Verschiedenes KV-Blatt 05.2015 Karl Ludwig Mahlo – ein KV-Blatt-Zeitzeuge wird 100 Gehen Sie durch. Nehmen Sie Platz. Was haben Sie auf dem Herzen? „Hier spricht Karl Ludwig Mahlo – Fürsorger der Kollegenschaft.“ – Es war eine meiner schönsten Geschichten, die ich vor rund fünf Jahren für das KV-Blatt schreiben durfte. Es ging um den Internisten Karl Ludwig Mahlo, der damals 94 Jahre alt war und unter seinen ärztlichen Kollegen als hervorragender Zeitzeuge der Berliner ärztlichen Selbstverwaltung gehandelt wird. Ihn damals zu befragen hatte einen Hintergrund: In der und über die Vertreterversammlung wurde – auch im KV-Blatt – heftig gestritten. Fragte man Akteure, gab es immer die Antwort, dass das hier schon immer so gewesen sei. Daraus entstand die Idee, einen Zeitzeugen zu befragen. Die Wahl fiel auf den Internisten Karl Ludwig Mahlo. Am 14. Mai wird er 100 Jahre – Anlass genug, den Text von damals, Erinnerungen an das Gespräch und Notizen noch einmal auszukramen. Mahlo war viele Jahre berufspolitisch tätig und eine Legislaturperiode lang selbst Mitglied der Vertreterversammlung. „Mahlo hier, was wollen Sie?“ fragte mein Gesprächspartner damals am Telefon in einem vernehmbar strengen Ton, als es darum ging, Tag und Uhrzeit für ein Gespräch vor Ort auszumachen. Schroff? Unsere damalige Redaktions- sekretärin ließ mich wissen, dass diese Art der Konversation die liebenswürdigste aller Umgangsformen in Berlin sei und ich nicht so empfindlich sein solle. Mahlo vergewissert sich: „KVBlatt – naja, das ist ja alles eine Soße.“ Oder doch nicht? „Dann kommen Sie halt mal vorbei …“. Tag und Stunde waren gekommen. Seine Frau begrüßte mich an der Tür, nicht ohne mich dafür zu tadeln, dass ich ja bereits zehn Minuten zu spät sei. „Nu lass mal“, schallte es aus dem Flur in Richtung Eingangstür. Der Internist erschien selbst und spendierte eine einladende Handbewegung: „Gehen Sie durch, nehmen Sie Platz. Was haben Sie auf dem Herzen?“ Na also, geht doch. Zeitzeuge sei er, bedeutete ich ihm. „Ach was?“ maulte er im besten LoriotStil zurück. Ich berichtete von den damaligen Auseinandersetzungen in der Vertreterversammlung und der Idee, danach zu forschen, wie es denn früher in den 1960er- und 1970er-Jahren der KV-Selbstverwaltung gewesen sei. Karl Ludwig Mahlo konnte aus der Zeit zwischen 1972 und 1976 Erinnerungen beitragen, besser: zitierte. Er trug fast unentwegt aus dem „Roten Blatt“ vor, das seine aktive Zeit in der Selbstverwal- tung ziemlich intensiv begleitet haben muss. Das jedenfalls ließ sich an dem Stapel vor ihm erahnen, der während des Gesprächs immer größer wurde. Fast auf jede dritte Frage folgte seinerseits ein Griff neben den Sessel zu einer weiteren Ausgabe. Mit einer beeindruckenden Präzision blätterte mein Gesprächspartner die geeigneten Fundstellen heraus. Ein Leserbrief von ihm fand sich in einer Ausgabe von 1971: „Der Vertreterversammlung entledigen?“. Der provokanten Überschrift folgten Klagen über schlechte Honorarverhandlungen des Vorstandes, eine nicht minder barsche Kritik an der „unseligen“ Praxis der Honorarprüfungen und über die vielen geheimen Abstimmungen in der Vertreterversammlung. Mahlo, so schrieb ich damals in meinem Text, drosch kräftig auf seine Kollegen in der Vertreterversammlung ein: „Unsere Vertreter haben es in jahrzehntelanger Tätigkeit verlernt, Fürsorger der Kollegenschaft zu sein.“ Man könne sich „entweder nur zum Sterben fertigmachen oder sich in Notwehraktionen der Vertreterversammlung entledigen.“ Beides ist nicht eingetreten. Karl Ludwig Mahlo wurde selbst Mitglied der Vertreterversammlung: „Wir mussten ja was Archivfoto: Schlitt 32 Verschiedenes KV-Blatt 05.2015 tun“, rechtfertigte er sich und freute sich diebisch: „Beinahe hätten wir in der Vertreterversammlung auch die Mehrheit gehabt.