Liebe Gemeinde Vor kurzem hatte ich einen Traum. Kurz vor dem

Predigt Gemeinsam leben – Bonhoeffer reloaded, Arthur Lampe
Liebe Gemeinde
Vor kurzem hatte ich einen Traum. Kurz vor dem Gottesdienst war ich unten und sah
wie die Leute zum Gottesdienst strömten. Dann bemerkte ich plötzlich, dass ich mich
noch nicht umgezogen hatte. Ich rannte in die Wohnung. Fragte Kornelia, wo meine
Sachen sind, konnte sie nicht sogleich finden. Und die Zeit lief, es war schon zehn
Minuten drüber und ich war immer noch nicht unten. Ich bekam Panik. Als ich dann
unten war, bemerkte ich erleichtert, dass ich nicht die Gottesdienstleitung hatte. Der
Gottesdienst war schon im vollen Gange. Dann war ich verblüfft, die Leute
unterhielten sich miteinander in der Kapelle, aus Richtung der Technik sagte jemand
etwas, alle anderen hörten zu, ganz vorne in der Mitte antwortete jemand und so
ging das einige Minuten. Dann bin ich aufgewacht. Alles nur ein Traum?
Ich möchte heute an die Predigt vom letzten Sonntag anknüpfen.
Gemeinsam leben soll auch heute das Thema sein. Das gemeinsame Leben vor
allem als Christen, damit tun sich heute viele schwer. Johannes Wirth erzählte
kürzlich, dass auch sie als Kirche Schwierigkeiten haben, die Leute zu halten. Die
Menschen wollen eher ihren individuellen Interesse nachgehen, lieber irgendetwas
anderes machen oder einfach gemütlich zu Hause bleiben, wo man keinen Stress
hat. Die Kirchenmüdigkeit nimmt in den letzten Jahren zu. Viele, auch gestandene
Christen kommen oft nur noch aus gewisser Gewohnheit, haben kein Wachstum
mehr im Glauben und sind müde geworden. Letzte Woche sagte mir eine junge Frau:
Ich gehe nicht in die Gemeinde, da sind so komische und teilweise verstaubte Leute
und mit denen muss ich mich dann auseinandersetzen. Das muss ich nicht haben.
Und ich konnte sie in gewisser Weise verstehen.
Ich liebe die Kirche. Wissen wir eigentlich noch was Kirche für ein Schatz ist. Ich
liebe Kirche mit all dem, was schön ist, den Lobpreis, die Gemeinschaft, das
gemeinsame Hören auf Gott und auch all die Herausforderungen im gemeinsamen
Unterwegssein, die weltweiten Begegnungen, wie z.B. kürzlich mit dem Ehepaar
Goldsmith oder den vielen Missionaren, die wir in den letzten Wochen und Monaten
hier hatten.
Das ging Paulus auch so. Auch er liebte die Kirche.
Deshalb schreibt er in 1. Kor 12,27 u. 26: „So bildet ihr gemeinsam den Leib
Christi, und jeder Einzelne gehört als ein Teil dazu. Wenn ein Glied leidet,
leiden alle anderen mit, und wenn eines geehrt wird, freuen sich alle anderen
mit.“
Kirche sein und werden. Darum geht es Paulus hier.
Kirche sein nennt Paulus Leib Christi sein.
Paulus schreibt ja an die Gemeinde der Korinther. Die Korinther sind keine einfache
Gemeinde. Paulus hat so seine Schwierigkeiten mit der Gemeinde. Dort gibt es
Leute, die die Auferstehung Christi leugnen; Leute, die offensichtlich Inzest betrieben.
Eine Gemeinde, in der viel falsch läuft, in der viel Sünde ist wie bei uns auch und in
der es an Glauben mangelt.
Paulus sagt zu dieser Gemeinde: Ihr seid der Leib Christi. Er sagt nicht: Es wäre
schön, wenn ihr der Leib Christi wäret. Nein er sagt: Ihr seid der Leib Christi. Sie sind
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Predigt Gemeinsam leben – Bonhoeffer reloaded, Arthur Lampe
Kirche, sie sind Leib Christi, ganz unabhängig davon, ob sie sündigen oder nicht. Wir
können nichts dazu tun zur Gemeinde, zur Kirche zu gehören. Gott hat alles getan,
dass wir zur Kirche, zur Gemeinschaft von Christen dazugehören dürfen. Es ist
Gottes Gnade, Leib Christi zu sein.
