Bau der Berliner Mauer

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Abendsprache 28. August – Der Bau der Berliner Mauer
Viele von Euch werden davon in den Medien gehört, manche es auch schon wieder vergessen haben:
Gegen Ende der Sommerferien, am 13. August dieses Jahres, jährte sich die Errichtung der „Berliner
Mauer“ zum 50. Mal.
In den frühen Morgenstunden des 13. August 1961 – es war ein Sonntag – hatte unter Leitung von Erich
Honecker, damals Mitglied des Politbüros der SED, aber noch dem Parteichef Walter Ulbricht unterstellt,
die nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 wohl spektakulärste Operation der deutschen
Nachkriegsgeschichte begonnen:
Einheiten der DDR-Armee, der Polizei und paramilitärischen Betriebskampfgruppen schlossen die 45 km
lange Grenze zwischen Ost- und Westberlin mit Stacheldrahtverhauen.
Auch die 166 km lange Grenze zwischen Westberlin und der übrigen DDR wurde geschlossen – und im
Laufe der Zeit immer weiter ausgebaut, mit Betonmauer, Todesstreifen, Wachtürmen, Minen und
Selbstschussanlagen.
Die 1400km lange Grenze der DDR zur Bundesrepublik war schon seit 1952 geschlossen. Seit 1952/53 war
es nur noch über das „Fluchtloch“ Berlin möglich, aus dem kommunistischen Machtbereich in den Westen
zu gelangen, was neben den vielen Ostdeutschen auch einige Polen und Tschechen nutzten.
Walter Ulbricht, der SED-Parteichef, hätte dieses Fluchtloch am liebsten schon 1953 geschlossen, aber die
Russen hatten gezögert, der sowjetische Parteichef Chrustschow hatte geglaubt, Westberlin in eine
sogenannte „Freie Stadt“ verwandeln zu können, aus der die westlichen Alliierten ihre Truppen abziehen
würden, damit Westberlin vom Westen isolieren und dadurch weitere Fluchtbewegungen verhindern zu
können.
Nachdem dieser Versuch an der Festigkeit des Westens gescheitert war, gab Chrustschow dann 1961
Ulbricht die Erlaubnis zur Abriegelung Westberlins. Aber das ist wichtig: Die Initiative zum Mauerbau ging
von der ostdeutschen Parteiführung aus.
Dass SED und Moskau den Mauerbau vorhatten, war ein Staatsgeheimnis.
Berühmt ist Ulbrichts Antwort auf die Frage einer westlichen Journalistin vom 15. Juni 1961.
Die Journalistin Annamarie Doherr von der Frankfurter Rundschau hatte damals die Frage gestellt:
„Ich möchte eine Zusatzfrage stellen. Doherr, Frankfurter Rundschau: Herr Vorsitzender, bedeutet die
Bildung einer freien Stadt Westberlin Ihrer Meinung nach, dass die Staatsgrenze am Brandenburger Tor
errichtet wird? Und sind Sie entschlossen, dieser Tatsache mit allen Konsequenzen Rechnung zu tragen?“
Ulbricht antwortete:
„Ich verstehe Ihre Frage so, dass es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die
Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR mobilisieren, um eine Mauer aufzurichten, ja? Ääh, mir ist nicht
bekannt, dass [eine] solche Absicht besteht, da sich die Bauarbeiter in der Hauptstadt hauptsächlich mit
Wohnungsbau beschäftigen und ihre Arbeitskraft voll ausgenutzt, ääh, eingesetzt wird. Niemand hat die
Absicht, eine Mauer zu errichten.“
Dass Ulbricht „Mauer“ sagt, muss wohl – 2 Monate vor dem 13. August – eine Fehlleistung gewesen sein –
die Journalistin hatte den Begriff gar nicht benutzt. Und auch am 13. August 1961 entstanden zunächst
Drahtverhaue hinter denen Bewaffnete standen, Fenster und Wohnungseingänge an der Grenze wurden
zugemauert, erst nach und nach wuchs eine Mauer aus Beton in den geteilten Himmel über Berlin.
