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Begegnung mit
Lissabon
Eike Jochen Schniebs
Prolog
Enttäuschung ist der Grund, weswegen ich jetzt hier sitze.
„Enttäuschung?“, werden Sie fragen. „Wieso Enttäuschung?
Es gibt nicht viel Schöneres in Europa, als am Tejo zu sein,
Zeit zu haben und im Rücken die wundervolle Stadt Lissabon
raunen zu hören.
Das ist so. Klar!
Aber ich wollte dies mit meinen Kindern, zwölf und vierzehn Jahre alt, erleben. Sie fanden Einwände und Ausflüchte. Also kein Familienurlaub.
Was jetzt? Der Urlaub war in der Firma eingeplant. Die Tage
rückten näher und näher, und ich wusste noch immer nicht,
was ich machen sollte.
Die erste und einzige Flugreise meiner Familie ging damals
an die Algarve. Für vierzehn Tage. Ein grandioser Urlaub.
Aus historischer Sicht ein Muss: Lissabon. Von hier aus stachen die Flotten der großen Entdecker wie Vasco da Gama in
See und begründeten Macht und Reichtum Portugals. Letzteres schlug sich in der Stadt mit prachtvollen Bauten nieder.
Ich höre den Kleinbürger. Der kleine Spießer in mir. Der stets
Anteil daran hat, wenn ich einen Schritt nicht wage, wegen
seiner ständigen Vorhaltungen und Bedenken.
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Und jetzt sein erneutes Geheul: „Was?! Du willst nach Lissabon? Allein? In diese große, fremde Stadt? In einem fremden
Land? Das hast Du noch nie gemacht! Du brauchst doch jemanden, der Dich begleitet, mit dem Du Dich austauschen
kannst.“
Ein bisschen hat er Recht. Ich brauche die Kommunikation. In Lissabon selbst wird sie kaum möglich sein, denn ich
kann kein Portugiesisch. Gut, es wird dort viel Englisch gesprochen, nur leider habe ich in der Schule nicht aufgepasst.
Und meine deutsche Muttersprache? Dazu muss man sagen,
dass die Portugiesen die Deutschen als Touristen noch nicht
recht erkannt haben. Infos gibt es meist nur in Englisch,
bestenfalls noch in Französisch und Spanisch.
Ich deute dem Kleinbürger in mir zu schweigen und beginne
mit den Vorbereitungen. Einen Lissabon-Reiseführer habe
ich mir vor einigen Monaten aus Interesse gekauft. Wichtiger
ist der Flug. Bei einem Freund stöbere ich im Internet. Dabei
fallen mir die Augen aus dem Kopf, als ich die Preisunterschiede sehe. Von annehmbaren 300 Euro bis sagenhaft unverschämten 1.600 Euro erstreckt sich die Spanne.
Ich buche nicht.
Der Kleinbürger brummelt unaufhörlich und verunsichert
mich. Abends telefoniere ich mit meiner lieben Freundin
Tina.
Als sie mich hilfsbereit fragt, ob sie nach einem Flug schauen solle, zögere ich. Und zögere. Blöder Kleinbürger!
„Was jetzt!?“
„Gut Tina. Guck ins Internet. Ruf mich an, wenn du was
entdeckt hast.“
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Zu einer Unzeit, zwei Uhr nachts, klingelt das Telefon. Sie
hat Hin- und Rückflug für 219 Euro gefunden.
Wieder zögere ich. Dieser blöde Kleinbürger in mir. Wieder
fragt Tina: „Was jetzt?!“
Endlich gebe ich mir einen Ruck. „Ja!“, sage ich.
Tina bucht und der Kleinbürger schweigt.
In etwa vierzig Stunden geht der Flieger. Ich muss Kontakt
mit dem Reisebüro aufnehmen, muss per Blitzüberweisung
und zusätzlichem Fax das Geld transferieren. Der Rucksack
muss gepackt werden. Und wie komme ich nach Frankfurt
zum Flughafen?
Der Kleinbürger lacht. „Naaa? Bisschen kurzfristig, was?“
Er hat Recht.
Ich muss Tina ein zweites Mal in Anspruch nehmen. „Ja“,
sagt sie, „ich bringe dich hin. Lässt das Auto bei mir vor der
Tür stehen.“
Die liebe Seele. Sie lädt mich sogar ein, schon den Abend
zuvor zu kommen. Haben seit langem keine Gelegenheit gehabt, ausführlich miteinander zu sprechen.
Freunde braucht man.
Wir sitzen bis spät in die Nacht. Trotzdem stellt sich danach
kein Schlaf ein. Der Kleinbürger klopft auf den Nerven herum. Ich habe schließlich nichts als einen handgeschriebenen Zettel mit Rechnungs-Nummer, Buchungs-Nummer und
Flugdaten. Kein Stück offizielles Papier, kein Ticket. Nichts.
Ich habe schlecht geschlafen, dafür lange.
Die Stunden wollen nicht vergehen.
Ich gehe das dritte Mal aufs Klo.
Der Kleinbürger gibt keine Ruhe. Deshalb bitte ich Tina, los-
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zufahren. Es könnte immerhin ein Stau am Frankfurter Kreuz
sein. Außerdem muss ich mich wegen des Tickets am Flughafen kundig machen. Sie lächelt, ist aber voller Verständnis.
Wir fahren problemlos. Ich gehe zum Schalter der TAP, wo
mir freundlich Auskunft erteilt wird und mein Flug natürlich
gebucht ist. Der Kleinbürger verstummt.
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Sara
Da stehe ich im Transitraum. Leises Stimmengewirr. Fast alle
Plätze sind besetzt. Der Flieger wird voll werden. Viele Menschen sind von etwas dunklerer Hautfarbe.
Es ist noch Zeit bis zum Abflug. Ich suche mir einen Platz und
schließe kurz die Augen. Der Kleinbürger in mir kichert leise:
„Ziemlich spät.“
Ich zucke mit den Achseln. Weiß ich selber, denke ich.
„Naja“, sagt er. „Es wird Nacht sein. Die Nacht von Lissabon.“
Er hat Recht! Das Blut hetzt durch die Adern, die Stirn befeuchtet sich. Ich hätte daran denken müssen! Dabei hat
der Reiseführer ausführlich Auskunft gegeben: Spät abends
fährt kein Pendelbus mehr. Und die Taxifahrer würden gern
betrügen. Schon gleich nach der Ankunft wollte ich mich
nicht übers Ohr hauen lassen. Was jetzt?!
In mein Überlegen hinein kichert er nochmals, leise summt
der Kleinbürger: „Es ist Nacht in Lissabon, jajaja, es ist Nacht
in Lissabon.“
Uff! Na klar! Ich bin losgezogen, absichtlich, ohne mich um
etwas zu kümmern. Vor die Situation gestellt und handeln.
Über die Stirn legt sich neuerlicher Schweiß. Eine wildfremde Stadt, und ich werde am Flughafen stehen und nicht
wissen wohin.
Hämisches Kichern. „Ich habe es Dir gesagt. Es ist alles nicht
so einfach.“
Dem werde ich es zeigen, diesem Kleinbürger. Nach einem
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