Braucht Afrika die Kirche?

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WOZ Nr. 49 3. Dezember 2015
D U RC H D E N M O N AT M I T J O H N M B I T I (1)
WOZ: Herr Mbiti, Sie haben das Neue Testa­
ment in Ihre Muttersprache Kiikamba über­
setzt. Warum?
John Mbiti: Englische und amerikanische
Missionare haben 1956 bereits eine Übersetzung publiziert. Doch Kiikamba war nicht ihre
Muttersprache. Entsprechend viele orthografische und syntaktische Fehler machten sie. Zudem haben sie als Vorlage die sogenannte KingJames-Bibel von 1661 genommen. Ich habe sie
direkt aus dem Griechischen übersetzt.
Braucht Afrika die
Kirche?
damit sie verständlich sind. Die europäische
Perspektive ist manchmal sehr weit weg von
der afrikanischen Realität. Jede Sprache hat
eigene Ausdrücke, jede Kultur eine andere Perspektive auf die Welt. Inzwischen sprechen wir
auch von europäischer, asiatischer, indischer
oder gendergerechter Theologie.
Sie haben verschiedene Bücher über traditio­
nelle afrikanische Vorstellungen von Gott
publiziert und über afrikanische Gebete ge­
schrieben. An wen richten sich diese Gebete?
Warum war das für Sie so wichtig?
An Gott. Alle afrikanischen Völker glauViele Bibeln, die noch immer in Afrika ben an Gott. Ich habe Hunderte von Berichten
kursieren, sind eurozentrisch. Es ist mir wich- von Einheimischen, Missionaren und Ethnolotig, dass sich die Menschen in ihrer Mutter- gen gesammelt, aber auch selbst in verschiedesprache mit der Bibel auseinandersetzen und nen Kulturen geforscht. Es gibt keinen Zweifel,
beten können – und nicht mit Worthülsen, die dass die afrikanische Religiosität auf einem
nur für die Missionare einen Sinn ergeben. Kii- monotheistischen Gott begründet ist.
kamba wird immerhin von rund fünf Millionen Menschen gesprochen in einem Gebiet, das Woran glauben Sie?
grösser ist als die Schweiz und sich über Kenia
Ich bin Christ. Ich glaube an Gott als den
nach Uganda und Tansania erstreckt.
Schöpfer aller Dinge und an Jesus Christus.
Warum John Mbiti, der Theologe und ehemalige Pfarrer von Burgdorf
«Vater der afrikanischen Theologie» genannt wird. Und warum die Bibel
eigene kulturelle Übersetzungen braucht.
VON CORINA FISTAROL (INTERVIEW) UND URSULA HÄNE (FOTO)
Hat das Übersetzen Ihren Glauben verändert?
Ja, eindeutig. Ich habe Jesus vom ersten
Vers des Matthäus bis zum letzten Teil der Offenbarung begleitet. Durch die Übersetzung ist
er für mich noch lebendiger geworden.
Glauben Sie alles, was in der Bibel steht? Auch
an die Auferstehung?
Wer bin ich schon, um zu sagen, dass die
Menschen, die die Auferstehung bezeugt haben,
lügen? Die Wahrheit ist nicht immer so klar.
Kann eine Erscheinung nicht auch real sein?
Sie selber sind als Bauernsohn neunzig Kilo­ Die Auferstehung war für die Menschen, die sie
meter östlich von Nairobi aufgewachsen. Wie erlebt haben, real. Ob sie eine Erscheinung war
kam es dazu, dass Sie Theologie studierten?
oder nicht, spielt keine Rolle. Was Realität ist,
An Gott als lebendes und schöpfendes kann relativ sein.
