Stirb langsam, Bahn! Diesen Strecken droht die - ÖPNV

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STIRB LANGSAM, BAHN! DIESEN STRECKEN DROHT
DIE STILLLEGUNG
Die Landesverkehrsprognose 2025 geht davon aus, dass viele Strecken unzureichend ausgelastet (rot dargestellt) sein
werden. Die Verkehrsverbünde orientieren sich bereits jetzt an dieser Schätzung. Döbeln-Meißen ist schon dicht.
Von Jan Berger
Dresden/Chemnitz - In diesen Tagen kalkulieren Sachsens Verkehrsverbünde die Bestellungen für
2017 durch - und an allen Ecken fehlt Geld. Landesweit müssen daher erhebliche Kürzungen im
Nahverkehr hingenommen werden. Einigen Bahnstrecken droht sogar komplett das Aus. Die
Signale der Staatsregierung sind deprimierend.
Nach der Stilllegung der Strecke Döbeln-Nossen-Meißen zum letzten Fahrplanwechsel werden von den
Verbänden die nächsten Todeskandidaten präsentiert. Ein recht sicherer ist die Verbindung zwischen
Aue und Thalheim . Der Vertrag mit der Erzgebirgsbahn läuft aus, der Zweckverband Mittelsachsen
(ZVMS) wird die Strecke nicht wieder ausschreiben.
Auch der Zweckverband Oberlausitz-Niederschlesien (ZVON) geht ganz offen damit um, dass die
Bestellung für Görlitz-Hoyerswerda ausgesetzt wird. Beim Zweckverband Oberelbe (ZVOE) steht die
Strecke von Pirna über Neustadt nach Sebnitz auf dem Abstellgleis, ebenso die gemeinsam mit dem
ZVMS geteilte Verbindung Chemnitz-Döbeln-Riesa-Elsterwerda . Ganzen Landstrichen droht die
Abkopplung.
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Besonders auf den schwach frequentierten Strecken wie im Vogtland oder im Erzgebirge wird der letzte Zug bald
abgefahren sein.
„Derzeit stehen neun Verbindungen vor dem Aus“, rechnet Sachsens Grünen-Chef Jürgen Kasek nach.
Landtagsabgeordnete Katja Meier: „Es droht die größte Abbestellung von sächsischen Bahnstrecken seit
25 Jahren.“
Dass die Finanzdecke der Verkehrsverbünde künftig nicht mehr reicht, hat zwei erhebliche Gründe: Die
Bundesländer beschlossen einen neuen Schlüssel für die Verteilung der Fördergelder. Ab 2018 wird
Sachsen bei den „Regionalisierungsmitteln“ nicht mehr so großzügig bedacht wie bisher. Eine Initiative
von Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD), etwas mehr Geld rauszukratzen, hängt derzeit fest.
Der zweite Grund ist hausgemacht. Kasek: „Seit Jahren werden die Regionalisierungsmittel, die eigentlich
an die Zweckverbände weitergeleitet werden müssen, zweckentfremdet.“
Lediglich 80 Prozent leitet der Freistaat weiter - und hat damit die Rote Laterne im
Bundesvergleich. Mit dem einbehaltenen Geld bezahlt Sachsen den Schülerverkehr und
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Den vielen Streckenstilllegungen der Vergangenheit stehen neue bevor.
Sachsens Landräte und die Chefs der Nahverkehrsverbände sind sich einig, dass eine 90-prozentige
Weitergabe der Mittel die gefährdeten Strecken stabilisieren würde. Das war auch schon 2012 - damals
als Opposition - Forderung der SPD.
Doch auf ein Bekenntnis aus dem Wirtschaftsministerium wartet man vergebens. Sprecherin Sabine
Penkawa verweist auf die Zweckverbände: „Der Freistaat hat keinen direkten Einfluss auf die jeweiligen
ÖPNV-Angebote.“
Immerhin sei im Mai 2015 eine Strategiekommission ins Leben gerufen worden, die derzeit
intensiv diskutiert. Sie wird wohl bald die Entsorgung der Gleise beraten dürfen...
JETZT REGT SICH DER WIDERSTAND
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Tobias Andrä kämpft mit Unterschriften für die Erzgebirgsbahn.
Die Proteste gegen den Kahlschlag verteilen sich auf breite Schultern.
Die zehn sächsischen Landräte (alle CDU) schickten eine Protestnote nach Dresden, die fünf
CDU-Abgeordneten des Erzgebirges ebenfalls.
Bürgermeister aus der Sächsischen Schweiz, der Döbelner Region und aus dem Erzgebirge organisieren
gemeinsame Demonstrationen.
Eine Online-Petition hat derzeit über 2700 Unterstützer. Der Auer Stadtrat Tobias Andrä brach
gestern zu einem 48-Stunden-Bahnmarathon auf. Er fährt auf den gefährdeten Strecken durchs
Erzgebirge und sammelt Unterschriften.
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Fotos: Bernd März, imago