen November. Ihr Anführer hatte eine Petition mit 150 Unterschriften in der Hand und redete auf sie ein: Was ihr das Recht gebe, die Einrichtung zu schließen, die ihren Kindern, Müttern Hilfe mit Tradition Das Gemeinsame Christliche Kommittee für Soziale Dienste im Libanon (JCC) ist eine der ältesten nichtstaatlichen Organisationen im Libanon, die mit palästinensischen Flüchtlingen arbeiten. Es ist Teil der Abteilung für Service für die palästinensischen Flüchtlinge (DPSR) im Ökumenischen Rat der Kirchen, die seit 1950 besteht. Außer im Libanon ist das DPSR mit Projekten im Westjordanland, in Gaza, im Norden Israels (Galiläa) und in Jordanien vertreten. Koordiniert wird die Arbeit in Jerusalem. Das JCC hat für die Flüchtlinge zunächst Nothilfe geleistet und dann immer mehr Schul- und Berufsbildung. Angeboten wird heute eine breite Palette – Frauen lernen schneidern, das Friseurhandwerk, Sekretariatsarbeiten und besuchen Computerkurse. Männer werden unter anderem als Elektriker ausgebildet, in der Landwirtschaft oder in der Wartung von Computern. (eb) und Schwestern so lange Zeit geholfen habe? Haddad ließ sich überzeugen und schaffte es, das Projekt zu retten. Sylvia Haddad ist selbst 1948 mit ihren Eltern aus Palästina in den Libanon geflohen, nachdem Israel seine Unabhängigkeit erklärt hatte. Doch die Welt der Flüchtlingslager lernte sie erst durch ihre jetzige Arbeit kennen. Sie studierte Erziehungswissenschaften in Beirut, lebte mit ihrem Mann, einem libanesischen Arzt, und ihren drei Töchtern eine Zeit lang in den USA, bis sie nach dem Ende des Bürgerkriegs im Libanon 1990 nach Beirut zurückkehrte. Dort lehrte sie zunächst an der Amerikanischen Universität, bis ihr sieben Jahre später der JCC ein Angebot machte. Es sei ihr nicht leicht gefallen, ihre Arbeit an der Uni aufzugeben, sagt Haddad. Aber: „In dem Moment fühlte ich mich gerufen. Ich konnte nicht ablehnen.“ Haddad leitet die Flüchtlingsarbeit beim JCC Libanon, mit Projekten in vielen Teilen des Landes. Die meisten von ihnen drehen sich um Schul- oder Berufsbildung. „Wir glauben an Hilfe zur Selbsthilfe. Wir möchten den Palästinensern helfen, ihre eigenen Fähigkeiten zu entfalten, damit sie ihre Familie ernähren können und ihre palästinensische Identität, die Kultur und das Wissen über die eigenen Wurzeln erhalten können.“ Die gut ausgestatteten Schulen der ersten Jahre seien allerdings längst geschlossen worden. „Sie waren von europäischen Kirchen finanziert, als man noch glaubte, der Konflikt sei in wenigen Jahren beendet und die Palästinenser könnten nach Hause zurückkehren“, sagt sie. Der JCC will vor allem den jungen Flüchtlingen eine Perspektive für die Zukunft eröffnen. Und die kommen zunehmend aus Syrien – manche aus palästinensischen Familien, die 1948 aus Palästina nach Syrien geflohen waren. Oder aus einer noch älteren Flüchtlingsgruppe: den Christen, die es 1915 noch schafften, vor dem Völkermord aus dem Gebiet des Osmanischen Reiches in den Norden Syriens zu fliehen beziehungsweise dorthin deportiert wurden. „Und jetzt wollen sie weiter nach Deutschland“, sagt eine wohl etwas irritierte Sylvia Haddad. Denn von den Worten „Wir schaffen das“ der Bundeskanzlerin fühlten sich teils Menschen angesprochen, die Angela Merkel sicher nicht gemeint habe. „Wir sehen hier Leute, die sich seit langem gut etabliert haben, etwa Handwerker, alles verkaufen und sich auf den gefährlichen Weg über das Meer nach Deutschland aufmachen.“ Es gehe von Ohr zu Ohr, dass man in Deutschland gut leben könne, ohne zu arbeiten, weil man sich erst eingewöhnen muss. „Und die vielen MafiaGruppen, die es plötzlich gab, reden den Leuten zu, ins neue Eden aufzubrechen, das Deutschland heißt“, sagt Haddad. 3-2016 | JCC flucht und migration schwerpunkt Lernen kann nicht früh genug beginnen: Sylvia Haddad mit Kindern aus einem JCC-Bildungsprojekt. Z Erhard Brunn ist Historiker und Berater in interkultureller Kooperation. | 3-2016 ugleich beobachtet Sylvia Haddad, dass mehr und mehr Menschen nach Syrien zurückkehren. Und sie ermutigt sie, vor allem die gut Ausgebildeten. „Geht, ihr habt ein Heimatland, das ihr wieder aufbauen könnt, anders als wir Palästinenser“, sagt sie ihnen. Der JCC hilft, mit Bildung die Basis zu schaffen. Das ist nicht einfach, denn das libanesische und das syrische Schulsystem unterscheiden sich grundlegend. In Syrien wird auf Arabisch unterrichtet, im Libanon auf Französisch oder Englisch. Doch es sind nicht nur die Schülerinnen und Schüler aus Syrien geflohen, sondern auch die Lehrer. Die syrischen Lehrpläne sind deshalb bekannt, Schulbücher wurden kopiert. Der JCC unterrichtet Hunderte syrischer Mädchen und Jungen. Das ist auch belastend – für alle. „Wenn wir früher schon volle Klassenräume hatten und jetzt noch syrische Flüchtlingskinder dazu tun müssen – das ist hart“, sagt Sylvia Haddad. Zu den Prüfungen machen sich viele ihrer Schüler auf die gefährliche Reise nach Damaskus. Sie bleiben dort drei Wochen in Begleitung ihrer Lehrer, bis alle Examen abgeschlossen sind. Die jüngeren von ihnen sind zwischen 14 und 15, sie machen eine Art Realschulabschluss, die älteren legen mit 18, 19 Jahren das Abitur ab. Besonders heikel sei es, ihre Rückkehr zu organisieren. Dafür müssten die passenden Papiere besorgt werden, um zu beweisen, dass die Jungen und Mädchen bereits im Libanon leben, berichtet Haddad. „Die Regierung hier will nicht noch mehr Flüchtlinge.“ Haddad lobt die gute Organisation in Kooperation mit dem syrischen Erziehungsministerium. Sogar Blinde könnten eine spezielle Prüfung ablegen und würden sehr gut betreut. „Wenn unsere Schüler studieren wollen, möchten sie erst recht nach Syrien“, ergänzt Haddad. Die libanesischen Universitäten seien teuer, die syrischen umsonst. 15 ihrer früheren Schüler studierten nun an der Universität in Damaskus. „Einer wollte sogar nach Aleppo. Wir fragten ihn: Was willst Du da? Da herrscht doch Krieg. Die Stadt liegt in Trümmern. Da gibt es niemanden, der Dir helfen kann.“ Die Schüler antworteten dann: Helft uns dorthin zu kommen, mit Essen und Schulmaterial, den Rest organisieren wir schon selbst. Sie wüssten sehr genau, wie wichtig formelle Berufsabschlüsse sind und dass man das Dokument in den Händen halten muss, um es eines Tages vorzeigen zu können. Haddad: „Und dafür sind viele von ihnen bereit, viel zu riskieren.“ Stört es die muslimische Mehrheit unter den Flüchtlingen nicht, dass die Hilfe von Christen kommt? Nein, sie nähmen in dieser Lage sicher die Hilfe von jedem an, meint Haddad. „Ich habe mein Leben lang unter Muslimen gelebt. Die Syrer sind sehr fleißige Leute. Ich beschäftige sie gerne in meinen Projekten.“ Missioniert werde ohnehin nicht mehr: „Wir beweisen unseren Glauben durch unsere Arbeit.“ Haddad macht sich ganz andere Sorgen: Die syrischen Flüchtlinge seien Menschen, die in ihrem Glauben gefestigt sind. „Sie werden ihre eigenen religiösen Strukturen in Deutschland aufbauen und das Land verändern.“ Der JCC hänge mit seiner Arbeit von der Unterstützung des Nordens ab – und der sei bislang christlich geprägt. „Darauf konnten wir uns verlassen. Doch was passiert mit uns, wenn sich Deutschland verändert?“ Sylvia Haddad sieht sich im Guten wie im Schlechten eingebunden in das dramatische Schicksal der Region seit 1945. Sie ist stolz auf ihre Herkunft: „Ich bin ein Mädchen aus Jerusalem“, sagt sie. Daran richtet sie sich innerlich auf, um sich weiter den Problemen zu stellen. 33 34 schwerpunkt flucht und migration Neue Heimat Tansania Die tansanische Regierung hat Hunderttausende Flüchtlinge aus Burundi eingebürgert. Die Einheimischen waren zunächst wenig begeistert. E s war ein großer Augenblick für die Neubürger: Im vergangenen Jahr durften sie zum ersten Mal bei der Wahl des Staatspräsidenten von Tansania abstimmen – des Landes, in dem viele von ihnen seit Jahrzehnten leben. Am 14. Oktober 2014, dem 15. Todestag von Staatsgründer Julius Nyerere, hatten die ersten von rund 162.000 burundischen Flüchtlinge in einer feierlichen Zeremonie ihre Staatsbürgerschaftsurkunden erhalten. Insgesamt will die tansanische Regierung 200.000 Burunder einbürgern, darunter die Kinder derjenigen, die 1972 vor den blutigen ethnischen Unruhen in ihrer Heimat geflohen waren. Es ist die größte Gruppe von Flüchtlingen in der Geschichte des UN-Flüchtlingshilfswerkes, der nach Jahrzehnten im Exil die Einbürgerung angeboten wurde. UNHCR-Repräsentantin Joyce Mend-Cole, lobte Tansania anlässlich der Zeremonie als Vorbild bei der Suche nach Lösungen für den Umgang mit Flüchtlingen und als Land, in der die Institution des Asyls bewahrt und respektiert wird. Bereits 1982 hatte das ostafrikanische Land rund 32.000 ruandische Flüchtlinge eingebürgert sowie 2014 rund 3000 Somalier, die 1991 aus ihrer Heimat geflohen waren. Derzeit beherbergt es außerdem rund 70.000 Kongolesen und mehr als 150.000 neue Flüchtlinge aus Burundi, die sich zwischen April und Dezember 2015 vor dem dortigen politischen Chaos in Sicherheit gebracht haben. Burundi ist ein kleines, dicht bevölkertes Land, das seit seiner Unabhängigkeit von Belgien 1962 immer wieder von Unruhen erschüttert wird. 1972 wurden rund 200.000 Menschen während ethnischer Auseinandersetzungen getötet, die als erster Genozid in der Region der Großen Seen gel- ten. Rund 500.000 Kinder, Frauen und Männer flohen, die meisten in das Nachbarland Tansania. Dort wurden sie in Katumba, Mishamo und Ulynkulu angesiedelt, Siedlungen, die noch heute bestehen. Nimbona Shartiel ist einer der wenigen Burunder, die die Geschichte seines Landes noch ken- Bereits 1978 hatte der UNHCR seine Unterstützung für die Burunder eingestellt, sie mussten selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. Neben Subsistenzlandwirtschaft produzierten sie in Tansania Tabak und Kaffee für den Export. Mit ihren Geschäften trugen sie zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes bei und zahlten Steuern. Nach langen Verhandlungen mit der burundischen Regierung und dem UNHCR kündigte Tansanias Regierung Gekommen, um zu bleiben: Die Burunderin Francine Mukamana hat 2009 in einem Flüchtlingscamp im Westen von Tansania Zuflucht gefunden. Peter Marlow/Magnum Photos/Agentur Focus nen. Der heute 58-Jährige floh 1972 vor den ethnischen Verfolgungen gegen Hutu, damals war er ein Teenager. „Wir leben hier seit mehr als 42 Jahren, wir haben Kinder und Enkel. Wir können nicht zurück nach Burundi. Dort haben wir keine Familie mehr und auch kein Land“, sagt Shartiel, der einer Gemeinschaft in Katumba vorsteht. Die Mehrheit in den alten Flüchtlingssiedlungen sei in Tansania geboren, meint er. Sie nach Burundi zurückzuschicken, würde sie erneut zu Flüchtlingen machen. 2007 schließlich an, den Flüchtlingen die Einbürgerung anzubieten. Ein schwieriger Prozess, wie Athuman Igwe weiß, der in der Region Katavi für die Flüchtlingssiedlung Katumba zuständig ist. Viele Tansanier hätten Vorbehalte gegenüber den Neubürgern geäußert – die Flüchtlinge arbeiteten zwar hart in der Landwirtschaft, doch mit ihrer Geschichte von Konflikt- und Gewalterfahrung seien sie vielen Einheimischen als Bedrohung erschienen. Die Tansanier hätten die fremden kulturel- len Einflüsse und eine Zunahme der Kriminalität befürchtet. Der frühere Commissioner von Katavi, Rajabu Rutengwe, hat den Einbürgerungsprozess eng begleitet. Er berichtet, man habe wegen der Ängste eine Schulung für die Flüchtlinge konzipiert, um sie für die Kultur und die Traditionen ihrer neuen Heimat zu sensibilisieren. Frei nach dem Motto „Gehst Du nach Rom, benimm Dich wie ein Römer“. Aufgrund der Sicherheitsbedenken in der Bevölkerung entschied die Regierung 2011, die eingebürgerten Burunder in 16 verschiedenen Provinzen anzusiedeln, damit sie sich dort integrieren und ein neues Leben beginnen konnten. Dagegen wehrten sich jedoch die Neubürger: Sie warfen der Regierung vor, sie von ihren Freunden und Verwandten zu trennen und zudem gegen die Verfassung zu verstoßen, laut der jeder Tansanier das Recht hat, sich seinen Wohnort auszusuchen. Damit kam die bereits begonnene Einbürgerung ins Stocken – viele Flüchtlinge stoppten ihre Investitionen in die Landwirtschaft und meldeten ihre Kinder nicht für weiterführende Schulen an, weil sie nicht wussten, ob sie in ihren Siedlungen bleiben durften oder nicht. Erst 2014 gab die tansanische Regierung bekannt, dass die Neubürger in den Siedlungen bleiben dürfen – oder in einen anderen Teil des Landes ziehen können, wenn sie das möchten. Damit war der Weg für die Einbürgerung frei, die von vielen ehemaligen Flüchtlingen mit großer Dankbarkeit begrüßt wurde. „Wir sind so glücklich, dass wir nun Tansanier sind. Denn wir kennen keine andere Heimat mehr“, so war die übereinstimmende Reaktion in den Siedlungen von Katumba, Mishamo und Ulyankulu. Prosper Kigwize ist freier Journalist in Kigoma, Tansania. Aus dem Englischen von Gesine Kauffmann. 3-2016 | flucht und migration schwerpunkt bücher zum Thema Die Anti-Mobilitäts-Maschine Europa schottet sich ab mit Hilfe der Staaten, aus denen oder durch die Zuwanderer kommen. Der britische Ethnologe Ruben Andersson untersucht präzise und mit einem originellen Zugang, wer an diesem Unternehmen mitwirkt und daran verdient. Ruben Andersson Illegality, Inc. Clandestine Migration and the Business of Bordering People University of California Press Oakland 2014, 338 Seiten, ca. 26 Euro Andersson konzentriert sich darauf, wie seit 2006 unter Spaniens Führung der westliche Weg über das Mittelmeer geschlossen wurde. Dazu, so seine These, wurde eine „Illegalitäts-Industrie“ geschaffen. Die spanische und senegalesische Polizei und die europäische Grenzagentur Frontex wirken daran mit, aber auch Firmen, die zum Beispiel Überwachungstechnik verkaufen, Forschungseinrichtungen, Hilfsorganisationen und Journalisten – und natürlich Schleuser sowie Migranten. Sie alle kommen in dem Buch zu Wort. Das vermittelt ein anschauliches Bild, nicht zuletzt von der Absurdität des Unterfangens. Besonders wertvoll sind die Einblicke in Denkund Arbeitsweisen der Sicherheitskräfte. Spanien habe die Polizei des Senegal gekauft und dazu die Schleuser überbieten müssen, schildert Andersson. Um ihren Einsatz gegen die Migration nachzuwei- sen, inszenierten afrikanische Polizisten ihn nun. Und da es auf der Westroute weniger Migranten gibt, werde die Definition ausgeweitet, um die Erfolgszahlen zu erhöhen. Im Ergebnis verlagere Europa seine Grenzen nach Süden und schaffe dort „Grenzräume“, in denen die Unterschiede zwischen legal und illegal verwischen und wachsende Zahlen von Menschen „Schattenexistenzen“ führen. Das folgt laut Andersson keinem großen Plan. Sondern die Beteiligten – Firmen, Behörden, Forschungseinrichtungen – folgten eigenen Interessen und ihrer institutionellen Logik. Ihr Zusammenwirken lasse eine „Anti-Mobilitäts-Maschine“ entstehen, die Migranten zum Sicherheitsrisiko stilisiere. Sie erzeuge Illegalität und lebe davon. Aber die Zuwanderung nach Europa werde so nicht verringert, sondern nur auf neue Routen verlagert, argumentiert Andersson. Das Buch ist streckenweise fesselnd, an anderen Stellen etwas langatmig; die analytischen Passagen sind nicht immer leicht verdaulich. Aber es ist wichtig und macht überzeugend deutlich, was Europa in seiner Nachbarschaft anrichtet. Bernd Ludermann Europa auf der Anklagebank Der Dokumentarfilmer Michael Richter präsentiert Skizzen, Porträts und Berichte zum Thema Asyl und Einwanderung. Und er fordert eine humane Flüchtlingspolitik. Michael Richter Fluchtpunkt Europa Unsere humanitäre Verantwortung edition Körber-Stiftung Hamburg 2015, 242 Seiten, 16 Euro | 3-2016 Am 15. April 2015 ertranken vor der Küste Libyens über 400, am 18. April 700 Flüchtlinge, deren alte Kutter sie nicht mehr sicher über das Meer brachten. Die italienische Küstenwache konnte nur wenige von ihnen retten. Eineinhalb Jahre zuvor war das Schiff eines heute in der Pfalz lebenden Syrers gesunken, der mit seiner Familie von Misurata nach Italien gelangen wollte. Auch hier hatte die italienische Küstenwache erst eingegriffen, als das Schiff bereits sank. 150 Menschen starben, darunter zwei seiner Söhne. Nun will der Arzt gegen die Küstenwache klagen, „die viele syrische Familien und meine Söhne auf dem Gewissen hat“. Michael Richters Buch greift die Geschichte auf und klagt die Europäische Union (EU) an. Ihr fehlten einheitliche Standards in der Asylpolitik, und auch die 2011 festgelegten sozialen und medizinischen Standards würden beispielsweise in Bulgarien oder Italien nicht eingehalten. Stattdessen schielten vor allem westeuropäische Regierungen auf den sich ausbreitenden Rechtspopulismus und machten mit Angst und Ressentiments Politik. Ihre Abschottungspolitik werde von der EU-Agentur Frontex und ihren Polizeikräften gnadenlos umgesetzt. Der Autor fordert legale, sichere Wege, auf denen Flüchtlinge nach Europa reisen können – mit Hilfe von Seenotrettungsprogrammen, humanitären Visa in großem Stil und von Resettlement-Programmen des Flüchtlingshilfswerkes UNHCR. Die EU müsse endgültig das Dublin-Prinzip aufgeben, demzufolge Flüchtlinge in dem Land ein Asylverfahren durchlaufen, wo sie die EU-Außengrenze überschreiten. Zum Ausgleich sollten die Aufnahmeländer Transferzahlungen erhalten. Frontex müsse den klaren Auftrag bekommen, Flüchtende zu versorgen und nicht abzuschrecken. Um die Lage in den Herkunftsländern der Flüchtlinge langfristig zu verbessern, plädiert Richter dafür, Hilfsgelder von der Achtung der Menschenrechte und demokratischer Standards abhängig zu machen. EU-subventionierte Agrarexporte wie von Reis oder Milch prangert er als kontraproduktiv an, da sie die Binnenmärkte der Herkunftsländer schwächten und Bauern ihrer Lebensgrundlage beraubten. Die größte Aufgabe sieht er freilich in einem Einwanderungsgesetz, das Menschen, die hier arbeiten und leben wollen, eine Perspektive bietet – nicht zuletzt, um in einer alternden Gesellschaft die Sozialsysteme zu stützen. Das Buch ist ein lesenswertes und engagiertes Plädoyer für eine humane EU-Flüchtlingspolitik. Klaus Jetz 35 36 welt-blicke xxx Hoffnung trotz Hunger Äthiopien wird von der schlimmsten Dürre seit Jahrzehnten heimgesucht. Aber das Land ist heute besser vorbereitet als während früherer Hungersnöte. Von Philipp Hedemann M orgendämmerung. Als die Sonne auf einer Ebene außerhalb von Korem die beißende Kälte der Nacht durchbricht, bringt sie eine biblische Hungersnot ans Licht. Jetzt, im 20. Jahrhundert. ,Dieser Ort‘, sagen die Helfer hier, ,ist der Ort auf Erden, der der Hölle am nächsten kommt.‘ Tausende von ausgemergelten Gestalten kommen auf der Suche nach Hilfe hierher. Viele finden nur den Tod. Alle zwanzig Minuten stirbt ein Kind oder ein Erwachsener.“ Mit diesen Worten leitete BBC-Reporter Michael Buerk am 23. Oktober 1984 seinen Bericht über die Hungersnot in Äthiopien ein. Während der Journalist mit getragener Stimme spricht, zeigt die Kamera ein sterbendes Baby. Der kaum zu ertragende Film brachte den Tod in Äthiopien zunächst direkt in britische Wohnzimmer, rüttelte später Menschen auf der ganzen Welt wach und inspirierte Rockstar Bob Geldof 1985 zum Live- Aid-Konzert. Eineinhalb Milliarden Menschen sahen und hörten die weltweit übertragenen Konzerte, rund zweihundert Millionen Mark an Spenden kamen zusammen. Doch für viele kam die Hilfe zu spät, bis zu eine Million Menschen starben. Heute, mehr als 31 Jahre später, hat es im Land am Horn von Afrika wiederum seit Monaten kaum geregnet. „Äthiopien wird gerade von der schlimmsten Dürre seit 50 Jahren heimgesucht“, stellte der zuständige Ländermanager der Hilfsorganisation Save the Children im vergangenen Dezember fest. Zuvor waren im Frühling die sogenannten „Belg“-Niederschläge komplett ausgeblieben. Im Sommer führte laut Fachleuten das Wetterphänomen El Niño dazu, dass auch die normalerweise ertragreichere „Kiremt“-Regenzeit in einigen Regionen im Osten des Landes fast ganz ausfiel. El Niño tritt alle sieben bis acht Jahre auf, wenn der Pazifische Ozean in großem Umfang Wärme an die Atmosphäre abgibt. 3-2016 | äthiopien welt-blicke Die Ernten fielen im vergangenen Jahr in diesen Regionen um 50 bis 90 Prozent geringer aus als üblich. Als Folge der Dürre könnten nach Prognosen der Vereinten Nationen und der äthiopischen Regierung in diesem Jahr rund zwei Millionen Menschen zu wenig zu essen und zu trinken haben. 