INNOVATION BEGINNT MIT STAHL www.stahl-online.de 04_Impulsgeber Stahl Die Basis für wirtschaftlichen Erfolg 06_Industrie 4.0 Wie sich die Stahlindustrie immer weiter vernetzt 10_Schwieriges Terrain Politik muss Rahmenbedingungen für Innovationen schaffen Inhalt 02 04 | 05 03 Editorial Hans Jürgen Kerkhoff über die hohe Innovationskraft der Stahlindustrie Impulsgeber und Erfolgsfaktor Stahl heute: Basiswerkstoff für wirtschaftlichen Erfolg und industrielle Exzellenz 06 | 07 Industrie 4.0 Wie die Stahlindustrie die Herausforderungen der „vierten industriellen Revolution“ meistert 08 | 09 18 Moderne Infrastruktur Mit Stahlbrücken gegen den Sanierungsstau: die Antwort der Stahlindustrie auf die maroden Verkehrswege Innovation beginnt mit Stahl 12 | 13 Arbeitswelt Stahl Die männerdominierte Branche erlebt einen Wandel – weibliche Fach- und Führungskräfte sind gefragt „in orbit“ Aus 2.500 m2 Stahlnetz schuf der Künstler Tomás Saraceno eine begehbare Rauminstallation. Noch bis Jahresende im Düsseldorfer Ständehaus K21. www.kunstsammlung.de 10 | 11 Schwieriges Terrain Politische Rahmenbedingungen entscheiden über die internationale Wettbewerbsfähigkeit 16 | 17 Titelseite: Klartext Aktuelle Herausforderungen, innovative Lösungen – und eine überraschende Erkenntnis: drei Stahlmanager im Interview Green Economy Die Forschungsagenda der Bundesregierung will Wissenschaft und Wirtschaft zusammenbringen – die Stahlbranche macht’s erfolgreich vor 14 | 15 Recycling-WeltMeister Wie Umwelt, Klima und Wettbewerb von der Kreislaufwirtschaft der Stahlindustrie profitieren Editorial 03 Innovation braucht kluge Köpfe, starke Netzwerke und wirtschaftliche Spielräume Sehr geehrte Damen und Herren, das auf der Titelseite abgebildete Stahlnetz, das hoch über dem Innenhof des Düsseldorfer Ständehauses schwebt, symbolisiert vieles, was den Werkstoff Stahl und seine Industrie ausmacht: Stabil und dennoch flexibel, ist Stahl als tragendes Material überall dort vertreten, wo Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Form in Einklang zu bringen sind. Stahlunternehmen sind in industrielle Netzwerke eingebunden, in denen Innovationen z. B. für die urbane Infrastruktur, saubere Energieerzeugung oder nachhaltige Mobilität vorangetrieben werden. Inspiration und Nutzen für ein gutes Leben – so versteht die Stahlindustrie Innovation Wie das Stahlnetz in Tomás Saracenos Installation, so ist auch unsere Branche stets in Bewegung. Innovation bedeutet viel mehr, als einen Werkstoff lediglich weiterzuentwickeln. Nachhaltigkeit zu leben, die Produktion digital zu begleiten und die Arbeitswelt gesellschaftsgerecht zu gestalten – all das verstehen wir als Zukunftsaufgaben, die nach innovativen Antworten verlangen. Um den eingeschlagenen ambitionierten Kurs beizubehalten, braucht die Stahlindustrie neben kreativen Köpfen und belastbaren Netzwerken vor allem verlässliche Rahmen bedingungen und Raum für Entwicklung. Beides wird aber hierzulande immer enger und unsicherer. Hohe Energiekosten und die weltweit singulär strenge CO2-Regulierung machen es den Stahlunternehmen zunehmend schwerer, sich auf umkämpften internationalen Märkten zu behaupten und Investitionen, nicht zuletzt in Forschung und Entwicklung, zu planen. Dabei wird auf Dauer nur derjenige innovativ bleiben, der sich erlauben kann, langfristig zu denken und danach sein unternehmerisches Handeln auszurichten. Wir appellieren an die Verantwortlichen in Politik und Öffentlichkeit, dass sie die Innovationskraft der Stahlindustrie in Deutschland nicht durch untragbare Belastungen noch weiter einschränken. Nur mit einer innovativen Grundstoffindustrie bleiben unsere Wirtschaft und Gesellschaft auf der Höhe der Zeit. Hans Jürgen Kerkhoff Präsident Wirtschaftsvereinigung Stahl Vorsitzender Stahlinstitut VDEh Stahl heute: Innovationstreiber, Impulsgeber und Erfolgsfaktor 04 Stahl ist der Konstruktionswerkstoff Nummer eins – und ein HightechProdukt mit enormem Potenzial. Durch die Entwicklung immer neuer Stähle schaffen die Stahlhersteller in Deutschland optimale Voraus setzungen für industrielle Exzellenz und wirtschaftlichen Erfolg. Die Zukunft ist leicht Sicherheit, Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit: Das sind die Anforderungen an das Auto der Zukunft. Hersteller und Stahlindustrie setzen gemeinsam auf Leichtbau. Hochfeste und gut verformbare Stähle erfüllen nicht nur die gestiegenen Sicherheitsanforderungen. Sie ermöglichen auch leichtere Bauteile und zeigen – über den gesamten Lebenszyklus – in vielen Fällen eine deutlich bessere Ökobilanz als andere Werk stoffe. Dank dem gestiegenen Einsatz höherfester Stähle konnte der aktuelle VW Golf im Vergleich zum Vorgängermodell deutlich Gewicht abspecken. Innovative Stahllösungen haben nicht nur bei der Karosserie enormes Poten zial. So hat Mercedes-Benz damit begonnen, die in Pkw-Dieselmotoren üblichen Aluminium-Kolben durch neu entwickelte Kolben aus Stahl zu ersetzen. Denn mit dem Autowerkstoff der Zukunft lassen sich heute schon Kraftstoffverbrauch und CO2-Emission weiter verringern. Herz aus Stahl Beim Ausbau der Elektromobilität arbeiten Stahlunternehmen und Forschungsinstitute eng zusammen. Im solarbetriebenen Experimentalfahrzeug „PowerCore SunCruiser“ der Hochschule Bochum wird für den Kern der beiden Radnaben-Motoren Elektroband genutzt. Elektroband ist ein spezieller weichmagnetischer Stahl, der eine hocheffiziente Energienutzung und damit auch mehr Leistung ermöglicht. Die Hochschule ist hierfür eine Forschungskooperation mit ThyssenKrupp Steel Europe eingegangen, die es ermöglicht, mit innovativen und umweltfreundlichen Materialien wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der Elektromobilität zu setzen. Mit Erfolg: Im März 2015 zeichnete KlimaExpo.NRW das Projekt „SolarCar“ und die ge meinsam entwickelten Solarfahrzeuge als Vorreiter für den Klimaschutz aus. Basis der Energiewende Das Ziel ist ehrgeizig: Bis 2020 sollen nach dem Willen der Politik die Treibhausgas-Emissionen sinken – um 40 Prozent im Vergleich zu 1990. Zudem soll bis dahin der Anteil der erneuerbaren Energien mindestens 35 Prozent am Bruttostromverbrauch betragen. Ohne den Werkstoff Stahl lassen sich diese Vorgaben nicht realisieren. Dank neuer Lösungen für Gittermasten von ArcelorMittal können Windräder bis zu 180 Meter hoch werden und auch bei schwachem Wind Strom erzeugen. Bei der Nutzung von Kraft-WärmeKopplung, Geothermie, Biomasse und Wasserkraft sowie für den Ausbau der Stromtrassen wird der Werkstoff ebenfalls gebraucht. Und nicht zuletzt sorgen Hochleistungsstähle dafür, dass der Wirkungsgrad von modernen Gaskraftwerken inzwischen 70 Prozent und mehr erreicht. Hier zeigt sich einmal mehr: Stahl ist ein Effizienztreiber. 05 Nachhaltige Infrastruktur Experten schätzen, dass bereits in fünf Jahren 70 Prozent der Menschen in urbanen Ballungsräumen mit mehr als 10 Millionen Einwohnern leben. Bei der Lösung der daraus resultierenden Herausforderungen in den Bereichen Verkehr, Wohnen und Mobilität sind Innovationen aus Stahl unverzichtbar. Städteplaner entwerfen platzsparende Hochstraßen für den Verkehr der Zukunft. Stahlkonstruktionen helfen den Menschen hoch hinaus, indem sie die notwendige Statik für Hochhäuser sicherstellen. Bausysteme aus Stahl verbessern die Gebäudedämmung und helfen damit, Energie zu sparen. Fertigmodule aus Stahl werden dort eingesetzt, wo kurzzeitig Bedarf an Wohn- und Arbeitsräumen gedeckt werden muss. Und das ist keine Zukunftsmusik, sondern schon Realität – und ein besonderer Beitrag zur Nachhaltigkeit. Denn Stahl ist zu 100 Prozent recycelbar und so immer wieder die Basis für weitere innovative Ideen. Werkzeuge für wirtschaftlichen Erfolg Als Hightech-Produkt steht Stahl für die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer am Anfang der Wertschöpfungskette. Überall dort, wo Maschinen Werkstücke formen, schneiden, schleifen, bohren oder fräsen, sind Hochleistungsstähle erforderlich: Sie sind temperaturbeständig und weisen hohe Standfestigkeit auf. So setzt der Zulieferer Hella für Werkzeuge zur Herstellung von Spritzgussformen für Autoscheinwerfer auf Spezialstahl der Deutschen Edelstahlwerke. Auch hier ist die enge Zusammenarbeit zwischen Stahlindustrie und Anwendern Voraussetzung für Innovation und wirtschaftlichen Erfolg. Nur hochleistungsfähige Werkzeugstähle gewährleisten eine präzise Produktion, Prozesssicherheit und Effizienz. Ohne diese Stähle wäre Massenproduktion z. B. von Produkten aus Kunststoffen oder auch metallischen Werkstoffen nicht möglich. Alltäglicher Begleiter Stahl ist ein vielseitiger Werkstoff. Er inspiriert Ingenieure, Architekten und Designer immer wieder, Neues zu schaffen oder Bestehendes zu verbessern. Wie etwa ein Photovoltaik-Modul auf Stahlbasis oder eine Waschmaschinentrommel, welche die Wäsche durch eine, wabenförmig strukturierte Oberfläche besonders schonend behandelt. Stahl gibt zahlreichen Gegenständen unseres täglichen Lebens Form und Funktion: Der Strom, der morgens den Elektrowecker klingeln lässt, wird in höchsteffizienten Kraftwerksturbinen aus Stahl erzeugt, die Duschtasse im Bad ist aus Stahl, das Besteck, die Töpfe, das Waschbecken in der Küche ebenso. Und weil er Bakterien keinen Nährboden bietet, zählt nichtrostender Stahl auch in Krankenhäusern zu den bevorzugten Werkstoffen. Industrie 4.0 Stahl vernetzt 06 Die Zukunft vor Augen. Industrie 4.0 eröffnet der Stahlindustrie ein gewaltiges Wertschöpfungspotenzial. Das Thema Industrie 4.0 erfasst die gesamte Wirtschaft. Auch die Stahlindustrie ist Teil der „vierten industriellen Revolution“. Mit ihr sind große Chancen, aber auch Herausforderungen in der Stahlproduktion verbunden. „Unsere Bilder verändern sich in diesen Jahren: Aus den rauchenden Schloten und den stampfenden und dampfenden Maschinen sind Fertigungsprozesse mit modernsten Informationstechnolo gien geworden“, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Hannover Messe. Auch wenn die Stahlindustrie niemals ohne große Anlagen und Aggregate auskommen wird, so gilt es, die reale Produktion so mit digitalen Instrumenten zu verknüpfen, dass die Prozesseffizienz weiter steigt. Prozessoptimierung gibt es in der Stahlindustrie schon lange. Angefangen mit der Automatisierung der Anlagen kommen nun verstärkt Informationsund Telekommunikationstechnologien hinzu. Insbesondere in den letzten 25 Jahren konnten durch viele innovative technische Entwicklungen eine kostengünstige Produktion, höhere Flexibilität, ständige Qualitätsverbesserungen und die Entwicklung neuer Produkte erreicht werden. Nicht zuletzt werden durch effizientes Anlagen management auch Ressourcen geschont. Durch die digitale Begleitung der Produktion werden diese Entwicklungen auf das nächste Level gehoben. Schwächen in der Qualität erkennen, noch bevor sie auftreten Grundlage einer „Smart Factory“ ist das Sammeln, Analysieren und Verknüpfen von sehr großen Mengen unterschiedlicher Daten. In der Stahlindustrie wird an verschiedenen Aggregaten all das erfasst, was das Endprodukt beeinflussen kann: Materialzusammensetzung (Kohlenstoff gehalt), Temperaturen, Oberflächenfehler, Abmessungen. Im nächsten Schritt gilt es, diese Information mittels Algorithmen so zu verknüpfen, dass im weiteren Produktionsprozess auf Unregelmäßigkeiten reagiert werden kann. Dieser Herausforderung stellt sich zurzeit u. a. die Saarstahl AG in dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten 07 Forschungsprojekt „iPRODICT“ (Intelligent Process Prediction based on Big Data Analytics). Ziel ist es, mögliche Qualitätsschwankungen zu erkennen, bevor