Kapitel 6
Raumgruppen
Ein idealer Kristall ist ein Festkörper, dessen mikroskopische atomare Struktur räumlich periodisch ist.
Dies impliziert eine Periodizität der Kernlagen und der Elektronendichte, gegebenenfalls auch der Spindichte der Elektronen. Ein realer Kristall unterscheidet sich von einem idealen durch seine endliche Ausdehnung und durch strukturelle Fehler.
6.1
Gittervektoren und Elementarzelle
Die Decktransformationen eines Kristalls bilden die additive diskrete Translationsgruppe T ∼
= Z × Z × Z.
Diese wird von den Basisvektoren a1 , a2 , a3 , auch primitiven Translationen genannt, erzeugt:
T = a |a = n1 a1 + n2 a2 + n3 a3 , ni ∈ Z .
(6.1)
Die Ortsvektoren die man durch Verschieben eines Gitterpunktes mit den a ∈ T erhält, bilden das
Bravais-Gitter. Speziell die Basisvektoren ai spannen wie in Abb. 6.1 gezeigt, ein Parallelepiped – die
Elementarzelle – auf.
Überlagern wir einem idealen Kristall sein Translationsgitter - die Wahl des Ursprungs ist dabei willkürlich
- so zerfällt der Kristall in lauter äquivalente Elementarzellen, von denen jede zur Beschreibung der
a3
β
γ
α
a2
a1
Abbildung 6.1: Eine Elementarzelle des Gitters mit Basisvektoren a1 , a2 und a3 .
77
6. Raumgruppen
6.1. Gittervektoren und Elementarzelle
a2
a2′
a1′
78
a2′′
a1
a1′′
Abbildung 6.2: Die Basis einer Elementarzelle ist nicht eindeutig.
Struktur ausreicht. Durch Verschieben der von einer Basis aufgespannten Elementarzelle wird der Raum
in lauter gleichwertige Zellen aufgeteilt. Wie die Wahl des Ursprungs ist auch die Wahl der Basis primitiver
Translationen und damit die Form der Elementarzelle nicht eindeutig. Abbildung 6.2 zeigt drei Basen
(mit entsprechenden Elementarzellen) eines zweidimensionalen Gitters
Bilden die a1 , a2 , a3 eine Basis primitiver Translationen, dann bilden auch die Vektoren
a0i =
3
X
aj Gji ,
i = 1, 2, 3,
j=1
Gji ∈ Z
(6.2)
eine Basis, wenn gilt
det G = 1,
G = (Gij ) .
(6.3)
Beweis: Nach Definition führen alle ganzzahligen Linearkombinationen der Basistransformationen, und
insbesondere die a0i , das Gitter in sich über. Wir müssen noch nachprüfen, dass die Volumen der durch
die beiden Basen definierten Zellen,
Ve = |a1 · (a2 ∧ a3 )|
Ve0 = |a01 · (a02 ∧ a03 )| = | det G| |a1 · (a2 ∧ a3 )| = | det G| Ve
gleich groß sind. Dies ist aber genau die Bedingung (6.3).
Es gibt eine Vorschrift, eine eindeutige Elementarzelle zu definieren. Die entsprechende Zelle heisst
Wigner-Seitz-Zelle. Als Mittelpunkt der Wigner-Seitz-Zelle wählt man einen Gitterpunkt aus, und
ordnet der Zelle alle Raumpunkte zu, die dem ausgewählten Gitterpunkt näher als allen anderen
Gitterpunkten sind.
Offenbar kann man eine Wigner-Seitz-Zelle dadurch konstruieren, dass man zu allen Verbindungsstrecken
zwischen ihrem Mittelpunkt und den anderen Gitterpunkten die mittelsenkrechte Ebene errichtet. Diese
paarweise parallelen Ebenen schneiden dann die Wigner-Seitz-Zelle aus, wobei nur endlich viele zu den
näheren Nachbarn gehörenden Ebenen zu berücksichtigen sind. Es zeigt sich, daß die Wigner-Seitz-Zellen
in zwei Dimensionen von bis zu drei Geradenpaaren begrenzt werden, während in drei Dimensionen bis
zu sieben Ebenenpaare benötigt werden.
