Der nicht entscheidungsfähige Patient

Der nicht entscheidungsfähige Patient
Patientenverfügung, keine Patientenverfügung,
unklare oder überholte Weisungen
Peter Breitschmid*
Prof. Dr. iur., Lehrstuhl für Privatrecht mit Schwerpunkt ZGB, Mitglied
Doktoratskommission Biomedical Ethics and Law, Universität Zürich –
Korrespondenz [email protected]
Inhaltsübersicht
I.Einführung
II.
Ausgangslage – die Problem­stellung: Entscheidungs­
unfähigkeit weshalb?
III.
Der nicht entscheidungsfähige Patient
A. Im Allgemeinen
B. Kinder als Patienten
IV.
Terminologie und Eigenheiten
A. Informed consent
B. Patientenverfügung (Art. 370 ff. ZGB)
C. Terminologische Unschärfen als Indiz für ein
noch zu ­stabilisierendes Instrument
V.
Die Probleme um Patienten­verfügungen insbesondere
VI.
Die gesetzliche Ordnung der Patientenverfügung
A. Inhalt
B. Form
C.Mängel
D. Bindungswirkung
E. Widerruf
F. Zwischenergebnis
G. Exkurs: Der nicht (mehr) ­entscheidungsfähige
­Patient
H. Zusammenfassend: was gilt wirklich unter
dem Erwachsenenschutzrecht?
I. Rechtsvergleichender Flash: das österreichische
­Patientenverfügungsgesetz
J. Fazit
VII. Folgerungen
Literaturhinweise
* Unterlage zum entsprechenden Modul des Verfassers
im BmEL-Law-Track-Programm. Für die Mitarbeit an
diesem Beitrag gebührt herzlicher Dank (i) Caroline
Wittwer, cand. iur., ehem. wissenschaftliche Mitarbei­
terin am Lehrstuhl, dipl. Pflegefachfrau HF (die u. a.
insbes. die Darstellung der zahlreichen Fallbeispiele in
Ziff. III.B und V erarbeitet hatte), sowie (ii) lic. iur. Mar­
tina Gmür, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehr­
stuhl, welche die Nachführung der ursprünglich aus
dem Jahre 2009 datierenden Unterlage an die Hand
genommen hat.
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Die Entscheidungsfähigkeit der Patienten ist an sich
Voraussetzung für das Zustandekommen des Be­
handlungsvertrags. Dem hypokratischen Eid gehor­
chend, kann allerdings die Behandlung des nicht
entscheidungsfähigen Patienten nicht unterbleiben.
Die Vorstellung, in Phasen oder im Zustand beein­
trächtigter Entscheidungsfähigkeit fremden Behand­
lungsentscheiden ausgesetzt zu sein, verträgt sich
indes schlecht mit der Selbstwahrnehmung des ge­
sunden, aufgeklärten, selbstbewussten Individuums.
Umgekehrt unternehmen gerade diese selbstbewuss­
ten (und manchmal auch etwas selbstverliebten)
Individuen oft wenig, um ihre Einstellung transpa­
rent zu machen; je nach Stimmungs- und Lebenslage
oszilliert das Spektrum zwischen maximierter Life­
stylemedizin im Rahmen der Grundversicherung
und einem apathisch-erschöpften Wunsch, mög­
lichst in Ruhe gelassen zu werden.
I.
Einführung
Über Patientenverfügungen zur Überwindung der
Entscheidungsunfähigkeit der betroffenen Person
wurde schon viel, auch Ideologisches, geschrieben –
es fragt sich, ob darüber nicht mehr geschrieben wor­
den sei, als wirklich reflektierte Patientenverfügun­
gen individuell bzw. individualisiert verfasst worden
sind. Das Gebiet betrifft nicht nur Fragen im Grenz­
bereich von Medizin und Recht (wobei funktionell –
wenn die Gesundheit des Menschen höchstes Gut
ist – die Medizin an erster Stelle zu stehen hat: Aus­
gangspunkt ist regelmässig eine spezifische Behand­
lungsbedürftigkeit und erst sekundär die Zustim­
mung zur Ablehnung oder Nuancierung dieser
Behandlung), sondern hat auch ausgeprägt kulturellreligiös-emotionale Hintergründe. Behandlungs­
wünsche, Wünsche zur Behandlungsintensität und
(auch nur vermeintlich empfundene) soziokulturel­
le, familiäre oder ökonomische Zwänge können
­zudem die Entscheidfindung beeinträchtigen und
Drucksituationen schaffen.
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Um im «Dschungel» der einzelnen Institute des
deutschsprachigen europäischen Raums – z. B. der
Vorsorgevollmacht,1 Patienten-2 oder Betreuungs­
verfügung3 sowie des schweizerischen Erwach­
senenschutzrechtes4 – nicht den Blick auf die (ter­
minologieunabhängigen!) Funktionalitäten von
medizinischer Behandlung und rechtlichem und
ethischem Rahmen zu verlieren, lohnt sich ein Blick
auf diesen sehr spezifischen Hintergrund: entweder
Informationslücken bezüglich höchstpersönlicher,
grundsätzlich nicht delegierbarer Behandlungsent­
scheide oder der Versuch prospektiver Ordnung von
eigentlich kaum absehbaren Szenarien. Jede Krank­
heit, die zur Entscheidungsunfähigkeit führt, bzw.
der biografische Verlauf hin zu einer möglichen
­Demenz berührt eigentlich clausula rebus sic stanti­
bus-Situationen, nämlich qualifiziert unerwartete,
oft geradezu verdrängte Verläufe. Ähnliches gilt für
die elterliche5 Zustimmung zur Behandlung minder­
jähriger Kinder.
Die spezifischen Probleme altersbedingter Ent­
scheidungsunfähigkeit liegen in der geringen Bereit­
schaft zur Reflexion über künftig schlechtere Zeiten,
die mutmasslich6 noch geringer ist als zu allgemeinlebensplanerischen Entscheiden um Krankenkassen- und Hypothekarmodelle sowie güter- und erbrecht­
liche Anordnungen, und im oft beträchtlichen Zeitlauf
zwischen allfälliger Äusserung und Umsetzung; die
1Vgl. Ulsenheimer, § 132 Rz. 46 f.; Wenzel, Kapitel 4
Rz. 519.
2 Vgl. etwa Ulsenheimer, § 132 Rz. 38 f. (Anm. 58); Baum­
garten, 303; Breitschmid, successio 2008, 21 f.
3 Vgl. Breitschmid/Reich, ZVW 2001, 150; Ulsen­
heimer, § 132 Rz. 43.
4 Vgl. etwa Häfeli, FamPra.ch 2007, 5.
5 Pro memoria: ob die Eltern gemeinsam, jenes Elter,
­welches die elterliche Sorge alleine innehat, oder mit
Blick auf die Tragweite eines konkreten Entscheids den­
noch beide zuzustimmen haben, wäre ein Thema für
sich (vgl. Art. 133 f., Art. 275a und Art. 296 ff. ZGB;
Tuor/Schnyder/Jungo, § 43 Rz. 31 ff.).
6
Schwarzenegger/Manzoni/Studer/Leanza, in: Jus­
letter 13. September 2010, Rz. 41 ff., Untersuchung u. a.
über die statistische Bedeutung von Patientenverfügun­
gen; es ist allerdings kaum anzunehmen, dass sie häufi­
ger sind als die ebenfalls eher raren erbrechtlichen An­
ordnungen, die nur in knapp einem Drittel der Erbfälle
überhaupt auftreten und die in ihrer Tragweite (Rege­
lungsintensität bzw. Abweichung gegenüber der gesetz­
lichen Erbfolge) überwiegend eng begrenzt sind; diese
Folgerung drängt sich angesichts der bescheidenen
Transplantationsbereitschaft auf (diesbezüglich figu­
riert die Schweiz im europäischen Vergleich auf den
hinteren Plätzen, abrufbar unter: <www.swisstrans­
plant.org> [zuletzt eingesehen am 13. 11. 2015]). Es kann
sich aufdrängen, darüber nachzudenken, was die allen­
falls unterschiedliche Tragweite individualisierter oder
formularmässig-stereotyper Patientenverfügungen sei
(dazu CHK-Breitschmid/Kamp, Art. 370 ZGB N 1 ff.).
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Entwicklungskadenz verbesserter (teurerer oder auch
effizienterer, nebenwirkungsärmerer, evtl. patien­
tenspezifischerer) Behandlungsmethoden ist dem­
gegenüber rasch, und noch rascher als das fami­
lienbiographische Puzzlespiel, welches den Kreis
vertretungsberechtigter (oder auch nur vertretungs­
berechtigt gewesener) Personen schillern und mäan­
drieren lässt – für das Behandlungsteam oft eine zu­
sätzliche, aus dem Blickwinkel der medizinischen
Ausbildung und des medizinischen Auftrags zudem
nicht als wirklich prioritär empfundene Aufgabe.
II.
Ausgangslage – die Problem­
stellung: Entscheidungsunfähig­
keit weshalb?
Vorab bedarf die Ausgangslage der Entscheidungs­
unfähigkeit der Klärung: Liegt («nur» allgemeine)
Handlungsunfähigkeit7 (und damit beschränkte
Handlungsfähigkeit bzw. beschränkte Handlungsun­
fähigkeit mit Bestimmungsfähigkeit bezüglich
höchstpersönlicher Belange, Art. 19 Abs. 2 ZGB) oder
gar Urteilsunfähigkeit vor (Art. 18 ZGB), und zwar
bezüglich des konkret anstehenden Entscheids? Was
sind die Gründe dieses Autonomiedefizits? Bestehen
allgemeine intellektuelle Defizite wegen Jugend, ho­
hen Alters, Bildungsstand, oder liegt Überforderung
durch medizinische Fragestellungen an sich oder
aufgrund der konkreten Diagnose vor? Bestehen
Kommunikationshemmnisse aufgrund sozio-kultu­
rell oder religiös bedingter Wertungsdivergenzen
oder gar blosser Sprachbarrieren?
Ärztliches und oft auch pflegerisches Handeln am
Patienten ist ein Eingriff in dessen Körper oder seine
körperliche und/oder psychische Intimsphäre (je
nachdem, ob eine somatische oder/und psychiatri­
sche Behandlung erfolgt) und damit in seine Persön­
lichkeit (nicht nur im körperlichen, sondern auch im
abstrakten rechtlichen Sinne). Der «Eingriff» – ver­
standen in der weitesten Form, etwa auch blossen
Redens («Reden-Müssens») über die Befindlichkeit im
Rahmen einer ersten Anamnese – hat seine Ursache
im somatischen und/oder psychischen Klärungs- und Handlungsbedarf. Die Ausgangslage ist mithin
immer eine Sondersituation, und die Entscheidungs­
fähigkeit gegenüber gängigen Geschäften des Alltags
zwangsläufig – je nach Naturell des Patienten und
weiteren Rahmenbedingungen (Informations-, Bil­
7 Zu den Voraussetzungen der Handlungsfähigkeit, vgl.
Aebi-Müller, in: Jusletter 22. September 2014, Rz. 9 ff.
sowie Tuor/Schnyder/Schmid, § 9 Rz. 24 ff.
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Peter Breitschmid, Der nicht entscheidungsfähige Patient
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dungs- und Behandlungsstand) – mehr oder minder
herabgesetzt. Landläufig-herkömmlich wird denn
auch immer davon ausgegangen, dass Abklärung und
Behandlung der Wiedererlangung der Gesundheit
(und damit letztlich: der uneingeschränkten Entschei­
dungsfähigkeit) dienen – mithin «der Zweck die Mittel
heiligt». Dieses paternalistische System verträgt sich
schlecht mit dem Bild eines volljährigen, aufgeklär­
ten und entsprechend informiert handelnden, mit­
denkenden Patienten; allerdings dürfte eben dieses
Bild auch in einer technisch entwickelten, aufgeklär­
ten Welt gleichermassen Fiktion sein wie jenes der
«behandlungswütigen» Ärzteschaft. Der nach Infor­
mation suchende (und auch der mit Information
reichlich versehene) Patient ist nicht notwendig bes­
ser informiert, sondern möglicherweise stärker irri­
tiert.
Während stellvertretende Entscheide Dritter in
höchstpersönlichen Belangen eher denkbar sind, wenn
die Delegation sich auf einen informed consent stützt,
stellen sich verschärfte Probleme bei a priori urteils­
unfähigen Patienten/innen: Soll z. B. bei Kindern mit
intersexuellen Merkmalen8 kurz nach der Geburt
8 Bei Intersexualität (= Hermaphroditismus = Sexualdif­
ferenzierungsstörung; DSD, Disorders of Sexual Deve­
lopment; vgl. z. B. AWMF-Leitlinien, Reg.-Nr. 027/022,
abrufbar unter: <www.awmf.org> [zuletzt eingesehen
am 13. 11. 2015]) braucht somatisch keineswegs zwin­
gend im Kleinstkindesalter operativ interveniert zu
werden; anderseits wird sich (nach einer über etli­
che Jahrzehnte offenbar wenig sensibilisierten Opera­
tionspraxis) künftig die Frage stellen, ob die Nicht­
behandlung bzw. der aufgeschobene Entscheid (der
zwangsläufig mit einer intensiveren, begleiteten Identi­
tätsfindungsphase einhergeht) nicht ihrerseits/seiner­
seits (auch) zur Belastung werden könnte und letztlich
(auch hier; vgl. im Übrigen hinten Anm. 85) auch der
(Noch-)Nichtbehandlungsentscheid daran krankt, dass
er ohne ­Einbezug des noch nicht handlungs- und zu­
stimmungsfähigen (Kleinst-)Kindes erfolgen muss. Eine
geschlechtszuweisende Operation erfordert nach Wer­
len die Einwilligung des urteilsfähigen Kindes sowie
der Eltern (Werlen, Kapitel 4 Rz. 758 – insofern nicht
ganz logisch, als bei Urteilsfähigkeit des Kindes die Ein­
willigung der Eltern mit zunehmendem Alter in den
Hintergrund treten muss). Im Falle, dass das Kind noch
nicht urteilsfähig ist, gilt es, zu warten, da es sich um
einen schweren Eingriff in die körperliche Integrität
handelt (Werlen, Kapitel 5 Rz. 999 f.; so auch Schlat­
ter, § 4 Rz. 109 und 119 [in Bezug auf Neu- oder Früh­
geborene], mit der Begründung, dass die Eltern ihr Kind
noch kaum «kennen», und die Gefahr besteht, die eige­
nen Wünsche in den Kindeswillen hineinzuinterpretie­
ren, sodass das Recht auf eine offene Zukunft verwehrt
werden könnte – man wird allerdings bedenken müssen,
dass die «offene Zukunft» über Jahre entwicklungsbe­
gleitend auch eine beträchtliche Belastung darstellen
und eine auch vom Kind als unglücklich erlebte «Son­
derstellung» in Schule und Gesellschaft bedeuten
kann). Somit bleibt fraglich, ob der Entscheid der Eltern
dem Kindesinteresse bzw. dem Kindeswohl entsprechen
würde – fraglich bleibt allerdings auch, ob sich das Kind
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operativ geschlechtsbestimmend interveniert wer­
den? Das Thema berührt eine Mehrzahl von Tabus:
Jenes der Geschlechtswahl, jenes der «gewöhnli­
chen» Vorstellung «eindeutiger» Geschlechtlichkeit,
jenes der Behandlung (nur) aufgrund Weisung Be­
stimmungsberechtigter (Inhaber der elterlichen Sor­
ge) statt Wunsch der Betroffenen. Zugleich manifes­
tieren sich allerdings auch die Probleme einer um
ultimative Gerechtigkeit ringenden Verrechtlichung:
Das Leben ist manchmal nicht einfacher, wenn es
(je nach Alter und Entwicklungs- und Rahmenbedin­
gungen) «richtig» entscheiden wird. Selbstverständlich
soll dem Kind ein Recht auf sexuelle Entfaltung sowie
ein positives Selbstbild zugestanden werden (Werlen,
Kapitel 3 Rz. 539, 542 und 554). Der stellvertretenden
Entscheidungsfindung der Eltern steht Werlen bezüg­
lich eines nicht lebensnotwendigen Eingriffs indes kri­
tisch gegenüber (Werlen, Kapitel 3 Rz. 535 und 542,
vgl. dazu ­A nhörungsrecht des Kindes Rz. 533 und 570,
so auch Aebi-Müller, in: Jusletter 22. September 2014,
Rz. 111, die eine stellvertretende Einwilligung ablehnt).
Um die Urteilsfähigkeit eines Kindes zu bestimmen,
können folgende Kriterien ausschlaggebend sein: Die
Entwicklung und Reife des Kindes, die Schutzbedürftig­
keit der Gesundheit des Kindes, die Einflussnahme
durch Drittpersonen und deren Werthaltungen, die
Komplexität des Eingriffs und dessen Beurteilung sowie
die Dringlichkeit und die Notwendigkeit des Eingriffs
(Werlen, Kapitel 5 Rz. 830 ff.). Die Freiheit, eine Ent­
scheidung zu fällen, ist ausserdem eingeschränkt durch
Fähigkeiten, Werte, Triebe, Erfahrungen, unbewusste
Prozesse, das soziale Umfeld sowie den Wunsch nach
Selbstentfaltung (Werlen, Kapitel 7 Rz. 1121 und 1124).
Intuitionen und Gefühle sind somit ein Bestandteil der
Urteilsfähigkeit (Werlen, Kapitel 7 Rz. 1127 und 1129),
welche demzufolge «einem offenen Vernunftverständ­
nis, also einem Zusammenspielen von (rationalem)
Denken und (sinnlichem) Fühlen entspricht» (Werlen,
Kapitel 7 Rz. 1151) – ob und wann dieser Zustand einge­
treten und seitens des Kindes ein «fehlerfreier» Ent­
scheid möglich ist, bleibt allerdings ungewiss und erfor­
dert kontinuierliche, geduldige Begleitung und wohl
eine beträchtliche Phase an Unsicherheit; ob rückbli­
ckend eine Generation später den Entscheid dereinst als
zufriedenstellender bzw. «fehlerfreier» als frühere, stell­
vertretend getroffene empfinden wird, bleibt damit
­offen. Die Frage, inwieweit die eigene Entwicklung
(Identitätsfindung in ­Familie und Umfeld, allgemeine
schulische, sozio­kulturelle und berufliche Prägung,
aber auch sexuelle Identifikation) insgesamt (aktiv) ge­
steuert oder (apathisch) akzeptiert werden soll, wird in
unterschiedlichen Perioden und in unterschiedlichem
gesellschaftlichem Umfeld unterschiedlich beant­
wortet; es liegt auf der Hand, dass mit einem gewissen
erweiterten Autonomierahmen nach heutigen Vorstel­
lungen und entsprechend höherem Anspruch an Indi­
vidualität auch dieser Identitätsgestaltungsanspruch
ausgeprägter wird, was nicht zu kritisieren ist – lediglich
die Frage, ob das Leben dadurch «einfacher» und «be­
friedigender» wird, kann das Individuum mangels Re­
ferenzwerten kaum beurteilen, doch scheint das zuneh­
mende Bewusstsein für kindliche Transsexualität nicht
einen durchweg höheren Lebenszufriedenheitsfaktor
zu gewährleisten (vgl. Susanna Ellner, Kinder im fal­
schen Körper, NZZ vom 22. Dezember 2015, 21).
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«selbstbestimmt» geführt werden muss; eine frühe
Behandlung könnte9 medizinisch einfacher und
­danach die Bewältigung alltäglich-kleinkindli­
cher Entwicklungsschritte in der Erfahrung der
­Ge­schlecht­lichkeit unproblematischer sein – ob das
genügende Rechtfertigungsgründe sind, um eine
eigentlich systemwidrige medizinische Intervention
(nach welchen Kriterien?) zuzulassen, bedürfte ver­
tiefter gesellschaftlicher und fachlicher Diskussion,
mutmasslich aber auch der Bereitschaft, in atypi­
schen Situationen atypische Entscheide zu fällen
bzw. für solche Entscheide fachlich-ethisch unter­
mauerte Entscheidprozesse zu definieren.10 Solches
allerdings auf die Gefahr hin, nachmals (analog vor­
mundschaftlicher «Internierungen» zu Zeiten etwa
der «Kinder der Landstrasse» oder der Psychiatrisie­
rung und Pönalisierung unverheirateter Mütter) sich
einer «Wiedergutmachungsdiskussion» stellen zu
müssen; die Kadenz medizinischer und gesellschaft­
licher Entwicklungen dürfte zunehmend öfter solche
Diskussionen auslösen.11 Dies müsste die Bereitschaft
stärken, solche Diskussionen auch auszuhalten, al­
lerdings im Bewusstsein: tempora mutantur, et nos
mutamur in illis – andere Zeiten, andere Sitten. Eine
früher gesellschaftlich überwiegend akzeptierte oder
auch unzureichend reflektierte Sicht ist nicht in
Stein gemeisselt, aber auch nicht ohne Weiteres An­
knüpfungspunkt für wirtschaftliche Wiedergutma­
9 Effektiv scheint dies im vorliegenden Kontext gerade
eher nicht der Fall zu sein; anders bei der sog. «Hasen­
scharte» (Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte, LGKS-Spalte),
wo eine erste operative Behandlung bereits nach weni­
gen Lebensmonaten unausweichlich ist (klare ICDKlassifikation, Q35 ff.).
10 Was vorweg eine Diskussion über «Standards» und «Nor­
malität» erfordert, die nicht ganz einfach zu führen sein
dürfte, da das Infragestellen der weiblich-männlichen
Bipolarität unter Schaffung einer «Übergangszone» an
Tabuvorstellungen rührt (dazu zuletzt Geiser Thomas,
Die Natur ist bunter als das Recht, NZZ vom 11. Septem­
ber 2015). Es könnte diese Diskussion vereinfachen,
wenn generell nachdrücklicher vermittelt würde, dass
die Grenze von «Normalität» und «Kranksein» schlei­
chend verläuft. (Alle haben Stimmungsschwankun­
gen – ob deswegen eine Depression im medizinischen
Sinne mit Krankheitswert vorliegt, ist jedoch offen;
ebenso bei der Behandlung altersbedingter Defizite, die
bis zu einem gewissen Grad dem biografischen Normal­
verlauf entsprechen, und deren Behandlungsbedürftig­
keit und -würdigkeit manchmal nicht nur ethische und
krankenversicherungsrechtliche, sondern auch eine
Temperamentsfrage ist.) Eher die «Variabilität» ist also
«Normalität» und kaum die Gleichförmigkeit und Iden­
tität; wäre dieses Bewusstsein für die Individualität
(nicht im Sinne eines grundrechtlichen Anspruchs,
sondern in epigenetischer und biografischer Hinsicht)
ausgeprägter, so wäre scheinbar «weniger Normales»
durchaus im Bereich der Standardabweichungen ange­
siedelt.
