Abschaffung der Heiratsstrafe und Zweiter Gotthard-Tunnel starten mit klarem Ja-Vorsprung Mobilisierung beeinflusst Ergebnis zur Durchsetzungsinitiative stark Medienbericht zur 1. Welle der Befragungsreihe "SRG Trend" zur Volksabstimmung vom 28. Februar 2016 Studie im Auftrag der SRG SSR, Januar 2016 Projektteam Claude Longchamp Politikwissenschafter, Lehrbeauftragter der Universitäten Bern, Zürich und St. Gallen Martina Imfeld Politikwissenschafterin Stephan Tschöpe Politikwissenschafter Marcel Hagemann Sozialwissenschafter Johanna Schwab Sekretariat und Administration Sabrina Schüpbach Sozialwissenschafterin Alexander Frind Politikwissenschafter Inhaltsverzeichnis 1 WICHTIGES IN KÜRZE ................................................................................3 2 EINLEITUNG ................................................................................................9 2.1 Mandat ................................................................................................14 2.2 Initiative gegen Heiratsstrafe ..............................................................15 2.3 Durchsetzungsinitiative .......................................................................19 2.4 Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation........................................24 2.5 Zweite Gotthardröhre..........................................................................28 2.6 Hypothesen zur Meinungsbildung ......................................................35 3 BEFUNDE ...................................................................................................37 3.1 Vorläufige Teilnahmeabsichten ...........................................................37 3.2 Volksinitiative "Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe" ..........41 3.3 Volksinitiative "Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer" ...........................................................................................52 3.4 Volksinitiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!" ...................68 3.5 Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet .........................................................................................78 4 SYNTHESE .................................................................................................89 4.1 Diskussion der Hypothesen ................................................................92 4.2 Thesen ................................................................................................99 5 ANHANG ..................................................................................................101 5.1 Forschungskonzept: erweiterter Dispositionsansatz ........................101 5.2 Die SRG-Befragung ...........................................................................110 5.3 Instrumentenvergleich ......................................................................112 5.4 gfs.bern-Team ...................................................................................115 Bern, 20. Januar 2016 Copyright by gfs.bern 2 1 Wichtiges in Kürze Wäre bereits am 12. Januar 2016 über die vier Vorlagen der eidgenössischen Volksabstimmung vom 28. Februar 2016 entschieden worden, wären die Zweite Gotthard-Röhre und die Volksinitiativen "gegen Heiratsstrafe" angenommen worden. Knapp mehrheitlich ist die aktuelle Zustimmungsbereitschaft zur Durchsetzungsinitiative, knapp nicht der Fall ist das bei der Spekulationsstopp-Initiative. Die Beteiligung hätte bei 48 Prozent gelegen. Ein Anwachsen der Teilnahme käme vor allem der Durchsetzungsinitiative zu Gute. Das sind die Hauptergebnisse der ersten von zwei Befragungen zur Volksabstimmung vom 28. Februar 2016. Realisiert wird die Serie vom Forschungsinstitut gfs.bern für die Medien der SRG SSR. Tabelle 1 Übersicht gegenwärtige Stimmabsichten Teilnahmewillige Abstimmung vom 28. Februar 2016 bestimmt / eher dafür bestimmt / eher dagegen weiss nicht/ keine Antwort VI gegen Heiratsstrafe 67 21 12 Durchsetzungsinitiative 51 42 7 VI gegen Nahrungsmittelspekulation 48 39 13 Zweite Gotthardröhre 64 29 7 Bemerkung: Bei allen ausgewiesenen Zahlen ist bei einer 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit ein statistischer Unsicherheitsbereich von rund 2.7 Prozentpunkten plus/minus mitzudenken. SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Initiative gegen Heiratsstrafe Stimmabsichten Aktuell würden 67 Prozent der teilnahmewilligen Bürgerinnen und Bürger bestimmt oder eher für die Volksinitiative "Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe" stimmen. 21 Prozent wären bestimmt oder eher dagegen. 12 Prozent wären unentschieden. Die Ja-Seite startet demnach mit einem 46 Punktevorsprung in den Hauptabstimmungskampf. Stand der Meinungsbildung Über die Hälfte aller Beteiligungsbereiten verfügt über eine dezidierte Meinung dagegen oder dafür. Die Meinungsbildung ist damit eher fortgeschritten. Konfliktmuster Familienpolitische Abstimmungen polarisieren im Normalfall zwischen gesellschaftsliberalen und gesellschaftskonservativen Werthaltungen. Bei liberalen Reformen setzten sich die konservativen Bedenken bisher meist durch; konservative Volksinitiativen scheiterten bisher an einem Mix von Ablehnungsgründen. Das aktuelle Konfliktmuster ist wenig ausgeprägt. Es ist von Betroffenheit, Parteibindungen und regionalen Einflüssen geprägt. Verheiratete Personen und solche in eingetragener Partnerschaft sind zu 72 Prozent dafür. Bei den übrigen Stimmberechtigten, die sich beteiligen wollen beträgt die Zustimmung 59 Prozent. Die höchste Unterstützung kennt die Vorlagen mit 80 Prozent Zustimmungsbereitschaft unter CVP-Wählenden, gefolgt von der SVP-Basis mit 73 Prozent dafür. Aber auch die anderen Wählerschaften sind in ihrer Mehrheit für die Initiative, wenn auch weniger klar. Bei der GPS sind 53 Prozent dafür, bei der SP 55 Pro3 zent und bei der FDP 62 Prozent. Bei diesen drei Parteien ergibt sich wenigstens vorerst ein Widerspruch zwischen Parteiparolen und Stimmabsichten. Die bisher feststellbare Polarisierung entlang der Parteibindung entspricht damit eher dem Gegensatz von bürgerlich und rotgrün. Die Vorlage findet schliesslich auch bei den parteipolitisch Ungebundenen mit 61 Prozent eine zustimmende Mehrheit. Grafik 1 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Parteibindung: Initiative gegen Heiratsstrafe "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen die Heiratsstrafe abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 14 23 16 8 9 3 11 13 14 11 9 6 7 16 11 eher dagegen 17 13 15 bestimmt dagegen 35 29 18 28 23 weiss nicht/keine Antwort 32 eher dafür 45 44 43 34 32 21 GPS bestimmt dafür SP CVP FDP SVP Parteiungebundene © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. Regional gesehen kennt die Vorlage in der italienischsprachigen Schweiz mit 76 Prozent die höchste Zustimmungsrate. Etwas geringer ist sie im deutschsprachigen Landesteil (68%) respektive im französischsprachigen (56%). Argumente Argumentativ entscheidend ist, dass die Doppelbesteuerung von 83 Prozent als ungerecht empfunden wird. In der bisherigen Meinungsbildung hat dieses Argument auch am meisten gewirkt. Das wirksamste Nein-Argument, welches von 49 Prozent unterstützt wird, ist die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare. Noch keine nachweisliche Rolle in der Meinungsbildung gespielt haben dagegen Fragen der Steuerausfälle. Die Stimmabsichten werden durch die geprüften Argumente nur unzureichend bestimmt. Der Erklärungsgrad beträgt gerade mal 24 Prozent. Das legt nahe, dass die inhaltliche Fundierung des Zustimmungswertes wenigstens bisher zurück geblieben ist. Insbesondere bei Parteiungebundenen und im rotgrünen Lager ergibt sich argumentativ keine mehrheitliche Zustimmung zur Vorlage. Gerade hier ist mit Rückgängen zu rechnen. Trend in der Meinungsbildung Die Initiative gegen die Heiratsstrafe ist eine potenziell mehrheitsfähige Initiative. Die Meinungsbildung ist eher ausgeprägt, lässt aber einiges an Spielraum offen. Im Normalfall nimmt die Ablehnungsbereitschaft mit dem Abstimmungskampf zu und es sinkt die Zustimmungstendenz. Das ist auch hier zu erwarten, vor allem wegen den noch geringen Einflüssen der Parteiparolen. Zudem wurde bislang kaum über die finanziellen Auswirkungen gesprochen, die in der Regel ein wirksames Nein-Argument darstellen. 4 Die Initianten haben einen Startvorteil; den Ausgang kann man noch kaum abschätzen. Stichworte für die Berichterstattung potenzielle Mehrheitsinitiative von rechts (bürgerlich-konservativ) mittelstark fortgeschrittene Meinungsbildung ungerechte Doppelbesteuerung populärstes und wirksamstes Argument auf der Ja-Seite Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare bisher wirksamstes NeinArgument, jedoch nicht gesichert mehrheitsfähig Polarisierungsgrad bisher gering erste Stimmabsichten vor allem bei Parteiungebundenen und im rotgrünen Lager argumentativ wenig abgestützt Ja-Vorsprung erheblich, Hauptkampagnen folgen jedoch erst Ausgang bisher schwer abschätzbar Durchsetzungsinitiative Stimmabsichten Aktuell würden 51 Prozent der teilnahmewilligen Bürger und Bürgerinnen bestimmt oder eher für die Volksinitiative "Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer" stimmen. 42 Prozent wären bestimmt oder eher dagegen. Die Ja-Seite startet mit einem 9 Punkte-Vorsprung in die Hauptphase des Abstimmungskampfes. Stand der Meinungsbildung 62 Prozent der Beteiligungsbereiten haben eine dezidierte Stimmabsicht dafür oder dagegen. Keine Stimmabsichten äusserten nur 7 Prozent der voraussichtlich Teilnehmenden. Das spricht für eine fortgeschrittene Meinungsbildung. Die Prädisponierung der Stimmabsichten ist durch die gefällten Entscheidungen zur Ausschaffungsinitiative erheblich. 80 Prozent der damaligen Befürworter respektive 81 Prozent der Gegner von damals würden wieder gleich stimmen. Bewegung findet sich vor allem im FDP-Umfeld. Die Teilnahmewilligen rechnen selber mit einer knappen Annahme der Vorlage. Im Mittel schätzen sie den Ja-Anteil auf 54 Prozent. Mobilisierungseffekte Eine steigende Stimmbeteiligung käme der Initiative zu Gute. Würden alle teilnehmen, die heute sagen, sich bestimmt oder eher beteiligen zu wollen, läge die Zustimmungsbereitschaft bei 57 Prozent und die Ablehnungstendenz wäre bei 36 Prozent. Der Vorsprung der Ja-Seite betrüge dann 19 Prozentpunkte. Bei einer erhöhten Beteiligung würden vor allem zustimmungsbereite Personen aus dem Mitte/links-Lager mobilisiert, die ein Behördenvertrauen kennen, in dieser Sache aber anders denken als Bundesrat und Parlament. Aktuell wollen viele von ihnen nicht stimmen gehen. 5 Konfliktmuster Das Konfliktmuster bei Vorlagen wie der Durchsetzungsinitiative ist an sich bekannt. Geprägt wird es durch einen Elite/Basis-Konflikt, wobei wirtschaftliche Beweggründe dagegen und gesellschaftliche Motive dafür aufeinander treffen. Neuerdings spielen auch rechtsstaatliche Argumente gegen Volksinitiativen aus dem nationalkonservativen Lager eine Rolle. Im aktuellen Fall zeichnet sich das entlang politischer, regionaler und sozial bestimmt Gegensätze erneut ab. 89 Prozent der SVP-Wählenden sind für die Durchsetzungsinitiative. Auch bei den Parteiungebundenen ist eine Mehrheit dafür. Gespalten ist die Basis der FDP. Mehrheitlich im Nein sind die Wählerschaften von SP, GPS und CVP. Der Polarisierungsgrad ist hier ausserordentlich hoch. Die Polarisierung auf der Links/rechts-Achse beträgt 72 Prozentpunkte zwischen SVP und SP. Grafik 2 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Parteibindung: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 4 3 4 28 14 62 14 10 weiss nicht/keine Antwort 12 14 3 GPS 34 30 14 eher dagegen 8 7 12 12 21 19 45 59 bestimmt dagegen 70 eher dafür 25 7 8 9 13 16 SP CVP FDP 23 bestimmt dafür SVP Parteiungebundene © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. Mehrheitlich im Ja sind auch regierungsmisstrauische Stimmberechtigte. Klar überdurchschnittlich ist die Zustimmungsbereitschaft in der italienischsprachigen Schweiz. Das gilt ebenfalls für Personen mit unterem respektive mittlerem Schulabschluss beziehungsweise der tiefsten Einkommensklassen. Schliesslich ist die Zustimmung bei den jüngeren Bürgerinnen und Bürger über dem Schnitt. Heute mehrheitlich im Nein sind dagegen Personen mit einer tertiären Ausbildung respektive einem Haushalteinkommen von 9-11'000 CHF monatlich. Argumente Sachbezogen spricht einiges für die Positionen der Nein-Seite. Doch sie hat eine offensichtliche Schwäche. Denn der Wunsch, kriminelle Ausländer auszuschaffen, findet bei zwei Drittel der teilnahmewilligen BürgerInnen Anklang. Populär ist das Nein-Argument, das Parlament habe eine vernünftige Gesetzesvorlage zur angenommenen Ausschaffungsinitiativen ausgearbeitet, die nur bei einem Nein in Kraft treten könne. Die bedingungslose Ausschaffung polarisiert von allen getesteten Botschaften am meisten. Ihre Bedeutung nimmt noch zu, wenn die Stimmbeteiligung steigt. Die Nein-Seite kennt keine wirklich polarisierende Botschaft. Vielmehr wirken die geprüften Argumente zielgruppenspezifisch. 