10 Wettbewerbe Entscheidungen Bauwelt 3 | 2008 Die „Gedenkstätte Berliner Mauer“ an der Bernauer Straße soll erweitert werden. Nirgendwo sonst lässt sich heute besser nachvollziehen, welche Schneise der Bau der Grenzanlagen in den Stadtraum geschlagen hatte. Den Wettbewerb für die Gestaltung des Freiraums, die Open-Air-Ausstellung und einen neuen Info-Pavillon gewann ein Entwurf mit Elementen aus Corten-Stahl – ein hierzulande gern verwendetes Material, wenn es ums Gedenken geht. Erweiterung der Gedenkstätte Berliner Mauer Friederike Meyer Offener Realisierungswettbewerb für Hochbau, Freiraum und Ausstellung 1. Preis (28.500 Euro) Mola Winkelmüller mit Sinai. Faust.Schroll. Schwarz und Christian Fuchs, Berlin | 2. Preis (20.000 Euro) Rother Rother Architekten Designer mit K1 Landschaftsarchitekten, Berlin | 3. Preis (13.500 Euro) Dominik Uhrmeister mit bbz Land- Mauer und Todesstreifen sind im Berliner Stadtgebiet nahezu verschwunden. Nur noch wenige Reststücke und eine doppelte Pflastersteinreihe erinnern an ihren Verlauf. Für die Erinnerungskultur ist die Bernauer Straße ein Glücksfall. Hier ist der ehemalige Todesstreifen noch nicht überbaut und macht die Dimension der Sperranlagen nachvollziehbar, hier sind Mauerfundamente erhalten, hier haben die Kameras in den 60er Jahren spektakuläre Bilder von Fluchtversuchen eingefangen. Die Bernauer Straße schaftsarchitekten und Laura Schleussner, Berlin | 4. Preis (9700 Euro) ENS Architekten mit Rita Mettler und Birgit Fischer, Berlin | Ankauf (8900 Euro) fnp Architekten mit Lohrberg Landschaftsarchitektur und Martin Neumann mit Büro Reinhardt, Stuttgart | Ankauf (8900 Euro) Dieter Schröder, Stuttgart, mit Treibhaus Landschaftsarchitektur und Sophie Jahnke Produktdesign, Berlin Die nicht mehr vorhandene Originalmauer bildet das Team Mola Winkelmüller, Sinai.Faust. Schroll.Schwarz und Christian Fuchs, Berlin (1. Preis) durch Corten-Stahlstäbe nach, die an rostige Bewehrung erinnern sollen. Gleiches Material verwenden sie für die Infostelen, den Ort für die Erinnerung an die Opfer und den Pavillon. Der Pavillon bezieht sich durch seine 6 7 6 7 7 2 3 11 Bauwelt 3 | 2008 6 1 5 4 7 1 2 3 4 5 6 7 Bestand: Heutige Gedenkstätte Dokumentationszentrum Kapelle der Versöhnung Neu: Fenster der Erinnerung Info-Pavillon Fluchttunnel Stationen ist der einzige großflächig erhaltene Mauer-Ort innerhalb des S-Bahnrings – zentral gelegen also, um den Touristen exemplarisch das zu verdeutlichen, was die in aller Welt verstreuten Betonreste nicht leisten können: Die Berliner Mauer war kein Objekt, sondern ein stadträumlicher Eingriff ohnegleichen: An der Bernauer Straße allein wurde ein zusammenhängendes Quartier auseinandergerissen, ein Friedhof umgepflügt, eine Kirche gesprengt, 2000 Menschen wurden umgesiedelt, ihre Häuser abgerissen. An die Zeit der gewaltsamen Teilung, als Menschen in Panik über Stacheldraht oder aus dem Fenster sprangen, Tunnel gruben oder gar auf der Flucht erschossen wurden, erinnert seit einem Jahrzehnt die zentrale Gedenkstätte Berliner Mauer der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Berlin: Siebzig Meter Grenzstreifen, die nach einem Entwurf der Stuttgarter Architekten Kohlhoff & Kohlhoff mit zwei sieben Meter hohen Corten-Stahlwänden eingefasst sind (Heft 29.97). Mit dem Dokumentationszentrum Ber- beiden versetzten Ebenen auf den Verlauf der Mauer an der Bernauer wie an der Gartenstraße. In Form und Material habe er genügend Prägnanz, um zeichenhaft zu wirken, ohne mit der Gedenkstätte in Konkurrenz