Aber Ulbricht hatte wohl von Anfang an das Bild einer Mauer im Kopf und verplauderte sich hier ein wenig.
Warum war für Ulbricht und die SED diese Mauer so wichtig?
Ich wurde am 11. April 1961, dem Tag der Eröffnung des Eichmannprozesses in Jerusalem, geboren.
Da waren noch 4 Monate Zeit, mit relativ geringem Risiko die DDR in Richtung Westen zu verlassen.
Gründe gab es genug: von der Unfreiheit und politischen Unterdrückung, der Bespitzelung durch die Stasi
bis zu den Schlangen vor den Fleischerläden. Das neugeborene Baby konnte aber keine Entscheidung
treffen und dass meine Mutter und Großmutter den Weg in den Westen nicht gingen, lag nicht an ihrer
Liebe zum Kommunismus, sondern hatte sehr persönliche Gründe.
Ich habe lange – eigentlich bis zum Herbst 1989 – gebraucht, diese Gründe gelten zu lassen.
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Aber nicht alle Menschen fühlten sich so an ihre Heimat gebunden, dass sie in Kauf nahmen, die rote
Diktatur zu ertragen:
Allein in den letzten 24 Stunden vor der Schließung der Grenze flohen 2662 Menschen.
Von Gründung der DDR im Jahre 1949 bis zum 13. August 1961 hatten 2,7 Millionen Menschen das Land
verlassen. Rechnet man die Flüchtlinge zwischen 1945 und 1949 mit ein, kommt man auf 3, 5 Millionen –
und das bei einer 1961 verbliebenen Einwohnerzahl von 17 Millionen!
Also 15 oder 20 % der Bevölkerung hatten das Land verlassen, die Bevölkerungszahl der DDR war stetig
gesunken.
Und es waren nicht irgendwelche Menschen, die gingen, sondern die gut Ausgebildeten – Ärzte,
Professoren, Juristen, Lehrer und Ingenieure und: die Jungen. Die Hälfte derer, die das Land verließen, war
unter 25 Jahre alt!
Und die Bundesrepublik hat uns Ostdeutsche nie verraten.
Keine Bundesregierung hat die DDR-Staatsbürgerschaft je anerkannt, für sie war jeder Ostdeutsche ein
Deutscher und wenn er es schaffte, den kommunistischen Machtbereich zu verlassen und seinen DDRAusweis vorzeigte, salutierte der Beamte, verlangte noch ein oder zwei Passbilder und wenig später konnte
man sich seine bundesrepublikanischen Personaldokumente abholen.
Die DDR wäre ohne den Mauerbau ausgeblutet, dem Regime wäre das Volk davongelaufen, das war das
Motiv dieses Volk einzusperren.
„Bürger“ im eigentlichen Sinne des Wortes waren die sogenannten „DDR-Bürger“ ja noch nie: ohne
Meinungs-, Versammlungs-, Presse- und Religionsfreiheit, ohne das Recht auf freie Wahlen, ohne eine
unabhängige Justiz, von Machthabern beherrscht, die den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 nur mit Hilfe
der russischen Panzer niederschlagen konnten.
Man hätte die sogenannten „DDR-Bürger“ vielleicht „Einwohner“ nennen können.
Jetzt, nach der Abriegelung der letzten Fluchtmöglichkeit waren sie „Insassen“ ihres Landes, ihr Land war
ein großes Gefängnis geworden und die „Insassen“ wurden bewacht von den Beauftragten des Regimes.
Mit derselben Verlogenheit, mit der der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 als „faschistischer Putschversuch“
bezeichnet wurde, nannten die Herrschenden der SED die Mauer in Berlin den „antifaschistischen
Schutzwall“, so als ob der Sinn dieser immer perfekter bewachten Grenze darin bestünde, Faschisten am
Eindringen ihn die DDR und nicht darin, die eigene Bevölkerung am Weglaufen zu hindern.
