Auf daß Friede um ihn sei! Letzte Fragen um Ernst Barlach - Zum 90. Geburtstage (2. Januar) Am Unterstrom unserer Weser steht „Roland, der Riese am Rathaus zu Bremen". Ein gleicher Wächter hält in Wedel Wacht in der Geburtsstadt von Ernst Barlach, der am 2. Januar 90 Jahre alt geworden wäre. Er schreibt dazu in seinem „Selbsterzählten Leben" : „Der Roland auf dem Markt in Wedel an der Unterelbe, wo meine Eltern ihren Haushalt angehen ließen, sieht sich nicht nach kleinen Buben um, seine Hintenübergebogenheit erlaubt ihm das nicht, und nadcenlos sitzt der steinerne Stolz eines Übergewichts von Kopf zwischen seinen Schultern." deutsch .Autochthonen1!" Aus solchen Zeilen klingt zugleich der Zug eines grimmigen Humors heraus, dem man immer wieder begegnet, den er als eine Art Selbstschutz gebrauchte. Aber der grimmige Humor allein reichte nicht. Barlach hat sehr gelitten unter der Abschnürung und schließlich unter der seelischen und wirtschaftlichen Erdrosselung in seinen letzten Lebensjahren. Er mußte mit ansehen, wie all seine liebsten Schöpfungen umgebracht wurden. Ob es der „Geistkämpfer" in Kiel war, die große, viele Meter hohe Bronzefigur vor der Universitätskirche, ob es das Magdeburger, Güstrower Pietä 1932 (Bildausschnitt) Ernst Barlach ist ein Magnet, er zieht an und stößt ab, jeweils, wie man „gepolt" ist. Den Künstler lernt man vom Menschen her verstehen und von dem besonderen Schicksal, das diesem Menschen widerfahren ist. Die Landschaft ist für ihn entscheidend, aus der er herkam und in der er blieb, bis an sein Ende. Barlach stammt aus Norddeutschland, dort war sein Vater Landarzt, sein Großvater Pastor und er selbst ein „gewiß nicht scheinfrommer Jüngling". „In voller Lauterkeit wandelte ich auf dem Pfade eines kreuzbraven Pietismus" (Auch aus „Selbsterzähltem Leben"). Der Junge hat auf den stundenlangen Praxisfahrten mit seinem Vater, auf denen, wie er selbst schreibt, kaum ein Wort gesprochen wurde, das Schweigen gelernt. Es ist schon vielerlei über Barlach geschrieben, Gutes und Gründliches, Obelwollendes und Überschwengliches. Alles führt an dem Kern dieses außerordentlichen, aber gewiß nicht bequemen Menschen vorbei. Wie sehr er selbst seine Kunst im Zusammenhang mit der Landschaft und den Menschen in dieser Landschaft sieht, wurde erst recht deutlich, als ihm das Leben in unserm norddeutschen Lande verwehrt wurde. So beklagte er sich einmal in seinem Atelier (die Worte kann ich nur in etwa aus der Erinnerung wiedergeben): „Da raten mir die Leute, ich soll auswandern, vielleicht gar nach Amerika hin und ahnen nichts davon, daß mir in der Fremde die Puste ausginge. Weiß Gott: Ich und mein Haus können nur auf deutsch bestehen!" Währenddem hielt er einen vierseitenlangen Brief des damaligen „Gauleiters" Hildebrand (vordem Kutscher bei Herrn von Viereck) in den Händen, in dem ihn dieser Mann belehren wollte, was Kunst sei und was nicht. Ein Jahr vor seinem Tode, im Sommer schreibt mir Ernst Barlach in die Ferne: „Man ist doch sehr fest man gilt als .fremd, fast feindlich'. Das es hinnehmen, aber gelegentlich rechne ich und zähle ab, nicht an den Fingern, die reichen nicht — auf der Scholle Hamburg-Güstrow habe ich alles in allem 50 Jahre gelebt, eine hübsche Zeit, die wohl erlaubt, Ansprüche zu erheben, ich rechne mich dreist zu den Urbewohnern, zu oder Hamburger Ehrenmal war, alles wurde zu seinen Lebzeiten abgerissen, lungestürzt und zum Teil eingeschmolzen. Dann schickte man ihm Photographien der nachts mit Tauen umgerissenen Plastiken, verbunden mit höhnischen, anonymen Briefen ins Haus, die sein Leiden noch steigerten. Das hat dem 68jährigen