Ich bedanke mich bei meiner Freundin Jutta für ihre Hilfe beim

Ich bedanke mich bei meiner Freundin Jutta für ihre Hilfe
beim Korrigieren.
© 2015 Bernhardine Cösters (geborene Sibbe)
Verlag: Westfälische Reihe, Münster
ISBN: 978-3-95627-362-9 (Paperback)
978-3-95627-363-6 (Hardcover)
Printed in Germany
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Bernhardine Cösters
Mamas
Marienfelder Geschichten
Hedwig Allenkämper
Moses, das Genie
Clara Budde
Wie das Leben so spielt
Die Geschichte einer Adoption
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Bernhardine Cösters
Mamas
Marienfelder Geschichten
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Vorwort
Die nun folgende Geschichte erzählt
- von meinen ersten Lebensjahren in Bochum-Langendreer
- von einem Luftangriff in Münster Pfingsten 1943
- von meinem Leben in Marienfeld
Nach einem aus heutiger Sicht unverständlichen Ereignis
holte mich meine Mutter 1950 nach Münster zurück. Ich
kann Marienfeld nicht vergessen! Auch als ich schon
verheiratet war, fuhr ich mit meiner Familie häufig nach
Marienfeld. Dabei langweilten sich mein Mann und meine
Tochter, wenn ich die alten Geschichten erzählte.
Irgendwann hielt sich Susanne die Ohren zu: „Mama
schreib`s auf!“ Ein Schrei der Verzweiflung.
Als junges Mädchen fuhr ich regelmäßig per Anhalter nach
Marienfeld, um dort an Weihnachtsbällen, Hochzeiten und
Schützenfesten teilzunehmen. Da ich gut tanzen kann,
standen die Jungen Schlange. Meine Tischnachbarinnen
waren froh, dass sie auf diese Weise einen Tänzer
abbekamen.
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Ich widme dieses Buch meiner geliebten Tochter.
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1. Kapitel
U
m es poetisch auszudrücken: Am 24. September
1936 erblickte ich das Licht der Welt. Ich bin
sozusagen auf Kohle geboren. Was fragen dort die
Leute: „Wo kommst du her?“ Na? „Aus BochumLangendreer.“ Aus Freude über meine Geburt backte Onkel
Hugo einen Kuchen. Er war und ist es geblieben, meine
erste große Liebe. Oma Emma wurde meine Patentante.
Und da ich Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Mutter
hatte, meinte mein Vater mich nach ihr benennen zu
müssen. Seitdem heiße ich Bernhardine Emma. Für ein
kleines Mädchen ein sehr belastender Name: Der Leser
denke an die Rettungshunde in den Alpen. Inzwischen
finde ich meinen Namen schön.
Bernhardine als Baby
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Oma Bernhardine schenkte – wenn sie nicht in ihrem
Geschäft Schuhe verkaufte – 13 Kindern das Leben. Die
Söhne bildeten eine Fußballmannschaft; die Mädchen
studierten Gesang.
Onkel Hugo war auf Zeche Bruchstahl Hauer. Es steckte
mehr in ihm, seine eventuelle Karriere ertränkte er im
Schnaps. Eine tragische, aber auch komische Geschichte: In
einer Silvesternacht – Onkel Hugo war blau wie eine
Haubitze – fiel er in einen Bombentrichter. Man hörte ihn
verzweifelt singen: „Hast du dort oben vergessen auch
mich?“ aus der Operette „Der Zarewitsch“.
Mein Papa war ein begnadeter Uhrmacher. Es reizte ihn,
die Uhren zu reparieren, an denen seine Kollege gescheitert
waren. Meine Liebe zur Musik habe ich von ihm
übernommen – er spielte ohne Notenkenntnisse mehrere
Instrumente. Ich saß auf seinem Uhrmacherschreibtisch
und schaute ihm bei der Arbeit zu. Das mach ich auch noch
immer gern, wenn Handwerker im Haus sind. Später, als
ich in Marienfeld lebte, fuhr ich mit dem Fahrrad zum
Schmied Himmerich. Voller Begeisterung schaute ich zu,
wie ein Hufeisen geschmiedet wurde: Zunächst ins Feuer,
dann mit dem Hammer in Form gehauen, im kalten Wasser
abgelöscht – fertig war der Glücksbringer.