6 Der Erklärungsgrad der Stimmabsichten durch die Argumente ist auffällig hoch. 64 Prozent der individuellen Entscheidungen können mit sechs Botschaften korrekt nachvollzogen werden. Trend in der Meinungsbildung Im Normalfall nimmt die Ablehnungsbereitschaft mit dem Abstimmungskampf zu, es sinkt auch die Zustimmungstendenz. Automatisch ist diese Entwicklung gerade bei rechten Volksinitiativen nicht. Im aktuellen Fall kommt jedoch hinzu, dass Mobilisierungseffekte den Abstimmungsausgang mitbestimmen können. Denn von einer Emotionalisierung der Kontroverse mit steigender Beteiligung würde die Ja-Seite profitieren. Entsprechend erscheint der Ausgang offen. Stichworte für die Berichterstattung potenzielle Mehrheitsinitiative von rechts (nationalkonservativ) fortgeschrittene Meinungsbildung hohe Prädisponierung durch Stimmverhalten bei Ausschaffungsinitiative Ausschaffung krimineller Ausländer populärstes und wirksamstes JaArgument Gesetzgebung zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative bisher wirksamestes Nein-Argument, wirtschaftliche und rechtliche Bedenken ansatzweise auch wirksam weitere Entwicklung hängt vom Kampagnenverlauf respektive der Mobilisierung ab Ausgang offen Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation Stimmabsichten Aktuell würden 48 Prozent der teilnahmewilligen Bürger und Bürgerinnen bestimmt oder eher für die Volksinitiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln" stimmen. 39 Prozent wären bestimmt oder eher dagegen. Die Ja-Seite startet mit einem 9 Punktevorsprung in den Hauptabstimmungskampf, ohne aber eine gesicherte Zustimmungsmehrheit zu haben. Stand der Meinungsbildung 47 Prozent der Beteiligungsbereiten haben eine bestimmte Stimmabsicht dafür oder dagegen. Gar keine Stimmabsichten äusserten 13 Prozent der Teilnahmewilligen. Die Meinungsbildung ist damit wenig fortgeschritten. Veränderungen durch den Abstimmungskampf sind sehr gut möglich. Konfliktmuster Angesichts der Neuartigkeit des Themas kennt man hier kein allgemeines Konfliktmuster. Im übergeordneten Sinne ist mit einer Links/rechts-Polarisierung zu rechnen, allenfalls mit beschränkt konservativer Unterstützung der linken Minderheit. Das zentrale Konfliktmuster, wie es sich bis jetzt abzeichnet, ist parteipolitischer Natur. Befürwortend ist das rotgrüne Lager, ablehnend das bürgerliche. Die Polarisierung ist mittelstark (46 Prozentpunkte), weil namentlich rechtskonservative Wählerinnen und Wähler beschränkt für die Vorlage sind. Zudem ergeben sich Unterschiede zwischen den Sprachregionen, denn Ablehnung und Unschlüssigkeit variieren zwischen der deutsch- und italienischsprachigen Schweiz stark. Schliesslich zeigen Frauen, Jüngere und tiefere Bildungsschichten mehrheitlich Sympathien für das Anliegen. 7 Grafik 3 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Parteibindung: Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 4 7 17 14 20 27 18 bestimmt dagegen 28 2 19 14 eher dagegen 24 18 30 29 26 14 19 13 18 58 24 14 13 17 CVP FDP 39 GPS SP 22 12 weiss nicht/keine Antwort 13 eher dafür 27 bestimmt dafür SVP Parteiungebundene © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. Argumente Argumentativ am populärsten ist, dass das weltweite Hungerproblem nicht durch Spekulationen verursacht wird – ein gegnerisches Argument. Die Initianten können dem aber eine fast ebenso beliebte Anklage gegenüber stellen; mit Nahrungsmittelspekulation bereichern sich wenige Reiche. Am meisten polarisierte bisher die Hunger-Thematik. Der Erklärungsgrad der Stimmabsichten durch die Argumente ist jedoch mit 45 Prozent bei sechs geprüften Botschaften mittel. Trend in der Meinungsbildung Erwartet wird, dass die gegnerische Argumentation ihre Wirkung auf die Stimmabsichten erst noch entfaltet und die Ablehnung steigt, respektive die Zustimmung sinkt. Das ist der Normalfall bei einer Volksinitiative. Eine Ablehnung in der Volksabstimmung ist wahrscheinlich. Stichworte für die Berichterstattung Minderheitsinitiative von links Meinungsbildung bisher nicht stark ausgeprägt mittelstarke Polarisierung auf der Links/rechts-Achse Polarisierung bisher vor allem durch Ursache des Welthungers mit Vorteilen für die Gegnerschaft Ablehnung dürfte steigen, Zustimmung sinken Ablehnung wahrscheinlich 8 Zweite Gotthardröhre Gegenwärtige Stimmabsichten Aktuell würden 64 Prozent der teilnahmewilligen Stimmberechtigten bestimmt oder eher für die Zweite Gotthardröhre stimmen. 29 Prozent wären dagegen. Der Ja-Vorsprung in der Ausgangslage beträgt damit 34 Prozentpunkte. Stand der Meinungsbildung 56 Prozent haben eine feste Intention; sie sind entweder bestimmt dafür oder bestimmt dagegen. Nur 7 Prozent äussern zwar Beteiligungs-, nicht aber Stimmabsichten. Die Meinungsbildung ist damit eher fortgeschritten. Die Teilnahmewilligen gehen von einer knappen Annahme der Vorlage am Abstimmungstag aus. Ihre mittlere Schätzung für den Ja-Anteil beträgt 53 Prozent. Konfliktmuster Das Konfliktmuster bei Vergleichsabstimmungen ist einerseits durch eine Polarisierung zwischen rechtem und linkem Lager bestimmt, anderseits wirken sich regionale und persönliche Betroffenheiten aus. Das findet sich auch im aktuellen Fall, denn das Konfliktmuster, wie es sich in der Umfrage zeigt, wird durch politische Bindungen, regionale Interessen und den Fahrzeugbesitz bestimmt. Parteipolitisch sind klare Mehrheiten von SVP, FDP und CVP dafür, von GPS und SP dagegen. Parteipolitisch Ungebundene wollen ähnlich wie die CVP stimmen. Der Polarisierungsgrad, hier durch SVP und GPS bestimmt, beträgt erhebliche 52,5 Prozent. Die höchste Zustimmung überhaupt findet sich in der italienischsprachigen Schweiz, die geringste in der Romandie. Sie ist aber überall mehrheitlich. Wer ein oder zwei (und mehr) Fahrzeuge im Haushalt hat, ist zu 64 respektive 71 Prozent dafür. Wer kein Auto besitzt, ist in der relativen Mehrheit gegen den Bau. Grafik 4 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Parteibindung: Zweite Gotthardröhre "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet, abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 15 32 15 55 10 10 9 8 7 3 16 20 8 8 2 32 2 10 GPS 32 11 60 18 18 eher dagegen 27 21 15 bestimmt dagegen eher dafür 47 36 weiss nicht/keine Antwort 35 18 bestimmt dafür SP CVP FDP SVP Parteiungebundene © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. Argumente Beide Seiten verfügen über gut eingeführte und mehrere mehrheitsfähige Botschaften. Populärstes Argument überhaupt ist, dass der zweite Tunnel den 9 Verkehr sicherer mache. Die grösste Zustimmung auf der Nein-Seite kennt die Aussage, mit der zweiten Röhre werde der Druck im In- und Ausland steigen. Die polarisierendste Wirkung hat das staatspolitische Argument, wonach man das Tessin nicht von der Schweiz abkapseln dürfe. Es wirkt eindeutig zugunsten der Vorlage. Auf der Nein-Seite polarisiert die Ansicht, die Vorlage widerspreche dem Alpenschutz. Diese Botschaft wirkt sich zugunsten der Gegnerschaft aus. Die Wirkung der Argumente ist allerdings nicht in allen Sprachregionen gleich. Der Gesamteindruck wird durch die deutschsprachige Schweiz geprägt, während in der italienisch- und französischsprachigen Schweiz die Frage des aufkommenden Verkehrsaufkommens am meisten polarisiert. Die acht geprüften Argumente erklären 57 Prozent der individuellen Stimmabsichten. Das ist ein eher hoher Wert und spricht für ein weitgehend rationales Stimmverhalten in Bezug auf die Meinungsbildung. Trend in der Meinungsbildung Die bisherige Meinungsbildung entspricht dem Typ einer positiv vorbestimmten Behördenvorlage. Am wahrscheinlichsten ist die Annahme, auch wenn das Gegenteil noch nicht ganz ausgeschlossen werden kann. Stichworte für die Berichterstattung positiv vorbestimmte Entscheidung zu einer Behördenvorlage Meinungsbildung eher fortgeschritten auf beiden Seiten mehrheitsfähige Argumente, Sicherheitsfragen populär Polarisierung vor allem durch staatspolitische Fragen, sprich Abkapselung des Tessins und Verstoss gegen Alpenschutz Konfliktmuster mit parteipolitischer Polarisierung und regionalen respektive persönlicher Betroffenheit im Normalfall wachsen Zunahme- und Ablehnungsbereitschaft, im Ausnahmefall nimmt nur letzteres zu, beide Szenarien an sich möglich, Annahme aber wahrscheinlicher 10 Vorläufige Teilnahmeabsichten Teilnahmeabsichten Am 12. Januar 2016 hätten sich 48 Prozent der Stimmberechtigten bestimmt an den Entscheidungen zu den vier Vorlagen beteiligt, über die am 28. Februar 2016 entscheiden wird. Das ist für den Zeitpunkt vor dem Urnengang ein Wert leicht über dem Mittel. Profil Über dem Mittel mobilisiert gewesen wären die Wählenden von CVP, FDP und SP, während sich jene von SVP und GPS noch etwas weniger teilnahmebereit zeigten. Am geringsten teilnahmebereit waren parteiungebundene Bürgerinnen und Bürger. Regierungsmisstrauische sind bereits heute in allen Parteien gut mobilisiert. Auswirkungen auf die Ja/Nein-Anteile bei einer steigenden Beteiligung ist vor allem bei der Durchsetzungsinitiative möglich. Profitieren würde die Ja-Seite. Grafik 5 Teilnahmeabsicht an Abstimmung vom 28. Februar 2016 nach Parteibindung "Würden Sie selber an dieser Abstimmung bestimmt teilnehmen, eher teilnehmen, eher nicht teilnehmen oder bestimmt nicht teilnehmen?" in % Stimmberechtigter 9 2 7 5 13 3 4 1 2 1 9 9 bestimmt nicht teilnehmen 12 28 31 27 9 eher nicht teilnehmen 33 weiss nicht/keine Antwort 42 52 59 67 62 eher teilnehmen 46 39 37 bestimmt teilnehmen GPS SP CVP FDP SVP Parteiungebundene © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (N = 1213), sig. Stichworte für die Berichterstattung aktuell leicht überdurchschnittliche Beteiligungsabsichten Wählende von CVP, FDP und SP leicht überdurchschnittlich teilnahmebereit behördenmisstrauische Bürgerinnen und Bürger bereits heute über dem Mittel mobilisiert bei steigender Beteiligung ist vor allem bei der Durchsetzungsinitiative mit Folgen zu rechnen, profitieren würde Ja-Seite 11 Generelles Trend Umfragen Momentaufnahme Projektionen Prognosen Mindestens zweimalige Messung von Stimmabsichten, um Entwicklung der Meinungsbildung zu sehen. Einmalige Messung von Stimmabsichten. Momentaufnahmen, bei denen die Unentschiedenen verteilt werden. Projektionen, welche die kommende Meinungsbildung bis zum Abstimmungstag mitberücksichtigen und die erwarteten Ja/Nein-Anteil bestimmen. Wie üblich handelt es sich bei der ersten Befragung um eine Momentaufnahme, ohne direkte prognostische Absicht, denn die Meinungsbildung hat eben erst eingesetzt und sie kann bei Volksabstimmungen nachweislich das Ja-/ Nein-Verhältnis beeinflussen. Hinzu kommen Effekte aus der noch unbekannten Mobilisierung, sprich Auswirkungen der Beteiligung beider Lager. Statt einer Prognose erstellen wir aber Szenarien der Meinungsbildung und der Beteiligungsentwicklung. Dabei gehen wir bei Volksinitiativen grundsätzlich davon aus, dass sich die Ablehnungsbereitschaft erst mit dem Abstimmungskampf aufbaut und die Zustimmungsbereitschaft vor allem bei linken Initiativen in dieser Phase sinkt. Keine Aussagen machen können wir über das Ständemehr, das bei Volksinitiativen ebenfalls entscheidet. Denn die Fallzahl lässt gesicherte Rückschlüsse auf die Kantone nicht zu. Erinnert sei, dass der 12. Januar 2016 der mittlere Befragungstag war und die letzten Entscheidungen am 28. Februar gefällt werden müssen. Das sind 47 Tage oder fast 7 Wochen Differenz, während ein wesentlicher Teil des Abstimmungskampfes und damit der Formierung des Volkswillens erst stattfindet. 12 Datengrundlage Die vorliegende Befragung wurde vom gfs-Befragungsdienst realisiert, die Berichterstattung nahm das Forschungsinstitut gfs.bern vor. Befragt wurden 1213 repräsentativ ausgewählte Stimmberechtigte in der ganzen Schweiz. Um sprachregionale Aussagen machen zu können, haben wir die Sprachminderheiten überproportional berücksichtigt. Diese wurden, um nationale Aussagen machen zu können, wieder ins richtige Verhältnis gebracht. Tabelle 2 Technischer Kurzbericht SRG-Trend Volksabstimmung vom 28. Februar 2016 Auftraggeber CR-Konferenz der SRG SSR Grundgesamtheit Stimmberechtigte mit Wohnsitz in der Schweiz Herkunft der Adressen Telefonverzeichnis der Swisscom (gepoolt) Datenerhebung telefonisch, computergestützt (CATI) Art der Stichprobenziehung geschichtet nach at random/Geburtstagsmethode im Haushalt Sprachregionen Befragungszeitraum 11.– 15. Januar 2016 mittlerer Befragungstag 12. Januar 2016 Stichprobengrösse minimal 1200, effektiv 1213 n DCH: 710, n WCH: 303, n ICH: 200 Stichprobenfehler +/- 2.9% Quotenmerkmale Geschlecht/Alter interlocked Gewichtung nach Sprache, Teilnahme, Parteiaffinität Befragungsdauer Mittel Standardabweichung 16.3 Minuten 4.6 Minuten Publikation 22. Januar 2016, 17h SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 Die Sperrfrist für den aktuellen Bericht ist Freitag, der 22. Januar 2016, um 17.00 Uhr. Danach sind die Ergebnisse und der Bericht unter Quellenangaben frei. Zitierweise 1. Welle der SRG-SSR-Trendbefragung zu den Volksabstimmungen vom 28. Februar 2016, vom Forschungsinstitut gfs.bern zwischen dem 11. und dem 15. Januar 2016 bei 1213 repräsentativ ausgewählten Stimmberechtigten durchgeführt. 