Wesen habe ich schon immer geglaubt. Aber ich
hatte 1952 eine Erscheinung: Ich studierte da- Braucht Religion eigentlich eine Kirche?
mals in Uganda Englisch und Geografie. WähIch kann nicht sagen, dass die Schweiz
rend der Semesterferien bei meinen Eltern in die Kirche braucht. Immer mehr Menschen treKenia drang aus dem Küchenhaus ein grelles ten aus der Kirche aus. Aber ich bin sicher, das
Licht, obschon wir keine Elektrizität hatten. Als ist nur eine Phase, die sich wieder ändern wird.
ich nachsehen wollte, erlosch das Licht, und ich In Russland oder China, wo die Kirche verboten
hörte eine Stimme, die mir sagte, ich solle Theo- war, wird die Religion immer wichtiger. Und es
logie studieren. Ob die Stimme von innen oder sind die Kirchen, die das Christentum tragen.
aussen kam, weiss ich nicht. Das spielt auch
keine Rolle. Aber ich glaube, dass Jesus zu mir Braucht Afrika die Kirche?
gesprochen hat. Ich schloss mein Studium in
Religion ist in Afrika überall tief verwurKampala ab und reiste mit einem Stipendium zelt. Die Christen lesen die Bibel regelmässig,
der US-amerikanischen Regierung in die USA, kennen sie gut und zitieren sie im täglichen Geum Theologie zu studieren.
brauch. Die Kirchen sind aus den Gesellschaften nicht mehr wegzudenken; sie tun sehr viel.
Sie werden «Vater der afrikanischen Theolo­ Ich meine nicht nur diakonische Angebote wie
gie» genannt. Warum?
Gefangenenbesuche oder Pflege von Alten. Ich
Ich war der erste Theologe, der von «afri- meine auch die Predigt von christlichen Gebokanischer Theologie» gesprochen hat, und zwar ten. Die Kirchen predigen Frieden, Versöhnung
in meiner 1963 in Cambridge erschienenen Dis- und Vergebung im Zeichen der Nächstenliebe.
sertation. Anschliessend habe ich an der Make- Und sie wollen die Schöpfung bewahren. Desrere-Universität in Kampala in Uganda Afrika- halb ist auch beispielsweise Umweltschutz ein
nische Theologie gelehrt und zahlreiche Artikel christliches Anliegen.
und Bücher darüber geschrieben. Andere TheoJohn Mbiti (84) ist auf einem Bauernhof in Kenia
logen haben den Ausdruck übernommen.
aufgewachsen und hat in Uganda, in den USA
und in Britannien studiert. Seit vierzig Jahren lebt
er in der Schweiz. Mehrere seiner Bücher gelten
als Standardwerke zur afrikanischen Religion, so
etwa «Afrikanische Religion und Weltanschauung»
(1974).
Was bedeutet «Afrikanische Theologie»?
Biblische Geschichten und religiöse Vorstellungen müssen kulturell übersetzt werden,
«Ob die Auferstehung eine Erscheinung war oder nicht, spielt keine Rolle», sagt John Mbiti.
F U S S BA L L U N D A N D E R E R A N D S P O RTA RT E N
Fehlende Demut und Selbstjustiz
P E D RO L E N Z
Fussball ist ein archaisches Spiel. Nicht alles, die Abwehr der Madrilenen neunzig Minuten
was während eines Spiels auf dem Rasen pas- lang schwindlig. Das Resultat war letztlich
siert, ist für Laien nachvollziehbar. Und nicht so klar, dass eigentlich davon ausgegangen
alle
Unsportlichkeiten
könwerden konnte, es gäbe nach
nen von den Referees geahndet
dem Match nicht mehr viel zu
werden. Neben all den Pässen, Wer klar führt,
diskutieren.