Man kann auch sagen: Wir sind das Volk Gottes auf Erden mit Christus als unserem
Herrn. Alle, die glauben gehören dazu, du brauchst keine besonderen Fähigkeiten
oder Auszeichnungen. Du gehörst dazu, weil Jesus dich erwählt hat. Das heisst
Kirche.
Der Leib Christi ist nicht ein bestimmtes Gebäude oder eine Institution. Kirche ist die
Gemeinschaft der Gläubigen, wo auch immer sie sich gerade aufhalten – sichtbar,
wo wir uns als Christen begegnen und unsichtbar, wo wir an einander denken, im
Gebet Gemeinschaft haben.
Als Volk Gottes wissen wir, dass uns die Ewigkeit geschenkt ist, dass wir gemeinsam
unterwegs sind in der Welt mit allen, die Christus lieben. Und dass wir gemeinsam
auf die Ewigkeit von Gott zugehen. Wir sind ein Volk, das für immer mit Gott
zusammengehört, im Himmel und auf Erden. Ist uns das wirklich bewusst?
Es gibt unterschiedliche Völker. Und einige von euch haben vielleicht schon einige
Länder bereist und Völker mit ihren Sitten und Gebräuchen kennengelernt.
Und so schön es auch dort zugehen mag. In jedem Volk, ist jeder letztlich nur auf
sich selbst ausgerichtet. Es gibt wenig wirkliche Einheit oder Gemeinschaft, jeder
denkt zuerst an sich selbst.
Vor kurzem erzählte mir jemand, wie ein Jugendlicher sagte: Du kannst keinem
trauen auf der Welt. Alle hintergehen dich. Das ist traurig, dass jemand so denkt,
aber es spiegelt ein Stück erfahrene Realität wider.
Aber es gibt noch ein anderes Volk, das Dir nicht wirklich sichtbar begegnet ist,
dessen Vaterland Du noch nicht bereist hast. Es ist ein Volk, das auf der ganzen Welt
verteilt ist. Dort herrscht Liebe untereinander. Dort leben die Menschen versöhnt
miteinander und richten sich immer wieder auf den Frieden aus.
Jesus hat diesen Frieden in uns geschaffen. Im Volk Gottes – in der Kirche, in den
Gemeinden - können wir daher eine Atmosphäre schaffen, die echt ist und die zum
Miteinander beiträgt. Im Volk Gottes lieben und vertrauen sich die Menschen, weil
Gott sie liebt. Die Menschen sind füreinander da. Wenn jemand fällt, wird er wieder
aufgestellt.
Es scheint, dass die Menschen heute immer gleichgültiger werden und immer
weniger für andere da sind. Und einige fragen sich: Wie lange geht das noch so
weiter, wie wird das enden?
Was für ein wundersamer Ort ist da die Kirche, die Gemeinschaft derer, die zu
Christus gehören.
Es ist wichtig, dass wir uns wieder mehr bewusst werden, was Kirche eigentlich ist.
Drei Dinge machen die christliche Gemeinschaft aus, hier vor Ort in Marthalen und
weltweit, diese geben ihr Kraft und Macht: Das man sich füreinander einsetzt,
füreinander betet und sich im Geist der Versöhnung begegnet.
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Sich für den anderen opfern
Das erste ist die, sich füreinander einzusetzen oder auch sein Leben für den anderen
zu opfern. Klingt etwas hart.
Wie kann das aussehen?
Einer für alle, alle für einen. Das kennt ihr vielleicht. Jesus hat sein Leben für uns
hingegeben, er ist für uns gestorben, damit wir leben können.
Die Bibel sagt: Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seine einzigen
Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern das
ewige Leben hat.
Wenn wir an Jesus glauben, können wir gar nicht anders, aus Dankbarkeit und Liebe
unser Leben für den anderen Bruder oder Schwester zu geben. Wir wollen nach dem
Vorbild Jesu unser Leben für den anderen einsetzen.