sie überhaupt auftreten. So werden im Idealfall aufwändige nachträgliche Anpassungen bei der Stahlerzeugung bald Geschichte. Prognostizierte Fehler können dann durch Justierungen direkt im laufenden Prozess vermieden werden, sodass die Qualität der Stähle und damit die Wettbewerbsfähigkeit steigt. Technische Voraussetzung für das Leuchtturmprojekt ist die Verknüpfung der von Sensoren in der Produktion gesammelten Daten mit der betriebswirtschaftlichen Ebene. „iPRODICT entwickelt die nächste Generation von Produktionsplanungssoftware – made in Germany. Solche Systeme erfassen jedes Ereignis der aktuellen Produktion mittels Sensornetzwerken, vergleichen dieses mit historischen Daten, die in großen Datenbanken gespeichert sind, und prognostizieren damit die Zukunft. So wird es Unternehmen möglich, bereits auf Ereignisse zu reagieren, noch bevor diese passieren.“ Dr. Dirk Werth, Konsortialführer von iPRODICT Präzise Daten trotz Hitze Dass allein die Sammlung der Daten in einer Prozessindustrie mit hohen Temperaturen bereits eine Herausforderung sein kann, ist keine große Überraschung. An vielen Stellen in einem modernen Stahlunternehmen werden Sensoren eingesetzt, die auch unter schwierigen Bedingungen wie Staub und Hitze zuverlässig unterschiedliche Daten zu Maschinen und Prozessen liefern. Auch hier ist die Entwicklung aber noch lange nicht abgeschlossen. So arbeitet das VDEh-Betriebsforschungsinstitut (BFI) in Düsseldorf beispielsweise an einem neuartigen optischen Messsystem zur Schmelzentemperaturmessung (DynTemp®). Das kontinuierliche Sammeln der Daten ermöglicht eine sichere Steuerung im Hinblick auf die Produktqualität und eine Verbesserung der Energieeffizienz. Um andere, aber ebenso wichtige Daten möglichst umfassend und ohne viel Aufwand zu erfassen, greift man bei ThyssenKrupp Steel Europe in Duisburg auf eine unkonventionelle Maßnahme zurück. Mit einem Hexakopter – einer Flugdrohne mit sechs Rotoren – überprüft und vermisst das Stahlunternehmen regelmäßig das Werksgelände, um u. a. den Bedarf an Revisionen und Reparaturen zu ermitteln. Mit dem flinken Fluggerät lässt sich auf sehr einfache Art und Weise digitales Videomaterial z. B. von meterhohen Schornsteinen generieren. Aufwändige und teure Inspektionseinsätze etwa durch Industriekletterer oder Hubschrauber sind somit überflüssig. Die Beispiele zeigen: So vielfältig die Prozesse in einem modernen Stahlwerk sind, so zahlreich sind die Anknüpfungspunkte für Anwendungen aus dem Bereich Industrie 4.0. Es wird deutlich, welche zusätzliche Dynamik auch in einer traditionellen Prozessindustrie wie der Stahlindustrie durch die neuen Informationstechnologien gewonnen werden kann. „Die Stahlproduktion ist heute ohne IT nicht mehr vorstellbar. Weil die Prozesse so komplex sind, ist 4.0 die logische Fortsetzung dessen, was wir machen.“ Dr. Karlheinz Blessing, Vorstandsvorsitzender der AG der Dillinger Hüttenwerke und der Saarstahl AG Klartext „Zivilisation beruht auf Stahl“ 08 1 Innovationen wachsen nicht auf der grünen Wiese, sondern sind das Ergebnis jahrelanger harter Arbeit. Neben privaten und universitären Forschungsinstituten können sich insbesondere die Stahlunternehmen als Treiber von Innovationen in der Branche auszeichnen. Andreas J. Goss (ThyssenKrupp Steel Europe), Prof. Dr.- Ing. Heinz Jörg Fuhrmann (Salzgitter AG) und Frank Schulz (ArcelorMittal Germany) über innovative Leistungen und schwierige Rahmenbedingungen am Standort Deutschland. Ist Stahl „Old Economy“? A. J. Goss: Auf gar keinen Fall. Die Hälfte der 2.500 Stahlsorten ist jünger als fünf Jahre. Ohne den Beitrag moderner Stähle wären viele technologische Entwicklungen gar nicht möglich. Denken Sie an leichte Autos, an Windräder, verschleißbeständige Maschinen oder die Formvielfalt in der modernen Architektur. Im Rahmen des Projektes „InnoCity“ fragen wir uns, in welche Richtung sich die Infrastruktur entwickelt und welche Werkstoffe hier gebraucht werden. Das ist keine „Old Economy“ – das ist Zukunft. H. J. Fuhrmann: … da kann ich nur zustimmen. Wir haben zum Beispiel HSD®-Stähle entwickelt, die zugleich fest und gut verformbar sind und künftig das Gewicht von Bauteilen im Auto um 20 Prozent senken könnten. Diese Stähle werden auf eine neue Art vergossen. Dafür haben wir ein energiearmes Verfahren entwickelt – das horizontale Bandgießen – absolutes Neuland. Dieses Verfahren wurde sogar für den Deutschen Zukunftspreis des Bundespräsidenten 2014 nominiert. Hochinnovative Werkstoffe für den Leichtbau umweltschonend produzieren – da geht die Reise hin. F. Schulz: Unsere moderne Zivilisation beruht auf Stahl, und die technologischen Entwicklungen, die uns als Branche antreiben, schreiten voran. Ein Beispiel: Um Windparks auf hoher See zu bauen, sind stabile, witterungsbeständige Haltekonstruktionen nötig. Für unsere Wirtschaft und Gesellschaft bleibt Stahl essenziell. Ein Beispiel sind unsere großen Histar®-Träger für den Gebäudebau: Dank innovativer Herstellung sparen sie Gewicht ein und können gleichzeitig höhere Festigkeit bieten. Außerdem ist Stahl kostengünstiger und schlägt auch in puncto Nachhaltigkeit andere Werkstoffe – nicht nur bei Autos. Stahlunternehmen in Deutschland betonen ihre Innovationsfähigkeit, doch die Konkurrenz schläft nicht. Wie kann die Spitzenposition gehalten werden? A. J. Goss: Die bestehende Standortstärke gilt es bestens auszunutzen: noch enger mit unseren Kunden kooperieren und noch schneller in der Umsetzung ihrer Wünsche zu sein. Außerdem müssen wir investieren – in Forschung und Entwicklung sowie in Anlagen. Schließlich müssen wir auch den Mut haben, neue Wege zu gehen – sowohl bei den Produktionsverfahren als auch beim Werkstoff. Wir forschen beispielsweise an Sandwich-Materialien, die Stahl und Kunststoff kombinieren. F. Schulz: Deutschland verfügt über ein einzigartiges Forschungsnetzwerk mit privaten und öffentlichen Einrichtungen. Die in Deutschland jährlich angemeldeten 1.000 Stahlpatente, ein Drittel der weltweiten Anzahl, zeigen, wie erfolgreich es ist. Wir betreiben Grundlagen- und Anwendungsforschung, wir entwickeln neue Produktionsverfahren. Diese effiziente 09 1 Andreas J. Goss Vorstandsvorsitzender der ThyssenKrupp Steel Europe AG 2 Prof. Dr.