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Nach diesem kurzen Exkurs gehen wir, lieber Leser, zurück
nach Bochum-Langendreer. Wir drei Kinder mussten
ständig den Streit unserer Eltern mit anhören.
Bernhardine, Werner und Doris (von links)
Meine Mutter war eine schöne, gebildete und aktive Frau,
aber sehr eitel. Mein Vater war in ihren Augen faul. Um die
Familie habe ich mich gekümmert, und zwar so intensiv,
dass ich es auch heute noch nicht lassen kann. Ein Beispiel:
Es war im 2. Weltkrieg. Als meine Eltern aus dem Kino
kamen, soll ich die Verdunkelungsrollos heruntergelassen
haben. Ich saß auf dem Sofa und hatte Doris und Werner
im Arm. So etwas macht eine große Schwester, soll ich
gesagt haben.
Da sich meine Eltern nicht verstanden, nahm sich mein
Papa eine Geliebte. So etwas konnte Margret nicht dulden,
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sie ließ sich scheiden und zog nach Münster. Wir Kinder
lebten zunächst bei Oma Emma in der Unterstraße Nr. 77.
Das war eine schöne Zeit bei der warmherzigen Oma. Ich
durfte auf ihrem schönen weichen Bauch schlafen. Und nun
kommt`s: Oma war nicht da, wir Kinder hatten Hunger.
Auf dem Herd stand ein Topf mit Graupensuppe. Da ich
noch heute ein Maggi-Fan bin, machte ich aus der Suppe
etwas Ungenießbares – fand aber nur Oma. Alles kam
zurück in den Topf. Meiner Leidenschaft fürs Kochen ging
dadurch nicht verloren – in der Handelsschule wurde ich
mit einem „Sehr gut“ belohnt.
Onkel Hugo, der Hauer auf Zeche Bruchstahl, musste nach
den Nachtschichten tagsüber schlafen. Kinder können nicht
leise sein! Zu seinem Bedauern mussten wir fort. Unsere
Mutter, inzwischen Stadtangestellte bei Wohlfahrtsamt der
Stadt Münster, brachte uns zunächst in ein Kinderheim
nach Reckenfeld, Kreis Greven. Damals galt noch der
Spruch: Die größte Stadt in Engeland ist London an der
Thems, das größte Dorf im Münsterland ist Greven an der
Ems. Bevor wir nach Münster geholt wurden, lebten wir
Kinder in dem von den Nazis geführten Kinderheim „Drei
Eichen„ in Handorf. Ich erinnere mich noch, dass ich meine
Mutter am Bahnhof Sudmühle abholte. Sie trug einen Hut
und einen Staubmantel.
Im Februar 1943 bekamen wir in Münster an der
Mauritzstraße eine schöne Wohnung mit einer
ungewöhnlich großen Fensterfront im Wohnzimmer und
mit Voilegardinen im Kinderzimmer. Unten wohnten
Zwingmanns – sie war ein Putzteufel. Wir hatten ein
gemeinsames Klo im Untergeschoss.
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Werner ist es trotz intensiver Bemühungen nicht gelungen,
Doris Stoffpuppe zu versenken. Aber Frau Zwingmann
entdeckte uns und es gab ein fürchterliches Donnerwetter.
In Münster besuchte ich die Lambertischule. Ich war
offensichtlich nicht schulreif. Die Lehrerin meinte zu
meiner Mutter: „Ihr Kind träumt und rollt mit dem Griffel
über den Tisch“. Das Ergebnis: Im Rechnen hatte ich ein
Ungenügend, im Schreiben mangelhaft. Im 2. Schuljahr
stand in meinem Zeugnis: Die Schülerin könnte bei
größerem Fleiß mehr leisten.