Und mit der Einmauerung des Volkes einher ging auch der Entschluss der Herrschenden zu morden:
Wer jetzt flüchtete, musste damit rechnen, erschossen zu werden.
Damit wurde wie Joachim Gauck schreibt „die Leibeigenschaft zur Staatsdoktrin erhoben“, die Bevölkerung
saß in der Falle.
Wer jetzt das enorme Risiko, die Grenzanlagen zu überwinden, nicht auf sich nehmen wollte, der musste
sich irgendwie anpassen oder sich eine Nische suchen, in der er so regimefern wie möglich überleben
konnte.
Die Angst vor der allmächtigen Stasi bewirkte manchmal Widerstand, viel öfter jedoch Anpassung, vielfach
auch Überanpassung und eine fast pathologische Spaltung der Persönlichkeit:
Wer seine gesellschaftliche Position verteidigen wollte, musste in der Öffentlichkeit oft ganz anders
sprechen, als er dachte, manche waren auch so vorsichtig, schon gar nicht mehr zu denken, was man nicht
aussprechen durfte.
Eine kleine Minderheit versuchte trotz aller Gefahr für Leib und Leben, dem Regime zu entkommen:
Bis Ende September 1961 gab es 216 gelungene Fluchtversuche von ca. 400 Menschen, sogar von den
eingesetzten Grenzsoldaten flüchteten 82.
Mit dem Ausbau der Grenzanlagen wurde es immer schwieriger: Aber Menschen gruben Tunnel, flohen in
Heißluftballons, schwammen durch Spree und Ostsee.
Viele aber wurden bei diesen Versuchen ermordet, an der Berliner Grenze mindestens 136 Menschen,
deren Namen bekannt sind, vielleicht auch mehr als 200, an der gesamten Grenze mindestens 1200.
Diese Zahlen sind nicht eindeutig, weil das Regime natürlich alles tat, diese Fälle zu vertuschen.
Wesentlich mehr Ausbruchsversuche aus der DDR wurden übrigens im Vorfeld vereitelt – ein Beleg dafür,
wie gut die Staatssicherheit arbeitete: Die meisten derer, die sich vorbereiteten, das Land zu verlassen,
wurden verraten. Sie wurden ins Gefängnis geworfen – der Straftatbestand hieß: „Versuchte
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Republikflucht“. In den 80ger Jahren konnten sie dann zunehmend damit rechnen nach einiger Zeit von der
Bundesrepublik freigekauft zu werden: Politische Häftlinge waren ein Exportschlager der ansonsten auf
dem Weltmarkt nicht sehr konkurrenzfähigen DDR.
Einen der an der Grenze Ermordeten habe ich gekannt, nicht sehr gut, wir hatten nur ein paar Mal
miteinander gesprochen.
1987 war ich 26 und er 17 Jahre alt, ich hatte bis vor wenigen Jahren an der Magdeburger Musikschule
Klavierunterricht gehabt und er hatte noch immer Unterricht bei demselben Lehrer.
Dieser 17jährige war ziemlich unglücklich in die Tochter der Gemeindeschwester, welche ein paar Jahre
zuvor meine Großmutter gepflegt hatte, verliebt und er wollte mit mir eigentlich nur über diese
unglücklichen Liebe sprechen, das letzte Mal auf einer Musikschulfete Anfang Juli 1987.
Ein paar Wochen später hat er dann versucht, die Grenze zwischen Ungarn und Österreich zu überwinden,
um in den Westen zu kommen. Das muss ihm leichter erschienen sein, als es an der deutsch – deutschen
Grenze zu versuchen.
Geklappt hat es trotzdem nicht – 1987 haben anders als nur 2 Jahre später auch in Ungarn Grenzsoldaten
geschossen und der Junge ist irgendwo an der ungarisch- österreichischen Grenze erschossen worden.
Auch diesen Fall wollten die Herrschenden verschleiern: Die Staatssicherheit bedrohte den Vater – er war
Opernsänger – er werde seine Stelle am Theater verlieren, wenn er mit irgendjemandem über seinen Sohn
spreche. Die Leiche haben seine Eltern nicht zu sehen bekommen.