800.000 Menschen könnten gezwungen werden, vor der Dürre in andere Landesteile zu fliehen. Bereits im vergangenen Jahr waren nach Schätzungen rund 200.000 Kühe, Schafe, Ziegen und Kamele verendet, in diesem Jahr könnten 450.000 hinzukommen. Viele Viehbesitzer versuchen ihre ausgemergelten Tiere noch schnell zu verkaufen, bevor sie verhungern oder verdursten. Die Viehpreise sanken deshalb nach Angaben des äthiopischen Landwirtschaftsministeriums zwischen August 2014 und August 2015 um bis zu 80 Prozent. Gleichzeitig wurden Lebensmittel viel teurer. So stieg beispielsweise der Preis für Linsen nach Angaben des Ethiopian Humanitarian Country Teams im gleichen Zeitraum um 73 Prozent an. Viele Bauern können sich und ihre Familien aus eigener Kraft nicht mehr ernähren. Derzeit sind gut zehn Millionen Äthiopier von Lebensmittellieferungen abhängig, hinzu kommen acht Millionen Äthiopier, die regelmäßig staatliche Unterstützung erhalten, weil ihre Ernährungssitua- genen Jahr rund 380 Millionen US-Dollar in die Bekämpfung der Krise gesteckt. Internationale Geber hatten bis Mitte Februar rund 550 Millionen Dollar bereitgestellt. Doch nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind insgesamt fast 1,5 Milliarden Dollar notwendig. Ä thiopien hatte zunächst versucht, die Auswirkungen der Dürre kleinzureden, korrigierte die Zahl der Betroffenen nur zögerlich nach oben und bat die internationale Gemeinschaft erst im Oktober 2015 um Hilfe. Das Land wollte nicht wieder mit Hunger in die Schlagzeilen kommen. In den vergangenen 20 Jahren hat sich Äthiopien von der Weltöffentlichkeit weitestgehend unbemerkt zum Afrikanischen Löwen gemausert und ist zur fünftgrößten Volkswirtschaft in Subsahara-Afrika aufgestiegen. Zwischen 2004 und 2014 wuchs die Wirtschaft nach offiziellen Angaben jedes Jahr durchschnittlich um 10,9 Prozent. Das ist afrikanischer Rekord. Auch wenn manche Kritiker die offiziellen Wachstumsraten für geschönt halten: Der Aufschwung ist kräftig und lang anhaltend. Und er hat dazu beigetragen, dass Wetterextreme wie die aktuelle Dürre nicht mehr so schnell wie früher zu schweren Hungersnöten führen. Äthiopien hat viel mehr Geld in die Landwirtschaft gesteckt als andere afrikanische Staaten und etwa das Straßennetz stark ausgebaut. Das Land ächzt unter der Dürre: In der Somali-Region Äthiopiens stehen im Januar Frauen an, um Wasser zu holen. Tiksa negeri/reuters | 3-2016 tion chronisch unsicher ist. Damit ist fast ein Fünftel der Bevölkerung auf Hilfe angewiesen. Und die äthiopische Regierung, die Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen gehen davon aus, dass die Krise sich bis zum Einsetzen der Sommerregenzeit weiter verschärfen könnte. „Der Ausblick auf 2016 ist sehr düster“, sagte Amadou Allahoury, Äthiopien-Repräsentant der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO), im Januar. Düster, aber nicht katastrophal. 2016 wird es höchstwahrscheinlich keine Bilder von verhungerten Frauen, Kindern und Männern geben, schon gar nicht in dem Ausmaß wie vor 31 Jahren. Denn die Dürre trifft Äthiopien nicht unvorbereitet. 2013 verabschiedete der Staat eine Strategie für das Katastrophenmanagement, die unter anderem die Frühwarnsysteme gestärkt und die Verfügbarkeit von Lebensmittelvorräten in allen Landesteilen verbessert hat. Koordiniert von einer staatlichen Kommission arbeiten derzeit mehr als 60 humanitäre Organisationen in Äthiopien, darunter zehn UN-Agenturen. David Del Conte, stellvertretender Leiter des UNAmtes für Humanitäre Hilfe (OCHA) in Äthiopien, sagt: „Es wird definitiv keine Hungersnot geben. Die Regierung, ihre UN-Partner und die NGOs sind in der Lage, das zu verhindern. Vorausgesetzt es sind genug finanzielle Mittel vorhanden.“ Doch die fehlen teilweise noch: Äthiopien hat in diesem und im vergan- 2002 legte die Regierung ein neues Entwicklungsprogramm auf und erklärte die Armutsbekämpfung zum obersten Ziel ihres Handelns. Äthiopien erreichte bis 2015 sechs der acht MillenniumEntwicklungsziele, und auch bei den beiden verbleibenden Zielen (Gleichstellung der Geschlechter und Verbesserung der Gesundheitsvorsorge für Mütter) wurden große Fortschritte erzielt. Das renommierte britische Overseas Development Institute stellt in einem Bericht aus dem vergangenen Jahr fest, Äthiopien zähle bei der Armutsbekämpfung in den vergangenen Jahren weltweit zu den erfolgreichsten Staaten. Das gilt auch für die Bildungspolitik: Während 1992 noch rund vier von fünf Kindern im Grundschulalter nicht zur Schule gingen, ist es heute nur noch ein Fünftel. Kein anderer Staat in Afrika kann einen so hohen Zuwachs bei den Einschulungsraten aufweisen. In der Hauptstadt Addis Abeba ist der Aufschwung sichtbar: Überall schießen moderne Hochhäuser aus dem Boden, auf den Straßen rollen immer mehr Autos. Als Ende vergangenen Jahres die in nur drei Jahren aus dem Boden gestampfte 500 Millionen US-Dollar teure und zu 85 Prozent mit chinesischem Geld finanzierte Stadtbahn in Betrieb genommen wurde, berichteten Medien aus aller Welt. Unter anderem mit Unterstützung Chinas und der Vereinten Nationen hat die Regierung 37 38 welt-blicke äthiopien Hunger in Afrika Äthiopien 10,2 Mio. 10,3% DRC. Auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen (absolut und in Prozent) 6,6 Mio. +2,4% Veränderung der Getreideproduktion zwischen 2014 und 2015 8,3% Malawi 2,8 Mio. 1,25 Mio. 6,4% Sambia -15% 800.000 5,3% -17% Simbabwe Namibia 1,5 Mio. 370.316 17% -26% 15,6% Angola 10.5% -43% Mosambik Madagaskar 801.755 459.319 +13% -7,2% 1,9% 3,2% -50% Swasiland 200.100 Südafrika 14 Mio. 26% 13,9% Lesotho -31% 463.936 -26% 23,8% -27% Quelle: SADC/WFP/CIA – The World Factbook 2015 © in der Nähe der Hauptstadt mehrere Industrieparks errichtet. Die Regierung will internationale Unternehmen anlocken, ausländische Direktinvestitionen fördern, Know-how importieren und dringend erforderliche Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft schaffen. U Philipp Hedemann ist freier Journalist in Berlin. Von 2010 bis 2013 berichtete er als Afrika-Korrespondent für verschiedene Zeitschriften und Zeitungen aus der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Sein Äthiopien-Buch „Der Mann, der den Tod auslacht“ ist 2013 im DuMontVerlag erschienen. nd der Aufschwung findet nicht nur in der Hauptstadt statt. Vor allem auf dem Land wurde stark in Infrastruktur investiert, denn in Äthiopien leben mehr als drei Viertel der Bevölkerung von der Landwirtschaft. In den vergangen zehn Jahren ist das Straßennetz auf das Doppelte ausgebaut worden. In guten Zeiten können die Bauern ihre Waren auf dem Markt anbieten. In schlechten Zeiten erreichen Staat und Hilfsorganisationen mit Hilfslieferungen auch abgelegene Regionen. Der Staat hat in den vergangenen zehn Jahren nach Angaben des Overseas Development Institute jährlich mehr als 15 Prozent seines Haushaltes in die Landwirtschaft investiert. Zum Vergleich: In den anderen afrikanischen Staaten waren es im Jahr 2013 im Durchschnitt nur knapp drei Prozent. In Äthiopien wurden unter anderem Tausende Landwirtschaftsexperten ausgebildet, Felder terrassiert, um der Erosion Einhalt zu gebieten, Bewässerungskanäle gebaut und instand gesetzt und Wälder aufgeforstet. Seit rund fünf Jahren versucht die äthiopische Regierung die Produktivität der Landwirtschaft zu- dem durch die Verpachtung riesiger Flächen an meist ausländische Investoren zu steigern. Zwar ist die erwünschte Wirkung der umstrittenen Projekte bislang weitgehend ausgeblieben. Dennoch konnte die landwirtschaftliche Produktion nach Angaben des Finanzministeriums seit 2010 jährlich um durchschnittlich 6,6 Prozent gesteigert werden. Eine Weltbank-Studie aus dem vergangenen Jahr geht davon aus, dass die Produktivitätssteigerungen zwischen 2005 und 2011 dazu beigetragen haben, die Armut um sieben Prozent zu senken. Und es ist noch viel Luft nach oben. Denn noch immer werden rund 90 Prozent der Ernten auf unbewässerten Flächen erzielt. Z udem hat Äthiopien mit dem Productive Safety Net Programme 2005 das größte SozialhilfeProgramm in Afrika aufgelegt. In Zeiten schlechter Ernten versorgt das weitgehend von Gebern finanzierte Projekt Bedürftige mit Geld oder Lebensmittellieferungen. Als Gegenleistung arbeiten die Nutznießer an Gemeinschaftsprojekten wie dem Bau von Straßen oder Bewässerungskanälen mit. Derzeit nehmen rund acht Millionen Menschen an dem Programm teil. Die Regierung befindet sich jedoch mit ihren Anstrengungen gegen Armut und Hunger im Wettlauf mit dem zwar sinkenden, aber immer noch hohen Bevölkerungswachstum. Zur Zeit der großen Hungersnot 1984/85 lebten 40 Millionen Menschen im Land am Horn von Afrika, heute sind es fast zweieinhalb Mal so viele: 97 Millionen. Menschenrechtler bemängeln zudem, dass die Erfolge bei der Bekämpfung der Armut teilweise auf Kosten der Freiheit gehen. Nach dem Motto: So wenig Demokratie wie nötig, so viel Staatskapitalismus wie möglich, orientiert Äthiopien sich in den vergangenen Jahren immer stärker an China. Seit den Wahlen 2015 sitzt im 547 Abgeordnete zählenden Parlament kein einziger Oppositioneller mehr, die Regierungspartei „Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker“ ist mittlerweile seit fast 25 Jahren an der Macht. Während dieser Zeit hat sie reichlich Erfahrung im Management von Naturkatastrophen gesammelt. Bereits während der schweren Dürre am Horn von Afrika vor knapp fünf Jahren konnte die Regierung verhindern, dass es Tote zu beklagen gab. Während im Bürgerkriegsstaat Somalia die Hungernden kaum versorgt werden konnten und Tausende Menschen starben, verhungerte 2011 nach offiziellen Angaben kein einziger Äthiopier. Lediglich Somalier, die die Flüchtlingslager im Nachbarland zu spät erreichten, starben damals auf äthiopischem Boden. In Zukunft wird die Fähigkeit der äthiopischen Regierung, auf solche Wetterextreme zu reagieren, wahrscheinlich häufiger auf die Probe gestellt. Denn Experten gehen davon aus, dass die Erderwärmung in Äthiopien öfter zu Dürren und Überflutungen führen wird. Zusammen mit seinen internationalen Partnern wappnet das Land sich schon jetzt für den Klimawandel, den es kaum verursacht, unter dem es aber besonders stark zu leiden hat. 3-2016 | algerien welt-blicke Der Staat wünscht andere Prediger In Algerien erstarken erneut intolerante Strömungen des Islam. So lange sie unpolitisch waren, hat das Regime sie als nützlich betrachtet. Nun will es die traditionellen Geistlichen wieder stärken. Von Anouar Boukhars D reiundzwanzig Jahre sind seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Algerien vergangen, der 200.000 Menschen das Leben gekostet hat und als „Schwarzes Jahrzehnt“ in die Geschichte des Landes eingegangen ist. Heute ist der Islamismus erneut Ursache von gesellschaftlichen und politischen Kontroversen. Zwar sind der politische Islam und gewaltbereite militante Gruppen in Algerien noch geschwächt. Aber immer lauter greifen Salafisten islamische Traditionen und Lebensweisen im Land an, die nicht der strengen, wortgetreuen Auslegung des Korans entsprechen, wie sie Salafisten propagieren. | 3-2016 Hassprediger wie Abdelfatah Hamadache – hier auf einer Kundgebung gegen Israel 2010 – sind den Behörden ein Dorn im Auge. zohra bensemra/reuters Dass sie sich im Aufwind befinden, hat eine Reihe von Gründen. Algerien leidet wie viele Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas unter wirtschaftlichen Problemen, politischer Lähmung und Veränderungen in der Altersstruktur der Gesellschaft. Der Zulauf für die Salafisten ist Ausdruck einer moralischen Rebellion gegen den Staat und seine Institutionen. Mit strikten Moralvorschriften und dem Versprechen, gegen soziale Missstände vorzugehen, bietet der friedfertige Salafismus unzufriedenen Jugendlichen eine Alternative zu den vorherrschenden staatstreuen Strömungen des Islam, deren staatsnahe Institutionen im Niedergang sind. Und paradoxerweise hat auch der Staat den Salafismus gestärkt, indem er die Bewegung als ideologisches Gegengewicht zum politischen Islam und zu revolutionären Gruppen nutzte. Der algerische Salafismus ist ganz am konservativen Rand des theologischen und politischen Spektrums angesiedelt, und er ist keineswegs homogen. Salafisten haben teilweise sehr unterschiedliche An- 39 40 welt-blicke algerien Links: Erziehungsministerin Nouria Benghabrit will die Lehrpläne an einem toleranten Islam ausrichten. getty images Mitte: Ein Jugendlicher am Strand von Annaba zeigt einen Koran. Salafisten stehen heute für die moralische Revolte gegen den Staat. Nick Hannes/laif Rechts: Sittsam und doch farbenfroh – auf einem Markt in Algier werden Schleier angeboten. Nick Hannes/laif sichten, beispielsweise zum Abfall vom Islam oder zum politischen Engagement. Die größte und prominenteste Gruppe sind die sogenannten quietistischen Salafisten. Sie halten sich aus der Politik heraus, lehnen Gewalt ab und werben dafür, die Gesellschaft an ihrer streng konservativen Theologie auszurichten. Sie engagieren sich in Wohltätigkeitsorganisationen und Gruppen der Zivilgesellschaft ebenso wie im informellen Markt- und Straßenhandel. Die politische, revolutionäre Variante des Salafismus bleibt in Algerien eine Minderheit. D er Salafismus kam mit der Wende zum 20. Jahrhundert nach Algerien. Er war eine transnational ausgerichtete Reformbewegung und betonte die Vereinbarkeit des Islam mit der Moderne. Doch in einer Gesellschaft, die sich noch im Würgegriff des Kolonialismus befand, konnten sich moderne Ideen nicht entfalten. So machte die Idee, dass auch der Islam sich entwickelt, allmählich kompromissloseren Strömungen Platz, darunter ultrakonservativen, die jede Form von Modernität und Säkularismus strikt ablehnten. Ihre ideologische Extremform ist der Wahhabismus, der seit Anfang der 1960er Jahre auch in Algerien von Saudi-Arabien unterstützt wird. Viele Algerier haben in Saudi-Arabien studiert, vor allem an der Islamischen Universität Medina. Nach dem Bürgerkrieg zwischen der Regierung und verschiedenen islamistischen Gruppen in den 1990er Jahren hatten die Algerier für gewaltbereite Ideologien wenig übrig. Die Salafisten begannen jedoch, das Satellitenfernsehen und das Internet zu nutzen, um ihr Image aufzupolieren, sich von Gewalt zu distanzieren und verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Es gelang ihnen, sich sowohl auf der politischen als auch auf der religiösen Bühne als glaubwürdige, apolitische Alternative zu den in Verruf geratenen islamistischen Parteien und den staatlich gestützten religiösen Institutionen darzustellen. Vielen vom Bürgerkrieg traumatisierten Algeriern schien der Salafismus einen neuen Weg zu eröffnen. Da sich die Salafisten aus der Politik heraushielten und eine neutrale Haltung zum algerischen Regime einnahmen, durften sie eigene Schulen gründen, Geschäftsnetzwerke aufbauen und ihre traditionellen weißen Gewänder und Vollbärte tragen. Vor allem bei der Jugend, die vom maroden Zustand der algerischen Gesellschaft frustriert ist, finden die einfach zugänglichen salafistischen Netzwerke Anklang. Auch das algerische Regime profitiert vom Aufstieg dieser Bewegung: Sie trägt dazu bei, labile Jugendliche sowohl von Politik als auch von gewaltbereitem Extremismus fern zu halten. Der Staat hat auch versucht, den Sufismus als Bollwerk gegen die radikalislamistischen Ideologien zu fördern, aber das hat kaum Früchte getragen. Sufis sind eine mystische Strömung im Islam, die oft unter anderem Heilige verehren. Eine im Jahr 2011 publizierte Meinungsumfrage der Universität von Algier und der amerikanischen Binghamton University ergab, dass die Mehrheit in Algerien im Sufismus zwar eine friedliche und tolerante Lehre sieht. Aber sie findet, dass einige ihrer religiösen Praktiken nicht der akzeptierten islamischen Lehre entsprechen. Die meisten beurteilten zudem die Bemühungen der Regierung, den Sufismus zu stützen, als politisch motiviert. Während die Salafisten an Einfluss gewinnen, verlieren ihre islamistischen Rivalen an Boden. Anders als in Tunesien und Marokko, wo zur Hauptströmung gehörende islamistische Parteien zu einflussreichen intellektuellen und politischen Kräften herangewachsen sind, scheinen die algerischen Islamisten in intellektuelle Lethargie verfallen. Sie haben den Kontakt zu ihren Wählern verloren und können sich auf die neue Lage nach den jüngsten Umbrüchen einstellen. Ihre Nähe zum Staatsapparat und ihre auf materielle 3-2016 | algerien welt-blicke Vorteile ausgerichtete Hierarchie schrecken die islamistische Basis davon ab, sich politisch zu engagieren. Umso besser können sich die von Moral und Gleichheit redenden Salafisten als Gegengewicht etablieren. Der Aufschwung der quietistischen Salafisten bringt einige Vorteile für das Regime. Zum einen können sie besser als der Staat den Dschihadisten in deren eigener Sprache Kontra geben. Zum anderen beunruhigt ihre Weltsicht gleichermaßen Säkularisten wie Liberale und vertieft damit die ideologischen Gräben in der Gesellschaft. Dem Regime nützen solche Spaltungen, stellt es sich doch gern als ultimativer Schiedsrichter solcher Konflikte dar. Gleichzeitig sind sich die Regierenden aber unsicher, wie sie mit den politisch aktiven Salafisten umgehen sollen. Die Mehrheit der algerischen Salafisten hält sich aus der Politik heraus. Doch die Stimmen ihrer wenigen politischen Vertreter sind die lautesten. Einige Beobachter glauben, dass das algerische Regime am Ende dem marokkanischen Modell folgen wird: Hardliner-Salafisten werden politisch eingebunden, sofern sie öffentlich der Gewalt und Unterwanderung des Staats abschwören. Die marokkanische Monarchie hat radikale Salafisten in Netzwerke und Parteien geholt, die sich gut zum Königshaus stellen; damit wollte sie zeigen, dass es immer eine Chance auf Rehabilitierung gibt. Gleichzeitig wollte sie damit die konservative Wählerschaft spalten und die Welle von Wahlerfolgen der moderat islamistischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung aufhalten. Zwar missbilligt die Mehrheit der algerischen Salafisten Gewalt und hält sich aus der Politik heraus. Aber die Stimmen der wenigen politischen Salafisten | 3-2016 sind in Algerien die lautesten. Selbsternannte Aufwiegler-Prediger treten in jüngster Zeit entschlossener und selbstbewusster auf. Ihre ideologische Offensive für den „wahren“ islamischen Glauben und Lebenswandel führen sie in Moscheen, sozialen Medien und privaten Fernsehkanälen. Sie stellen die Autorität lokaler Imame infrage, verunglimpfen populäre religiöse Praktiken wie mystische Rituale und erlassen Rechtsgutachten – Fatwas –, die Kulturveranstaltungen, Kunstausstelllungen, Bankkredite und anderes als unislamisch verurteilen. Das Verhältnis des algerischen Staats zu diesen Hasspredigern ist zwiespältig und kompliziert. Ein Beispiel war im Juni 2014 die Beratung zwischen Ahmed Ouayahia, dem Stabschef des Staatspräsdenten, und Madani Mezrag, einem ehemaligen islamistischen Guerillakämpfer, über Fragen einer Verfassungsänderung. Mezrag wird als Persönlichkeit von nationaler Bedeutung behandelt. Er hat Zugang zu den Medien, er darf frei predigen und Veranstaltungen organisieren. Nachdem er allerdings im Oktober 2015 Präsident Bouteflika im privaten Fernsehsender El Watan kritisiert hatte, weil der seiner neu gegründeten Partei „Algerische Wiederversöhnungs- und Heilsfront“ die juristische Anerkennung vorenthielt, legten die Behörden den Sender mit der Begründung still, er sei „informell und illegal“ betrieben worden. Mezrag persönlich blieb aber unbehelligt. Ein weiterer prominenter Aufwiegler ist Abdel fatah Hamadache. Er ist mit scharfen Predigten gegen algerische Muslime hervorgetreten, die ihren Glauben nicht praktizieren. Im Oktober 2014 startete er eine Kampagne der „Säuberung“ gegen Bars und Orte angeblicher Ausschweifung und Prostitution in Algeriens Küstengebieten. Im Dezember 2014 rief er dazu auf, den Schriftstellers Kamel Daoud wegen Verunglimpfung des Islam zu ermorden. Seine Forderung, diplomatische Beziehungen zum Islamischen Staat aufzunehmen, hat Aufruhr sogar unter islamis- 41 42 welt-blicke algerien tischen Hardlinern erzeugt, die ihn verdächtigen, mit den Sicherheitsorganen zusammenzuarbeiten. Die Rückkehr radikaler Strömungen hat zu heftigen Debatten über die Krise der staatlich kontrollierten religiösen Institutionen geführt. Für viele Algerier haben diese ihre Funktion als Quelle von Inspiration und Orientierung verloren. Örtliche Imame, die einst die Weltsicht einfacher Algerier entscheidend prägten, werden zunehmend von selbsternannten Salafisten-Predigern übertönt, die einen Mangel an religiöser Bildung mit raffinierten Predigten und geschicktem Einsatz der sozialen Medien ausgleichen. Das Regime fördert gezielt tolerante Richtungen des Islam. Das birgt die Gefahr, dass die als Sprachrohr des Staates in Verruf kommen. Anouar Boukhars lehrt Internationale Beziehungen am McDaniel College in Westminster (Maryland). Der Artikel ist zuerst auf der Website des Instituts FRIDE erschienen. Die Regierung hat mehrfach versucht, traditionelle religiöse Institutionen zu wieder zu stärken, radikale salafistische Ideen zurückzudrängen und angesichts der Unzahl von Online-Fatwas für Ordnung zu sorgen. Mohamed Aïssa, seit 2014 Minister für religiöse Angelegenheiten, sieht es als vordringliche Aufgabe an, Imamen die weltoffene und harmonische Seite des Islam zu vermitteln, die der algerischen Tradition entspricht. Diese ist vom „goldenen Zeitalter“ der islamischen Herrschaft in Andalusien geprägt, wo im Mittelalter muslimische Geistliche Garanten für Toleranz und Innovation waren. Nur durch Rückbesinnung auf dieses Erbe könnten algerische Imame und Moscheen ein Bollwerk bilden gegen die Lehren der wahhabitisch beeinflussten, selbsternannten Kleriker. Aïssa will auch den Religionsunterricht grundlegend reformieren. Zusammen mit Bildungsminister in Nouria Benghabrit dringt er darauf, die Lehrpläne an toleranten und weltoffenen Lehren des Islam auszurichten. Zudem wird überlegt, einen Bachelor-Abschluss für Imame einzuführen, der auf einer gemäßigten Variante der islamischen Rechtsprechung und dem Einsatz moderner Kommunikationsmittel fußt. D as algerische Regime will zudem Gremien stärken, welche Moscheen und den religiösen Diskurs überwachen. Im März 2013 hat es den Imamen erlaubt, einen eigenen Interessenverband zu gründen – unter anderem um sich gegen das verteidigen zu können, was sie „unalgerische“ Formen des Islam nennen. Nach Schätzungen der Regierung fehlen für die etwa 22.000 Moscheen des Landes mindestens 7000 Imame. Schlimmer noch: Den Behörden mangelt es an Informationen über die Ausbildung und Finanzierung der salafistischen Imame, deren Predigten laut dem Religionsminister „irrational“ sind und sich auf die Flut von Online-Fatwas und über Twitter verbreitete religiöse Entscheide beziehen. Vor dem Hintergrund dieser „Fatwa-Anarchie“ hat die Regierung 2015 einen Nationalen Wissenschaftsrats geschaffen, der mit der Herausgabe „offizieller“ Fatwas betraut ist. Seine Mitglieder werden von der ägyptischen Al-Azhar-Universität unterstützt, die unter islamischen Rechtsgelehrten hohes Ansehen genießt. Der Rat hat bereits religiöse Erlasse herausgegeben. Sie erlauben zum Beispiel die Aufnahme von Bankkrediten zum Kauf staatlich geförderter Wohnungen, setzen Grenzen für die Organtransplantation und verbieten anonyme Eizellenund Spermaspenden. Der Versuch, den toleranten Geist der Tradition wiederzubeleben, kann ein wichtiges Mittel in der geistigen Auseinandersetzung mit dem absoluten Wahrheitsanspruch von Ideologien sein. Und doch muss der Staat bei der Erneuerung der religiösen Institutionen vorsichtig sein. Eine bestimmte Richtung im Islam zu fördern birgt das Risiko, sie als Sprachrohr des Regimes in Verruf zu bringen. Und auch glaubwürdige Theologen können nicht die Ursachen der Militanz beseitigen, die hauptsächlich politischer Natur sind. In einem Klima wirtschaftlicher Stagnation und politischer Lähmung, in dem es der Bevölkerung in Algerien an Perspektiven fehlt, wird es immer enttäuschte Jugendliche geben, die sich von radikalen Ideen und Gewalt angesprochen fühlen. Aus dem Englischen von Thomas Wollermann. 