Schlaungymnasium 1943
Unser Glück währte nur vier Monate. Wir mussten bei
Bombenangriffen in den Luftschutzkeller des alten
Schlaungymnasiums. Pfingstsamstag 1943 passierte
Folgendes: Meine Mutter wollte weiterschlafen, aber meine
Oma rief: „Grete du kümmst met!“.
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Nach der Entwarnung lag vor uns ein Schuttberg. Wir
durften bei einer Cousine von Frau Zwingmann
übernachten; bei Resi, der jungfräulichen Witwe.
Jungfräuliche Witwe? Resis Mann bekam für eine
Kriegstrauung einen Tag Urlaub von der Front. Was war
passiert? Resi hatte „Besuch von ihrer Tante aus Bad
Rothenfelde“. So umschrieb man keusch die Periode der
Frauen.
Oma, Mutti und Werner, Doris und ich wurden nach
Marienfeld, Kreis Warendorf evakuiert. Marienfeld ist ein
schöner Ort in Ostwestfalen, ein Golddorf. Bei gutem
Wetter kann man die blauen Berge des Teutoburger Waldes
sehen. Gegründet wurde Marienfeld im Jahre 1185 vom
Edelherrn Widukind von Rheda. Marienfeld war ein
Sumpfgebiet. Zisterzienser Mönche machten den Ort urbar,
legten Fischteiche an und bauten eine künstliche
Wasserstraße, die Lutter. An der Lutter entlang führt ein
romantischer Spazierweg, auf dem man schließlich zum
Hühnermoor gelangt. Das Hühnermoor ist das einzige
erhaltene Niederungsmoor.
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Der Lutterstrang
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Die Orgel in der Marienfelder Kirche
Erwähnen möchte ich die schöne Kirche aus der Zeit der
Spätgotik und des Hochbarocks. Insbesondere zu erwähnen
ist die berühmte Orgel des Lippstädter Orgelbauers
Patroclus Möller. Auf Grund der Säkularisation 1803 wurde
das Kloster aufgelöst und in eine preußische Domäne
verwandelt. Heutzutage gehört Marienfeld zum Kreis
Gütersloh in Ostwestfalen –Lippe.
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Meine Zeit in Marienfeld
egen 18 Uhr kamen wir beim Waldschlösschen in
Marienfeld an. Begrüßt wurden wir vom
Ortsgruppenleiter Johannes Westmeier-Fischer.
Jans war von Hitler begeistert, später aber von ihm
enttäuscht, als er von der Judenverfolgung durch die SS
hörte. Fischers Haus war für eine Oma mit drei Kindern zu
klein. Er bat seinen Vetter Wilhelm Düllo (Bäckers Wilm),
zum Waldschlösschen zu kommen. Wilm nahm mich an
die Hand und meinte: „Giv mi men de Ölste, die kann nen
bietken hölpen.“
G
Das Waldschlösschen
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Der Torbogen am Marienfelder Klosterplatz
Als wir unterm Torbogen am Klosterplatz ankamen, meinte
Ludwig, Wilms Sohn: „Ist das unser neues Löid?“ Tante
Düllo (Bäckers Änne) freute sich, dass sie zu ihren großen
Söhnen ein kleines Mädchen bekam. Es war warm und
noch hell. Die Nachbarskinder gingen mit mir über die
Lutter, an der auch Engberts Mühle stand, zum
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Tannbüschken, einem Hügel. Ich sah zum ersten Mal in
meinem Leben ein Ameisenpättken. Ich brachte meine
Begeisterung zum Ausdruck, die Kinder waren überrascht.
Die Leute aus der Stadt!!