13 2 Einleitung 2.1 Mandat Das Projekt "Abstimmungsvorbefragungen und Trendberichterstattung für die SRG-SSR-Medien", welches das Forschungsinstitut gfs.bern speziell für die Abstimmungsvorlagen vom 28. Februar 2016 vornimmt besteht aus zwei Befragungen bei einem repräsentativ ausgewählten Querschnitt der stimmberechtigten Schweizer Bevölkerung. Diese Befragungsdaten werden mittels ausgefeilter statistischer Datenanalyse ausgewertet und die Befunde im Rahmen des Dispositionsansatzes interpretiert. Dieser schliesst von der Vorlage auf das Abstimmungsergebnis, und zwar unter Berücksichtigung dessen, was die Politik daraus macht (Einfluss der Kampagnen, Entscheidungen der Behörden, allgemeines politisches Klima) respektive der Prädispositionen der Bürger und Bürgerinnen (vergleichbare Entscheidungen von früher, Alltagserfahrungen von heute). Die generelle These lautet: Abstimmungsergebnisse stehen nicht an sich fest. Sie sind das Produkt aus dem Abstimmungskampf einerseits, und den Prädispositionen anderseits. Der Abstimmungskampf wird durch das politische Klima und die Positionsbezüge der meinungsbildenden Elite bestimmt, während sich die Prädispositionen aus den Alltagserfahrungen ableiten, welche die Bürger und Bürgerinnen mit dem Abstimmungsthema machen. Grafik 6 Analytisches Schema des Dispositionsansatzes Klima Konfliktmuster meinungsbildende Eliten Abstimmungskampf Vorlage Dispositionen Konfliktmuster Stimmwillige Entscheidung Prädispositionen Zeitachse © gfs.bern Abgestimmt wird am 28. Februar 2016 über vier Vorlagen, die nachfolgend vorgestellt werden: 1. Volksinitiative "Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe", kurz Initiative gegen Heiratsstrafe 2. Volksinitiative "Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer", kurz Durchsetzungsinitiative 3. Volksinitiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!", kurz Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation 4. Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet (STVG), kurz zweite Gotthardröhre 14 2.2 Initiative gegen Heiratsstrafe Die Volksinitiative "Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe" will in der Verfassung verankern, dass Ehepaare steuerlich eine Wirtschaftsgemeinschaft bilden und nicht benachteiligt werden, namentlich nicht bei den Steuern und Sozialversicherungen. Lanciert wurde die Initiative aus den Reihen der CVP; im Initiativkomitee hat es auch Vertreter und Vertreterinnen von SVP und EVP. In der SRG-Trend-Befragung und in den Erläuterungen des Bundesrates (offizielle Abstimmungsbroschüre) wurde die Vorlage wie folgt umschrieben: "Die Initiative fordert, dass die Ehe gegenüber anderen Lebensformen nicht benachteiligt wird, insbesondere nicht bei den Steuern und den Sozialversicherungen. Die Ehe soll die auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau sein, und das Ehepaar soll in steuerlicher Hinsicht eine Wirtschaftsgemeinschaft bilden." In der Schlussabstimmung des Nationalrates wurde die Initiative gegen die Heiratsstrafe mit 107 zu 85 Stimmen abgelehnt. Im Ständerat betrug die Ablehnung 25 zu 20 Stimmen. Dem Anliegen der Initianten wurde somit seitens des Parlamentes keine Folge geleistet. Der Bundesrat, der die Vorlage ursprünglich bejaht hatte, musste sie alsdann ebenfalls ablehnen. Die Mehrheitsverhältnisse in den Behörden waren aber knapp. Die parlamentarische Gegnerschaft der Initiative stammt vorwiegend aus den Reihen der SP, der GPS, der GLP und der FDP. Geschlossen hinter der Initiative standen in der Schlussabstimmung im Nationalrat Parlamentarier und Parlamentarierinnen der CVP, mit einer Ausnahme auch solche der SVP, während sich die BDP gespalten zeigte. Grafik 7 Schlussabstimmung Nationalrat Initiative gegen Heiratsstrafe Lesebeispiel: Ja heisst Zustimmung zum Antrag des Bundesrates: Initiative zur Ablehnung empfehlen. Quelle: www.politnetz.ch Für die Herausgabe der Nein-Parole entschieden sich die SP, die GPS, die GLP und die FDP. Die Ja-Parole gefasst hat neben der Initiantin, der CVP, bisher einzig die EVP. Wegweisend wird in diesem Fall die Parolenfassung der SVP sein. Folgt die Partei dem Stimmverhalten der Fraktion, müsste eine Ja-Parole resultieren. Damit wäre eine Spaltung zwischen einem gesellschaftlichkonservativen Lager gegen den Rest die treffende Beschreibung für den Parolenspiegel der Initiative gegen die Heiratsstrafe. 15 Tabelle 3 Parolen Initiative gegen Heiratsstrafe Initiative gegen Heiratsstrafe Stimmempfehlung BR Nein-Parole Abstimmung NR 107:85 (Nein-Parole) Abstimmung SR 25:20 (Nein-Parole) Befürwortende Parteien CVP, EVP Ablehnende Parteien SP, GPS, GLP, FDP Quelle: Parteienwebseiten, Stand: 20.01.2016 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 Die Befürworterschaft der Initiative gegen die Heiratsstrafe betont die Ungerechtigkeit des geltenden Rechts, wonach Heirat finanziell bestraft werde, und sie will diese vorherrschende Diskriminierung aufgrund des Zivilstands aus dem Weg räumen. Sie geht davon aus, dass bei einer Annahme der Vorlage 80'000 Menschen, nämlich verheiratete Doppelverdiener-Paare, einen finanzielle Vorteil hätten. Grafik 8 Die Gegnerschaft der Initiative bemängelt die enge Definition der Ehe als Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau als diskriminierend und rückständig. Kritisiert wird weiter die faktische Erhöhung der Hürde für die Einführung eines Modells mit Individualbesteuerung, denn mit der Initiative erlangt der Grundsatz der gemeinsamen Besteuerung von Ehepaaren Verfassungsstatus. Zudem wird von der Gegnerschaft angeführt, dass Ehepaare bei den Sozialversicherungen gar nicht benachteiligt würden. Grafik 9 In jüngster Zeit ist mehrfach über vergleichbare Anliegen abgestimmt worden. Beide vergleichbaren Volksinitiativen, sind in der Volksabstimmung gescheitert. Tabelle 4 Vergleichbare Abstimmungsvorlagen Vergangenheit Datum Vorlagentitel Trägerschaft Volksmehr Ständemehr 24.11.2013 VI "Familieninitiative: Steuerabzüge auch für Eltern, die ihre Kinder selber betreuen" Initiantin: SVP Ja-Parole: SVP, EVP, EDU, MCR 41.5% Ja 58.5% Nein 2 1/2 Ja 18 5/2 Nein 08.03.2015 VI "Familien stärken! Steuerfreie Kinder- und Ausbildungszulagen" Initiantin: CVP Ja-Parole: CVP, SVP, EVP 24.6% Ja 75.4% Nein 0 Ja 20 6/2 Nein SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 Am besten eignet sich die CVP-Initiative "Familien stärken!", über die am 8. März 2015 abgestimmt wurde als Referenzabstimmung. Mit einem JaStimmenanteil von 24.6 Prozent wurde diese Initiative vom Volk und der Ge16 samtheit der Stände abgelehnt. Etwas höhere Ja-Anteile erzielte die Initiative in Teilen der Romandie und im Tessin, sie wurde aber auch dort mehrheitlich abgelehnt. Ausser der CVP, die das Anliegen als Initiantin trug, sprach auch die SVP die nationale Ja-Parole aus. Grafik 10 Abstimmung vom 8. März 2015: VI "Familien stärken!" Quelle: www.atlas.bfs.admin.ch Im Vorfeld der Abstimmung zeigte sich, dass das Anliegen auf Sympathien traf, denn in im Rahmen der ersten SRG-Trendumfrage sprach sie eine Mehrheit für die Initiative aus. Mit Fortschreiten des Abstimmungskampfes schwand diese Mehrheit allerdings und das gegnerische Lager machte Boden gut. Diese Entwicklung war bereits in der zweiten Umfragewelle erkennbar und setzte sich bis zum Abstimmungssonntag weiter fort. Der Sockel an bestimmter Zustimmung konnte im Wesentlichen gehalten werden, tendenzielle Zustimmende und die Unentschiedene jedoch wurden durch den Abstimmungskampf zu Gegnern und Gegnerinnen der Vorlage. Dies ist ein für Initiativen typischer Meinungsverlauf. Die VOX-Nachanalyse legte offen, dass die generellen Konfliktlinien bei der Familieninitiative nicht stark ausgeprägt waren. Sympathisierende aller Parteien stimmten mehr oder weniger deutlich gegen die Initiative, wobei die Unterstützung bei Anhängerschaften derjenigen Parteien, welche die Ja-Parole herausgegeben hatten, noch am grössten war: Bei der CVP stimmten 49 Prozent und bei der SVP 27 Prozent für die Initiative. Bei den Anhängerinnen und Anhängern der SP und der FDP war die Zustimmung klar tiefer (20% bzw. 18%). Im Vergleich zu früheren familienpolitischen Vorlagen spielte der gesellschaftspolitische Konflikt bei der CVP-Familieninitiative eine untergeordnete Rolle; vielmehr scheiterte die Initiative aus fiskalpolitischen Gründen. Weiter war die persönliche Betroffenheit für den Stimmentscheid relevant: Bei kinderlosen, ledigen Personen fiel die Zustimmung am tiefsten aus und stieg mit der Grösse der Familie sowie steigendem Einkommen leicht an. Im Vergleich hierzu hat sich die CVP bei der neuerlichen Abstimmung besser aufgestellt; vor allem versucht sie, die Interessen der kantonalen Finanzpolitiker und -politikerinnen durch Berücksichtigung im Initiativkomitee besser einzubinden. 17 Grafik 11 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht an Abstimmung vom 8. März 2015: VI "Familien stärken!" "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Volksinitiative "Familien stärken! Steuerfreie Kinder- und Ausbildungszulagen" abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen/teilgenommen haben 19 35 bestimmt dagegen 14 15 75.4 weiss nicht/keine Antwort 10 eher dafür 25 14 27 20. Januar 2015 eher dagegen 15 26 17. Februar 2015 bestimmt dafür 24.6 8. März 2015 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 8. März 2015 im Trend, 2. Welle, 16. - 21. Februar 2015 (n = 980), Endergebnis Fazit Ausgangslage VI gegen Heiratsstrafe Für die kommende Abstimmung gehen wir davon aus, dass es sich bei der Volksinitiative gegen die Heiratsstrafe um eine potenziell mehrheitsfähige Vorlage handelt. In der Ausgangslage erwarten wir mehrheitliche Zustimmung. Während des Abstimmungskampfes gehen wir von einer steigenden Ablehnung und sinkenden Zustimmung aus. Die Prädisponiertheit ist mittel. Es wurde in jüngster Zeit mehrfach über vergleichbare Abstimmungen entschieden, was festere Meinungen begünstigt. Das Thema selber kennt ein beachtliches Sympathiepotenzial, während die Vorlage offensichtliche Schwachstellen hat. Das begünstigt einen hohen Ausgangswert, bei vergleichsweise starken Kampagneneinflüssen auf das Abstimmungsergebnis, namentlich wenn die Nein-Seite eine Schwachstellenkommunikation betreibt. 18 2.3 Durchsetzungsinitiative Volk und Stände haben im November 2010 die Ausschaffungsinitiative angenommen und damit neue Verfassungsbedingungen geschaffen; Ausländerinnen und Ausländer sollen die Schweiz verlassen, wenn sie wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurden. Im März 2015 hat das Parlament die nötigen Gesetzesbestimmungen dazu verabschiedet, die 2016 in Kraft treten. Der Urheberschaft der Durchsetzungsinitiative ging die vom Parlament erarbeitete Umsetzung der Ausschaffungsinitiative von Beginn weg zu wenig weit, weshalb sie die Durchsetzungsinitiative lancierte. Sie verlangt, dass die Bestimmungen zur Ausschaffung direkt und detailliert in die Verfassung geschrieben werden. In unserer Befragung und in den Erläuterungen des Bundesrates (offizielle Abstimmungsbroschüre) wurde die Durchsetzungsinitiative wie folgt beschrieben: "Die Initiative verlangt, dass noch einmal über die Ausschaffung krimineller Ausländerinnen und Ausländer abgestimmt wird. Die Initianten wollen damit ihre Vorstellung davon durchsetzen, wie die Ausschaffungsinitiative umzusetzen sei. Das Parlament hat diese Umsetzung inzwischen aber beschlossen und die Gesetze verschärft." Die Schlussabstimmung im Nationalrat fiel deutlich aus: ausserhalb der Initianten ist keine einzige Stimme für das Anliegen ausgefallen. 140 Ratsmitglieder sprachen sich gegen die Vorlage aus, die 57 Stimmen dafür, finden sich in der geschlossenen SVP-Fraktion. In der Schlussabstimmung des Ständerats sahen die Verhältnisse ähnlich aus; 38 Stimmen für den Antrag des Bundesrats auf Ablehnung der Initiative, 6 SVP-Stimmen dagegen. Die Polarisierung entspricht der bekannten Opposition aus rechtsnationaler Sicht gegen die Mehrheit. Grafik 12 Schlussabstimmung Nationalrat Durchsetzungsinitiative Lesebeispiel: Ja heisst Zustimmung zum Antrag des Bundesrates: Initiative zur Ablehnung empfehlen Quelle: www.politnetz.ch Damit steht eine geschlossene SVP-Fraktion allen anderen im Parlament vertretenen Parteien gegenüber und das übersetzt sich eins zu eins in die nationalen Parteiparolen: SVP und EDU haben die Ja-Parole gefasst, alle anderen Parteien sprechen die Nein-Parole aus. Es zeichnet sich damit für die Durchsetzungsinitiative ein ähnlicher Parolenspiegel wie bei der Ausschaffungsinitiative ab. Auch damals waren neben SVP und EDU, verstärkt durch die Lega im Pro-Lager, alle anderen Parteien fassten die Nein-Parole. 