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Das Männerforum ist Teil der Khulumani Support Group, einer nichtstaatlichen Organisation, die sich seit fast 20 Jahren für die Entschädigung von Opfern der Apartheid einsetzt. Khulumani (auf Zulu: Sprich es aus!) hat 100.000 Mitglieder. | 3-2016 „Wir sind auch heute noch nicht frei“, erklärt die Leiterin der Gruppe, Nomarussia Bonase, zur Begrüßung. „Wir leben noch nicht in einer Demokratie, wir kämpfen noch für unsere Menschenrechte.“ Und dann wählt sie einen Vergleich, den jeder hier versteht: „Wir sind wie Autos nach einem Unfall, schwer beschädigt. Jetzt brauchen wir eine Reparatur.“ Den meisten Männern in dieser Selbsthilfe-Gruppe wurde während der Zeit der Rassentrennung, der Apartheid, schwere Gewalt angetan. Auch Tsietsi Motlokloa: Er geriet Anfang der 1990er Jahre in die ethnisch-politischen Auseinandersetzungen zwischen dem von Nelson Mandela angeführten Afrikanischen Nationalkongress (ANC) und der rivalisierenden Inkatha-Partei in den Townships rund um Johannesburg. Das weiße Regime hatte diese gewaltsamen Exzesse gezielt geschürt, um den Übergang zu einer Regierung der schwarzen Mehrheit zu verhindern. „Ich wurde von Inkatha-Leuten angeschossen“, erzählt Motlokloa, „die kamen aus den Wohnheimen für Wanderarbeiter.“ Die Kugel durchschlug die linke Schulter. Bis heute hat der Vater von drei Kindern kaum Kraft in seinem linken Arm. Der Mittvierziger ist arbeitslos und hatte lange auf die staatliche Entschädigung von rund 2000 Euro gehofft. Damit wollte er seine Schulausbildung beenden. Aber er wurde nicht als Apartheidopfer anerkannt. Die Enttäuschung war enorm: „Ich empfand größeren Schmerz als bei meiner Armver- 43 44 welt-blicke südafrika letzung. Es brach mir das Herz.“ Die Gleichgültigkeit der Regierung sei sein Trauma, sagt er. Ständig stehe er unter Anspannung, „weil ich meinen Kindern keine gute Bildung für ihre Zukunft finanzieren kann“. In der Terminologie westlicher Psychologen leidet Tsietsi Motlokloa unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, PTBS. Die Weltgesundheitsorganisation WHO beschreibt traumatische Erlebnisse als „Gewalterfahrungen – Überfall, Vergewaltigung, Misshandlung oder deren Versuch – aber auch Entführung, Naturkatastrophen oder Kriegsteilnahme“. Menschen, die an PTBS leiden, haben schwere Angstzustände und Alpträume, sie werden von Erinnerungen an das traumatische Ereignis gequält, manche sind reizbar und werden schnell wütend. Laut dieser Definition, die auf Untersuchungen von Kriegsopfern und Ex-Soldaten Ende des 19. Jahrhunderts basiert, sind den Opfern ein oder mehrere zeitlich begrenzte traumatische Ereignisse zugestoßen. Sie haben das bis dahin stabile Leben stark erschüttert. Nach Überzeugung westlicher Psychologen kann die seelische Störung erfolgreich therapiert werden und der Traumatisierte kehrt danach in seinen normalen Alltag zurück. Die Auswirkungen des Traumas können in einer begrenzten Zeit bearbeitet und bewältigt werden. Professor Ashraf Kagee von der Universität Stellenbosch und viele seiner Kollegen in Afrika und Asien stellen diese Auffassung in Frage. Psychologen aus den Industrieländern hätten ihr Trauma-Konzept blind auf Opfer in Ländern des Südens übertragen, kritisieren sie. Bereits Anfang der 1990er Jahre hat der in Simbabwe geborene und in London lehrende Psychiater Derek Summerfield darauf aufmerksam gemacht. Er beschreibt Traumata als „soziale Konstruktionen“. Eine „Trauma-Industrie“ aus westlichen Ländern finanziere Psychologen in NGOs, die die Lebensbedingungen der Menschen und die Realitäten vor Ort ignorierten. Dass er keine Entschädigung bekam, hat den ANC-Veteranen Tsietsi Motlokloa mehr geschmerzt als der Schuss in den Arm. Hildegard Scheu Summerfield moniert, dass ausländische Helfer mit ihren standardisierten Massen-Tests die brutalen Lebensverhältnisse wie Armut, gewaltsame Konflikte, lähmende Schulden, Umweltzerstörung und Mangel an Bildung, Gesundheit und Fürsorge außer Acht lassen. Millionen Menschen „sitzen im Sumpf schieren Überlebens fest“, schreibt Summerfield. Es stelle sich die Frage, was „geistige Gesundheit“ in einem kaputten sozialen Umfeld bedeute. Die Seele habe ihre Wurzeln auch außerhalb des Körpers, in der Art und Weise, wie die Menschen leben. Millionen Arme in den Slums der Welt befinden sich danach in einer Art Dauertrauma. Die Narben der kolonialen Vergangenheit schmerzen noch Diese Ansicht vertritt auch die Direktorin des Trauma-Zentrums für Überlebende von Gewalt und Folter in Kapstadt, die Psychologin Valdi van Reenen-Le Roux. Sie betont überdies die fortgesetzte Gewalt im Gegensatz zur westlichen Annahme eines singulären, vergangenen traumatischen Ereignisses. Die „Narben der kolonialen Vergangenheit“, und dazu gehört die Apartheidzeit, schmerzten noch, sagt sie. „ Diese Traumata bahnen sich ihren Weg in die Gegenwart.“ Das zeige sich bei vielen nach dem Ende der Apartheid Geborenen, an ihren Depressionen und Suizidversuchen. Sie erlebten Verzweiflung und erlitten häusliche Gewalt angesichts einer „nicht lebenswerten Zukunft“. Oder sie werden selbst gewalttätig: Das zeigt sich an den jüngsten Übergriffen auf Hunderte Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten. Bereits im Jahr 2008 hatten fremdenfeindliche Attacken das Land erschüttert. „Ich glaube, die noch immer unmenschliche Lebenssituation in den meisten Townships ist für die junge Generation nur sehr schwer zu verstehen“, sagt Valdi van Reenen-Le Roux. Auch die Fremden, denen viele Südafrikaner mit Misstrauen und Hass begegnen, haben eine Leidensgeschichte. Einige von ih- 3-2016 | südafrika welt-blicke Oben: Pause für die Frauen gruppe in der Johannesburger Township Sophiatown. Links: Plakat im Gruppenraum der Frauen. Birgit morgenrath (2) nen kommen seit vier Monaten regelmäßig zum Psychologischen Dienst in der Johannesburger Township Sophiatown. Rund 20 Kongolesinnen sitzen im Warteraum, trinken Tee und unterhalten sich leise, jede mit einer beklemmenden Geschichte im seelischen Gepäck. Im Gruppenraum erklärt die Psychologin und Gründerin der Organisation, Johanna Kistner, heute gehe es um die Wohnsituation – also um Sorgen des täglichen Lebens. Anny, mit Kopf- und Hüfttuch wie eine Frau vom Land gekleidet, erzählt: „Zuerst haben wir in Hillbrow gewohnt, konnten aber viele Monate nicht die Miete zahlen.“ Sie seien an die Luft gesetzt worden und hätten an einer Tankstelle im Freien übernachten müssen. Jetzt seien sie und ihr Mann im Wohnzimmer einer anderen Wohnung untergekommen, zusammen mit neun weiteren Personen. Die beiden Kinder schliefen im Esszimmer. „Die Vermieterin zwängt die Leute zusammen wie Kühe!“ Die Not des Alltags überlagert das seelische Leid Birgit Morgenrath ist Autorin für Hörfunk und Fachzeitschriften insbesondere zum südlichen Afrika. | 3-2016 Alle Frauen berichten von der unerträglichen Enge in den nur durch Vorhänge voneinander getrennten Behausungen; dass diese bis zu 100 Euro monatlich kosteten und meist das Geld dafür fehle, dass sie manchmal hungern müssten und Medikamente gegen den Stress nehmen. Diane klagt, ihr Mann sei krank und arbeitslos. Die vierköpfige Familie lebe in der Mitte eines Raumes. „Andere Mieter müssen nachts durch unseren Abschnitt laufen, um zur Toilette zu gehen. Dieses Leben ist nicht gut für die Kinder.“ Sie beginnt lautlos zu weinen und auch die anderen können ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Keinerlei Privatsphäre beim Umkleiden vor den Kindern, während der Menstruation, bei der Liebe mit ihren Partnern – auch das kommt zur Sprache an diesem geschützten Ort. Nach anderthalb Stunden sind alle erschöpft. Johanna Kistner und ihre Mitarbeiter leisten anfangs viel praktische Lebenshilfe für diese Frau- en – Orientierung in der neuen Umgebung und in der neuen Sprache. Erst später werde über seelische Belastungen gesprochen: „Alle Frauen in dieser Gruppe sind traumatisiert. Sie leiden unter Depressionen, Angstzuständen, Stress. In manchen westlichen Ländern würde man sie in eine Klinik einweisen“, erklärt Johanna Kistner. Die Alltagsnöte seien oft derart bedrängend, dass sie den vergangenen Traumata neue hinzufügen könnten: Mietrückstände, Obdachlosigkeit, Hunger, das andauernde Bitten und Betteln. „Mir scheint, unser Modell von Trauma und Traumatherapie beruht auf der These, dass guten Menschen manchmal Böses widerfährt. In Gesellschaften, die von Gewalt verwüstet sind, widerfährt guten Menschen fortwährend Böses“, schrieb die streitbare Psychologin 2014 in einem Aufsatz. Darum benutzen die Therapeuten vom Psychologischen Dienst den von Kollegen in Simbabwe geprägten Begriff: „landscape of suffering“. Die Opfer geraten in einer Landschaft des Leidens von einer Horror-Erfahrung in die nächste. Die Entwicklung ihrer Identität und ihre sozialen Netzwerke werden ständig gesprengt. Sichere Rückzugsorte für emotionales Auftanken existieren nicht. Die Therapeutinnen begeben sich mit ihren Klientinnen auf eine lange Reise durch die Landschaften des Schreckens – ohne vorzugeben, sie könnten sie heilen. „Wir versuchen, Brücken zu bauen zwischen der gegenwärtig sehr negativen Identität und vergangenen Identitäten“, erklärt Johanna Kistner. So bleibe das Opfer Teil seiner Familie, auch wenn diese nicht mehr existiere. Auch die Heimat bleibe Teil der Person, obwohl sie nicht mehr dort lebt. Die Helfer in Sophiatown verstehen sich als zuverlässige Begleiterinnen auf dem Weg der Traumatisierten an beängstigende Orte, als Zeugen der Hilflosigkeit. „Das ist eine Zeugenschaft, die nicht notwendigerweise rettet.“ Und die lange dauert. „Es gibt kein Ende der Behandlung, wir schließen keine Akte, als wäre jemand gestorben“, sagt Johanna Kistner entschieden. Und selbst wenn jemand gestorben sei, lebten die Kinder weiter. „Die haben wir auch integriert.“ Einige Kinder der Kongolesinnen erhielten Erziehungshilfe, andere beschäftigten sich in einer Gruppe für Neuankömmlinge mit Anpassungsproblemen und Schulbesuch. „Wir wollen die Würde der Männer wiederherstellen“ Im Laufe der Zeit lernen sich die Frauen einer Gruppe untereinander so gut kennen, dass sie eine Selbsthilfegruppe werden, ohne diesen Begriff zu kennen. So wie das Men’s Forum unter der Leitung von Nomarussia Bonase in Thokoza. „Wir haben uns selbst behandelt“, sagt sie lächelnd, „wir verstehen den Schmerz. Wir kennen die Wege, um das Schweigen zu brechen. Weil der stille Schmerz der schlimmste ist.“ Die Anerkennung der Wahrheit sei der Beginn der Heilung. Die Regierenden dürften Opfer nicht nur als Abhängige sehen, sondern als Teil der aktiven Bürger, die das Land voranbringen wollen. Mit Hilfe von Khulumani vertrauen sich Männer einander an und erkennen, dass sie als Folge ihrer traumatischen Erfahrungen zu Gewalttätern werden können, die vergewaltigen und Kinder missbrauchen. „Wir wollen die Würde der Männer wiederherstellen“, sagt Nomarussia und Tsietsi Motlokloa fügt hinzu: „Wir lernen voneinander, was für ein Typ Mann wir sein wollen. Wir wollen sorgende Väter sein, die von ihrer Familie geliebt werden. Ich möchte, dass meine Kinder sich freuen, wenn ich nach Hause komme. Und ich möchte, dass sie glücklich sind.“ Auch in Deutschland werden unterdessen die kritischen Stimmen aus Afrika und Asien an den westlichen Trauma-Konzepten gehört. Laut der Hilfsorganisation medico international holen sich psychosoziale Zentren für Flüchtlinge Anregungen bei Projekten wie Khulumani oder dem Psychologischen Dienst von Sophiatown. 45 46 welt-blicke literatur „In meiner Muttersprache kann ich direkter sein“ Der kenianisch-amerikanische Autor Mukoma Wa Ngugi fühlt sich an vielen Orten zu Hause Mukoma Wa Ngugi stammt aus einer Schriftstellerfamilie. Er ist Literaturprofessor, Journalist und Krimiautor. Im Interview erzählt er von seinem großen Vorbild und dem Leben zwischen zwei Welten. Gespräch mit Mukoma Wa Ngugi Warum schreiben Sie als Journalist politische Krimis? Wenn ich etwas kommentiere und meine Meinung verbreite, dann werfe ich den Lesern eine Antwort hin. Mit Literatur kann ich sie zum Nachdenken bringen und gleichzeitig über sehr persönliche Stimmungen schreiben. Warum ein Mensch plötzlich ein Killer wird und seinen Nachbarn umbringt, ist keine journalistische Frage. Außerdem erreiche ich mit Literatur auch Menschen, die sich weniger für politische Fragen interessieren. „Es war seltsam, die Bücher meines Vaters in der Schule zu lesen. Alle haben mich angeschaut, als sei ich der Experte.“ Ihr Vater Ngugi Wa Thiong’o gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller Ostafrikas. Was haben Sie von ihm gelernt? Mein Vater hat mir viel über kenianische Literatur beigebracht und mir vorgelebt, die Dinge zu hinterfragen. Es hat mir vor allem geholfen, einfach zu sehen, wie er arbeitet: Wie er zwischen Papierstapeln in seinem Arbeitszimmer saß, umgeben von einer Menge von Büchern. Ich hatte immer den Traum zu schreiben. Solch ein Vorbild zu haben war ein großes Geschenk. Fühlen Sie sich nie, als würden Sie in seinem Schatten stehen? Nein, das ist für mich ein normaler Zustand. Wir reden viel über das Schreiben und unsere Texte. Wir sind auch nicht die einzigen Autoren in der Familie. Meine Schwester und zwei meiner Brüder schreiben auch. Wir fühlen uns wie eine Schriftstellergemeinschaft. Es war nur seltsam, die Bücher meines Vaters in der Schule zu lesen. Alle haben mich angeschaut, als sei ich der Experte. Sie haben einmal gesagt, Sie schreiben Krimis, weil es das einzige Genre ist, das Ihr Vater nicht bedient. Ist da etwas Wahres dran? Oh nein, so ist das nicht. Mein Vater hat zwar versucht, einen Krimi zu schreiben und daraus ist nichts geworden. Bei mir war das eher unabsichtlich. Wenn ich nicht zufällig auf meine Geschichte gestoßen wäre, wäre mir das wahrscheinlich auch nicht gelungen. Welche Geschichte war das? Es war in Madison, Wisconsin. Ich war auf dem Heimweg, da sah ich plötzlich ein Mädchen in Cheerleader-Uniform ohnmächtig auf einer Treppe liegen. Am Abend hatte ein Baseball-Spiel stattgefunden, da wurde wahrscheinlich viel getrunken. Ich rief also die Polizei und einen Krankenwagen. Der Polizist war ein Afroamerikaner. Irgendwann habe ich einfach auf die Szene geschaut: Da stand dieser schwarze Polizist, und auf den Treppen lag diese weiße Frau. Das wurde der Einstieg in meinen ersten Krimi, der ebenfalls damit beginnt, dass eine blonde Frau tot auf einer Veranda in Madison liegt. Der afroamerikanische Detective Ishmael ist eine der beiden Hauptfiguren in Ihren Krimis. Der Kenianer ist in den USA aufgewachsen und zieht später in seine Heimat zurück, fühlt sich aber nirgends richtig zu Hause. Wie viel von Ihnen steckt in dieser Figur? Ich habe früher mehr um meine Identität gerungen, da war er mir ähnlich, aber das ist schon eine Weile her. Als ich mit 19 zurück in die USA ging, hatte das einzig den Grund, dass ich dort studieren wollte. Bis dahin hatte ich mich ausschließlich als Kenianer gefühlt, und mir war klar, dass ich nach dem Studium dorthin zurückgehen würde. Doch jetzt bin ich in den USA verheiratet und habe eine Tochter, ein Haus und einen Job. Das hat zwischendurch schon ein paar Fragen bei mir aufgeworfen. Aber irgendwann habe ich entschieden, sowohl Kenia als auch die USA als mein Zuhause zu bezeichnen. Waren Sie in jüngster Zeit in Kenia? Ja, im Dezember. Ich habe meine Familie besucht, mich mit Kollegen getroffen und an einem 3-2016 | literatur welt-blicke „In den USA werde ich ständig daran erinnert, dass ich schwarz bin. Manchmal fühle ich mich geradezu überwacht.