Sprints, Dribblings, Flanken, darf die
Nun hat aber der FC BarceSchüssen und Toren, die wir Fans Schwachen nicht
lona vor dem Sportgericht eine
sehen und oft auch bewundern,
Klage gegen Manolo Sanchís einnoch lächerlich
spielen sich auf Fussballplätgereicht. Sanchís gehört zu den
zen zuweilen Dinge ab, die mehr machen.
unbestrittenen Legenden von
mit den Abgründen der Psyche
Real. Der Fünfzigjährige, dessen
als mit dem Spiel an sich zu tun
Vater in den sechziger Jahren
haben.
ebenfalls für Real Madrid geGegenwärtig beteiligt sich
spielt hatte, absolvierte zwischen
ganz Fussballspanien an einer
1983 und 2001 über 700 Spiele
Debatte, die mit derartigen, für das breite Pu- für den spanischen Rekordmeister. Inzwischen
blikum kaum wahrnehmbaren Details zu tun arbeitet der ehemalige Starfussballer unter anhat. Vor bald zwei Wochen begegneten sich die derem als Kokommentator für den traditionsbeiden grössten spanischen Klubs zum Direkt- reichen Radiosender COPE. Nachdem nun beim
duell, dem sogenannten Clásico. Real Madrid erwähnten Clásico der Mittelfeldspieler Isco
unterlag gegen seinen Erzrivalen FC Barcelona von Real Madrid den brasilianischen Superstar
im heimischen Bernabéu-Stadion diskussions- Barcelonas Neymar übel gefoult hatte, soll Sanlos mit 0 : 4. Die Barcelona-Angreifer spielten chís das Foul während der Liveübertragung in
möchte am Ehrenkodex festhalten
strafbarer Weise gerechtfertigt haben. Für den
Tritt in Neymars Knie wurde Isco direkt vom
Platz gestellt. Der Kommentar von Sanchís lautete: «Neymar sollte aufpassen, denn sein Verhalten gefällt mir überhaupt nicht. Er hat noch
viel zu wenig eingesteckt. Neymar hat die Grenzen längst überschritten.»
Doch was meinte der Exverteidiger Sanchís, als er so über das Opfer eines bösen Fouls
sprach? Er muss den Stil gemeint haben, mit
dem Neymar die Überlegenheit seines Teams in
den letzten Wochen auf dem Platz zelebrierte.
Als Neymar wenige Tage vor dem Clásico
in der Champions League gegen die AS Roma
spielte, führte Barcelona schon 5 : 0, als er einen
Penalty treten durfte. Dabei versuchte er, den
gegnerischen Torhüter zu demütigen, indem er
für den Penalty nur einen halben Schritt Anlauf
nahm. Der Roma-Torhüter Szczesny bestrafte
Neymars Überheblichkeit, indem er den Penalty abwehrte. Doch danach wusch er dem Brasilianer ordentlich die Kappe.
Nach dem Regelbuch ist es nicht verboten,
als Star einer hoch überlegenen Mannschaft
kleine Showeinlagen wie Absatzpässchen, Penaltys aus dem Stand, akrobatische Ballannahmen oder Ähnliches zu vollführen. Die Spieler
der unterlegenen Equipe empfinden ein solches Verhalten jedoch als respektlos. Wer klar
führt, so die allgemein verbreitete Meinung
unter Fussballprofis und ihren Fans, darf die
unterlegene Mannschaft nicht noch lächerlich
machen.
Neymar hat auch beim Clásico mehrmals
gegen diesen Ehrenkodex verstossen. Und weil
Sanchís in seiner eigenen Zeit als Spieler Werte
wie Anstand, Ehre und Demut immer hochhielt,
ist ihm Neymars Verhalten zuwider.
In vielen spanischen Onlineforen wird
nun heftig darüber gestritten, ob es schlimmer
ist, im Triumph überheblich zu sein oder am
Radio ein schlimmes Foul zu rechtfertigen. Ob
Sanchís irgendwann vom Sportgericht für seine öffentlich geäusserten Worte bestraft wird,
ist derzeit noch unklar. Ziemlich klar scheint
immerhin, dass er sich bei den Fans des FC Barcelona nicht unbedingt sehr beliebt gemacht
hat.
Pedro Lenz (50) ist Schriftsteller und lebt in
Olten. Zuweilen wünscht er sich, die Welt
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WOZ Nr. 50 10. Dezember 2015
D U RC H D E N M O N AT M I T J O H N M B I T I ( T E I L 2)
Wollten Sie nie in
die Politik einsteigen?