19 Tabelle 5 Parolen Durchsetzungsinitiative Durchsetzungsinitiative Stimmempfehlung BR Nein-Parole Abstimmung NR 140:57 (Nein-Parole) Abstimmung SR 38:6 (Nein-Parole) Befürwortende Parteien SVP Ablehnende Parteien SP, GPS, GLP, CVP, EVP, BDP, FDP Stimmfreigabe - Abweichende Sektionen Ja - Abweichende Sektionen Nein - Quelle: Parteienwebseiten, Stand: 20.01.2016 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 Die mediale Auseinandersetzung mit der Vorlage ist seit geraumer Zeit – eigentlich seit der Lancierung der Initiative – im Gange. Die Durchsetzungsinitiative stellt für die Schweiz ein politisches Novum dar, was Anlass für Medienberichte bietet. Doch bereits der Vorläufer, die Ausschaffungsinitiative, erfuhr aufgrund ihrer starken Polarisierung und aufgrund des Inhalts hohe mediale Aufmerksamkeit im In- und Ausland. Die Befürworterschaft der Initiative argumentiert, dass das von Bundesrat und Parlament ausgearbeitete Umsetzungsgesetz aufgrund der eingefügten Härtefallklausel, zu weich formuliert sei, weil damit faktisch jede Ausschaffung verhindert werden könne. Die Durchsetzungsinitiative wird als Möglichkeit angesehen, dem ursprünglichen Volkswillen Gehör zu verschaffen und für mehr Sicherheit in der Schweiz zu sorgen. Für die Schweiz neu in dieser Intensität und für die bevorstehende Entscheidung ebenfalls relevant, ist eine verbreitete Institutionenkritik gegenüber dem Rechtstaat allgemein und spezifischer gegenüber dem Bundesgericht sowie einzelnen Rechtsprofessoren. Kritisiert werden konkret unverständliche Entscheidungen des Bundesgerichts. Hinterfragt werden Integrität und Verhältnismässigkeit des Rechtstaates generell. Grafik 13 Die gegnerische Seite argumentiert, dass die Durchsetzungsinitiative mit den Grundregeln der Schweizer Demokratie breche und den Rechtstaat gefährde, weil das Parlament die Umsetzung beschlossen habe und die Gesetze innerhalb der gesetzten Frist verschärft wurden. Die Durchsetzungsinitiative hebelt aus Sicht des Contra-Lagers das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren aus und missachtet die Gewaltenteilung, weil sie die Befugnisse der Justiz einschränken will. Kritisiert wird zudem, dass die Durchsetzungsinitiative teilweise weiter gehe als die Ausschaffungsinitiative und sie Delikte wie beispielsweise Steuerhinterziehung ausklammere. Formiert haben sich zwischenzeitlich drei gegnerische Komitees; ein bürgerliches Komitee, vertreten durch die Parteien CVP mit der "Nicht-nötigKampagne", EVP, FDP und BDP, ein SP Komitee, das mit dem Stiefel-Sujet gegen die Gefährdung des Rechtstaates ankämpft und ein NGO-Komitee, das mit der Abrissbirne vor den Folgen einer Annahme warnt. Zudem haben zwei emeritierte Rechtsprofessoren das Manifest "Die Schweiz ist ein Rechtstaat – 20 Nein zur Durchsetzungsinitiative" verfasst, das am 14. Januar 2016 bereits von 120 Rechtsprofessoren unterzeichnet wurde. Grafik 14 Zu Beginn des Abstimmungskampfes erreichte die deutsche Asyldebatte ausgehend von den sexuellen Übergriffen gegenüber Frauen in Köln die Schweizer Politik. Diskutiert wird seither, in welchem Masse dieses Ereignis die Entscheidung unseres Landes beeinflussen könne. Offensichtlich ist, dass sich der (sozial) mediale Diskurs zur Initiative weiterentwickelt, indem eine exemplarische Anbindung an die Situation in der Schweiz gesucht wird. Das Problem krimineller Ausländer und Ausländerinnen erfuhr durch die Ereignisse der Silvesternacht in Köln eine mediale Aufladung, die bis in die Schweiz transportiert und auf die bevorstehende Abstimmung gemünzt wurde. Explizit machten etwa SVP-Exponenten den Bezug für ein Ja zur Durchsetzungsinitiative, damit die Schweiz nicht zu "Köln" werde. Geschaffen wird damit ein Klima, das für die Initiative spricht. Dieses neue Klima beeinflusst weniger die Stimmabsichten an sich, sondern vielmehr beeinflusst sie die Mobilisierung. Besonders bei Parteien, die der Vorlage negativ gegenüberstehen, ist ein schlummerndes, allenfalls mobilisierungsfähiges Potenzial vorhanden. Über vergleichbare Vorlagen ist in jüngster Zeit mehrfach abgestimmt worden. Sie betreffen die Migrationsfrage, aber auch das Strafrecht. Beide Politikbereiche kannten mehrfach klar Elite/Basis-Konflikte. Ihnen gemeinsam ist, dass sie auf der kulturellen Konfliktlinie zwischen Öffnen und Verschliessen angesiedelt sind, wo sich Themen des Identitätsgewinns respektive -verlustes durch Ausländer und Ausländerinnen, aber auch Straftaten überhaupt gegenüberstehen. Tabelle 6 Vergleichbare Abstimmungsvorlagen Vergangenheit Datum Vorlagentitel Trägerschaft Volksmehr Ständemehr 08.02.2004 VI "Lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter" Initiantin: Verein Licht der Hoffnung Ja-Parole: SVP, EDU, SD 56.2% Ja 43.8% Nein 19 5/2 Ja 1 1/2 Nein 01.06.2008 VI "Für demokratische Einbürgerungen" Initiantin: SVP Ja-Parole: SVP, EDU, SD 36.2% Ja 63.8% Nein 1 Ja 19 6/2 Nein 30.11.2008 VI "für die Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern" Initiantin: Marche Blanche Ja-Parole: SD, SVP, 51.9% Ja 48.1% Nein 16 4/2 Ja 4 2/2 Nein 29.11.2009 VI "Gegen den Bau von Minaretten" Initiantin: SVP, EDU Ja-Parole: SVP, EDU, SD 57.5% Ja 42.5% Nein 17 5/2 Ja 3 1/2 Nein 28.11.2010 VI "Für die Ausschaffung krimineller Ausländer" Initiantin: SVP Ja-Parole: CVP, SVP, EVP, SD 52.3% Ja 47.7% Nein 15 5/2 Ja 5 1/2 Nein 09.02.2014 VI "Gegen Masseneinwanderung" Initiantin: SVP Ja-Parole: SVP, EDU, SD 50.3% Ja 49.7% Nein 12 5/2 Ja 8 1/2 Nein 18.05.2014 VI "Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen" Initiantin: Marche Blanche Ja-Parole: EDU, MCG, SVP, BDP 63.5% Ja 36.5% Nein 20 6/2 Ja SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 Die offensichtliche Referenz für die Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative ist ihr Vorläufer die Ausschaffungsinitiative der SVP vom 28. November 2011, die vom Volk mit einem Ja-Anteil von 52.3 Prozent angenommen wurde. Der Bundesrat, das Parlament und der Grossteil aller Parteien empfahlen die Vorlage zur Ablehnung und lediglich die SVP sowie einige Parteien aus dem rechts-konservativen Lager beschlossen die Ja-Parole. 21 Die Volksinitiative war in der Ausgangslage mehrheitsfähig, weil die Kriminalität bestimmter Ausländergruppen in breiten Bevölkerungsschichten problematisiert worden ist. Der Lösungsansatz der Initianten und Initiantinnen war allerdings gerade im Parlament umstritten, sodass es zu einem Gegenentwurf kam, der Ziele der Initiative aufnahm, sie aber mit anderen Mitteln verfolgen wollte. Der Verlauf der Meinungsbildung zur Ausschaffungsinitiative ist kein eindeutiger Regelfall. Obwohl sich der Ja-Anteil, wie bei Initiativen üblich, von der ersten hin zur zweiten Umfrage verringerte, tat er dies nicht in gewohntem Ausmass. Es gelang während der Kampagnenphase beiden Lagern ähnlich gut, mit ihren Argumenten zu überzeugen. Insbesondere blieb der übliche Meinungswandel der tendenziellen Befürworterschaft aus; aus tendenziellen Befürwortern wurden zum Schluss dezidierte. Solche Fälle der Meinungsbildung bei Initiativen treten nach unserer Erfahrung dann auf, wenn es mit der Initiativentscheidung zu einem Tabubruch kommt, mit dem sich eine Proteststimmung aufbaut. Es ist in solchen Situationen möglich, dass sich die Zusammensetzung der Teilnahmewilligen (zugunsten der Initiative) ändert oder auch ein kurzfristiger Meinungswandel im Sinne des Zeichensetzens entsteht. Denkbar ist der Fall auch, wenn der Problemdruck als hoch angesehen wird, sodass mit der Stimmabgabe ein bewusstes Zeichen gegen die Erfahrungen aus dem Alltag gesetzt wird. Der hitzig geführte Abstimmungskampf und die hohe Mobilisierung von Stimmberechtigten (52.6% Stimmbeteiligung) stützen diese These. Der Ausgang der Abstimmung wurde von der VOX-Autorenschaft als historisch bezeichnet, denn erstmals wurde eine Initiative im Bereich der Ausländerpolitik im engeren Sinne angenommen. Diesen Erfolg hatte die SVP-Initiative gemäss VOX-Nachanalyse zunächst der konsequenten Unterstützung in den eigenen Reihen zu verdanken. Ausserdem fand die Initiative auch Zuspruch in bürgerlichen Kreisen. Etwa jede zweite FDP-Wählerin respektive jeder zweite FDPWähler legte ein Ja ein. Bei der CVP-Anhängerschaft war der Ja-Stimmenanteil zwar geringer, aber mehr als ein Drittel (37%) von ihnen entschied sich – entgegen der Parteiparole – zugunsten des Begehrens. Im linken Lager stiess die Initiative erwartungsgemäss auf wenig Sympathie. Nur 12 Prozent der SPAnhängerschaft stimmten zu ihren Gunsten. Mit Ausnahme von Basel-Stadt erreichte das SVP-Volksbegehren in allen Deutschschweizer Kantonen eine Mehrheit. In den französischsprachigen Kantonen wurde sie mit Ausnahme des Wallis zwar mehrheitlich verworfen, aber überall lag der Ja-Stimmenanteil bei über 40 Prozent. 22 Grafik 15 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht an Abstimmung vom 28. November 2010: "Ausschaffungs-Initiative" "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Ausschaffungs-Initiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 24 37 12 bestimmt dagegen 47.7 eher dagegen 6 6 3 22 15 weiss nicht/keine Antwort eher dafür 52.3 36 1. Welle/13.10.2010 39 2. Welle/10.11.2010 bestimmt dafür 28.11.2010 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. November 2010 im Trend, 2. Welle, 08. – 13.11.2010 (n = ca. 750), Endergebnis Denkbar ist auch ein Bezug zur Einbürgerungsinitiative, denn sie zeigte ein ähnliches Konfliktmuster, allerdings bei deutlich geringerer Konfliktintensität. Den Hauptgrund hierfür sehen wir darin, dass institutionelle Fragen nicht die gleiche Sprengkraft haben wie gesellschaftspolitische. Deshalb wirken rechtspolitische Bedenken der Gegnerschaft in solchen Fällen deutlich stärker. Grafik 16 Abstimmung vom 28. November 2010: Ausschaffungsinitiative Quelle: www.atlas.bfs.admin.ch 23 Fazit Ausgangslage Durchsetzungsinitiative Für die kommende Abstimmung gehen wir davon aus, dass es sich bei der Durchsetzungsinitiative um eine potenziell mehrheitsfähige Vorlage handelt. In der Ausgangslage erwarten wir mehrheitliche Zustimmung. Während des Abstimmungskampfes gehen wir von einer steigenden Ablehnung und sinkenden Zustimmung aus. Die Prädisponiertheit erachten wir als hoch, weil es einen direkten Bezug zur Ausschaffungsinitiative gibt, über die 2010 in einer Volksabstimmung entschieden wurde. Das damalige Stimmverhalten bildet die Grundlage auf der jetzt abgestimmt wird. Unsicher ist vor allem die Mobilisierung, denn bei Protestabstimmungen, wie sie angelegt ist, entscheidet die Mobilisierung, insbesondere regierungskritischer und sachpolitisch enttäuschter Personen mit. Von der Kampagne erwarten wir, dass sie in erster Linie vorhandene Prädispositionen aktiviert. Meinungsänderungen sind dann zu erwarten, wenn die Gegnerschaft nicht nur die Schwachstellen aufzeigt, sondern auch das behördliche Handeln seit der letzten Volksabstimmung klar machen kann. 2.4 Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation Die Initiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!" verlangt, dass spekulative Geschäfte mit Agrarderivaten in der Schweiz verboten werden. Zulässig bleiben sollen lediglich Geschäfte zur terminlichen und preislichen Absicherung. Ausserdem soll sich der Bund auf internationaler Ebene dafür einsetzen, dass die Spekulation auf den Märkten für Agrarderivate bekämpft wird. Lanciert wurde die Volksinitiative gegen Nahrungsmittelspekulation von den Juso; mitgetragen wird sie von der jungen CVP, der AL, der EVP und den Grünnen sowie Organisationen aus humanitären und kirchlichen Kreisen. In unserer Befragung und in den Erläuterungen des Bundesrates (offizielle Abstimmungsbroschüre) wurde die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation wie folgt beschrieben: "Die Volksinitiative verlangt in der Schweiz ein Verbot von spekulativen Finanzgeschäften, die sich auf Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel beziehen. Ausserdem soll sich der Bund auf internationaler Ebene dafür einsetzen, dass solche Geschäfte bekämpft werden." Im Nationalrat wurde die Initiative mit 130 zu 58 Nein-Stimmen abgelehnt. Im Ständerat legten 31 Parlamentsmitglieder ein Nein ein, während sich 11 für die Initiative aussprachen. Das Ergebnis war damit recht klar: Die Polarisierung entspricht weitgehend der linksgrünen Opposition gegen die bürgerliche Mehrheit. 24 Grafik 17 Schlussabstimmung Nationalrat Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation Lesebeispiel: Ja heisst Zustimmung zum Antrag des Bundesrates: Initiative zur Ablehnung empfehlen Quelle: www.politnetz.ch Es zeichnet sich damit eine politische Entscheidung entlang der Parteispektren ab, wobei sich die politische Mitte mit dem rechtsbürgerlichen Lager gegen die SP und die Grünen aufstellen dürften. Die Parteiparolen entsprechen diesem Bild. Auf der nationalen Ebene beschliessen bisher einzig die SP, die Grünen und die EVP die Ja-Parole, während GLP, CVP und SVP das Anliegen zur Ablehnung empfehlen. Tabelle 7 Parolen VI gegen Nahrungsmittelspekulation VI gegen Nahrungsmittelspekulation Stimmempfehlung BR Nein-Parole Abstimmung NR 130:58 (Nein-Parole) Abstimmung SR 30:11 (Nein-Parole) Befürwortende Parteien SP, GPS, EVP Ablehnende Parteien GLP, CVP, FDP, SVP Quelle: Parteienwebseiten, Stand: 20.01.2016 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 Agrarrohstoffe werden rund um die Welt gehandelt und die Preise von Weizen, Reis, Soja, Kaffee, Baumwolle und andern Agrarrohstoffen sind immer wieder starken Schwankungen unterworfen. Diese sind unter anderem auf Dürre- oder Frostperioden, auf Überproduktionen oder auch auf Handelsbeschränkungen von Ländern mit bedeutender Agrarproduktion zurückzuführen. Nach Ansicht der Initiantinnen und Initianten haben jedoch auch spekulative Geschäfte mit Agrarderivaten Einfluss auf die Nahrungsmittelpreise und tragen in der Konsequenz zu Armut und Hunger in der Welt bei, weshalb der Handel mit Agrarderivaten verboten werden sollen. Zudem wird kritisiert, dass die Schweiz es im Unterschied zu anderen Industriestaaten verpasst habe, die Spekulation per Gesetz einzudämmen. Mit Essen spiele man schliesslich nicht. 