Jesus sagt: Die grösste Liebe beweist der, der sein Leben für die Freunde
hingibt.
Wenn Du zu Jesus gehörst, denkst Du nicht mehr an Dich selbst, sondern richtest
dein Leben auf andere aus.
Das Leben wird erst zum Leben, wo ich es für den anderen opfere. Wenn ich
jemanden liebe, opfere ich gerne etwas Zeit, Energie. Die Eltern und Lehrer,
Erzieher opfern gerne ihre Kraft für das Vorankommen ihrer Kinder. Ein Sportler setzt
seine ganze Energie dafür ein, dass seine Mannschaft gewinnt. Im Volk Gottes liebt
man einander und setzt sich daher füreinander ein, man opfert sich. Wir sprechen ja
auch vom Opfer, wenn wir Geld einsammeln. Wir geben, weil wir wissen, dass wir
auch nur Beschenkte sind. Wenn unsere Missionare kommen, geben wir gerne
etwas für ihre Arbeit.
Bonhoeffer sagt: „Die Kraft des Opfers ist die Kraft der Gemeinschaft.“
Je mehr wir bereit sind ineinander zu investieren, desto besser wird unsere
Gemeinschaft.
Und wollen wir nicht unsere Gemeinschaft untereinander verbessern?
Vielleicht ist es ja dran, das wir uns mehr ineinander investieren.
Weiter Bonhoeffer: Und weil im Volk Gottes sich einer für den anderen opfert,
darum ist es das mächtigste Volk der Welt.
Eine ganz wichtige Sache ist also sich füreinander aufgeben. Das macht Kirche aus.
Fürbitte
Ein anderer Punkt ist die Fürbitte. Wer von uns sässe heute hier, wenn es nicht
irgendjemanden gegeben hätte, der für uns gebetet hat.
Wieviel Abermillionen Gebete steigen jeden Tag zum Himmel. Und vielleicht ist es
deshalb so, dass du irgendwann wieder Kraft bekommst und du weisst nicht woher
es kommt.
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Vielleicht gibt es jemanden unter uns, der für dich gebetet hat und es geht dir wieder
besser. Immer wieder habe ich bei meinen Krankenbesuchen gehört, dass Menschen
erfahren, dass sie sich getragen fühlen oder ein plötzlicher Friede entsteht, obwohl
es eine neiderschlagende Diagnose gegeben hat.
Ein Mann der später Evangelist wurde, erzählte, wie er merkte, dass seine Mutter auf
Knien lag und für ihn betete. Er war so tief berührt, dass er sich bekehrte.
Das macht doch sehr bescheiden und demütig, dass mein gutes Leben das Ergebnis
davon ist, dass andere sich vor Gott für mich eingesetzt haben.
In der Fürbitte kommt die grosse Liebe für den anderen zum Ausdruck, auch wenn
ich nicht viel Gefallen an ihm habe. In der Fürbitte geht es mir um den anderen, nicht
um seine Fehler.
Wir leben dadurch, dass andere für uns beten. Und so hat Jesus uns auch das
Unser Vater gelehrt:
Unser (nicht mein) Vater im Himmel, gib uns das täglich Brot, vergib uns unsere
Schuld …
Durch das Gebet sind wir vor allem heute weltweit miteinander als Christen vernetzt.
Und wir können weltweit uns füreinander im Gebet einsetzen. Das ist Kirche.
(Dietrich Bonhoeffer sagte: Er wisse nicht wie es ihm in mancher Situation ergangen
wäre, hätte nicht jemand für ihn gebetet.)
Ein drittes, aber wohl wichtigstes Gut für uns Christen ist, dass einer dem anderen –
ich dir und du mir – die Schuld bekennen können und einander Vergebung in
Jesu Namen zusprechen können.
Jesus gab den Seinen die Vollmacht, das Bekenntnis der Sünde zu hören und die
Sünde in seinem Namen zu vergeben:
„Welchen ihr die Sünden vergebt, denen sind sie vergeben, welchen ihr sie
behaltet, denen sind sie behalten“ (Joh 20,23).