Wie die Eltern von John Mbiti im ländlichen Kenia reagierten, als er 1965
eine Schweizerin heiratete, wie er den Diktator Idi Amin erlebte und warum
die Kirche nicht unpolitisch sein kann.
VON CORINA FISTAROL (INTERVIEW) UND URSULA HÄNE (FOTO)
WOZ: Herr Mbiti, Sie sind seit fünfzig Jahren
mit einer Schweizerin verheiratet. Wie haben
Sie Ihre Frau kennengelernt?
John Mbiti: 1960 erhielt ich von einer ame­
rikanischen Kirche ein Stipendium für ein wei­
terführendes Theologiestudium in Cambridge.
Verena war dort Sprachstudentin und verdiente
sich ihren Lebensunterhalt als Hausangestellte
in einem Studentenheim. Das war im Oktober
1960. Sie kehrte in die Schweiz zurück, und wir
schrieben uns Briefe. Einmal trafen wir uns in
Genf, spazierten am See. Ich kehrte nach Ugan­
da zurück, und der Briefkontakt wurde intensi­
ver. Also beschlossen wir zu heiraten. Ich reiste
in die Schweiz, und wir wurden im Mai 1965 in
der Markuskirche in Bern getraut.
Wie haben Ihre Familien reagiert?
Wir kommen beide aus religiösen Famili­
en. Sie sagten, dass sie unsere Ehe in die Hände
Gottes legen. Das hat uns beruhigt. Ich wurde
in Vrenis und sie in meiner Familie liebevoll
aufgenommen. Nur einige Missionare in Kenia
waren dagegen. Bis zur Unabhängigkeit 1963
war die Heirat zwischen Afrikanern und Euro­
päern in Kenia verboten. Aber zwei Jahre später
konnte uns niemand mehr etwas anhaben.
Und was meinte Ihre Familie in Kenia dazu,
dass Sie eine Europäerin ehelichen?
Alle waren froh, dass ich endlich heirate,
denn ich war über dreissig Jahre alt. Meine El­
tern nahmen Vreni sofort als ihre Tochter auf.
Wir feierten in Kenia ein zweites Fest. Die Leute
nannten sie «mutanu», das heisst auf Kiikam­
ba «die Fröhliche». Das war das erste Mal, dass
Vreni in Afrika war. Alles ging gut.
Haben Sie und Ihre Frau in den vielen Jahren
Rassismus erlebt?
Nein, offenen Rassismus haben wir als
Ehepaar nie erlebt.
Amin zur Schule. Von den grossen englischspra­
chigen afrikanischen Staatsmännern jener Zeit
hat wohl nur Jomo Kenyatta nicht dort studiert.
Wollten Sie nie in die Politik einsteigen?
Nein. Obschon ich mit meiner Ausbildung
gut Politiker hätte werden können: Damals
gab es wenige entsprechend gut ausgebildete
Afrikaner. Natürlich war ich für die Unabhän­
gigkeit, obschon dies während der Kolonial­
herrschaft nicht unproblematisch war: Einige
meiner Kollegen wurden verhaftet. Aber ich war
immer schon mehr soziokulturell und an theo­
logischen als an politischen Fragen interessiert.
Waren Sie von Idi Amins Hetze gegen Intellektuelle nicht betroffen?
Oh doch! Der Rektor und einige Dozenten
wurden umgebracht. Wir zogen für einen Stu­
dienurlaub nach New York. Als wir nach einem
Jahr zurück nach Uganda kamen, hatte sich die
Lage nochmals verschlimmert; alle Ausländer
mussten fliehen. Da mir die Stelle als Direktor
des Ökumenischen Instituts in Bossey bei Genf
angeboten wurde, verliessen wir Uganda 1974
und zogen ins Welschland.
Würden Sie das Engagement des Ökumenischen Rats der Kirchen, der seinen Sitz in
Bossey hat, nicht als politisch bezeichnen?
Schliesslich hat er während des Kalten Kriegs
stets versucht, die West- und die Ostkirchen zu
verbinden.