25 Grafik 18 Die Gegnerschaft der Initiative führt ins Feld, dass sich in der Schweiz gar keine Handelsplätze für solche Finanzinstrumente befänden und betroffene Unternehmen ihre Handelsaktivitäten schlichtweg ins Ausland verlegen können. Daher hätte ein Schweizer Verbot kaum Auswirkungen auf den weltweiten Handel mit Agrarderivaten. Auch wird argumentiert, dass bei einer Annahme der Initiative eine aufwendige Kontrollbürokratie aufgebaut werden müsste, die den Schweizer Unternehmen schade, weil sie Kosten und Einschränkungen mit sich bringen würde. Zudem entstünden Wettbewerbsnachteile gegenüber Konkurrenten im Ausland, die keine solchen Auflagen befolgen müssen. Befürchtet wird schliesslich die negative Signalwirkung einer solchen Initiative für den gesamten Wirtschaftsstandort Schweiz. Der Bundesrat attestiert der Initiative mit der Bekämpfung von Armut und Hunger hehre Ziele, die wichtig für die Schweiz seien. Statt jedoch auf wirkungslose und teure Verbote, sollte aus bundesrätlicher Sicht besser auf bewährte Instrumente, wie Entwicklungszusammenarbeit oder humanitäre Nothilfe gesetzt werden. Zudem soll sich die Schweiz international für eine Verbesserung der Transparenz auf den Rohstoffmärkten engagieren. Thematische Vergleichsabstimmungen gibt es in diesem Fall keine direkten. Stellt man mehr auf Stossrichtung und Trägerschaft ab, fällt vor allem die Initiative "1:12 – Für gerechte Löhne" in Betracht. Sie wurde ebenfalls durch die JUSO lanciert. Neben der Identität des Absenders ist auch der Gerechtigkeitsgedanke in Kombination mit Wirtschaftsregulierungen bei den Vorlagen gemein. Die 1:12-Iniative wurde mit einem Ja-Anteil von 34.7 Prozent in ähnlich hohem Ausmass wie viele linke Initiativen verworfen. Auf die grösste Unterstützung stiess das Anliegen in den Kantonen Jura und Tessin, wo sich die Ja-Anteile mit 47.8 respektive 49 Prozent am nächsten der 50-Prozent-Marke befanden. Grafik 19 Abstimmung vom 24. November 2013: 1:12 –Initiative 26 Quelle: www.atlas.bfs.admin.ch Der Meinungsverlauf bei der 1:12-Initiative nahm den typischen Verlauf für eine Initiative: Mit einer Patt-Situation in der Ausgangslage startete das Anliegen verhalten in die Kampagnenphase und verlor danach kontinuierlich an Boden. Es gelang der Initiativ-Gegnerschaft relativ früh und vor allem gut eine Problematisierung des Anliegens zu erreichen, nicht zuletzt, weil die 1:12-Iniative im Fahrwasser der im gleichen Jahr angenommenen Minder-Initiative debattiert wurde. Die 1:12-Initiative galt ordnungspolitisch als falsch formuliert und die Kosten einer Annahme gelangten zunehmend in den Fokus. Die lange Debatte hatte früh eine Meinungsbildung gegen die Vorlage ausgelöst und die letzten Wochen verstärkten den Trend nur noch leicht. Grafik 20 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht an Abstimmung vom 24. November 2013: 1:12-Initiative "Wenn morgen schon über die '1:12-Initiative' abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen / teilgenommen haben bestimmt dagegen 31 41 65.3 13 12 eher dagegen weiss nicht/keine Antwort 13 10 eher dafür 22 13 22 08. Oktober 2013 23 04. November 2013 34.7 bestimmt dafür 24. November 2013 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 24. November 2013 im Trend, 2. Welle, 01. – 08. November 2013 (n = 981), Endergebnis Die VOX-Nachanalyse der Abstimmung legte offen, dass der Graben zwischen Befürworter- und Gegnerschaft der Initiative ziemlich genau zwischen Links und Mitte-Rechts verlief und tief war: links von der Mitte fand die Forderung nach einer maximalen Lohnbandbreite eine solide Mehrheit (linksaussen: 76%, links 57%), während sie ausserhalb des linken Lagers wuchtig abgelehnt wurde. Dieser klassische Links/rechts-Konflikt widerspiegelt sich auch im Entscheid der verschiedenen Parteianhängerschaften. Der hauptsächliche Grund für die deutliche Ablehnung der Initiative war nicht, dass sich die Empörung über exorbitant hohe Managerlöhne seit der Annahme der Abzockerinitiative gelegt hätte. Vielmehr war eine Mehrheit der Stimmenden überzeugt davon, dass das Begehren der Jungsozialisten negative ökonomische Konsequenzen haben werde. Fazit Ausgangslage VI gegen Nahrungsmittelspekulation Für die kommende Abstimmung gehen wir davon aus, dass es sich bei der Spekulationsstopp-Initiative um eine Minderheitsinitiative handelt. In der Ausgangslage erwarten wir keine mehrheitliche Zustimmung. Während des Abstimmungskampfes gehen wir von einer steigenden Ablehnung und sinkenden Zustimmung aus. Das macht die Ablehnung wahrscheinlich. 27 Die Höhe des Ja-Stimmenanteils in der Abstimmung hängt in erster Linie von der Prädisponiertheit ab. Diese erachten wir als nicht besonders hoch, da erstmals über einen solchen Inhalt abgestimmt wird. Das lässt vor allem recht viele Unschlüssige zu Beginn des Abstimmungskampfes vermuten. Mit gefestigten Stimmabsichten im Ja rechnen wir bei ganz linken Positionen, nicht aber in der Mitte. Hier kann die Gegnerschaft mit der bekannten SchwachstellenKommunikation punkten. 2.5 Zweite Gotthardröhre Der Gotthard-Strassentunnel wird jährlich von rund fünf Millionen Personenwagen und 900‘000 Lastwagen genutzt. Die Strasse über den Pass kann jeweils nur im Sommerhalbjahr befahren werden. Im Winter ist sie nicht passierbar. Mit einem täglichen Verkehr von durchschnittlich 17‘000 Fahrzeugen ist der Gotthard die wichtigste Alpenverbindung der Schweiz. Nach rund 35 Jahren Betrieb soll der Gotthardstrassentunnel altershalber saniert werden. Um die Strassenverbindung während der mehrjährigen Sanierungsarbeiten aufrecht zu erhalten, haben Bundesrat und Parlament den Bau einer zweiten Röhre beschlossen, die während der Sanierungsarbeiten als Ausweichröhre dienen soll. Nach der Sanierung sollen beide Röhren in Betrieb sein, ohne dabei die Kapazität des Tunnels zu erhöhen: Im Gesetz ist verankert, dass immer nur eine Fahrspur pro Richtung betrieben werden darf. Der Bau der zweiten Röhre und die Sanierung des bestehenden Tunnels kosten rund 2,8 Milliarden Franken. Gegen die Vorlage wurde von rotgrüner Seite erfolgreich das Referendum ergriffen. Federführend war der Verein "Nein zur 2. Gotthardröhre" bestehend aus über 50 nationalen und lokalen Organisationen (Parteien, Vereine, Gewerkschaften, Interessengemeinschaften, Stiftungen und NGOs). In unserer Befragung und in den Erläuterungen des Bundesrates (offizielle Abstimmungsbroschüre) wurde die Vorlage wie folgt beschrieben: "Die Gesetzesänderung ermöglicht den Bau einer zweiten Röhre mit anschliessender Sanierung des bestehenden Tunnels. So ist die Strassenverbindung durch den Gotthard auch während der Sanierung verfügbar. Im Gesetz wird zudem verankert, dass immer nur eine Fahrspur pro Richtung offen ist." Der Bau einer Sanierungsröhre wurde von beiden Räten gutgeheissen. Im Ständerat betrug das Resultat 28 Ja- zu 17 Nein-Stimmen, im Nationalrat wurde die Vorlage mit 109 Ja- zu 74 Nein-Stimmen angenommen. Die sozialdemokratische, grüne und grünliberale Fraktion stimmten in beiden Kammern geschlossen gegen die zweite Gotthardröhre. Auf der befürwortenden Seite standen in beiden Räten die BDP, CVP, FDP, BDP und die SVP, wenn auch nicht alle geschlossen. Der Entscheid war nur eher klar, hat jedoch vorwiegend auf entlang der Links/rechts-Achse polarisiert. 28 Grafik 21 Schlussabstimmung Nationalrat über zweite Gotthardröhre Lesebeispiel: Das Parlament stimmt über die Änderung der Bundesgesetzes ab. Ein Ja bedeutet: Annahme der Änderung. Quelle: www.politnetz.ch Orientiert man sich an der Schlussabstimmung im Parlament kann bei dieser Abstimmung eine ökologisch-links-orientierte Front gegen eine bürgerlichrechts-orientierte erwartet werden. Durchbrochen werden dürfte dieses Muster allerdings von regionalen Faktoren. National bereits ein Ja als offizielle Parteiparole gefasst haben die SVP, BDP und die CVP. Die Vorlage zur Ablehnung empfehlen dagegen die SP, GPS, GLP und die EVP. Tabelle 8 Parolen zweite Gotthardröhre Bundesbeschluss zweite Gotthardröhre Stimmempfehlung BR Ja-Parole Abstimmung NR 109:74 (Ja-Parole) Abstimmung SR 28:17 (Ja-Parole) Befürwortende Parteien SVP, BDP, FDP, CVP Ablehnende Parteien SP, GPS, GLP, EVP Quelle: Parteienwebseiten, Stand: 20.01.2016 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 Die Gegner und Gegnerinnen des Gotthardsanierungstunnels argumentieren primär mit Umwelt- und spezifisch Alpenschutz sowie den Kosten des Projekts. Befürchtet wird konkret, dass die zweite Röhre, wenn sie einmal gebaut wurde, über kurz oder lang auch genutzt wird und die Schweiz so zur "Transithölle" verkommen wird. Kritisiert wird auch der Umstand, so viel Geld in ein Projekt zu schiessen, während in den Städten und Agglomerationen, wo der Verkehr aus allen Nähten platzt, Geld für notwendige Projekte fehlt. Die Neat dagegen, in die das Schweizer Volk 24 Milliarden investiert hat, sieht man durch die zweite Gotthardröhre konkurrenziert, wenn nicht gar gefährdet. Grafik 22 Seitens der Befürworterschaft wird dagegen mit Sicherheit, Kosteneffizienz und der Wichtigkeit der steten Nord-Südverbindung argumentiert. Der Gotthard-Strassentunnel gilt als Herzstück der Nord-Süd-Verbindung durch die Alpen und sichert Bevölkerung und Wirtschaft eine ganzjährig verfügbare Stras29 senverbindung. Damit diese auch während der Tunnelsanierung offen bleiben kann, braucht es aus Sicht der Befürworter und Befürworterinnen eine zweite Röhre, die sich auch längerfristig auszahle: Die Sicherheit werde durch den Sanierungstunnel markant erhöht. Zudem sei damit für alle künftigen Sanierungen am Gotthard vorgesorgt. Grafik 23 Eine Vergleichsvorlage aus jüngerer Vergangenheit ist jene über die Finanzierung und den Ausbau der Bahninfrastruktur, kurz FABI. Inhaltich näher am Thema liegt jedoch eine etwas ältere Vorlage, der Gegenvorschlag zur AvantiInitiative. Die Automobilverbände TCS und ACS hatten mit einer Ende 2000 eingereichten Volksinitiative verlangt, dass Engpässe auf überlasteten Autobahnteilstücken im Mittelland behoben und am Gotthard ein zweiter Strassentunnel gebaut wird. Letzteres hätte die teilweise Ausserkraftsetzung der 1994 vom Volk angenommenen Alpenschutzinitiative bedingt. Der Bundesrat lehnte den Gotthardstrassentunnel als nicht dringlich ab und legte einen Gegenentwurf vor. Dieser sah neben dem Ausbau von überlasteten Nationalstrassen auch die Förderung des öffentlichen Agglomerationsverkehrs mit bisher für den Strassenbau zweckgebundenen Mitteln vor. Gegen den Willen des Bundesrates nahm das Parlament zusätzlich den Bau einer zweiten Tunnelröhre durch den Gotthard in den Gegenvorschlag auf, was die Automobilverbände veranlasste, ihre Avanti-Initiative zurückzuziehen. Da das Parlament auf die Festlegung eines Termins für den Bau der Gotthardröhre verzichtet hatte, stellte sich in der Abstimmungskampagne auch der Bundesrat hinter den Parlamentsbeschluss. Die Fronten im damaligen Abstimmungskampf waren weitgehend klar: Auf der Gegnerseite befanden sich die SP, die GPS sowie die Umweltschutzorganisationen und die Gewerkschaften. Für den Gegenvorschlag setzten sich die FDP, die SVP und die Unternehmerverbände ein. Nicht in dieses für Umweltschutzfragen klassische Schema passte die CVP mit ihrer gegen die Parteileitung gefassten Nein-Parole. Die Kampagne wurde namentlich von der Contra-Seite sehr engagiert geführt. Ihre Argumente konzentrierten sich auf zwei Elemente: Den Gotthard-Tunnel, welcher das Ziel einer Verlagerung des Gütertransitverkehrs auf die Schiene sabotiere, und die angesichts der Sparanstrengungen des Staates hohen Kosten von rund 30 Milliarden Schweizer Franken. Die Befürworterschaft pries die Vorlage als ausgewogenes Konzept zur Förderung sowohl des privaten als auch des öffentlichen Verkehrs an, dessen Finanzierung durch die Verwendung von zweckgebundenen Abgaben der Automobilisten auch langfristig gesichert sei. In der Volksabstimmung vom 8. Februar 2004 wurde der Avanti-Gegenvorschlag mit einem Neinstimmen-Anteil von 62,8 Prozent deutlich abgelehnt. Das für eine Annahme ebenfalls erforderliche Ständemehr hatte sie noch klarer verfehlt, ergab sich doch in keinem einzigen Kanton eine zustimmende Mehrheit. 