Weihnachtsgruß - Interkulturelle Woche

Bistum Münster
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Marion Plettendorf-Beecht
Münster, 7. Dezember 2015
Weihnachtliche Fluchtgedanken
Hochkonjunktur haben in diesen adventlich-weihnachtlichen Wochen drei Verse aus dem MatthäusEvangelium. Nicht, dass man sonst darüber weggelesen hätte. Das nicht.
Aber jetzt ist unser Lebenszusammenhang, der politische und gesellschaftliche Kontext so, dass man
wie von selbst darauf gestoßen wird – auf die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten: „… nimm
das Kind und seine Mutter und flieh nach Ägypten“ (Mt 2,13-15).
Auch ich merke, dass ich in meinem Weihnachtsgruß nicht daran vorbeikomme. Zu sehr stehen diese
Tage im Zeichen von Flucht und Vertreibung, von Asylsuche, von Terror und Gewalt – weltweit.
Einfache Lösungen, damit angemessen und menschengemäß umzugehen, kann ich nicht entdecken.
Das alles beunruhigt. Da gerät also diese fliehende Heilige Familie in den Blick, und von dort fällt
wieder Licht auf unsere Situation im Hier und Heute.
Natürlich: Eine Menschheitsgeschichte ohne Flucht und Vertreibung gibt es nicht. Aber was soll
eine solche Feststellung? Fakt ist: Wer auf der Flucht ist, sein muss, verliert Verwandte, Freunde,
Nachbarn, vertraute Landschaft, liebgewordene Speisen, Lebenszusammenhänge, die dem eigenen
Leben Halt geben. Viele Menschen können nur noch ihr nacktes Leben retten und darauf vertrauen,
dass man ihnen anderswo Schutz bietet. Und es bleibt die Trauer um das Verlorene und die
Sehnsucht – ja worauf?
Eine Reihe kleiner Plastiken und zeichnerische Entwürfe vom Künstler Ernst Barlach sind in den
Jahren 1921 – 1924 auf dem Hintergrund unserer Evangeliumsverse entstanden. „Ruhe auf der
Flucht“ nennt Barlach sein Kunstwerk. Die Erschütterung des 1. Weltkriegs mit seinen Fluchtfolgen
klingt hier nach.
Man sieht, wie Josef mit erhobenen Armen eine Decke, einen Mantel über Maria und das Jesuskind
von hinten ausbreitet. Er will damit Schutz geben – mit dem Mantel. Aber die erhobenen Arme sind
auch Zeichen dafür: Er selbst braucht Hilfe.
Als ich im Foto diese Plastik betrachte, denke ich spontan an die Flüchtlinge, die endlich einmal
Ruhe haben möchten, einen solchen Mantel, einen Schutzraum, wo sie für sich und unter sich sein
können, um gleichsam ihre Seele nachholen zu können und ihre Flucht ein klein wenig verarbeiten
zu können, um Ruhe zu haben, endlich einmal Ruhe. Da sind viele, die verständnisvoll helfen. Gott
sei Dank!
Dieser den Mantel zum Schutz ausbreitende Josef ist in der Plastik von Ernst Barlach die
Hauptfigur, aber in den drei Evangeliumsversen ist er es auch. Sonst ist er ja immer nur der Mann
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am Rande, der auch in der Kunst oft entfernt von Maria und dem Kind steht. Aber dieser Josef wird
dreimal tätig, um das Kind und seine Mutter zu retten. Er flieht mit seiner „Familie“ nach Ägypten
(den tieferen theologischen Sinngehalt lasse ich außen vor), aber er flieht nicht vor seiner Aufgabe –
er, der geheime Gegenspieler des Herodes, hier nur mit einem Mantel.
Es gibt ja noch ganz andere Arten der Flucht: Die Flucht vor einer notwendigen Aufgabe, die Flucht
in die Krankheit, die Flucht vor der Realität, die Flucht vor einem wichtigen Gespräch mit seinen
Kindern usw. usw.
Wie gut täte da die Ruhe auf der Flucht. – Dass man erst einmal inne hält und sich selber und wen
oder was auch immer angemessen in den Blick nehmen kann. Wie gut täte ein solcher „JosefsMantel“, der einfach nur Schutz gibt, um aufatmen zu können. Ruhe auf der Flucht.
Ein solcher Mantel ist in unzähligen Zusammenhängen die tätige Hilfe. In den Niederlanden heißt
sogar eine karitative Vereinigung „Mantelzorgers“.
Sie unterstützt zum Beispiel pflegende Angehörige, damit die einmal Ruhe, Erholung haben können
in ihrem Dienst an dem Kranken.
In unserer Glaubensgeschichte spielen Mäntel eine interessante Rolle: der geteilte Mantel des
heiligen Martin, der verschenkte Mantel des heiligen Liudger, der übertragene Mantel des
Propheten Elias, die Schutzmantelmadonna. Pallium ist das lateinische Wort für Mantel. Wer denkt
nicht an Palliativmedizin, Palliativstation – aber auch an das Pallium des Papstes und der
Erzbischöfe!
Fliehen – Ruhe auf der Flucht – Josefsmantel erhalten eine Fülle ganz unterschiedlicher Kontexte.
Der Schutzmantel, den Gott uns selbst immer schenkt, ist für mich das Gebet. Ich denke hier
besonders an das Psalmengebet mit seinem Dank und seiner Hoffnung, mit Klagen, Weinen und
Schreien, mit all den Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens. Die Psalmen bewahren uns davor,
in unserem Beten kleinkariert und steril zu werden. Sie sind eine Gabe Gottes, um immer wieder
echt beten zu können. Beten heißt ja nicht einfach das Herz ausschütten, sondern es heißt, mit seinem
erfüllten oder auch leeren Herzen den Weg zu Gott finden und mit ihm reden. Die Psalmen als
vorgegebene, ja als Gott gegebene Gebete stellen uns in den großen Strom einer Gebetsgeschichte
hinein, über der die dem Abraham zugesprochene Verheißung steht: „In Dir sollen Segen erlangen
alle Geschlechter der Erde“ (nach Erich Zenger).
Frohe Weihnachten und ein gesegnetes Jahr 2016
Ihr
+ Dieter Geerlings
Weihbischof im Bistum Münster
Vorsitzender der KAM