Universität Bremen BIQuaM Bremer Initiative Qualitative Methoden Einladung zum Workshop PRAXIS DER GROUNDED THEORY METHODOLOGIE Zeit: 09.02.2016 | 09:30 – 16:30 Uhr Ort: Akademie für Weiterbildung der Universität Bremen | Boulevard (unter der Mensa), Raum B 0770/80 Die Grounded Theory Methodologie beschreibt den Weg von der Empirie zur Entwicklung einer daten-‐ gestützten Theorie. Seit der Begründung der GTM durch Anselm Glaser und Barney Strauss erfreut sie sich großer Beliebtheit in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen. Als Reaktion auf die variations-‐ reichen Erkenntnisinteressen und Fragestellungen in der qualitativen Sozialforschung hat sich das Forschungsprogramm inzwischen ausdifferenziert (z.B. konstruktivistische Grounded Theory (Charmaz 2000), Situationsanalyse (Clarke 2005), reflexive Grounded Theory (Breuer 2009). Gemeinsamkeit der Spielarten der GTM ist die empirisch geleitete Theoriebildung – deren praktische Umsetzung jedoch wirft immer wieder Fragen auf: Zu dem Umgang mit der Parallelität von Erhebungs-‐ und Auswertungs-‐ prozessen, der Durchführbarkeit des »theoretical samplings« (und theoretischer Sättigung) oder auch der Praxis des Kodierens. In diesem Workshop nehmen wir unterschiedliche Verfahrensweisen der Grounded Theory Methodo-‐ logie in den Blick. Am Beispiel von drei Fallstudien fragen wir nach Möglichkeiten und Grenzen der jeweiligen Verfahrensweisen sowie charakteristischen Arbeitspraxen zur Theoriebildung. Die Forschen-‐ den stellen zunächst das Design ihrer Studien vor um am Beispiel einschlägiger Arbeitsschritte einzelne Aspekte anschließend in der Gruppe zu erarbeiten und zu diskutieren: Wie wird mit dem Material umgegangen? Wie wurde der iterative Samplingprozess umgesetzt? In welcher Form wird Theorie generiert? Die Eindrücke, Perspektiven und Fragen aus den Forschungsbeispielen wollen wir abschließend mit-‐ einander austauschen: Was ist »common sense« der Grounded Theory und wo liegen Differenzen? Der Workshop bietet keine Einführung in die Grounded Theory – Vorkenntnisse sind dementsprechend wünschenswert. ARBEITSGRUPPEN (Beschreibung s. S. 2-‐3) A Sampling und Sättigung in der konstruktivistischen GTM: Dr. Veronika Zink, Universität Gießen | Studie »Von der Logik des Verehrens« | abgeschlossene Dissertation B Forschen als Prozess – pragmatischer Einsatz der GTM: Maike Koschorreck, BIGSSS/Universität Bremen | Studie »Kulturelle Vielfalt als Herausforderung für Bildungsinstitutionen« | work in progress C Kodierparadigma in der GTM nach Strauss/Corbin: Laura Behrmann, Universität Bremen | Studie »Bildung und Bildungserfolg. Konzepte von Gesamtschullehrer/innen in Ost-‐ und Westdeutschland« | work in progress ANMELDUNG ab sofort – bitte mit Angabe einer Teilnahmepräferenz der zur Auswahl stehenden Arbeitsgruppen A, B oder C – an: sonja.fuecker@uni-‐bremen.de TAGESPLANUNG, 09.02.2016 9.30 – 10:00 Einführung 10:00 – 12:30 Arbeiten in den Arbeitsgruppen| Parallel: Workshop A, B, C 12:30 – 14:00 Mittagspause 14:00 – 15:00 Arbeitsgruppen – Vorbereiten der Diskussion | Parallel: Workshop A, B, C 15:00 – 16:30 »Commen sense« der Grounded Theory? Diskussion und Ausblick 1 A | Sampling und Sättigung in der konstruktivistischen GTM Dr. Veronika Zink, Universität Gießen | Studie: »Von der Logik des Verehrens: Gegenwartskulturelle Formen der Sakralität, Sozialität, Emotionalität« In der Arbeitsgruppe wollen wir uns im Speziellen mit den Möglichkeiten und Grenzen der GT bei der phänomenographischen Untersuchung am Beispiel der Verehrung beschäftigen. Die Phänomeno-‐ graphie versteht sich dabei als eine Perspektive, die zu verstehen sucht, wie Menschen ihre Lebenswelt bzw. konkrete Gegenstände und Phänomene ihrer Lebenswelt erfahren, welche Bedeutungs-‐ dimensionen dem Phänomen zugrunde gelegt werden und wie diese in ihrer kulturellen Tradierung und in ihrer sozialen Relevanz zu verstehen sind. Unter Bezug auf eine Studie zur »Verehrung« wollen wir nach den Möglichkeiten fragen, wie ethnographische und (ethno)phänomenologische Denkansätze in die konstruktivistische GTM integriert werden können. Dazu bietet es sich an, in der Workshop-‐Gruppe auf Prozesse des Samplings und der Sättigung Bezug zu nehmen; mittels der Einbeziehung von Datenmaterial und mit Blick auf die Verflechtungslinien von Theorie und Empirie. Zur Studie Wenngleich die Verehrung ein altbekanntes Phänomen zu sein scheint, ist unklar, was mit dem Phänomen des Verehrens eigentlich gemeint ist. Warum bezeichnen wir etwas als verehrenswert beziehungsweise unter welchen kulturellen Bedingungen erscheint das Verehrenswerte? Wie lässt sich die Verehrung begreifen und welche symbolische Bedeutung wird dem Verehren zugeschrieben? Im Fokus des Projekts stand die Analyse des gegenwärtigen Kulturmodells der