Die DDR in den deutsch-französischen Beziehungen

Veranstaltungsbericht
Buchpräsentation:
Die DDR in den deutsch-französischen Beziehungen
16. Januar 2016 | 18 Uhr | Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Kronenstraße 5, 10117 Berlin
Welche Beziehungen bestanden zwischen der DDR und Frankreich auf politischer, gesellschaftlicher sowie kultureller Ebene und welches Dreiecksverhältnis ergab sich daraus mit der Bundesrepublik? Auf diese Fragen gibt
der von Prof. Dr. Anne Kwaschik (Freie Universität Berlin) und Prof. Dr. Ulrich Pfeil (Université de Lorraine,
Metz) herausgegebene Sammelband Die DDR in den deutsch-französischen Beziehungen (2013) Antworten. Auf
einer gemeinsamen Podiumsdiskussion in der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur wurde der
Band von Ulrich Pfeil vorgestellt und von Prof. Dr. Étienne François (Freie Universität Berlin, Université Paris-I
Panthéon-Sorbonne) kommentiert. Die Mitherausgeberin Anne Kwaschik war krankheitsbedingt verhindert.
Nach der Begrüßung durch den stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Bundesstiftung Aufarbeitung,
Prof. Dr. Bernd Faulenbach, gab Prof. Dr. Ulrich Pfeil einen Überblick zum Anliegen und zu den verschiedenen
Beiträgen der Publikation. Während der im letzten Jahr begangenen Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des
deutsch-französischen Freundschaftsvertrags, der am 22. Januar 1963 von Bundeskanzler Konrad Adenauer
und dem französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle im Pariser Élysée-Palast unterzeichnet wurde, sei
der Prozess der westdeutsch-französischen Verständigung nach dem Zweiten Weltkrieg einfach auf die „neuen
Bundesländer“ übertragen worden, erklärte Pfeil. Dies habe u.a. damit zu tun, dass bisher nur wenige Erkenntnisse über die Beziehungen zwischen der DDR und Frankreich veröffentlicht wurden. Vor 1989 sei die Darstellung der jeweiligen Beziehungen zu Frankreich von der Systemkonkurrenz zwischen den beiden deutschen
Staaten geprägt gewesen. Insbesondere die Bundesrepublik habe ihre Kontakte nach Frankreich stets öffentlich
betont. Zudem gingen die Bilder von Hände schüttelnden französischen und bundesrepublikanischen Politikern
um die Welt. Aufnahmen von wechselseitigen Besuchen von Politikern der DDR und Frankreichs seien dagegen
weitgehend unbekannt geblieben. Erst in den letzten Jahren habe die Zahl wissenschaftlicher Untersuchungen
zu den ostdeutsch-französischen Beziehungen zugenommen. Die jüngeren Autorinnen und Autoren würden
sich dabei weniger den ideologischen, sondern vielmehr den alltagsgeschichtlichen Fragestellungen widmen.
Der Historiker Étienne François bestätigte diese Einschätzung in seinem Kommentar zum Sammelband. Die
Autoren der vorliegenden Publikation zeigten, so François, eine zunehmende transnationale Verflechtung und
Überwindung der Grenzen in Europa. Denn einige der nach 1980 geborenen Historikerinnen und Historiker
verstünden sich nicht mehr eindeutig als Deutsche oder Franzosen. Für diese Menschen gehöre es zur Normalität, in europäischen Zusammenhängen und nicht mehr in exklusiven Partnerschaften zwischen Nationalstaaten
zu denken, stellte François fest. Er selbst sei als Student an der Pariser Hochschule École normale supérieure
mit der DDR in Berührung gekommen, etwa durch französischsprachige ostdeutsche Zeitungen. Ab 1979 lehrte
und forschte François in Göttingen. Da sein Arbeitsschwerpunkt die Frühe Neuzeit war, hätten sich die ostdeutschen Städte für ihn nie in einem fremden Land befunden, sondern immer nur im anderen Teil Deutschlands. In
Frankreich, so François, sei das Bild von Ostdeutschland nicht durchweg negativ gewesen. Denn die DDR hätte
auch für ein Deutschland gestanden, in dem die Erinnerung an den „antifaschistischen Kampf“ während der
Zeit des Nationalsozialismus – wenngleich politisch instrumentalisiert – aufrechterhalten wurde.