“ Transit-Verlag- Wenn Mukoma Wa Ngugi ein Buch schreibt, ist er selbst gespannt, wie die Geschichte ausgeht. Treffen für den Mabati Cornell Kiswahili Prize for African Literature teilgenommen. Das ist ein Preis für besonders gelungene Übersetzungen aus und in afrikanische Sprachen, den ich mitgegründet habe. Übersetzungen interessieren mich sehr. setzen, und in andere afrikanische Sprachen. Ich bin sehr gespannt, wie sich das anhört. Inwiefern Sprache einen verändert, ist auch eine interessante Frage. Ich könnte mir vorstellen, dass ich in meiner Muttersprache direkter bin. Sie selbst schreiben auf Englisch, obwohl Ihre Muttersprache das in Kenia verbreitete Kikuyu ist. Welche Rolle spielt die Sprache für Sie beim Schreiben? Ich bewege mich derzeit weg vom Englischen und will demnächst ein Buch auf Kikuyu schreiben. Es wird interessant, das dann ins Englische zu über- Ändert sich etwas an Ihrem Verhalten, wenn Sie in Kenia ankommen? Ich bleibe schon derselbe, aber in Kenia bin ich entspannter. Es ist immer noch vertrauter und ich habe dort mehr Erinnerungen: Da ist mein altes Kinderzimmer, da bin ich zur Schule gegangen. Das habe ich zunehmend auch in den USA. Aber da werde ich einfach ständig daran erinnert, dass ich schwarz bin. Manchmal fühle ich mich geradezu überwacht. Du gehst in einen Laden und wirst schräg angeschaut, Du wirst angehalten, wenn Du Auto fährst. Mukoma Wa Ngugi Mukoma Wa Ngugi wurde in den USA geboren, ist in Kenia aufgewachsen und ging zum Studium wieder zurück. Er hat bisher einen Gedichtband und drei Romane veröffentlicht. In Deutschland ist er vor allem für seine beiden Krimis „Nairobi Heat“ und „Black Star Nairobi“ bekannt. Im Mittelpunkt stehen darin die Detectives Ishmael und O. In „Nairobi Heat“ wird eine weiße Frau vor dem Haus eines schwarzen Professors gefunden. Die Spur führt schnell nach Kenia und Ruanda, wo sie auf Geldwäschegeschäfte einer Hilfsorganisation stoßen. „Black Star Nairobi“ beginnt mit einer Leiche in einem kenianischen Wald, führt die Ermittler aber zu einer Terror- | 3-2016 organisation. Doch nicht Terroristen, sondern hohe Politiker und Geschäftsmänner stecken hinter der Gewalt – durch gezielte Morde an afrikanischen Politikern sollen Korruption und Armut auf dem Kontinent bekämpft werden. Nairobi Heat Transit Buchverlag, Berlin 2014 176 Seiten, 19,80 Euro Black Star Nairobi Transit Buchverlag, 256 Seiten, 19,80 Euro Mehr Infos: www.mukomawangugi.com Rassismus ist auch ein Thema in Ihren Büchern. Wie nehmen Sie das in den USA wahr? Die USA sind sehr rassistisch. Der Rassismus hat sich aber verändert. In den fünfziger und sechziger Jahren ging er eher von der politischen Macht aus. Seit dem 11. September 2001 ist Rassismus vor allem angstgesteuert. Viele weiße Amerikaner haben Angst, eine Minderheit im eigenen Land zu werden. Wirtschaftlich geht es den USA eigentlich gut, aber es gibt auch viele Weiße, die arm sind. 44 Millionen Menschen leben dort unter der Armutsgrenze, das sind ganz schön viele – so viele, wie in ganz Kenia leben. Weder die Republikaner noch die Demokraten reden darüber. Jemand wie Donald Trump kann diese Fakten zu seinen Gunsten auslegen: Indem er Feindbilder verschärft und andere für die Armut verantwortlich macht. Wie schreiben Sie Ihre Bücher? Früher habe ich gerne in Jazzclubs geschrieben. Das kann ich nicht mehr so gut. Auch nachts schreiben geht nicht mehr. Klingt trist, aber ich schreibe meist in meinem Büro. Das Schöne am Schreiben ist nach wie vor, dass man nie weiß, wo man ankommt. Bei meinen beiden Krimis wusste ich auch erst einmal nicht, wer der Mörder war, es gab nur die Leichen und die beiden Detectives. Arbeiten Sie gerade an einem neuen Buch? Ich habe vor kurzem eine Geschichte über Musiker fertiggeschrieben, sie spielt in Nairobi und Äthiopien. Außerdem arbeite ich gerade an einem Buch über afrikanische Literatur. Und wie geht es weiter mit den Detectives aus Ihren Krimis, Ishmael und seinem Kollegen O? Ach, ich mache mir Sorgen um sie. Sie sind echt am Ende. Vielleicht muss ich sie ein bisschen schonen. Sie haben viele Traumata. Am Ende von meinem zweiten Krimi „Black Star Nairobi“ stehen sie zum Beispiel vor der Entscheidung, ob sie Terrorismus im Namen des Guten decken oder bekämpfen sollen. Das hat sie hart getroffen, ich leide wirklich mit ihnen. Das Gespräch führte Hanna Pütz. 47 48 journal medien Jeden Tag eine gute Idee Initiative will „konstruktiven Journalismus“ fördern Überall nur Probleme, die keiner lösen kann. Stimmt nicht, glauben junge Wissenschaftler – und wollen anders berichten. Ganz ausgereift ist das Vorhaben noch nicht. Kriege, Krisen, Klimawandel: Die Welt ist grausam. Den Eindruck gewinnt, wer die Zeitung aufschlägt oder sich durchs Internet klickt. Viele schlechte Nachrichten drücken die Stimmung und lähmen, meint Maren Urner. Die Mitgründerin der Plattform „Perspective Daily“, hat sich einer neuen Form der Berichterstattung verschrieben. „Wir wollen den Menschen das Gefühl geben, dass man die Dinge verändern kann“, sagte sie bei einer Veranstaltung im Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn. Die neuen Medienmacher wollen nicht nur über Probleme, sondern auch über Lösungen berichten. Gleichzeitig sollen Ereignisse ins Weltgeschehen eingeordnet und ihre Hintergründe erklärt werden. Konstruktiver Journalismus nennt sich das. Die Neurowissenschaftlerin geht davon aus, dass die meisten Menschen das Weltgeschehen schlechter einschätzen, als es tatsächlich ist. Viele Nachrichtenkonsumenten fühlten sich schlicht überfordert. Das belegen auch Studien, auf die Urner sich beruft: Medienwissenschaftler der Universität Southampton etwa haben gezeigt, dass zu viele schlechte Meldungen die Leser hoffnungslos und ängstlich machen. Je stärker diese Gefühle seien, desto unwahrscheinlicher werde es, dass sie spenden, die Umwelt schützen oder sich mit anderen austauschen. Werden hingegen Lösungswege aufgezeigt, erhöhe sich die Bereitschaft, Probleme zu bearbeiten. Für die entwicklungspolitische Berichterstattung sei der konstruktive Journalismus ein guter Ansatz, sagte der Direktor des DIE, Dirk Messner, der künftig als Gastautor für „Perspective Daily“ schreiben soll. Gerade in diesem Politikfeld würden einerseits viele Probleme unterschätzt, andererseits Fortschritte häufig nicht wahrgenommen. Das gelte für die Flüchtlingskrise ebenso wie für die Europapolitik oder den klimafreundlichen Städtebau. Das seien alles große Aufgaben, die gelöst werden könnten – aber Lösungswege statt Skandale: Die Medienmacher Maren Urner, Han Langeslag und Bernhard Eickenberg werben für ihr Projekt. Oliver krato/picture alliance wie genau, werde zu wenig in den Medien diskutiert. Mit guten Ideen neue Leser gewinnen? Das bestätigte auch die stellvertretende Direktorin der Deutsche Welle Akademie, Ute Schaeffer. Es sei zwar häufig über die Verhandlungen zu den Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDG) berichtet worden. Doch es werde kaum Geschützter Raum ohne Hetze Der konstruktive Journalismus hat bereits Vorbilder in anderen Ländern. Eines der erfolgreichsten ist das Online-Format „De Correspondent“ aus den Niederlanden mit rund 45.000 zahlenden Lesern. Auch einige deutsche Medien haben die Idee aufgegriffen, etwa die Wochenzeitung „Die Zeit“ in einem Artikel mit dem Titel „Wie Deutschland Verteilungskämpfe zwischen Flüchtlingen und Einheimischen vermeiden kann“. Das Team von „Perspective Daily“ will seinen Lesern auf der Internet-Plattform zugleich einen lösungsorientierten Austausch möglich machen – im geschützten Raum und ohne Internet-Hetze, hieß es auf der Veranstaltung im DIE. Einzelne Beiträge sollen für Nichtmitglieder freigeschaltet werden, aber mitdiskutieren dürfen auch bei diesen nur die zahlenden Mitglieder. Pro Tag soll ein ausführlicher Beitrag erscheinen, der gemeinsam mit Gastautoren erstellt wird, etwa mit Fachleuten aus Forschungseinrichtungen oder auch entwicklungspolitischen Organisationen. Deren eigene politische Zielsetzung soll außen vor bleiben. Das Gründer-Trio aus den Neurowissenschaftlern Maren Urner und Han Langeslag und dem Physikochemiker Bernhard Eickenberg hat selbst keine journalistische Ausbildung, lässt sich aber von Medienexperten beraten. (hap) erläutert, was auf lokaler Ebene getan werden könne, um sie umzusetzen. Ob es Aufgabe von Journalisten ist, dem Leser Lösungen aufzuzeigen und damit zu politischem Handeln aufzufordern, ist umstritten – zumal das Misstrauen gegenüber Zeitungen und Radio derzeit groß ist und viele über die vermeintliche „Lügenpresse“ schimpfen. Die Grenzen zur Schönfärberei seien fließend, hieß es jüngst auch beim Medienportal Meedia zum konstruktiven Journalismus. Maren Urner betont jedoch, es gehe nicht darum, nur Gutes zu berichten oder Missstände auszublenden. „Wir wollen Probleme nicht wegschließen, sondern sie verstehen.“ Wie das bei „Perspective Daily“ schlussendlich aussehen wird, ist offen. Beispieltexte gibt es bisher nicht. Das Team ist noch damit beschäftigt, über das Internet Beiträge für das Projekt zu sammeln. 12.000 zahlende Mitglieder sind das Ziel, bis Mitte Februar waren es gut 5000. Wahrscheinlich wird die Frist um vier Wochen bis Mitte März verlängert. Bis dahin werde es genug Teilnehmer geben, glaubt Urner. Hanna Pütz 3-2016 | studien journal studien Was unser Konsum anrichtet In Deutschland ist vieles für wenig Geld zu haben. Eine Studie von Brot für die Welt zeigt, wie die niedrigen Preise zustande kommen und was auf dem langen Weg zwischen Baumwollfeld und Discounter passiert. Die Hilfsorganisation beleuchtet, wie sich globale Wertschöpfungsketten auf Mensch und Umwelt auswirken. Dafür haben die Verfasser der Studie „Mein Auto, mein Kleid, mein Hähnchen – Wer zahlt den Preis für unseren grenzenlosen Konsum“ Daten in mehr als 20 Ländern erhoben. Sie zeichnen beispielsweise die Wertschöpfungskette von Autos nach, die mit der Förderung von Eisen oder Kupfer beginnt. Die wirkt sich auf die Gesundheit der Minenarbeiter aus: So habe das peruanische Gesundheitsministerium im Umfeld einer Mine erhöhte Bleiwerte im Blut von 83 Prozent der dort lebenden Kinder festgestellt. Manche Unternehmen versprächen viel, hielten jedoch wenig, kritisieren die Herausgeber weiter. Als wohlklingende, aber irreführende Werbebotschaft nennen sie eine Kampagne des H&MKonzerns, die mit fairer Mode wirbt. Die schlechten Arbeitsbedingungen in einigen kambodschanischen Zulieferbetrieben zeugten aber vom Gegenteil, ebenso die Arbeitsbedingungen auf vielen Baumwollfeldern. Ein weiteres Beispiel in der Studie ist die Fleischproduktion. Weil der Konsum steigt, werden gegenwärtig über 100 Millionen Tonnen Geflügelfleisch pro Jahr hergestellt. Darunter leiden auch Kleinbauern in Paraguay. Sie werden von ihren Feldern vertrieben, damit dort Soja für deutsche Hähnchenmastbetriebe angebaut werden kann. Die Autoren richten Vorschläge an Politik und Wirtschaft. So müssten die Hersteller dafür sorgen, dass unabhängige Kontrolleure Zugang zu allen Stufen der | 3-2016 Wertschöpfungskette bekommen. Freiwillige Standards reichten dafür nicht aus. Die Präsidentin von Brot für die Welt, Cornelia Füllkrug-Weitzel, erklärte: „Es ist an der Zeit, dass der Gesetzgeber in Deutschland ansässige Unternehmen dazu verpflichtet, menschenrechtliche Sorgfaltspflichten entlang ihrer gesamten Lieferkette einzuhalten.“ Darüber hinaus sollten Unternehmen gesetzlich verpflichtet werden, Umweltschäden zu beheben und transparent darüber zu berichten. Hintergrund der Studie ist der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung, über den in den kommenden Wochen entschieden wird. Er soll verbindliche Regeln für Unternehmen in Deutschland schaffen, um ausbeuterische Arbeitsbedingungen und die Zerstörung der Umwelt in Entwicklungs- und Schwellenländern zu stoppen. Die beteiligten Ministerien halten sich aber bisher noch bedeckt, wie weit sie mit der Verbindlichkeit zu gehen bereit sind. (hap) Brot für die Welt Mein Auto, mein Kleid, mein Hähnchen Wer zahlt den Preis für unseren grenzenlosen Konsum? Brot für die Welt, Analyse 55, Berlin 2016, 52 Seiten www.brot-fuer-die-welt.de Globale Weggemeinschaften Ökumene ist ein Muss. Und Mission und Entwicklung gehören zusammen. Zu diesen Kernaussagen kommen zwei Grundlagentexte, welche die Kammer für weltweite Ökumene im Auftrag des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) herausgegeben hat. „Ökumene im 21. Jahrhundert“ (EKD-Text 124) ist zum einen eine Hymne auf die Chancen kirchlicher Zusammenarbeit in einer globalisierten Welt. Zum anderen stellt der Text unmissverständlich klar, dass Ökumene kein optionales Handlungsfeld ist, sondern ein Muss für jede Kirche. Keine Kirche könne auf Ökumene verzichten, weil keine für sich allein den Anspruch erheben könne, die ganze Christenheit zu repräsentieren. Die Autoren empfehlen deswegen, die Gemeinschaft mit anderen Kirchen „in versöhnter Verschiedenheit“ zu suchen. „Alle kirchlichen Arbeitsfelder sind daraufhin zu überprüfen, inwiefern sie die ökumenische Dimension mit reflektieren und gestalten“, schreibt der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm im Vorwort. Das gelte für die Aus- und Fortbildung von Mitarbeitenden, die Seelsorge, die Verkündigung und auch dafür, wie sich Kirche ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stelle. Das Christentum sei heute wesentlich stärker von den Kirchen des Südens geprägt. Auch komme dem Dialog und der Kooperation mit anderen Religionen in einer globalisierten Welt eine zunehmend wichtige Rolle zu. Dies habe Auswirkungen auf die Auswahl möglicher Partner und der Themen, an denen gearbeitet werden müsse; so nennt der Text die Folgen der Globalisierung, den Klimawandel oder globale Epidemien. Besonders betonen die Autorinnen und Autoren, dass „Globalisierung nicht länger den Export europäischer Denktraditionen in alle Welt bedeuten darf“. „Kirche sein in einer globalisierten Welt“ (EKD-Text 125) ist auf einem ähnlichen Hintergrund geschrieben, geht allerdings dezidiert auf den deutschen Kontext und die Kooperation der Organisationen und Werke in der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit und in der Mission ein. Deutlich wird in dem Text der politische Wille beider Seiten – in der Kammer sitzen sowohl Vertreter der Missions- als auch der Hilfswerke – zum Ausbau dieser Zusammenarbeit. Das ist bemerkenswert, weil sich in der Vergangenheit Entwicklung und Mission organisatorisch und inhaltlich eher voneinander abzugrenzen versuchten. Immer wieder betont der Text die „Weggemeinschaft von Mission und Entwicklung“, benennt die gemeinsame Zielgruppe – nämlich die von der Globalisierung an den Rand gedrängten Menschen – und spricht von einer gemeinsamen Hoffnung, dass eine andere Welt möglich ist. Katja Dorothea Buck Evangelische Kirche in Deutschland Ökumene im 21. Jahrhundert Bedingungen – theologische Grundlegungen – Perspektiven EKD-Texte 124, Hannover 2015, 96 Seiten Evangelische Kirche in Deutschland Kirche sein in einer globalisierten Welt Zur Weggemeinschaft in Mission und Entwicklung EKD-Texte 125, Hannover 2015, 73 Seiten www.ekd.de/EKD-Texte 49 50 journal flüchtlinge flüchtlinge – Berlin Flüchtlinge treiben die Entwicklungshilfe nach oben Berlin streitet über die Anrechnung von Kosten für Asylbewerber Die Bundesregierung denkt darüber nach, die Kosten der Flüchtlingsaufnahme stärker als staatliche Entwicklungshilfe (ODA) anzurechnen. „Deutschland überprüft derzeit seine Meldemethode“, sagt eine Sprecherin des Entwicklungsministeriums auf Anfrage. Genaueres sei erst Ende März zu erfahren, wenn die vorläufigen Ausgaben für 2015 an den Entwicklungsausschuss (DAC) der OECD gemeldet werden. Die Frage ist angesichts der anhaltend hohen Zahl von Flüchtlingen brisant, da Deutschlands Leistung an Entwicklungsländer an der ODA-Zielmarke von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) gemessen wird. Großbritannien und einige andere Länder haben sie schon erreicht. Deutschland ist über 0,4 Prozent nie hinausgekommen. Die Opposition befürchtet, dass die Zahlen nun durch die enormen Kosten aufgebläht werden – vermutlich deutlich über 0,4 Prozent. Aus Sicht der Grünen würde das ein völlig falsches Bild vom tatsächlichen Engagement für Entwicklungsländer geben – nämlich einen fragwürdigen „Scheinaufwuchs“, kritisiert der Abgeordnete Uwe Kekeritz. Auch Niema Movassat von der Linkspartei teilt die Sorge und fürchtet, dass dann weniger für arme Länder ausgegeben wird, was die BMZ-Sprecherin indes verneinte. Die Union riskiert allerdings auch Krach mit dem Koalitionspartner, sollte sie heimische Aufwendungen für Flüchtlinge mit Entwicklungshilfe in einen Topf werfen. Die gehören nach Meinung der sozialdemokratischen Entwicklungspolitiker da nicht hin. Dies widerspreche dem Kerngedanken der Entwicklungszusammenarbeit, menschenwürdige Lebensumstände und Perspektiven in den Partnerländern zu schaffen. Der SPD-Abgeordnete Sascha Raabe geht davon aus, dass sich für die Anrechnung 2015 noch nichts ändern wird. Bereits bei der Vorlage des OECDPrüfberichts zur deutschen Entwicklungszusammenarbeit im November hatte Staatssekretär Friedrich Kitschelt jedoch betont, die bisher angerechneten Kosten für anerkannte Asylbewerber aus Entwicklungsländern seien „minimal“. Deutschland könne viel mehr anrechnen. Im Bundestag wagte Volkmar Klein (CDU), im Haushaltsausschuss für Entwicklungspolitik zuständig, die Prognose, dass die Quote „nächstes Jahr“ 0,7 Prozent sogar deutlich übertreffen werde – „weil sämtliche Kosten, die im Inland für Flüchtlinge anfallen, für die ersten zwölf Monate mitgerechnet werden“. Nach den OECD-Regeln ist das gestattet. Vor allem nordische Länder nutzen den Spielraum und melden Kosten für Transport und Unterhalt im ersten Jahr, zu dem Unterbringung, Versorgung und Ausgaben für Grundbildung gehören. Deutschland meldete im Berichtsjahr 2014 ODA-anrechenbare Kosten von rund 130 Millionen für Flüchtlinge, denen 2013 Asyl- oder Flüchtlingsschutz gewährt wurde. Dies entsprach etwa einem Prozent der gesamten deutschen ODA 2014. Die Kampagnenorganisation ONE hat ausgerechnet, dass gemeldete Kosten europäischer Länder in diesem Jahr auf zehn Milliarden US-Dollar steigen könnten; das entspräche elf Prozent der gesamten EU-Entwicklungshilfe 2014. Die OECD bemüht sich um Einheitlichkeit, aber eher im einschränkenden Sinn. In einem Interview plädierte der DACVorsitzende Erich Solheim dafür, den Umfang der als ODA zu verbuchenden Kosten für die Flüchtlingsaufnahme eng zu fassen. Auf einem sogenannten High-level Meeting im Februar beschlossen die DAC-Mitglieder, die Anrechnung der Flüchtlingskosten zu vereinheitlichen. Marina Zapf das ist kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. So fällt die bisherige Bilanz des vor knapp einem Jahr gestarteten Pilotprojekts des Bauernverbandes ( siehe welt-sichten 7/2015) ernüchternd aus. Nur rund ein Dutzend Flüchtlinge fand bislang einen Arbeitsplatz auf einem Bauernhof. Besser sieht es in der Gastro- und Hotelbranche aus. Diese bietet bereits seit mehreren Jahren einen eigenen Lehrgang für Flüchtlinge an. Die meisten Absolventen finden anschließend einen Job. Künftig soll die Zahl der Lehrstellen für Flüchtlinge stark erhöht werden – und zwar in allen Branchen. Dafür will die Regierung bis zu 54 Millionen Franken (knapp 49 Millionen Euro) investieren. Im Gegenzug spart allein der Bund für jeden Flüchtling, der ein Jahr früher eine Erwerbstätigkeit aufnimmt, rund 18.000 Franken (gut 16.000 Euro) an Sozialhilfebeiträgen. Die Hürden für die Anstellung von Flüchtlingen sollen ebenfalls gesenkt werden. Bislang brauchten Arbeitgeber dazu eine Bewilligung, was bisher Die OECD gestattet die nrechnung der Kosten A flüchtlinge – Schweiz Ausbilden statt ausweisen Die Schweiz will Flüchtlinge in Lohn und Brot bringen Ab 2018 sollen in der Schweiz jährlich etwa tausend Flüchtlinge eine sogenannte Vorlehre absolvieren, um Anschluss an den Arbeitsmarkt zu finden. Allerdings ist noch fraglich, ob Unternehmen dafür genügend freie Stellen schaffen können. Schweizer Unternehmen holen jedes Jahr Zehntausende Arbeitskräfte aus dem Ausland, obwohl in der Schweiz Tausende erwerbsfähige Flüchtlinge Sozialhilfe beziehen. Justizministerin Simonetta Sommaruga findet das absurd: „Oder will da wirklich jemand ernsthaft behaupten, dass es unter den Flüchtlingen keine entsprechenden Arbeitskräfte gegeben hätte?“, fragte die Bundesrätin der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP) im Januar beim Asylsymposium in Bern. In der Tourismusbranche etwa wurden 2014 rund 32.000, für die Landwirtschaft rund 9000 Arbeitskräfte im Ausland rekrutiert. Hier brauche es ein Umdenken, erklärte Sommaruga. Beide Branchen engagieren sich zwar bereits in Integrationsprojekten für Flüchtlinge, doch 3-2016 | flüchtlinge journal mit einem abschreckenden Behördenmarathon verbunden war. Deshalb holten viele Schweizer Firmen lieber Personal aus Ländern wie Portugal oder Deutschland. Auch mussten die Flüchtlinge zehn Prozent ihres meist ohnehin schon niedrigen Lohns als Sondersteuer abgeben, was die Motivation bremste, überhaupt einen Job zu suchen. Beide Auflagen sollen nun wegfallen. Neun von zehn „vorläufig ufgenommenen“ bleiben länger A 2014 hatte nur jeder fünfte anerkannte Flüchtling (Ausweis B) einen gemeldeten Job. Bei „vorläufig Aufgenommenen“ (Ausweis F) lag die Erwerbsquote mit 30 Prozent etwas höher. Ihre Situation auf dem Arbeitsmarkt ist besonders prekär: Anders als ihr Status vermuten lässt, bleiben 90 Prozent von ihnen langfristig in der Schweiz. Die „vorläufig Aufgenommenen“ machen mit 33.000 Personen etwa die Hälfte der Asylbewerber aus. Ihnen wird kein Asyl gewährt, sie können aber nicht ausgewiesen werden, etwa Obergrenzen fordern sie nicht: Bürgermeister aus zehn Ländern bei der Konferenz in Wien. Ralf Leonhard | 3-2016 weil sie unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen. Der Knackpunkt für das Vorhaben liegt in der Beteiligung der Wirtschaft, denn ohne genügend Lehrstellen und Praktikumsplätze kann es nicht funktionieren. Der Arbeitgeberverband signalisiert Unterstützung, will aber einen direkten Nutzen sehen. Potenzial sieht der Verband im Bausektor, in Teilen der Industrie, im Gastgewerbe, in der Gesundheitsbranche oder im Reinigungsdienst. Die Gewerkschaften begrüßen die Integration von Flüchtlingen, fürchten aber, dass das Projekt die Löhne nach unten drückt. Immerhin: Seit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative sind die in der Schweiz lebenden Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt gefragter denn je. Denn rein technisch gelten sie jetzt nicht mehr als Ausländer, sondern als Teil des „inländischen Fachkräftepotenzials“, das zunächst ausgeschöpft werden muss, bevor Unternehmen im Ausland Arbeitskräfte rekrutieren. Theodora Peter flüchtlinge – Österreich Hass und Hilfsbereitschaft Wie Bürgermeister versuchen, die Flüchtlingskrise zu meistern Zu einem Austausch über Erfahrungen beim Umgang mit Flüchtlingen kamen Ende Januar in Wien Bürgermeister von Kommunen aus zehn Ländern in Europa und Nahost zusammen. Ziel war es, die Gemeinden aus den Nachbarländern Syriens, den Transitländern und den Aufnahmeländern besser miteinander zu vernetzen. Andreas Babler, der Bürgermeister von Traiskirchen bei Wien, wo das größte Erstaufnahmelager steht, und der Künstler André Heller hatten die Konferenz gemeinsam organisiert. „Wir werden Zeugen und Mitwirkende einer machtvollen Polarität zwischen zynischer Grausamkeit und tatkräftiger Herzensbildung, zwischen Hass und unermüdlicher Hilfsbereitschaft Zehntausender Mitglieder der Zivilgesellschaft“, sagte Heller zu Beginn der Veranstaltung. In allen Etagen der unterschiedlichen Lager herrschten Überforderung sowie erschreckende Wis- sensdefizite. Dem sollte die Konferenz entgegentreten. Gemessen an der Einwohnerzahl muss niemand mehr Schutzsuchende aufnehmen als Spyros Galinos, der Bürgermeister von Mitilini auf der griechischen Insel Lesbos. Er beklagt sich nicht über Überforderung, appelliert aber an die eigene Regierung und die europäischen Partner: „Wir wollen ordentliche Bedingungen für die Flüchtlinge schaffen.