11 Huonker, 17 ff.
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chung12 – alte Fehler sollen überwunden werden,
aber es werden wohl (dereinst retrospektiv betrach­
tet) weiterhin Fehler geschehen, auch bei Thesen, die
erst gegenwärtig in juristische Formen gegossen wer­
den. Unter altem Recht abgeschlossene Vorgänge
sind rechtlich nach den damaligen Gegebenheiten
zu beurteilen; zwar ist – aufgrund «besserer» (oder
zumindest: neuerer, aktueller) Erkenntnis – die Un­
zulänglichkeit früheren Vorgehens einzugestehen
und sind Fehler zu entschuldigen; nur ausnahmswei­
se dürfte dies aber Entschädigungs- oder Genug­
tuungsforderungen rechtfertigen. Zu glauben, die
eigene Zeit und das eigene Denken habe sich der Per­
fektion angenähert, zeigt höchstens, dass der Vorstel­
lungshorizont des preussischen Königreichs und des
ALR (des Allgemeinen Preussischen Landrechts: ei­
ner Kodifikation des ausgehenden 18. Jahrhunderts
mit knapp 20 000 Vorschriften und der vermeintli­
chen Hoffnung, jeden denkbaren Fall umfassend
und genau zu regeln) noch nicht überwunden ist –
mithin nach wie vor eine noch ziemlich zurückge­
bliebene Betrachtungsweise gilt …
III. Der nicht entscheidungsfähige
Patient
A. Im Allgemeinen13
Die persönliche Freiheit und das Selbstbestimmungs­
recht eines Menschen sind in der Heilkunde von be­
sonderer Bedeutung. Im Privatrecht wird der Schutz
durch Art. 28 ZGB gewährleistet und im öffentlichen
Recht findet Art. 10 Abs. 2 BV Anwendung.14 Dabei
12 Als punktuelle Illustration sei erwähnt Begert Ro­
land M., Lange Jahre fremd, 3. Aufl., Bern 2009 – eine
belletristisch-biografisch-sachbuchmässige (Unter­titel:
Biographischer Roman) Aufarbeitung einer Verding­
kindbiografie. Möglicherweise könnte (Konjunktiv! –
selbstverständlich kann das der Schreibende nicht be­
urteilen) diese Biografie insgesamt zufriedenstellender
verlaufen sein als eine hyperindividualisierte Überfor­
derung aus elterlichem Perfektionsfimmel.
13 Die «Entscheidungsfähigkeit» wird hier – dem Titel des
Beitrags folgend – als der für die medizinische Behand­
lung spezifische Begriff verwendet: während typischer­
weise handlungsfähig ist, wer volljährig und urteilsfä­
hig ist (Art. 16 ff. ZGB), ist der medizinisch (somatisch,
psychiatrisch) Behandlungsbedürftige für diesen Be­
reich gerade nicht «handlungsfähig», sondern auf Hilfe
angewiesen, über deren Annahme er idealerweise auto­
nom und informiert zu entscheiden hätte.
14 Van Spyk, 30 ff., zur persönlichen Freiheit. Das Selbst­
bestimmungsrecht sowie die Verfügungsfreiheit einer
Person wird hierzulande durch Art. 27 und 28 ZGB
­( Persönlichkeitsschutz) geschützt. Damit ein Auftrag
(Art. 394 ff. OR) zwischen Arzt und Patient gültig zu­
stande kommt, muss der Kranke frei in die Behandlung
eingewilligt haben (bei einem urteilsunfähigen Patien­
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ist der Einzelne bezüglich einer Behandlung frei und
kann dieser zustimmen oder sie ablehnen. Ein Arzt,
der ohne die Einwilligung eines Patienten eine
­Behandlung vornimmt, macht sich strafbar.15 Auf­
grund einer Ursache unterschiedlichster Ätiologie
kann ein Mensch entscheidungsunfähig sein oder wer­
den: z. B. bei Kindern wegen ihres noch (Klein-)Kind­
seins, bei Erwachsenen durch Unfall oder Krankheit
(z. B. Demenz), bei geistig behinderten Personen (z. B.
bei Trisomie 21) usw. Das Selbstbestimmungsrecht
steht dabei an erster Stelle, wobei sich bei nicht ent­
scheidungsfähigen Menschen die Frage der stellvertreten­
den Einwilligung zum Vorteil eines Kranken stellt.16
Dazu werden verschiedene Merkmale herangezogen.
Bei «paternalistischen» Kriterien will der Arzt auf­
ten gilt der sogenannte mutmassliche Wille bzw. eine
im Voraus erstellte Patientenverfügung). Der Kranke
muss nach dem informed consent-Prinzip aufgeklärt
­werden, die Einwilligung hat vor der medizinischen
Behandlung zu erfolgen, auch darf keine Rechts- und
Sittenwidrigkeit entsprechend Art. 27 ZGB i. V. m.
Art. 20 OR vorliegen. Die Zustimmung in die eigene Ver­
stümmelung oder gar Tötung ist als rechtswidrig zu
betrachten und demnach ohne Rechtswirkung. Nicht
davon betroffen ist die Zustimmung zu einer Operation
zu Heilzwecken (vgl. BGE 114 Ia 350, E. 6). Die Persön­
lichkeitsrechte sind nicht übertragbar oder vererblich
(im Unterschied zu Vermögensrechten). Nach Art. 27
Abs. 2 ZGB ist jede Zustimmung widerrufbar. Die
­zivilrechtlichen Bestimmungen sind nicht nur auf
Rechtsgeschäfte begrenzt. Viele Erlasse haben einen
persönlichkeitsschützenden Charakter. Von zentraler
Bedeutung sind z. B. Art. 8 FMedG (Fortpflanzungsme­
dizingesetz) und Art. 3 ff. GlG (Gleichstellungsgesetz)
und wohl auch das TxG (Transplantationsgesetz). Im
Weiteren sind Art. 10 Abs. 2 und Art. 13 BV, Art. 8 EMRK,
Art. 10 Biomedizinkonvention und im Strafrecht
Art. 320, 321 und 321bis StGB zu erwähnen, welche die
«informationelle Selbstbestimmung» und den Schutz
der Privatsphäre sicherstellen (zum Thema: Büchler,
181, 185 und 195; Barta/Kalchschmid, 13 ff.; Tuor/
Schnyder/Schmid, § 11 Rz. 7 und 19 sowie § 9 Rz. 49;
Huguenin, BSK-ZGB I, Art. 27 ZGB N 4; Breitschmid,
FS Rey, 13 ff., zur Organspende).
15 Eichenberger/Marti, 145 f.; Stolz et al., 10 ff.;
­Panagopoulou-Koutnatzi, 89; Peter, in: Jusletter
16. August 2010, Rz. 6, befasst sich mit den Anliegen der
Kranken und Pflichten der Ärzte sowie den rechtlichen
Schwierigkeiten bei der medizinischen Heilbehandlung
von Zeugen Jehovas; Guillod, Diss., 21 ff., zur Selbst­
bestimmung des Patienten; Hausheer/Geiser/AebiMüller, § 20 Rz. 20.38 f.; Aebi-Müller, in: Jusletter
22. September 2014, Rz. 66, zu den Anforderungen an
das Verständnis des Patienten und dessen Einwilligung
sowie Rz. 68 ff., zu den möglichen Beeinträchtigungen
der Urteilsfähigkeit im Behandlungskontext.
16 Mameghani, 30; Jox, Ethik Med. 2004, 401 f.; Seich­
ter, 7 f. und 10 ff., zum Selbstbestimmungsrecht;
Schneider, 83 f.; Eichenberger/Marti, 145 ff., insbe­
sondere 147; Guillod, Diss., 21 ff., zur Selbstbestim­
mung des Patienten; Sprecher, FamPra 2011, 279;
Schwab, ZBJV 2006, 561 ff., zur Selbstbestimmung im
Alter, welche sich aus dem Persönlichkeitsrecht her­
leiten lässt.
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grund seines Fachwissens das Beste für seinen Pa­
tienten. Dabei kann seine Entscheidung mit der
­A nsicht von Angehörigen und Pflegepersonal zusam­
menfallen oder aufgrund unterschiedlicher Betrach­
tungsweisen, z. B. durch «branchenfremde» Angehö­
rige, zu verschiedenen Ansichten führen.17 Wird
vom Merkmal der «substitutiven Autonomie» ausge­
gangen, so kommen Surrogate anstatt des Selbst­
bestimmungsrechts eines Menschen zum Tragen.
Dabei bildet der mutmassliche Patientenwille die
Grundlage.18 Gilt als Regel der Grundsatz der prospek­
tiven Autonomie, so ist eine im Vorfeld, zur Zeit der
Urteilsfähigkeit, verfasste Patientenverfügung be­
deutsam.19
Im Erwachsenenschutzrecht sehen die Art. 377 ff.
ZGB die Vertretung bei medizinischen Massnahmen
von urteilsunfähigen Menschen vor.20 Nach Art. 372
Abs. 1 ZGB ist ein Arzt verpflichtet, abzuklären, ob
eine Patientenverfügung verfasst worden ist, was zu­
dem nötig macht, dass eine allfällige Urteilsunfähig­
keit eines Menschen in diesem Zusammenhang ab­
geklärt wird. Mit einer Patientenverfügung ist es für
einen urteilsfähigen Menschen möglich, Wünsche
bezüglich medizinischer Massnahmen für den Fall
der eigenen Urteilsunfähigkeit festzuhalten (Art. 370
ZGB). In der Verfügung kann eine natürliche Person
angeführt werden, welche die nicht entscheidungs­
fähige Person nach aussen hin vertritt (Art. 370
Abs. 2 ZGB).21 In Notfallsituationen führt der Arzt
nach Art. 379 ZGB medizinische Massnahmen ent­
17 Jox, Ethik Med. 2004, 405; Holzem, 98 ff. – Immerhin
wird zu beachten sein, was sich der Kontroverse unter
Familienmitgliedern an Information über die Anliegen
der behandlungsbedürftigen Person verfeinernd ent­
nehmen lässt.
18 Vgl. z. B. Jox, Ethik Med. 2004, 406.
19 Jox, Ethik Med. 2004, 407 ff.; Dunger, 35 ff.; Maul,
Pflegewissenschaft 2010, 307 ff.; Seichter, 155 ff.;
­Walhalla Fachredaktion (Hrsg.), 42 ff., zum Umgang
mit Pa­t ientenverfügungen und Vorsorgevollmachten;
Hausheer/Geiser/Aebi-Müller, § 20 Rz. 20.38 ff.;
Schweizerische Akademie medizinischer Wissenschaf­
ten SAMW, Medizinisch-ethische Richtlinie der SAMW
zu Patientenverfügungen (2009, aktualisiert 2012),
­abrufbar unter: <http://www.samw.ch/de/Ethik/Richt­
linien/Aktuell-gueltige-Richtlinien.html> (letztmals
abgerufen am 12. 11. 2015).
20 Hausheer/Geiser/Aebi-Müller, § 20 Rz. 20.71; Gass­
mann, KuKo ESR, Art. 377 N 1 ff.; Fassbind, OFK-ZGB,
Art. 377 N 1 ff. Es ist ausschlaggebend, «ob der Patient
vernünftig handeln kann». Ein «unvernünftiges» Han­
deln lässt nicht automatisch auf eine Urteilsunfähigkeit
schliessen. Im Falle einer Urteilsunfähigkeit hat der Pa­
tient Partizipationsrechte bezüglich der Entscheidungs­
findung gemäss Art. 377 Abs. 3 ZGB (vgl. Aebi-Müller,
in: Jusletter 22. September 2014, Rz. 92 und 115 f.).
21 Hausheer/Geiser/Aebi-Müller, § 20 Rz. 20.41; Bider­
bost, SJZ 2010, 313; Ummel, 141 ff., zum Testament und
zur Patientenverfügung; Gassmann, KuKo ESR, Art. 372
ZGB N 1.
Pflegerecht – Pflegewissenschaft 5
10.03.16 13:53
W IS SENS CH A F T
1| 16
sprechend dem mutmasslichen Willen eines urteils­
unfähigen Kranken aus.22 Falls keine Patientenver­
fügung vorliegt, sind vor dem Behandlungsentscheid
die nach dem Gesetz vertretungsberechtigten Perso­
nen zu kontaktieren (Art. 377 ZGB). Wer dazu der
Reihe nach infrage kommt, regelt Art. 378 ZGB.23 Das
Vertretungsrecht der Angehörigen wird durch eine
errichtete (und anwendbare) Patientenverfügung
oder eine Beistandschaft (s. zu Konflikt- und Zwei­
felsfällen Art. 373, 376 und 381 ZGB) hinfällig. Eher
wenige Personen dürften Behandlungsanliegen mit
einem Vorsorgeauftrag kombiniert haben.24 Ob Vor­
sorgeauftrag oder Patientenverfügung: Es stellen sich
Auslegungs- und Anpassungsfragen bezüglich deren
Realisierbarkeit,25 oder es drängt sich eine notfall­
mässige Behandlung auf (Art. 379 ZGB).
Art. 388 ZGB soll das Selbstbestimmungsrecht des
einzelnen Individuums fördern.26 Die Erwachsenen­
schutzbehörde interveniert demnach im Rahmen
von Art. 389 ZGB nur nach dem Subsidiaritäts- und
Verhältnismässigkeitsprinzip.27 Das im Gesetz vorgese­
hene Vertretungsrecht hat dabei Priorität vor behörd­
lich angeordneten Massnahmen. Die Behörde schal­
tet sich nach Art. 389 Abs. 1 ZGB situationsabhängig
ein, z. B. bei einer Verschlechterung des Allgemein­
zustandes einer Person und wenn die Betreuung von
Angehörigen oder dem (oftmals gleichaltrigen) Ehe­
gatten nicht übernommen werden kann. In dieser
Situation fällt das gesetzliche Vertretungsrecht dahin
(Art. 374 Abs. 1 ZGB). Ob eine Beistandschaft zu er­
richten ist (Art. 390 ZGB) oder die Behörde von sich
aus das Nötige vorzukehren hat (Art. 392 ZGB),28 ist
im Einzelfall abzuwägen.
Der Übergang vom seinerzeitigen Vormund­
schaftsrecht zum Erwachsenenschutzrecht hat in der
Substanz für den Alltag wenig geändert. Art. 393 ff.
22 Hausheer/Geiser/Aebi-Müller, § 20 Rz. 20.73; Ulsen­
heimer, § 132 Rz. 39, zum mutmasslichen Willen;
Schmid, ESK-ZGB, Art. 379 ZGB N 1 f.
23 Hausheer/Geiser/Aebi-Müller, § 20 Rz. 20.71;
Schmid, ESK-ZGB, Art. 378 ZGB N 1 ff.; Gassmann,
KuKo ESR, Art. 378 ZGB N 1; Fassbind, OFK-ZGB,
Art. 377 ZGB N 1 ff.; Aebi-Müller, in: Jusletter 22. Sep­
tember 2014, Rz. 109 ff. sowie 120 ff., zur Vertretungs­
kaskade.
24 Hausheer/Geiser/Aebi-Müller, § 20 Rz. 20.53 und
20.58; Seichter, 33, der Betreuer ist in Deutschland
auch zur Vermögenssorge berechtigt.
25 Hoppler-Wyss, 467; Hotz, ZKE 2011, 105 ff., zum Vor­
sorgeauftrag.
26 Hausheer/Geiser/Aebi-Müller, § 20 Rz. 20.71 und
20.76; Schmid, ESK-ZGB, Art. 388 ZGB N 4; Rosch,
KuKo ESR, Art. 389 ZGB N 2.
27 Hausheer/Geiser/Aebi-Müller, § 20 Rz. 20.76; Geiser
et al., 8; Landolt, § 17 Rz. 546 f.; Schmid, ESK-ZGB,
Art. 389 ZGB N 1 und 4; Rosch, KuKo ESR, Art. 389 ZGB
N 2 ff.; Aebi-Müller, in: Jusletter 22. September 2014,
Rz. 139 ff.
28 Rosch, KuKo ESR, Art. 392 ZGB N 3.
6 Pflegerecht – Pflegewissenschaft
WI_Breitschmid_Nicht_entscheidungsfaehiger_Patient.indd 6
ZGB regeln die verschiedenen Beistandschaftsformen;29
was früher Vormundschaft30 hiess, wurde zur umfas­
senden Beistandschaft (nach Art. 398 ZGB).31 Eine um­
fassende Beistandschaft rechtfertigt sich nur bei einer
anhaltenden, schweren und umfassenden Hilfs­
bedürftigkeit bzw. andauernden Urteilsunfähigkeit
und ist ultima ratio.32 Eine andere Beistandsform ist
die Begleitbeistandschaft, welche nur in einfachen Fäl­
len Anwendung findet und auch nur, wenn sich die
betroffene Person diesbezüglich offen zeigt.33 Eine
Vertretungsbeistandschaft ist für den Fall vorgesehen,
dass es einem hilfsbedürftigen Menschen an der Fä­
higkeit mangelt, die eigenen Angelegenheiten regeln
zu können, während die Mitwirkungsbeistandschaft
(Art. 396 ZGB) eher punktuelle und subsidiäre
Schutz- und Stützfunktion hat.34 Es ist aber nicht der
medizinische «Schweregrad» einer Erkrankung, wel­
cher die Beistandschaftsform bestimmt, sondern der
Umstand, dass ein Mensch die eigenen (Alltags-)An­
gelegenheiten nicht mehr (umfassend) besorgen
kann. Art. 397 ZGB sieht die Kombination der ver­
schiedenen Beistandschaften (Begleit-, Vertretungs- und die Mitwirkungsbeistandschaft) vor.35
B.
Kinder als Patienten36
Die Heilbehandlung kranker Kinder ist für das ärzt­
liche und das pflegerische Team genauso wie für die
Eltern eine schwierige Aufgabe und eine Belastungs­
probe; rechtlich ist die (unvermeidliche) Fremdbe­
stimmung mit gewissen Bedenken verbunden. Die
Bezeichnung «Kind» ist zudem weit: vom Kleinst­
29 Biderbost, AJP 2010, 3 ff.; Rosch, KuKo ESR, Art. 393 ff.
ZGB.
30 Rosch, ZKE 2010, 118 ff.
31 Schmid, ESK-ZGB, Art. 398 ZGB N 1 f.; Rosch, KuKo
ESR, Art. 398 ZGB N 1.
32 Schmid, ESK-ZGB, Art. 398 ZGB N 5 f.; Rosch, KuKo
ESR, Art. 398 ZGB N 1.
33 Rosch, FamPra 2010, 268 ff., zur Begleitbeistandschaft.
34 Schmid, ESK-ZGB, Art. 396 ZGB N 1 f.
35 Botschaft des Bundesrates zur Änderung des schwei­
zerischen Zivilgesetzbuches (Erwachsenenschutz, Per­
sonenrecht und Kindsrecht) vom 28. Juni 2006,
BBl 2006, 7001 ff., 7036 ff. (Gesetzesentwurf 7139 ff.
sowie die definitive Fassung vom 19. Dezember 2008 in
BBl 2009, 141 ff.); Hausheer/Geiser/Aebi-Müller, § 19
Rz. 19.59 ff. und § 20 Rz. 20.78 ff.; Schmid, ESK-ZGB,
Art. 397 ZGB N 1 f. In Deutschland entstand eine neue
Rechtsfigur, wobei die Rechtsinstitute «Pflegschaft» und
«Vormundschaft» in Einklang gebracht wurden. Daraus
entstand dann 1992 das «neue» deutsche «Betreuungs­
recht» (vgl. Seichter, 1 ff.).
36 Hierzu auch (ohne die einzelnen nachfolgenden Fälle)
die Unterlage zur «1. St. Galler Pflegerechtstagung» vom
Mittwoch, dem 1. September 2010, Grand Casino Lu­
zern, 17 ff.
Stämpfli Verlag
10.03.16 13:53
Peter Breitschmid, Der nicht entscheidungsfähige Patient
1| 16
kind über die verschiedenen Entwicklungsstufen bis
zur Autonomie bezüglich medizinischer Behand­
lungsentscheide; sodann bezeichnet der ­Begriff
auch die verwandtschaftliche Beziehung zu leibli­
chen, evtl. aber auch zu Stiefeltern und weitern Per­
sonen, die allenfalls für seine Entwicklung we­
sentlich sind (vgl. sinngemäss Art. 274a und 275a
ZGB).37 «Autonomie» ist nicht nur ein Recht von
Erwachsenen. Die Anhörungs- und Partizipations­
rechte von Minder­jährigen sind grundlegende
­Elemente sowohl des internationalen Konventions­
rechts (UN-­K in­der­rechtskonvention) wie des natio­
nalen Rechts.38 Die UN-Kinderrechtskonvention unter­
scheidet Abwehrrechte (z. B. Schutz vor Missbrauch
und Folter) und positive Rechte (z. B. das Recht auf
psychisches und physisches Wohlbefinden, Freizeit,
Unterhaltung usw.).39 Ist das Kind minderjährig, zu­
gleich urteilsunfähig und ist es wegen dieser Um­
stände gänzlich handlungsunfähig gemäss Art. 17
ZGB und kann einer medizinischen Heilbehand­
lung nicht zustimmen, so sind in der Regel die Eltern
oder gegebenenfalls der Vormund als gesetzliche
Vertreter vorgesehen.40 Nach dem informed consent-
37 Aebi-Müller/Tanner, 82; Biderbost, in: Jusletter
10. Februar 2003, Rz. 5; Hegnauer, § 2 Rz. 2.02 ff.;
del Pozo, 131 ff., zur Situation der Kinder in der Welt;
Dettmeyer, 197 ff., zur Behandlung von minderjähri­
gen Kranken; Cignacco, Pflege 2009, 325 ff., zur Heil­
behandlung von Minderjährigen mit chronischen Er­
krankungen.
38 Michel, FamPra.ch 2008, 264 ff., zu den Partizipations­
rechten von Kindern. Diese lassen sich am Humanfor­
schungsgesetz besonders gut erkennen, vgl. hierzu das
Bundesgesetz vom 30. September 2011 über die For­
schung am Menschen (Humanforschungsgesetz, HFG,
SR 810.30).
39 Staubli, 75; Biaggini, 29, die Kinderrechtskonvention
(UN-KRK) lässt sich in Freiheitsrechte, Verfahrensgaran­
tien und Leistungs- und Schutzgarantien unterteilen;
Alderson, 28 ff., zum Selbstbestimmungsrecht
von Kindern; Freiburghaus-Arquint, 15; Früh, 5 ff.,
zur Kinderrechtskonvention, vgl. Übereinkommen
vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes
(SR 0.107).
40 Michel, Diss., 174; Biderbost, in: Jusletter 10. Februar
2003, Rz. 17, zur Gliederung der Handlungsfähigkeit in
vier Stufen; Thommen, 5 f.; Belling/Eberl/Michlik,
127 ff.; Venetz, 51 und 61; Aebi-Müller fügt zudem an,
dass die verschiedenen Stufen insofern von Bedeutung
sind, da «einerseits der Vertragsschluss und andererseits
die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des Patien­
ten unterschiedlichen Regeln folgen». Für die Einwilli­
gung in eine Behandlung genügt Urteilsfähigkeit, für
den Vertragsschluss muss jedoch die volle Handlungs­
fähigkeit gegeben sein. Im Falle, dass die Aufklärung
nicht gleichzeitig mit der Behandlung erfolgt, muss der
Patient im Zeitpunkt der Aufklärung wie auch im Zeit­
punkt des Behandlungsentscheids urteilsfähig sein (vgl.
Aebi-Müller, in: Jusletter 22. September 2014, Rz. 13 ff.
und 57).
Stämpfli Verlag
WI_Breitschmid_Nicht_entscheidungsfaehiger_Patient.indd 7
Prinzip sind sie Ansprechpersonen für den Arzt bei
der Aufklärung zur Behandlung,41 doch sind alle
Informa­tionen in geeigneter, nach den Umständen
jeweils verständlicher Art auch dem Kind gegenüber
geschuldet.42
Bei der Vertretung höchstpersönlicher Belange ist die
h. L. der Auffassung, dass verringerte Anforderungen
an die Urteilsfähigkeit von Minderjährigen zu stellen
sind.43 Kinder sind, wenn irgendwie möglich, in die
Entscheidung betreffend ihrer medizinischen Be­
handlungen einzubeziehen (Art. 301 Abs. 1 ZGB bzw.