————————————
A. Wipf, Symmetrien in der Physik
6. Raumgruppen
6.1. Gittervektoren und Elementarzelle
79
Abbildung 6.3: Die Wigner-Seitz Zellen für zwei zweidimensionale Gitter.
6.1.1
Das reziproke Gitter
Bei Gitterrechnungen wird man zwangsläufig auf den Begriff des reziproken Gitters geführt. Sei f (r) eine
beliebige gitterperiodische Funktion,
f (r + a) = f (r),
a∈T .
(6.4)
Sie kann als Fourierreihe mit Koeffizienten f˜(k) dargestellt werden,
X
f (r) =
f˜(k) eik·r .
(6.5)
k
Für die Fourierkoeffizienten gilt die Umkehrformel
Z
1
f˜(k) =
f (r) e−ik·r d3 r,
Ve EZ
(6.6)
wobei über die von den Basisvektoren definierte Elementarzelle mit Volumen Ve zu integrieren ist. Damit
die Funktion f gitterperiodisch ist, muss gelten
eik·(r+a) = eik·r
bzw.
eik·a = 1
für alle Gittervektoren a. Da aber jeder Gittervektor eine ganzzahlige Linearkombination der Basisvektoren ist, genügt es, diese Bedingung für die Basisvektoren zu fordern:
eik·ai = 1 oder k · ai ∈ 2π Z .
(6.7)
Genauso wie die Menge der Gittervektoren T bildet die Menge der erlaubten k-Vektoren eine diskrete
additive Gruppe, die wir mit T ∗ bezeichnen und die das reziproke Gitter definieren. Für T ∗ existiert
wieder eine Basis {a∗i }, so dass jeder k-Vektor eine ganzzahlige Linearkombination der a∗i ist.
Reziprokes Gitter
Eine Basis a∗1 , a∗2 , a∗3 des reziproken Gitters wird durch die Gleichungen a∗i · aj = 2πδij festgelegt.
Dies ist die in der Festkörperphysik verbreitete Definition. In der Kristallographie benutzt man eine andere
Normierung der dualen Basis. Dort ist die Basis des reziproken Gitters durch a∗i · aj = δij charakterisiert.
Die explizite Lösung des Gleichungssystems für die a∗i lautet
a∗1 =
2π
a2 ∧ a3 ,
Ve
a∗2 =
2π
a3 ∧ a1 ,
Ve
a∗3 =
2π
a1 ∧ a2 .
Ve
(6.8)
Das Volumen der Elementarzelle des reziproken Gitters T ∗ ist
Ve∗ =
————————————
A. Wipf, Symmetrien in der Physik
(2π)3
.
Ve
(6.9)
6. Raumgruppen
6.2. Raumgruppen
80
Die Translationssymmetrien des NaCl-Gitters: Die Bausteine des Gitters sind die Na+ und Cl− Ionen: Die Na+ bzw. Cl− -Ionen bilden je ein kubisch flächenzentriertes Gitter und zeigen die im folgenden
Bild skizzierten und zum NaCl-Gitter ineinandergestellten Anordnungen, die durch die Translation um
1
2 (a1 + a2 ) auseinander hervorgehen.
a3
a1
Cl−
a2
Na+
Die Elementarzelle wird durch die Vektoren a1 , a2 und a3 aufgespannt. Die Dreh-, Spiegel- und Drehspiegelsymmetrien (einschließlich der Inversion) mit dem Koordinatenursprung als Fixpunkt sind leicht
aus der Abbildung abzulesen.
6.2
Raumgruppen
Nachdem wir Punktgruppen und diskrete Translationen getrennt untersucht haben, wollen wir uns nun
den Symmetrien eines Kristalls unter allgemeinen Bewegungen zuwenden, also Drehungen, Spiegelungen
und Translationen.