-Ing. Heinz Jörg Fuhrmann Vorsitzender des Vorstandes der Salzgitter AG 3 Frank Schulz Vorsitzender der Geschäftsführung ArcelorMittal Germany 2 Infrastruktur müssen wir richtig nutzen und fördern. Die Unternehmen sind bereit, ihren Beitrag zu leisten, brauchen aber finanzielle Spielräume. Außerdem wünsche ich mir in Deutschland mehr Interesse für Ingenieurberufe und mehr Offenheit gegenüber neuen Technologien. Wie bewerten Sie die aktuellen Rahmenbedingungen für Innovationen in Deutschland? H. J. Fuhrmann: Grundsätzlich gilt: Gute Ideen und die Investitionen zu deren Realisierung benötigen immer ein verlässliches Umfeld, wirtschaftlichen Spielraum und Planungssicherheit in Bezug auf staatliche Regulierungen. In unserer Branche ist es stets eine Herausforderung, neue Werkstoffe aus dem Labormaßstab in die industrielle Fertigung umzusetzen. Oftmals müssen dafür in unserer Produktion neue Anlagen gebaut oder bestehende technisch angepasst werden. Sowohl in den Werkstoffen als auch in den Prozessen steckt eine Menge Knowhow. Daher ist eine räumliche Trennung von Forschung und Entwicklung sowie Produktion in der Stahlindustrie nicht sinnvoll. 3 A. J. Goss: Industrielle Innovation braucht die Zuversicht, dass man die guten Ideen auch wirtschaftlich umsetzen kann. Dafür ist Investitionssicherheit, aber auch eine günstige Energieversorgung notwendig. Die modernen Stahlprodukte, auf die wir in Deutschland setzen, erfordern oft intensivere Verarbeitung. Mehr Prozessschritte bedeuten jedoch einen höheren Energieaufwand, der nicht immer durch Effizienzsteigerung kompensiert werden kann. Die Branche beschäftigt heute 70 Prozent weniger Mitarbeiter als vor 30 Jahren. Wie hat sich die Arbeitswelt Stahl geändert? F. Schulz: Die Arbeitswelt Stahl ist differenzierter und anspruchsvoller geworden. Der Anteil der Ingenieure ist gestiegen. Stahl produzieren fängt heute im Labor an. In der Produktion haben wir mehr Prozessschritte – bei jedem davon sind Qualitätssicherung und Präzision essenziell. Und wie wird es weitergehen? F. Schulz: Die immense technologische Entwicklung unserer Branche, wie jetzt die Digitalisierung, stellt höhere Anforderungen an die Mitarbeiter, die wir kontinuierlich begleiten werden. Eins hat sich aber nicht verändert: Stahl ist gute Arbeit, die es unbedingt zu erhalten gilt. Was könnte die Politik tun, um die Innovationskraft der Stahlunternehmen zu unterstützen? H. J. Fuhrmann: Das Innovationspotenzial des Stahls in Deutschland ist riesig. Die Politik sollte sicherstellen, dass wir dieses Potenzial auch entfalten können. Im Moment müssen Stahlhersteller in Deutschland Kosten aus der Klima- und Energiepolitik tragen, die unsere Konkurrenz im Ausland nicht kennt. Das behindert unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit. Von der Klimapolitik wünschen wir uns nicht nur faire Wettbewerbsbedingungen, sondern auch die Anerkennung, dass Stahl über seinen gesamten Lebenszyklus deutlich besser abschneidet als andere Werkstoffe und insgesamt einen Beitrag zur CO2-Minderung leistet. Der positive ökologische Fußabdruck ist eine wichtige Eigenschaft von Stahl und wird bisher von der Politik kaum berücksichtigt. industrielle Innovationen Kraftakt in unsicherem Gelände 10 Der Weg zur Innovation führt über Kreativität und konsequente Umsetzung. Für das Erste braucht man Freiraum, für das Zweite finanzielle Möglichkeiten. Um innovative Werkstofflösungen anzubieten, die den künftigen Anforderungen gerecht werden, setzt die Stahl industrie auf den Ideenreichtum ihrer Forschungseinrichtungen und die Exzellenz ihrer Produktionsanlagen. Für die Unternehmen der Stahlindustrie gilt: Innovationsleistung und Umsetzungschancen auf internationalen Märkten bedingen sich gegenseitig. Ihre Wettbewerbsfähigkeit wird entscheidend durch die politischen Rahmenbedingungen bestimmt. Wirken sich diese negativ auf die internationale Position der Unternehmen aus, wird dadurch deren Innovationpotenzial nachhaltig beeinträchtigt. Hohe Energiekosten erschweren die Planung von Investitionen In einer energieintensiven Branche wie der Stahlindustrie beeinflussen die Energiekosten entscheidend die finanziellen Spielräume der Unternehmen. 2014 beteiligten sich die Stahlunternehmen in Deutschland mit 300 Millionen Euro an der Finanzierung erneuerbarer Energien. In Deutschland treiben Regelungen wie die EEGUmlage und auch die Energiebesteuerung die Energiepreise im weltweiten Vergleich an die Spitze. Daher sind Belastungsbegrenzungen zum Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unabdingbar. Hindernisse überwinden. Ausdauer und technisches Geschick führen zum Ziel. Eigenstromerzeugung ist praktizierte Energieeffizienz und muss wirtschaftlich bleiben Stahlunternehmen produzieren jährlich über 10 Terawattstunden Strom aus anfallenden Nebenprodukten. Das geschieht, um Ressourcen optimal zu nutzen und den Energiebedarf zu decken. Diese ökologisch sinnvolle Form der Stromerzeugung, die oft mit hohem Investitionsaufwand umgesetzt wurde, muss wirtschaftlich bleiben. Die Nutzung von Restgasen oder Restenergien darf daher nicht mit der EEG-Umlage belegt werden. Optimale Innovationspolitik bedeutet, Wertschöpfungsketten nicht zu belasten Erst das Zusammenwirken von Liefe ranten, Produzenten und Anwendern führt zu innovativen Lösungen. Stahlunternehmen können in ihrem Wertschöpfungsverbund nur dann ihre Innovationskraft entfalten, wenn sie im international hochkompetitiven Umfeld erfolgreich agieren. Die Rahmenbedingungen dafür gestaltet die Politik. 