Was für eine grosse Befreiung ist es, wenn ich schwere Lasten nicht mehr mit mir
rumtragen muss. Und ich frei werde für das eigentliche Leben. Einige gehen damit zu
einem persönliche Seelsorger.
Ich gehe auch immer wieder zu einem Freund, dem ich meine Sorgen und das, wo
ich schuldig geworden bin, bringen kann.
Heilsam ist es sicher auch, wenn ich in einer Gemeinschaft sagen kann, was mich
bedrückt und für mich beten lassen kann, dass Gott mir das wieder abnimmt.
Und so werde ich wieder frei für die Gemeinschaft. Die ausgesprochene, bekannte
Sünde hat alle Macht verloren. Darum finde ich es auch so wichtig, dass jeder
jemanden kennt, dem er das persönliche Versagen beichten kann.
Im Opfer, in der Fürbitte und in der Beichte liegt eine grosse Kraft und Macht für uns
Christen. Das gibt es nur in der Kirche: die grosse Liebe zueinander und füreinander.
Das ist Kirche.
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Predigt Gemeinsam leben – Bonhoeffer reloaded, Arthur Lampe
In der Kirche bist du nicht allein, weder in deiner Freude noch in deinem Schmerz.
Auch wenn du in Not bist oder krank, ist jemand für dich da. Da ist keiner, der einsam
und heimatlos alt wird. Niemand, der im Sterben mit dem Tod ringt. Die Gemeinde
und Jesus als der Herr der Gemeinde sind bei ihm. Sie betet für ihn, tröstet ihn, hält
ihn unsichtbar an der Hand. Die Gemeinde als der Leib Christi umgibt ihn mit seiner
Liebe. Die Realität sieht leider oft etwas anders aus.
Aber wenn wir Gemeinde, Kirche wollen, dann sieht es so aus.
Das Volk Gottes, die Kirche, ist für alle da, die trauern, krank sind, verlassen,
heimatlos, sterben. Alle denen es so geht, dürfen sich tragen und lieben lassen.
Aber wir wollen auch selbst lieben und tragen. „Einer trage des anderen Last,
so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“ (Gal 6,2).
(Bonhoeffer): Wo die Gemeinde ist, da ist Christus, da ist Gottes Liebe. Nur da kann
es diese Liebe geben, eben in menschlicher Schwachheit. Wir sollten es wieder
bewusst leben was Kirche eigentlich ist, was für ein grosser Schatz es ist.
Auf Kirchentagen und christlichen Musiktagen erlebe ich es, wie ansteckend,
hilfreich, stärkend es sein kann, in der Kirche zu sein.
Oder in Hauskreisen, wo wir uns kennen und mögen, ist das sicher einfach. Auch da,
wo wir unsere Komfortzone nicht verlassen müssen. Aber nicht nur die Menschen,
die wir mögen in der Gemeinde und darüber hinaus brauchen uns.
Alle brauchen es, dass wir uns für sie einsetzen, dass wir für sie beten und dass sie
jemanden haben, wo sie ihre Schuld abladen können.
Auch die Welt von heute brauchet Hilfe, sie ist schwach, klein und gering und so
heimatlos: Sie braucht die Kirche.
Ich habe einen Traum, dass viele Menschen herbeiströmen, sich aufmachen, weil sie
wieder wirklichen Hunger nach Leben bekommen und sich nicht mehr mit
Vordergründigem abspeisen lassen wollen.
Ich habe einen Traum, dass Menschen sich mit ihrer Sehnsucht aufmachen und
wirkliche Liebe erleben wollen.
Ich habe einen Traum, dass Menschen zurück zur Kirche finden, wo einer den
anderen in Liebe trägt, wo einer das Leben des anderen lebt, wo Gemeinschaft in
Gott ist.
Ich habe einen Traum, dass in all unseren Gemeinschaften, sich einer für den
anderen opfert, einer für den anderen bittet, und einer dem anderen die Sünden
vergibt. Ich habe einen Traum, dass Kirche ein Ort ist, wo gemeinsam gelebt wird.
Träumt ihr mit?
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und
Sinne in Christus Jesus. Amen.
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