zu treten, urteilte die Jury. Abbildungen: Architekten; Lageplan Gesamtkonzept: ohne Maßstab liner Mauer im 1965 erbauten Haus der Versöhnungsgemeinde, der Kapelle der Versöhnung (Heft 43– 44.00) und den originalen Mauerabschnitten am Sophien-Friedhof und beim Nordbahnhof bildet diese Gedenkstätte ein Ensemble. Bis 2011, dem 50. Jahrestag des Mauerbaus, soll dieses nun zu einer „Gedenklandschaft“, oder besser: zu einem Themenpark ausgebaut werden – ein Info-Pavillon soll hinzu kommen, ebenso eine Freiluft-Ausstellung, die sich auf 46.000 Quadratmetern Mauerstreifen längs des ehemaligen Postenwegs erstreckt. Knapp 28 Millionen Euro sind dafür veranschlagt, 13,5 Millionen allein für die noch zu erwerbenden 70, zum Teil privaten Einzelgrundstücke. Für die Gestaltung hatten Bund, Land und der Verein Berliner Mauer einen offenen Wettbewerb für Landschaftsarchitekten mit Architekten und Ausstellungsgestaltern ausgelobt. 47 Vorschläge gingen ein. Die Entwürfe, so hatte sich die Jury unter Vorsitz von Donata Valentien vor der Sitzung verständigt, soll- 12 Wettbewerbe Entscheidungen Bauwelt 3 | 2008 13 Bauwelt 3 | 2008 BERLIN DB-Repräsentanz im Lehrter Stadtquartier | Einladungswettbewerb In das 42 Meter hohe Bürohaus auf dem Washingtonplatz zwischen Berliner Hauptbahnhof und Regierungsviertel soll die Repräsentanz der Deutschen Bahn einziehen. Seine Gestalt stammt vom Kopenhagener Büro 3XN, das den von der Vivico ausgelobten Einladungswettbewerb gewonnen hat. Abbildung: 3XN, Kopenhagen ten die Verletzung des Stadtraums durch die Mauer verdeutlichen, wobei eine zu starke Überformung des Geländes als problematisch empfunden wurde. Vertikale Markierungen des Mauerverlaufs waren durchaus gewünscht, und die Verwendung von Corten-Stahl als „Kommentar-Material“ wurde begrüßt, da damit an die Gestaltung der vorhandenen Gedenkstätte angeknüpft würde. Diese Vorgabe hatten die 1. Preisträger, Mola Winkelmüller, Sinai.Faust.Schroll.Schwarz und Christian Fuchs, Berlin, aufgegriffen und konsequent angewendet. Auf dem Wettbewerbsareal ordnen sie 80 Ereignispunkte an, lassen im Boden Tafeln aus Corten-Stahl ein, versehen sie mit einer Textgravur über Ereignis und Datum und platzieren am Postenweg 23 Vertiefungsstationen aus je fünf bis sieben Ausstellungsstelen, wo originale Ton- und Filmaufnahmen von etwa Tunnelfluchten oder Fenstersprüngen gezeigt werden sollen. Eine Fernrohrstele zoomt Fluchtfenster, Brandwände oder Tunnelausgang in der Umgebung heran. Besonders überzeugend fand die Jury das sogenannte „Fenster der Erinnerung“, an dem namentlich an die Opfer gedacht werden soll. Die Arbeit überschreite zwar den Kostenrahmen, aber es sei durchaus Einsparungspotential erkennbar. Rother Rother Architekten Designer mit K1 Landschaftsarchitekten, Berlin, erhielten den 2. Preis. Eine Stärke ihres Entwurfs seien die räumliche Offenheit und die Farb- und Materialstimmung des einheitlichen grauen Kies und Schottermaterials, was die Narbe im Stadtraum des ehemaligen Mauer- und Todesstreifens eindrücklich markiere, so die Jury. Kontrovers diskutierten die Preisrichter die Arbeit von Dominik Uhrmeister mit bbz Landschaftsarchitekten und Laura Schleussner, Berlin (3. Preis). Sie kritisierten, dass die Verfasser bei den Ortsmarkierungen auf die „Stolpersteine“ verweisen – ein deutschlandweites Kunstprojekt des Kölner Bildhauers Gunter Demnig zum Gedenken an die NS-Opfer – und damit die Themen NS-Herrschaft und DDR-Diktatur vermischten. Einen konsequent grafischen Ansatz zeigt der Beitrag