Art. 301 Abs. 1 i. V. m. Art. 405 Abs. 2 ZGB; Art. 327b
ZGB),44 oder es wäre – wo dies möglich ist – die Be­
handlung aufzuschieben. In Ausnahmefällen kann
ein Vormund als gesetzlicher Vertreter für das Kind
fungieren nach Art. 327a ff. ZGB. Bei der Ermittlung
des (möglichst freien, unbeeinflussten) Willens des
Kindes ist eine «natürliche Abhängigkeit» zu berück­
sichtigen. Üblicherweise, aber doch eben nur im Rah­
men der Reife des einzelnen Kindes im konkreten Fall
bezüglich einer konkreten Behandlung, wird ab dem
zwölften Altersjahr von Urteilsfähigkeit ausgegan­
gen.45 Art. 301 Abs. 1 ZGB rückt das Kindeswohl ins
Zentrum, das sich einerseits an einem abstrakten
Ideal, anderseits aber doch auch an den konkret mög­
lichen Lebensumständen zu orientieren hat und Art
41 Michel, Ashley, 152; Michel, FamPra.ch 2008, 267,
zum informed consent-Prinzip und zu der Möglichkeit
eines Patienten, sein Selbstbestimmungsrecht selber
aus­zuüben; Schnell; 23 f., zum informed consent-Prin­
zip; Roggo, 76; Güntner, PaPfleReQ 2009, 97, zur
­Stärkung des Selbstbestimmungsrechtes bei Minder­
jährigen; ­Nägeli, 28, zur elterlichen Gewalt.
42Vgl. Aebi-Müller, in: Jusletter 22. September 2014,
Rz. 118 f., zu den Partizipationsrechten der Minderjäh­
rigen im Einzelnen; CHK-Breitschmid, Art. 16 ZGB
N 5.
43 Michel, Ashley, 145; Aebi-Müller, in: Jusletter 22. Sep­
tember 2014, Rz. 23 ff., zum Begriff der Urteils(un)fähig­
keit, und Rz. 44 ff., zur Urteils(un)fähigkeit im Kindes­
alter.
44 Michel, Diss., 175; Michel, FamPra.ch 2008, 249;
­Michel, Ashley, 151; Staubli, 72 und 75; Art. 327a ff.
ZGB.
45 Staubli, 77. – Gerade das mit seiner Erkrankung länger­
fristig vertraute Kind wird allerdings eine höhere Stufe
autonomer Entscheidungsfähigkeit erlangt haben als
ein gleichaltriges, aber mit der Situation neu konfron­
tiertes Kind. – Es scheint geboten, auf solche differen­
zierungsbedürftige Nuancen sowohl in der gebotenen
Aufklärung (auch der einzuräumenden Bedenkzeit)
wie auch bei der rechtlichen Würdigung «abstrakter»,
«nomineller» Altersgrenzen Rücksicht zu nehmen;
­Smole/Ensner, Schweizerisches Medizin-Forum 2009,
166, mit Beispielen des Bundesgerichtes zur Frage der
Urteilsfähigkeit von Kindern.
Pflegerecht – Pflegewissenschaft 7
10.03.16 13:53
W IS SENS CH A F T
1| 16
und Umfang einer Heilbehandlung bestimmt.46 Ob
Eltern vertretungsweise für erkrankte Minderjährige
auf eine lebensnotwendige Heilbehandlung verzich­
ten dürfen, ist unter ethischen sowie rechtlichen
­Gesichtspunkten umstritten. Michel ist m. E. zu
Recht zur Ansicht gelangt, dass eine solche Entschei­
dung mit den Eltern einerseits sowie einem unabhän­
gigen Behandlungs- oder einem Ethikteam anderer­
seits getroffen werden sollte. Nicht für ihr Kind
einwilligen können Eltern in eine medizinische Heil­
behandlung, welche absolut höchstpersönlicher Natur
und dieses Recht zudem eng mit der Persönlichkeit
eines Menschen in Verbindung zu bringen ist.47
(i) Die 13-jährige Hannah Jones aus dem mitteleng­
lischen Hereford (GB) sorgte 2008 weltweit für Auf­
sehen, da sie lieber in Würde sterben wollte, als sich
einer lebensrettenden Herztransplantation zu unter­
ziehen. Die behandelnde Klinik hatte die Operation
gerichtlich erzwingen wollen. Hannah forderte dar­
auf das Recht zu sterben und den Behandlungsab­
bruch beim High Court ein. Die Eltern standen im­
mer hinter dem Entscheid ihrer Tochter. Eine Gruppe
aus Medizinern und Juristen räumte dem Mädchen
schliesslich das Recht zu sterben (bzw. die Behand­
lung abzulehnen) ein, nachdem diese schon die Kin­
derschutzbehörden für sich gewinnen konnte (die
zuständigen Beamten wollten Hannahs Eltern zuerst
das Sorgerecht entziehen). Das behandelnde Kran­
kenhaus, welches ein Verfahren gegen die Familie des
Mädchens führte, stellte den Rechtsstreit nachfol­
46 Michel, Diss., 175; Michel, FamPra.ch 2008, 249;
­Michel, Ashley, 151; Staubli, 72 und 75; Thommen,
7 f.; Schweizerische Akademie medizinischer Wissen­
schaften SAMW, Medizinisch-ethische Richtlinie der
SAMW zum Recht der Patientinnen und Patienten auf
Selbstbestimmung (2005, jedoch zurückgezogen durch
den Senat am 29. 11. 2012), 3, abrufbar unter: <http://
www.samw.ch/de/Ethik/Richtlinien/Aktuell-gueltigeRichtlinien.html> (letztmals abgerufen am 12. 11. 2015).
47 Michel, Diss., 175; Baumann-Hölzle/von Sieben­
thal, 83 ff., zum Entscheidfindungsprozess; Noll, 92.
Verweigern die Eltern eine lebenserhaltende medizini­
sche Heilbehandlung, so ist das Wohl des Kindes gefähr­
det und ein Missbrauch der elterlichen Fürsorge fällt in
Betracht. Entsprechend ist die Vormundschafts- bzw.
die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde beizuzie­
hen, welche mögliche unausgesprochene Hintergründe
der Entscheidfindung beteiligter Erwachsener bei Zwei­
feln durchaus hinterfragen darf. Die Regeln der GoA
nach Art. 419 ff. OR kommen zwar sinngemäss zur An­
wendung, denn Angehörige, Ärzte und Pflege müssen
in diesem Fall handeln (vgl. Breitschmid/Steck/
Wittwer, FamPra.ch 2009, 871), ohne dass aber die
GoA eine genügend konkretisierte Entscheidgrundlage
abgibt. Die Erwachsenenschutzbehörde ist beizuziehen.
Ist die Behandlung hingegen nicht lebensnotwendig, so
ist auch das Kindswohl kaum unmittelbar gefährdet
(vgl. Bernhart, Kapitel IV Rz. 253). Zum «Kindeswohl»
vgl. die belletristische Aufbereitung bei McEwan Ian,
Kindeswohl, Zürich 2015.
8 Pflegerecht – Pflegewissenschaft
WI_Breitschmid_Nicht_entscheidungsfaehiger_Patient.indd 8
gend ein. 2009 geriet die inzwischen 14-jährige Han­
nah erneut weltweit in die Schlagzeilen, weil sie sich
nun für die lebensrettende Operation entschied und
somit dafür, ihr eigenes Leben zu retten.48
Der Fall von Hannah ist deshalb aus juristischer
Sicht so interessant, da sie – mit ihrer Krankheit
­«gewachsen» und entsprechend gereift – mit ihren
13 bzw. 14 Jahren ohne Weiteres als urteilsfähig be­
trachtet werden konnte und ihr Wille, die lebensret­
tende Herztransplantation abzulehnen, von den
englischen Ärzten, Juristen und Behörden respek­
tiert wurde. Die kontinentalen Rechtsordnungen
orientieren sich nicht daran, ob eine Person volljäh­
rig ist oder nicht, vielmehr stellen sie auf die Urteils­
fähigkeit einer Person ab. Ist ein Patient urteilsfähig,
aber minderjährig, so kann er in eine Heilbehand­
lung selber einwilligen nach Art. 19 Abs. 2 ZGB (bzw.
Art. 19c ZGB zur Ausübung von höchstpersönlichen
Rechten).49 Demnach haben Minderjährige bei an­
zunehmender Urteilsfähigkeit ein Vetorecht gegen­
über einem (gewöhnlichen) Heileingriff, dem die El­
tern als gesetzliche Vertreter zustimmen.50 Offen ist
hingegen, ob urteilsfähige und minderjährige Kinder
in der Schweiz eine lebensnotwendige Heilbehandlung
ablehnen dürfen.51 Bei einem urteilsfähigen, aber
minderjährigen Kind ist es nicht möglich, dass die
Eltern anstelle des Kindes der Behandlung zustim­
men, weil es sich um ein höchstpersönliches Recht
(die körperliche Integrität) handelt.52 Die Umset­
zung dieses Schwellenprinzips verursacht in der Pra­
xis beträchtliche Probleme.53 Heute existieren ver­
48 Wittman Jochen, Ein Mädchen will doch nicht ster­
ben, Tages-Anzeiger vom 22. Juli 2009, 8; «Wieso
­Hannah kein neues Herz will», abrufbar unter: <http://­
www.stern.de/panorama/todkranke-13-jaehrige-wiesohannah-kein-neues-herz-will-645414.html> (letztmals
abgerufen am 13. 11. 2015); «Dürfte Hannah auch bei
uns sterben?», abrufbar unter: <http://www.stern.de/
gesundheit/gesundheitsnews/todkranke-13-jaehrigeduerfte-hannah-auch-bei-uns-sterben-645547.html>
(letztmals abgerufen am 13. 11. 2015).
49 Michel, Ashley, 144, zur Urteilsfähigkeit; Bernhart,
Kapitel IV Rz. 254; Sprecher, FamPra 2011, 276 und
289.
50 Urteil BGH vom 10. Oktober 2006, Az. VI ZR 74/05;
Hausheer/Aebi-Müller, FS Bucher, 237 ff., zum Steiss­
beinfall, hierzu nachfolgend Fn. 90; Sprecher, FamPra
2011, 300 f.
51 Michel, FamPra.ch 2008, 249; Michel, Ashley, 146 ff.;
Aebi-Müller, in: Jusletter 22. September 2014, Rz. 16.
Vgl. hierzu § 20 Patientinnen- und Patientengesetz vom
5. April 2004 des Kantons Zürich (LS 813.13): Ein urteils­
fähiger Patient darf nur mit seiner Einwilligung einer
Heilbehandlung unterzogen werden. Vgl. dazu auch
McEwan Ian, Kindeswohl, Zürich 2015.
52 Michel, Ashley, 147; Sprecher, FamPra 2011, 274 f., zur
physischen und psychischen Integrität als «doppelter
Verletzungstatbestand» bei ärztlicher Heilbehandlung.
53 Michel, Ashley, 145 f.
Stämpfli Verlag
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Peter Breitschmid, Der nicht entscheidungsfähige Patient
1| 16
schiedene Lehrmeinungen darüber, ob Eltern von
minderjährigen, aber urteilsfähigen Kindern eine
beratende Funktion zukommt und inwieweit sie in
die Entscheidungsfindung dennoch miteinbezogen wer­
den müssen (oder sollen).54 Sinnvoll erscheint hier
die Sichtweise von Manaï, die Eltern ein Mitent­
scheidungsrecht einräumen will;55 der letzte Ent­
scheid dürfte allerdings (i) einerseits von der «Bezie­
hungsqualität» abhängen (letztlich nicht anders als
im Kontext von Art. 378 oder 381 ZGB), da zwar in
der gelebten Familienbeziehung der Austausch ge­
rade über solche Fragen (Art. 159 und 272 ZGB) zum
Kern der Beziehung gehört, aber die rechtliche Be­
ziehung nicht zwingend etwas über die emotionale
Qualität besagt und (ii) anderseits von der Urteilsfä­
higkeit des Minderjährigen, die relativ zur Tragweite
des Eingriffs (der alltäglichen Heilbehandlung oder
des terminalen Entscheids) ist und gegebenenfalls
höher anzusetzen ist (wobei stets zu bedenken bleibt,
dass ein Kind mit Einsicht und Verständnis für seine
Situation meist eine hohe Entscheidungsreife haben
wird und die Eltern ihrerseits in ihrer persönlichen
Betroffenheit auch nicht als «rationale Automaten»
einfach «funktionieren»); im Zweifel geniesst des­
halb die Emotionalität der unmittelbar betroffenen
Person Vorrang.
(ii) Der 16-jährigen Hannah Clark wurde ein trans­
plantiertes zusätzliches zweites Herz, welches sie im
Alter von zwei Jahren erhalten hatte, entfernt, da ihr
eigenes plötzlich wieder zu arbeiten anfing. Heute
führt das Mädchen ein überwiegend normales Le­
ben. Grund für die Herztransplantation war die
­damals vorhandene Kardiomyopathie56 mit Herz­
insuffizienz, an der Hannah litt.57 In diesem Fall war
Hannah mit zwei Jahren zum Zeitpunkt des Eingriffs
urteilsunfähig sowie minderjährig, und ihre Eltern
entschieden als ihre gesetzlichen Vertreter. Inzwi­
schen war Hannah mit 16 Jahren urteilsfähig, aber
noch nicht volljährig. Minderjährige Kinder, welche
nicht urteilsfähig sind, können nicht einer Heil­
behandlung zustimmen oder diese ablehnen. Für
54 Hausheer/Aebi-Müller, Personenrecht, § 7 Rz. 07.76.
55 Manaï, 197 und 200; Michel, Ashley, 153, zu den ab­
solut und relativ höchstpersönlichen Rechten, wozu die
Heilbehandlung zählt.
56 Die Kardiomyopathie ist eine Erkrankung des Myokards
(mittleren Herzmuskels, umschlossen vom Epikard aus­
sen und Endokard innen), sie führt zu einer mecha­
nischen oder elektrischen Dysfunktion des Herzens,
abrufbar unter: <http://www.gesundheit.de/lexika/me­
di­zin-lexikon/kardiomyopathie> (letztmals abgerufen
am 13. 11. 2015).
57 Vgl. die Information in der Ärztezeitung vom 14. Juli
2009, abrufbar unter: <http://www.aerztezeitung.de/
medizin/krankheiten/herzkreislauf/?sid=557797> (letzt­
mals abgerufen am 13. 11. 2015).
Stämpfli Verlag
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diese Kinder entscheidet der gesetzliche Vertreter,
üblicherweise Vater und/oder Mutter.58
(iii) Es begann im Mai 1995, als die damals sechs­
jährige Olivia Pilhar ins St.-Anna-Kinderspital in
Wien eingeliefert und bei ihr ein Wilms-Tumor
(kindlicher Nierenkrebs) diagnostiziert wurde. Fest
steht, dass die Eltern an diesem langen Wochenende,
an dem sie auf die Diagnose für ihre Tochter warten
mussten, das Vertrauen in die Schulmedizin gänzlich
verloren. Die unerwartete Krebsdiagnose ihrer Toch­
ter, die verschiedenen Aussagen des am Wochenende
stark wechselnden medizinischen Personals sowie
ihre eigene Angst und Verwirrtheit im Zusammen­
hang mit Olivias Erkrankung, trugen dazu bei, dass
sie eine schulmedizinische Behandlung ihrer Toch­
ter ablehnten. Der Fall Olivia wurde in der nachfol­
genden Zeit immer mehr zum Medienspektakel. Die
Eltern, nun total verunsichert, verliessen die Klinik
samt Tochter gegen den Willen der Ärzte und kon­
taktierten den umstrittenen Krebsheiler Ryke Geerd
Hamer aus Köln. Dieser machte den Eltern Hoffnung,
der Tumor verschwinde auch ohne Chemotherapie.
Den Eltern wurde darauf von den Behörden das Sor­
gerecht entzogen. Sie flohen mit Olivia und ihren
anderen Kindern nach Malaga (ESP), um sich den
Behörden und Ärzten in ihrer Heimat zu entziehen.
Es folgte eine «Rückholaktion» und die Behandlung
von Olivia gegen den Willen der Eltern und unter
Ausschluss des Vaters während der Behandlung in
einer Klinik in Wien. Auch der Hungerstreik der El­
tern gegen die Behandlung ihrer Tochter erzielte kei­
ne Wirkung. Heute gilt Olivia als geheilt. Krebsheiler
Ryke Geerd Hamer wurde in der Zwischenzeit in Frank­
reich der Prozess gemacht.59
Der Fall von Olivia Pilhar zeigt, dass die Eltern in
der Tat nicht nur über die Heilbehandlung ihrer Kin­
der entscheiden, sondern ebenfalls über den Behand­
lungsabbruch, auch wenn dieser noch so schwerwie­
gende Folgen hat wie bei Olivia.60 Solange die Eltern
als die gesetzlichen Vertreter eines urteilsunfähigen
und minderjährigen Kindes fungieren, sind Behör­
den, Ärzten und Pflegepersonal die Hände gebunden,
58 Michel, Ashley, 151. – Allerdings dürften je nach beste­
henden emotionalen und weiteren tatsächlichen Bezie­
hungen auch weitere Bezugspersonen (Stief-/Pflege­
eltern, [ältere] Stiefgeschwister, Paten und Freunde etc.,
vgl. Art. 274a und Art. 378 ZGB) einbezogen werden.
59 Jancsy Irene, Bilanz des Falles Olivia, profil vom 22. Au­
gust 2005, 104–109. Die Anklageschrift gegen Krebshei­
ler Ryke Geerd Hamer ist abrufbar unter: <http://www.
pilhar.com> (letztmals abgerufen am 13. 11. 2015).
60 Michel, FamPra.ch 2008, 249 f., Eltern sind grundsätz­
lich verpflichtet, das Kindswohl als oberstes Gebot zu
beachten und einer vital indizierten Heilbehandlung in
diesem Sinne zuzustimmen.
Pflegerecht – Pflegewissenschaft 9
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1| 16
insofern den Eltern nicht das Sorgerecht für ihr Kind
entzogen wird, wie es bei Olivia der Fall war; partielle
Entziehung der elterlichen Sorge – nur bezüglich me­
dizinischer Behandlungsentscheide – wäre an sich
denkbar, aber möglicherweise ungeeignet, weil dem
Kind die Behandlung faktisch dennoch vorenthalten
werden könnte. Heute ist diese volljährig. Auf die da­
malige Operation gegen den Willen ihrer Eltern an­
gesprochen, bezweifelt sie selber die Zweckmässigkeit
und Notwendigkeit des Eingriffs von damals.61
(iv) Das amerikanische Mädchen Ashley 62 litt seit
seiner Geburt an einer statischen Enzephalopathie63.
Sie konnte weder gehen noch sitzen, und geistig be­
fand sie sich auf dem Entwicklungsstand eines drei
Monate alten Babys. Die Familie des damals sechs­
jährigen Mädchens hatte sich 2004 an ein Ärzteteam
in Seattle gewandt, um die Pubertät ihrer Tochter
und auch das Wachstum zu bremsen.64 Zudem waren
in Ashley’s Familie Fälle mit Brustkrebs aufgetreten
und einzelne weibliche Familienmitglieder wiesen
sehr grosse Brüste auf. Als das Kind älter wurde, da­
durch wuchs und an Körpergewicht zunahm, sorg­
ten sich die Eltern, ob eine häuslich-familiäre Pflege
längerfristig überhaupt noch möglich wäre. Da die
Angehörigen auch in Zukunft das Mädchen zu Hau­
se betreuen wollten, wandten sie sich mit dieser un­
gewöhnlichen Bitte an die Ärzte in Seattle. Ashley
sollte, entsprechend dem Wunsch ihrer Familie, in
einem Zustand «permanenter Kindheit» verharren.
Mit einer Hysterektomie65 sollte die Menstruation
verhindert und mit der Mastektomie66 das Risiko ei­
61 Vgl. die Information unter: <http://madonna.oe24.at/
madonna/life/Was-wurde-aus-Olivia/1201721> (letzt­
mals abgerufen am 13. 11. 2015).
62 Zum Fall Ashley: Michel, Ashley, 141 ff.; Gerste Ro­
nald D., «Fall Ashley», abrufbar unter: <http://www.
aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=54152> (letzt­
mals abgerufen am 13. 11. 2015).
63 Bei der Enzephalopathie handelt es sich um eine irre­
versible Hirnschädigung vielfältiger Ätiologie, abrufbar
unter: <http://www.gesundheit.de/lexika/medizin-le­
xikon/binswanger-enzephalopathie> (letztmals abge­
rufen am 13. 11. 2015).
64 Gunther/Diekema, Arch Pediatr Adolesc Med. 2006,
1013 ff.
65 Eine Hysterektomie (syn. Uterusextripation) ist eine
Entfernung der Gebärmutter, abrufbar unter: <http://
www.gesundheit.de/lexika/medizin-lexikon/hysterec­
tomia> (letztmals abgerufen am 13. 11. 2015).
66 Eine Mastektomie (auch Ablatio mammae/Mammaam­
putation) ist die operative Entfernung der weiblichen
Brust. Diese ist im Zusammenhang mit einem fortge­
schrittenen Mammakarzinom notwendig (ab Stadium
T2), falls kein brusterhaltender Eingriff möglich ist,
abrufbar unter: <http://www.gesundheit.de/lexika/
medizin-lexikon/mastektomie> (letztmals abgerufen
am 13. 11. 2015).
10 Pflegerecht – Pflegewissenschaft
WI_Breitschmid_Nicht_entscheidungsfaehiger_Patient.indd 10
nes Mammakarzinoms67 gesenkt bzw. Druckstellen
durch zu grosse Brüste verhindert werden. Ziel war
es, so die Eltern, dem Kind weiteres Leiden zu erspa­
ren. Ein 40-köpfiges Gremium (was an die Grenze der
Praktikabilität und der personellen und fachlichen
Ressourcen stossen dürfte: nebst ethischen Ab­
wägungen ist letztlich die alltäglich-praktische Be­
treuung sicherzustellen!), bestehend aus Ethikern,
Medizinern und Juristen, befasste sich nachfolgend
mit dem Fall von Ashley. Sie gaben nach eingehender
Prüfung ihre Zustimmung. In der Folge wurden Ash­
ley Östrogene68 verabreicht, um das Wachstum zu
stoppen. Das Mädchen wurde einer Mastektomie69
sowie einer Hysterektomie70 unterzogen.
Bei Ashley stellt sich die Frage, wie die Schweizer
Gerichte den Fall beurteilt hätten. Das Sterilisations­
gesetz71 verbietet in Art. 7 die Sterilisation von anhal­
tend Urteilsunfähigen unter 16 Jahren. Das Sterilisa­
tionsgesetz kommt zudem nur zur Anwendung, falls
andere Verhütungsmethoden versagen (bei Ashley
war der Fall anders gelagert, die Sterilisation wurde
hier nicht zu Verhütungszwecken eingesetzt).72 Somit
findet das Sterilisationsgesetz vorliegend wohl keine
Anwendung. Hingegen kann Art. 23 der UN-Kinder­
rechtskonvention angewendet werden, welcher die
Förderung von behinderten Kindern ins Zentrum
stellt.73 Ein «strikt-richtiger», nur «rechtlicher» Ent­
scheid über die Frage, ob ein solcher Eingriff sitten­
widrig sei bzw. gegen das Kindeswohl als Behandlungs­
maxime verstosse, ist schlicht an der Grenze des
Justiziablen – die Eltern wollten wohl ganz einfach
aus ihrem (nachvollziehbaren) Verständnishorizont
der Tochter weiteres Leid ersparen. Aus diesem Blick­
winkel betrachtet, kann der Fall von Ashley nicht
grundsätzlich als Verstoss gegen das Kindswohl be­
trachtet werden. Die Frage bleibt, wie sich das Kinds­
wohl definiert und in welche Richtung der Begriff
ausgedehnt werden kann bzw. darf oder gar muss74 –
in einem gewissen, engen Rahmen dürfte der Begriff
nämlich auch eine «private» Komponente insoweit
haben, als das Empfinden der Beteiligten über das
67 Brustkrebs, Definition abrufbar unter: <http://www.
gesundheit.de/lexika/medizin-lexikon/mammakarzi­
nom> (letztmals abgerufen am 13. 11. 2015).