Wir hatten Studierende aus Osteuropa
und sogar aus Nordkorea in Bossey. Aber wir
mussten vorsichtig sein, wenn politische Fragen
aufkamen, damit die Studenten nicht gefährdet
waren, wenn sie in ihre Länder zurückkehrten.
Offene politische Debatten gab es in Bossey
kaum – ausser wenn es um Friedensfragen ging.
Sollte Ihrer Ansicht nach die Kirche politisch
Stellung beziehen?
Da die Kirche Teil der Gesellschaft ist,
kann sie gar nicht unpolitisch sein. Ihre Mit­
glieder können sich als Christen politisch enga­
gieren. Aber die Kirche als Institution sollte sich
Nach der Hochzeit sind Sie zusammen an die aus der Politik heraushalten. Sie muss offiziell
Makerere-Universität in Uganda gegangen. unabhängig und so neutral wie möglich sein.
Das muss für Ihre Frau, die in einem Käsereibetrieb in Blumenstein bei Thun aufgewach- Ihre Frau unterrichtet Sans-Papiers in Deutsch.
sen ist, eine grosse Lebensumstellung gewesen Ist das kein politisches Engagement?
sein.
Nein, das ist ein soziales, ein huma­
Sie hat sich in Uganda wohlgefühlt, hat nitäres Engagement. Die Diakonie ist in der
Englisch und Soziologie studiert. Dann kamen Kirche ganz zentral. Sie ist unweigerlich mit
unsere ersten beiden Kinder zur Welt. Wir leb­ dem christlichen Gedanken der Nächstenlie­
ten auf dem Campus mit Menschen aus ver­ be verbunden. Meine Frau hat sich stets sozial
schiedenen Ländern. Es war eine schöne Zeit.
und kirchlich engagiert. Früher war sie aber
in Burgdorf auch politisch engagiert: Sie war
An der Makerere-Universität wurde damals die Stadträtin für die Grünen.
ganze politische Elite Ostafrikas ausgebildet.
John Mbiti (84) ist auf einem Bauernhof in Kenia
Ja, es war damals die einzige Universi­
aufgewachsen und lebt seit 1974 im Welschland
tät in Ostafrika. Unser Sohn ging zum Beispiel
und im Kanton Bern. Er war einer der ersten
afrikanischen Pfarrer in der Schweiz.
mit den Kindern des ugandischen Diktators Idi
Und Ihre vier Kinder?
Ach, wissen Sie, die Hautfarbe ist bei uns
eigentlich gar nie ein Thema.
John Mbiti: «Bis zur Unabhängigkeit 1963 war die Heirat zwischen Afrikanern und Europäern in
Kenia verboten. Zwei Jahre später konnte uns niemand mehr etwas anhaben.»
F U S S BA L L U N D A N D E R E R A N D S P O RTA RT E N
Rowdy mit Stil
ETRIT HASLER
schwärmt von entthronten Champions und Ringrowdys Ultimate Fighting Championship
Von all den Sätzen, die man in Sportbars so hört, Boxlegende «Iron Mike» Tyson benannt, lässt
ist wohl kaum einer häufiger als der, dass Sport diesen in Bezug auf Ekelpaketfaktor jedoch lo­
doch eine Männersache sei. Und nirgends sonst, cker stehen. In den letzten zwei Jahren fiel er
so hört man jeweils weiter, sei das so klar wie häufiger mit sexistischen Äusserungen («Der
im Kampfsport. Sie mögen sich
beste Ort für eine Frau ist in der
jetzt sagen: Selber schuld, wer
Küche und auf ihrem Rücken»)
«Es
tut
mir
leid,
solchen Konversationen zuhört
als mit brillanten Kämpfen auf.
beziehungsweise in Sportbars Ronda. Bitte
Er findet, dass sich die britische
rumhängt, aber das ist derzeit versohl mir nicht
Regierung mehr um Obdachlose
der einzige Ort, an dem man mit
als um Ausländer kümmern soll­
den Arsch.»