11 EU-Klimapolitik droht, die innovativsten Unternehmen einseitig zu benachteiligen Umsichtige Forschungsförderung unterstützt Grundlagen- und Anwendungsforschung Nur wenn vergleichbare klimapolitische Auflagen alle Stahlstandorte gleichermaßen binden, bleibt der internationale Wettbewerb fair und die Unternehmen können ihre Innovationskraft erhalten. Die Branche plädiert für ein global bindendes Klimaabkommen. Innova tionsstrategien der Stahlindustrie in Deutschland werden nur in einem fairen, internationalen Umfeld gelingen. Einseitige, etwa auf die EU beschränkte Instrumente – wie der Emissionsrechte handel – belasten die Unternehmen und können sogar zur Verlagerung der Investitionen in weniger strikt regulierte Standorte führen. Eine innovative Idee allein ist nicht ausreichend. Entwicklung von Prototypen, Fertigstellung marktfähiger Produkte und Aufbau der Serienproduktion erfordern finanzielle Mittel. Der Prozess erweist sich als umso aussichtsreicher, je intensiver auf Kooperationen gesetzt wird. Es gilt das Zusammenwirken von Mittelständlern, Großkonzernen sowie öffentlichen und privaten Forschungseinrichtungen weiterhin konsequent zu fördern und den involvierten Akteuren eine langfristige Unterstützung zu bieten. Emissionshandel soll innovative und saubere Stahlherstellung belohnen statt belasten Junge Menschen für Technik und Industrie zu begeistern, ist eine Investition in die Innovationskraft von morgen Der Erfolg der deutschen Industrie hängt von der Kompetenz ihrer Facharbeiter, Ingenieure und Forscher ab. Eine innovative Stahlindustrie braucht exzellentes und zunehmend auch interdisziplinäres technisches Know-how. Dafür sind die Förderung der naturwissenschaftlichen und technischen Fächer und die Unterstützung flexibler Ausbildungswege unabdingbar. Die Stahlindustrie in der EU unterliegt einem weltweit einzigartigen CO2Zertifikatehandel. Damit dieses System die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen nicht gefährdet, müssen die Anreize zur Emissionsminderung umsetzbar gestaltet sein. Die technischen Bedingungen für den Erhalt freier Zertifikate müssen realisierbar sein. Die Zertifikatemenge darf nicht künstlich verknappt werden. Wenn, wie beim Stahl, selbst die effizientesten Anlagen Zertifikate zukaufen müssen, ist das wirtschaftlich schädlich und ein Zeichen unausgewogener Klimapolitik. Bei Fortschreibung der heute gültigen Regelungen über 2020 hinaus werden den Unternehmen bis 2030 mehr als 40 Prozent der erforderlichen Zertifikate fehlen. Das bedeutet jährliche Zusatzkosten von mehr als einer Milliarde Euro. Innovationen brauchen Akzeptanz in der Gesellschaft Innovation erfordert den Mut, Neues auszuprobieren und anzunehmen. Industrielle Innovationen brauchen nicht nur die Unterstützung der Lieferanten und Kunden, sondern auch die Akzeptanz in der Gesellschaft. Die Stahlindustrie forscht an neuen Verfahren, um den Ausstoß von CO2 in die Atmosphäre zu begrenzen. Das Auffangen, die Speicherung und die Verwertung von Treibhausgasen sind der einzige realistische Weg, Emissionen einzudämmen, so Klimaschutz-Experten. Den Klimawandel kann man langfristig nur mit technischem Fortschritt bewältigen. Diese Erkenntnis braucht eine offene Diskussion und mehr Fürsprache der Politik. Im Fokus: StahlTrends für die Green Economy 12 Die Stahlhersteller in Deutschland sind für die technischen und gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gut aufgestellt. Das zeigt auch der Blick auf die Forschungsagenda der Bundesregierung für Green Economy. Wesentliche Voraussetzungen dafür sind die hohe Innovationskraft der Unternehmen, ihre enge Zusammenarbeit mit Lieferanten und Kunden sowie das im internationalen Vergleich einzigartige Forschungsnetzwerk Stahl. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Jährlich melden die Stahlhersteller in Deutschland mehr als 1.000 Patente rund um den Werkstoff Stahl an – doppelt so viel wie vor 20 Jahren. Forschungsagenda Green Economy Mit der Forschungsagenda verfolgt die Bundesregierung das Ziel, „Wissenschaft und Wirtschaft zusammenzubringen, um Lösungen für eine Wirtschaft zu entwickeln, die umweltfreundlich und gleichzeitig wettbewerbsfähig ist“. Die Stahlhersteller in Deutschland setzen bereits heute zahlreiche technologische Innovationen bei der Mehrzahl der Themenschwerpunkte der Agenda um. • Produktion und Ressourcen: Rohstoffe, Wasser und Land • Nachhaltige Mobilitätssysteme a a a • Infrastrukturen und intelligente Versorgungssysteme für die Zukunftsstadt a • Nachhaltige Energieversorgung und -nutzung in der Wirtschaft Hochfest und leicht Stähle können bei entsprechender Zusammensetzung besonders zäh und fest sein. Diese Eigenschaften machen sie zum Material der Wahl, wenn es um höchste Sicherheitsanforderungen geht. So werden Vergütungsstähle mit diesen Merkmalen beispielsweise für das Fahrgestell des Airbus A380 verwendet. Und die Entwicklung geht immer weiter: Stahlforscher Dierk Raabe vom Düsseldorfer Max-Planck-Institut für Eisenforschung arbeitet an gewichtsreduzierten Stählen, die 15 Prozent leichter als konventionelle Stähle sind. Extrem belastbar. Hochfester Stahl sorgt beim Fahrwerk des Airbus A380 für Sicherheit. 