30 Grafik 24 Abstimmung vom 8. Februar 2004: Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative Quelle: www.atlas.bfs.admin.ch Die VOX-Nachanalyse dieser Abstimmung legte offen, dass das Abstimmungsverhalten von einem klaren Links/rechts-Graben geprägt war: Wer sich politisch als links einstufte, hatte den Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative abgelehnt, wer sich rechts einstufte, hatte ihn knapp angenommen. Fast ebenso stark beeinflusste die Einstellung zur Umweltschutzpolitik den Entscheid: Wer den Schutz der Umwelt höher bewertet als das Wirtschaftswachstum, stimmte zu 79 Prozent Nein. Dass die Skepsis weit ins bürgerliche Lager hineinreichte, zeigte das Verhalten der Parteisympathisanten. Nur etwas mehr als die Hälfte der Anhängerschaft der SVP und der FDP folgte den Ja-Parolen ihrer Parteien. Im Gegensatz dazu schlossen sich 79 Prozent der SP-Sympathisanten und rund zwei Drittel der CVP-Gefolgschaft den ablehnenden Empfehlungen ihrer Parteien an. Die sozialen Merkmale wirkten sich nur schwach auf das Abstimmungsverhalten aus. Am wichtigsten war die Frage, wie viele Personenwagen in einem Haushalt vorhanden sind. Stimmende aus Haushalten mit mehreren Autos waren die einzigen, welche den Avanti-Gegenvorschlag mehrheitlich guthiessen. Für die Mehrheit der Nein-Stimmenden war der Avanti-Gegenvorschlag eindeutig ein Plebiszit gegen die zweite Gotthardröhre. Bereits an zweiter Stelle der Entscheidmotive folgen die von der Contra-Propaganda herausgestrichenen Kosten des Projekts. Dabei sind deutliche sprachregionale Differenzen auszumachen. In der Deutschschweiz stellte die Verhinderung des Gotthardstrassentunnels ein wichtiges Entscheidmotiv dar. Das Hauptmotiv für das Nein der französischsprachigen Schweiz waren dagegen die hohen Kosten. Für die Befürworter des Avanti-Gegenvorschlags war das Ja nur bedingt ein Ja zum Gotthardtunnel. Die Mehrheit von ihnen stimmte vor allem deshalb zu, weil sie das Paket als guten Mix von Förderungsmassnahmen für den privaten und den öffentlichen Verkehr einstuften. 31 Grafik 25 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 8. Februar 2004: Gegenvorschlag Avanti-Initiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie bei einer solchen Abstimmung teilnehmen würden oder nicht: Wenn morgen schon über den Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen/teilgenommen haben 22 37 18 62.8 14 eher dagegen weiss nicht/keine Antwort 19 21 bestimmt dagegen / Nein 17 eher dafür 10 bestimmt dafür / Ja 37.2 20 9. Dezember 2003 22 20. Januar 2004 8. Februar 2004 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 8. Februar 2004 im Trend, 2. Welle, 14. – 25. Januar 2004 (n = 900), Endergebnis Das Pro-Argument, dass ein zweiter Strassentunnel durch den Gotthard notwendig sei, hat die beiden Lager am meisten polarisiert. Obwohl im politischen Spektrum die Zustimmung zum Gotthard-Tunnel von links nach rechts zunimmt, war er bei keiner Partei mehrheitsfähig. Von den gegnerischen Argumenten polarisierte vor allem die Aussage, dass neue Strassen grundsätzlich zu mehr Verkehr führen und deshalb aus Umweltschutzgründen darauf zu verzichten sei. Eine Zweidrittelmehrheit der Stimmenden war mit dem Argument einverstanden, dass der Bund anstelle der Autobahnen den öffentlichen Nahverkehr ausbauen solle. Es ging bei FABI um die langfristige Sicherung der Finanzierung von Betrieb, Unterhalt und Ausbau der Bahninfrastruktur anhand eines unbefristeten Fonds. Die Mittel daraus sollen den Bauten und Anlagen sowie dem weiteren Ausbau des Bahnnetzes zugutekommen. Im Unterschied zur aktuellen Vorlage zur zweiten Gotthardröhre wurde gegen FABI nicht aktiv das Referendum ergriffen, es handelte sich um ein obligatorisches Referendum. Am 9. Februar 2014 sagten 62 Prozent der Bevölkerung und – mit Ausnahme von Schwyz – alle Kantone Ja zum Bundesbeschluss. 32 Grafik 26 Abstimmung vom 9. Februar 2014: Bundesbeschluss FABI Quelle: www.atlas.bfs.admin.ch Der Entscheid über den Bundesbeschluss FABI kann ebenfalls zum Vergleich beigezogen werden. Diese Vorlage lag von Beginn weg in der Gunst der Stimmberechtigten; sie startete mit einer Ja-Mehrheit in die Kampagnenphase. Der Bundesrat, unterstützt von einem breiten, überparteilichen Pro-Komitee, warb für ein Ja. Die Erneuerung der Bahninfrastruktur wurde angesichts wachsender Belastungen als nötig erachtet und man versprach sich wirtschaftliche Vorteile für die Schweiz und ihre Agglomerationen. Die Gegnerschaft, primär bestehend aus SVP und Automobilverbänden, monierte den umfassenden Anspruch des Projektes und die daraus folgenden Kosten für die Allgemeinheit, namentlich bei der Mehrwertsteuer. Der Abstimmungskampf zur FABI-Vorlage verlief verhältnismässig flau. Wohl aus diesem Grund blieb die Zustimmungsbereitschaft in den Wochen vor dem Urnengang relativ stabil. 33 Grafik 27 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht an Abstimmung vom 9. Februar 2014: Bundesbeschluss FABI "Wenn morgen schon über den Bundesbeschluss über die Finanzierung und den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen / teilgenommen haben 13 14 bestimmt dagegen 18 38 10 eher dagegen 17 16 weiss nicht/keine Antwort 19 30 62 eher dafür 37 26 27. Dezember 2013 bestimmt dafür 21. Januar 2014 9. Februar 2014 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 09. Februar 2014 im Trend, 2. Welle, 20. – 25. Januar 2014 (n = 946), Endergebnis Die VOX-Nachanalyse dieses Stimmentscheids zeigte, dass die Vorlage von Stimmenden, die dem Bundesrat grosses Vertrauen entgegenbringen, deutlich angenommen wurde. Ausserdem wurde die Vorlage im linken Lager stärker unterstützt. Eine grosse Mehrheit der SP-Anhängerschaft, aber auch der CVPWählenden, stimmte für die FABI-Vorlage, jedoch nur einer von drei SVPSympathisanten. Die Anhänger und Anhägerinnnen der FDP folgten der Abstimmungsempfehlung ihrer Partei am wenigsten. Das Hauptmotiv der Ja-Stimmenden war die Zustimmung zum Ausbau der Bahninfrastruktur. Andere Stimmmotive waren deutlich weniger wichtig. Die Motive der Gegnerschaft waren vielfältiger: Zu hohe Kosten, Ablehnung des Grundsatzes der Mitfinanzierung durch Autopendler sowie die Zufriedenheit mit der aktuellen Situation wurden gegen den Bundesbeschluss ins Feld geführt. Die Argumente gegen die Vorlage haben weniger polarisiert, aber auch wenig Resonanz erzeugt. Fazit Ausgangslage zweite Gotthardröhre Für die kommende Gotthard-Abstimmung gehen wir von einer positiv vorbestimmten, aber nur labil prädisponierten Behördenvorlage aus. Die Vorlage passierte das Parlament mehrheitlich, was ein Vorentscheid ist. Der Konflikt war mittel, aber polarisiert. Unter den Stimmberechtigten dürften parteipolitische Erwägungen zentral sein, indessen nicht alleine entscheidend. Denn regionale Betroffenheit dürfte die parteipolitische Bestimmtheit durchbrechen und es ist von einer sprachregional unterschiedlichen Nutzenerwartung auszugehen. Wir nehmen eine mittlere Prädisponiertheit der Entscheidung an. Das alles macht den Ausgang etwas offen, wenn auch mit Vorteilen für die Ja-Seite. 34 2.6 Hypothesen zur Meinungsbildung Unsere Abklärungen vor der Befragung lassen die nachstehende Übersicht zu, die einerseits auf Rechtsform und die Herkunft der Vorlage abstellt, anderseits auf die Behandlung in den Behörden, die Ausgangslage, das Konfliktmuster und den Typ der Meinungsbildung. Sie folgt damit der generellen These des Dispositionsansatzes, die einleitend kurz vorgestellt wurde. Tabelle 9 Übersicht Stimmabsichten nach Parteibindungen, Abweichungen von Parolen, Unentschiedenheit und Teilnahmebereitschaft Rechtsform Opposition Mehrheitsfähigkeit Prädisponiertheit VI gegen Heiratsstrafe Volksinitiative Bürgerlichkonservativ Potenziell ben gege- Eher hoch Linksliberal vs. bürgerlich-konservativ, persönliche Betroffenheit Durchsetzungsinitiative Volksinitiative Nationalkonservativ Potenziell ben gege- Hoch Nationalkonservativ vs. linksliberal, aber Elite/Basis VI gegen Nahrungsmittelspekulation Volksinitiative Rotgrün Nicht gegeben Gering Bürgerlich vs. rotgrün Zweite Gotthardröhre Behörden- Rotgrün vorlage Gegeben Eher hoch Bürgerlich vs. rotgrün, regionale Betroffenheit Konflikttyp SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Unsere Hypothesen für die vorliegende Untersuchungsreihe zu den Volksabstimmungen vom 28. Februar 2016 lauten: Hypothese Beteiligung an Volkabstimmungen Am 28. Februar 2016 kommt es mit vier Vorlagen zu einer überdurchschnittlichen Zahl an Abstimmungen. Erwartet wird entsprechend eine Beteiligung über dem langjährigen Mittel. Sollte es zu einer überdurchschnittlichen Mobilisierung der regierungsmisstrauischen Stimmbürgerschaft kommen, wird der Protestcharakter (von rechts) in den Voten verstärkt. Hypothese Initiative gegen Heiratsstrafe Bei der Initiative gegen Heiratsstrafe handelt es sich um eine potenziell mehrheitsfähige Vorlage, bei welcher der Abstimmungskampf entscheidet. Mit der Besteuerung von Ehepaaren nimmt sie ein verbreitet problematisch empfundenes Thema auf, das bis weit in die Behörden hinein akzeptiert wird. Aufgrund der Ehedefinition und der fiskalischen Folgen ist sie allerdings kritisierbar, weshalb mit dem normalen Verlauf der Meinungsbildung gerechnet werden kann, bei dem sich die Gegnerschaft im Verlauf des Abstimmungskampfes aufbaut und das Lager der Befürworterschaft schrumpft. Gerechnet wird mit einer Polarisierung zwischen konservativer und linksliberaler Bürgerschaft, etwas durchbrochen durch die Betroffenheit als verheiratetes Paar. Das Veränderungspotenzial des Abstimmungskampfes wird als erheblich eingestuft. Es bestehen Vorteile für das Ja, der Ausgang der Volksentscheidung ist offen. 35 Hypothese Durchsetzungsinitiative Bei der Durchsetzungsinitiative handelt es sich um eine potenziell mehrheitsfähige Vorlage mit direktem Bezug zur angenommenen Ausschaffungsinitiative. Diese griff ein gesellschaftlich breit empfundenes Problem auf, das in erster Linie mit juristischen Argumenten bekämpft wurde, was erfolglos blieb. Die neue Initiative verbindet die Problematik mit einer Institutionenkritik, wonach verschiedene Behörden bei der Ausschaffung zu wenig weit gehen. In einer solchen Konstellation ist ein Elite/Basis-Konflikt häufig, vermehrt rechts denn links, bei dem namentlich die Mobilisierungsfrage der innerparteilichen Minderheiten von Belang wird. Typisiert ist mit einer generellen Konfliktlinie zu rechnen: Ängste vor Identitätsverlust auf der einen Seite, Befürworter einer multikulturellen, offenen Schweiz auf der anderen Seite. Erwartet wird mit einer vergleichbaren Ausgangslage und aufgrund einer alltäglichen und politisch verbreiteten Prädisposition ein eher geringes, aber vorhandenes Veränderungspotenzial durch den Abstimmungskampf. Es bestehen Vorteile für das Ja, der Ausgang der Volkabstimmung ist aber offen. Hypothese Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation Bei der Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation handelt es sich um ein Minderheitsanliegen. Stossrichtung und Trägerschaft entsprechen einem klaren Linksprofil mit beschränkter Ausstrahlung auf die politische Mitte. Erwartet wird, dass die Gegnerschaft im Verlaufe des Abstimmungskampfes stärker wird und das Lager der Befürworterschaft abnimmt. Postuliert wird eine Polarisierung im Links/rechts-Spektrum. Denkbar ist eine beschränkte Unterstützung im konservativ-bürgerlichen Elektorat. Ein Nein am Abstimmungstag ist das wahrscheinlichste Szenario. Hypothese zweite Gotthardröhre Bei der "Gotthard"-Abstimmung handelt es sich um eine Behördenvorlage, die aufgrund des Alltagsbezugs vorbestimmte Stimmabsichten kennt. Bestimmt sind diese durch drei Faktoren: Parteizugehörigkeit, regionale Betroffenheit und Autobesitz. Aufgrund der Vorteile für den Transitverkehr ist mit einer mehrheitlich Zustimmung in der Ausgangslage zu rechnen, verbunden mit einer Opposition aus dem rotgrünen, beschränkt auch dem bürgerlichen Lager, das einen Verstoss gegen die Verlagerungspolitik am Gotthard sieht. Die Glaubwürdigkeit der Absender ist von Belang, denn es wir mit unsicheren Auswirkungen vor allem bei einer Annahme argumentiert. Mit eindeutigen Mehrheiten ist nicht zu rechnen, die Entscheidung fällt erst im Abstimmungskampf. 36 3 Befunde 3.1 Vorläufige Teilnahmeabsichten 3.1.1 Profil der Beteiligungswilligen 48 Prozent der Stimmberechtigten gaben am 12. Januar 2016 an, sich bestimmt an der Volksabstimmung vom 28. Februar 2016 beteiligen zu wollen. Dieser Wert liegt etwas über dem Mittel der Stimmbeteiligung der vergangenen Legislatur 2011-2015, welches bei 45.6 Prozent lag. Die Beteiligungsabsichten stellen damit aktuell eine leicht überdurchschnittliche Teilnahme, über dem Legislaturmittel in Aussicht. Das ist bei vier Vorlagen nichts Ungewöhnliches, denn jede Vorlage kennt ihr spezifisches Mobilisierungspotenzial oder anders formuliert ihre Klientel. Von einer relevant überdurchschnittlichen Mobilisierung kann allerdings erst dann die Rede sein, wenn sich die Teilnahmeabsichten mit dem Abstimmungskampf nochmals deutlich steigern sollten und die 50-Prozent-Marke erreichen. Erst die zweite SRGTrendumfrage wird darüber Aufschluss geben können. Grafik 28 Teilnahmeabsicht an Abstimmung vom 28. Februar 2016 "Würden Sie selber an dieser Abstimmung bestimmt teilnehmen, eher teilnehmen, eher nicht teilnehmen oder bestimmt nicht teilnehmen?" in % Stimmberechtigter eher nicht teilnehmen 5 weiss nicht/keine Antwort 7 bestimmt nicht teilnehmen 2 bestimmt teilnehmen 48 eher teilnehmen 38 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (N = 1213) Nach Parteien separiert betrachtet, finden sich unterschiedlich fortgeschrittene Teilnahmeabsichten: Am wenigsten weit und klar unterdurchschnittlich ist die Intention einer Abstimmungsteilnahme wie gewohnt bei Parteiungebundenen (37%). Speziell an der Ausgangsmobilisierung ist jedoch, dass sich Sympathisanten und Sympathisantinnen der GPS nur zu 39 Prozent beteiligen wollen. In aller Regel kennt diese Partei eine frühe und damit in den ersten Trendumfragen regelmässig hohe Mobilisierung ihrer Anhängerschaft. Diesmal finden wir diese eher bei der SP und besonders bei den Mitte-Wählerschaften von CVP und FDP. Die SVP liegt mit 46 Prozent ihrer Anhängerschaft, die angibt, bestimmt teilzunehmen, leicht unter dem nationalen Mittel. 