Ich habe noch heute ein schlechtes Gewissen, dass ich bei unserem letzten Treffen keine Worte gefunden
habe, diesem 17-jährigen Jungen mehr Hoffnung für seine unglückliche Liebe zu machen.
Alles, was ich gesagt hätte, wäre falsch gewesen, aber hätte er sich noch 2 Jahre um dieses Mädchen
bemüht, wäre die Grenze offen gewesen, und er hätte ein alter Mann werden können.
Hat auch der ungarische Grenzsoldat, der ihn erschossen hat, manchmal ein schlechtes Gewissen?
Ich hoffe es – ich hoffe, dass er nicht so seelisch tot ist, dass es ihn nicht belastet.
Und doch richtet sich mein Groll nicht in erster Linie gegen diese einfachen Soldaten, die geschossen
haben.
Ja, sie hätten wissen müssen, dass es kein Recht gibt, auf Zivilisten zu schießen, die nichts anderes wollen,
als in die Freiheit laufen.
Aber da kommt in dieser von Angst erfüllten Atmosphäre einer kommunistischen Armee ein Offizier, der
viel ranghöher (auch viel älter) ist und sagt zu einem ängstlichen 18jährigen Kind: Das musst Du machen,
wenn der Grenzverletzer kommt, sonst wirst du bestraft!
Die Strafe wäre gar nicht so hoch gewesen, wenn der Soldat in die Luft geschossen – und gesagt hätte, er
sei aufgeregt gewesen und habe deshalb nicht getroffen - Wer hätte ihm schon das Gegenteil beweisen
können?
Ich habe mehrmals nach 1989 die Behauptung gehört, diese Grenzsoldaten hätten schießen müssen, sonst
wären sie selbst erschossen worden.
Das ist völliger Unsinn, es hat keinen einzigen solchen Fall gegeben, ebensowenig wie für den
Nationalsozialismus ein Fall belegt werden kann, dass ein Soldat erschossen worden ist, der sich geweigert
hat, Zivilisten zu erschießen – und es hat etliche Fälle solcher Weigerung gegeben.
Im vereinten Deutschland hat es gegen die „Mauerschützen“ Prozesse gegeben und sie sind zu geringen
Strafen, meist Bewährungsstrafen, verurteilt worden.
Ich finde das richtig – dass es die Prozesse gegen hat, aber auch die milden Urteile.
Diese sehr jungen Männer sind ja selbst Opfer eines Regimes, das sie zu Mördern gemacht hat.
Und wer von ihnen nicht seelisch mausetot ist, quält sich mit dem, was er getan hat.
Schuldiger als der Soldat ist der Offizier, schuldiger als der Offizier der General, schuldiger als der General
ist die Partei- und Staatsführung der DDR.
Auch gegen Vertreter der letzteren hat es der Mauertoten wegen einen Prozess gegeben:
Im sogenannten „Politbüro-Prozess“ wurden 1997 „wegen Totschlags an DDR- Flüchtlingen“ Egon Krenz zu
6 ½ , die Politbüromitglieder Günter Schabowski und Günter Kleiber zu je 3 Jahren Haft verurteilt.
Alle sind vorzeitig aus der Haft entlassen worden.
Ich finde, das ist eine sehr geringe Strafe für ihre Verbrechen, die sicher den Angehörigen der Opfer keine
Genugtuung verschafft. Aber das kann die Justiz eines Rechtsstaates wohl auch nicht leisten.
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Gedenken wir der Ermordeten, die für ihre Sehnsucht nach Freiheit gestorben sind, nach einer Freiheit, die
vielen von uns heute oft allzu selbstverständlich erscheint.
Gedenken wir aber auch derer, die mit ihrem Aufbegehren im Herbst 1989 die Mauer und das SEDUnrechtsregime zum Einsturz gebracht haben, denn die Sehnsucht nach Freiheit hat letztlich über die
Kerkermeister gesiegt.
Text: Joachim Schütte