von Dieter Schröder, Stuttgart, mit Treibhaus Landschaftsarchitektur und Sophie Jahnke Produktdesign, Berlin, der mit einem Ankauf bedacht wurde. Um zu verdeutlichen, mit welchen Elementen die Mauer zu verschiedenen Zeiten „organisiert“ wurde, wollen sie z.B. auch Höckersperren, Hundelaufanlage, Lichttrasse, Stolperdrähte und Gegentunnel am Boden markieren. Die Jury vermisste dabei jedoch die vertikale Dimension der Mauer. Oben: Mit konsequent grafischen Mitteln arbeiten Dieter Schröder, Stuttgart, Treibhaus Landschaftsarchitektur und Sophie Jahnke Produktdesign, Berlin (Ankauf). Darunter: Rother Rother Architekten Designer mit K1 Landschaftsarchitekten, Berlin (2. Preis) belegen den Mauerstreifen mit Kies und Schotter. In der Breite des ehemaligen Mauerfußes verlegen sie ein Band der Ereignisse aus Weißzement mit eingelassenen Schriftzügen. Abbildungen: Architekten „Wir stehen vor einem ausdrucksvollen Haus, mit einer ausdrucksvollen Form und mit einer klaren Botschaft. Ein Gebäude, dass mit seiner klaren, kubischen Form und seiner Ausdrucksstärke perfekt zum Image der Deutschen Bahn passt, die überall in der Welt mit Präzision und Effizienz verbunden wird. Ein ausdrucksvolles Wahrzeichen mit einer klaren Formensprache, welches einen modernen, dynamischen und effizient gestalteten Arbeitsplatz bietet. Das ist unsere Vision.“ Berlin, kurz vor Weihnachten 2007, fast auf den Tag genau 13 Jahre nach der Präsentation der städtebaulichen Entwürfe zum „Lehrter Stadtquartier“ (Heft 1–2.1995). Die Visionen sind klein geworden in der Hauptstadt – so klein, dass sie sich mühelos in Marketing-Floskeln packen lassen. Das obige Zitat ist dem Erläuterungstext des Kopenhagener Architekturbüros 3XN entnommen, das den von der Vivico Real Estate durchgeführten eingeladenen Wettbewerb für die Realisierung des von Ungers seinerzeit als Hotel erdachten und nun als Repräsentanz der Deutschen Bahn geplanten Würfels auf dem südlichen Vorplatz des Berliner Hauptbahnhofs (Heft 26.2007) gegen die Konkurrenz von Auer + Weber, Dominique Perrault und Foster & Partners gewonnen hat. Die inhaltliche Leere des Textes ist Ausdruck für das scheinbar in einer Zeitschleife steckende Verfahren für die Realisierung des Quartiers, bei dem die immer gleichen Beteiligten immer wieder ähnliche Entwürfe anfertigen, diskutieren, in eine Rangfolge bringen und der Öffentlichkeit präsentieren: Beim Wettbewerb für die den Vorplatz im Westen fassenden Blocks hatten 3XN ein gutes Jahr zuvor einen Ankauf erzielt, während Auer + Weber gewannen. Vorsitzender der Jury war damals wie heute Johann Eisele. Das Zitat spiegelt aber auch die sich abzeichnende architektonische und nutzungsstrukturelle Redundanz, die den Besucher empfängt: Wer den Hauptbahnhof verlässt, ist der Mehdorn-Welt noch längst nicht entronnen. Die Umwidmung des „Würfels“, dieses prominenten, dem Regierungsviertel gegenüberstehenden Baukörpers, von einem „Gästehaus“ Berlins zu einer Konzernrepräsentanz ist bedauerlich – und wird die Aufenthaltsqualität auf dem Vorplatz nicht steigern. So ordnen die Architekten den Haupteingang auf der Südseite, zur Spree hin, an, mit der Folge, dass sich die beiden zum Hauptbahnhof gewandten Seiten des Gebäudes hermetisch verschlossen zeigen. Eine angemessene öffentliche Nutzung zumindest im Erdgeschoss des Gebäudes statt Selbstdarstellung der Bahn, Poststelle, Lagerräumen und „Backoffices“ wäre für diesen Ort das Mindeste gewesen, worauf die Stadt hätte hoffen dürfen – und pochen müssen. ub
© Copyright 2024 ExpyDoc