Text von Roland Sprung - März 2016: Heilende Beziehungen Wie geht es Dir? Wenn ich mich selbst als Mann beobachte, dann muss ich mir eingestehen: Es gibt eine ganze Reihe von dem, was ich (noch immer) nicht auf die Reihe bekomme. Und gleichzeitig, wenn ich Frauen betrachte, gibt es ganz viel, wofür ich Verständnis habe, was ich lange Zeit nicht verstanden habe. Klingen meine ersten beiden Sätze verwirrend? Das liegt vielleicht daran, dass Beziehungen auf den ersten Blick verwirrend sind. Für mich zumindest. Auf den zweiten Blick macht es als Mann innerhalb Deiner Beziehung Sinn, jenes uneingeschränkte Verständnis für Dinge zu haben, die Du an deiner Frau (zunächst) nicht verstehst. Jede Frau wird dir (früher oder später) dankbar dafür sein. Genauso, wie es als Mann in Ordnung ist, Dir einzugestehen, dass es Dinge gibt, die nicht "in Ordnung" sind. Gerade gestern zum Beispiel kam ein Mann nach 20 Jahren mehr oder weniger erfolgreicher Dauer-Behandlungen in eine Einzelsitzung und in seinem Fall kam heraus, dass er in diesen 20 Jahren nur eine Sache vergessen hatte, sich einzugestehen: Nämlich (um bei seinen Worten zu bleiben) dass er richtig im A**** ist! So war es ihm am Ende seiner ersten Sitzung bei mir eine unendliche Erleichterung, genau das mehrmals zu sagen und so zu fühlen, dass er fast darüber in Tränen ausbrach - aber aus Erleichterung! Es war heilsam für ihn, sich seine Ohnmacht einzugestehen - ohne etwas "tun zu müssen". Vielleicht, so denke ich mir gerade, ist es kollektiv an der Zeit, dass wir Männer einen beschützten Raum finden, um uns ehrlich unsere Ohnmacht, unser ganzes "Nichtkönnen" einzugestehen und dadurch gleichzeitig lernen, unsere Macht-(spiele), unser "Recht haben" zu durchschauen und abzulegen. Natürlich geht es bei beidem auch um Angst. Je tiefer ich mir Beziehungen anschaue, desto mehr erkenne ich, dass das Modell "Austeilen und Einstecken" auf Erhöhung und Erniedrigung basiert. Es ist ein Modell des Ego-Krieges. Aber wenn es hart auf hart kommt und der selbstverletzte Fingernagel des anderen in der Wunde unserer Urverletzung landet, dann kommt uns Hooponopono ("Es tut mir leid, bitte verzeihe mir. Ich liebe dich. Danke.") schwer über die Lippen. Trennung und Ohnmacht sind nah. Wenn ich mir in solchen Momenten mein eigenes Leben, wenn es so etwas wie "mein Leben" überhaupt gibt, anschaue, dann erkenne ich manchmal traurig, manchmal trotzig und noch viel öfter ernüchtert, dass ich mich scheinbar kein bisschen bewegt und weiterentwickelt habe. Es beschleicht mich ein Stillstand, der mir erst anhand der vielen, meist erfolglosen Versuche ihm zu entgehen, bewusst wird. Flucht ist zwecklos. Ich stehe dann da und erkenne, mit ein bisschen zeitlichem Abstand und viel frischer Luft, was diesen Stillstand umgibt: Es ist Ohnmacht, Angst, rasende Gedanken, ein Überlebenskampf, dem ich lernen kann, Raum zu geben indem ich still stehe, mich durchschaue und mein Ego davon überzeuge, dass der Kampf nur eine Erfahrung ist, die ich jetzt beabsichtige zu überwinden - indem es mir gelingt, sie aus meiner Mitte heraus zu bezeugen. Wie sagte Ken Wilber: "Im Zentrum des Hurricans ist Stille" Manchmal gelingt mir das - und manchmal nicht. Natürlich sind es immer wieder dieselben, alten Geschichten um die ich kreise. Was tun? Kopf in den Sand stecken oder umgekehrt? Leugnen? Hinschauen? Oder doch einfach die Zeit vergehen lassen? Schicksal annehmen oder