13 Wind und Wellen trotzen. Innovative Lösungen schützen Stahl vor Korrosion. Widerstandsfähig Ressourcen sparen Stahl ist wie kein anderer Werkstoff für extreme Anforderungen geeignet, etwa bei Flugzeugturbinen, bei der Verflüssigung von Gasen, bei Kranen, aber auch bei Offshore-Windenergie-Anlagen. Um die Lebensdauer weiter zu steigern, entwickeln die Stahlhersteller in Deutschland unter anderem Beschichtungssysteme mit höherer Korrosionsbeständigkeit. Einen ähnlichen Weg verfolgt das MaxPlanck-Institut für Eisenforschung. Dort arbeiten Wissenschaftler an selbstheilenden Kunststoffschichten, die Stähle vor Rost bewahren. Die Stahlhersteller in Deutschland arbeiten daran, die Energiekosten noch weiter zu reduzieren. Bei der Energierückgewinnung setzt man neben der Verwendung von Kuppelgasen zunehmend auch auf Niedertemperaturabwärme. Beim Organic Rankine-Cycle-Verfahren wird Abwärme über einen Wärme tauscher geführt und erhitzt ein organisches Kältemittel in einem geschlossenen Kreislauf. Dadurch wird bereits bei niedrigen Temperaturen ein hoher Dampfdruck aufgebaut. Dieser treibt eine Turbine zur Stromerzeugung an. Unter Druck. Rohre leiten Hochofengase in Dampfturbinen. Prozesse effizient gestalten Neuartige Verfahren wie die Bandgießtechnologie, entwickelt von dem Stahlerzeuger Salzgitter AG und dem Anlagenbauer SMS, unterstreichen die Fortschritte bei der Steigerung der Prozesseffizienz. Anders als bei der konventionellen Herstellung wird der Stahl direkt horizontal auf ein gekühltes Band gegossen und anschließend ausgewalzt. Eine geringe Gießdicke und die Möglichkeit, das Walzen in den Prozess zu integrieren, reduzieren den Energiebedarf und ermöglichen die Entwicklung neuer Hochleistungsstähle. Aus einem Guss. Neue Bandgießtechnologie hilft, Energie zu sparen. „Smart Energy“ Mit Hilfe von Industrie 4.0-Anwendungen lässt sich die Flexibilität einzelner Anlagen in der „Smart Factory“ deutlich steigern, so können z. B. die Produktionsprozesse an das Stromangebot angepasst werden. Zugleich ergeben sich daraus völlig neue Geschäftsmodelle für Stahlunternehmen und Energieversorger. Fingerzeig. Höhere Flexibilität sorgt für sinkende Kosten. Aus weniger mehr machen Kreislaufwirtschaft Stahl 14 Recycling hat in der Stahlindustrie in Deutschland eine lange, erfolgreiche Tradition. Die Unternehmen setzen auf eine möglichst vollständige Abfallvermeidung und die effiziente Nutzung von Nebenprodukten. Dafür müssen allerdings die Rahmenbedingungen stimmen. In Zukunft geht’s rund! Das traditionelle, lineare „Nehmen-HerstellenWegwerfen“-Modell wird durch die Kreislaufwirtschaft ersetzt. Den verantwortungsbewussten und ökonomischen Umgang mit Ressourcen hat sich auch die Bundesregierung auf die Fahnen geschrieben und macht das Thema zum Schwerpunkt der anstehenden G7-Präsidentschaft. Wie Kreislaufwirtschaft erfolgreich funktioniert und wie man aus weniger mehr macht, können die Entscheider am Beispiel Stahl erfahren – solange die Politik die Weichen richtig stellt und Effizienz nicht bestraft. Wertvolles Recycling Wenn von Stahl und seinen RecyclingEigenschaften die Rede ist, sprechen Experten von „Permanent Material“. Denn der Werkstoff ist – anders als die meisten Materialien – beliebig oft, zu 100 Prozent und ohne Qualitätsverluste wiederverwertbar. Stahl wird nicht verbraucht, sondern immer wieder neu genutzt. Im Kreislauf entsteht aus Schrott qualitativ hochwertiger Stahl. Auch deshalb ist Stahl das am meisten recycelte Material, allein in Deutschland sind es pro Jahr rund 22 Millionen Tonnen, so viel wie rund 3.000 Eiffeltürme. Alle Stahlprodukte lassen sich wiederverwerten, von der Büroklammer bis zum Schiffsrumpf. Top-Werte bei der Wiederverwertungsrate erzielen auch Gebrauchsgegenstände aus Weißblech: Knapp 94 Prozent aller Dosenverpackungen, Kronkorken und Sprühdosen erhalten so ein neues Leben. Je häufiger Stahl recycelt wird, desto kleiner wird sein ökologischer Fußabdruck. Die CO2-Emissionen bei der Herstellung einer Tonne Stahl liegen beim Multi recycling um rund 50 Prozent niedriger als bei der Primärproduktion. Pro Lebenszyklus, hochgerechnet auf die Gesamtlebenszeit einer Tonne Stahl, fallen so weniger als 1.000 Kilogramm CO2 an. 15 Unendlicher Werkstoff. Stahl schneidet über seinen gesamten Lebenszyklus deutlich besser ab als andere Werkstoffe und leistet so einen Beitrag zur CO2-Minderung. Kurzsichtige Politik Nützliche Nebenprodukte Wie sich Ökonomie und Ökologie sinnvoll verbinden lassen, zeigt die Stahlindustrie auch bei der Verwertung hochwertiger Nebenprodukte. Gut 14 Millionen Tonnen Hochofenschlacke, ein begehrter Ersatzbaustoff unter anderem im Straßenbau, fallen als Nebenprodukt der Rohstahlerzeugung in Deutschland an. Insgesamt 95 Prozent der Schlacke werden als Kreislaufstoff erzeugt. Die Nutzung von Prozessgasen als Energielieferanten trägt ebenfalls zur Ressourceneffizienz bei. So werden die bei der Stahlerzeugung entstehenden Kuppelgase für weitere Produktions- stufen und zur Eigenstromerzeugung von 10,9 Terawattstunden verwendet: Moderne Kraftwerke mit KraftWärme-Kopplung machen integrierte Hüttenwerke von der Stromversorgung nahezu unabhängig, Überschüsse werden ins öffentliche Netz eingespeist. Überlegungen der Politik, die Stromerzeugung aus Kuppelgasen mit der EEG-Umlage zu belegen, gefährden diese ökologisch effiziente Nutzung. Neben den beschriebenen Beispielen gibt es eine Vielzahl anderer Nebenprodukte, die in unterschiedlichen Industriezweigen Anwendung finden. Durch die insgesamt mehr als 35 Millionen Tonnen recycelter Materialien spart allein die deutsche Stahlindustrie in ganz erheblichem Maße natürliche Ressourcen ein. Jede erneut genutzte Tonne Stahl- und Eisenschrott vermeidet den Abbau von 1,5 Tonnen Eisenerz. Schlacken ersetzen Kalkstein, Kies und andere Naturmaterialien. Im Interesse der Ressourceneffizienz muss die Politik die Kreislaufführung von Nebenprodukten und Sekundärrohstoffen stärker berücksichtigen, als es die Ersatzbaustoffverordnung gegenwärtig vorsieht. Hier drohen den Stahlunternehmen in Deutschland zusätzliche Belastungen in Höhe von bis zu 350 Millionen Euro. Um ihre Rolle als Innovationstreiber weiter ausfüllen zu können