mir nicht über Politik sprechen
te. Wenn es darum geht, Homo­
Justin Bieber
will. Aber ich schweife ab.
sexuelle zu bashen, zitiert er ger­
ne willkürlichen Quatsch aus der
In den letzten Wochen
«Heiligen Schrift». Und habe ich
drehten sich die meisten dieser
schon erwähnt, dass er Fan von
Barkonversationen natürlich um
Manchester United ist? Da wissen
die Entthronung von Wladimir
die versammelten Boxfans na­
Klitschko. Dem Mann also, der
den Boxsport in den letzten zehn Jahren zum türlich nicht so recht, ob sie nun darauf hoffen
Monopolbetrieb gemacht hatte. Das war zuge­ sollen, dass Klitschko den bereits angetönten
gebenermassen kein Zustand, und die grosse Rückkampf gewinnt, um damit die Rückkehr
Langeweile scheint mit dem Sieg von Tyson zur Monotonie in Kauf zu nehmen.
Fury über Klitschko (endlich) beendet zu sein.
Zwei Wochen vor Klitschko wurde üb­
Tyson, sollte man wissen, wurde tatsäch­ rigens in der Kampfsportart UFC (Ultimate
lich von seinem Vater nach der ohrenbeissenden Fighting Championship) ebenfalls ein Gigant
entthront, beziehungsweise eine Gigantin. Die
bisher erste und einzige Weltmeisterin in der
noch relativ jungen Sportart, Ronda Rousey,
wurde von der eher unbekannten Herausforde­
rin Holly Holm in der zweiten Runde k. o. ge­
treten – es war erst das zweite Mal in Rouseys
Karriere, dass ein Kampf überhaupt über die
erste Runde hinausging.
Das Duell war von fast umgekehrten
Vorzeichen geprägt wie der Klitschko­Kampf.
Während die Herausforderin Holm sich als
brave Pfarrerstochter inszenierte, ist Rousey
eine streitbare Athletin, die ihrem Übernamen
«Rowdy» (den sie mit höchstpersönlicher Er­
laubnis von der Wrestlinglegende Rowdy Rod­
dy Piper kurz vor dessen Tod erben durfte) alle
Ehre macht: Die Wägezeremonien vor ihren
Kämpfen enden regelmässig in Schimpftira­
den, und sie lieferte sich schon öffentliche Feh­
den mit diversen Prominenten, unter anderem
mit Exboxweltmeister Floyd Mayweather und
Popsternchen Justin Bieber – Letzterer hatte
ihrer kleinen Schwester ein gemeinsames Foto
verweigert, wofür er sich öffentlich entschul­
digte: «Es tut mir leid, Ronda. Bitte versohl mir
nicht den Arsch.» Als ob das alles noch nicht
reichen würde, tritt die ehemalige Judoka in
Wrestlingshows auf und spielte in Filmen mit
wie der Actionrevue «Expendables 3». Kein
Wunder, gibt es im UFC­Geschäft niemanden,
der besser verdient als sie – Mann oder Frau.
Doch im Unterschied zu Tyson Fury hat
Ronda Rousey Stil – sie unterstützt den Bei­
nahesozialisten Bernie Sanders als Präsident­
schaftskandidaten, sammelt Geld für bedrohte
Raubkatzen, setzt sich für die Erinnerung an
den Armeniergenozid ein. Und erzählt jungen
Frauen, sie sei in der Highschool jeweils als
«Miss Man» gehänselt worden und dass sie sich
ihr Selbstbild nicht von anderen aufdiktieren
lassen sollen.
Um es in der Sprache des Sumoringens
zu sagen: Ronda Rousey ist eine Dai­Yokozuna,
eine wahre Championette, die beweist, dass
Siegen nicht nur eine Frage des Könnens im
Ring ist, sondern auch eine des Charakters.
Vielleicht sollte sie das ja mal Tyson Fury bei­
bringen. Im oder ausserhalb des Rings.
Etrit Hasler findet nicht, dass Gewalt eine
Lösung für irgendetwas ist. Wobei er sich ein