Raumgruppen
Alle Decktransformationen eines Gitters definieren eine Raumgruppe. Eine Raumgruppe ist also eine
diskrete Untergruppe der Bewegungsgruppe E3
Es gibt also einen Satz von Drehungen und/oder Spiegelungen R sowie Translationen a, so dass das
Gitter unter den Bewegungen r 0 = Rr + a auf sich abgebildet wird.
a)
b)
c)
Zur Einstimmung betrachten wir die Punktsymmetrien der obigen zweidimensionalen Gitter, d.h. alle
Decktransformationen die einen Gitterpunkt fest lassen. Für das linke Gitter sind dies neben der Identität
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A. Wipf, Symmetrien in der Physik
6. Raumgruppen
6.2. Raumgruppen
81
nur die Inversion. Die Punktsymmetriegruppe des mittleren Gitters enthält aufgrund der Rechtwinkligkeit zusätzlich zwei Spiegelungen an der Senkrechten und Waagerechten durch den festen Gitterpunkt,
und damit vier Symmetrieelemente. Die Punktsymmetrien des rechten quadratischen Gitters schließlich
enthält zusätzlich zwei Drehungen um π/2 und 3π/2 sowie zwei weitere Spiegelungen an den Diagonalen
und damit insgesamt acht Elemente.
Die Bestimmung der Symmetriegruppen eines dreidimensionalen Gitters T wird erleichtert, nachdem
man sich davon überzeugt hat, dass solche Gitter nur 2, 3, 4 oder 6−zählige Achsen haben können:
Satz 29 Bei eigentlichen Drehungen, die ein Raumgitter in eine äquivalente Lage überführen, sind nur
Drehachsen der Zähligkeit 2, 3, 4 und 6 zulässig.1
Dies beweist man durch folgende Überlegung: Wir betrachten eine n−zählige Drehung cn (e) des Gitters
um die Drehachse e. Es gibt immer Gittervektoren, die senkrecht zu e sind; ist nämlich a ein Gittervektor
der nicht parallel zu e ist, dann ist der Gittervektor cn (e)a − a ungleich Null und senkrecht auf e:
(e, cn (e)a − a) = (cn (e)e, cn (e)a) − (e, a) = 0.
e
e )a
c−1
n (
e ∧a
2π/n
2π/n
cn (e )a
a
Wir betrachten den kürzesten Gittervektor a senkrecht zu e. Jeder zu a parallele Gittervektor a0 muss
ein ganzzahliges Vielfaches von a sein. Wäre nämlich a0 = λa mit einem nicht-ganzzahligen λ > 0, dann
könnte man den zu a parallelen Vektor a0 − [λ]a konstruieren, der kürzer als a ist, was unserer Annahme
widersprechen würden.
Insbesondere gilt dann
a0 = cn (e)a + c−1
n (e)a = 2 cos(2π/n)a = ma.
Da die Cosinus-Funktion Werte zwischen −1 und 1 annimmt, gilt
−2 ≤ m = 2 cos
1 1984
2π
≤ 2.
n
wurde ein ungewöhnlicher Quasikristall gefunden, der sich in vielen Experimenten wie ein Kristall mit einer
5-zähligen Symmetrie verhält.
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A. Wipf, Symmetrien in der Physik
6. Raumgruppen
6.3. Bravais-Gitter
82
Die möglichen Werte von m mit zugehörigem Drehwinkel und Zähligkeit der Drehachse sind in der
folgenden Tabelle gelistet:
m
2
1
0
−1 −2
Drehwinkel 0
π/3
π/2
2π/3
π
1
6
4
3
2
Zähligkeit
Weitere hilfreiche Sachverhalte sind folgende: Jede Raumgruppe enthält die Inversion i an irgend einem
Gitterpunkt, da mit a auch −a ein Gittervektor (und damit jeder Gitterpunkt mit Ortsvektor a relativ
zum gewählten Gitterpunkt) ist. Wenn ein Gitter invariant unter Cn mit n > 2 ist, dann ist es auch
invariant unter Cnv .
Die Gittersymmetrien sind also durch folgende drei Eigenschaften eingeschränkt:
1. Sie enthalten die Inversion.
2. Sie enthalten nur Drehachsen zweiter, dritter, vierter und sechster Ordnung.
3. Mit jeder Drehachse dritter, vierter oder sechster Ordnung enthalten sie auch eine Spiegelebene
durch diese Achse.
Durchmustert man die im letzten Kapitel angegebenen Punktgruppen nach diesen Kriterien, dann
bleiben genau sieben Symmetriegruppen übrig, und diese bilden die sieben Kristallsysteme.