68 Östrogene sind weibliche Sexual-(Steroid-)Hormone.
Sie werden u. a. nach einer Hysterektomie (vgl. Fn. 65)
als Substitutionstherapie verabreicht, abrufbar un­
ter: <http://www.gesundheit.de/lexika/medizin-lexi­
kon/oestrogene> (letztmals abgerufen am 14. 11. 2015).
69 Vgl. Fn. 66.
70 Vgl. Fn. 65.
71 Bundesgesetz vom 17. Dezember 2004 über Vorausset­
zungen und Verfahren bei Sterilisationen (Sterilisa­
tionsgesetz, SR 211.111.1).
72 Michel, Ashley, 167.
73 Michel, Ashley, 168.
74 Mehr zum Fall Ashley u. a. in: Michel, Ashley, 168 f.
Stämpfli Verlag
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Peter Breitschmid, Der nicht entscheidungsfähige Patient
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Wohl-Befinden nicht gänzlich ausgeklammert («ver­
objektiviert») werden darf: Behördliches Einschreiten
nach Art. 381 Abs. 2 Ziff. 3 ZGB ist nur geboten, wo
ein gewisser Ermessensspielraum überschritten wird.
(v) Fiona Bollag wurde gehörlos75 in der 27. Schwan­
gerschaftswoche (SSW) geboren und wog bei ihrer
Geburt 1300 g.76 Ihre Eltern entschieden sich nach
dem ersten Schock der Diagnosestellung dagegen,
dass Fiona die Gebärdensprache77 erlernen sollte,
denn sie wollten das Kind nicht zu einer «Aussensei­
terin» machen, sondern in die Welt der «Hörenden»
und in die Familie integrieren.78 Das Mädchen erhielt
75 Bollag, Das Mädchen, 50 ff., insbesondere 57 und
190 ff. Es gibt verschiedene Meinungen zur Verwen­
dung der Bezeichnung (Terminologie) «taub» oder «ge­
hörlos». «Taubheit» bezeichnet fehlendes Hörvermögen
(absolute T.) oder Sprachverständnis bei Wahrnehmung
einzelner Töne oder Geräusche (praktische T.), abrufbar
unter: <http://www.gesundheit.de/lexika/medizin-le­
xikon/taubheit> (letztmals abgerufen am 13. 11. 2015).
Fiona selbst verwendet vorzugsweise die Bezeichnung
«schwerhörig», denn 97% aller gehörlosen Menschen
verfügen über ein Restgehör, welches heute technisch
genutzt werden kann, damit sie die Sprache verstehen.
Als diskriminierend empfinden Betroffene die Be­
zeichnung «taubstumm». Diese Menschen sind nicht
stumm. Das Beispiel von Fiona zeigt, dass auch sie fähig
sind, die Lautsprache zu erlernen und zu sprechen. Die
Bezeichnung «taubstumm» sollte daher nicht mehr
verwendet werden, vielmehr wird heute von «gehörlos»
gesprochen.
76 Bollag, Das Mädchen, 32 ff. und 65, der Anteil gehör­
loser Kinder ist unter den «Frühgeburten» deutlich er­
höht. Das Gehör entwickelt sich im fünften Schwanger­
schaftsmonat; Seymour et al., JAMA 2010, 747 ff.,
entsprechend einer Studie aus den USA steigt die Zahl
von hörgeschädigten Jugendlichen markant an. Bei
15–19-Jährigen wurde in den Jahren 2005 und 2006 bei
19,5% eine Hörbeeinträchtigung festgestellt (wenn auch
meist nur leicht ausgeprägt). In den Jahren 1988 bis 1994
wiesen nur 14,9% der Jugendlichen eine solche Beein­
trächtigung auf. Grund hierfür sind der Gebrauch von
Schusswaffen, infektiöse Erkrankungen des Ohrs sowie
ein erhöhter Lärmpegel.
77 Unter «Gebärdensprache» wird die auf Handzeichen be­
ruhende Sprache zur Verständigung unter bzw. mit Ge­
hörlosen verstanden. Sie wird als eigenständige Sprache
anerkannt (seit 1. Mai 2002), abrufbar unter: <http://
www.gesundheit.de/lexika/medizin-lexikon/gebaerden­
sprache> (letztmals abgerufen am 14. 11. 2015). Taub­
blinde Menschen verständigen sich hingegen durch
«Lormen». Die/der Sprechende tastet dabei auf die Han­
dinnenfläche des/der Lesenden. Dabei sind einzelnen
Fingern sowie bestimmten Handpartien bestimmte
Buchstaben zugeordnet, abrufbar unter: <http://www.
taubblindenwerk.de/lormen.html> (letztmals abgeru­
fen am 14. 11. 2015); vgl. weitere Informationen unter:
<http://www.tanne.ch/sprache-br%C3%BCcken-zu-h%
C3%B6rsehbehinderten-menschen> oder <http://www.
gehoerlosendorf.ch/aktuell/index.html> (beide letzt­
mals abgerufen am 14. 11. 2015).
78 Bollag, Das Mädchen, 66, 71 und 93, hochgradig
schwerhörige oder gehörlose Kinder denken in Bildern,
gebärdende Menschen hingegen in Gebärden.
Stämpfli Verlag
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deshalb als Kleinkind vom Universitätsspital Zürich
Hörgeräte angepasst. Es erlernte als Kind die Laut­
sprache durch intensives Training mit einer Hörge­
schädigtenpädagogin.79 Fiona besuchte eine Gehör­
losenschule in Meggen/LU.80 Als junge Frau entschied
sie sich für ein Cochlea-Implantat (CI).81 Heute ver­
fügt sie über ein zweites CI und ist glücklich damit.82
79 Bollag, Das Mädchen, 77 ff.; schwerhörige Menschen
können mit einem Verständigungstraining bzw. Lip­
penlesekurs das Hören durch das Ablesen von Lippen­
bildern und Absehen von Sprechbewegungen verbes­
sern.
80 Bollag, Das Mädchen, 114 ff.
81 Battmer, 1 ff., das Cochlea-Implantat (auch CochlearImplantat/CI) ist eine Hörprothese zur Versorgung von
taub geborenen Kindern oder ertaubten Erwachsenen.
Das CI findet bei hochgradiger oder an Taubheit gren­
zender Innerohrschwerhörigkeit Verwendung (vgl. die
Informationen unter: <http://www.cochlea-implantat.
ch/informationen/das-cochlea-implantat.php> [letzt­
mals abgerufen am 14. 11. 2015]). Bei gehörlos gebore­
nen Kindern sollte das Implantat möglichst in den
­ersten beiden Lebensjahren eingesetzt werden. Voraus­
setzung ist ein intakter Hörnerv. Das Implantat wird in
die Cochlea (Hörschnecke) eingelegt und besteht aus
einem «inneren» (Implantat) und einem «äusseren» Teil
(Sprachprozessor); Kiessling et al., 92 ff., neben dem
CI existieren inzwischen auch «implantierbare Hörge­
räte». Diese wirken im Mittel- oder Innenohr bzw. kom­
biniert. Sie finden Verwendung, wenn Hörgeräte nur
noch ungenügend Hilfe bieten, und haben den Vorteil,
unsichtbar und wasserdicht zu sein sowie eine bessere
Hörqualität durch den natürlichen Klang zu vermitteln
und das Richtungshören zu verbessern (als Nachteil
wirkt sich aus, dass Prozessor-Upgrades nur operativ
möglich sind und die Energieversorgung ist. Zudem
werden bei dieser Operation die Geschmacksnerven/
Nervus glossopharyngeus/Chorda tympani durch­
trennt). Es handelt sich um ein «junges» Verfahren (auf
Kinder wird dieses noch nicht angewendet, da entspre­
chende Zahlen/Erfahrungen fehlen) und wird seit 2007
angewendet, während das CI auf eine 25-jährige Erfolgs­
geschichte zurückgreifen kann. Heute gibt es weltweit
rund 120 000 Menschen mit einem CI (Stand 1. No­
vember 2007) sowie 75 Patienten in Deutschland und
den USA mit einem Voll-/Hörgeräteimplantat (Stand
2007), abrufbar unter: <http://www.swissear.ch/Im­
plantier­bareH%C3%B6rger%C3%A4te/EnvoyEsteem/
En­voy­Esteem/tabid/378/Default.aspx> und <http://
www.swiss­ear.ch/Portals/0/Texte/GSS%20Artikel.pdf>,
16 (beide letztmals abgerufen am 14. 11. 2015).
82 Bollag, Das Mädchen, 180 ff.; Steffens, 58, zum Recht
auf eine bilaterale CI-Versorgung. Die amerikanische,
taubblinde Schriftstellerin Helene Keller antwortete auf
die Frage, ob sie lieber wieder hören oder sehen würde:
«Nicht sehen können, trennt von den Dingen. Nicht
hören können von den Menschen.» Die Schriftstellerin
hätte lieber das Gehör wiedererlangt (Gesundheits­
sprechstunde 17 (2007) 14, abrufbar unter: <http://
www.swissear.ch/Portals/0/Texte/GSS%20Artikel.pdf>
[letztmals abgerufen am 14. 11. 2015]; zu Helene Keller
auch Bollag, Das Mädchen, 205 ff.): Ob heutige tech­
nische Möglichkeiten allerdings nicht die verbale Kom­
munikation mehr als die visuelle zu substituieren ver­
mögen, lässt sich kaum von Juristen entscheiden.
Pflegerecht – Pflegewissenschaft 11
10.03.16 13:53
W IS SENS CH A F T
1| 16
Der Entscheid ihrer Eltern, kurz nach der Geburt,
war wegweisend dafür, ob Fiona in der Welt der Ge­
hörlosen oder unter hörenden Menschen aufwach­
sen sollte.83 Die meisten «hörenden» Eltern entschei­
den sich heute für ein CI, wenn bei einem Kind
«Taubheit» diagnostiziert wird. Sind die Eltern hin­
gegen «gehörlos», dann entscheiden sie sich in der
Regel für die Gebärdensprache bei ihrem Kind, da
ihnen selber die Welt der «Hörenden» verwehrt
bleibt. Viele gebärdende Gehörlose haben das CI ab­
gelehnt. Es gibt auch «taube» Menschen, welche mit
der Lautsprache aufgewachsen sind und später die
Gebärdensprache erlernten, da sie sich in der Welt
der «Hörenden» nie wohl gefühlt haben.84
Der Fall von Fiona ist in gewisser Weise ähnlich
gelagert wie bei intersexuellen Kindern, welche im
Kleinkindesalter einer geschlechtszuweisenden Ope­
ration unterzogen werden sollen. Hierbei handelt es
sich um absolut höchstpersönliche Rechte, die nicht
von Dritten ausgeübt werden können.85 Ein Eingriff
im Kleinkindesalter verletzt an sich diesen Grund­
satz, ist aber gerechtfertigt, weil der Eingriff sinn­
vollerweise in den ersten zwei Lebensjahren vor­
genommen werden muss, da das Cochlea-Implantat
bei gehörlosen Kindern erforderlich ist, damit die
sprachliche Entwicklung des Kleinkindes in dieser
Phase nicht beeinträchtigt wird. Die Grenze der Ver­
tretungsbefugnis durch den gesetzlichen Vertreter
erscheint dort gegeben, wo «irreversible oder beson­
ders schwerwiegende Eingriffe in die körperliche
83 Bollag, Das Mädchen, 84 und 191; BGE 122 V 377, zur
Anerkennung von Cochlea-Implantaten durch die IV;
Ursprung, 179 und 184, zu Hilfsmitteln zwischen So­
zialversicherung und Sonderpädagogik; Erni, 35, zwi­
schen gebärdenden Gehörlosen und jenen, die der Laut­
sprache mächtig sind, gibt es einen Methoden-/
Schulstreit. Viele gebärdende Gehörlose haben sich ge­
gen das CI gewehrt, als dieses den Hörgeräten gleichge­
stellt und die Kosten von der IV übernommen wurden.
84 Bollag, Das Mädchen, 113 und 194.
85 Vgl. vorne bei Fn. 8. – Der südafrikanischen Leichtath­
letin und 800-Meter-Weltmeisterin Caster Semenya
wurde nach ihrem Sieg in Berlin am 18. August 2009
vorgeworfen, sie sei ein Zwitter bzw. ein Hermaphrodit.
Ungeachtet dieser Diagnosestellung im Zusammenhang
mit Sportwettkämpfen und des damit verbundenen Me­
dienspektakels sollte berücksichtigt werden, dass die
Betroffenen für ihre Intersexualität nicht verantwort­
lich sind und die Diagnosestellung für sie und ihre An­
gehörigen eine grosse Demütigung (z. B. bei Caster Se­
menya durch die Medien verursacht) und insbesondere
einen Schock bedeuten können. Es sollte diesen Men­
schen (hier Caster Semenya) mit mehr Sensibilität be­
gegnet werden, als die Diagnosestellung des Herma­
phroditismus medial auszuschlachten. Betroffene
können jahrelang unter ihrer Intersexualität und einer
damit verbundenen Identitätsfindungsstörung leiden,
abrufbar unter: <http://www.stern.de/sport/sportwelt/
caster-semenya-weltmeisterin-soll-ein-zwitter-sein-150
8423.html> (letztmals abgerufen am 14. 11. 2015).
12 Pflegerecht – Pflegewissenschaft
WI_Breitschmid_Nicht_entscheidungsfaehiger_Patient.indd 12
Unversehrtheit vorgenommen werden».86 Fiona sel­
ber hat bis heute die Gebärdensprache abgelehnt,
weil sie findet, dass sie damit isoliert und ausgegrenzt
würde. Sie bevorzugt die Lautsprache, welche ihr mit­
tels CI zugänglich wurde.87 Das Selbstbestimmungs­
recht eines hörbehinderten Menschen erleidet in
gewissen Bereichen «Schiffbruch» oder wird einge­
engt dadurch, dass die Kosten für eine Operation nur
teilweise oder gar nicht von der Krankenkasse und/
oder der Invalidenversicherung (IV) übernommen
werden.88 Für jüngere Menschen dürfte ein gewisser
Druck vonseiten der IV bestehen, sich einer CI-Ope­
ration zu unterziehen, da die berufliche Integration
und Eingliederung vordergründig und bei «laut­
sprachlichen» Menschen einfacher ist als bei «gebär­
denden» Personen.89
IV. Terminologie und Eigenheiten
A. Informed consent
Bereits die einführenden Bemerkungen zeigten, dass
scheinbar so überzeugend-vertrauten Begriffen wie
«Urteilsfähigkeit» oder «informed consent» mit einer
gewissen Vorsicht und Zurückhaltung zu begegnen
ist. Sie werden bisweilen fast gebetsmühlenartig re­
kapituliert, aber die Urteilsfähigkeit ist immer relativ,
und ein Informationsgefälle oder zumindest das Risiko
von «Übersetzungsfehlern» und Missverständnissen zwi­
schen Fachpersonen und Laien wird fast immer bestehen.
Der Vergleich mag hinken, aber: Wer ein Los kauft,
weiss, dass er kaum eine Chance hat, etwas zu gewin­
nen, aber er hofft im Stillen doch auf einen Gewinn;
wer sich einer Operation zu unterziehen hat, weiss,
dass das Risiko von Komplikationen nicht besonders
86 Genna, ZVW 2000, 91 und 107; Michel, Ashley, 153.
87 Die amerikanische, taubblinde Schriftstellerin Helene
Keller zum Recht auf Sprache: «Sprache ist das Geburts­
recht eines jeden Kindes. Sie ist für das taube Kind eine
faire Chance, mit seinen Mitmenschen in Verbindung
zu bleiben.» (Vgl. Bollag, Das Mädchen, 84 und 91);
Bollag, a tempo 2 (2007) 3.
88 BGE 122 V 377, zur Anerkennung von Cochlea-Implan­
taten durch die IV. Heute werden die Kosten in der
Schweiz zwischen IV (Wartung und Kostenübernahme
des Implantats, Nachbetreuung durch Fachpersonal/
Hörgeschädigtenpädagogen) sowie Krankenkasse
­(medizinische Versorgung, Spitalaufenthalt) aufge­
teilt. Anders das Voll-/Hörgeräteimplantat (Kosten
30 000 Euro), welches zumindest in Deutschland ganz
durch den Patienten bezahlt werden muss, abrufbar
unter: <http://www.swissear.ch/ImplantierbareH%C3
%B6rger%C3%A4te/EnvoyEsteem/EnvoyEsteem/tabid/
378/Default.aspx> sowie unter: <http://envoymedical.
de/the-esteem-implant/> (beide letztmals abgerufen
am 14. 11. 2015); Peter, in: Jusletter 16. August 2010,
Rz. 1 ff., zum Selbstbestimmungsrecht.
89 Fankhauser, 28 ff. und 60 f.
Stämpfli Verlag
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Peter Breitschmid, Der nicht entscheidungsfähige Patient
1| 16
gross ist, aber er blendet dieses aus, weil er ganz
selbstverständlich auf den im Regelfall eintretenden
Erfolg hofft: Verwirklicht sich im Einzelfall ein «Ri­
siko» von auch «nur» einem Prozent, so ist das nicht
ein Prozent Wertverlust, sondern die 100%ige Ver­
wirklichung dieses worst case-Szenarios. Die Informa­
tion über Risiken und Alternativen schaltet zudem
das aleatorische Element und die Relevanz prädispo­
nierender Faktoren ebenso wenig aus, wie das Wissen
um die statistische Aussichtlosigkeit des Gewinns
den Loskauf hindert – Emotion und Hoffnung überwie­
gen die ratio.
Die Information kann den Entscheid sogar eher
erschweren als erleichtern – die patiententypische
Rückfrage nach der statistischen Relevanz der aufge­
zeigten Risiken dient eher der eigenen Beruhigung
(«selten» bedeutet hier, dass es im konkreten, eigenen
Fall «nicht relevant» sei) als einem aufgeklärten Ent­
scheid: Faktisch besteht die (wenig attraktive) Alter­
native meist darin, entweder das Risiko akzeptieren
zu müssen oder aber sich für Nichtbehandlung zu
entscheiden (unter Fortdauer jener Belastung, die ei­
gentlich behoben werden sollte);90 Behandlungsalter­
nativen unterscheiden sich in ihren Risiken häufig nur
geringfügig, bzw. es können prognostisch die ver­
schiedenen Risiken (bzw. der möglicherweise gerin­
gere Heileffekt bei minder riskanter Behandlung)
kaum ausgewogen (eher «informiert» als «reflektiert»)
beurteilt werden: Da ja auch der behandelnde Arzt letzt­
lich keine Gewissheit, sondern nur eine Wahrscheinlichkeit
in Aussicht stellen kann, bezieht sich die Informationslage
nur auf Kenntnis des Risikos, aber nicht ohne Weiteres auf
eine ausgewogene Informationslage und eine gereifte Ent­
scheidungsfindung des Patienten. Das soll keinesfalls als
Kritik am Konzept, aber als Warnung verstanden wer­
den, immer dann, wenn ein unterschriebenes Einver­
ständnisformular vorliegt, einen gelassenen, über­
zeugten, motivierten Patienten zu erwarten. Oft gilt
eher «still confused, but on a higher level» (wobei
Letzteres durchaus nicht gewährleistet ist).
90 Anders lagen die Verhältnisse im sog. «Steissbeinfall»
(BGE 134 II 235, «chute sur le coccyx lors d’un cours de
gymnastique»): Statt der Schmerzen des (manuellen,
alternativmedizinischen ostheopathischen) Eingriffs
wäre eine zwar längere Schmerzphase zu erdulden ge­
wesen mit mittelfristig, aber gleichem Ergebnis (näm­
lich Heilung). In dieser Situation war die 13-jährige
Tochter durchaus urteilsfähig bezüglich der Wahl der
letztlich gleichwertigen Behandlungsmethoden, und es
war ihr als Patientin auch durchaus bewusst, was die
Folgen der Nichtbehandlung gewesen wären (nämlich
Fortdauer jener Schmerzen, an denen sie gelitten hatte),
weshalb die Disziplinarbusse gegenüber dem (in Über­
einstimmung mit der Mutter, aber gegen den Willen der
Patientin behandelnden statt abwartenden) Arzt ge­
rechtfertigt war; Hausheer/Aebi-Müller, FS Bucher,
237 ff., zum «Steissbeinfall».
Stämpfli Verlag
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B.
Patientenverfügung
(Art. 370 ff. ZGB)
Das Erwachsenenschutzrecht hat die Terminologie
in der Schweiz fixiert, und es ist hier von Patienten­
verfügungen zu sprechen. In Deutschland werden
bisweilen auch die Bezeichnung Patiententestament
oder -brief verwendet.91
Mit der gesetzlichen Fixierung wurde die Patien­
tenverfügung ab dem 1. Januar 2013 zur zwingend
schriftlichen Willensbekundung und muss Anord­
nungen betreffend die Art und den Umfang der pfle­
gerischen und medizinischen Behandlung enthal­
ten. Sie bezieht sich oftmals92 auf voraussichtlich
terminale Phasen des Krankseins. Die «Verfügung»
adressiert sich an Ärzteschaft und Pflegefachperso­
nal; Patienten verfügen mit einer Patientenver­
fügung über sich selbst, bezogen auf einen Zustand
der eigenen Urteilsunfähigkeit, im Blick darauf, be­
stimmte Heilbehandlungen sowie physische oder
(psychische) Interventionen zuzulassen oder zu un­
terlassen.93 Die Patientenverfügung ist vom Verfasser
in einem Zeitfenster der Urteilsfähigkeit niederzu­
schreiben, damit sie ihre Wirksamkeit entfalten
kann.94 Während es vor einem Jahrzehnt noch dar­
um ging, der Patientenverfügung zumindest als pri­
vat etablierter «Behandlungsrichtlinie» Respekt zu
91 Ulsenheimer, § 132 Rz. 38 (Anm. 58); Baumgarten,
303. Es gibt insbesondere in Deutschland eine Vielzahl
von Bezeichnungen, die m. E. aber nicht sonderlich ge­
eignet erscheinen, etwa «Euthanasietestament» oder
«Lebenstestament». Sie alle sind nur andere Bezeich­
nungen für die Patientenverfügung. Der Begriff hat sich
in der Schweiz durchgesetzt und soll auch vorliegend
Verwendung finden, obgleich natürlich auf sprachliche
Euphemismen hinzuweisen ist: Im Grunde ist die Ge­
sundheit ja ein «unverfügbares» Gut. Gut ist demgegen­
über, dass nicht der Begriff des «Patiententestaments»
gewählt wurde, da das Thema richtigerweise aus Lebens- und nicht bloss «endzeitlicher» Perspektive zu beden­
ken ist; nur heisst das «Testament» andernorts im ZGB
letztwillige Verfügung … (Art. 498 ff. ZGB).
92 Breitschmid/Reich, ZVW 2001, 150 f., «oftmalig» be­
darf einer Erläuterung: Die Patientenverfügung kommt
zwar noch zu Lebzeiten eines Patienten zum Einsatz,
braucht sich aber nicht nur auf das terminale Stadium
eines Menschen zu beziehen.
93 Wenzel, Kapitel 4 Rz. 517, zur mündlichen oder schrift­
lichen Willensäusserung; Ulsenheimer, § 132 Rz. 41.
94 Ulsenheimer, § 132 Rz. 41. – Dieser eindeutige Satz er­
fährt interessanterweise eine nicht unbeträchtliche
Relativierung bei der Suizidbeihilfe für Personen, wel­
che unter psychischen Störungen leiden: vgl. BGE 133 I
58, E. 6.3.5, dazu Schwarzenegger Christian, Das
Mittel der Suizidbeihilfe und das Recht auf den eigenen
Tod, SAeZ 88 (2007) 1 ff., 5 (zwar sei äusserste Zurück­
haltung geboten, aber die Verschreibung von NatriumPentobarbital nicht notwendigerweise kontraindiziert).