“ Jürgen Dupper, Bürgermeister von Passau, lebt lieber in einem Land, „in das Menschen in Millionen strömen als in einem, aus dem Menschen zu Millionen herausströmen“. Seine bayerische Grenzstadt, die nur 50.000 Einwohner zählt, musste im vergangenen halben Jahr 30.000 Menschen vorübergehend unterbringen. Zwar müsse viel investiert werden, zugleich biete aber auch der Arbeitsmarkt „enorme Perspektiven“. Dieter Posch, der der kleinen burgenländischen Gemeinde Neudörfl vorsteht, ist überzeugt, dass man sich vor der eigenen Bevölkerung nicht fürchten müsse, wenn man sie entsprechend informiere und einbinde. Sieben ehemalige Flüchtlinge seien bereits in der Gemeindeverwaltung angestellt. Wenn sich alle Gemeinden beteiligten, gebe es kein Kapazitätsproblem, betonte er. Im Burgenland hätten erst 83 von 171 Gemeinden Flüchtlinge aufgenommen. 51 52 journal flüchtlinge Auch Ali Mattar, Bürgermeister der libanesischen Stadt Sahel El Zahrani, rückte die Relationen zurecht. In seinem Land seien zwei von fünf Menschen Flüchtlinge aus Syrien: „Es wird für unser Land immer schwieriger, damit umzugehen“. Dennoch rief keiner der Gemeindechefs nach Obergrenzen. Vielmehr sorgten sie sich um die Kinder, die seit Jahren keine richtige Schule besuchen und auch sonst unterversorgt seien. Die internationale Hilfe sei zwischen 2011 und 2015 um zwei Drittel gekürzt worden, beklagte Mohammed Ali Kilani von der jordanischen Charity Organization for Relief and Development (JHCO). Die Konferenz fand nicht wie üblich in protzigem Ambiente, sondern in einer Montagehalle der Österreichischen Bundesbah- nen (ÖBB) statt. Die ÖBB hatten seit September Flüchtlinge kostenlos zur deutschen Grenze transportiert. Die Entwicklungs- agentur ADA und andere Bundeseinrichtungen hatten sich nicht an der privat finanzierten Veranstaltung beteiligt. Ralf Leonhard Durchgriffsrecht und Asylquote Seit Oktober 2015 hat der Bund in Österreich ein Durchgriffsrecht, falls ein Bundesland die ihm zugewiesene Quote von Flüchtlingen nicht unterbringt. Die Länder haben sich verpflichtet, eine Zahl von Asylbewerbern aufzunehmen, die 1,5 Prozent ihrer Bevölkerung entspricht. Sie können diese dann auf die einzelnen Gemeinden verteilen. Bisher erfüllen lediglich Wien und Niederösterreich diese Vorgabe. Die übrigen sieben Bundesländer verfehlen die Quote in unterschiedlichem Maß. Es ist vorgesehen, dass die Schutzsuchenden vorrangig Gemeinden mit mehr als 2000 Einwohnern zuzuweisen sind. In einem Quartier sollen nicht mehr als 450 Personen untergebracht werden. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat bereits wiederholt von ihrem Durchgriffsrecht Gebrauch gemacht und Flüchtlinge in Kasernen und anderen Einrichtungen des Bundes einquartiert. Im vergangenen Januar hatten nur 40 Prozent der österreichischen Gemeinden Flüchtlinge aufgenommen. (rld) flüchtlinge – global lokal Neue Allianz für Syrien-Flüchtlinge Erstmals tut sich ein Bundesland mit einer Kurden-Provinz zusammen Millionen Syrer sind vor dem Krieg in die Nachbarländer geflohen. Das Land Baden-Württemberg und viele Kommunen wollen ihre Not vor Ort lindern und damit eine weitere Flucht nach Europa verhindern. Baden-Württemberg betritt bei seiner Zusammenarbeit mit der Provinz Dohuk im Nordirak Neuland. Das Bundesland will dort helfen, die humanitäre Situation zu verbessern und für syrische Flüchtlinge sowie Einheimische neue Perspektiven zu schaffen. Die vier Provinzen der autonomen Kurdengebiete im Nordirak grenzen an Syrien, Iran und die Türkei. Die Provinz Dohuk mit rund 1,5 Millionen Einwohnern hat im vergangenen Jahr rund 900.000 Syrer aufgenommen. Im Dezember 2015 haben Vertreter von Dohuk und BadenWürttemberg ihre Zusammenarbeit besiegelt. Die Schwaben wollen Generatoren und Entsorgungsfahrzeuge liefern und mit einer Berufsschule in der Stadt Erbil zusammenarbeiten. Junge Menschen sollen dort zum KFZ- Mechaniker, Mechatroniker oder Abfallmanager ausgebildet werden. Der Autokonzern Daimler hat zugesagt, die einheimischen Ausbilder mit Kurzzeittrainings in Stuttgart zu schulen. Für die Hilfe in Dohuk hat die Landesregierung in diesem und im kommenden Jahr rund 2,5 Millionen Euro im Haushalt eingestellt. Damit wäre auch eine neue Landesregierung an die Zusagen gebunden, falls es bei den Landtagswahlen im März in Stuttgart zu einem Regierungswechsel kommt. Kommunen aus Baden-Württemberg wollen zudem die Türkei bei der Schulbildung für syrische Flüchtlingskinder unterstützen. Deren staatliche Schulen sind überlastet und können längst nicht mehr alle syrischen Kinder aufnehmen. Aalen etwa will seine Partnerkommune Antakya im Osten der Türkei mit dem Bau einer Schule für tausend syrische Flüchtlingskinder unterstützen. Ähnliche Initiativen planen Freiberg am Neckar, Stuttgart und Karlsruhe, die ebenfalls auf langjährige Beziehungen zu türkischen Städten blicken können. „Diese Partnerschaften, die zum Teil etwas eingeschlafen waren, können wir jetzt nutzen, um Fluchtursachen zu bekämpfen“, sagt Kristine Döll vom Staatsministerium in Stuttgart. Die Landesregierung stocke die von den Kommunen aufgebrachten öffentlichen Mittel und privaten Spenden auf. Für jeden Euro aus den Kommunen legt sie nochmal das Gleiche drauf. Hilfe beim Wiederaufbau von Kobane „Wenn syrische Flüchtlinge in der Türkei und im Nordirak klare Signale bekämen, dass man ihnen helfen will, würden nicht so viele nach Europa fliehen“, meint Vedat Akter von der Initiative „Kölner helfen“. Seine Organisation wurde nach einem Hilferuf aus der türkischen Stadt Diyarbakir im September 2014 gegründet, die mit den vielen Zuflucht Suchenden überfordert war. In dem Verein sind zahlreiche Migranten mit kurdischem Hintergrund aktiv, aber auch Türken, Araber und Deutsche. Sie sammelten zunächst Spenden und kauften Hilfsgüter für Diyarbakir. Seit 2015 konzentrieren sie sich auf den Wiederaufbau der syrischen Stadt Kobane an der türkischen Grenze. Kobane wurde 2015 zum Symbol des Widerstands gegen den sogenannten Islamischen Staat, als es gelang, die Terrortruppe von dort zu vertreiben. Große Teile der Stadt sind zerstört, doch seien bereits bis zu einem Drittel der ursprünglich 300.000 Einwohner zurückgekehrt, sagt Vedat Akter. „Beim Wiederaufbau wird Kobane weitgehend alleine gelassen.“ Lediglich einige kleinere Hilfsorganisationen seien dort tätig. Der Verein „Kölner helfen“ sammelt derzeit Spenden für den Bau einer Grundschule in Kobane. Von der Stadt Köln wünschen sich die Engagierten mehr Unterstützung. Bisher erhielten sie eine einmalige Spende von 10.000 Euro. Eine mündliche Zusage des Oberbürgermeisters über weitere Zuwendungen wurde wieder zurückgenommen. Claudia Mende 3-2016 | berlin journal berlin Deutschland will in Afrika digital Flagge zeigen Eine Initiative des Entwicklungsministeriums kommt nur langsam in Gang Neun Monate nach dem Start trommelt die Bundesregierung für ihre Strategische Partnerschaft „Digitales Afrika“. Mit der Privatwirtschaft will das Entwicklungsministerium (BMZ) die Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) in Afrika fördern. Mehr als hundert Unternehmen zeigen Interesse – aber mehr bislang auch nicht Der Initiative angeschlossen haben sich etwa der in Afrika erfahrene Softwarekonzern SAP und der Branchenverband Bitcom. Um förderwürdige Projektvorschläge wirbt nun der Kanzlerbeauftragte Günter Nooke beim Afrika-Verein der Deutschen Wirtschaft. Bei der Technologiemesse Cebit Mitte März in Hannover soll an Ständen und in Workshops die Werbetrommel gerührt werden. Ähnliche Partnerschaften gibt es bereits mit der Gesundheitswirtschaft. Die German Food Partnership für die Landwirtschaft wurde 2015 beendet. Sie hatte herbe Kritik angezogen. Zivilgesellschaftliche Organisationen sahen darin Entwicklungshilfe für die beteiligten Konzerne. Womöglich auch deswegen herrscht in der Wirtschaft eine gewisse Zurückhaltung. Unternehmen scheuen offenbar, sich an feste Plattformen oder ausführende Organisationen wie die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zu binden. Daraus will das BMZ nun lernen: Die digitale Partnerschaft versteht sich stärker als Netzwerk Gleichgesinnter, deren Austausch es erleichtern soll, in neue Märkte einzutreten – sei es Äthiopien, Kenia oder Kamerun. IKT-Firmen aus Asien und den USA haben den Kontinent längst entdeckt. „Indem man sich strategisch aufstellt, macht man eine Ansage“, sagt Nooke. In den Ländern Afrikas soll deutsches Firmenengagement | 3-2016 dazu beitragen, neue wirtschaftliche Perspektiven zu schaffen: Ausbildung, gute Jobs und eine starke Privatwirtschaft, heißt es offiziell. Unklar ist, wie das Ministerium die deutschen Firmen begleiten will. Möglich sind Studien, Versicherungen, Exportgarantien. „Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit“ sollen verantwortungsvolles Unternehmertum „wirkungsvoll flankieren“, heißt es. Ein eigener Geldtopf steht nicht bereit. Auch die Weltbank drängt, die digitale Kluft zu schließen Eingebettet ist die Partnerschaft in die Digitale Agenda der Bundesregierung, die anregt, Digitali- sierung als wichtigen Baustein der Entwicklungszusammenarbeit zu nutzen. Auch die Weltbank drängt, die „digitale Kluft“ zu schließen und den Zugang zum Internet bezahlbar zu machen sowie IT-Kenntnisse für den Arbeitsmarkt aufzubauen. Nach den Worten von Staatssekretär Thomas Silberhorn zählt Deutschland mit weltweit 258 IKT-Projekten, einigen davon in Afrika, schon heute zu den größten Gebern in dem Sektor. „In 2016 wollen wir 53 Millionen Euro allein für IKT-Vorhaben in Afrika investieren“, sagte Silberhorn Ende Januar. Im vergangenen Jahr seien es gerade einmal zwei Millionen gewesen. Die Strategische Partnerschaft mit der Wirtschaft läuft parallel dazu. Als erstes haben die interessierten Unternehmen Branchenarbeitsgruppen für Gesundheit und Logistik gebildet. Weitere sollen folgen. Brücken nach Afrika schlägt das GIZ-Programm „Lab for tomorrow“, das Teil der Partnerschaft ist: So ruft der Verband der Maschinenbauer VDMA zu einem Workshop über Ernteverluste. Mit kenianischen Fachleuten und möglichen Kunden aus Produktion, Transport, Verarbeitung und Export soll dabei in drei Tagen eine profitable Geschäftsidee mit marktfähigen Lösungsideen entwickelt werden. Marina Zapf Berlin Die Kraft des Glaubens nutzen Das Entwicklungsministerium entdeckt die Religion Bundesminister Gerd Müller will die Religionen stärker in der Entwicklungszusammenarbeit nutzen. Glaubensführer und religiöse Netzwerke sollen als Partner für Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung sowie die Bewahrung der Schöpfung gewonnen werden. „Zu lange wurde der Einfluss der Religion auf die internationale Zusammenarbeit vernachlässigt“, heißt es in der neuen Strategie, die Müller Mitte Februar in Berlin vorstellte. Erstmals in der mehr als 50-jährigen Geschichte des Ministeriums lud Müller dazu zu einer internationalen Konferenz „Religion und Entwicklung“ ein. Unter den mehr als 200 Teilnehmern waren alle Glaubensrichtungen vertreten; prominente Gäste waren unter anderen der Großmufti des Libanon, Scheich Abdul Latif Derian, und der Erzbischof aus dem pakistanischen Lahore, Sebastian Francis Shaw. Minister Gerd Müller erklärt, warum Entwicklungspolitiker die Religion stärker beachten sollen. giz 53 54 journal berlin | schweiz Als das Ministerium 2015 Konsultationen zur Erstellung der neuen Strategie begann, hagelte es viel Kritik. Gegner befürchteten, der CSU-Politiker wolle vor allem das christliche „C“ seiner Parteienfamilie größer schreiben. Andere warnten davor, ohne Not die traditionell weltliche Ausrichtung der Zusammenarbeit aufs Spiel zu setzen. Auffallend ist nun, dass Zuordnungen wie „christlich“ oder „islamisch“ in dem Strategiepapier sorgfältig vermieden werden. „Unsere Politik ist weltanschaulich neutral, aber wir stehen für Werte“, betonte Müller am Vorabend der Konferenz. „Wir bevorzugen keine Religionsgemeinschaft und grenzen niemanden aus.“ Universelle menschenrechtliche Standards seien die Basis der neuen Strategie und für die Annährung an religiöse Mitstreiter, die sich als moderate Glaubensführer zu den Menschenrechten bekennen und gegen extremistische Angriffe verteidigen wollten. Religionen können Konflikte anheizen – und entschärfen Ziel sei es, Trennendes zu schwächen und Verbindendes zu stärken, sagte Müller. Damit erkennt die Strategie an, dass Religionen Krisen und Konflikte ebenso anheizen wie entschärfen können. Versöhnung und Frieden könnten nur in Zusammenarbeit mit religiösen Akteuren gelingen, gleiches gelte für die Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele. Als verbindende Elemente unterschiedlicher Religionen zu einer gemeinsamen Wertebasis nannte Müller Toleranz und Respekt, Gleichberechtigung und Frieden. Das „große Bekenntnis zur Mitmenschlichkeit, der Einsatz für den Nächsten“ verbinde staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit Religion. Als ge- plante Maßnahmen werden in dem Papier unter anderem die Förderung interreligiöser Dialoge, lokaler religiöser Hilfsorganisationen oder der Einsatz für Religionsfreiheit genannt. Die Lösung der heutigen Krisen dürfe nicht allein Politikern überlassen werden, sagte Müller. Deutschland gründet deshalb mit anderen Gebern die „International Partnership on Religion and Sustainable Development“ (PaRD), in die sich neben führenden Glaubensvertretern auch Organisationen wie die Weltbank und die Vereinten Nationen einreihen. Marina Zapf schweiz Armutsbekämpfung versus Friedensförderung In der Schweizer Entwicklungshilfe herrscht zunehmend Konkurrenz Die Schweiz will sich stärker entwicklungspolitisch in fragilen Staaten engagieren. Aber gibt es dafür überhaupt Geld? Menschen in diesem Jahr eine der Prioritäten der DEZA. „Im laufenden Jahr wollen wir unsere Kernaufgabe der Armutsbekämpfung dort verstärken, wo staatliche Strukturen wegen Konflikten geschwächt sind oder fehlen“, sagte der Direktor der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), Manuel Sager, Ende Januar bei der Jahresmedienkonferenz in Bern. Die Ursachen von Armut führten oft auch zu Radikalisierung, Extremismus und Gewalt und bewegten Millionen von Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat. Dazu gehören laut Sager fehlende Zukunftsperspektiven für Jugendliche, soziale Ungleichheit, die Marginalisierung von Minderheiten oder auch Menschenrechtsverletzungen. In der Welt gelten über 40 Staaten mit einer Gesamtbevölkerung von rund 1,5 Milliarden Menschen als fragil oder von Gewaltkonflikten betroffen. Bald werde die Mehrheit der Armen weltweit in solchen fragilen Kontexten leben, sagte Sager. Deshalb bilde die Unterstützung dieser Doch das Vorhaben steht im Widerspruch zu den verfügbaren Mitteln. Für dieses Jahr hat das Parlament im Vergleich zum letzten Jahr die Entwicklungshilfe um fast 100 Millionen Franken auf 2,473 Milliarden Franken gekürzt, und in den kommenden Jahren soll weiter gespart werden. Erschwert wird die langfristig angelegte Armutsbekämpfung in fragilen Staaten außerdem dadurch, dass der Mittelbedarf zur In den kommenden Jahren soll weiter gespart werden Bewältigung der humanitären Krisen weltweit wächst, vor allem in Syrien. Und schließlich steht die Armutsbekämpfung bei der Mittelverteilung neuerdings in Konkurrenz mit der zivilen Friedensförderung: Diese hat bisher eine eigene Kreditlinie, doch ab 2017 wird sie neu ins Kreditverfahren der „Internationalen Zusammenarbeit“ aufgenommen. Weil friedenspolitische Organisationen dafür mehr Mittel als bislang fordern, ist bei einem insgesamt sinkenden Budget der Verteilungskampf programmiert. Wo also soll das Geld für den von DEZA-Chef Manuel Sager an- gekündigten neuen Schwerpunkt herkommen? Der stellvertretende Leiter für die regionale Zusammenarbeit bei der DEZA, JeanFrançois Cuénod, hat klargemacht, wo gespart wird: Zum einen laufen Programme in einigen Ländern wie Vietnam aus, das nun zu den Ländern mit mittlerem Einkommen gehört. Zum anderen werden geplante Mittelerhöhungen wie in Myanmar gestreckt und Einsparungen bei Globalprogrammen wie die für Wasser, Landwirtschaft und Ernährungssicherheit, Klimawandel und Migration beschleunigt. Rebecca Vermot schweiz – kurz notiert Ökumenische Kampagne 2016 fordert: Gold soll sauber werden. Unter dem Motto „Verantwortung tragen – Gerechtigkeit stärken“ zeigen Brot für alle und Fastenopfer am Beispiel von Burkina Faso, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Zwar erlebt das Land seit 2005 einen wahren Goldboom. Doch wo nach dem Edelmetall geschürft wird, bleiben Menschenrechte und Umweltschutz oft auf der Strecke. Umsiedlungen und die Zerstörung der Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung verursachen großes Leid. Vom Geschäft mit dem Edelmetall profitieren vor allem multinationale Konzerne. Die beiden christlichen Entwicklungsorganisationen zeigen auch die Rolle der Schweiz im Gold-Geschäft: So wurden in den vergangenen Jahren 90 Prozent des Goldes aus Burkina Faso hier verarbeitet. Zudem ist die Schweiz weltweit der größte Handelsplatz für Gold. Der Weg von der Goldmine zum Schmuckstück sei oft schwer überblickbar, sagt Bernard DuPasquier, Geschäftsleiter von Brot für alle. Es brauche weltweit verbindliche Regeln. (kam) 3-2016 | brüssel journal brüssel Rote und blaue Linien für TISA Das EU-Parlament schaltet sich in die Verhandlungen über den Handel mit Dienstleistungen ein Seit drei Jahren verhandelt die EUKommission im Geheimen mit 23 Staaten über ein Abkommen zur Liberalisierung des Dienstleistungshandels (TISA). Jetzt hat das EU-Parlament klargestellt, unter welchen Bedingungen es den Vertrag annehmen würde. Der EU-Ministerrat hatte die Kommission schon 2012 zu den Verhandlungen ermächtigt, aber erst nachdem WikiLeaks einige der Texte veröffentlicht hatte, wurde das TISA-Mandat vor einem Jahr bekanntgegeben. Bis heute haben die Abgeordneten des EU-Parlaments nur beschränkten Zugang zu den Verhandlungstexten, die in zwölf Hauptbereiche mit 160 Unterpunkten gegliedert sind. Selbst der gemeinhin unternehmensfreundliche Handelsausschuss des EU-Parlaments hatte im Januar in seiner Stellungnahme deutliche Kritik geäußert, die anderen Fachausschüsse fügten weitere Punkte hinzu. Am 3. Februar nahm das Plenum dann eine Entschließung an, die einige „rote Linien“ definiert, die im fertigen Abkommen nicht überschritten werden dürften. Dazu gehört, dass öffentliche Dienste wie die Wasserversorgung von einer unbeschränkten Öffnung für den Wettbewerb und einer möglichen Übernahme durch ausländische Privatfirmen ausgeschlossen bleiben und dass die Kompetenzen von nationalen wie lokalen Instanzen wie den Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten zur Regelung politischer Angelegenheiten nicht beschnitten werden. Eine weitere rote Linie ist, dass die Privatisierung öffentlicher Dienste wieder rückgängig gemacht werden darf. Diese Bedingung richtet sich gegen die sogenannte „Stillhalte-“ und „Rücknahmesperre“ (ratchet clause), die in den TISA-Texten bereits enthalten ist, wie Außenhandelskommissarin Cecilia Malmström vor | 3-2016 dem Parlament einräumte. Im Entwurf der Berichterstatterin des Handelsausschusses, Viviane Reding, war sie noch nicht als rote Linie enthalten gewesen, doch die anderen Fachausschüsse hatten sie gefordert; im Plenum wurde sie dann mit knapper Mehrheit eingefügt. Einig war sich das Parlament hingegen über eine weitere „rote Linie“, nach der ausländische Dienstleistungsunternehmen in der EU nur hoch ausgebildete Arbeitskräfte aus dem Ausland beschäftigen dürfen, und das auch nur für einen streng