Am nächsten Morgen soll ich auf der Treppe gesessen und
mich angezogen haben. Brügges Mama (Düllos waren nicht
nur der Bäcker, sie verkauften auch Lebensmittel) hat das
immer gern erzählt. Ihre Tochter Gertrud (Brügges Kinni)
nahm mich mit in die Schule. Die erste und zweite Klasse
wurde von Fräulein Luchtefeld unterrichtet. Wir Mädchen
waren zum größten Teil brav, aber die Jungens…
Luchtefeld schlug ihnen beim geringsten Vergehen mit
einem Stock durch die Handinnenflächen. In den nächsten
Tagen konnten die Jungen keinen Griffel halten, sie hatten
sich die Hände mit Zwiebeln eingerieben, damit sie
anschwollen.
Es gab noch andere Lehrer an der Schule – ab dem 5.
Schuljahr wurden Jungen und Mädchen getrennt
unterrichtet. Luchtefeld und Zöllner, beide sehr unbeliebt.
Es gibt ein schönes Spottlied „Leise rieselt der Schnee,
Zöllner sitzt aufm Klabee, Luchtefeld bringt ihm Papier, oh
wie stinkt das nun hier.“ Das Klabee war ein Plumpsklo auf
dem Schulhof.
An meinem ersten Schultag kam während der Pause mein
Bruder auf mich zugerannt und gab mir einen Kuss. In
Marienfeld zeigt man seine Gefühle nicht – alle Kinder
lachten und ich hab mich geschämt. Ansonsten besaß ich
ein großes Ansehen. So konnte ich erreichen, dass
Mersmanns Liesabet ins Spiel mit einbezogen wurde.
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Mersmanns waren für Kinder eine tolle Familie. Der Vater
soff, Mutter war vor Kummer nicht mehr ganz richtig im
Kopf. Wir konnten tun, was wir wollten. Wegen ihrer
vielen Kinder gab es in ihrem Hause Etagenbetten. Mit
großer Leidenschaft sprangen wir von Bett zu Bett.
Bernhardine (von rechts), Günter und Rosemarie
Abends saßen wir gemütlich in der Stube. Onkel Düllo und
Ludwig lasen und hörten dabei Radiomusik. Tante Düllo
strickte Socken für die Soldaten, die an der Front waren. Ich
las mit großer Begeisterung im Alten Testament oder
traurige Geschichten aus der Hauspostille. Um 21 Uhr
brachte Tante Düllo mich ins Bett und betete: „Abends,
wenn ich schlafen geh, 14 Engel bei mir stehn,
usw“.Vertont wurde dieses Gebet von Humpeding in der
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Kinderoper „Hänsel und Gretel“ Entschuldige, mir war
nicht bekannt, dass du das wusstest. Ich hatte Tante Düllo
sehr lieb. Deshalb war ich mit traurig, wenn sie nach der
Kommunion die Hände vor ihr Gesicht hielt und weinte.
Jans Westmeier-Fischer hatte Düllos die Botschaft
überbracht, dass ihr Sohn Josef gefallen war. Nach dem
Hochamt konnte man in der Pfarrbücherei die
ausgeliehenen Bücher umtauschen. Ich denke, ich war das
einzige Kind in Marienfeld, das den Lehrer Lütkemeier
mochte. Wir nannten ihn „Basel“, weil er so schnell ging.
Es gibt zwei Begebenheiten, weshalb ich Basel mochte: Er
spielte hinreißend Geige. Ich liebe noch heute das schöne
Lied „Droben stehet die Kapelle, schauet still ins Tal hinab.
Drunten spielt bei Wies und Quelle froh und hell der
Hirtenknab`“ Wenn ich bei der Pfarrbücherei nach langem
Warten endlich an der Reihe war, sehe ich Lütkemeier mich
liebevoll und schmunzelnd ansehen. Mein Sprüchsken:
„Eins für Tante Düllo, eins für Onkel Düllo, eins für
Ludwig und eins für mich.“ Ich liebte die kleinen Hefte mit
dem Titel „Aus fernen Landen.“
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