Dies trifft zu, wobei der Entscheid natürlich letztlich
davon abhängt, ob konkret die Urteilsfähigkeit bejaht
oder verneint wird (vgl. dazu Fn. 43 ff. und 49 ff.).
Pflegerecht – Pflegewissenschaft 13
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verschaffen,95 ist sie ab dem 1. Januar 2013 mit In­
krafttreten von Art. 370 ff. ZGB «unausweichlich»
geworden. Ihre «Formalisierung» bringt allerdings
auch Probleme mit sich: Was geschieht mit dem
«nur» mündlich, aber unmissverständlich und un­
überhörbar geäusserten Patientenwillen?
In Deutschland bekannt, und von der Patienten­
verfügung zu unterscheiden, ist die Betreuungsvoll­
macht, welche mit Art. 360 ff. und Art. 381 ZGB
­Parallelen aufweist96 und z. B. auch mit einer Patien­
tenverfügung kombiniert werden kann.97 Bei der
Betreuungsvollmacht wird eine natürliche Person98
vom Patienten selbst99 bestimmt, welche «als Be­
treuer» die Rechtsgeschäfte in Form eines «vormund­
schaftlichen Amtes» im Interesse des Betreuten
­tätigt.100 Nicht zu verwechseln ist die Betreuungsver­
fügung mit der Vorsorgevollmacht101 des deutschen
Rechts. Dabei wird schriftlich für die Zukunft von
der betroffenen Person ein «Bevollmächtigter in Ge­
sundheitsangelegenheiten» bestimmt.102 Die Vor­
sorgevollmacht ist subsidiär zur Bestellung eines
Betreuers. Hat der Patient etwa schon eine Vorsorge­
vollmacht ausgefüllt, so erübrigt sich die Bestellung
eines Betreuers für die Gerichte.103
Auch in der Schweiz ist die Patientenverfügung
von OR-Instrumenten des Vollmachtrechts (Art. 32 ff.
OR) abzugrenzen, insbesondere vom sogenannten
«transmortalen Auftrag» (auch «Auftrag über den Tod
hinaus»). Gewöhnlich erlischt ein Auftrag mit dem
Tod des Auftraggebers nach Art. 405 Abs. 1 OR, es sei
denn, es wurde Gegenteiliges vereinbart. Das Gleiche
gilt für die Vollmacht nach Art. 35 Abs. 1 OR.104 Als
einschlägige Spezialgesetzgebung gehen seit dem
1. Januar 2013 die Instrumente des Erwachsenen­
schutzrechts den allgemeinen Normen des OR
vor105 … obwohl man sich bewusst bleiben muss:
Dogmatisch-strukturell ist jedes der Instrumente von
Art. 360 ff. und 370 ff. ZGB eine Vollmacht im Sinne
der Stellvertretungslehre; Stellvertretung aber ist – zwar
autonome, u. U. aber doch faktisch zwingende – De­
legation von Autonomie.
Sodann ist zu differenzieren gegenüber dem ur­
sprünglich geplanten Vorsorgeauftrag mit Ausdehnung
auf medizinische Massnahmen, wie ihn der VE-ZGB für
die Schweiz zunächst vorgesehen hatte.106 Dieses In­
stitut wurde im weitern Verlauf der Gesetzgebungs­
arbeiten stark vereinfacht. Entsprechend der defini­
tiven Fassung des Erwachsenschutzrechtes ist es
möglich, einer natürlichen Person den Auftrag zu
erteilen, im Namen des Auftraggebers diagnosti­
schen oder therapeutischen Behandlungen zuzu­
stimmen oder diese zu verweigern. Der Vorsorgeauf­
trag mit Ausdehnung auf medizinische Massnahmen
ist – materiell betrachtet – eine Patientenverfügung.
Die beiden Institute sind zu einer Einheit verschmol­
zen.107 Unabhängig davon ist es entsprechend dem
Erwachsenenschutzrecht nach Art. 360 Abs. 1 ZGB
möglich, mittels eines Vorsorgeauftrages eine natürli­
che oder juristische Person zu bezeichnen, welche im
Falle der eigenen Urteilsunfähigkeit die Vermögens­
sorge übernimmt und den Rechtsverkehr regelt.108
95 Breitschmid/Reich, ZVW 2001, 150. Ein Muster einer
Patientenverfügung der FMH Gesellschaft ist abrufbar
unter: <http://www.fmh.ch/de/data/pdf/patverf.pdf>
(letztmals abgerufen am 12. 11. 2015).
96 Breitschmid/Reich, ZVW 2001, 150.
97 Rudolf/Bittler/Roth, 125.
98 Ulsenheimer, § 132 Rz. 43, oder einen Verein.
99 Ulsenheimer, § 132 Rz. 43, liegt keine Betreuungsver­
fügung vor, so ist nach § 1897 Abs. 1 BGB das Vormund­
schaftsgericht zuständig, einen Betreuer zu bestellen.
100 Breitschmid/Reich, ZVW 2001, 150.
101 Rudolf/Bittler/Roth, 124 f.
102 Rixen/Reinecke, 6.
103 Ulsenheimer, § 132 Rz. 46; Wenzel, Kapitel 4 Rz. 519.
104 Geiser, 27; Kälin, ST 2008, 1050; Hotz, in: Jusletter
14. Februar 2011, Rz. 3 ff., die Vorsorgevollmacht findet
sich in Art. 360 ZGB und Art. 35 OR. Vgl. dazu Schwen­
zer, § 42 Rz. 42.25; BSK-OR I Watter/Schneller,
Art. 35 OR N 7, zu den postmortalen Vollmachten, sie
finden z. B. u. a. in der Bankpraxis Verwendung; BSK-OR
I Weber, Art. 405 OR N 11 ff., zu den trans- und post­
mortalen Aufträgen; Riemer, recht 1998, 21 f., zum
Auftrag medizinische Eingriffe betreffend; vgl. nachfol­
gender Fall in Fn. 122.
105 Aufgrund allgemeiner intertemporalrechtlicher Ord­
nung (Art. 1 Abs. 2 SchlT ZGB) werden allerdings unter
bisherigem Recht gültig errichtete Anordnungen auch
unter neuem Recht weiterhin gültig bleiben; vgl. zu
­intertemporalrechtlichen Aspekten meinen Beitrag in
Breitschmid, SJZ 2013, 251 ff. Und um jegliches Miss­
verständnis zu vermeiden: Die KESR-Novelle hat das OR
nicht ausser Kraft gesetzt, und es können OR- und KESRInstrumente durchaus nebeneinander bestehen: s. dazu
insb. Fountoulakis, BJM 2015, 189 ff., 203 ff. Ziff. D.II.2.
106 Breitschmid/Reich, ZVW 2001, 149 ff., zur Typologie
der Vorsorgevollmachten; Breitschmid, ZVW 2003,
271 f.
107 Häfeli, FamPra.ch 2007, 5, von einer Befristung der
Wirkungsdauer, wie sie Baumann vorschlug, wurde zu
Recht abgesehen, weil dem etwas Zufälliges anhaftet;
Baumann, ZVW 2005, 69, zur Befristung auf drei Jahre;
Botschaft des Bundesrates zur Änderung des schweize­
rischen Zivilgesetzbuches (Erwachsenenschutz, Perso­
nenrecht und Kindsrecht) vom 28. Juni 2006, BBl 2006,
7001 ff., 7025 f. und 7031 f. (Gesetzesentwurf 7139 ff.
sowie die definitive Fassung vom 19. Dezember 2008 im
BBl 2009, 141 ff.).
108 Häfeli, FamPra.ch 2007, 4; Schwenzer, § 42 Rz. 42.25.
14 Pflegerecht – Pflegewissenschaft
WI_Breitschmid_Nicht_entscheidungsfaehiger_Patient.indd 14
C.
Terminologische Unschärfen
als Indiz für ein noch zu
­stabilisierendes Instrument
Wie auch immer die Bezeichnungen lauten: Allen
Instrumenten zur «Fixierung» künftiger Behand­
Stämpfli Verlag
10.03.16 13:53
Peter Breitschmid, Der nicht entscheidungsfähige Patient
1| 16
lungsanliegen gemeinsam ist, dass eben zukünftige,
nicht genau umrissene, zwar befürchtete, aber eher
verdrängte Themen angesprochen und Vorkehren
für einen Fall getroffen werden, dessen in der biogra­
fischen Ferne liegenden weiteren Begleitumstände
(biografische Lebensphase, dannzumalige Bezie­
hungsstruktur, wirtschaftliche Rahmenverhältnisse,
nicht nur im privaten Rahmen, sondern auch bezo­
gen auf die Leistungsfähigkeit des Krankenversiche­
rungssystems, Stand der Behandlungsmethoden und
ihrer jeweiligen Risiken usf.) realistisch eigentlich
nicht absehbar sind. Etwas apodiktisch formuliert
werden nicht delegationsfähige höchstpersönliche
Entscheide zu einem noch nicht absehbaren The­
menbereich getroffen, es werden zukünftige und
­damit notwendig unbestimmte Sachverhalte gere­
gelt.109 Ob dies selbstbestimmt oder Selbstaufgabe sei
(vgl. Art. 27 ZGB), hängt von den Umständen ab
(objektiver, solider Informationsstand der Erklä­
rungsurheber; Tragweite der anstehenden Behand­
lung; Entwicklung der Rahmenbedingungen zwi­
schen der Meinungsbildung und Entscheidfindung
sowie dem Zeitpunkt der Umsetzung).
V.
Die Probleme um Patienten­
verfügungen insbesondere
Früher war der Begriff «Verfügung» im ZGB den
­letztwilligen Verfügungen (erbrechtlichen Inhalts,
Art. 498 ZGB) vorbehalten, nämlich den Testamen­
ten (während eine vertragliche Anordnung auf den
Todesfall – der Erbvertrag – eben gerade nicht letztwil­
lige Verfügung ist, sondern eine Bindung enthält).110
Die Patientenverfügung nach Art. 370 ff. ZGB ist ih­
rer Natur nach demgegenüber «Verfügung unter
Lebenden».111
Vor Inkrafttreten des Erwachsenenschutzrechts
bestimmten die einzelnen Kantone, ob und in wel­
cher Ausgestaltung sie die Patientenverfügung regel­
ten. Diese Regeln wurden mit Inkrafttreten der Kin­
des- und Erwachsenenschutznovelle per 1. Januar
109 Ohne dass hier auf Einzelheiten eingegangen werden
könnte, sei auf die obligationenrechtliche Kontroverse
um den (Grundlagen-)Irrtum über künftige Sachver­
halte hingewiesen; vgl. statt aller etwa Gauch/Schluep/
Schmid, 181 ff.
110 Druey, §§ 8–10, zu den Anordnungen von Todes wegen.
111 Zur Abgrenzung einer Verfügung von Todes wegen oder
unter Lebenden vgl. BGer 5C.56/2005, 15. Juli 2005.
Grundsätzlich hängt die Art eines Rechtsgeschäftes
­davon ab, ob der Nachlass betroffen ist oder die Wirkung
des Geschäftes noch zu Lebzeiten eintreten soll; Wen­
zel, Kapitel 4 Rz. 517, zur Verfügung unter Lebenden;
Breitschmid/Wittwer, in: Jusletter 31. Januar 2011,
Rz. 23.
Stämpfli Verlag
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2013 hinfällig.112 Nach Art. 19 Abs. 2 ZGB kann ein
urteilsfähiger Mensch über die eigene Heilbehand­
lung autonom entscheiden, unabhängig davon, ob
er minderjährig oder umfassend verbeiständet ist.
Entsprechend Art. 16 ZGB darf Urteilsfähigkeit vor­
ausgesetzt werden, sofern sich gegenteilige Anhalts­
punkte nicht aufdrängen oder zumindest relevanten
Zweifel bewirken.113 Gemäss Art. 9 der Biomedizin­
konvention sind in der Vergangenheit geäusserte
Anliegen einer Person zu beachten114 (auch dies al­
lerdings ein Satz, der – wird ihm unreflektiert nach­
gelebt – sich gegen die Person richten kann).
Es ist nun allerdings nicht etwa so, dass die Pa­
tientenverfügung weniger wichtig wäre als ein Erb­
vertrag oder ein Testament, auch wenn sie andere
Inhalte regelt; vielmehr muss davon ausgegangen
werden, dass die Unsicherheit, die im Umgang mit
Patientenverfügungen bestand, dazu führte, dass
diese lieber nicht beachtet wurden, als sich mit ihnen
auseinanderzusetzen oder sie gar auf Bundesebene
gesetzlich zu regeln. Es schien nicht unangenehm,
hier einen gewissen Freiraum zu belassen und die
Entwicklung der kantonalen Regelungen zu beob­
achten …115 Die diffuse Grundhaltung der betroffe­
nen Fachkreise spiegelt sich auch in der Bevölkerung
wider. Eine Untersuchung auf einer chirurgischen
Intensivabteilung am Universitätsspital in Zürich aus
dem Jahre 2008 hatte ergeben, dass wohl nur 5% der
Bevölkerung eine Patientenverfügung errichtet ha­
ben; von zwölf Medizinern, welche auf der Intensiv­
station tätig waren, gab die Mehrheit an, während
ihres beruflichen Werdegangs nicht häufiger als
zwei-, allenfalls dreimal auf eine solche von Kranken
112 § 31 Patientinnen- und Patientengesetz des Kantons Zü­
rich vom 5. April 2004 (LS 813.13), zur Patientenverfü­
gung. Auch an dieser Stelle sei ausdrücklich auf die
medizinisch-ethische Richtlinie der SAMW zu Patien­
tenverfügungen (2009, aktualisiert 2012) hingewiesen,
abrufbar unter: <http://www.samw.ch/de/Ethik/Richt­
linien/Aktuell-gueltige-Richtlinien.html> (letztmals
abgerufen am 14. 11. 2015); Federspiel, 22; Breit­
schmid/Wittwer, in: Jusletter 31. Januar 2011, Rz. 22;
Aebi-Müller, in: Jusletter 22. September 2014, Rz. 147.
113 Steffen/Guillod, 362; Breitschmid/Wittwer, in:
Jusletter 31. Januar 2011, Rz. 22. – Es versteht sich, dass
Zweifel nicht leichthin durchschlagen dürfen, ohne
schmerzlichen Autonomieverlust zu bewirken; letztlich
sind die Auswirkungen zu bedenken und nicht einfach
formale Abläufe abzuspulen. Spezifisch zur psychiatri­
schen Patientenverfügung vgl. unten Fn. 132.
114 Federspiel, 23; Übereinkommen vom 4. April 1997 zum
Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde
im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Me­
dizin (Übereinkommen über Menschenrechte und Bio­
medizin, SR 0.810.2); vgl. nachfolgend Fn. 165.
115 Pfändler, plädoyer 2007, 31, zur Unsicherheit mit Pa­
tientenverfügungen sowie den verschiedenen kantona­
len Gesetzen.
Pflegerecht – Pflegewissenschaft 15
10.03.16 13:53
W IS SENS CH A F T
1| 16
aufmerksam gemacht worden zu sein.116 Tod und
Sterben werden in unseren Breitengraden tabuisiert.
Darüber wird nicht gesprochen (oder wenn, dann
eher «glaubensbezogen»), und der Ärzteschaft solls
offensichtlich recht sein.117 – Es darf nun nicht diese
zögerliche historische Entwicklung kritisiert werden,
die ja durchaus in eine günstige Richtung gelaufen
ist (und für den Weg dorthin einfach Zeit gebraucht
hat). Nur führt uns diese Entwicklung noch nicht
direkt ins «goldene Zeitalter» der «definitiven Prob­
lemlosigkeit»:
(i) Der Fall von Terri Schiavo und ihr Tod 2005
machten auf der ganzen Welt Schlagzeilen und heiz­
ten die Debatte um die Patientenverfügung medial
an. Die junge Frau hatte, an Bulimie erkrankt und
aufgrund einer Hypokaliämie, einen Herzstillstand
erlitten. Sie fiel in ein Wachkoma (apallisches Syn­
drom), aus welchem sie aufgrund ihrer schweren
Hirnschädigung während fünfzehn Jahren bis zu
ihrem Tode nicht mehr erwachte und künstlich mit
einer PEG-Sonde am Leben erhalten werden muss­
te.118 Es folgte ein erbitterter Streit zwischen ihrem
Ehemann, der meinte, ihren Willen zu respektieren,
wenn die PEG-Sonde entfernt würde, und den Eltern
Schiavos, die eher einer katholischen und konser­
vativen Haltung folgend der Meinung waren, es be­
stünde Aussicht auf Heilung, dem jedoch unzählige
Fachleute widersprachen. Zwischen den Parteien
entbrannte nachfolgend ein erbitterter Streit, der
sämtliche Gerichte in Florida USA beschäftigen soll­
te und auch dazu führte, dass vor Ort die Gesetze
geändert wurden. Terri Schiavo hatte nie eine schrift­
liche Patientenverfügung verfasst. Selbst der dama­
lige amerikanische Präsident George W. Bush hatte
sich persönlich für die Anliegen der Eltern einge­
setzt. Terri Schiavo starb am 31. März 2005 nach Ent­
fernung der PEG-Sonde. Der oberste Gerichtshof in
Florida hatte dies zugelassen. Die Leiche wurde auf
Wunsch beider Parteien obduziert. Die Hirnmasse
betrug noch rund die Hälfte eines klinisch gesunden
Menschen. Auch war Terri Schiavo blind. Ein norma­
les Leben hätte sie nie mehr führen können.119
116 Meier, 5, 12 (Tab. 1) und 20; Breitschmid/Wittwer,
in: Jusletter 31. Januar 2011, Rz. 31. Für weitere Informa­
tionen vgl. Marti Lukas M., Das Diagnose- und Be­
handlungsspektrum einer chirurgischen Notfallstation
im Schwerpunktspital, untersucht am Spital Männe­
dorf, Diss., Zürich 2000.
117 Meier, 18.
118 Spiewak Martin, Künstliche Ernährung, Leben am
Schlauch, DIE ZEIT vom 28. Mai 2009, Nr. 23, 39 f., zur
Bedeutung der PEG-Sonde.
119 Zum vorliegenden Fall etwa: Eisenberg Jon B., The right
vs. the right to die: lessons from the Terri Schiavo case
and how to stop it from happening again, New York
2005/2006; Bockenheimer-Lucius, Ethik Med 2005,
85; Hess, 1039 ff., Ernähren und Hydrieren, sollte be­
16 Pflegerecht – Pflegewissenschaft
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Der Fall von Terri Schiavo zeigt zweierlei: einer­
seits die Bedeutung einer Patientenverfügung im
Angesicht des Todes; andererseits auch, wie schwierig
es ist, nachträglich den mutmasslichen Willen eines
urteilsunfähigen Menschen zu ermitteln, wenn die­
ser nicht schriftlich in einer Patientenverfügung
festgehalten wurde.120 Dass es allerdings Fälle gibt,
bei denen der Wille des Verfassers einer Patientenvoll­
macht missachtet wird, veranschaulicht nachfolgen­
der Fall:121
(ii) R. K., selber Anwalt und St. Galler CVP-Altna­
tionalrat, hatte mit Datum vom 24. Juli 2000 eine
Patientenvollmacht handschriftlich erstellt.122 «Soll­
te ich meine persönlichen Interessen nicht mehr voll wahr­
nehmen können, ist Frau A. S. ermächtigt, für mich zu
sorgen oder wenn sie das will, mich zu ihr zu nehmen. Die
Vollmacht der persönlichen Interessenswahrung geht
auch über meinen Tod hinaus (Grabwartung und
Grabstein).»123 Bei A. S. handelte es sich um eine enge
persönliche Vertraute bzw. die Freundin von R. K. Im
Jahr 2002 erlitt R. K. eine Hirnblutung sowie einen
Schlaganfall. Die Angehörigen wurden nach der Ver­
sorgung im Akutspital aufgefordert, ihren Vater nach
Hause zu nehmen oder sich um einen Pflegeplatz zu
120
121
122
123
handelt werden oder nicht? Eine (nicht nur) philosophi­
sche Betrachtungsweise des Sterbeprozesses (der Autor
ist Chefarzt für Innere Medizin an einem Bezirksspital
in der Schweiz).
Quaas/Zuck, § 68 Rz. 176.
Hinzuweisen ist auch auf BGE 134 III 385, eine lebzeiti­
ge Vollmacht unter verschiedenen Familienfraktionen
betreffend, welche eigentlich einem Vorsorgeauftrag im
Sinne von Art. 360 ff. ZGB entsprochen hatte, die aber
im Konfliktfall unter den Fraktionen keinen Bestand
hatte (vgl. Breitschmid/Matt, Pflegerecht 2012,
223 ff.; Breitschmid, successio 2008, 16 ff.): Ergeben
sich Interessenkonflikte, so vermögen sich «Schriftstü­
cke» nicht ohne Weiteres durchzusetzen; auch bei der
«Zustimmungskaskade» Angehöriger nach Art. 378 ZGB
dürften sich Kontroversen um die Beziehungsqualität
in Einzelfällen nicht gänzlich vermeiden lassen. Das
hinten in Fn. 129 zitierte Buch von Oswald zeigt auf
(durchaus in gutem Sinne belletristisch), welchen
Schwierigkeiten und (Beziehungs-)Wechselbädern das
Angehörigenumfeld ausgesetzt ist – der gesetzgeberi­
sche Versuch, sozusagen statusähnlich Beziehungsqua­
lität messen zu können, kann nicht ohne Weiteres ein­
fach schematisch erfolgen (vgl. dazu die Übersicht bei
Jungo Alexandra, Faktische Lebenspartner als Er­
ben – de lege ferenda, Successio 2016, ■■ ff., insb. II.F),
und es wird in solchen Fällen nicht nur der Patient,
sondern auch sein persönliches Umfeld in der Entschei­
dungsfähigkeit eingeschränkt sein.
Bei der vorliegenden «Vollmacht» dürfte es sich um ei­
nen transmortalen Auftrag nach Art. 405 OR gehandelt
haben, vgl. Fn. 104.
Raos Bernhard, Patientenverfügung: Sein Wille ge­
schehe nicht, Beobachter 24 (2003), abrufbar unter:
<http://www.beobachter.ch/familie/artikel/patienten­
verfuegung_sein-wille-geschehe-nicht> (letztmals ab­
gerufen am 14. 11. 2015).
Stämpfli Verlag
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Peter Breitschmid, Der nicht entscheidungsfähige Patient
1| 16
kümmern. Frau A. S. wollte, wie in der Patientenvoll­
macht vorgesehen, R. K. zu sich nach Hause nehmen.
Dagegen wehrte sich der Sohn von R. K., seinerseits
auch Anwalt in der Kanzlei seines Vaters, welcher erst
durch den Spitalaufenthalt von der Vollmacht er­
fuhr. Er war dafür, dem Vater einen Vormund zu be­
stellen und diesen in einem Alters- und Pflegeheim
unterzubringen. Der Sohn versuchte mit allen ver­
fügbaren Mitteln, den Abtransport des Vaters aus
dem Kantonsspital zu verhindern. Der Aufenthalt
dort wurde, ohne medizinische Indikation, um gan­
ze sechs Monate verlängert. Zudem bediente sich
K. Junior (fraglicher) privater Unterlagen aus dem
privaten Besitz seines Vaters, mit denen er ans Ge­
richt gelangen und den Beweis erbringen wollte, bei
Frau A. S. handle es sich um eine psychisch ange­
schlagene und damit für die Pflege eines hilfsbedürf­
tigen Menschen ungeeignete Person. Die Patienten­
vollmacht entspreche nicht dem Willen seines Vaters.