begrenzten Zeitraum. Ganz im Sinne des Verhandlungsmandats des Ministerrats und der um Liberalisierung bemühten EU-Kommission ist die „blaue Linie“ des Parlaments für die Ziele, die mit TISA erreicht werden sollten: gegenseitige Marktöffnung, insbesondere für öffentliche Beschaffung, Telekommunikation, Transport, Finanzdienstleistungen und digitale Dienste. Praktiken, mit denen Staaten die Tätigkeit ausländi- scher Dienstleister behindern, etwa indem sie eine einheimische Mehrheitsbeteiligung an Filialen fordern, sollen nach dem Willen des Parlaments mit TISA überwunden werden. Der Entwicklungsausschuss des Parlaments wollte diese blaue Linie zugunsten von Entwicklungsländern relativieren und ausländische Konzerne wie große Einzelhandelsketten auf eine umwelt- und sozialverträgliche Geschäftspraxis verpflichten. Das Plenum lehnte das jedoch ab. Heimo Classen brüssel Kein Konsens zu Konfliktrohstoffen EU-Parlament will schärfere Regelung als Ministerrat und Kommission Anfang Februar verhandelten Vertreter des EU-Parlaments, des Ministerrats und der EU-Kommission über die Kontrolle von Rohstoffimporten aus Konfliktgebieten. Das Treffen verlief laut einer Teilnehmerin „stürmisch“. Die EU-Kommission hatte bereits 2014 eine Vorlage auf den Weg gebracht, nach der Schmelzereien und Raffinerien freiwillig prüfen sollen, ob sie die vier Erze und Metalle Im Osten des Kongo suchen diese Männer in der Nähe einer Mine nach Zinnerz (Kassiterit). Oft feuern die Erlöse aus dem Rohstoffabbau Konflikte an. junior d. kannah/afp/getty images Zinn, Tantal, Tungsten und Gold aus konfliktfreien Gebieten beziehen. Auf diesem Weg wollte die Kommission die in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vereinbarte Sorgfaltspflicht erfüllen, Importe von Rohstoffen zu vermeiden, mit denen sich Kriegsund Konfliktparteien finanzieren. Die US-Regierung hatte 2010 als erste mit dem Dodd-Frank-Gesetz in den USA tätige Firmen zum Nachweis der Herkunft von importierten Rohstoffen und Vorprodukten verpflichtet. Das EU-Parlament hatte im Mai vorigen Jahres in erster Lesung die vom Ministerrat noch einmal abgeschwächte Fassung der Kommissionsvorlage abgelehnt und gefordert, die Schmelzereien und Raffinerien sollten verpflichtet werden, die Herkunft nachzuweisen. Zudem sollten auch weiterverarbeitende Unternehmen diesen Nachweis einsehen können, um den Käufern ihrer Produkte zusichern zu können, dass Mobiltelefone, Laptops, 55 56 journal brüssel Flugzeuge oder Atomreaktoren keine Rohstoffe enthalten, die beispielsweise von Milizen im Kongo verschoben wurden. Das erste Treffen im sogenannten Trilog aus EU-Parlament, Ministerrat und Kommission sei jedoch dermaßen strittig und „stürmisch“ verlaufen, wie die fürs Parlament verhandelnde Berichterstatterin Marie Arena von der Sozialdemokratischen Fraktion befand, dass eine Einigung „blockiert“ sei. Der Ministerrat habe darauf bestanden, dass die Importeure ihre Rohstoffe selbst zertifizieren dürfen – was, so Marie Arena, nachweislich nicht funktioniere: Gerade mal ein Fünftel der rund 400 EU-Importeure von metallischen Rohstoffen habe bisher die Empfehlung der OECD zur freiwilligen Kontrolle der Herkunft befolgt. Zudem sei die vom Ministerrat vorgelegte Fassung noch schwächer als die ursprüngliche Kommissionsvorlage, die weiterverarbeitenden Unternehmen immerhin das Recht einräumte, von Zulieferern Auskunft über die Herkunft zu verlangen. Die nächste Verhandlung im Trilog findet wahrscheinlich im März statt. Wenn dann keine Einigung erzielt wird, müsste das Parlament über die vom Ministerrat vorgelegte Vorlage abstimmen. Angesichts der bisherigen Diskussion im Parlament ist schwer zu sagen, wie das ausgehen würde. Schon bei der ursprünglichen Stellungnahme im vorigen Mai war nur eine knappe Mehrheit dagegen gewesen. Heimo Claasen brüssel Eritreas langer Arm Das Regime verfolgt Kritiker und Flüchtlinge bis nach Europa Die Vereinten Nationen zählen Eritrea in einem Bericht vom Juni 2015 zu den Staaten mit der schlimmsten Menschenrechtsbilanz weltweit. Wie das Regime in der Hauptstadt Asmara seine Kritiker auch im Ausland drangsaliert, macht ein Fall in den Niederlanden deutlich. Mirjam van Reisen ist Professorin für Internationale Beziehungen an der Universität Tilburg und hat am Expertenbericht zu Menschenrechten in Eritrea mitgearbeitet, der vergangenen Oktober im UN-Sicherheitsrat besprochen wurde. Für ihr entschiedenes Auftreten gegen die eritreische Diktatur habe sie drohende Botschaften über Twitter erhalten; jüngst sei sie auf dem Weg vom Flughafen nach Hause im südlichen Holland von einem Auto verfolgt worden, berichtet sie. Ende Januar musste sich Van Reisen vor Gericht gegen eine Verleumdungsklage verteidigen, die Meseret Bahlbi, aktives Mitglied der Partei von Diktator Isaias Afewerki und bis voriges Jahr Vorsitzender der Jugendorganisation (YPFDJ) dieser Partei in den Niederlanden, gegen sie angestrengt hatte. Van Reisen hatte in Rundfunkinterviews voriges Jahr darauf hingewiesen, dass zwei Geschwister von Bahlbi als Dolmetscher für die niederländische Einwanderungsbehörde arbeiteten, was laut Medienberichten gegen niederländisches Recht verstößt. Ohne Bahlbis Namen zu nennen, erklärte van Reisen, dass der Bruder dieser beiden Mitarbeiter „als Angelpunkt des Nachrichtendienstes von Eritrea“ in den Niederlanden fungiere. Bahlbi zeigte van Reisen daraufhin wegen Verleumdung an. Am 10. Februar wies das Gericht in Amsterdam die Klage und Bahlbis Forderung auf 25.000 Euro Schadenersatz ab. Im Urteil heißt es, es sei erwiesen, dass die YPFDJ als „langer Arm“ des Regimes von Eritrea diene, dass Bahlbi dort aktives Mitglied sei und dass diese Organisation für das Regime nachrichtendienstlich in den Niederlanden tätig sei. Arbeitet das Regime mit Schleusern zusammen? Van Reisen hat mit ihren Hinweisen auf die Infiltration der eritreischen Diaspora durch Anhänger des Regimes in Eritreas Hauptstadt Asmara und ihre möglichen Verbindungen zu Mitarbeitern von niederländischen Behörden und Einrichtungen der Flüchtlingsversorgung einen wunden Punkt berührt. In mehreren Berichten und einem 2012 erschienenen Buch über Flüchtlinge aus Eritrea, Äthiopien und Sudan beschreibt sie die Zusammenarbeit des eritreischen Regimes mit Schlepperbanden, die mit der Erpressung von Flüchtlingen „eine wichtige Einkommensquelle“ der Exileritreer demonstrieren im Februar 2013 gegen die Regierung von Präsident Isaias Afewerki. justin tallis/afp/getty images klammen Diktatur sei. Eritrea nehme „mit dem Verkauf seiner Bürger“ Hunderte Millionen Dollar ein. Mafiose Banden in Sudan, Ägypten und in Westeuropa, auch in der Disapora in den Niederlanden und Deutschland, setzten geflüchtete Eritreer mit Drohungen gegen zurückgebliebene Familienangehörige unter Druck. Das niederländische Justizministerium teilte unterdessen mit, es werde geprüft, wie gegen derartige Vorgänge vorgegangen werden könnte. Eine Schwierigkeit ist dabei laut van Reisen, dass in der eritreischen Diaspora wie im Land selbst eine Angstkultur herrsche, weshalb die Betroffenen nicht zu sprechen wagten. Zudem erpresse das Regime von Exileritreern über seine Botschaften eine Art „Diaspora-Steuer“ in Höhe von zwei Prozent des Einkommens. Wer nicht zahlt, müsse mit Maßnahmen gegen Familienangehörige zu Hause rechnen. Der frühere Botschafter Eritreas in den Niederlanden, Andebrhan Giorgis, der jetzt selbst als Flüchtling in den Niederlanden wohnt, bestätigt diese Angaben von van Reisen und der niederländischen Journalistin Sanne Terlingen. Van Reisen hatte deshalb in einem TV-Interview im vorigen September dafür plädiert, dass alle EU-Länder die Botschaften und Konsulate Eritreas schließen. Heimo Claasen 3-2016 | kirche und ökumene journal kirche und ökumene „Die vermutlich größte katholische Pfarrei der Welt“ Die Kirchen in den Staaten am Persischen Golf wachsen In manchen Ländern am Persischen Golf stellen Christen 15 Prozent und mehr der Bevölkerung. Die Gemeinden rekrutieren ihre Mitglieder aus den Millionen Migranten, die in den Golfmonarchien arbeiten. Der Bamberger Erzbischof und Vorsitzende der Kommission Weltkirche in der Deutschen Bischofskonferenz Ludwig Schick hat Anfang Februar die Kirchen in Katar, Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Oman besucht. Wer kommt in den Kirchen am Golf zusammen? Die vielen Arbeitsmigranten kommen vor allem aus Indien, den Philippinen, Sri Lanka, aber auch aus Lateinamerika und den nördlichen arabischen Staaten wie dem Libanon oder Syrien. Die Gottesdienste werden auf Englisch gehalten. Es gibt aber auch Priester aus den Herkunftsländern der Migranten, die in den je- weiligen Muttersprachen die Messe feiern. In der Kathedrale von Abu Dhabi zum Beispiel finden jedes Wochenende 35 Gottesdienste in zwölf verschiedenen Sprachen statt. In Dubai ist die vermutlich größte katholische Pfarrei der Welt; die Schätzungen variieren von 100.000 bis 300.000 Katholiken. Inwiefern hängen die Kirchen von den jeweiligen Regierungen ab? Kirchliches Leben kann in der Regel nur auf einem eigens dafür reservierten Gelände stattfinden, meist hinter hohen Mauern. Auf solchen Compounds befinden sich oft Kirchen verschiedener Denominationen, manchmal auch ein Sikh-Tempel. Den Grund und Boden stellt die jeweilige Regierung zur Verfügung. Aber nichts darf darauf hindeuten, dass sich hier Christen regelmäßig treffen. Es gibt zum Beispiel keine Kreuze oder Glockentürme. Solange die Christen ihren Glauben auf diesem Gelände leben, ist alles in Ordnung. Missionieren dürfen sie nicht. Sind die Kirchen Sprachrohr für die Interessen und Rechte der Arbeitsmigranten? Eine zivilgesellschaftliche Rolle können die Kirchen nicht spielen. Die Regierungen geben ihnen ihren Spielraum sehr genau vor. Als Netzwerk für die Gemeindeglieder sind die Kirchen aber sehr wichtig. Arbeitsmigranten leben oft isoliert in sehr prekären Situationen. Oft werden ihre Rechte verletzt und sie werden ausgebeutet. In den Kirchen teilen die Menschen Freud und Leid, sprechen über Kindererziehung, Familie und ihre Arbeitsstellen und tauschen Erfahrungen im Umgang mit Behörden aus. Eindrücklich ist auch, wie viele Ehrenamtliche sich im kirchlichen Leben engagieren, sei es als Lektoren, sei Muslime rufen zum Schutz religiöser Minderheiten auf Uneingeschränkte Religionsfreiheit fordern 250 sunnitische und schiitische Theologen, Richter, Politiker und Intellektuelle aus 120 Ländern. In der Marrakesch-Erklärung, die Ende Januar in Marokko veröffentlicht wurde, verurteilen sie die Verletzung der Rechte religiöser Minderheiten im Namen des Islam; die Unterzeichner machen deutlich, dass sie die Feindseligkeiten bekämpfen wollen. Die Konferenz sei nötig „angesichts der Lage der Minderheiten, die in verschiedenen Ländern des Nahen Ostens Unterwerfung, Entwurzelung und andere Gräueltaten erleiden müssen und an denen Massaker verübt werden“. Die islamischen Rechtsgelehrten und Intellektuellen werden in der Erklärung aufgefordert, eine islamische Gesetzgebung nach den Prinzipien der Staatsbürgerschaft zu entwerfen, die alle religiösen und ethnischen Gruppen einbezieht. Die Aufgabe von Politikern und Entschei- | 3-2016 dungsträgern sei es, diese Gesetzgebung dann anzuwenden. Lehrer und Professoren sollten „mutig die Lehrpläne und Schulbücher in islamischen Ländern revidieren und alle Stellen streichen, die zu Aggression und Hass gegenüber Nicht-Muslimen aufrufen und zu Krieg und Chaos führen“. Die gesamte Zivilgesellschaft sei zur Zusammenarbeit aufgerufen, um das Bewusstsein für die Rechte religiöser Minderheiten in islamischen Ländern zu schärfen. Die Erklärung endet mit der Aussage, dass Religion nicht dazu missbraucht werden dürfe, religiöse Minderheiten ihrer Rechte zu berauben. Zu der dreitägigen Konferenz hatte das marokkanische Ministerium für islamische Angelegenheiten eingeladen. Durchgeführt wurde sie vom Forum für Frieden in der muslimischen Gesellschaft, einer nichtstaatlichen Organisation mit Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten. (kb) Ludwig Schick ist Erzbischof von Bamberg und Vorsitzender der Kommission Weltkirche in der Deutschen Bischofskonferenz. sonja krebs es als Katecheten. Es gibt auch katholische Schulen. In der Vorbereitung der Kinder und Jugendlichen auf die Erstkommunion oder die Firmung sind oft Hunderte Männer und Frauen tätig. Die gegenseitige Hilfe findet auf ganz individueller Ebene statt, von Mensch zu Mensch. Wie geht die muslimische Mehrheitsgesellschaft damit um, dass die christliche Gemeinschaft wächst? Sehr pragmatisch. Sie weiß, dass sich ihr Wohlstand ohne die Arbeitsmigranten nicht halten lässt. Deswegen stehen viele auf dem Standpunkt, dass die Migranten gut sind und bleiben sollen, solange sie gebraucht werden. Gibt es einen interreligiösen Dialog? Vor allem auf akademischer Ebene unter Theologen; der Dialog geht aber nicht sehr tief. Die Regierungen kontrollieren auch diesen Bereich. Im täglichen Leben soll es interreligiöse Begegnungen von Mensch zu Mensch nicht geben aus Angst, die Christen könnten dabei Werbung für den eigenen Glauben machen. Ist die europäische Flüchtlingskrise ein Thema am Golf? Immer wieder 57 58 journal kirche und ökumene wird ja gefordert, dass auch die Golfstaaten sich Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak öffnen. Es ist eine Frage der Identität und der Erhaltung der politischen Strukturen. In Oman sind die Muslime zum Beispiel Ibaditen und die Regierung ist in der Hand einer Familie. Sie sehen sich und ihre Art, den Islam zu leben, bedroht, sollten etwa zu viele Sunniten ins Land kommen. Auch die anderen Golfstaaten fürchten um das gesellschaftliche Gleichgewicht und öffnen deswegen ihre Grenzen nicht für Flüchtlinge aus anderen islamischen Ländern. Die Fragen stellte Katja Dorothea Buck. kirche und ökumene – kurz notiert Eine internationale Jury aus 150 Fachleuten hat vier von der Christoffel-Blindenmission (CBM) geförderte Inklusionsprojekte als besonders innovativ und effektiv ausgezeichnet. Mehr als 3000 Projekte waren bei der ZeroProject-Konferenz in Wien nominiert worden, 86 wurden prämiert, darunter die CBMBildungsprojekte in Nicaragua, Simbabwe, Kambodscha und Indien. In Nicaragua kümmert sich der Projektpartner ASOPIECAD um Kinder mit Entwicklungsstörungen und Behinderungen, unter anderem mit Familienseminaren. In Simbabwe unterstützt die CBM Gemeinden, ihre Schulen in inklusive Lern-Zentren zu verwandeln. Im Projekt in Kambodscha stehen Kinder mit Seh- oder Hörbehinderung im Mittelpunkt. Das Projekt hat die Brailleschrift in der Landessprache eingeführt und entwickelt die lokale Gebärdensprache weiter. Der CBM-Projektpartner in Indien setzt sich für die Verbreitung von barrierefreiem Lehrund Lernmaterial ein. Das Zero Project ist eine Initiative der Essl-Stiftung, die sich global für die Rechte von Menschen mit Behinderungen einsetzt. Das Projekt wird unterstützt von den Vereinten Nationen und bietet eine Plattform, auf der innovative und erfolgreiche Lösungen für Inklusion präsentiert werden. Schwerpunkt der diesjährigen Konferenz war inklusive Bildung. (kb) kirche und ökumene Geistliche kippen das Religionsgesetz Kenias Regierung scheitert vorerst bei der Regulierung religiöser Sekten Nach Kritik von Religionsführern in Kenia hat Präsident Uhuru Kenyatta Ende Januar ein Gesetz zur Regelung des religiösen Lebens kurz vor Inkrafttreten zurückgenommen. Es hätte der Regierung weitreichende Befugnisse zur Kontrolle von Religionsgemeinschaften gegeben. Mit dem Gesetz wollte die Regierung den Wildwuchs im religiösen Sektor unterbinden. 2014 hatte es einen Skandal um einen Pfarrer gegeben, der Mitgliedern seiner Kirche gegen Geld Heilung versprochen hatte (siehe weltsichten 5/2015). Daraufhin waren insbesondere Gemeinden in den Blick der Öffentlichkeit geraten, bei denen der Verdacht nahelag, dass sie nur zur Bereicherung der Führungsebene dienen. In Kenia sind mehr als vier Fünftel der Bevölkerung Christen; 14 Prozent davon gehören weder der katholischen noch der evangelischen Kirche an. Allein 2014 hatten 7000 neue Gemeinden eine offizielle Registrierung beantragt, aber nicht bekommen. Anfang dieses Jahres war der genaue Gesetzestext bekannt geworden. Demnach müssen füh- Papst Franziskus besucht im November 2015 Kenia. In dem Land schießen neue Kirchen und Gemeinden wie Pilze aus dem Boden. anadolu agency/getty images rende Geistliche studiert haben und ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Jede Gemeinschaft muss genaue Mitgliederlisten führen, eine Verfassung mit klaren Angaben zu Auftrag und Struktur sowie einen Rechenschaftsbericht über alle Tätigkeiten und Finanzen vorlegen. Alle Würdenträger müssen die Ver- wandtschaftsverhältnisse zu Angestellten in ihrer Gemeinde offenlegen. Und schließlich sieht das Gesetz vor, dass alle Kirchen und Gemeinden in Dachverbänden organisiert sein müssen, die dann als Ansprechpartner für die Regierung dienen und die Einhaltung gewisser Standards in der jeweiligen Religionsgemeinschaft sorgen. Das Gesetz hätte für alle in Kenia vertretenen Religionen gegolten. Kurz nach Veröffentlichung des Gesetzestextes hatte bereits die kenianische Bischofskonferenz vehement dagegen protestiert. Das Gesetz verletze die kenianische Verfassung, die die Trennung von Staat und Religion festlegt, sagte Bischof Philip Anyolo, der Vorsitzende der Bischofskonferenz. Die Verfassung garantiere außerdem die Freiheit des Gottesdienstes. Das Gesetz werde „direkte und negative Auswirkungen auf das kirchliche Leben in Kenia haben“, sagte Anyolo. Allein die geforderte Registrierung aller Mitglieder sei aus logistischen Gründen nicht realistisch: „Wenn die Kirchen damit beauftragt werden, Listen über ihre Mitglieder zu führen, dann reduziert das das Christentum auf ein reines Zahlenspiel.“ Bischof Anyolo kritisierte zudem, dass sich die Regierung nicht mit den Religionsführern beraten habe. Genau das will sich Präsident Kenyatta bei der Neuformulierung des Gesetzes nun zu Herzen nehmen. Katja Dorothea Buck 3-2016 | personalia journal 59 personalia Asiatische InfrastrukturInvestitionsbank (AIIB) Der deutsche Ökonom Joachim von Amsberg wird einer von fünf Vizepräsidenten der neu gegründeten AIIB. Er soll dort für Politik und Strategie zuständig sein. Von Amsberg ist derzeit noch Vizepräsident bei der Weltbank mit Zuständigkeit für die Entwicklungsfinanzierung. Zuvor war er für die Weltbank unter anderem auf den Philippinen und in Indonesien tätig, wo er für den Wiederaufbau von Aceh nach dem Tsunami im Jahr 2004 zuständig war. Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) Der bisherige Teamleiter Lateinamerika in der KAS-Zentrale in Berlin, Olaf Jacob, ist seit Januar KAS-Repräsentant in Buenos Aires, Argentinien. Ebenfalls seit Januar leitet Kristin Wesemann das Stiftungsbüro in Montevideo, Uruguay. Sie war bisher Auslandsmitarbeiterin in Argentinien. Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) Neue Leiterin des Büros der FES in Dhaka, Bangladesch, ist seit Februar Franziska Korn. Ihr Vorgänger Henrik Maihak wird voraussichtlich demnächst in den Südsudan wechseln. KlausPeter Treydte hat zum gleichen Zeitpunkt das Büro in Cotonou, Benin, übernommen. Sein Vorgänger Constantin Grund ist jetzt im Inland bei der Stiftung tätig. Auch in Addis Abeba, Äthiopien, gibt es einen neuen Stiftungsvertreter: Peter Oesterdiekhoff hat Friedrich Kramme-Stermose abgelöst, der in den Ruhestand gegangen ist. Vereinte Evangelische Mission (VEM) Der deutsche Theologe Volker Martin Dally ist seit Februar neuer Generalsekre- tär der VEM in Wuppertal. Er folgt auf Fidon Mwombeki, der zum Lutherischen Weltbund nach Genf gewechselt ist. Der 54-jährige Dally hatte vorher das Evangelisch-Lutherische Missionswerk Leipzig geleitet. Auswärtiges Amt (AA) Der deutsche Vertreter bei den Vereinten Nationen in Genf, Joachim Rücker, wird Sonderbeauftragter der Bundesregierung für den Mittleren Osten. Auf diesem Posten soll er sich um die Stabilisierung im Irak und in Syrien bemühen und die Folgen der Krisen für die Türkei, Jordanien und den Libanon in den Blick nehmen. lungspolitik (DIE), der dieses Amt bereits seit der Gründung des Netzwerks im Jahr 2014 innehat. Das SDSN steht unter der Schirmherrschaft von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und bündelt Expertise aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft, um weltweit nachhaltige Entwicklung mit innovativen und praktischen Strategien voranzutreiben. Geschäftsführender Direktor des deutschen Zweigs ist der frühere Abteilungsleiter im Bundesentwicklungsministerium, Adolf Kloke-Lesch. EUROSOLAR Neuer Geschäftsführer der Europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energien EUROSOLAR ist seit Januar Tobias Jaletzky. Er folgt auf Irm Scheer-Pontenagel, die seit dem Tod ihres Mannes und EUROSOLAR-Gründers Hermann Scheer im Jahr 2010 die Organisation geleitet hatte. Der Verein setzt sich dafür ein, atomare und fossile Energie durch erneuerbare Energie zu ersetzen. Der jährliche Europäische Solarpreis geht an Initiativen, die sich für dieses Ziel einsetzen. Anzeige Renovabis Christian Hartl ist zum neuen Geschäftsführer der Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa, Renovabis, berufen worden. Der 51-Jährige folgt im Oktober auf Gerhard Albert, der das Amt seit Juni 2015 innehat. Hartl ist derzeit noch Spiritual des Interdiözesanen Priesterseminars St. Lambert in Lantershofen. Sustainable Development Solutions Network Germany (SDSN) Die ehemalige Präsidentin der Europa-Universität Viadrina, Gesine Schwan, wurde bereits im vergangenen November als eine von zwei Vorständen des SDSN gewählt. Sie folgt auf den früheren Bundesumweltminister und Chef des UN-Entwicklungsprogramms UNDP, Klaus Töpfer. Die Doppelspitze wird vervollständigt durch Dirk Messner, den Direktor des Deutschen Instituts für Entwick- EntwicklungszusammEnarbEit: EinE AufgAbE für SiE? Sie haben relevante Berufserfahrung. Christliche Werte sind Teil Ihrer Motivation und Sie verstehen Ihr Tun als solidarischen Dienst.Gemeinsam mit Menschen aus anderen Kulturen und Gesellschaften möchten Sie sich mit ihrer fachlichen und sozialen Expertise dafür einsetzen, Armut zu mindern und gerechtere Lebensbedingungen zu schaffen. Dann sollten wir uns kennenlernen! Die Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH) ist der Personaldienst der deutschen Katholiken für Entwicklungszusammenarbeit. Wir bieten Ihnen die Chance für eine verantwortliche Tätigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit auf der Grundlage des Entwicklungshelfer-Gesetzes. Informieren Sie sich auf www.ageh.de über unsere aktuellen Stellenangebote. Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH) e.V. Ripuarenstraße 8 | 50679 Köln Tel. 0221 8896-270 www.ageh.de [email protected] AGEH_Anzeigen_WELTSICHTEN_96x158mm_mit Rand Dez2013.indd 2 | 3-2016 04.12.2013 15:46:32 60 service filmkritik | rezensionen filmkritik Ein Konzert für die Freiheit Nach dem Atomvertrag von Wien ist der Iran auf die Weltbühne zurückgekehrt. Wie das Regime noch immer die Menschenrechte beschränkt und wie repressiv es vor allem gegen Frauen vorgeht, zeigt der iranische Filmemacher Ayat Najafi in seinem Dokumentarfilm „No Land’s Song“. No Land‘s Song Frankreich/Deutschland/Iran 2014 92 Minuten Regie: Ayat Najafi Kinostart: 10. März Bereits in seiner ersten langen Dokumentation „Football Under Cover“ hat sich der 1976 in Teheran geborene Theater- und Filmregisseur nachdrücklich für die unterdrückten Frauen in seinem Heimatland eingesetzt. Damals hielt er das erste öffentliche Frauenfußballspiel in einem iranischen Stadion seit der sogenannten Islamischen Revolution von 1979 fest. In seinem neuen Werk begleitet er nun seine Schwester Sara über zweieinhalb Jahre bei ihren Anstrengungen, in Teheran ein Konzert mit Solo-Sängerinnen auf die Beine zu stellen. Seit 1979 ist es Frauen im Iran verboten, öffentlich Solo zu singen, zumindest vor männlichen Zuhörern. Denn die weibliche Stimme könnte die Männer ja sexuell erregen. Sara, die erste Frau, die im Iran ein Diplom in Komposition erhielt, findet sich mit dem Verbot nicht ab. Sie tut sich mit den Sängerinnen Parvin Namazi und Sayeh Sodeyfi zusammen und spricht beim zuständigen Ministerium für Kultur und islamische Führung vor. Doch bei den heimlich aufgezeichneten Gesprächen, die im Film über schwarzen Bildern zu hören sind, handelt sie sich nur Absagen ein. Die gewiefte Musikerin findet einen Ausweg, indem sie die französischen Sängerinnen Elise Caron und Jeanne Cherhal sowie deren tunesische Kollegin Emel Mathlouthi für einen kulturellen Brückenschlag zwischen Paris und Teheran gewinnt. Viele Hindernisse und Rückschläge gilt es zu überwinden, bis die Aktivistinnen die bürokratischen und ideologischen Widerstände überwunden haben und mit Instrumentalisten aus beiden Ländern am 19. Sep- tember 2013 endlich in Teheran auftreten dürfen – unter großem Beifall. „Wir wollen die weibliche Stimme wieder beleben“, verkündet Sara Najafi gleich zu Beginn des Films auf der Bühne, so dass die Zuschauer von Anfang an wissen, dass der Kampf siegreich ausgeht. Gleichwohl wird der Film nie langweilig, dafür sorgt schon die schier unerschöpfliche Energie der leidenschaftlichen Protagonistin. Und die vielen kraftvoll vorgetragenen Lieder und Melodien, die iranische Künstler zwischen den zwanziger Jahren und der Gegenwart komponiert haben. Die Regie protokolliert nicht nur die Stationen des langwierigen Kulturprojekts, sondern macht auch die Hintergründe der Zensur im Iran anschaulich, schildert das Engagement der Sängerinnen und Musiker, für die das öffentliche Vortragen ihrer Kunst eine Art Lebenselixier darstellt. In gelegentlichen Exkursen erläutert Najafi, der heute in Berlin lebt, die Geschichte der iranischen Musik vor 1979. Alte Schwarzweiß-Filmsequenzen und Fotos lassen die legendären Auftritte der Sängerinnen Qamar, die 1924 mit einem öffentlichen Konzert in einem Teheraner Hotel Pionierarbeit leistete, und Delkash, die 1960 sogar vom Alkoholtrinken und der Lust sang, Revue passieren. Die Kamera begleitet Sara zeitweise zu den Schauplätzen der damaligen Konzerte, die heute als Kabellager dienen oder völlig verfallen sind. Insgesamt ein packender Film über die Macht der Musik, der Mut macht, die Stimme zu erheben, auch wenn das verboten ist. Auf seiner langen Festivaltournee hat das Werk etliche Preise gewonnen, darunter den Publikumspreis und den Preis für den besten Dokumentarfilm auf dem Montréal World Film Festival, den Preis der Jugendjury auf dem Dok Leipzig und den Nestor Almendros Preis auf dem Human Rights Watch Film Festival in New York. Reinhard Kleber rezensionen Krieg als Normalzustand Atef Abu Saif hat ein bedrückendes Tagebuch über den Gaza-Krieg im vergangenen Jahr geschrieben. Dabei nimmt er konsequent die Perspektive der zivilen Opfer ein und verzichtet auf Schuldzuweisungen. Zumindest fast. Atef Abu Saif Frühstück mit der Drohne Tagebuch aus Gaza Unionsverlag, Zürich 2015, 252 Seiten, 19,95 Euro „Papa, wann kommt der nächste Krieg?“, wird Atef Abu Saif von seinem Sohn Mustafa gefragt. Der Knabe ist elf Jahre alt, als der 51 Tage dauernde Angriff Israels auf Gaza im Sommer 2014 endet. Es ist der dritte Krieg, den Mustafa erlebt hat. „Nun bereitet er sich auf den vierten vor“, schreibt Abu Saif am Ende seines Buches. Auf den 240 Seiten davor hat uns der palästinensische Schriftsteller eindrucksvoll eine Ahnung davon vermittelt, was es heißt, mit Frau und fünf Kindern in einer dicht besiedelten Stadt zu leben, die sieben Wochen lang von einer übermächtigen Militärmaschine aus der Luft, von Land und von See aus mit Raketen, Bomben und Granaten beschossen wird. 3-2016 | rezensionen service Solche Geschichten gab es bestimmt auch aus der tschetschenischen Hauptstadt Grosny oder gäbe es aktuell auch aus Aleppo zu erzählen. Das Besondere an Gaza ist, dass die Leute vor dem Beschuss nicht fliehen können: Sie sitzen buchstäblich in der Falle. Atef Abu Saif schildert die 51 Kriegstage aus Sicht der palästinensischen Zivilbevölkerung als permanenten Ausnahmezustand. Fast täglich sterben bekannte oder verwandte Männer, Frauen und Kinder, jeder fragt sich, ob sein Haus als nächstes getroffen und dem Erdboden gleichgemacht wird. Mit der Zeit wird der Krieg allerdings mehr und mehr zum Normalzustand: Man arrangiert sich, beschäftigt irgendwie die Kinder, solange die nicht auf die Straße dürfen, verlegt das Schlafzimmer ins Treppenhaus, weil das der sicherste Ort im Haus ist, und trifft sich abends mit Freunden, um darüber zu diskutieren, wie lange die neue Feuerpause wohl dauern wird. Dann aber folgt der Horror: Während eines israelischen Luftangriffs hetzen wir mit Abu Saif durch die Straßen des Flüchtlingslagers Jabalia in Gaza und spüren geradezu, wie beim Einschlag der Rakete und der folgenden Explosion der Boden bebt. In nüchter- ner Sprache schildert Abu Saif, wie er nach dem Angriff mit anderen Helfern Teile der zerfetzten Leichen einsammelt, sie auf Laken bettet und in Autos packt, die sie ins Krankenhaus bringen. Atef Abu Saids Buch handelt vom Krieg, aber nicht vom Nahostkonflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Wer welche Schuld an der Eskalation im Sommer 2014 trägt, spielt bei ihm keine Rolle. Das Buch handelt nicht von politischen Hintergründen und militärischen Strategien, es geht nicht um Kämpfer, sondern allein um die Opfer in Gaza. Nur an einigen wenigen Stellen macht sich Abu Saif Gedanken über die israelischen Soldaten in den vorrückenden Panzern oder F-16-Kampfjets. Sie erscheinen ihm als im besten Falle gedankenlose, im schlimmsten Fall sadistische Roboter, die ohne mit der Wimper zu zucken töten, was sich ihnen in den Weg stellt. Das ist aus seiner Sicht gut nachvollziehbar. Beim Leser aber verursacht das einen schalen Nachgeschmack, denn es fehlt etwas: Die in Gaza herrschende Hamas, die diesen Krieg wenn nicht angezettelt, so doch wie ein Lebenselixier gebraucht hat, kommt in dem Buch nicht vor. Tillmann Elliesen Wege der Radikalisierung Der jordanische Politikwissenschaftler Mohammed Abu Rumman hat mit Salafisten gesprochen, um herauszufinden, was junge Menschen in der arabischen Welt in die Hände der Radikalen treibt. Das ist ihm nicht ganz gelungen. Mohammed Abu Rumann Ich bin Salafist Selbstbild und Identität radikaler Muslime im Nahen Osten Dietz Verlag, Bonn 2015 240 Seiten, 19,90 Euro | 3-2016 Salafismus ist zwar in aller Munde, doch darüber, wie sich Salafisten selber sehen, ist wenig bekannt. Der Islamismus-Experte Mohammed Abu Rumman vom Center for Strategic Studies der Universität von Jordanien in Amman hat für die Friedrich-EbertStiftung den Versuch unternommen, anhand der wachsenden salafistischen Szene in Jordanien salafistische Gemeinschaften von innen zu beschreiben. Sie existieren in Jordanien vor allem in den armen östlichen Stadtteilen der Hauptstadt und in der angrenzenden Provinz Zarqa. War das Phänomen zunächst vor allem unter palästinensischen Jordaniern verbreitet, gehören heute immer mehr „ursprüngliche“ Jordanier zur Bewegung dazu. Es war schwierig für Abu Rumman, überhaupt Gesprächspartner zu finden, die zu den Interviews bereit waren. Immerhin 33 Salafisten konnte er ausführlich befragen, warum und wie sie sich der Bewegung angeschlossen haben. Aus den Antworten liest er Grundzüge eines „salafistischen Charakters“ heraus. Dazu benutzt er das Werkzeug der Identitätssoziologie, indem er das Phänomen Salafismus als eine Selbst- und Identitätssuche inmitten von Krisen und ungelösten Fragen deutet, vor denen arabische Gesellschaften stehen. Salafismus interpretiert Abu Rumman so als Verteidigung einer schwachen Identität gegen die Herausforderungen der Moderne und den Druck einer globalisierten Kultur, die in traditionellen Gesellschaften starke Verunsicherung hervorruft. Mit Hilfe einer Vielzahl von Namen und Details vermittelt er einen guten, manchmal etwas trocken zu lesenden Überblick über die breite Palette salafistischer Strömungen, die alles andere als homogen sind. Drei Hauptströmungen macht der Politikwissenschaftler innerhalb des Salafismus aus, die allerdings nicht scharf voneinander abgegrenzt sind: Traditionalisten, die jede politische Mitwirkung ablehnen; Dschihadisten, die die säkularen arabischen Regime als „gottlos“ ablehnen und bekämpfen; und Aktionisten, die zwischen den beiden ersten Lagern schwanken und in ihren Positionen oft am schwierigsten zu bestimmen sind. Die Übergänge sind häufig fließend. Neben beliebten Scheichs als Führungsfiguren spielen dabei auch das Internet und religiöse Fernsehsender eine wichtige Rolle. Die Bewegung ist ständig im Fluss, Allianzen entstehen und zerbrechen schnell. In vielen Einzelfragen sind sich Salafisten uneins, zum Beispiel ob man christliche Freunde haben darf, ob Schachspiel oder Fußball zulässig sind oder wie es sich mit den Körperstrafen verhält. Die Porträts überzeugen jedoch nicht immer. Abu Rumman beschreibt zwar die einzelnen Stationen im Werdegang seiner Gesprächspartner minutiös, trotzdem bleibt der Mensch oft wenig greifbar. Die entscheidenden Bruchlinien im Leben werden nicht sichtbar. Die Frage, warum ein junger Mensch zum Salafisten wird, kann Abu Rumann im Einzelfall nicht überzeugend beantworten. Claudia Mende 61 62 service rezensionen Die Allgegenwart des Todes in Syrien Wer wirklich verstehen will, was in Syrien geschieht, sollte dieses Buch lesen. Samar Yazbek berichtet darin eindringlich vom Krieg – vor allem darüber, was er im Inneren der Gesellschaft anrichtet. Samar Yazbek Die gestohlene Revolution Reise in mein zerstörtes Syrien Nagel & Kimche, München 2015, 286 Seiten, 19,90 Euro Konferenzen und politische Verhandlungen, Luftanschläge und belagerte Städte: Damit sind Berichte über Syrien derzeit untrennbar verknüpft. In Samar Yazbeks Buch geht es um Menschen in dem Kriegsland. Die Autorin befasst sich mit den Schicksalen derer, die in Syrien leben, und mit der Allgegenwart des Todes in einem Land, das in Gewalt versinkt. Die Lektüre wirkt ähnlich wie Kriegsfotografie: Sie führt so dicht an den Konflikt heran, dass es sich manchmal fast voyeuristisch anfühlt; als sei man versehentlich zu nah an etwas derart Privates wie das Sterben anderer Menschen herangerückt. Die Autorin beschreibt Leichen auf der Ladefläche eines Lasters, unter ihnen ein Junge, dessen „honigfarbenes Haar blutgetränkt“ ist, ebenso wie staubige Kellerräume, die unter der Wucht von Fassbomben und Granaten erzittern. Doch sie sieht sich nicht als Krisenreporterin, sondern als Schicksalsverbündete. Samar Yazbeck stammt selbst aus Syrien. Als dort 2011 die Revolution begann, protokollierte die Journalistin die Proteste. Sie befragte Demonstranten, aus der Haft entlassene Rebellen, Polizisten und Soldaten. Wenig später wurde sie selbst verfolgt und floh ins Ausland. Seitdem ist sie mehrmals unter falschem Namen in ihre Heimat zurückgekehrt. Wie sie selbst erklärt, will sie über die Toten der syrischen Revolution berichten und zeigen, dass die Welt ihr Land im Stich gelassen hat. Dabei geht es in dem Buch vor allem um die Lebenden, die sie dort getroffen hat. Darunter sind Frauen, deren Männer im Kampf gegen das Regime Baschar al-Assads gestorben sind, aber auch Dschihadisten sowie Freunde, mit denen sie früher ge- meinsam gegen das politische System protestierte. Für ihre Aufzeichnungen hat sie gefährliche Wege auf sich genommen, etwa in die Stadt Maarat al-Numan, in der Rebellen und Regierungstruppen heftige Gefechte austrugen. Das Buch liest sich wie ein sprachlich ausgefeilter Tagebucheintrag über eine grauenhafte Reise. Denn die Autorin schreibt auch über das eigene Entsetzen hinsichtlich ihrer zerfallenden Heimat. Das ist genauso ansteckend wie die Wut, die sie über Plünderungen, Missbrauch und Morden seitens des Militärs empfindet. Hinzu kommt, dass die Autorin selbst Alawitin ist, also derselben Religionsgruppe angehört wie Assad. Für die Rebellengruppen ist das ein Grund, sie zu hassen. Yazbek verzweifelt mehr als einmal daran, dass sie ihre Identität verheimlichen muss. „Ich bin keine Alawitin, und Du bist kein Sunnit. Ich bin Syrerin und Du bist Syrer“, versucht sie einmal, einem Kämpfer zu erklären – und stößt damit nur auf Unverständnis und noch mehr Hass. Auch dafür lohnt es sich, das Buch zu lesen. Es macht auf erschreckende Weise klar, wie vertrackt die gesellschaftlichen Geflechte sind. Nichts ist mehr eindeutig, schreibt Yazbek: Bataillone kämpfen gegen Bataillone, die Revolution wurde durch das Militär vernichtet; religiöse Extremisten verbreiten bestialischen Schrecken, Kinder tragen Waffen. Und sie alle unterlägen der „absoluten Herrschaft eines tödlichen Himmels“, von dem es Bomben regnet. Das Schicksal der Menschen sei der beste Beweis für den moralischen Verfall der Menschheit, hält sie am Ende des Buches fest. Nicht nur der IS, sondern auch Assad und das lange Stillhalten der internationalen Staatengemeinschaft trügen Schuld an der Gewalt in Syrien, hätten sie doch den Nährboden für religiösen Extremismus geschaffen. Es ist traurig, dass sie damit wahrscheinlich Recht hat. Hanna Pütz Wirtschaftskritik als Passionsgeschichte Mit Hilfe der Kreuzwegmetapher schildern die Autoren, wie eine auf Wachstum und Konsum ausgerichtete Wirtschaft Not und Hunger verursacht. Und setzen ihre Hoffnungen auf den nachhaltigen Konsum. Josef Nussbaumer Leidenswege der Ökonomie Studia Universitätsverlag, Innsbruck 2015, 272 Seiten, 19,90 Euro Das Buch bedient sich der Leidens- und Kreuzwegmetapher, um die wirtschaftliche Ungerechtigkeit der Welt aufzuzeigen. „Viele der Betroffenen sind von Geburt an zum Hunger verurteilt, ihr Leben lang beschreiten sie die vielen Stationen eines täglichen Leidensweges und jeden Tag verhungern sie ein Stückchen, um schließlich einen vorzeitigen Tod zu sterben“. So beginnt das erste Kapitel des Buches oder, wie es heißt, die Erste Station auf dem Leidensweg. Mit dem Thema Hunger hat sich der Innsbrucker Professor Josef Nussbaumer schon in mehreren Büchern befasst. Dabei widmet er sich nicht den großen Hungerkatastrophen der Geschichte, sondern vielmehr dem alltäglichen Hunger heute und dessen Ursachen. „Für die Produktion von 50 Litern (eine Tankfüllung) Bioethanol benötigt man 232 Kilogramm Mais. Davon könnte ein Kind in Sambia oder Mexiko ein Jahr lang leben“. Die Autoren überdehnen die christliche Metaphorik dabei nicht. Statt auf der klassischen Via Dolorosa bewegen sie sich auf einem selbst entworfenen Weg, der schließlich ins Schlusskapitel „Hoffnung“ mündet. Das ist auch notwendig, denn in den Stationen, die von der Produktion und dem Konsum 3-2016 | rezensionen service von Nahrungsmitteln über die Ressourcen bis zu den Themen Verteilung, Müll und Klima reichen, kann man schon an der Welt verzweifeln. Sie tischen dabei keinesfalls neue Tatsachen auf, sondern vielmehr Fakten, die allgemein bekannt sind oder bekannt sein könnten. Zusammengefasst und ergänzt werden sie durch im Telegrammstil verfasste Splitter namens „Einfach zum Nachdenken“. Da heißt es etwa zum Thema Beifang im Kapitel „Meer“: „Meeresschildkröten, Haie oder Delfine verenden qualvoll in den Netzen. Insgesamt gibt es Jahr für Jahr 38 Millionen Tonnen Beifang, das entspricht 40 Prozent des weltweiten Fischfangs“. Oder zur Entwaldung: „Durch die Zerstörung der Wälder verliert die Weltwirtschaft zwei bis fünf Billionen Dollar pro Jahr“. Die erschreckenden Zahlen, die auch mit Quellenhinweisen belegt werden, zeigen, dass ein solches Verhalten auch der ökonomischen Vernunft widerspricht. Auf moralisierende Belehrung verzichten die Autoren, denn die Botschaft kommt auch so an. Wenn wir so weiter wirtschaften, wie bisher, schaufeln wir unser eigenes Grab. Oder, wie der im Vorspann zitierte Papst Franziskus es knackig ausdrückt: „Diese Wirtschaft tötet“. Die gute Nachricht: Die Erde ist imstande, die Menschheit weiterhin zu ernähren, auch wenn die – den Prognosen entsprechend – weiter wächst. Von einem Konsum, der nach dem Motto „mein Auto, mein Haus, mein Boot“ auf den althergebrachten Sozialstatus setzt, werden wir uns aber verabschieden müssen. Initiativen für nachhaltigen Konsum und ein Wandel bei den gängigen Statussymbolen lassen die Autoren hoffen, dass die Konsequenzen aus den aufgelisteten Bedrohungen schließlich doch irgendwann gezogen werden. Ralf Leonhard Informiert protestieren Der Widerstand gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP ist groß. Zwei neue Bücher analysieren Ängste und Versprechen – und liefern den Gegnern wichtige Argumente. Petra Pinzler Der Unfreihandel Die heimliche Herrschaft von Konzernen und Kanzleien Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg 2015, 288 Seiten, 12,99 Euro Ferdi de Ville, Gabriel Siles-Brügge TTIP The Truth about the Transatlantic Trade and Investment Partnership Polity-Verlag, Cambridge 2015, 160 Seiten, ca. 17,50 Euro | 3-2016 Petra Pinzler hat das weitergehende Buch geschrieben. Die Wirtschaftsjournalistin stellt – aufgehängt an den aktuellen Diskussionen über TTIP, den Freihandelsvertrag mit Kanada CETA und das Dienstleistungsabkommen TISA – das globale Handelssystem insgesamt auf den Prüfstand. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit sei ein internationales „Schattenregime“ entstanden; Handelspolitiker und Lobbyisten hätten ihre eigenen Regeln geschaffen, die vor allem multinationalen Konzernen und der „Zerstörung der Natur und des Menschen“ dienten, diagnostiziert sie. Mit Verschwörungstheorien wartet die ZEIT-Redakteurin aber nicht auf. Im Gegenteil: Nüchtern und verständlich geht sie den Bedenken auf den Grund, das Abkommen werde Sozial- und Umweltstandards senken und ärmeren Ländern Nachteile auf dem internationalen Markt verschaffen. Pinzler belegt mit vielen Beispielen, wie berechtigt diese Ängste sind – beim Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft etwa oder Substanzen in Kosmetika, die in Europa verboten, aber in den USA erlaubt sind. Oder im Blick auf die Rechte von Arbeitnehmern, die in den Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahren deutlich abgebaut worden sind. Weitere Kapitel widmet sie den besonders umstrittenen privaten Schiedsgerichtsverfahren, bei denen Firmen Staaten verklagen können, wenn sie durch deren Gesetze die Rentabilität ihrer Investitionen in Gefahr sehen. Sie beschreibt, wie die Verfahren zu einem milliardenschweren Markt für Anwaltskanzleien und Konzerne geworden sind. Und sie erklärt, wie die Privatwirtschaft mit Hilfe solcher Gerichte Gesetze bereits im Vorfeld zu verhindern sucht. Die Schiedsgerichte stehen zwar bei TTIP zur Diskussion, sind im CETA-Abkommen jedoch bereits festgeschrieben. Der britische Politikwissenschaftler Gabriel SilesBrügge und sein Genfer Kollege Ferdi de Ville beschränken sich in ihrem Buch auf die Auseinandersetzung mit TTIP. Auch sie nehmen Argumente von Gegnern und Befürwortern unter die Lupe und kommen zu dem Schluss, dass sowohl die damit verknüpften Ängste als auch die Versprechen derzeit übertrieben werden. Ihr Ziel ist es, die Debatte zu versachlichen – und ihr vor allem in den USA eine größere Öffentlichkeit zu verschaffen. Denn im Gegensatz zu Europa sehen sie jenseits des Atlantiks noch zu wenig „politische Reife“ in den Diskussionen. Petra Pinzler, Gabriel Siles-Brügge und Ferdi de Ville würdigen den Widerstand gegen TTIP und bescheinigen ihm eine große Kraft für Veränderungen: Bürgerinnen und Bürger wehren sich gegen Geheimverhandlungen, sie fordern Beteiligung und mehr demokratische Kontrolle. Darüber hinaus würdigen die Autoren die bereits erzielten Erfolge. Sie teilen aber auch die Skepsis, dass sich das Abkommen tatsächlich noch stoppen lässt beziehungsweise dass es gelingt, höhere Umwelt- und Sozialstandards darin festzuschreiben, die weltweit Schule machen könnten. Pinzlers Buch ist leichter zugänglich, sie schreibt anschaulich und lässt die Leserinnen und Leser an vielen ihrer Gespräche mit Vertretern von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft direkt teilhaben. SilesBrügge und de Ville kommen wissenschaftlicher und theoretischer daher. Doch beiden Büchern ist eine breite Aufmerksamkeit zu wünschen, diesseits und jenseits des Atlantik, in der Zivilgesellschaft und in der Politik. Gesine Kauffmann 63 64 service rezensionen Schwarzer Humor aus dem Iran Mojgan Ataollahis Roman bricht mit dem Klischee der leidenden, aber kämpfenden Frau und inszeniert stattdessen auch mal das groteske Scheitern. Mojgan Ataollahi Ein leichter Tod Residenz-Verlag, Salzburg 2015, 182 Seiten, 17,90 Euro Es könnte eine Geschichte aus irgendeinem Land der Erde sein: Eine Frau wird von ihrem Ehemann misshandelt, trennt sich von ihm, das Scheidungsverfahren zermürbt sie, Beziehungen mit anderen Männern scheitern. Sie wird depressiv, will aus dem Leben scheiden. Aber dieser Roman bietet dank Mojgan Ataollahis Schreibkunst weit mehr als das. Und ist dabei keineswegs langweilig oder vorhersehbar. Allerdings ist es nicht die Handlung, die überrascht – sie nimmt tatsächlich keine wirklich unerwarteten Wendungen. Dass die Hauptfigur des autobiografisch gefärbten Werkes ihre Suizidabsicht schließlich nicht in die Tat umsetzen wird, weiß man von vornherein. Doch fesselt Mojgan Ataollahi, die im Iran bislang lediglich einen Lyrikband veröffentlichen durfte, mit dieser weltweiten Erstpublikation gerade dadurch, dass sie das Klischee der leidenden, aber kämpfenden, der unterdrückten, aber zur Selbstbestimmung findenden Frau immer wieder bricht. Denn mit der Selbstbestimmung tut sich die Protagonistin schwer. Sie heißt wie die 1981 geborene Autorin Mojgan und ist ebenso alt. Sie trägt ein Kopftuch, das jedoch immer wieder herunterrutscht, vor allem in unpassenden Momenten. Groteskes Scheitern begleitet sie, beginnend schon auf den ersten Buchseiten: Im Haus ihrer Eltern in Teheran, in das sie nach der Flucht vor ihrem Mann zurückgekehrt ist, will Mojgan sich das Leben nehmen. Sie sucht nach einer selbstbestimmten Todesart, die sanft und schmerzlos sein soll. Sie probiert es mit einer „Reistablette“, einem zyanidhaltigen Schädlingsbekämpfungsmittel zum Schutz von Reisvorräten. Das vermeintliche Gift erweist sich jedoch als Grippemittel. Mojgan beschafft sich erneut eine Reistablette, diesmal eine echte, und beschließt: „Zumindest in der Todesstunde sollte man von Störenfrieden befreit sein.“ Sie zieht sich daher in ein Haus in einer Küstenstadt zurück. Es ist eine Bruchbude, überall liegen tote Kakerlaken, die ihre Beine in die Luft strecken; viele andere der Tierchen sind noch lebendig. Mit Insektenspray kämpft Mojgan gegen die Kakerlaken. Gegen menschliche Schädlinge stellt sie jeden Abend ein Paar Männerschuhe in den Hof, um den Eindruck zu erwecken, es sei ein Mann in der Wohnung. Doch dem leichten Tod in absoluter Einsamkeit stehen nicht nur die Schaben in ihrer Behausung und potenzielle Eindringlinge von außen entgegen, sondern auch ihre eigenen Gedanken. Es sind die „abscheulichen Erinnerungen und unmenschlichen Erfahrungen“ ihres Lebens, die nun vor ihrem geistigen Auge vorbeiziehen. Diese Erinnerungen zeigen Mojgan als eine Person, die keineswegs immer alles passiv über sich ergehen ließ. Als Kind zum Beispiel hatte sie schwache Hände, aber auch den großen Wunsch, einem älteren Nachbarjungen, der sie immer wieder mit dem Moped verfolgte, einen Fausthieb zu versetzen. Sie stählte sich, indem sie jeden Tag mit einem Lineal auf ihre Handflächen und Handrücken schlug. Ihre Familie glaubte, es handele sich um einen Fall von Masochismus. Aber irgendwann war sie soweit, dass sie gegen eine Wand hauen und sie eindellen konnte. Und dann erwischte sie den Nachbarjungen, ihre Faust landete auf seinem Auge. Trotz solcher Wehrhaftigkeit wird sie immer wieder Opfer von Übergriffen und Gewalt. Selbst sehr brutale Szenen sind dabei nicht ohne Situationskomik. Denn die Autorin schildert sie mit dem ihr eigenen schwarzen Humor jenseits der Klischees, der den Roman lesenswert macht. Anja Ruf Impressum www.welt-sichten.org Redaktion: Bernd Ludermann (bl, verantw.), Tillmann Elliesen (ell), Barbara Erbe (erb), Gesine Kauffmann (gka), Hanna Pütz (hap, Volontärin), Sebastian Drescher (sdr, online) Die Rubrik „Global-lokal“ erscheint in Kooperation mit der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt/Engagement Global gGmbH. Emil-von-Behring-Straße 3, 60439 Frankfurt/Main; Postfach/POB 50 05 50, 60394 Frankfurt/Main Telefon: 069-580 98 138; Telefax: 069-580 98 162, E-Mail: [email protected] Anzeigenleitung: Yvonne Christoph, m-public Medien Services GmbH, Zimmerstraße 90, 10117 Berlin, Telefon: 030-325321-433, www.m-public.de Ständig Mitarbeitende: Kathrin Ammann (kam), Bern; Katja Dorothea Buck (kb), Tübingen; Heimo Claasen (hc), Brüssel; Ralf Leonhard (rld), Wien; Claudia Mende (cm), München; Theodora Peter (tp), Bern; Rebecca Vermot (ver), Bern; Marina Zapf (maz), Berlin Druck: Strube Druck&Medien OHG, Stimmerswiesen 3, 34587 Felsberg Ansprechpartner in Österreich: Gottfried Mernyi, Kindernothilfe Österreich, 1010 Wien, Dorotheergasse 18 Herausgeber: Verein zur Förderung der entwicklungspolitischen Publizistik e.V. (VFEP), Klaus Seitz (Vorsitzender), Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst, Caroline-Michaelis-Straße 1, 10115 Berlin Mitglieder im VFEP: Brot für alle (Bern), Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst (Berlin), Christoffel-Blindenmission (Bensheim), Fastenopfer (Luzern), Kindernothilfe (Duisburg), Misereor (Aachen) Grafische Gestaltung: Angelika Fritsch, Silke Jarick Verlegerischer Dienstleister: Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH, Frankfurt am Main Preis der Einzel-Nr.: 5,50 Euro / 7,80 sFr zuzügl. Versandkosten Preis im Jahresabonnement: 49,20 Euro, ermäßigt 36,90 Euro. Preisänderungen vorbehalten. ist die Nachfolgezeitschrift von „der überblick“ und „eins Entwicklungspolitik“. ISSN 1865-7966 „welt-sichten“ 3-2016 | termine service Anzeige termine – veranstaltungen Bundesweit 10. bis 23. März 2016 Internationale Wochen gegen Rassismus Stiftung für die Internationalen Wochen gegen Rassismus Kontakt: Tel. 06151-3399-71 www.internationale-wochengegen-rassismus.de Bonn 14. bis 16. April 2016 WeltWeitWissen Kongress – Globales Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung Eine-Welt-Landesnetzwerke Kontakt: Tel. 0251-28-4669-0 www.weltweitwissen2016.de Bensheim 14. bis 15. April 2016 Inklusion von Menschen mit Behinderungen in Projekten der Entwicklungszusammenarbeit Christoffel-Blindenmission (CBM) Kontakt: Tel. 06251-131-131 www.cbm.de Hofgeismar 8. bis 10. April 2016 Im Zeichen der Menschenrechte. Die Flüchtlinge und wir Evangelische Akademie Hofgeismar Kontakt: Tel. 05671-881-200 www.akademie-hofgeismar.de Kochel am See 8. bis 10. April 2016 Was wird aus TTIP? – Mechanismen und Verhandlungslogik hinter dem Freihandelsabkommen 18. bis 22. April 2016 Schwellenländer auf dem Vormarsch: Weltordnung im Umbruch? Georg-von-Vollmar-Akademie Kontakt: Tel. 08851-780 www.vollmar-akademie.de Königswinter 17. bis 19. April 2016 Letzter Ausweg Lampedusa Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland Stiftung ChristlichSoziale Politik e.V. Kontakt: Tel. 02223-73-123 www.azk-csp.de | 3-2016 Lutherstadt Wittenberg 11. bis 13. März 2016 Freiheit, Gleichheit, Menschlichkeit Geschlechtergerechtigkeit in der Einen Welt Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt Kontakt: Tel. 03491-49-88-0 www.ev-akademie-wittenberg.de Eine südafrikanische Biografie Rehburg-Loccum 15. bis 17. April 2016 Im staatlichen Auftrag oder in politischer Selbstständigkeit? Zivilgesellschaftliche Akteure der Konfliktbearbeitung im In- und Ausland Evangelische Akademie Loccum Kontakt: Tel. 057-66-81-0 www.loccum.de Schwerte 14. bis 15. April 2016 Humanitäre Hilfe als gesellschaftliche Aufgabe? Evangelische Akademie Villigst Kontakt: Tel. 02304-755-324 www.kircheundgesellschaft.de Stuttgart 31. März bis 3. April 2016 Messe für Fair Trade und global verantwortungsvolles Handeln Stiftung EntwicklungsZusammenarbeit BadenWürttemberg (SEZ) Kontakt: Tel. 0711-185-60-0 www.messe-stuttgart.de Stuttgart 2. April 2016 Entwicklungspolitische Landeskonferenz 2016 Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung Evangelische Akademie Bad Boll Kontakt: Tel. 07164-79-0 www.ev-akademie-boll.de Weingarten 10. bis 15. April 2016 13. Weingartener Woche zum Einwanderungs- und Flüchtlingsrecht Tagung für Studierende der Rechtswissenschaften Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart Kontakt: Tel. 0711-1640-600 www.akademie-rs.de 2014. 270 Seiten. Kart. 19,90 € (D), 20,50 € (A) ISBN 978-3-8474-0171-1 eISBN 978-3-8474-0443-9 Michael Lapsley Mit den Narben der Apartheid Vom Kampf für die Freiheit zum Heilen traumatischer Erinnerungen mit Stephen Karakashian Vorwort von Desmond Tutu Übersetzt von Hélène und Dieter Rybol Father Michael Lapsley verlor als Kämpfer gegen die Apartheid bei einem Briefbombenattentat beide Hände und eines seiner Augen. In seiner Autobiografie erzählt er von diesem entsetzlichen Ereignis – und davon, wie er seine eigene traumatische Erfahrung umgelenkt hat und sie nun, als Leiter des Institute for Healing of Memories, für die Heilung anderer Traumatisierter auf der ganzen Welt nutzt. Stimmen: Das ist eines der bewegendsten Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Rupert Neudeck Michaels Leben ist eine faszinierende Metapher… Nelson Mandela shop.budrich-academic.de • [email protected] 65 66 service termine termine – kulturtipps Facetten der Schönheit Schönheit und Idyll: Der Künstler Didier Ahadsi aus Togo hat diese Figurenszene aus Blech gestaltet. Paul Schimweg/ museum für völkerkunde hamburg Das Museum für Völkerkunde Hamburg widmet sich in seiner Ausstellung unterschiedlichen Berlin bis 30.04.2016 Ein Gott – Abrahams Erben am Nil Juden, Christen und Muslime in Ägypten von der Antike bis zum Mittelalter Der titelgebende Abraham gilt als wichtiges Bindeglied zwischen Judentum, Christentum und Islam. In Ägypten teilen sich diese großen Religionen eine lange gemeinsame Geschichte. Die Ausstellung will das religiöse Leben von der Römerzeit bis zum Ende der Fatimiden-Herrschaft im 12. Jahrhundert beleuchten. Während dieser Zeit lebten die drei Weltreligionen dort friedlich miteinander. Rund 150 Ausstellungsobjekten sollen dem Besucher vermitteln, wie der Alltag in Ägypten aussah. Zu sehen sind zum Beispiel die Überreste der jeweiligen heiligen Schriften, die alle in Ägypten gefunden wurden. Ebenso wird die Baugeschichte von Synagogen, Kirchen und Moscheen erörtert. Fotografien aus der jüngeren Zeit ergänzen die Ausstellung. Bode-Museum Kontakt: Tel. 030-266-4242-42 www.smb.museum.de Schönheitsidealen Afrikas. Sie illustrieren, dass sich die europäischen Vorstellungen von „typisch Karlsruhe 5. März bis 4. September 2016 New Sensorium – Exciting from Failures of Modernization Die Ausstellung präsentiert Werke asiatischer Künstler, die sich mit Globalisierung und digitalen Technologien befassen. Sie wollen zeigen, wie das digitale und das tatsächliche Leben miteinander verbunden sind. Viele der Künstler sind mit neuen Technologien aufgewachsen und haben gleichzeitig die ideologischen und wirtschaftlichen Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte in Asien mitbekommen. Gleichzeitig existieren noch viele alte Traditionen. Die Werke von rund 15 Künstlern dieser Generation sind in Karlsruhe zu sehen. Dazu gehören Videoinstallationen, Skulpturen und Zeichnungen. Die Ausstellung beleuchtet die Zukunft der neuen Medien, will aber auch die Beziehung zwischen ihnen und der greifbaren Welt hinterfragen. Zentrum für Kunst und Medientechnologie Kontakt: Tel. 0721-8100-0 www.zkm.de afrikanischem“ Aussehen teils stark von der Wirklichkeit unterscheiden. Obwohl Afrika längst Teil der internationalen Modeindustrie ist, halten sich dort auch noch traditionelle Schönheitsideale. Sie zeigen sich in der Bemalung des Körpers oder in bestimmten Frisuren, die sich teilweise wiederum in westlichen Ländern durchgesetzt haben. Schmucknarben oder Tattoos und sogar das Spitzfeilen der Vorderzähne werden in einigen Subkulturen bereits kopiert. Die Ausstellung beleuchtet auch vergangene afrikanische Schönheitsideale. So präsentiert sie Masken und Skulpturen, die bis zu 500 Jahre alt sind. Beispiele aus der Modewelt zeugen davon, welchen Einfluss afrikanische Kassel Schönheitsideale weltweit haben. Eine Wand aus Titelblättern europäischer Modemagazine zeigt die wachsende Anzahl afrikanischer Models; auf Monitoren laufen Modenschauen, und auch die erste Barbie-Puppe Afrikas ist zu sehen. Die Ausstellungsstücke stammen zum großen Teil aus der Sammlung des Museums und wurden durch Objekte afrikanischer Partner – zum Beispiel des Modeschöpfers Diouma Dieng Diakhate aus dem Senegal – ergänzt. Hamburg bis 6. November 2016 Africa’s Top Models Schönheitsideale – Ideale Schönheit Kontakt: Tel. 040-428-879-0 www.voelkerkundemuseum.com Koblenz bis 1. Mai 2016 Images Mit der Frage, wie Bilder wahrgenommen werden und welchen Einfluss die Bilderflut im Internet auf die menschliche Wahrnehmung hat, beschäftigt sich die Ausstellung „Images“ im Kasseler Museum für Gegenwartskunst „Fridericianum“. Die dort gezeigten Arbeiten untersuchen die Wandelbarkeit von Bildern. Der documenta-Künstler Pierre Huyghe lässt in einer Installation gemeinsam mit Philippe Parreno eine animierte Figur in einem kurzen Film ihren eigenen Tod erzählen. Die Arbeit von Seth Price zeigt die Enthauptung eines Amerikaners durch Dschihadisten im Irak aus dem Jahr 2004: Der Künstler hat ein Bild aus dem Video in roter Farbe auf eine Plastikfolie gebracht. Insgesamt sind die Werke von neun internationalen Künstlern zu sehen, darunter Trisha Donelly, Cory Arcangel und Mark Leckey. bis 10. April 2016 Grimanesa Amorós. Ocupante Die peruanisch-amerikanische Licht- und Videokünstlerin Grimanesa Amorós zeigt in Koblenz, im Museum Ludwig direkt am Zusammenfluss von Mosel und Rhein, bunte und großformatige, dreidimensionale Lichtinstallationen. Amorós lebt und arbeitet in New York. Ihre Werke standen bereits auf dem Time Square, außerdem waren sie in Mexiko, Tel Aviv und Peking zu sehen. Sie alle sollen Geschichte und Lebensweise der jeweiligen Ausstellungsstätte widerspiegeln. Viele von Amorós‘ Lichtinstallationen nehmen Bezug auf die Sozialgeschichte und Kultur ihrer Heimat Peru. Im Ludwig Museum stellt sie außerdem ihre neue Videoarbeit „Ocupante“ vor, die sich mit der Suche nach Schönheit und Poesie in der Kunst befasst. Die Installation ist die erste Ausstellung der Künstlerin in Deutschland. Fridericianum Kontakt: Tel. 0561-707-27-20 www.fridericianum.org Ludwig Museum Koblenz Kontakt: Tel. 0261-3040-412 www.ludwigmuseum.org 3-2016 | Verschenken Sie Es lohnt sich! 2-20 16 5,50 € | 7,80 sFr ichten www.welt-s Unser Dankeschön: febr uar .org en m auf Rat Solarstro gen Afrik A: zur Einsicht brin is iE fü r r Par En Erg : Mörde en aus ismus Versprech isl Am z: Leere sch ut klimA 5,50 € | 7,80 sFr Maga glo ba zin für le en tw ick uM un d ök lun g en ische zu saM Mena www.welt-sichten .org rbeit 3-2016 März AGENDA 2030: Schl uss mit der Politik der ÄTH IOPIEN: Widersprüch Hunger, doch e! SÜDAFRIKA: keine Kata Traumathera strophe pie nach eige nem Rezept Mag azin en r are kille unsichtb für glo bale ent wicklu ng und öku Men isch e zus aMM ena rbei t s eu c h l.indd mschlag 1602_U . 16 13:45:48 25.01.20 Sie machen mit einem -Abonnement jemandem eine Freude – wir bedanken uns dafür mit einem Buch. Sie haben die Wahl: Lernen Sie in „Das Geständnis der Löwin“ die dunklen Geheimnisse einer Dorfgemeinschaft kennen oder begeben Sie sich in dem haitianischen Voodoo-Krimi „Schweinezeiten“ in den Kampf gegen Verbrechen, Korruption und okkulte Mächte. 1 sachlich kritisch gründlich fl uc ht un d m ig ra tio Umschlag 3-2016.indd 1 Dahin, wo n es besser ist 22.02.2016 15:29:43 Sie schenken Denkanstöße: Im nächsten Heft Entwicklungsbanken Finanzinstitutionen wie die Weltbank oder die KfW investieren Milliarden in Entwicklungsländern. Wie verhindern sie, dass dabei die Umwelt geschädigt oder Menschenrechte verletzt werden? Wie fördert der deutsche Entwicklungsfinanzierer DEG Privatunternehmen in Afrika? Welche Absichten verfolgt China mit der neuen Entwicklungsbank AIIB? Und warum kommt die lateinamerikanische Banco del Sur nicht in Gang? Windkraft in Brasilien analysiert, hinterfragt, erklärt und macht neugierig. Die Zeitschrift bietet Reportagen, Interviews und Berichte über die Länder des Südens und globale Fragen. Jeden Monat direkt ins Haus. Mia Couto Das Geständnis der Löwin Unionsverlag, 2016 280 Seiten Gary Victor Schweinezeiten Unionsverlag, 2016 130 Seiten Im Nordosten von Brasilien sollen große Windkraftprojekte entstehen. Die Anwohner werden vom sauberen Strom jedoch kaum profitieren. Ihre Bestellmöglichkeiten: Ich bezahle das Geschenkabonnement. Telefon: 069/58098-138 Fax: 069/58098-162 E-Mail: [email protected] Post: Einfach den Coupon ausfüllen und abschicken an: Redaktion „welt-sichten“ Postfach 50 05 50 60394 Frankfurt/Main Ausgabe 5-2016 Bitte schicken Sie die Zeitschrift an: Name, Vorname StraSSe, Hausnummer Postleitzahl, Ort „Das Geständnis der Löwin“ von Mia Couto „Schweinezeiten“ von Gary Victor An diese Adresse erhalte ich meine Buchprämie und die Rechnung: Name, Vorname Ja, ich verschenke ein Jahresabonnement von (12 Ausgaben). Es beginnt mit Ausgabe 4-2016 Es kostet 49,20 Euro inklusive Porto in Deutschland, 62,40 Euro in Europa (ab Mai 51,00 bzw. 64,80 Euro). Das Geschenkabonnement läuft ein Jahr und verlängert sich nicht automatisch. Als Dankeschön erhalte ich, sobald das Abonnement bezahlt ist: StraSSe, Hausnummer Ausgabe ___-2016 Postleitzahl, Ort Datum, Unterschrift Sie möchten lieber online bestellen oder per Bankeinzug zahlen? Auf unserer Website www.welt-sichten.org können Sie unter „Abonnement“ ein Abo verschenken. Dort finden Sie ein Formular für ein SepaMandat, mit dem Sie bequem per Bankeinzug bezahlen können. Die Welt ist voller guter Ideen. Lass sie wachsen. Werde Teil spannender Projekte und hilf Menschen wie Aminata Compaoré, die Landwirtschaft in Burkina Faso zu revolutionieren. Ihre ganze Geschichte unter www.misereor.de/aminata
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