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Die anschließende Podiumsdiskussion, die von Dr. Ulrich Mählert (Bundesstiftung Aufarbeitung) geleitet wurde,
öffnete mit der Frage, wer sich in Frankreich in den 1970er und 1980er Jahre hauptsächlich für die DDR interessiert hatte. Étienne François erinnerte sich, dass es unter den Studenten und Professoren der Germanistik in
Paris viele aktive Kommunisten gegeben hatte, die die DDR schlichtweg für das „bessere Deutschland“ hielten.
Auch in der Bildungselite Frankreichs und in kulturellen Kreisen ging das Interesse für die DDR über die Wahrnehmung der Ideologie hinaus, das französische Theater etwa sei ohne Bertold Brecht nicht denkbar gewesen.
Die Beziehungen zwischen der Parti communiste français (PCF) und der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) waren jedoch nicht immer harmonisch, wie Ulrich Pfeil betonte. Deutlich abweichende Ansichten
hätten beide Parteien zur Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 in der Tschechoslowakei vertreten. Unterhalb der Parteiebene, in den Betrieben und im Bereich des kulturellen Austauschs, sei es allerdings weniger
um politische oder ideologische Fragen gegangen. Stattdessen seien die konkreten Arbeitsbedingungen in beiden Ländern besprochen worden, die Jugend habe etwa interessiert, welche Kleidung im anderen Land getragen wurde. Über die sogenannte „Freundschaftsgesellschaft“ fuhren französische Deutschlehrer in die DDR und
wurden damit zu Multiplikatoren der ostdeutschen Kultur in ihrem Heimatland, erklärte Pfeil. François wies
jedoch darauf hin, dass die Zahl der Franzosen, die die DDR besuchten, im Vergleich zu den Besuchen in der
Bundesrepublik sehr gering ausgefallen sei. Noch viel größer sei aber der zahlenmäßige Unterschied zwischen
West- und Ostdeutschen gewesen, die nach Frankreich fuhren.
Frankreich war dennoch nach Ulrich Pfeil das westeuropäische Land, zu dem die DDR die meisten und intensivsten Kontakte pflegte, und das diese auch erwidert habe. In Ost-Berlin habe es beispielsweise ein französisches Kulturzentrum und in Paris ein ostdeutsches Pendant gegeben. Darüber hinaus bestanden ostdeutschfranzösische Städtepartnerschaften, wobei die Initiative dafür auf französischer Seite vorwiegend von kommunistischen Bürgermeistern ausging, erklärte Pfeil.
Diskutiert wurde auch die Haltung des französische Staatspräsident François Mitterrand, der nach dem Fall der
Mauer 1989 einer möglichen Wiedervereinigung Deutschlands mindestens skeptisch gegenüber gestanden
habe. Bis heute ist nach Étienne François nicht geklärt, ob der überwiegende Grund dafür die Angst vor einer
Destabilisierung Europas oder die Überzeugung gewesen sei, dass die DDR ihre Eigenstaatlichkeit behalten
müsse. Die Mehrheit der Franzosen habe die Wiedervereinigung Deutschlands allerdings befürwortet. Für sie
sei es nicht vorstellbar gewesen, dass die deutsche Nation unter den neuen historischen Bedingungen geteilt
bleiben solle. Aus dem Publikum kam der Hinweis auf den schlechten Zugang zu französischen Quellen,
wodurch Mitterands Politik gegenüber der DDR heute immer noch nicht vollständig rekonstruiert werden könne. Ulrich Pfeil bestätigte diesen Befund und verwies auf die langen Sperrfristen in französischen Archiven und
eine grundsätzlich andere „Archivkultur“ in Frankreich. Eine weitere Publikumsfrage betraf das Verhältnis zwischen François Mitterrand und Willy Brandt. Nach Ulrich Pfeil war das Verhältnis zwischen der SPD und der
Parti socialiste (PS) ein sehr komplexes. Für die französischen Sozialisten war der Begriff „Sozialdemokrat“ ein
Schimpfwort. Als in der Bundesrepublik 1972 der Radikalenerlass verabschiedet wurde, kam es zu einem großen Konflikt zwischen Brandt und dem 1971 zum Vorsitzenden der PS gewählten Mitterand, der sich vehement
gegen die damit einher gehenden „Berufsverbote“ aussprach. Brandts Ostpolitik, betonte Étienne François zum
Ende der Diskussion, sei von Mitterand dagegen überaus begrüßt worden.
Einen Mitschnitt der Veranstaltung finden Sie unter:
http://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/veranstaltungsnachlese-2014-4470.html?id=2241.
Teresa Tammer
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