und wettbewerbsfähig zu bleiben, braucht die Stahlindustrie geeignete politische Rahmenbedingungen. Es hilft weder der deutschen Wirtschaft noch dem Weltklima, wenn ausgerechnet die Stahlindustrie in Deutschland mit ihrer herausragenden Energie- und Ressourceneffizienz aus dem Markt gedrängt würde. Der Stahl käme dann aus Ländern, die eine weit schlechtere Energie- und Ressourcenbilanz aufweisen. Die Männerbranche wird weiblicher Arbeitswelt Stahl 16 2 3 1 1 Arbeitsplatz Stahl Lange Zeit galt die Stahlindustrie als Männerdomäne – doch die Zeiten ändern sich 2 Dr. Nicola Hirsch (rechts) Arbeitsdirektorin und Geschäftsführerin ArcelorMittal in Duisburg 3 Katharina Eisl (links) Geschäftsführerin Stahlwerk Annahütte, gratuliert Industriekauffrau Andrea Roide Heiße Öfen, starke Typen: Dieses Bild verkörperte lange Zeit die Arbeitswelt der Stahlindustrie. Doch längst sind auch weibliche Fachkräfte gefragt – und gern gesehen. Für qualifizierte Frauen bietet sich in Stahlbetrieben eine Vielzahl an attraktiven Berufsund Karrieremöglichkeiten. Und das bis in die Führungsspitzen. Über Jahrhunderte hinweg war die Stahlindustrie eine klassische Männerdomäne. Doch mittlerweile wächst die Zahl der Mitarbeiterinnen. Ob als Ingenieurin, Metallurgin oder Geschäftsführerin: Betrug der Frauenanteil im Jahr 2011 lediglich sechs Prozent, liegt er heute bei rund neun Prozent. Im Vergleich zu nichttechnischen Wirtschafts zweigen ist dieser Wert immer noch relativ niedrig. Deshalb wollen die Verantwortlichen in der Stahlbranche das enorme Potenzial weiblicher Fachkräfte künftig noch stärker ausschöpfen. „Frauen sind mehr als willkommen, denn hinter wettbewerbsfähigen Unternehmen und innovativen Produkten stecken immer engagierte und erfindungsreiche Menschen“, betont Harald Schartau, Arbeits direktor der Georgsmarienhütte. „Darüber hinaus machen es Fachkräftemangel und demografischer Wandel mehr denn je notwendig, qualifizierte Frauen für uns zu gewinnen.“ 17 4 5 Wettbewerb um kluge Köpfe Besonderen Wert legt die Stahlindustrie auf die berufliche Erstausbildung. Trotz Restrukturierung bilden die Unternehmen weiterhin über den eigenen Bedarf hinaus aus. Dabei ist das Spektrum der Berufe in der Stahlindustrie im Vergleich zu anderen Industriezweigen besonders groß. Der Anteil weiblicher Azubis ist mit derzeit knapp elf Prozent im Vergleich zu anderen Technikbranchen überproportional hoch. Die Stahlunternehmen wetteifern regelrecht um weibliche Talente. Die einen setzen auf Kooperationen mit Schulen und Universitäten, organisieren „SommerUnis“ und beteiligen sich am „Girls’ Day“. Die anderen sind bei „Femtec“ aktiv, einem Karrierenetzwerk, das junge Frauen in naturwissenschaftlichen und technischen Berufen fördert. Zudem haben inzwischen immer mehr Unternehmen für moderne Strukturen und Arbeitsmodelle gesorgt, die es ermöglichen, Familie und Karriere unter einen Hut zu bringen. Flexible Arbeitszeiten sind dabei ebenso 6 selbstverständlich wie betrieb liche Kindergärten. Für die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Unternehmen sind Fachkräfte mit Kenntnissen in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) von zentraler Bedeutung. Die Stahlhersteller in Deutschland haben diese Herausforderung angenommen, wie die genannten Beispiele zeigen. Die Politik steht jedoch weiter in der Pflicht, MINT-Qualifikationen auf allen Stufen des Bildungssystems zu stärken. Starke Frauen auf allen Ebenen Und wie erleben die Kolleginnen die Arbeitswelt konkret? „Auch wenn das Klima manchmal etwas rau ist, fühle ich mich wohl“, sagt beispielsweise Lisa Dorothée Müller, die als Ingenieurin in der Kokerei der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) arbeitet. „Man hilft sich gegenseitig und geht offen miteinander um.“ Alexandra Hirsch ist Chefin des Metallurgie- und Labor-Teams 7 bei ThyssenKrupp Steel Europe in Duisburg. Ein Drittel ihres Teams sind Frauen. „Durch die Mischung von Jung und Alt, unabhängig vom Geschlecht, ergänzen wir uns sehr gut“, sagt sie, Männer und Frauen würden gleich behandelt. „Bei uns zählen vor allem Qualifikation, Leistung und Teamfähigkeit.“ Auch in der obersten Führungsetage der Branche sind Frauen längst vertreten: Beate Brandes leitet seit 2013 geschäftsführend das Ressort Personal Salzgitter Flachstahl. Katharina Eisl ist seit 2010 Mitglied der Geschäftsführung des Stahlwerks Annahütte in Hammerau. Und Nicola Hirsch ist Geschäftsführerin und Arbeitsdirektorin des Unternehmens ArcelorMittal in Duisburg. Hirsch, die bereits 2006 ganz oben angekommen ist, ermuntert Kolleginnen, ihrem Beispiel zu folgen: „Ich habe diesen Schritt bis heute nicht bereut – ganz im Gegenteil.“ Und sie fügt hinzu: „Ich bin überzeugt davon, dass jede Führungskraft, egal ob Frau oder Mann, ihren oder seinen Mut in der Führungsrolle unter Beweis stellen muss.“ 8 4 Gemischtes Team In der Arbeitswelt Stahl entscheiden Qualifikation und Leistung, nicht das Geschlecht 5 Girls’ Day 2015 Schülerinnen lernen die Faszination Stahl in der Praxis kennen 6 Beate Brandes Mitglied der Geschäftsführung der Salzgitter Flachstahl GmbH 7 Dr. Alexandra Hirsch Leiterin des Metallurgieund Labor-Teams bei ThyssenKrupp Steel Europe 8 Lisa Dorothée Müller Ingenieurin in der Kokerei von HKM in Duisburg Brückenschläge in die Zukunft Infrastruktur mit Stahl 18 Deutschlands Brücken bröckeln. Die marode Infrastruktur strapaziert zunehmend die Nerven von Pendlern und belastet den Wirtschaftsstandort Deutschland. Die Stahlbranche entwickelt neue Lösungen – und hat dabei auch Fahrräder im Blick. Ob in Leverkusen, Mainz oder Duisburg – vielerorts stehen wichtige Rheinbrücken exemplarisch für ein akutes Problem: Seit 1980 hat sich die Verkehrsdichte auf unseren Straßen um 500 Prozent erhöht, bis 2025 rechnen Experten mit