selber gestalten? Ich kann nicht sagen, ob es sinnvoll ist für Dich oder mich zu hoffen, was besser oder schlechter ist. Ich habe für mich erkannt, dass es - ganz grundsätzlich im Leben - nicht um "besser oder schlechter" geht! Denn, was oberflächliche, äußere und innere Werte betrifft, ist beides ziemlich oft egoistisch. Egal ob besser oder schlechter: Es geht um Bewusstsein. Ist dir bewusst, WIE es Dir gerade geht und was das mit Dir, Deinem Umfeld und Deinem Leben macht? Sobald wir da sind, sobald wir als erwachsene Männer und Frauen wieder bereit sind, bisher abgespaltene Anteile von uns selbst zu fühlen und zu durchleben - kommt Vergebung an die verletzten Orte in uns. Dadurch geben wir uns keine Schuld mehr an der Verletzung des anderen. Dadurch werden wir frei, uns selbst zu lieben und wenn dein Partner Dich für würdig hält - seine tiefste Verletzung mit Dir zu teilen, dann kannst Du sie mit Deiner Liebe bezeugen. Und dadurch, in der bedingungslosen Anwesenheit von Liebe, ist der andere frei - sich zu heilen. Deshalb sagt der weise Mönch Thich Nath Than sinngemäß: "Vergebung bedeutet Verständnis für die Verletzung desjenigen aufzubringen der dich verletzt hat." Das ist einer der wichtigsten Gründe, weshalb wir Menschen Beziehungen eingehen. Die äußere Form ist nicht so wichtig. Es war Hesse, der sagte: "(...) Unser Ziel ist, einander zu erkennen und einer im anderen das zu sehen und ehren zu lernen, was er ist - des Anderen Gegenstück und Ergänzung." Deshalb geht es ganz grundsätzlich darum herauszufinden, auf welche Form von Männlichkeit oder Weiblichkeit wir "erzogen" wurden. Weil es das ist, wodurch unser schon vorher vorhandenes Wesen verdeckt und begrenzt wurde. Und es geht darum, anzuerkennen, dass der Partner, zu dem Du in Resonanz gehst - immer - Deine eigenen Verletzungen und Möglichkeiten reflektiert und spiegelt. Weshalb es wichtig ist, zuerst in Dir selbst anzufangen, Klärung zu erlangen - anstatt Deinem Partner ständig Schuld zu geben. Und es geht darum, endlich anzuerkennen, dass der andere nicht dafür da ist, meine Bedürfnisse zu befriedigen (und umgekehrt). Schlussendlich ist jede äußere Beziehung - immer - ein Abbild der Beziehung zu und in mir selbst. Deshalb ist auch die äußere Erscheinungsform nicht wichtig, weil es innerhalb jeder Beziehungsform darum geht, mich selbst zu entdecken und zu entfalten. Ich wünsche mir, dass wir viele Frauen und Männer sind, die jetzt den Mut dafür aufbringen, herauszufinden was wir uns gegenseitig und damit unserer Liebe in den Weg gelegt haben. Ich glaube nicht, dass es dabei um das "großes Drama" oder um "Rosenkrieg" geht - sondern immer wieder um die Bereitschaft, Verantwortung für die eigenen Verletzungen zu übernehmen, indem wir sie in der Tiefe berühren, bezeugen und jeder in seiner Art und Weise ehrlich durchleben. Und je mehr wir sind, je klarer unsere Absicht ist, mit der wir uns darauf einlassen, desto leichter entwickelt sich ein Feld des Bewusstseins, indem wir auf der Ebene der Beziehungen alleine dadurch heilen - indem wir in ihm sind. Ich selbst habe das oft mit Menschen erlebt und jedes Mal ist es irgendwie neu und zutiefst transformierend, weil es mir ermöglicht, mein eigenes Leben aus einer Perspektive zu betrachten, die mir konkrete Antworten gibt. Und dadurch kann ich Verantwortung übernehmen - für mich und meine Beziehung.
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