Der Fall endete, wie es nach neuem Recht wohl kaum
mehr vorkommen dürfte oder sollte: R. K. erhielt ei­
nen Beistand und wurde in einem St. Galler Pflege­
heim untergebracht. A. S. hatte demnach nichts
mehr zu sagen.124 Sie zeigte den Sohn in der Folge
wegen Verletzung der Berufsregeln bei der St. Galler
Anwaltskammer an. Immerhin hatte dieser persön­
liche und vertrauliche Dokumente aus dem Anwalts­
dossier seines Vaters verwendet. Sie bekam zu einem
späteren Zeitpunkt Recht. K. Junior hatte laut der
Anwaltskammer gegen die berufliche Schweige­
pflicht verstossen. Gegen die Busse von 1000 Franken
führte er jedoch erfolgreich Beschwerde. Offen blieb
nachfolgend die Gültigkeit der Patientenvollmacht.125
Offen bleibt in solchen Fällen stets, ob allenfalls
Anhaltspunkte für einen ursprünglichen Willens­
mangel bestehen (doch ist bei m. E. richtiger Betrach­
tung nicht jeder, der sich im Rahmen von Alters­
bekanntschaften und -beziehungen um andere
kümmert, die er überlebt, ein Erbschleicher, auch
wenn er sich möglicherweise diesem Vorwurf ausge­
setzt sehen mag) oder eine gänzlich inadäquate Lö­
sung resultiert (wobei Inadäquanz auch nicht schon
deshalb zu bejahen ist, weil die verantwortliche Per­
son ihrerseits bereits älter und möglicherweise nicht
mehr zu höchstpersönlicher Vornahme sämtlicher
Handlungen befähigt ist, aber doch als natürliche
124 Raos Bernhard, Patientenverfügung: Sein Wille ge­
schehe nicht, Beobachter 24 (2003), abrufbar unter:
<http://www.beobachter.ch/familie/artikel/patienten­
verfuegung_sein-wille-geschehe-nicht> (letztmals ab­
gerufen am 14. 11. 2015).
125 Raos Bernhard, Anwaltsgeheimnis: Patientenvoll­
macht ausgehebelt, Beobachter 16 (2004), abrufbar un­
ter: <http://www.beobachter.ch/familie/artikel/anwalts­
geheimnis_patientenvollmacht-ausgehebelt/> (letztmals
abgerufen am 14. 11. 2015).
Stämpfli Verlag
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Ansprech- und Vertrauensperson noch ihre Funk­
tion hat).
Es besteht Handlungsbedarf, keine Frage! Mit der
Ordnung der Patientenverfügung hat der schweize­
rische Gesetzgeber einen ersten Schritt unternom­
men, doch dreht sich die Spirale weiter.
(iii) So erweckt der Fall von Carine (43) aus Belgien
Aufmerksamkeit:126 Eine Tötung auf Verlangen im
Spital noch während der Rehabilitationsphase nach
einem Schlaganfall mit Behinderungsfolgen; die Be­
sonderheit liegt darin, dass einerseits eine längere
Rehabilitation offenbar durchaus Erfolg verspre­
chend gewesen wäre, vor allem aber auch, dass die
Patientin ihre Organe gespendet hatte und diese un­
mittelbar nach der in Belgien (analog Niederlande)
zulässigen «Euthanasie» (durch Natriumpentobarbi­
tal) im gleichen Operationssaal durch ein anderes
Chirurgenteam entnommen wurden.
«Man» tut sich mit dem Thema offensichtlich
nicht nur deshalb schwer, weil es an der Grenzzone
von Leben und Tod liegt, sondern auch, weil die
Grenzen permanent «im Fluss» sind und Medien wie
Politik das sensitive Thema pflegen:
(iv) Im Falle von Eluana Englaro hatte sich letztlich
der italienische Staatspräsident Napoletano geweigert,
eine lebensidealisierend-populistische Notverord­
nung der Regierung Berlusconi zu unterzeichnen.
Englaro starb nach siebzehn Jahren im Wachkoma
am 9. Februar 2009 in Udine in einem Altersheim,
nachdem sie mit einundzwanzig Jahren bei Glatteis
mit ihrem Auto von der Strasse abgekommen war. Es
war der Wunsch ihres Vaters, der vor Gericht ge­
kämpft hatte, dass Englaro sterben durfte und die
künstliche Ernährung abgesetzt wurde. Denn auch
Eluana Englaro hatte zwar den «Formularkram»
nicht bedacht – mithin keine Patientenverfügung
ausgefüllt –, gegenüber ihrem Vater vor ihrem Unfall
aber klare mündliche Äusserungen gemacht, dass sie
in einem solchen Zustand nicht am Leben erhalten
werden wolle.127
Die tragischen und sich geradezu akzelerierenden
Fälle zeigen einzig die Brisanz des Themas und die
Wichtigkeit des Versuchs, mit gesetzlichen Regeln
126 Keller Martina, Carine, 43, lässt sich töten, DIE ZEIT
Nr. 43/2011, 17–19, abrufbar unter: <http://www.zeit.
de/2011/43/DOS-Euthanasie> (letztmals abgerufen am
14. 11. 2014).
127 Fall von Eluana Englaro, Informationen abrufbar unter:
<http://www.bernerzeitung.ch/ausland/europa/Italie­
nischer-Vater-kaempft-fuer-Tod-der-Tochter/story/1450
0276>, sowie unter: <http://www.tagesanzeiger.ch/aus­
land/europa/Eluana-Englaro-darf-sterben/story/25066
432> und ebenso unter: <http://www.tagblatt.ch/ak­
tuell/international/tb-au/Attentat-auf-die-Verfassung;
art120098,1257934> (sämtliche Links letztmals abge­
rufen am 14. 11. 2015); Guillod, in: Jusletter 31. Januar
2011, Rz. 35 ff.
Pflegerecht – Pflegewissenschaft 17
10.03.16 13:53
W IS SENS CH A F T
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(Art. 374 Abs. 2 ZGB als «Lösung») das Phänomen der
Patientenverfügung pragmatisch gesetzlich zu erfas­
sen. Geschieht dies auf Bundesebene, so kann es an­
gesichts des Umstands, dass es kaum eine kantonale
Ethik geben kann, nur begrüsst werden. Zudem ist
auch wichtig, die Bevölkerung, Spitäler, Ärzteschaft
und das Pflegepersonal für dieses Thema zu sensibi­
lisieren, denn nur die gesetzliche Verankerung der
Patientenverfügungen nützt nichts. Es gilt, sie «unter
das Volk zu bringen». Auch in einem weiteren Schritt
müssen medizinische Institutionen sowie qualifi­
ziertes Personal noch viel mehr auf dieses Thema und
seine Bedeutung aufmerksam gemacht werden.128
Das bedingt allerdings in allererster Linie, Krankhei­
ten und Tod – insgesamt: die Schwächephasen der
autonomen und individuellen Person – nicht zu ver­
drängen. Neben tragischen lassen sich nämlich denn
auch weitere Beispiele eines bewussten, reflektierten
Umgangs mit dem letztlich ganz einfach unver­
meidlichen Thema in unterschiedlicher Form aus­
machen:129
(v) Während Peter Noll seine Diagnose akzeptiert,
mit ihr gelebt und sein Leben noch – in einem ganz
wörtlichen Sinne – «ausgelebt» (bewusst noch genos­
sen, aber auch den Schmerz ausgehalten) hatte, hat­
te Heinrich Oswald, ganz Manager und Konzernleiter,
auch sein «letztes Unternehmen» geplant. Die Schil­
derung aus seinem familiären Umfeld illustriert die
Schwierigkeiten.
Die beiden, unterschiedlichen «Sterbensentwürfe»
waren für die jeweiligen Persönlichkeiten fraglos die
richtigen «Lebensentwürfe» für ihre letzten Anlie­
gen; beide Fälle (und vor allem ihre literarische Auf­
bereitung) machen indes deutlich, dass je nachvoll­
ziehbare, individuelle, reflektierte Entscheide die
Grundlage sind, weshalb beide Alternativen je über­
zeugen, aber deutlich unterstreichen, dass heutige
Behandlungsoptionen nicht einfach mehr «Kom­
fort» bieten, sondern neue Anforderungen stellen.
128 Vgl. obige Fn. 116; Gutzwiller, AJP/PJA 2007, 556, zur
Förderung des Selbstbestimmungsrechts; Rogl­meier,
ZErb 2009, 236 ff., in Deutschland ist die Patientenver­
fügung seit 2009 im Betreuungsrecht geregelt – ob und
inwieweit allerdings Behandelnde zur Beratung von
Patient/innen ausgebildet werden sollen, kann mit Fug
diskutiert werden.
129 Noll Peter, Diktate über Sterben & Tod, Zürich 1984;
Oswald Ueli, Abschied, Zürich 2009 (vgl. dazu NZZ
vom 19. August 2009, Nr. 190, 53); man könnte auch
noch den Satz von Ezekiel Emanuel (einem US-Medi­
zinethiker) in: Campus [Le magazine scientifique de
l’Université de Genève] Nr. 123 Décembre 2015, 40 ff.,
41, anfügen: «Mourir est une perte; vivre trop longtemps
aussi»; s. dazu auch ders., Why I Hope to Die at 74, in:
The Atlantic, October 2014 Issue, www.theatlantic.com/
magazine/archive/2014/10/why-i-hope-to-die-at-75/37
9329 .
18 Pflegerecht – Pflegewissenschaft
WI_Breitschmid_Nicht_entscheidungsfaehiger_Patient.indd 18
VI. Die gesetzliche Ordnung
der Patientenverfügung
A. Inhalt
Eine Patientenverfügung ist verbindlich, wenn man
von ihr weiss (wofür sowohl von Patient wie Personal
angemessen vorzusorgen ist) und soweit sie verständ­
lich ist; im Bereich der fürsorgerischen Unterbrin­
gung (mithin ausserhalb des somatischen, nämlich
im psychiatrischen Kontext) ist die Patientenverfü­
gung lediglich «zu berücksichtigen». In beiden Fällen
steht indes am Anfang der Autonomieanspruch von
Patientin und Patient, der ganz einfach Respekt er­
fordert; dieser Respekt kann sich dann allerdings
auch darin manifestieren, Anordnungen zwar als
«roten Faden» zu verstehen, aber diese gegebenen­
falls doch durchzudenken, auszulegen und zu nuan­
cieren, um die Stossrichtung (zwar nicht zu drehen,
aber doch) zu fokussieren. Das Anliegen fokussiert
häufig130 auf Tod und Urteilsunfähigkeit hin mit
­A ngaben z. B. zur Ablehnung einer Heilbehandlung
oder betreffend die Einnahme von Medikamenten
(Schmerzmitteln), parenterale Ernährung (z. B. bei
einem Subclavia-Katheter) oder künstliche Ernäh­
rung via PEG-Sonde, Intensivbehandlung wie z. B.
die Intubation usw. Grundsätzlich darf der Inhalt der
Verfügung frei bestimmt werden. Zudem sind Äusse­
rungen betreffend Untersuchungen zu Forschungs­
zwecken, eine allfällige Organspende oder eine
­Obduktion möglich. Behandlungswünsche können
eingebracht werden bis hin zur Maximalbehand­
lung.131 Grundsätzlich gilt das Prinzip, dass eine
­«realistische» Patientenverfügung eine höhere Bin­
dungswirkung und eine höhere Um­set­zungs­wahr­
schein­lich­keit hat.132 (Absolut bindender) Inhalt ei­
ner Patientenverfügung kann somit nur sein, was
sich in einem rechtlich erlaubten und tatsächlich mög­
lichen Rahmen bewegt. Unmöglich kann von medi­
zinischem Personal (Ärzten oder Pflegepersonal) er­
wartet werden, dass sich dieses strafbar macht. Hier
130 Vgl. hierzu Fn. 92; Geth, Passive Sterbehilfe, 92 ff.;
Geth, Patientenverfügung, 81 ff., zur Patientenverfü­
gung aus strafrechtlicher Sicht.
131 Rudolf/Bittler/Roth, 77 f.; Guillod, in: Jusletter
31. Januar 2011, Rz. 36 ff.; Zeug Katrin, Nicht gegen
meinen Willen, DIE ZEIT vom 9. September 2010, Nr. 37,
38, wie die Patientenverfügung in der Psychiatrie ein­
gesetzt wird; Widmer Blum, 155 ff., zum Inhalt einer
Patientenverfügung; Wittwer/Breitschmid, in: Jus­
letter 22. November 2010, Rz. 24.
132 Pfändler, plädoyer 2007, 32; Spiewak Martin, Künst­
liche Ernährung, Leben am Schlauch, DIE ZEIT vom
28. Mai 2009, Nr. 23, 39 f., zur inhaltlichen Bedeutung
der Patientenverfügung; Wittwer/Breitschmid, in:
Jusletter 22. November 2010, Rz. 24.
Stämpfli Verlag
10.03.16 13:53
Peter Breitschmid, Der nicht entscheidungsfähige Patient
1| 16
sei z. B. auf aktive Sterbehilfe hingewiesen, welche in
der Schweiz verboten ist.133
Zweifelhaft erscheint aber auch die Anweisung
von Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Zeu­
gen Jehovas, welche mittels einer Patientenverfü­
gung Blutprodukte und -konserven ablehnen. Auch
diese Fälle werden in den Medien recht grell
beleuchtet:134 Entsprechend einem Entscheid des
deutschen Bundesverfassungsgerichtes wurde trotz
dem Vorhandensein einer Patientenverfügung eine
Blutkonserve verabreicht. Der Ehegatte, welcher
nicht der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas
angehörte und die Bluttransfusion guthiess, wurde
als Vormund der Kranken bestimmt.135 Ein anderer
Fall einer Zeugin Jehovas, welche in einer Advance
Directive136 schriftlich festgehalten hatte, dass sie
Bluttransfusionen ablehne, beschäftigte 2003 den
High Court. Die Zeugin Jehovas äusserte in der Klinik
mündlich den Wunsch, nicht sterben zu wollen, er­
133Vgl. Ulsenheimer, § 132 Rz. 42; Donatsch, 24 ff., zur
aktiven Sterbehilfe (Art. 115 StGB); Brückner, 148;
Dunger, 39; Petermann, Sterbehilfe, 169 ff., ethische
Überlegungen zur Sterbehilfe; Wittwer/Breitschmid,
in: Jusletter 22. November 2010, Rz. 24; Aebi-Müller,
in: Jusletter 22. September 2014, Rz. 128, 153 ff. und
170 ff., zu den Weisungen und dem Inhalt in einer
­Pa­t ientenverfügung sowie dem Abweichen von einer
Pa­t ientenverfügung im Falle eines Verstosses gegen
­gesetzliche Vorschriften und einer nicht indizierten
Behandlung, dem Zweifel am freien Willen und dem
Widerspruch zum mutmasslichen Willen.
134 Z. B. «Mutter verweigert Blut und stirbt nach der Ge­
burt», Tages-Anzeiger vom 30. Juli 2005, 10; Breit­
schmid/Wittwer, in: Jusletter 31. Januar 2011, Rz. 27;
vgl. McEwan Ian, Kindeswohl, Zürich 2015 (vorne
Fn. 47).
135 Breitschmid/Wittwer, in: Jusletter 31. Januar 2011,
Rz. 27; Deutsch/Spickhoff, 426 (Anm. 55); BVerG NJW
2002, 206; Dettmeyer, 220 f. (= OLG München, Urteil
vom 31. Januar 2002 – 1 U 4705/98 – MedR 2003, 174);
Röthel/Hesseler, FamRZ 2006, 530 f., auch wurde in
den USA die Rechtmässigkeit einer Bluttransfusion
durch den High Court bei einer Zeugin Jehovas bestä­
tigt, welche sich in einer Advance Directive zuerst schrift­
lich dagegen ausgesprochen hatte, ihre Aussage dann
jedoch in der Klinik mündlich widerrief. Anzumerken
ist, dass die Patientenverfügung in der Schweiz nach
dem Erwachsenenschutzrecht nicht mündlich, sondern
schriftlich widerrufen wird (vgl. Fn. 175). Vgl. hierzu
Fn. 161, zur Ehegatten- oder Angehörigenvertretung.
136Die Advance Directive (vgl. hierzu auch die verbindliche
Advance Decision) ist vom sogenannten Advance State­
ment (Living Will) zu unterscheiden: Barta/Kalch­
schmid, 48 f., zum Living Will in England als rechtsver­
bindliches Dokument sowie Loewy, 195 ff., zu den
Advance Directives; a. A. Jonsen/Siegler/Winslade, 92,
in den USA dient der Living Will als Auslegungshilfe,
während die Advance Directive rechtlich verbindlich ist
(auch natural death acts, sogenannte Vorschriften über
den natürlichen Tod); g. A. zu England: Röthel/Hesse­
ler, FamRZ 2006, 529 ff., zu der Advance Decision und
dem Living Will.
Stämpfli Verlag
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wähnte dabei aber die Advance Directive nicht.137 Es
wäre allerdings wohl kein Haftungsgrund, wenn eine
Klinik in unseren Breitengraden Gläubige mit ent­
sprechenden Patientenverfügungen nicht behan­
deln würde bzw. die Willensänderung nicht wahrge­
nommen würde; zudem wäre zu diskutieren, ob – wer
seinerseits Blutspende verweigert – Blut empfangen
darf.138
B.
Form
Während früher keine Formvorschriften für die Pa­
tientenverfügungen bestanden139 (und auch bis zum
31. Dezember 2012 altrechtlich-formlos errichtete
mündliche – oder sogar nur konkludente – Patienten­
verfügungen Wirksamkeit entfalten konnten,140 gilt
heute Schriftlichkeit; altrechtliche Patientenverfü­
gungen bestehen allerdings fort! Das Gesetz regelt
allerdings nur die äusserliche Form – in der Sache gilt,
dass die Patientenverfügung klar und präzise formu­
liert sein sollte.141 Eine offene Formulierung lässt den
Ärzten den Spielraum, objektiv und nach ihrer an
fachlichen Standards ausgerichteten eigenen Über­
zeugung zu handeln. Die Idee der Patientenverfü­
gung zielt allerdings darauf ab, möglichst genau den
137 Was als neuerer Wille Vorrang verdient hatte. – Zum
Entscheid des High Court (HE v. a Hospital NHS Trust,
2003 2 FLR 408) s. Röthel/Hesseler, FamRZ 2006, 530;
Wolley, Jehovah’s Witnesses in the emergency depart­
ment: what are their rights, Emerg Med J 2005; 22:
869–871 (www.emjonline.com); Meran et al., 29 ff.,
zu den Zeugen Jehovas sowie weiteren Fällen aus dem
US-amerikanischen Gerichtsalltag.
138 Z. B. «Mutter verweigert Blut und stirbt nach der Ge­
burt», Tages-Anzeiger vom 30. Juli 2005; Fellmann, 116
(Anm. 87); eine Behandlungspflicht besteht nur (aber
immerhin!) in Notfällen und damit für öffentliche Spi­
täler, welche behandlungsbedürftige Patienten auf­
nehmen müssen. Ob sich allerdings Privatärzte im Not­
fall gewissermassen «abwenden» dürften und nicht
gleicher­massen recht eigentlich spontan Nothilfe nach
best practice leisten müssten, wäre sorgfältig zu beden­
ken – eine solche Behandlung ohne lange Abklärung
nach einer Patientenverfügung («Behandlung vor Ad­
ministration») dürfte doch nach wie vor einem stan­
dardmässigen mitmenschlichen und fachlichen Reflex
entsprechen und nicht vorwerfbar sein. Vgl. vorne bei
und mit Fn. 105.
139 Ratzel/Luxenburger/Kaiser, HB-Med. Recht, § 3
Rz. 502 ff. und 519 f.; Quaas/Zuck, § 68 Rz. 176;
Deutsch/Spickhoff, 440.
140 Ratzel/Luxenburger/Kaiser, HB-Med. Recht, § 3
Rz. 502 ff. und 519 f.; a. A. Schreiber, 496, Mündlichkeit
genügt nicht; Rudolf/Bittler/Roth, 72, aus Beweis­
gründen braucht es Schriftlichkeit; Reusser, 22, der zu
einem früheren Zeitpunkt mündlich geäusserte Wille
eines Patienten wird einbezogen, falls es dafür Zeugen
gibt.
141 Ratzel/Luxenburger/Kaiser, HB-Med. Recht, § 13
Rz. 520; Quaas/Zuck, § 68 Rz. 176; Wassem, 79 ff.
Pflegerecht – Pflegewissenschaft 19
10.03.16 13:53
W IS SENS CH A F T
1| 16
subjektiven Willen des Hospitalisierten zum Ausdruck
zu bringen und nicht denjenigen anderer Personen
oder etwa des behandelnden Arztes,142 bzw. es wäre
das explizite Commitment des Patienten erwünscht,
inwiefern dem Behandlungsteam in Würdigung der
konkreten Umstände ein Ermessen verbleiben soll
(um z. B. neuere Entwicklungen zu berücksichtigen).
Idealerweise sollte die Patientenverfügung regel­
mässig aktualisiert werden, doch kann zur Länge des
Intervalls nicht sinnvoll eine allgemeine Aussage
gemacht werden, da zu vieles von der gesundheitli­
chen Biografie des jeweiligen Patienten und der me­
dizinischen Entwicklung und weiteren exogenen
Faktoren abhängt.143 Der Widerspruch, dass Juristen
einen klaren, bindenden Willen in gesetzlicher Form
wollen, während medizinisch Behandelnde eher die
konkrete Situation in den Vordergrund stellen und
situationsadäquat (aber selbstverständlich unter
Würdigung einer bekannten Patientenverfügung)
entscheiden würden, liegt etwas «in der Natur der
Sache», nämlich der unterschiedlichen Perspektive
der beiden Berufsfelder: Hier Willensdurchsetzung
bezüglich des rechtlichen Konstrukts (nämlich des
juristisch formulierten Behandlungswunsches), dort
Willensdurchsetzung bezüglich der mutmasslichen
Behandlungsbereitschaft nach best practice in einer
gegebenen Situation. Unterschiedliche Wertungen
im Rahmen der Auslegung144 sind damit program­
miert, aber Interdisziplinarität gebietet, diese verschie­
denen Wertungsperspektiven auszuhalten und auszuta­
rieren: Die beiden Perspektiven haben sich in Respekt
zu begegnen, und es ist nicht eine vorrangig.
C.
Mängel
Eine Patientenverfügung, welche nicht dem Willen
ihres Verfassers entspricht bzw. eben nicht dem Pa­
tientenwillen, ist ungültig. Bestehen für Ärzte be­
gründete und berechtigte Zweifel, dass dem so ist, so
dürfen sie sich von dieser distanzieren bzw. haben
den Versuch anamnestischer Klärung der Gegeben­
142 Meier, 20, ein Teil der Befragten aus der Ärzteschaft ist
der Meinung, eine «offen formulierte Patientenverfü­
gung» lasse sich besser umsetzen als eine «differenziert
formulierte Patientenverfügung»; Pfändler, plädoyer
2007, 32, ist ein Befürworter der differenzierten und
präzisen Patientenverfügung.