einer Steigerung um weitere 85 Prozent. Die Verkehrswege geraten an ihre Belastungsgrenzen, der Investitionsstau ist enorm: Jedes Jahr fehlen zehn Milliarden Euro für die Verkehrsinfrastruktur, so Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Stahlbrücken gegen Sanierungsstau Dänische StahlSchlange. Der Fahrrad-Highway Cykelslangen in Kopenhagen. Sanieren und modernisieren lautet die Zukunftsformel. Bei Brücken ist oft ein Neubau unvermeidbar. Stahlkonstruktionen erscheinen dabei auf den ersten Blick teurer – anders sieht es aus, wenn auch Wartungskosten und Nutzungsdauer in die Rechnung einfließen. Ein weiterer Vorteil von Stahlbrücken ist der hohe Vorfertigungsgrad, er beschleunigt den Bauablauf enorm. Ökonomisch ratsam ist die Verwendung feuerverzinkter Stahlbauteile, die dauerhaft vor Korrosion geschützt sind. Bislang mussten Stahlbrücken nach rund 25 Jahren neu beschichtet werden, dank Feuerverzinkung verlängert sich die Nutzungsdauer auf bis zu 100 Jahre, wie in einem Forschungsprojekt der Forschungsvereinigung Stahl anwendung (FOSTA) nachgewiesen werden konnte. Wartungsarbeiten und -kosten lassen sich so deutlich reduzieren. Das Beispiel zeigt, dass für den Erhalt und den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur innovative Lösungen der Stahlindustrie unverzichtbar sind. Im Zuge der Erweiterung der Autobahn A 44 in Nordhessen wird aktuell bereits eine feuerverzinkte Stahlverbundbrücke gebaut. Kopenhagen baut vor Auch die urbane Mobilität der Zukunft steht im Fokus der Stahlbranche. Ziel ist es, Konzepte zu erarbeiten, „die sich flexibel, nachhaltig und ästhetisch in urbane Strukturen einfügen und ein Stück Lebensqualität schaffen“, sagt Prof. Dr. Hans Ferkel, Forschungs- und Entwicklungschef bei ThyssenKrupp Steel Europe. Eine neuartige Leichtbau-Stahlkonstruktion, die von den Forschern entwickelt wurde, befindet sich bereits im Einsatz: So wurde in Kopenhagen im vergangenen Jahr der FahrradHighway Cykelslangen – zu Deutsch Fahrradschlange – fertiggestellt. Die 230 Meter lange Stahlbrücke ermöglicht etwa 8.000 Radfahrern täglich einen sicheren und schnellen Übergang über das innere Hafenbecken. Dank Stahl integriert sich die Brücke optimal in das bestehende Stadtbild und bietet zudem eine elegante Optik. Die lange Nutzungsdauer von Stahl leistet darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Innovationen mit Stahl: Der Stahl-Innovationspreis 2015 Der Stahl-Innovationspreis wird seit über 25 Jahren von der Stahlindustrie in Deutschland ausgelobt und ist einer der bedeutendsten seiner Art. 578 Projekte wurden 2015 eingereicht. 13 Projekte sind ausgezeichnet worden, ein Sonderpreis wurde zum Thema „Klimaschutz mit Stahl“ vergeben. Die Gewinner belegen die große Anwendungsvielfalt von Stahl. Sie stammen u. a. aus Architektur und Bauwesen, Design, Maschinen- und Anlagenbau sowie Fahrzeugtechnik und Wissenschaft. Die Auszeichnung rückt den Ideenreichtum und die Innovationskraft derer, die Stahl anwenden, mit ihm forschen, konstruieren oder gestalten, in den Blickpunkt. Zahlreiche Gewinner früherer Stahl-Innovationspreise haben bereits profitiert und ihre Ideen und Produkte erfolgreich im Markt platziert. Die Dokumentation über den StahlInnovationspreis 2015 kann unter www.stahl-innovationspreis.de bestellt oder heruntergeladen werden. Stahl-Innovationspreis 2015: Stahlskulptur von Stefanie Welk Weitere Informationen zur Stahlindustrie finden Sie online: www.stahl-online.de · www.stahl-blog.de · twitter.com/stahl_online Herausgeber Wirtschaftsvereinigung Stahl Sohnstraße 65 40237 Düsseldorf Kontakt Beate Brüninghaus, Leiterin Öffentlichkeitsarbeit Tel.: +49 (0) 2 11-6707-115 E-Mail: beate.brueninghaus@ stahl-zentrum.de Gestaltung und Redaktion Ketchum Pleon GmbH, Düsseldorf Stand Juni 2015 Bildnachweise: Titel: STIFTUNG KUNSTSAMMLUNG NORDRHEIN-WESTFALEN; S. 2: Wirtschaftsvereinigung Stahl (1), Dissing + Weitling architecture (2); S. 4: Thyssenkrupp Steel Europe (1 und 2), istock (3); S. 5: Wirtschaftsvereinigung Stahl/Stahl-Innovationspreis 2009 (1); Buderus Edelstahl (2); ThyssenKrupp Steel Europe (3); S. 6: Silicon Saxony e. V.; S. 7: Saarstahl AG; S.8/9 ThyssenKrupp Steel Europe (1); Salzgitter AG (2); Wirtschaftsvereinigung Stahl (3),S.10/11: istock, S.12: istock; S.13 BARD Gruppe (1); Dillinger Hütte (2) Uwe Braun; Deutscher Zukunftspreis/www.ansgarpudenz.com (3); istock (4); S. 16/17: gettyimages (1), ArcelorMittal Duisburg (2); Annahütte/Neumayr (3); ThyssenKrupp Steel Europe (4); istock (5) Salzgitter AG (6); ThyssenKrupp Steel Europe (7); Hüttenwerke Krupp Mannesmann (8); S.18: Dissing + Weitling architecture; S.19: Wirtschaftsvereinigung Stahl KLIMASCHUTZ BEGINNT MIT STAHL www.stahl-online.de Thema e Mehr zum r Ausgab e b m e ov in der N agazins unseres M Deutschland hat sich beim Klimaschutz ambitionierte Ziele gesetzt. Diese sind nur mit hochwertigen Stahlsorten zu erreichen. Windräder bestehen beispielsweise zu rund 82 Prozent aus dem Werkstoff Stahl. Kessel, Rohre und Turbinen von thermischen Kraftwerken sind daraus gefertigt. Selbst Solarzellen werden auf Stahlkonstruktionen montiert. 74 Millionen Tonnen CO2-Emissionen lassen sich allein durch zukunftsweisende Stahlanwendungen jährlich vermeiden. Das entspricht etwa einem Drittel der von der Bundesregierung angestrebten Gesamteinsparungen. Jede Tonne innovativen Stahls vermeidet sechs Mal mehr CO2 als bei ihrer Produktion entsteht. Eine Initiative von ArcelorMittal • Benteler • BGH Edelstahlwerke • Buderus Edelstahl • Deutsche Edelstahlwerke • Dillinger Hütte • Dörrenberg Edelstahl • Feralpi Stahl • GMH Gruppe Georgsmarienhütte • Hüttenwerke Krupp Mannesmann • Max Aicher Unternehmensgruppe • Outokumpu • Saarstahl • Salzgitter • Stahlwerk Thüringen • ThyssenKrupp
© Copyright 2024 ExpyDoc