“ Er kam in Fahrt. Und dann versagte der Kugelschreiber des Chronisten. Ich erinnere mich, dass ich vor Scham fast in den Boden hätte versinken mögen, machte mich auf eine deftige Bemerkung gefasst. Doch nichts da. Dr. Mahlo war gnädig mit mir. Wortlos reichte er mir seinen Stift, als sei er auch darauf vorbereitet gewesen, und weiter ging’s. Wir sind am Ende des damaligen Wahlkampfs. Es folgte der Einzug in die Vertreterversammlung – und nun galt es, „die siegreiche Personalstrategie“ (O-Ton Mahlo) zu behandeln: „Die Allgemeinmediziner haben wir in den Vorstand geschickt, denn wir hatten in der Versammlung genug zu tun“, erinnert er sich. Es folgten weitere Eindrücke, bei deren Schilderung man sich lebhaft vorstellen konnte, wie Mahlos Truppen mittels verteilter Rollen den Verein auf Trab hielten. Hoch her muss es damals gegangen sein. Und der Internist? Immer mitten drin. Zank und Streit? „Ja, den hat es auch zu unserer Zeit gegeben. Es ging ja immer ums Geld“, erinnerte sich Mahlo. Aber es durfte nie persönlich werden. Darauf legte mein Gesprächspartner großen Wert. Der Streit, zur Not auch mal deftig, sei das eine, die Würde des Kollegen das andere. Außerdem stand der Feind ja auf der anderen Seite. Ich zitiere aus meinem damaligen Text: „Ja sicher, es ging nur ums Geld – und gegen den Hauptfeind, die Krankenkassen“, also auch wieder ums Geld. Der Internist erinnert sich, dass besonders die AOK sie, die Ärzteschaft, ständig geknebelt habe. Dem Vorstand hätten die immer gesagt, die Lage in Berlin-West sei schlecht, deswegen hätten sie nicht genug Geld und könnten den Ärzten auch nicht mehr zahlen. Das sei natürlich alles Quatsch gewesen – und für anständige Arbeit solle man auch anständig bezahlen, befand Mahlo. Der Mann wusste, wovon er sprach. Immerhin befand sich seine damalige Praxis im besonders bevölkerungsreichen Neukölln, und das muss auch im alten Westberlin schon eine Herausforderung gewesen sein. Dr. Karl-Ludwig Mahlo – so sehr er auf die Selbstverwaltung schimpfte, missen mochte er sie nicht, versicherte er. Und sich als Arzt um die beruflichen Belange zu „kümmern“, sei ja auch nicht ver- kehrt gewesen. Sein Sohn, Dieter Hagen Mahlo, auch Internist mit Praxis, aber im Wedding, kam hier ins Spiel, weil der Vater sich wunderte: „Wo der überall mitmacht …“. Wo er das wohl her hat, möchte man entgegnen, aber egal. Jetzt erst einmal Prost auf die Hundert und alles, alles Gute zum „Runden“ aus der KV-Blatt-Redaktion! Reinhold Schlitt KV-Patientensprechstunde: Besucher strömen in Scharen Danke, Niklas! An jenem Dienstag im März hatte das Orkantief Niklas auch die Bundeshaupt stadt in den Würgegriff genommen. Wind geschwindigkeiten, Orkanstärken und überhaupt ... Man mochte gar nicht mehr in den Wetterbericht hinein hören. Beäng stigend schaukelten Bäume, Äste drohten, auf unbescholtene Fußgänger und par kende Autos herabzustürzen. Regengüsse trieben eilig Schutz suchende Passanten vor sich her. Erstaunlich, wer da alles die Beine in die Hände nahm. Die Szenen in Berlins Straßen glichen einer Apokalypse. Da blieb zu Hause, wer es sich eben erlau ben konnte, selbst Hundebesitzer mochten ihre Lieblinge nicht vor die Tür jagen. Überall wurden Veranstaltungen abgesagt. Wer wollte sich bei diesem wohl schlimm sten Sturm der letzten Jahre auch auf den Weg machen? Straßenmusiker und Clowns rund um die TouriEcken an der Gedächtniskirche hatten sich längst vom Acker gemacht. Nicht einmal einen Hüt chenspieler musste die Polizei an jenem denkwürdigen Tag vertreiben. Bei den Planern der beliebten monatli chen KVSprechstunde machte sich Ver zweiflung breit. Würde bei diesem Wetter jemand kommen? Man kennt sein Publi kum, weiß, dass auch viele ältere Men schen, manche mit Behinderung, gerne den Vorträgen der Ärzte lauschen. Wo sonst hat ein Arzt in der „Sprechstunde“ schon so viel Zeit? Mit fast schon feuchten Augen starrte das Team um Simone Plake und Marion Wehrand durch die regen nassen Fenster. Wenigstens ein paar Men schen könnten kommen, da wäre man schon dankbar. Doch bedrohlich nahe rückte der Zeiger auf 18 Uhr, jenen Zeit punkt, für den die Wetterfrösche einen ersten Höhepunkt des Sturmes vorausge sagt hatten – mit äußerst treffsicherer Pro gnose, wie sich herausstellte. Und 18 Uhr – das war auch der Beginn der Veranstal tung. Wird’s noch was? Ja, es wurde – und wie: Langsam tröp felten die ersten Besucher zur Tür des KV Sitzungssaals herein. Die ersten Stühle im Saal waren schnell besetzt. Eine kleine Schar der tapfersten und treusten Fans, nur wenige Enthusiasten. Na bitte, geht doch. Und es ging noch viel mehr. Wei tere Stuhlreihen füllten sich, und am Ende wurde es sogar fast noch eng. Ein schnelles Köpfezählen ergab: Über 70 Besucher, so viele waren lange nicht mehr da. Rätsel raten allenthalben und immer wieder der Blick aus dem Fenster: Untergangsstim mung. Beim benachbarten Rundfunksen der hat’s eine Fahne erwischt und über haupt: Niklas tobte – doch denen, die zur „Sprechstunde“ kamen, war die KV eine sichere Burg. Dr. Christian Klotz 33
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