143 Jox/Hessler/Borasio, Nervenarzt 2008, 733, sinnvoll
für eine Aktualisierung wäre nach dieser Auffassung ein
Zeitabstand von zwei Jahren; Ratzel/Luxenburger/
Kaiser, HB-Med. Recht, § 13 Rz. 521 ff.; Reusser, 26,
nur in «regelmässigen Abständen». Die Gefahr besteht,
dass die Erklärung jährlich mit der Steuererklärung ein­
zureichen ist, was deren «Beliebtheit» weiter steigern,
aber Periodizität gewährleisten würde
144 S. dazu sogleich unter lit. d.
20 Pflegerecht – Pflegewissenschaft
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heiten zu unternehmen. Auch wenn eine Person zum
Zeitpunkt der Abfassung der Patientenverfügung
urteilsunfähig war, erlangt diese keine Gültigkeit
mehr.145 Eine Patientenverfügung ist für Ärzte nicht
bindend, wenn bei ihrer Abfassung der Patient von
therapeutischen Massnahmen keine Kenntnis hatte
oder haben konnte, weil es zum damaligen Zeitpunkt
eine Behandlungsmethode z. B. noch nicht gab; ent­
sprechend des mutmasslichen Willens, hätte er, hät­
te er davon gewusst, möglicherweise anders entschie­
den.146 Und auch die an der Grenze der Urteilsfähig­
keit verfasste Patientenverfügung ist immerhin ein
Indiz.
Die Formvorschrift von Art. 371 ZGB hat mithin
primär Ordnungs- und Beweisfunktion – weiterhin
soll aber trotz heutiger gesetzlicher Form eine be­
kannte, unmissverständliche, der Situation entspre­
chende formmangelhafte Patientenverfügung beach­
tet werden. (Diese Meinung dürfte in der juristischen
Doktrin klar die Minderheitsposition sein, doch
­besteht kein Anlass, für persönlichkeitsrechtliche An­
liegen in diesem Bereich quasitestamentliche Form­
vorschriften zu institutionalisieren, und ein Formu­
larvordruck – der zwar der einfachen Schriftform von
Art. 13 OR genügt – ist unter Umständen weniger
aussagekräftig.)
Ein Problem stellen sogenannte «lucida intervalla»
dar (die allerdings häufiger juristisch-dogmatisch
diskutiert werden, als dass sie in der Praxis nachweis­
bar wären). Eine Person, welche unter einer fortge­
schrittenen Form einer Demenz leidet, wird kaum
noch «lichte Momente» haben (wie etwa eine Remis­
sion), und es wäre natürlich auf ihre fassbaren Äusse­
rungen in einer solchen Phase nach Möglichkeit
abzustellen (auch wenn die Formschwelle kaum
­erreicht sein dürfte: Es geht um die Wahrung des
­persönlichkeitsrechtlichen [Nicht-]Behandlungs­
wun­sches).147 Allerdings wird man realistischerweise
jenen Stimmen folgen müssen, die darauf hinweisen,
dass im Falle einer wirklichen Demenz diese nicht
einfach wie ein Nachttischlämpchen ein- und aus­
geknipst wird; aber da auch die Urteilsfähigkeit nicht
einfach in ein Schwarz-Weiss-Schema eingefügt wer­
den kann, sondern das Absinken in den Nebel des
145 Rudolf/Bittler/Roth, 72 und 75; Baumgarten, 328;
Arter, ST 2007, 660. – Die Regel lautet klar und schein­
bar eindeutig – indes: Wie verhält es sich mit der Ur­
teilsfähigkeit, insbesondere bezüglich Wahrnehmung
höchstpersönlicher Belange? Vgl. die Relativierungen
durch BGE 133 I 58, vorne Fn. 94.
146Vgl. Schreiber, 497.
147 Zur physischen und medikamentösen Ruhigstellung
von Patienten, die sich alters- oder krankheitshalber in
Pflege befinden, nach schweizerischem und italieni­
schem Recht, vgl. Bellonzi, in: Jusletter 16. August
2010, Rz. 1 ff.
Stämpfli Verlag
10.03.16 13:53
Peter Breitschmid, Der nicht entscheidungsfähige Patient
1| 16
Vergessens graduell erfolgt, sind Schwankungen der
Befindlichkeit selbst im Tagesverlauf zu beobachten
und zu berücksichtigen und gegebenenfalls bezüg­
lich einzelner Vorkehren entsprechend konkret zu
dokumentieren, womit dann durchaus noch ver­
wertbare Äusserungen – gegebenenfalls auch bloss
«tatsächliche» Willensbekundungen – resultieren
können.148
D.
Bindungswirkung149
Betreffend die Bindungswirkung einer Patientenver­
fügung wurden unter dem früheren geltendem Recht
unterschiedliche Ansichten vertreten.150
Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung
gilt eine Patientenverfügung151 als bedeutsames Indiz
bei der Bestimmung eines mutmasslichen Patientenwil­
lens.152 Eine andere Gruppe hingegen war der Ansicht,
dass eine Patientenverfügung Bindungswirkung ha­
be.153 Ebenfalls wurde die Meinung vertreten, dass die
Verfügung als nicht verbindlich zu betrachten sei,
nämlich aufgrund unterschiedlicher Motive. Dem­
nach ist es denkbar, dass Patient/innen ihre Ansicht
ändern, von dem Augenblick an gerechnet, an dem
sie verfasst wurde, bis hin zu dem Tag, da die Patien­
tenverfügung Anwendung finden soll. Problematisch
erscheint zudem, wenn sie durch ihren Verfasser
148 Müller, 140, in Analogie zur Testierfähigkeit bei der
Errichtung eines Testaments im Zusammenhang mit
luciden Intervallen; Mitaftsis, International Journal
of Legal Medicine 1937, 128 f., lucide Intervalle aus ju­
ristischer und psychiatrischer Sicht; Petermann, Ur­
teilsfähigkeit, 44; Aebi-Müller, in: Jusletter 22. Sep­
tember 2014, Rz. 129 ff. sowie Sprecher, FamPra 2011,
280, zur kasuellen (vorübergehenden) sowie habituellen
(andauernden) Urteilsunfähigkeit, und Breitschmid,
■■■UF / BSK.
149 Mit Hinweisen: Breitschmid/Wittwer, in: Jusletter
31. Januar 2014, Rz. 30.
150 Ulsenheimer, § 132 Rz. 39.
151 Aebi-Müller, in: Jusletter 22. September 2014,
Rz. 165 ff., zur Auslegung der Patientenverfügung nach
dem Willensprinzip.
152 Rudolf/Bittler/Roth, 75 f.; Seelmann, SAeZ 2006,
101; Haas, 321; Reusser, 188 ff.; Manaï, 214; Deutsch/
Spickhoff, 440; Niethammer, 131 f.; Hoppler-Wyss,
465; Aebi-Müller, in: Jusletter 22. September 2014,
Rz. 132 ff. sowie Höfling/Schäfer, 83 (Tbl. 15), zu den
Kriterien zur Ermittlung des mutmasslichen Willens.
153 Rudolf/Bittler/Roth, 75 ff.; Seelmann, SAeZ 2006,
101; Baumgarten, 328; Pfändler, plädoyer 2007, 31;
Baumann-Hölzle/Strebel, 337; Gächter/Vollen­
weider, § 7 Rz. 608 ff.; Aebi-Müller, in: Jusletter
22. September 2014, Rz. 162 vertritt die Ansicht, dass
Art. 372 Abs. 2 ZGB, welcher besagt, dass der Arzt oder
die Ärztin einer Patientenverfügung zu entsprechen hat,
sich nicht nur auf den Arzt oder die Ärztin beschränkt,
sondern auch auf die weiteren Personen des Behand­
lungsteams.
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nicht mehr aktualisiert wurde.154 Der BGH vertritt die
Meinung, dass die «Patientenverfügung als Ausdruck
des fortwirkenden Selbstbestimmungsrechtes» Bin­
dungswirkung erzielt.155 Die Lösung ­gewisser theore­
tischer Widersprüchlichkeiten der vertretenen Posi­
tionen liegt unvermeidlich in der (unvermeidlichen!)
Auslegung der jeweiligen Patien­tenwünsche:156 Realis­
tisch ist von einem Spektrum von blossem «Wunsch»
bis zur unwiderruflichen «Bindung» auszugehen,
wobei die Äusserungen von Laien sowohl in ihrer
sprachlichen «Intensität» wie auch in der Bedeutung
einigermassen alltäglicher Begriffe (und ohnehin von
Fachbegriffen) durchaus missverständlich sein kön­
nen, auch wenn selbstverständlich der Wortlaut der
Ausgangspunkt ist. Eine gewisse Ermessensbandbrei­
te gilt m. E. selbst (und gerade) dort, wo der Patient
«Formulare» verwendet, da nicht zwingend Überein­
stimmung zwischen der Meinung des Formularverfassers
und dem Verständnis des Formularverwenders bestehen
muss; wo allerdings ein Vereinsmitglied ein vom Ver­
ein abgegebenes Formular verwendet, besteht natür­
lich ein sozusagen zwingender Anhaltspunkt (jeden­
falls dann, wenn die Vereinsmitgliedschaft nicht
einfach pro forma für einige Stunden bestanden hat­
te), dass sich der Pa­tient mit dem Inhalt weit intensi­
ver befasst hat (und identifiziert), als dort, wo Vorla­
gen aus Broschüren und Internet unter Umständen
eher zufällig verwendet werden.
E.
Widerruf
Unabhängig davon, welcher Form die Patientenver­
fügung unterliegt,157 kann sie bei Urteilsfähigkeit
jederzeit widerrufen werden, richtigerweise in rechts­
genüglicher Errichtungsform, indes durchaus auch
(beweisbar) mündlich (vgl. die ratio des mündlichen
154 BGH 17. 3. 2003, XII ZB 2/03; s. Rudolf/Bittler/Roth,
75; Aebi-Müller, in: Jusletter 22. September 2014,
Rz. 163 f. fügt an, dass eine Patientenverfügung dahin
gehend problematisch sein könnte, da sie in einer ge­
wissen Weise Art. 9 des Übereinkommens über Men­
schenrechte und Biomedizin widerspricht. Weiter ist
fragwürdig, ob der Patient bei Erstellung der Verfügung
fähig war, die vorherrschende Behandlungssituation
zu antizipieren. In der medizinischen Praxis stösst die
Verfügung zudem eher auf Ablehnung; Haas, 321,
spricht der Patientenverfügung die absolute Bindungs­
wirkung ab.
155 Rudolf/Bittler/Roth, 75 ff., insbesondere 78; AebiMüller, in: Jusletter 22. September 2014, Rz. 137 f., zu
den Besonderheiten bei Dringlichkeit einer medizini­
schen Massnahme.
156 Ohne dass das hier vertieft werden könnte, sei an die
Kontroverse um die Auslegung erbrechtlicher (testa­
mentarischer) Anordnungen erinnert: Vgl. mit weiteren
Hinweisen BSK ZGB II-Breitschmid, Art. 469 N 22 ff.
157 Vgl. Anm. 140.
Pflegerecht – Pflegewissenschaft 21
10.03.16 13:53
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1| 16
Nottestaments, Art. 506 ZGB mutatis mutandis).158
Grundsätzlich ist dies aber auch möglich durch Ver­
nichtung oder Aktualisierung (Art. 509 ff. ZGB).
Ohne Widerruf ist eine Patientenverfügung vermu­
tungsweise so lange als gültig zu betrachten, als sich
nicht durch exogene Faktoren eine clausula rebus sic
stantibus-Situation ergeben hat. Als ausreichend kön­
nen auch Gesten wie Augenzwinkern gegenüber dem
Pflegepersonal oder den Ärzten betrachtet werden,
wenn Patienten nicht mehr sprechen können, weil
sie z. B. an einer Broca-Aphasie159 leiden, aber durch
Kopfnicken sich durchaus ausdrücken können.160
F.
Zwischenergebnis
Individueller Befindlichkeit kann nur durch situatives
Eingehen auf das Individuum in seiner jeweiligen
konkreten individuellen Befindlichkeit wirklich ent­
sprochen werden. «Formulare» vermitteln da manch­
mal unter Umständen nur missverständliche An­
haltspunkte. Das ist nicht gegen Formulare, aber
gegen die Verabsolutierung einer fast «heiligen For­
mularphilie» gerichtet. Selbst nicht mehr im juristi­
schen Sinne Urteilsfähige können noch – ähnlich
Kleinstkindern – rein körperlich ihr Befinden signa­
lisieren, und Mitmenschlichkeit gebietet, nicht einfach
formularmässig, sondern empfindsam vorzugehen.
Man wird sich dabei auch hüten müssen, allzu
apodiktisch die Urteilsfähigkeit für den Zeitpunkt der
Abfassung der Patientenverfügung zu bejahen bzw.
den Zustand im Zeitpunkt der Umsetzung der Pa­
tientenverfügung dem Bereich der Urteilsunfähig­
keit zuzuordnen: Die Übergänge sind bekanntlich
fliessend,161 die Urteilsfähigkeit ist relativ, und mög­
158 Im Falle, dass der Patient die Patientenverfügung form­
los widerruft, besteht die Gefahr, dass der behandelnde
Arzt nicht in Kenntnis gesetzt wird oder diesen Wider­
ruf aufgrund der Beweislast nicht respektieren kann
(vgl. Aebi-Müller, in: Jusletter 22. September 2014,
Rz. 157; s. ferner vorne Fn. 138 m. Hw.).
159 Bei der Broca-Aphasie bleibt, im Gegensatz zur Werni­
cke-Aphasie, das Sprachverständnis relativ gut erhalten,
aber häufig fehlt der Wortschatz, und es kommt zu
Wortfindungsstörungen (auch Telegrammstil). Bei der
Wernicke-Aphasie ist es umgekehrt. Diese Patienten
­haben keine Mühe mit Sprechen, reden aber häufig
ohne Zusammenhang, abrufbar unter: <http://www.
ims.uni-stuttgart.de/phonetik/joerg/sgtutorial/broca.
html> (letztmals abgerufen am 14. 11. 2015); Kerschen­
steiner et al., Journal of Neurology 2004, 223 ff., zur
Broca-Aphasie.
160 Rudolf/Bittler/Roth, 75; Ulsenheimer, § 132 Rz. 41.
161 Im erbrechtlichen Zusammenhang (bzgl. Testierfähig­
keit) hatte ich dies mit dem Titel «Die Urteilsunfähigkeit
des Urteilsfähigen und die Urteilsfähigkeit des Urteils­
unfähigen – Thesen zur Urteilsfähigkeit aus rechtlicher
Sicht» (vgl. Breitschmid, Thesen) zu umreissen ver­
sucht: Es besteht die Gefahr, Urteilsfähige mit Blick auf
22 Pflegerecht – Pflegewissenschaft
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licherweise fehlt zwar die Urteilsfähigkeit, um zu
komplexen Behandlungsalternativen einen informed
consent zu erteilen oder zu verweigern, aber der Pa­
tient vermag noch klar zu erkennen geben, dass er
auf gewisse Linderung hofft, oder zu signalisieren,
dass er sich konkreten Behandlungsschritten entzie­
hen möchte.
Selbstverständlich sind Patientenverfügungen
ernst zu nehmen – es geht hier um eine wichtige und
zentrale Errungenschaft des neuen Rechts. Aber das
neue Recht will Autonomie und Individualität för­
dern und nicht systematisierter, billiger Formular­
frömmigkeit huldigen, weshalb «Formulare» selbst­
verständlich uneingeschränkt ernst zu nehmen sind,
ebenso aber die «ausserformularmässigen» Anhalts­
punkte in den jeweiligen Behandlungsphasen. Man
hatte sich möglicherweise vom «neuen Recht» die
Lösung aller Probleme erhofft; indes macht die dif­
ferenzierende Ordnung nur Sinn, wenn nun nicht
statt dominanten ärztlichen Paternalismus die Ver­
sklavung und Behaftung auf früheren «autonomen»
Äusserungen zu pauschaliert-formularkonformer
(Nicht-)Behandlung folgt.162 Man muss sich bewusst
sein und bleiben, dass die Suche nach dem effektiven
persönlichen Willen und das Abwägen der medizi­
nischen Optionen und der technischen und finan­
ziellen Möglichkeiten im Behandlungszeitpunkt
eher selten zu einer eindeutigen, «berechenbaren»
Lösung führt, sondern dass oft ein Spektrum von Lö­
sungen resultieren wird, und die konkrete Behand­
lung unter Berücksichtigung breiterer Entscheidkri­
terien abgewogen werden muss. Das ist mit nicht
unbeträchtlichem Aufwand und Engagement ver­
bunden – DRG fördert indes nicht das Denken und
Abwägen, sondern das Abarbeiten von punkterele­
vanten Formularkatalogen und Checklists.
G.
Exkurs: der nicht (mehr)
­entscheidungsfähige Patient
Wird der Titel des Beitrags zum Untertitel eines Ex­
kurses, zeigt sich, dass die Fragestellung in einen brei­
kaum Prognostizierbares und Belastendes zu überfor­
dern, und Urteilsunfähige bezüglich emotional durch­
aus erfassbarer Belange durch eine allzu sachliche
­Betrachtung zu ignorieren. Skeptisch gegenüber der
Wahrung von Autonomie durch Angehörige m. E. zu
Recht auch Lipp/Brauer, 226 f.: «Die Beteiligung von
Familienangehörigen am Entscheidungsfindungspro­
zess dient der Absicherung der Autonomie des Einzel­
nen. Warum aber gerade Familienangehörige als Garan­
ten für die Autonomie des Betroffenen fungieren bzw.
fungieren sollen, ist bis jetzt nicht beantwortet.»
162 Vgl. dazu nun Bobbert Monika, Patientenverfügung
zwischen Antizipation, Selbstbestimmung und Selbst­
diskriminierung, in: Jusletter 25. Januar 2016.
Stämpfli Verlag
10.03.16 13:53
Peter Breitschmid, Der nicht entscheidungsfähige Patient
1| 16
tern Kontext einzubetten war. Hauptanwendungsfall
eines nicht entscheidungsfähigen Patienten ist wohl
(nur), wer als Patient in einem Zustand in ein Spital
eingeliefert wird, in dem er nicht mehr ansprechbar
oder fähig ist, in eine Behandlung einzuwilligen (Un­
fall bzw. entsprechende unfallbedingte Verletzun­
gen, Koma, Verwirrtheit, Bewusstlosigkeit, Schock­
zustand, psychische Ausnahmezustände usw.):163
Wie kann das Recht auf Selbstbestimmung beim
urteilsunfähigen Patienten gewährleistet werden? In
der Schweiz muss der Patient von seinem Arzt einer­
seits über eine Heilbehandlung hinreichend auf­
geklärt werden, in einem weiteren Schritt ist seine
Einwilligung nötig, damit der Mediziner ihn behan­
deln darf. An die Stelle des so gebildeten «informed
consent»164 treten bei Behandlungsbedürftigkeit trotz
Urteilsunfähigkeit sogenannte «Willenssurrogate»,
nämlich:165
−− Eine Möglichkeit bieten erwachsenenschutzrechtli­
che Massnahmen. Ein Beistand oder Angehörige
haben zu entscheiden, je nachdem ob eine kon­
fliktuelle (Art. 373 und 376 ZGB) oder eine zwi­
schenmenschlich unproblematische Situation mit
Beistandsleistung besteht (Art. 377 ff. ZGB). Ne­
benbei: Wie ist im Einzelfall diese Differenzierung
in Patchwork- und beziehungsmässigen «Über­
gangsstadien» zu treffen?166
−− Weiter denkbar ist das Handeln aufgrund des mut­
masslichen Willens des Patienten (Art. 372 und
Art. 377 ZGB). Bei einem urteilsunfähigen Men­
163 Marti, 1 ff., zum Behandlungsspektrum einer chirur­
gischen Notfallstation in der Schweiz.
164 Roggo, 76; Schnell, 23 f.; Ritzenthaler-Spielmann,
Therapeutische Umschau 2009, 585; Baumann-Hölz­
le, 73.
165 Zu den einzelnen nachfolgenden Willenssurrogaten:
Seelmann, SAeZ 2006, 101; Schweizerische Akademie
medizinischer Wissenschaften SAMW, Medizinischethische Richtlinie der SAMW zum Recht der Patientin­
nen und Patienten auf Selbstbestimmung (2005, jedoch
zurückgezogen durch den Senat am 29. 11. 2012), v. a. zu
2: Nicht urteilsfähiger Patient. Am 1. November 2008
trat für die Schweiz die Biomedizinkonvention in Kraft.
In Art. 6 wird dabei der Schutz einwilligungsunfähiger
Personen vorgesehen. Gemäss Art. 1 Abs. 2 lit. a des Bun­
desbeschlusses über die Genehmigung des Überein­
kommens über Menschenrechte und Biomedizin vom
20. März 2008 (AS 2008, 5125) wurde zu Art. 6 Abs. 3
der Biomedizinkonvention ein Vorbehalt angebracht
und auf die kantonale Gesetzgebung verwiesen; Ber­
ger/Haarhoff, 140, grundsätzlich sind Art. 5–9 der
Biomedizinkonvention von grosser Bedeutung. Nach
Art. 5 der Konvention ist die Einwilligung des Patienten
unverzichtbar. Gemäss Art. 9 ist eine Patientenverfü­
gung eines von einem Arzt aufgeklärten Patienten gül­
tig; vgl. auch Federspiel, 23; Steffen/Guillod, 351 ff.
und 359 ff., ein Landesbericht aus der Schweiz zur Bio­
medizinkonvention.
166 S. die ebenfalls skeptischen Hinweise in Fn. 161 und 162.
Stämpfli Verlag
WI_Breitschmid_Nicht_entscheidungsfaehiger_Patient.indd 23
schen stellt sich die Frage, was er bei vollem Be­
wusstsein gewollt hätte. Die Patientenverfügung
gilt je nach Lehrmeinung als ein wichtiges Indiz
für den mutmasslichen Willen eines Patienten –
­diesen zu ermitteln ist Teil des (fremd)anamnesti­
schen Vorgehens im sozialen Umfeld.
−− Zuletzt stellt sich die Frage nach dem objektiven
Interesse eines Patienten. Es gilt, sich an einem
­«objektivierten Menschenwohl» zu orientieren, das
natürlich gleichermassen diffus bleibt wie das
­bekanntere Kindeswohl (Art. 301 Abs. 1 ZGB).167
Zu erinnern ist auch an das Abwehrrecht jedes Men­
schen. Er darf eine Erkrankung so leben, wie er es
gerne möchte. Patienten dürfen auch eine Behand­
lung ablehnen,168 was indes im Falle (somatischer)
dringlicher Behandlungsbedürftigkeit oft zum Vorn­
herein ausscheiden dürfte. Realistisch gesprochen
könnte man hier – wenn auch vielleicht etwas über­
spitzt – durchaus von einer somatischen Zwangsbe­
handlung sprechen; die Absicht hinter dieser Formu­
lierung ist keinesfalls, diese lege artis durchgeführte
somatische Zwangsbehandlung zu stigmatisieren,
sondern die (typischerweise im psychiatrischen Be­
reich stigmatisierte) Zwangsbehandlung insoweit zu
entstigmatisieren (s. dazu im übrigen unten lit. H),
als ein strikt patientenzentriertes Vorgehen unter
gewissen, restriktiven Voraussetzungen durchaus ein
mitmenschliches und damit medizinisch-ethisches
Gebot sein kann – weniger der motivierende Zwang
als die mangelnde (auch empathische) Qualität
der gegen den vordergründigen Willen von Patien­
ten vorgenommenen Behandlungsschritte irritiert,
denn grundsätzlich tendiert der Mensch zu einem Zu­
stand der Gesundheit, sofern er sich nicht gegen das
Ende seiner Lebensspanne hin zum Tode hingezogen
fühlt.
H. Zusammenfassend:
Was gilt wirklich unter dem
Erwachsenenschutzrecht?169
Bundesrechtlich ist es möglich, verbindlich medizi­
nische Behandlungs- oder Nichtbehandlungsanord­
nungen zu treffen und einer natürlichen Person ein
Vertretungsrecht einzuräumen, welche befugt ist,
den Kranken bei vorliegender Urteilsunfähigkeit
167Vgl. Aebi-Müller, in: Jusletter 22. September 2014,
Rz. 136, zu den objektiven Interessen des Patienten im
Einzelnen.