Kristallsystem
kubisch oder regulär
hexagonal
tetragonal oder quadratisch
rhombisch oder orthogonal
trigonal oder rhomboedrisch
monoklin
triklin
Gruppe
Bravais-Gitter
kristallogr. Punktgruppen
Oh
3
5
D6h
1
7
D4h
2
7
D2h
4
3
D3d
1
5
C2h
2
3
S2
1
2
Zum Beispiel treten hier die Ikosaedergruppe Yh und Diedergruppe D5h nicht auf, weil sie eine fünfzählige
Achse haben.
6.3
Bravais-Gitter
Unabhängig von der Größe und Form der Elementarzelle wird die Geometrie der zugrunde liegenden
periodischen Struktur durch ein sogenanntes Bravais-Gitter spezifiziert.
Definition 27 (Bravais-Gitter) Ein Bravais-Gitter ist eine unendliche Anordnung diskreter Punkte,
deren Orientierung und Ordnung von jedem Punkt aus gesehen gleich ist.
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A. Wipf, Symmetrien in der Physik
6. Raumgruppen
6.3. Bravais-Gitter
83
Im Allgemeinen ist ein Kristallgitter durch Angabe des Bravais-Gitter und der Anordnung der Atome in
der zugehörigen Einheitszelle bestimmt. Es gibt 14 Bravais-Gitter: 7 primitive Gitter mit einem Gitterpunkt pro Einheitszelle und 7 zentrierte Gitter mit mehreren Gitterpunkten pro Einheitszelle. Die Punkte
eines Bravais-Gitters sind r = m1 a1 + m2 a2 + m3 a3 mit mi ∈ Z, wobei, wie wir schon früher betonten,
die Basisvektoren nicht eindeutig sind. Je nachdem, ob man das Bravais-Gitter oder die Kristallstruktur
betrachtet, unterscheidet man
Bravais-Gitter
Kristallstruktur
Punktgruppe
7 Kristallsysteme
32 kristallographische Punktgruppen
Raumgruppe
14 Bravais-Gitter
230 Kristallklassen
Der Vorteil der Bravais-Gitter ist, dass sie die größtmögliche Symmetrie unmittelbar erkennen lassen.
Der Nachteil ist, dass die Einheitszelle des Bravais-Gitters nicht immer eine Elementarzelle ist.
Das ist aber nur in seltenen Fällen ein Problem. In der Regel ist das Erkennen der Symmetrien wichtiger
und hilfreicher und man benutzt Bravais-Gitter.
Nach Wahl einer Basis kann man Richtungen im Bravais-Gitter durch die Miller-Indizes angeben. Zum
Beispiel bedeutet h12̄3i die Richtung a1 − 2a2 + 3a3 . Dies ist für das primitive kubische Gitter in Abb.
6.4 für zwei Richtungen gezeigt.
h1, 1, 1i
h0, 1, 1i
a1 = ae1
a3
a2 = ae2
a3 = ae3
a2
a1
Abbildung 6.4: Für das primitive kubische Gitter (sc-Gitter) ist die Einheitszelle gleichzeitig Elementarzelle. Eine Richtung auf dem Gitter wir durch die Miller-Indices charakterisiert.
Kubische Bravais-Gitter
Eine primitive Basis {ai } für das raumzentrierte kubische Gitter (body-centered cubic, bcc) ist in Abb.
6.5 eingezeichnet. Anstelle der primitiven Elementarzelle wählt man oft die (konventionelle) Einheitszelle
mit Basis {a0i }, deren Volumen ein ganzzahliges Vielfaches des Volumens der Elementarzelle ist. Für
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A. Wipf, Symmetrien in der Physik
6. Raumgruppen
6.3. Bravais-Gitter
84
a1 = ae1
a2 = ae2
a3
a3 = a2 (e1 + e2 + e3 )
a2
a1
Abbildung 6.5: Das raumzentrierte kubische Gitter (bcc) mit primitiver Basis {ai }
kubische Gitter hat die Einheitszelle die Form eines Würfels der Seitenlänge a. Für das bcc Gitter wird
diese aufgespannt durch
a01 = a1 , a02 = a2 , a03 = 2a3 − a1 − a2
und hat das doppelte Volumen der Elementarzelle. Wie man an diesem Beispiel sieht, befinden sich
innerhalb der Einheitszelle im Allgemeinen mehrere Atome. Die Orte der Atome in einer Einheitszelle
sind durch r Tupel s1 , . . . , sr festgelegt,
r m,i = (m1 + s1,i )a01 + (m2 + s2,i )a02 + (m3 + s3,i )a03 ,
i = 1, . . . , r .