37 Grafik 29 Teilnahmeabsicht an Abstimmung vom 28. Februar 2016 nach Parteibindung "Würden Sie selber an dieser Abstimmung bestimmt teilnehmen, eher teilnehmen, eher nicht teilnehmen oder bestimmt nicht teilnehmen?" in % Stimmberechtigter 2 7 9 13 3 4 1 5 2 1 9 9 bestimmt nicht teilnehmen 12 28 31 27 9 eher nicht teilnehmen 33 weiss nicht/keine Antwort 42 52 59 67 62 eher teilnehmen 46 39 37 bestimmt teilnehmen GPS SP CVP FDP SVP Parteiungebundene © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (N = 1213), sig. Allerdings finden sich quer zu den Parteibindungen Anzeichen einer populistischen Aufladung der Mobilisierung; die regierungsmisstrauische Stimmbürgerschaft ist klar überdurchschnittlich gewillt, an der Abstimmung vom 28. Februar teilzunehmen, während jene mit Vertrauen in die Regierung sich nahe am Schnitt bewegt. Grafik 30 Teilnahmeabsicht an Abstimmung vom 28. Februar 2016 nach Regierungsvertrauen "Würden Sie selber an dieser Abstimmung bestimmt teilnehmen, eher teilnehmen, eher nicht teilnehmen oder bestimmt nicht teilnehmen?" in % Stimmberechtigter 1 4 9 3 7 8 4 6 3 bestimmt nicht teilnehmen 25 eher nicht teilnehmen 39 52 weiss nicht/keine Antwort 62 eher teilnehmen 47 30 bestimmt teilnehmen Vertrauen weiss nicht/keine Antwort Misstrauen © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (N = 1213), sig. 38 Auch hier wird die zweite Umfrage zeigen, ob sich diese Tendenz hält oder ob sie mit Fortschreiten des Abstimmungskampfes neutralisiert wird. Immerhin gelangen drei Initiativen mit je unterschiedlicher politischer Stossrichtung und entsprechend unterschiedlichem Mobilisierungspotenzial zur Abstimmung. Damit könnten Regierungsmisstrauische aus verschiedenen politischen Lagern angesprochen werden. Nach Siedlungsart betrachtet sticht die signifikant höhere Teilnahmebereitschaft in grossen Agglomerationen gegenüber der unterdurchschnittlichen in kleinen und mittleren Agglomerationen ins Auge. Über dem nationalen Mittel sind aber nicht nur Städter und Städterinnen, sondern auch die in ländlichen Wohngegenden lebende Stimmbevölkerung zu einer Teilnahme bereit. Grafik 31 Teilnahmeabsicht an Abstimmung vom 28. Februar 2016 nach Siedlungsart "Würden Sie selber an dieser Abstimmung bestimmt teilnehmen, eher teilnehmen, eher nicht teilnehmen oder bestimmt nicht teilnehmen?" in % Stimmberechtigter 2 4 6 3 5 8 2 6 5 33 37 bestimmt nicht teilnehmen eher nicht teilnehmen 41 weiss nicht/keine Antwort 51 54 eher teilnehmen 43 bestimmt teilnehmen ländlich kleine/mittlere Agglomeration grosse Agglomeration © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (N = 1213), sig. Abstimmungskämpfe folgen in den Sprachregionen unterschiedlichen zeitlichen Rhythmen; sie werden in der Deutschschweiz regelmässig zuerst losgetreten und erst danach in der Westschweiz und im Tessin. Dieses Bild bestätigt sich eindeutig. In der Deutschschweiz liegt die Teilnahmebereitschaft mit 59 Prozent bereits in der Ausgangslage über dem nationalen Mittel, in der Westschweiz und im Tessin bleibt sie mit 41 respektive 26 Prozent klar zurück. 39 Grafik 32 Teilnahmeabsicht an Abstimmung vom 28. Februar 2016 nach Sprachregion "Würden Sie selber an dieser Abstimmung bestimmt teilnehmen, eher teilnehmen, eher nicht teilnehmen oder bestimmt nicht teilnehmen?" in % Stimmberechtigter 1 3 5 6 3 4 4 7 bestimmt nicht teilnehmen 14 eher nicht teilnehmen 29 45 53 weiss nicht/keine Antwort eher teilnehmen 59 41 26 DCH FCH bestimmt teilnehmen ICH © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (N = 1213), sig. Kurz zusammengefasst zeigt der erste Teil der Abklärungen zu Beteiligungsabsicht, welche Merkmalsgruppen gegenwärtig die Beteiligung in welche Richtung beeinflussen. Nebst der Parteibindung, dem Regierungsvertrauen, der Sprachregion und der Siedlungsart, variieren die Teilnahmewerte hinsichtlich sozioökonomischer (Schulbildung, Haushaltseinkommen) und soziodemografischer Merkmale (Alter, Geschlecht). Tabelle 10 Konfliktlinien: Teilnahme an Abstimmungen Konflikt Signifikanz bestimmt teilnehmen eher teilnehmen Parteibindung sig. SP, CVP, FDP (GPS), (SVP), (Parteiungebundene) Sprachregion sig. DCH ICH Siedlungsart sig. (ländlich), grosse Agglomeration (kleine/mittlere Agglomeration) Schulbildung sig. (hoch) (mittel) HH-Einkommen sig. CHF 5-7000, über CHF 11000 (CHF 7-9000) Geschlecht sig. (Frau) (Mann) Alter sig. 40-64-Jährige 65+-Jährige (18- bis 39-Jährige), (65+Jährige) Regierungsvertrauen sig. Misstrauen (Vertrauen), (weiss nicht/keine Antwort) Lesebeispiel: Aufgeführte Untergruppen weichen mehr als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Stimmberechtigten ab. Untergruppen in Klammern weichen weniger als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Stimmberechtigten ab. SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (N = 1213) 40 3.1.2 Stichworte für die Berichterstattung aktuell leicht überdurchschnittliche Beteiligungsabsichten Wählende von CVP, FDP und SP leicht überdurchschnittlich teilnahmebereit behördenmisstrauische Bürgerinnen und Bürger bereits heute über dem Mittel mobilisiert bei steigender Beteiligung ist vor allem bei der Durchsetzungsinitiative mit Folgen zu rechnen, profitieren würde Ja-Seite 3.2 Volksinitiative "Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe" 3.2.1 Vorläufige Stimmabsichten Zum Zeitpunkt der Befragung fand sich mit 67 Prozent der teilnahmewilligen Stimmberechtigten eine Mehrheit für die Initiative gegen die Heiratsstrafe. Diese Befürwortermehrheit teilt sich auf in 40 Prozent dezidierte Befürworter und Befürworterinnen und weitere 27 Prozent tendenzielle. Die Gegnerschaft setzt sich aus 12 Prozent bestimmten und 9 Prozent tendenziellen Gegnern und Gegnerinnen zusammen. Insgesamt resultiert dies in einem Nein-Potenzial von 21 Prozent. Grafik 33 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016: Initiative gegen Heiratsstrafe "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen die Heiratsstrafe abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen bestimmt dagegen 12 eher dagegen 9 bestimmt dafür 40 weiss nicht/keine Antwort 12 eher dafür 27 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Der Stand der Meinungsbildung ist mässig fortgeschritten. Mit 52 Prozent verfügt in der Ausgangslage lediglich eine knappe Mehrheit der Teilnahmewilligen über eine gefestigte Stimmabsicht, sei es für oder gegen die Initiative. 36 Prozent kennen eine tendenzielle Entscheidung, und 12 Prozent der Teilnahmewilligen sind noch unschlüssig, was in verschiedener Hinsicht auf einen gewissen Spielraum für den Abstimmungskampf verweist: Erstens verbleiben Unent41 schiedene zu überzeugen und zweitens weiss man aus Erfahrung um die Brüchigkeit tendenzieller Unterstützung zu Initiativen. Nichts desto trotz kann der gute Ausgangswert dieser CVP-Initiative betont werden. Er liegt klar über dem, was die Partei in jüngerer Vergangenheit mit einer Initiative erreicht hat.1 Mit ihrem Anliegen die Heiratsstrafe abzuschaffen, scheint die CVP durchaus einen Nerv getroffen zu haben. Die Initianten starten also mit einem Vorteil in die Hauptphase des Abstimmungskampfes. Dieser hilft bei Initiativen jedoch in aller Regel eher der NeinSeite. Wie sich die Stimmabsichten bis zum 28. Februar 2016 entwickeln werden, hängt vom Abstimmungskampf, der Mobilisierung und der Meinungsbildung ab. 3.2.2 Vorläufiges Konfliktmuster Das Konfliktmuster der Initiative ist primär von zwei Grössen geprägt: der Parteiaffinität und der Betroffenheit durch die Vorlage. Interessant ist an der Initiative gegen die Heiratsstrafe, dass sie darüber hinaus kaum polarisiert. Die erste signifikante Konfliktlinie findet sich entlang der Parteibindungen, wobei selbst hier eher Nuancen als grundlegende Unterschiede vorzufinden sind. In der Ausgangslage äussern sich Teilnahmewillige jeglicher Parteibindung mehrheitlich für die Vorlage. Am höchsten fällt die Zustimmung bei den CVPaffinen Teilnahmewilligen aus (80% eher/bestimmt dafür), gefolgt von jenen der SVP (73%) und FDP (62%). Auch Parteiungebundene reihen sich vom Zustimmungsniveau her (61%) in diesen Block von Mitte-bürgerlich ein. Etwas dahinter zurück bleiben die Zustimmungswerte im linken Lager, obschon sie auch dort mehrheitsfähig sind: 55 Prozent der SP-affinen Teilnehmenden gab am 12. Januar 2016 an, bestimmt oder eher für die Vorlage zu sein und 53 Prozent der GPS-nahen Teilnahmewilligen. Grafik 34 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Parteibindung: Initiative gegen Heiratsstrafe "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen die Heiratsstrafe abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 14 23 8 14 9 16 3 11 11 13 9 6 7 16 11 eher dagegen 17 13 15 bestimmt dagegen 35 29 18 28 23 weiss nicht/keine Antwort 32 eher dafür 45 44 43 34 32 21 GPS bestimmt dafür SP CVP FDP SVP Parteiungebundene © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. Das Anliegen geniesst damit weit verbreitete Sympathien von links bis rechts. Allerdings ist die Unterstützung des Anliegens nicht überall gleich gefestigt. 1 siehe Einleitung Kapitel 2.2, Referenzabstimmung VI Familien stärken. 42 Gerade die SP- und GPS-affine Wählerschaft zeigt sich in ihren Stimmabsichten weniger konsolidiert und auch bei der FDP-affinen Wählergruppe und bei Parteiungebundenen existiert eher Spielraum für Kampagnen-Argumente als bei Teilnahmewilligen mit Sympathien für CVP oder SVP. Interessant ist bei dieser Initiative der Umstand, dass sich die Phänomene der behördlichen Willensbildung nicht oder noch nicht auf die Parteiwählerschaften übertragen haben. Von den fünf grössten Parteien sind lediglich die Wähler und Wählerinnen der CVP und der SVP im Einklang – einerseits mit den Parteiparolen und anderseits mit dem Stimmverhalten der Parteivertretenden im Nationalrat. Bei den übrigen drei Parteien finden wir (zumindest in der Ausgangslage) klare Elite/Basis-Konflikte. Im Nationalrat haben sowohl die GPS und die SP als auch die FDP geschlossen gegen die Initiative gegen die Heiratsstrafe gestimmt und konsequenterweise die Nein-Parole gefasst. Die Wählersegmente dieser drei Parteien stehen dem Anliegen in der Ausgangslage allerdings mehrheitlich wohlwollend gegenüber, womit sie nicht auf Fraktionslinie sind. Entscheidend wird die Frage sein, ob und wie stark sich die offiziellen Parolen von SP, GPS und FDP im Verlauf des Abstimmungskampfes auf die Stimmabsichten ihrer Wählerschaften auswirken werden. Aufschlussreich ist das Betroffenheitsmuster der Befragten, denn der Zivilstand von teilnahmewilligen Stimmberechtigten erweist sich als signifikante Erklärungsgrösse hinsichtlich der Stimmabsicht zur Initiative gegen die Heiratsstrafe. Ist man nämlich selber verheiratet oder lebt in einer eingetragen Partnerschaft, ist die Unterstützung für die Initiative klar höher (72% eher/bestimmt dafür), als wenn man ledig, geschieden, verwitwet oder als Paar ohne Eintrag lebt. Die potenziellen Begünstigten dieser Vorlage hegen damit noch grössere Sympathien dafür als der Schweizer Durchschnitt. Nicht direkt Begünstigte sind dagegen verhaltener in ihrer Zustimmung (59%). Verfeinert man die Restgruppe wird der Stand der Meinungsbildung von Belang. Er ist bei Personen, die in nicht-eingetragenen Partnerschaften leben am höchsten. Allerdings unterschieden sich die Ja-/nein-Anteile nicht wesentlich von den übrigen Personen in der Restgruppe. Das ist bei verwitweten Personen genau umgekehrt, denn sie sind am stärksten für die CVP-Initiative ohne dass sich schon überdurchschnittlich viele feste Meinungen ausgebildet hätten. Grafik 35 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Betroffenheit: Initiative gegen Heiratsstrafe "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen die Heiratsstrafe abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen bestimmt dagegen 9 8 11 18 13 eher dagegen 10 29 25 weiss nicht/keine Antwort eher dafür 43 34 bestimmt dafür verheiratet/eingetragene Partnerschaft Rest © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. 