168 Albers, MedR 2007, 140.
169 Vgl. die einschlägigen Kommentare zu Art. 370 ff. ZGB.
Pflegerecht – Pflegewissenschaft 23
10.03.16 13:53
W IS SENS CH A F T
1| 16
nach aussen hin zu vertreten und medizinische
Massnahmen anzuordnen (Art. 370 ff. und 372
ZGB).170 Ebenfalls gibt es als Möglichkeit den Eintrag
der Patientenverfügung in der Karte des Krankenver­
sicherers (Art. 371 Abs. 2 ZGB).171 Verfasser tragen
selbst die Verantwortung, wie die Ärzteschaft und
das Pflegefachpersonal von der Patientenverfügung
Kenntnis erlangen, z. B. indem der Aufbewahrungs­
ort auf der Karte eingetragen wird. Auch urteilsfähi­
ge Minderjährige können eine Patientenverfügung
gültig verfassen, denn die Handlungsfähigkeit ist
keine Voraussetzung, einzig die Urteilsfähigkeit.172
Der Inhalt der Verfügung hat sich im gesetzlichen
Rahmen zu bewegen.173
Gemäss dem Erwachsenenschutzrecht ist die Pa­
tientenverfügung schriftlich zu errichten, mit dem
aktuellen Datum zu versehen und von der Verfasse­
rin bzw. vom Verfasser zu unterzeichnen (Art. 371
ZGB).174 Für den Widerruf ist ebenfalls die Schrift­
lichkeit vorgesehen. Dieser ist jederzeit möglich.
Grundsätzlich gelten analog die Bestimmungen des
Vorsorgeauftrages,175 doch bleibt zu bedenken, was
soeben unter lit. B ausgeführt worden ist.
Bestehen Hinweise, dass die Anliegen nicht be­
rücksichtigt werden (können), so kann die mit der
Vertretung in medizinischen Angelegenheiten be­
traute Person die Erwachsenenschutzbehörde ein­
schalten (Art. 373 und 368 ZGB).176 Diese hat jedoch
keine Möglichkeit, in einem wie oben beschriebenen
Fall der Zeugen Jehovas einzuschreiten, wenn der
Ehegatte einer Blutübertragung im «objektiven Inte­
resse des Patienten» zugestimmt hat. Damit dürfte
170 Pfändler, plädoyer 2007, 31; Affolter, AJP/PJA 2006,
1061; Haas, 126; Häfeli, FamPra.ch 2007, 5; Minger,
ZKE 2010, 21 ff., zur Haftung der Erwachsenenschutz­
organe im Erwachsenenschutzrecht.
171 Fankhauser, BJM 2010, 251.
172 Botschaft des Bundesrates zur Änderung des schweize­
rischen Zivilgesetzbuches (Erwachsenenschutz, Perso­
nenrecht und Kindsrecht) vom 28. Juni 2006, BBl 2006,
7001 ff., 7031 f. (Gesetzesentwurf 7139 ff. sowie die de­
finitive Fassung vom 19. Dezember 2008 in BBl 2009,
141 ff.); vgl. auch Fn. 107.
173 Vgl. Medizinisch-ethische Richtlinie der SAMW zu Pa­
tientenverfügungen (2009, aktualisiert 2012), 7, abruf­
bar unter: <http://www.samw.ch/de/Ethik/Richtlinien/
Aktuell-gueltige-Richtlinien.html> (letztmals abgeru­
fen am 14. 11. 2015).
174 Häfeli, FamPra.ch 2007, 5; Jossen, 194.
175 Arter, ST 2007, 558 ff.; Affolter, AJP/PJA 2006, 1060 f.
176 Botschaft des Bundesrates zur Änderung des schweize­
rischen Zivilgesetzbuches (Erwachsenenschutz, Perso­
nenrecht und Kindsrecht) vom 28. Juni 2006, BBl 2006,
7001 ff., 7031 (Gesetzesentwurf, 7139 ff., sowie die de­
finitive Fassung vom 19. Dezember 2008 in BBl 2009,
141 ff.); Breitschmid/Wittwer, in: Jusletter 31. Ja­nuar
2011, Rz. 27.
24 Pflegerecht – Pflegewissenschaft
WI_Breitschmid_Nicht_entscheidungsfaehiger_Patient.indd 24
wohl dem mutmasslichen Willen des Patienten nicht
entsprochen werden.177
Die Patientenverfügung ist bei einem urteilsunfä­
higen psychisch Kranken, der sich mittels einer fürsor­
gerischen Unterbringung in einer Einrichtung befindet
(Art. 433 und 435 ZGB) im Rahmen des Erwachse­
nenschutzrechts zwar nur wenn möglich zu beach­
ten («zu berücksichtigen». Art. 433 Abs. 3 ZGB) und
in den Behandlungsplan zu integrieren. Prinzipiell
muss die Verfügung nicht zwingend berücksichtigt
werden. Demnach ist sie in einer Notfallsituation von
untergeordneter Bedeutung (Art. 379 ZGB),178 doch
muss es Ziel jedes Behandlungsplans (Art. 433 ZGB)
sein, sich anbahnende Notfallsituationen möglichst
frühzeitig zu erkennen und dadurch zu vermeiden
oder zumindest abzufedern. Die Ausnahmeklausel
ändert nichts daran, dass der Autonomievorrang
grundsätzlich eine Tendenz zur Orientierung an der
Patientenverfügung gebietet.
I.
Rechtsvergleichender Flash:
das österreichische Patienten­
verfügungsgesetz
Das Patientenverfügungsgesetz (PatVG) trat am
1. Juni 2006 in Österreich in Kraft mit dem Ziel, mehr
Transparenz für den Arzt und den Patienten zu errei­
chen. Ebenso wurde die Patientenverfügung durch
das Gesetz als für das medizinische Personal verbind­
lich erklärt.179
Die österreichische Patientenverfügung hat nach
dem PatVG die Schriftform einzuhalten. Aus ihr
muss hervorgehen, dass der Verfasser die Folgen des
177 Geth/Mona, ZSR 2009, 178; vgl. Anm. 135, zu den Zeu­
gen Jehovas. – Auch einem Exponenten einer Religions­
gemeinschaft dürfte die Aktivlegitimation abgehen, um
die zuständige KESB zu einem Einschreiten gegen die
Anliegen des vertrauten sozialen Umfelds zu bewegen,
da nicht nur Patientenverfügungen, sondern auch reli­
giöse Bekenntnisse abänderbar sind.
178 Affolter, AJP/PJA 2006, 1066; Affolter, plädoyer
2007, 23; Botschaft des Bundesrates zur Änderung
des schweizerischen Zivilgesetzbuches (Erwachsenen­
schutz, Personenrecht und Kindsrecht) vom 28. Juni
2006, BBl 2006, 7001 ff., 7034 (Gesetzesentwurf 7139 ff.
sowie die definitive Fassung vom 19. Dezember 2008 in
BBl 2009, 141 ff.); Breitschmid/Wittwer, in: Jusletter
31. Januar 2011, Rz. 28; CHK-Breitschmid/Matt/
Pfannkuchen-Heeb, Art. 433 ZGB N 4 und Art. 434
ZGB N 4. Massgebend sind auch die SAMW-Richtlinien
zu «Zwangsmassnahmen in der Medizin», Fassung vom
19. November 2015.
179 Das österreichische Patientenverfügungsgesetz ist ab­
rufbar unter: <http://www.ris.bka.gv.at> (letztmals ab­
gerufen am 12. 11. 2015).
Stämpfli Verlag
10.03.16 13:53
Peter Breitschmid, Der nicht entscheidungsfähige Patient
1| 16
Inhaltes abschätzen konnte und sich in der Zwi­
schenzeit nicht davon distanziert hat (§ 4 PatVG).
Eine weitere Voraussetzung ist, dass ein ärztliches
Testat beiliegen muss, welches bestätigt, dass der
­Autor der Patientenverfügung bei ihrer Erstellung
einsichts- und urteilsfähig war sowie dass er durch
den Arzt aufgeklärt wurde (§ 5 PatVG). Weiter wird
die Errichtung der Patientenverfügung vor einem
Rechtsanwalt, Notar oder Juristen verlangt (§ 6
PatVG). Sie ist maximal fünf Jahre gültig und muss
danach aktualisiert werden (§ 7 PatVG).180 Durch die­
se eher strengen Formvorschriften wird einem Arzt
praktisch keine Möglichkeit mehr geboten, vom
«vorgegebenen» Patientenwillen abzuweichen. Ein
Spielraum ist hier kaum mehr möglich. Formale Gül­
tigkeitserfordernisse schränken zudem die Willens­
umsetzung ein: So kann z. B. ein ärztliches Testat
(wird an diesem Erfordernis festgehalten, das unter
gewissen Umständen sinnvoll sein kann) auch nach­
träglich beigebracht werden.
Zum österreichischen Patientenverfügungsgesetz
sind mithin kritische Bemerkungen anzubringen.181
Ob die Patientenverfügung in einem selbstständigen
Gesetz geregelt werden soll, scheint Ermessensfrage,
erschwert aber den Überblick über die gesetzliche
Ordnung und deren Kohärenz. Schriftform und die
beschränkte Gültigkeitsdauer von fünf Jahren sind
mit unserer Patientenverfügung vergleichbar. Was
den Beobachter wohl eher stutzig machen dürfte,
sind die strengen Formvorschriften, vom Testat des
Arztes bis hin zur «öffentlichen Beurkundung». Was
damit bewiesen und erreicht werden soll, ist zweifel­
haft und der Nutzen fraglich.
J.
Fazit
Grundsätzlich wurde durch das Institut der Patien­
tenverfügung den verschiedenen Lehrmeinungen
über die Bindungswirkung der Patientenverfügung
(weitgehend …) ein Ende gesetzt. Gewisse Unschär­
fen und «Grauschleier» verschwinden allerdings
nicht von heute auf morgen durch Federstrich des
Gesetzgebers. Es soll mit dem Gesetz auf Bundesebe­
ne für das medizinische Personal und all jene, die mit
der Patientenverfügung zu tun haben und sich mit
ihr beschäftigen, mehr Transparenz und Sicherheit
geschaffen werden. Nach wie vor sind aber Krankheit
und Tod von gewissen Irrationalitäten umgeben und
ein Ausnahmezustand im Leben. Dieses Problem
lässt sich mit keinem Gesetz lösen und dürfte weiter­
180 Bachinger, 97 ff. und 102.
181 Bachinger, 97 ff.
Stämpfli Verlag
WI_Breitschmid_Nicht_entscheidungsfaehiger_Patient.indd 25
hin Diskussionen um die «Verbindlichkeit» nach sich
ziehen.182
Die Erwähnung der Patientenverfügung auf der
Versichertenkarte erscheint als logischer Schachzug
und auch sinnvoll. Denn beim Eintritt in eine Insti­
tution nach Wahl soll diese Information ja auch den
betreffenden betreuenden und behandelnden Perso­
nen zur Verfügung stehen, ansonsten die Patienten­
verfügung wenig Sinn ergibt. Über den Weg, wie
dieser Datenaustausch erfolgt, mag gestritten wer­
den. Entscheidend ist, dass die Information fliesst,
aber auch das Bewusstsein für eine mögliche Entwick­
lung des persönlichen Meinungsstandes des Patien­
ten erhalten bleibt.
Dass der Inhalt der Patientenverfügung frei gestal­
tet werden kann, ist so lange zweckmässig, als die
gewünschten medizinischen Massnahmen realis­
tisch ausgestaltet sind und «Bodenhaftung» aufwei­
sen. Nicht erfüllbar werden künftig wohl mit «Hotel­
leriewünschen» ausgestaltete Patientenverfügungen
sein, oder solche, die einfach an unrealistische Er­
wartungen geknüpft sind. Wo die Grenzen zu ziehen
sind, muss die weitere Entwicklung von Möglichkei­
ten und Kosten zeigen. Ebenso kann die freie Gestal­
tung des Lebens und Sterbens durch die Patienten­
verfügung in der besonderen Situation der Unfreiheit
eingeschränkt sein. Das Thema ist im Zusammen­
hang mit den Fällen des Babyquälers René Osterwal­
der183 und des Hanfbauers Rappaz breit diskutiert
worden, liegt aber ausserhalb des vorliegenden Bei­
trags. Es ist allerdings festzustellen, dass die Mühsal
des Strafvollzugs auf die freie Willensbildung in einer
Art Einfluss nimmt, die auch aus grund- und zivil­
rechtlicher Betrachtungsweise Zweifel an der Urteils­
fähigkeit nicht unbegründet erscheinen lässt.184
Schon Osterwalder hatte sich auf die SAMWRichtlinien berufen.185 Zwar besteht unter straf(voll­
zugs)rechtlichen Gesichtspunkten sowie nach Art. 3
EMRK keine Pflicht zur Zwangsernährung eines
schuld- sowie urteilsfähigen Menschen,186 doch
bleibt die Entwicklung der Urteilsfähigkeit im Ver­
182 Dreyer/Stadt Zürich/Altersheime (Hrsg.), 21 ff., ob der
Mensch in besagter Situation nicht anders reagiert als
er zuvor dachte?; Gächter/Büchler, 107 ff., der ster­
bende Patient; Näf, Krankenpflege 2011, 13.
183 Der Fall von Osterwalder findet sich auch in: Breit­
schmid/Wittwer, in: Jusletter 31. Januar 2011, Rz. 52 f.
184 Vgl. dazu den Beitrag Breitschmid, Urteilsfähigkeit,
143 ff.
185 Osterwalder berief sich auf die medizinisch-ethische
Richtlinie der SAMW zum Recht der Patientinnen und
Patienten auf Selbstbestimmung (2005, jedoch zurück­
gezogen durch den Senat am 29. 11. 2012); «Osterwalder
im Hungerstreik», Tages-Anzeiger vom 11. Juli 2009, 11.
186 Trechsel/Fingerhuth, STGB-PK, Art. 115 StGB N 5;
Stratenwerth/Wohlers, STGB-HK, Art. 74 StGB N 1,
zur Zwangsernährung.
Pflegerecht – Pflegewissenschaft 25
10.03.16 13:53
W IS SENS CH A F T
1| 16
lauf des Haftprozederes offen.187 Als Motive hierfür
können die Fürsorgepflicht des Gefängnisses als In­
stitution einerseits und die SAMW-Richtlinie als
­soft-law andererseits angeführt werden,188 die eine
Zwangsernährung von «nicht entscheidungsfähi­
gen» inhaftierten Menschen in bestimmten Situa­
tionen189 untersagen, sowie Strafvollzugsgrundsätze
vonseiten des Europarats i. V. m. Bestimmungen der
EMRK und einzelnen verfassungsrechtlichen Nor­
men, welche eine Zwangsernährung nicht ausschlies­
sen. Dadurch handelt es sich bei einer Zwangsernäh­
rung im Strafvollzug aus rechtlicher Sicht um eine
«Grauzone».190 Zwischenzeitlich hat das höchste
Gericht der Schweiz im Fall von Rappaz einen kont­
rovers diskutierten Entscheid getroffen. Das Bundes­
gericht hielt fest, dass sich der Staat nicht erpressen
lassen dürfe und ein Unterbruch des Strafvollzuges
nicht gerechtfertigt sei. Vielmehr sei der Staat ver­
pflichtet, den Strafvollzug zu vollziehen, damit die
Strafe nicht ihren Sinn und Zweck verliere. Damit
wurde der Weg frei für eine Zwangsernährung im
Strafvollzug. Es bleibt die Frage, ob sich Ärzte (bzw.
Verfahren) finden lassen, die ermöglichen, den Ent­
scheid des höchsten Gerichtes in menschenwürdiger
Weise in die Tat umzusetzen. Gerade die FMH hatte
das Urteil scharf kritisiert und sich auf die Richt­li­
nien der SAMW berufen, die allerdings der besonde­
ren Situation des Strafvollzugs kaum Rechnung tragen.
Zudem dürfte weiterhin Bedarf an einem Rahmen­
gesetz auf Bundesebene bestehen, denn einzig die
Kantone Bern, Zürich und Neuenburg haben die
Zwangsernährung bis heute gesetzlich geregelt.191
187 «Osterwalder wird nach Bern verlegt und zwangser­
nährt», abrufbar unter: <http://www.nzz.ch/nachrich­
ten/panorama/osterwalder_hungerstreik_inselspital_
1.3380708.html?printview=true> (letztmals abgerufen
am 14. 11. 2015).
188 Medizinisch-ethische Richtlinie der SAMW zur Aus­
übung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen
(2002, aktualisiert 2012, Anhang Lit. G ergänzt 2015),
abrufbar unter: <http://www.samw.ch/de/Ethik/Richt­
linien/Aktuell-gueltige-Richtlinien.html>, vgl. Ziff. 9;
vgl. Rüetschi, 1222 ff. zur rechtlichen Verbindlichkeit
der medizinisch-ethischen Richtlinien der SAMW.
189 Z. B. wenn zu einem Zeitpunkt der Urteilsfähigkeit eine
gültige Patientenverfügung verfasst wurde im Zusam­
menhang mit einem Sterbewunsch.
190 Tag, 17 f., zur Zwangsernährung im Strafvollzug; Maus­
bach, Podiumsdiskussion, 428 f.; Mausbach, Diss.,
212 ff., zum Hungerstreik; Tag, forum poenale 2011,
153 ff., mit Bemerkungen zum Bundesgerichtsentscheid
vom 16. November 2010, Fall «Rappaz».
191 BGE 6B_599/2010, 26. August 2010; Diethelm Ri­
chard, Rappaz soll notfalls zwangsernährt werden,
Tages-Anzeiger vom 27. August 2010, 1 und 3; Brägger,
in: Jusletter 16. August 2010, Rz. 1 ff.; Tag, forum poe­
nale 2011, 155. Nach dem Wesen der SAMW-Richtlinien
als zwar fachlichem, aber doch nicht staatlichem soft
law scheint mir ihre Tragweite im Rahmen intramuraler
Medizin doch eingeschränkt.
26 Pflegerecht – Pflegewissenschaft
WI_Breitschmid_Nicht_entscheidungsfaehiger_Patient.indd 26
VII. Folgerungen
Abschliessend sei angemerkt, dass nicht «das Juris­
tische» den Kern der Sache ausmacht, sondern le­
diglich Begleiterscheinung in Krisenfällen bzw.
­Monitoring am Rande ist: Im Rahmen juristischer
Kontrollprozesse im präventiven (Gesetzgebung bzw.
Richtlinien staatlicher wie privater Stellen) wie
«­repressiven»/kurativen Bereich (Nachkontrolle prob­
lematischer Verläufe durch Ombudsstellen, Gerichte,
behördeninterne Supervision etc.) wäre stärker der
sachbezogene, wenn auch kontroverse Diskurs zu
pflegen als sozusagen eine Haftungsperspektive ein­
zunehmen.192 Ethische Grenzfragen entziehen sich
teilweise der gesetzlichen, generell-abstrakten Nor­
mierung und erfordern eine reflektierte Umsetzung
(unter Umständen haben auch Ärzte – wie Gerichte –
nach der Methode des Gesetzgebers im Sinne von
Art. 1 Abs. 2 und 3 ZGB Regeln zu bilden). Reflektier­
te Umsetzung erfordert Zeit, Information, gegebenen­
falls auch Unterstützung in der Entscheidfindung.
Entscheiden bedeutet allerdings immer auch, eine
Diskussion abzuschliessen, ein bestimmtes Vorgehen
zu wählen und diesen Behandlungsansatz in fach­
lich-kritischer Art weiterzuführen. Medizinische
­Behandlung (und Nichtbehandlung) ist eine biogra­
fische Wegmarke, und die unbehandelte Lungenent­
zündung193 Höchstbetagter leitet über zum Endpunkt
des von Art. 31 ZGB gesetzten Lebensrahmens.
Letztlich soll ein solches «Papier» wie das vorlie­
gende nicht als «Schulbuch» vorgeben, was «richtig»
oder «falsch» ist: «Schule» soll anregen, auch in der
Praxis kritisch und fallbezogen mitzudenken. Im Lich­
te der vorangehenden Ausführungen stellen sich z. B.
vertiefter klärungsbedürftige Fragen bezüglich
a) Zustimmung zu Organtransplantation (Form/
Gestaltung des Organspenderausweises)
b) Willensbildungsprozedere bei terminalen Be­
handlungs-/Nichtbehandlungsentscheiden
c) Willensbildung im Zuge der Abgabe einer Patien­
tenverfügung
d) Willensbildung, Willensentwicklung/-änderung,
Dokumentation des Willens, stellvertretende Ent­
scheide: Auf wie lange Zeit hinaus ist man ent­
scheidungs-/prognosefähig?
192 Ich habe andernorts (vgl. CHK-Breitschmid, Vorb zu
Art. 360 ff. ZGB N 2 und N 6 mit weitern Hinweisen) von
den besonderen Schwierigkeiten eines «Reparatur-Ge­
schäfts» gesprochen, das kaum grosse Würfe, sondern
Geduld und Verständnis für ambivalente Aspekte erfor­
dert.
193 Ein Beispiel dafür der «Fall K» (u. a. NZZ vom 15. Januar
2000, Nr. 12, 97; NZZ vom 7. März 2000, Nr. 56, 48):
Wären die Begleitumstände unspektakulärer gewesen,
wäre der Arzt wohl für seine kluge Zurückhaltung gelobt
worden.
Stämpfli Verlag
10.03.16 13:53
Peter Breitschmid, Der nicht entscheidungsfähige Patient
1| 16
e) Situationen der Behandlung von Nichturteilsfä­
higen; Behandlungsentscheide bei Minderjähri­
gen an der Grenze der Urteilsfähigkeit/Finanzie­
rung von Behandlungswünschen beschränkt
handlungsfähiger Urteilsfähiger
f) Demarchen um Kenntnis der eigenen Abstam­
mung: Wer weiss, was er wissen möchte? Und:
Hatte man wissen wollen, was man dann weiss?
g) Sterbefasten
Als letzte Frage bleibt vielleicht: Wann ist man krank?
Ist man heutzutage angesichts zunehmend vertieften
Wissens über Krankheiten (und genetisch analysier­
te Dispositionen) überhaupt noch gesund? Ist das trotz
zunehmender, gesetzlich und gesellschaftlich einge­
forderter und geschützter Autonomie wachsende
Gefühl des Ausgeliefertseins ein Mangel des Gesetzes
oder des Systems oder nicht allenfalls auch Folge des
Umstands, dass es uns wirtschaftlich und gesund­
heitlich doch überdurchschnittlich gut geht und wir
deshalb umso schmerzlicher empfinden, dass Ge­
sundheit und Wohlbefinden nicht im Gratisabon­
nement verteilte Güter sind? Eigentlich leiden wir
an unserer Autonomie: Wir sind restlos autonom – uns
selbst überlassen – in der Ambivalenz, die wir gegen­
über unseren eigenen, womöglich terminalen Ent­
scheiden empfinden. Dass daneben auch das Verhält­
nis von Fachpersonen und Laien ambivalent bleiben
wird, liegt auf der Hand: Die Stärkung der Patienten­
autonomie bedeutet nicht Autoritätsverlust der Ärzte­
schaft, sondern allenfalls gewisse «Komplikationen»,
weil vor-informierte Patient/innen wohl skeptischer
sind; was für Fachpersonen offensichtlich ist, muss
im Laien erst reifen, und weil selbst aus fachlicher
Sicht Manches ambivalent ist, löst die Informations­
asymmetrie bei seriöser Aufklärung einen desto
komplexeren Meinungsbildungsprozess aus. Ein ver­
feinertes System muss zunehmend diese Komplexität
aushalten.
Literaturhinweise
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Aebi-Müller Regina E./Tanner Debora, Das behinderte
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