(6.10)
Würde man die Elementarzelle des flächenzentrierten kubischen Gitters (face-centered cubic, fcc) anstelle
der Einheitszelle wählen, siehe Abb. 6.6, so würde man die einfache kubische Symmetrie des Gitters nicht
sofort erkennen. Sie wird deshalb kaum verwendet, und man wählt anstelle der primitiven Basis {ai } die
a1 = a2 (e1 + e3 )
a3
a2 = a2 (e1 + e2 )
a1
a3 = a2 (e2 + e3 )
a2
Abbildung 6.6: Das raumzentrierte kubische Gitter (fcc) mit primitiver Basis {ai }
Vektoren
a01 = ae1 = a1 + a2 − a3
a02 = ae2 = a2 + a3 − a1
a03 = ae3 = a3 + a1 − a2
(6.11)
und gibt die Punkte des Gitters wie in (6.10) an. Die Einheitszelle hat das vierfache Volumen der Elementarzelle.
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A. Wipf, Symmetrien in der Physik
6. Raumgruppen
6.4. Kristallographischen Punktgruppen
85
Die folgende Tabelle enthält die soeben vorgestellten drei kubischen Gitter – das einfach (simple cubic
sc), raumzentrierte (body-centered cubic bcc) und flächenzentrierte (face-centred cubic fcc) Gitter. Die
Größe der Elementarzelle relativ zur Einheitszelle ist in der letzten Spalte angegeben.
Gitter
r
s1
sc
1
(000)
bcc
2
(000)
( 21 12 21 )
fcc
4
(000)
(0 21 12 )
s2
s3
s4
Ve
a3
a3 /2
( 12 0 21 )
( 12 12 0)
a3 /4
Orthorhombische Gitter
Als weiteres System betrachten wir das orthorhombische System mit 3 ungleich langen, senkrecht aufeinander stehenden Achsen,
a1 6= a2 6= a3 , α = β = γ = 900 .
Ein Kristall gehört zu diesem System, wenn mindestens 2 zweizählige Drehachsen oder mindestens 2 Symmetrieebenen vorhanden sind. Es existieren die vier in Abb. 6.7 gezeigten orthorhombischen Bravaisgitter.
Beachte, dass hier auch ein basisflächenzentriertes orthorhombisches Gitter auftritt.
Abbildung 6.7: Die vier orthorhombischen Bravaisgitter.
Alle sieben Kristallsysteme enthalten das einfache Bravaisgitter. Es können auch – wie im orthorhombischen System – flächenzentrierte, raumzentrierte und/oder basisflächenzentierte Gitter existieren.
Die sieben Kristallsysteme können also in verschiedenen Formen auftreten und man findet insgesamt 14
mögliche Bravaisgitter. Diese sind in der Tabelle 6.1 aufgeführt. Der internationalen Tabelle der Kristallographie (siehe http://it.iucr.org/) folgend haben wir einfache Gitter mit P, flächenzentrierte mit
F, raumzentrierte mit I und basisflächenzentierte mit C bezeichnet. Man beachte, dass einige Systeme,
zum Beispiel das trikline System, nur in einfacher Form vorliegen.