Verehrung. Basierend auf Interviewdaten und ethnographischen Feldbeobachtungen sollte das Phänomen sowohl in seiner zeit-‐ genössischen wie gelebten Bedeutung betrachtet, als auch vor dem Hintergrund diskursiv tradierter Deutungsmuster verstanden werden. B | Forschen als Prozess – pragmatischer Einsatz der GTM Maike Koschorreck, BIGSSS/Universität Bremen | Studie »Kulturelle Vielfalt als Herausforderung für das deutsche Schulsystem. Mechanismen indirekter institutioneller Diskriminierung« In der Arbeitsgruppe stelle ich zunächst das Forschungsdesign meiner Dissertationsforschung vor. Hierbei lege ich einen Schwerpunkt auf a) die fruchtbare Einbindung einiger Arbeitsschritte der GT in den ethnografischen Forschungsprozess sowie b) die Herausforderung bzw. Zweifel an der Machbarkeit anderer Arbeitsschritte der GT im ethnografischen Forschungsprozess. In der Diskussion können sowohl Schritte des Forschungsprozesses als auch konkrete Stellen des Datenmaterials besprochen werden. Zur Studie Ich frage danach, ob heute, etwa eine Dekade nach dem ‚PISA-‐Schock‘, Mechanismen indirekter institutioneller Diskriminierung im Schulsystem exisitieren (vgl. z.B. Gomolla/Radtke 2002). Ich interessiere mich insbesondere für solche Formen pädagogischen Handelns (und deren Ent-‐ stehungsbedingungen und Auswirkungen), die von den Akteur_innen im Forschungsfeld als neutral oder positiv verstanden werden, in ihrer praktischen Umsetzung jedoch unintendierte diskriminierende (Neben-‐)Effekte für Schüler_innen mit »Migrationshintergrund« haben. Die Forschung zielt auf eine empirisch begründete Erweiterung bzw. Schärfung des Konzepts der Institutionellen Diskriminierung für das deutsche Schulsystem sowie in der aktuellen Phase des Umbruchs und der Neuorientierung des deutschen Bildungssystems einen praxisrelevanten Beitrag für die Schulentwicklung zu leisten. Das qualitative Forschungsdesign meiner Untersuchung beinhaltet für die Datenerhebung eine Triangulation ethnographischer Forschungsmethoden (TB, Interviews, informelle Gespräche, Doku-‐ mentensammlung) in Kombination mit Arbeitsschritten, die (auch) in der GT angewendet werden (theoretische Offenheit, Collection-‐Analysis-‐Tandem, Theoretisches Sampling). Die Auswertung der empirischen Daten erfolgt u.a. in Anlehnung an das Vorgehen in der Grounded Theory mittels der Codierung und Kategorisierung des empirischen Materials zur Bestimmung bedeutender Mechanis-‐ men indirekter institutioneller Diskriminierung im untersuchten Schulalltag. 2 C | Kodierparadigma in der GTM nach Strauss/Corbin Laura Behrmann, Universität Bremen | Studie »Bildung und Bildungserfolg. Konzepte von Gesamt-‐ schullehrer/innen in Ost-‐ und Westdeutschland« In der Arbeitsgruppe stelle ich das Forschungsdesign meiner Studie von der Rolle der Vorannahmen, dem Umgang mit Material bis zum Generieren der Theorie vor. Ansatzpunkt für die Diskussion bietet das Beispiel des erarbeiteten Kodierparadigmas (Strauss und Corbin 1990; Strauss 1994; Strübing 2014): Was setzt das Kodierparadigma voraus? Wie gelingt es die divergierenden Ausprägungen eines Phänomens zu erfassen? Welche Abstraktionsebene lässt sich mit dem Kodierparadigma erreichen? Wie kann es gelingen Prozesse abzubilden? Anhand des Forschungsbeispiels lassen sich verschiedene Arbeitsschritte (vom Kodieren des Materials, der Auswahl der Fälle und der Abbildung des Kodierparadigmas) diskutieren. Zur Studie „Definitionsmächtige Akteure“ sind „durch ihre Position in der Lage [...], ihre Versionen der Wirklichkeit offiziell durchzusetzen“ (Goffman 1994: 104). Doch welche Vorstellungen haben Schlüsselpersonen, wie Lehrer/innen von der sozialen Wirklichkeit? In meiner Studie frage ich nach den handlungsleitenden Orientierungen von Lehrerinnen und Lehrern: Welche Ziele verfolgen Sie? Welche Wertvorstellungen liegen diesen zu Grunde? Vor einer besonderen Herausforderung stehen Lehrer/innen, die eine leistungsheterogene Schüler-‐ schaft auf unterschiedliche Bildungsabschlüsse vorbereiten. In meiner Studie habe ich an ausge-‐ wählten Gesamtschulen in Ost-‐ und Westdeutschland Lehrer/innen interviewt, Unterricht und Schulalltag beobachtend begleitet. Prinzipien der Grounded Theory nach Strauss/Strauss und Corbin waren sowohl für das Design als auch die Auswertungstechnik grundlegend. Das Ergebnis verweist auf a) zwei polarisierende Bildungsverständnisse, welche b) in einem engen Wechselwirkungszusammenhang mit den Ordnungspraktiken (z.B. des Bewertens) und den Selbst-‐ konzepten (Überzeugung der Handlungsmacht und Handlungsverantwortung) stehen. Neben der Spezifizierung des Phänomens versuche ich unter Anwendung des Kodierparadigmas spezifische Bedingungen der (Re)Produktion und Veränderung dieses Zusammenspiels aufzuzeigen. 3
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