im Oktober 1938 einen frühen Tod gebracht. Inzwischen sind die meisten Werke wieder an ihren Ort zurüdegekehrt. - Sind die Menschen, die damals verdammten, heute auch umgekehrt und andere geworden?! Der Beter 1925 Ernst Barlach hatte die seltene Gabe, sich in mehrfachen Kunstarten ausdrücken zu können. Er war zugleich Bildhauer, Graphiker und Dichter. Die gleiche Wucht, mit der der Meißel das Bildwerk herausarbeitete, führte auch den Griffel und prägte die Worte. Es ist der eine Mensch, der hinter dem dreifachen Künstler steht: Sein Werdegang führt ihn über Hamburg, Dresden, Berlin, Paris, Florenz, wieder Berlin, schließlich nach Güstrow, wo er dann die meiste Zeit seines Lebens bis an dessen Ende blieb. Barlach kam erst spät zu seinem ihm eigenen Stil. Ein unablässiges Mühen um die gültige Gestaltung, das er auch später nicht aufgab, verbot ihm, sich jemals mit Mittelmäßigem zufrieden zu geben. Im „dritten Reich" wurde Ernst Barlach „ostisches Untermenschentum" vorgeworfen, was natürlich barer Unsinn ist. Wohl hat ihm eine sechswöchige Reise mit seinem Bruder bis nach Charkow den Zusammenklang der weiten Landschaft mit dem sich ungekünstelt gebenden Menschen in dieser Landschaft aufgetan - „ich sah, daß das Feld schnittreif meiner harrte. Ich dachte: sieh, das ist außen wie innen, das ist alles ohne Maßen wirklich... Nichts Fremdes oder Bestürzendes — alles war mir wie lang vertraute Kunde, aufgeschlossen, preisgegeben, widerstandslos meinem Gefallen und Belieben erbötig. - Ich finde es überflüssig, mich gegen die Legende zu wenden, daß ich .erst durch Rußland' zum plastischen Ausdruck geführt sei — oder wie man sowas sonst formuliert hat. Die Tatsache besteht, daß die Wirklichkeit für mein Auge plastische Wirklichkeit war und daß ich mein bisher unbefriedigtes Bedürfnis mit mir heranführte, Bereitschaft und Fähigkeit zum Sehen nicht der andern, sondern . der plastischen Werte. Rußland gab mir seine Gestalten, aber freilich und vermutlich bin ich nicht ohne Anteil an dem Sosein des endlichen Ausfalls, denn als ich zurückkehrte und die ersten beiden Bettler, diese Betteler, die mir Symbole für die menschliche Situation in ihrer Blöße zwischen Himmel und Erde waren, in Friedenau im alten Stübchen anlegte, drang der alte Zweifel zu: wird das nun auch endlich wirklich Plastik oder wieder Modellierarbeit? Restlich mußte doch nicht schlecht gekämpft werden und der Dumme mag glauben, daß die in Rußland gewonnene Form aus der reichen Hand beiläufig und trinkgeldmäßig in meine Arme gelegt sei. - Form - bloß Form? - Nein, die unerhörte Erkenntnis ging mir auf, die lautete: du darfst alles Deinige, das Äußerste, das Innerste, Gebärde der Frömmigkeit und Ungebärde der Wut, ohne Scheu wagen, denn für alles, heiße es höllisches Paradies oder paradiesische Hölle gibt es einen Ausdruck, wie denn wohl in Rußland eines oder beides verwirklicht ist." Wir sehen aus diesem Selbstzeugnis, wie bei Barlach der Künstler vom menschlichen Erleben her und der Mensch von den hochgefaßten künstlerischen Forderungen her allein zu begreifen ist. Bald nach Barlachs Tode, zu Beginn des letzten Krieges wurden mir 800 handgeschriebene Seiten eines Tagebuches anvertraut, das Barlach in den drei ersten Jahren des ersten Weltkrieges schrieb. Man gewinnt darin einen überwältigenden Einblick in das Ringen des Künstlers, der seinen ganzen Menschen zum Gelingen des Werkes eingesetzt hat. So schreibt Ernst Barlach in den Sommerwochen des Jahres 1914: „Ich habe meine Hauptschlachten in Wedel und Friedenau geschlagen, und daß ich da herausgekommen bin, ist Wunder genug... Mit dem, was ich in