6.4
Kristallographischen Punktgruppen
Jedes der sieben Kristallsysteme kann mehrere Kristallklassen enthalten. So enthält das kubische System
fünf Klassen. Es gibt insgesamt 32 Kristallklassen und deren Eigenschaften und Namen findet man zum
————————————
A. Wipf, Symmetrien in der Physik
6. Raumgruppen
6.4. Kristallographischen Punktgruppen
System
Gruppe
P
C
I
F
Längen
Winkel
triklin
S2
1
0
0
0
C2h
1
1
0
0
a1 6= a2 6= a3
α 6= β 6= γ 6= 90
D2h
1
1
1
1
D4h
1
0
1
0
D3h
1
0
0
0
D6h
1
0
0
0
Oh
1
0
1
1
monoklin
orthorhombisch
tetragonal
trigonal
hexagonal
kubisch
a1 6= a2 6= a3
α = γ = 90, β 6= 90
a1 = a2 6= a3
α = β = γ = 90
a1 = a2 6= a3
α = β = 90, γ = 120
a1 6= a2 6= a3
86
α = β = γ = 90
α = β = γ 6= 90
a1 = a2 = a3
a1 = a2 = a3
α = β = γ = 90
Tabelle 6.1: Die sieben Kristallsysteme bilden insgesamt 14 Bravaisgitter. Nur das orthorhombische System tritt als einfaches (P), basisflächenzentriertes (C), flächenzentrierts (F) und raumzentriertes (I) Bravaisgitter auf.
Beispiel auf der Web-Seite http://de.wikipedia.org/wiki/Punktgruppe.
Oh : Das kubische oder reguläre System mit drei gleich langen, senkrecht aufeinander stehenden
Achsen ist das System mit der höchsten Symmetrie,
a1 = a2 = a3
,
α = β = γ = 900 .
Es gibt fünf kubischen Kristallklassen und diese sind in Tabelle 6.2 gelisted. Für jede Klasse sind die
Anzahl Drehachsen für jede der möglichen Zähligkeiten und die Anzahl Spiegelebenen angegeben.
Nur für die Klassen T und Oh ist die Inversion eine Symmetrieoperation. Die T -Klasse heisst
c2
T
3
Th
6
Td
0
Oh
4
c3
4
4
4
4
4
c4
0
0
3
3
3
Spiegelebenen
0
3
0
6
9
Inversionszentrum
0
1
0
0
1
G
O
6
Tabelle 6.2: Die fünf kubischen Kristallklassen. Davon existieren drei Bravaisgitter P, I, B.
tetraedisch und die Th -Klasse disdodekaedrisch (für die Namen der anderen Klassen können Sie die
obige Web-Adresse konsultieren). Beispiele von kubischen Systemen sind Steinsalz CaCl, Flußspat
CaF2 und Zinkblende ZnS.
D6h : Das hexagonale System hat ein Achsenkreuz mit 2 gleich langen Achsen, die sich mit einem
Winkel von 120 Grad schneiden, sowie einer senkrecht dazu stehende Achse die länger oder kürzer
ist,
a1 = a2 6= a3 , α = β = 900 , γ = 1200 .
Ein Kristall gehört in das hexagonale System, wenn eine sechszählige Drehachse oder eine dreizählige
mit dazu senkrechter Symmetrieebene vorhanden ist. Diese a3 -Achse ist sechszählig, dazu kommen
————————————
A. Wipf, Symmetrien in der Physik
6. Raumgruppen
6.4. Kristallographischen Punktgruppen
87
bis zu 6 zweizählige Achsen, sieben Spiegelebenen sowie das Inversionszentrum. Zum Beispiel heisst
die Klasse D6h dihexagonal-dipyramidal. Hexagonale Systeme findet man in Quecksilberoxid HgO,
Zink Zn, Magnesium Mg und Graphit C.
C6
G
c2
C6h
D6
D6h
C6v
D3h
C3h
0
0
6
6
0
3
0
c3
0
0
0
0
0
0
1
c6
1
1
1
1
1
1
0
Spiegelebenen
0
1
0
7
6
3
1
Inversionszentrum
0
1
0
1
0
0
0
Tabelle 6.3: Die hexagonalen Kristallklassen. Es existiert nur das Bravaisgitter P.
D3h : Das trigonale System hat ein Achsenkreuz mit gleichlangen Achsen und gleichen Winkeln,
a1 = a2 = a3
,
α = β = γ 6= 900
Davon existieren die in Tabelle 6.4 aufgeführten fünf Klassen. Beispiele von trigonalen Systemen
sind Calcit CaCO3 , Quarz SiO2 und Natriumnitrat NaNO3 .
c2
C3
0
C3h
0
3
0
3
c3
1
1
1
1
1
Spiegelebenen
0
1
0
3
3
Inversionszentrum
0
0
0
0
1
G
D3
C3v
D3d
Tabelle 6.4: Die fünf trigonalen Kristallklassen. Es existiert nur das Bravaisgitter P.