Friedenau gewonnen habe, mit der Art Menschsein kann ich etwas formen und bilde mir nicht ein, daß es für die Nation Wert hat. Aber es ist alles, was ich kann, und darum ist es soviel wie irgendeine andere Tat . . Barlach hat sich früh dazu berufen gefühlt, Plastiken für gottesdienstliche Räume zu schaffen, vor allem nach den Erschütterungen des ersten Weltkrieges Mahnmale, die den Sinn der Leiden und dargebrachten Opfer zu deuten helfen sollten. Schon 1921 schuf er für die Nikolaikirche in Kiel das Bild einer unter dem Schmerz zusammenbrechenden Mutter, auf welche die Spitzen sieben scharfer Schwerter zielen. Darunter in plattdeutscher Sprache die Worte: „Mien Haart blött vor Gram, awers Du giwst mi Kraft!" (mein Herz blutet vor Gram, aber Du gibst mir Kraft!). Magdeburg, Güstrow, Hamburg folgten. Ich habe als junger Mann die Plastiken in seinem Atelier langsam aus dem Holz herauswachsen sehen, Barlach hat sich die Aufgabe nicht leicht werden lassen. Unbestreitbar haben seine Werke eine starke Aussagekraft, aber haben sie volles Heimatrecht im Raum dieser Kirchen gewonnen, in welchen sie nach zeitweiliger Verbannung wieder aufgestellt wurden? Anders gefragt: hat Barlach mit diesen Plastiken dem biblischen Christusglauben in diesen Kirchen sachgemäßen Ausdruck verliehen? Selbstbildnis IBM (Kohlezeichnung) Die gemarterte Menschheit (1919) Nachdem Barlach früher - gerade auch in kirchlichen Kreisen, abgelehnt wurde, wird er jetzt gern als der protestantische Kronzeuge moderner Kunst herausgestellt. Auf dem Münchener Kirchentag waren eine Unzahl Plakate von Aufführungen seines Schauspiels „Die Süntflut" und einer umfangreichen Barlachausstellung zu sehen. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Wer will sie hören? 1932 schrieb Ernst Barlach in einem Brief: „Mir geht das verpflichtende Empfinden für Kirche und Gemeinschaft nicht aus Gründen, sondern von Natur her ab. Die christliche Heilslehre ist mir eine immer geringer werdende Notwendigkeit seelischen Besitzes geworden ..." Von hier aus erhebt sich die Frage, die zu meiner Verwunderung bis heute offenbar noch niemand gestellt hat, ob nicht aus einem ganz tiefen Grunde, der frei ist von Modeströmungen, die Ehrenmale Barlachs doch kein Heimatrecht in den Kirchen fanden. Die zweite Frage ist die: hat der kriegerische Tod ein Recht, vor den übrigen Todesarten ausgezeichnet zu werden? Und die dritte Frage wäre: kann man wie etwa im Magdeburger Ehrenmal, den Krieg selber darstellen?! Ja, wer will diese Fragen hören?! - Tasten diese Fragen den Künstler und den lauteren Menschen Ernst Barlach selber an? Ich meine, nein! Im Gegenteil: Man würdigt am ehesten einen Menschen und sein Werk, wenn man ihn weder politisch noch kirchlich ausschaltet oder für sich vereinnahmt, sondern wenn man die Aussagekraft und das künstlerische Bemühen für sich wertet und allein sprechen läßt. Die Aufrichtigkeit, die den ganzen Menschen für ein ganzes künstlerisches Werk einsetzt, gilt mehr als die kirchliche Verwendbarkeit. Die letzte Arbeit Ernst Barlachs führt in eine gewisse Nähe Hamelns: eine Kirchengemeinde aus Hagen in Westfalen erteilte dem schon schwer erkrankten Künstler den Auftrag zu einem Taufbecken. Andeutungsweise ist zu erkennen, wie auf einem herumführenden Fries Engel und Dämonen miteinander ringen. Der Künstler schloß sich stundenlang in seiner Werkstatt ein, um diesem Werk noch ein gültiges Gelingen zu geben. Die Vollendung wurde ihm versagt. Der Tod nahm ihm den Meißel aus der Hand. Wolfgang Theopold Wiedergabe der Bilder mit Genehmigung des Piper-Verlages
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