D4h : Das tetragonale System hat ein Achsenkreuz mit zwei gleich langen Achsen und einer davon
verschiedenen a3 -Achse. Diese Achse kann länger oder auch kürzer als die beiden anderen sein,
a1 = a2 6= a3
,
α = β = γ = 900 .
Ein Kristall gehört zu diesem System, wenn eine einzige vierzählige Drehachse vorhanden ist. Es darf
keine dreizählige Achse geben. Es existiert höchstens 1 vierzählige und 4 zweizählige Drehachsen, 5
Spiegelebenen sowie ein Inversionszentrum. Es gibt die in Tabelle 6.5 aufgeführten sieben Klassen
im tetragonalen System. Beispiele von tetragonalen Systemen sind Zinndioxid SnO2 , Titandioxid
TiO2 und Bleiwolframat PbWO4 .
D2h : Das orthorhombische System hat drei ungleich lange, senkrecht aufeinander stehende Achsen,
a1 6= a2 6= a3
,
α = β = γ = 900 .
Ein Kristall gehört in das orthorhombische System, wenn mindestens 2 zweizählige Drehachsen
oder mindestens 2 Symmetrieebenen vorhanden sind. Es darf keine anderen Drehachsen geben. Die
Klassen im orthorhombischen System sind in Tabelle 6.6 angegeben. Das System ist realisiert in
Kaliumnitrat KNO3 , Bariumsulfat BaSO4 und Kaliumsulfat K2 SO4 .
————————————
A. Wipf, Symmetrien in der Physik
6. Raumgruppen
6.4. Kristallographischen Punktgruppen
C4
G
c2
S4
C4h
D4
C4h
D2d
88
D4h
0
0
0
4
0
2
4
c4
1
0
1
1
1
1
1
s4
0
1
0
0
0
0
0
Spiegelebenen
0
0
1
0
4
2
5
Inversionszentrum
0
0
0
0
0
0
1
Tabelle 6.5: Die sieben tetragonalen Kristallklassen. Es gibt die Bravaisgitter P und I.
D2
C2v
D2h
Spiegelebenen
0
2
3
Inversionszentrum
0
1
1
G
c2
3
1
3
Tabelle 6.6: Orthorhombische Kristallklassen. Davon existieren die Gitter P, C, I und F.
C2h : Das monokline System hat drei ungleich langen Achsen, von denen sich zwei schiefwinklig kreuzen, während die dritte senkrecht zu diesen steht,
a1 6= a2 6= a3
,
α = β = 900 ,
γ 6= 900 .
Ein Kristall gehört in das monokline System, wenn nur eine zweizählige Drehachse und/oder eine Symmetrieebene vorhanden ist. Die drei Klassen sind in Tabelle 6.7 aufgezählt. Beispiele für
monokline Systeme sind Gips CaSO4 · 2H2 O und Borax Na2 B4 O7 · 10H2 O.
C2
G
Cs
C2h
c2
1
0
Spiegelebenen
0
1
1
Inversionszentrum
0
0
1
1
Tabelle 6.7: Die monoklinen Kristallklassen. Es gibt die Bravaisgitter P und C.
S2 : Das trikline System hat 3 ungleich lange Achsen, die sich alle schiefwinklig kreuzen,
a1 6= a2 6= a3
,
α 6= β 6= γ 6= 900 .
Dieses System hat die kleinste Symmetrie aller Systeme. Ein Kristall ist triklin, wenn weder Symmetrieebenen noch Drehachsen vorhanden sind. Die zwei Klassen sind in Tabelle 6.8 angegeben.
Es existierte jeweils nur das einfache Bravaisgitter. Beispiele für trikline Systeme sind Kupfervitriol
CuSO4 · 5H2 O und Kaliumdichromat K2 Cr2 O7 .
————————————
A. Wipf, Symmetrien in der Physik
6. Raumgruppen
6.4. Kristallographischen Punktgruppen
G
Inversionszentrum
C1
0
Ci
1
Tabelle 6.8: Die zwei triklinen Kristallklassen.
————————————
A. Wipf, Symmetrien in der Physik
89