43 Ein letzter signifikanter Unterschied findet sich in den Stimmabsichten nach Sprachregionen: Während die Zustimmung im Tessin und abgeschwächt auch in der Deutschschweiz gefestigt und mehrheitlich für die Initiative ausfällt, ist die Unsicherheit in der französischen Schweiz grösser. Zwar wollen auch Romands zu 56 Prozent ein "Oui" zur Abschaffung der Heiratsstrafe einlegen, das "Si" aus dem Tessin ist aber mit 76 Prozent klar wuchtiger, ebenso wie das "Ja" aus der Deutschschweiz (68%). Zudem finden sich in der Westschweiz in der Ausgangslage die meisten Unentschiedenen. Auffallend ist die bereits frühe und hochgradige Entschlossenheit der Tessinerinnen und Tessiner. Bereits 59 Prozent von ihnen kennen eine bestimmte Entscheidung für (56%) respektive am Rande auch gegen (3%) diese Initiative. Das entspricht einer ungewohnt frühen Meinungsbildung in der italienischen Schweiz. Grafik 36 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Sprachregion: Initiative gegen Heiratsstrafe "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen die Heiratsstrafe abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 12 9 14 10 3 5 bestimmt dagegen 16 eher dagegen 11 20 20 26 weiss nicht/keine Antwort 31 56 eher dafür 42 25 DCH FCH bestimmt dafür ICH © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. Die zweite hier untersuchte räumliche Grösse, die Siedlungsart, erweist sich bisher als irrelevant, denn vom Land über die kleinen und mittleren Agglomerationen bis in die Städte sprechen sich ähnlich grosse Mehrheiten für die Abschaffung der Heiratsstrafe aus (70%, 65%, 65% eher/bestimmt dafür). Bemerkenswert ist, dass von den untersuchten sozioökonomischen Grössen keine für die Haltung zur Initiative gegen die Heiratsstrafe relevant ist. Weder die Schulbildung, noch das Haushaltseinkommen erweisen sich als signifikant spaltende Grössen. Möglich, dass der Abstimmungskampf hier noch eine Polarisierung herbeizuführen mag, denn just das Einkommen wird von Gegnern wie Befürwortern als Kampagnenargument ins Feld geführt. Erstaunen mag zudem, dass in soziodemografischer Hinsicht zumindest bisher keine Spaltungen zu Tage treten; Jung und Alt, Mann und Frau alle sind mehrheitlich und auf ähnlichem Niveau für die Initiative. Eindeutig ist somit aktuell kaum eine Konfliktlinie, die parteipolitische Aufladung der Stimmabsicht zur CVP-Initiative dürfte sich mit anziehendem Abstimmungskampf etwas verschärfen, ebenso die Betroffenheitsstrukturen der Zustimmung. Auffällig und zu betonen ist allerdings, die über Prädispositionen, sämtliche Untergruppen und räumliche Grenzen hinweg vorhandene mehrheitliche Zustimmung zu dieser Vorlage. 44 Tabelle 11 Konfliktlinien: VI gegen Heiratsstrafe Konflikt Signifikanz Ja ++ Nein ++ Unschlüssigkeit ++ Parteibindung sig. CVP, SVP GPS, SP, (FDP), (Parteiungebundene) (GPS), (SP), (Parteiungebundene) Sprachregion sig. (DCH), ICH (FCH) FCH, (ICH) Zivilstand sig. (verheiratet), verwitwet ledig, geschieden, lebt mit PartnerIn (nicht eingetragene Partnerschaft) ledig Siedlungsart n.sig. Schulbildung n.sig. HH-Einkommen n.sig. Geschlecht n.sig. Alter n.sig. Regierungsvertrauen n.sig. Lesebeispiel: Aufgeführte Untergruppen weichen mehr als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab. Untergruppen in Klammern weichen weniger als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab. SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) 3.2.3 Argumententest Aufschlussreich ist die Analyse der Argumente für und gegen die Initiative gegen die Heiratsstrafe, denn sie liefert einen Eindruck davon, inwiefern die aktuelle Ja-Mehrheit inhaltlich abgestützt ist. So zeigt sich relativ deutlich, dass die Initianten und Initiantinnen ein Problem aufgegriffen haben, das weite Teile der Stimmberechtigten mit fester Teilnahmeabsicht auch als relevant erachten. Insbesondere das UngerechtigkeitsArgument wird breit akzeptiert (83 eher/voll einverstanden). Nur gerade 11 Prozent widersprechen der Aussage, dass es doppelt ungerecht sei, wenn zwei Personen durch eine Heirat mehr Steuern bezahlen und weniger Rente erhalten, als wenn sie nicht verheiratet wären. Dass Heiraten durch die Abschaffung der Ehestrafe generell wieder attraktiver werde, befürworten 54 Prozent der Teilnahmewilligen, allerdings widersprechen in dieser Frage 38 Prozent. 45 Grafik 37 Filter Pro-Argumente zur Initiative gegen Heiratsstrafe "Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Initiative gegen die Heiratsstrafe immer wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie damit voll einverstanden, eher einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden sind." Dopppelbesteuerung ungerecht "Es ist doppelt ungerecht, wenn zwei Personen durch eine Heirat mehr Steuern zahlen und weniger Rente erhalten, als wenn sie nicht verheiratet wären." Heiraten attraktiver "Die Initiative macht Heiraten wieder attraktiver." in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen Dopppelbesteuerung ungerecht 62 Heiraten attraktiver 28 21 26 voll einverstanden eher einverstanden eher nicht einverstanden überhaupt nicht einverstanden 8 6 24 6 5 14 weiss nicht/keine Antwort © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Weniger breit aber ebenso mehrheitlich fällt die Unterstützung gegnerischer Argumente aus. Vor allem drohende Steuereinbussen bei einer Annahme der Initiative überzeugen 63 Prozent der Teilnahmewilligen. Für eine relative Mehrheit (49%) ist darüber hinaus die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare problematisch. Immerhin 37 Prozent sehen diesen Umstand der Diskriminierung allerdings nicht als gegeben an. Grafik 38 Filter Contra-Argumente zur Initiative gegen Heiratsstrafe "Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Initiative gegen die Heiratsstrafe immer wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie damit voll einverstanden, eher einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden sind." Steuereinbussen "Die Annahme der Initiative führt zu Steuereinbussen." diskriminiert gleichgeschlechtliche Paare "Die enge Definition von Ehe diskriminiert gleichgeschlechtliche Paare." in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen Steuereinbussen diskriminiert gleichgeschlechtliche Paare 29 26 34 23 10 14 voll einverstanden eher einverstanden eher nicht einverstanden überhaupt nicht einverstanden 16 18 11 19 weiss nicht/keine Antwort © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Übergreifend fällt auf, dass die Meinungen zu den Argumenten relativ gefestigt erscheinen, denn die Mehrheiten sind mit einer Ausnahme eindeutig, und es 46 finden sich verhältnismässig wenige unentschiedene Voten zu den vier getesteten Botschaften. Beides spricht für ein erhöhtes Mass an Prädisponierung in Fragen der Heiratsstrafe. Führt man sich nämlich die Regressionsanalyse vor Augen, wird deutlich, wo die Sympathien dem Anliegen gegenüber wirksam begründet liegen. Das Gesamtbild ist dabei klar: In der Ausgangslage dominiert die Pro-Seite auch argumentativ, denn zwei von drei auf einen Stimmentscheid wirksamen Argumente helfen der Pro-Seite. Die linke Contra-Botschaft der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare, erzeugt ihre intendierte Wirkung, jedoch nur schwach, denn die Mehrheitsverhältnisse fallen in dieser Frage nur knapp aus. Das Kron-Argument der gegnerische Kampagne und der medialen Berichterstattung zur Vorlage bewegt sich damit im Grenzbereich statistischer Relevanz. Und das gegnerische Argument der Steuereinbussen ist zwar weitum akzeptiert, entfaltet jedoch zumindest bisher keine Wirkung auf die Stimmabsicht. Durch die Argumente erklärt werden können aktuell 24 Prozent eines Stimmentscheids, was in dieser frühen Kampagnenphase einem tiefen bis mittleren Wert entspricht. Anzufügen ist relativierend, dass der Erklärungswert eines jeden Modells jedoch schon nur dadurch ansteigt, dass man zusätzliche Variablen (hier Argumente) in das Modell aufnimmt. Von diesem Standpunkt aus ist der hier festgehaltene Wert nicht direkt mit jenem zu den anderen drei Vorlagen zu vergleichen, wo mindestens sechs Botschaften getestet wurden. Grafik 39 Filter Regressionsanalyse persönliche Stimmabsicht zur Initiative gegen Heiratsstrafe Filter: Stimmberechtigte, die bestimmt teilnehmen wollen Ja Nein Doppelbesteuerung ungerecht Heiraten attraktiver diskriminiert gleichgeschlechtliche Paare © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), R2 = 0.237 Erläuterung: Die eingesetzte Methode der linearen Regression beschreibt das Vorhandensein des Einflusses von unabhängigen Variablen – hier der Pro- und Contra-Argumente – (in abnehmender Reihenfolge) auf eine abhängige Variable – den Stimmentscheid. Anhand der Farbe lässt sich 2 unterscheiden, ob ein Element eher zu einer Ja-Stimmabgabe (blau) oder zu einer Nein-Stimmabgabe (orange) geführt hat. Das R gibt Auskunft darüber, wie erklärungskräftig ein Modell ist – je näher der Wert bei 1 liegt, desto grösser ist der Anteil der Varianz in der abhängigen Variable, der mit den unabhängigen Variablen erklärt wird. Argumente, welche in der Grafik nicht erscheinen, haben keinen Einfluss. Argumente mit dem Wortzusatz "Ablehnung zu" werden mehrheitlich verneint. Entsprechend sind solche Argumente in die andere Richtung eingefärbt und erhalten besagten Zusatz. Die schwarze Linie in der Mitte der Abbildung bezeichnet den Median. Befindet sich ein Argument genau auf der Mitte der Linie, bedeutet dies, dass 50 Prozent der Befragten einverstanden mit dem Argument sind, während die anderen 50 Prozent nicht einverstanden mit dem Argument sind ('weiss nicht'-Angaben werden dafür ausgeklammert). Je weiter das Kästchen nach links oder rechts von der 50-Prozentlinie abweicht, desto grösser ist die einseitige Beurteilung des betreffenden Arguments. Der rote Punkt dient als Lesehilfe, er markiert jeweils die Mitte des Kästchens. 47 Die Pro-Botschaft, dass die Doppelbesteuerung ungerecht sei, findet über alle Parteienlager hinweg Zustimmung. Das Argument, dass Heiraten durch die Abschaffung der Heiratsstrafe wieder attraktiver werden, überzeugt hingegen nur Mitte-rechts und Parteiungebundene, nicht aber Teilnahmewillige mit Sympathien für die SP oder die GPS. Die Zustimmung zu den Contra-Botschaften ist diffuser: Die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare akzeptieren ausser jene der SVP alle Parteiwählerschaften mehrheitlich. Wirksam auf einen Stimmentscheid erweist es sich allerdings nur bei Teilnahmewilligen mit Affinität zur GPS oder zur CVP und bei beiden Parteien befördert die Zustimmung zu diesem Argument eine Ablehnung der Initiative. Das Argument der Steuereinbussen wird gar von allen Parteiwählerschaften mehrheitlich geteilt, Wirkung entfaltet es jedoch nur im FDPUmfeld. Nachfolgende Grafik fasst diese Befunde zusammen, denn sie weist nach Parteiwählerschaften aufgespaltet neben dem Ja-Potenzial gemessen an Stimmabsichten auch das argumentative Ja-Potenzial der Vorlage aus, gemessen anhand eines indexierten Wertes der Argumente.2 Insgesamt relativiert die Index-Analyse den Pro-Überhang in der Ausgangslage etwas, denn das argumentative Ja-Potenzial liegt tiefer (53%) als das faktische (67%) gemessen am Stimmentscheid. Grafik 40 Filter Zustimmung zur Initiative gegen Heiratsstrafe und Index Argumente nach Parteien in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 80 73 62 55 Index Argumente Ja+/Nein62 56 61 53 54 53 67 38 41 42 Total bestimmt teilnehmende Parteiungebundene SVP FDP CVP SP GPS Stimmabsicht bestimmt/eher dafür © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Erläuterung: Beim Argumentenindex werden die Argumente aufgrund ihrer Bedeutung für die Stimmabsicht recodiert. Dabei wird die Zustimmung (sehr/eher einverstanden) zu den Pro-Argumenten und die Ablehnung zu den Contra-Argumenten (sehr/eher nicht einverstanden) als positiv definiert, die Ablehnung (sehr/eher nicht einverstanden) zu den Pro-Argumenten und die Zustimmung (sehr/eher einverstanden) zu den ContraArgumenten als negativ definiert. Keine inhaltliche Nennung (weiss nicht/keine Antwort) bei den Argumenten wird als Null definiert. Dies wird für jedes Argument berechnet und danach summiert. Entsteht eine positive Summe, liegt ein Überhang zur argumentativen Zustimmung vor, liegt eine negative Summe vor, eine argumentative Ablehnung. Eine summierte Null bedeutet neutral. Der ausgewiesene Wert ist der positive Überhang zu den Argumenten. 2 Analytisch gesehen ist es wenig wahrscheinlich, dass ein Argument für alle Bürger und Bürgerinnen massgeblich ist. Daher wird die indexierte Version aller Argumente beigezogen, welche die Argumente nicht hinsichtlich ihrer Wirkung gewichtet, sondern die mittlere Nähe einer Person zu allen Argumenten bilanziert. 48 Am stärksten klaffen die Werte bei CVP-affinen Teilnehmenden und Parteiungebundenen auseinander. Anders formuliert liegt das argumentative JaPotenzial innerhalb der Wählerschaft der CVP deutlich unter dem faktischen, so dass hier die Parolentreue der Wählerschaft entscheidend werden dürfte. Bei Parteiungebundenen ist zwar die Differenz etwas geringer, es resultieren jedoch unterschiedliche Mehrheiten: Parteiungebundene gaben in der Ausgangslage an, Ja stimmen zu wollen, sie stehen jedoch aufgrund ihrer Haltungen zu den Argumenten der Vorlage der Contra-Seite näher. Im Einklang im Ja stehen die Stimmabsichten und Haltungen der bürgerlichen Wählerschaften von FDP und SVP. Luft nach unten existiert im linken Spektrum, denn wie bei Parteiungebunden sind bei SP- und GPS-affiner Wählerschaft die Haltungen und Stimmabsicht nicht im Einklang: Man gibt an Ja stimmen zu wollen, obwohl man argumentativ ein Gegner der Vorlage ist. Auch in diesem Wählerumfeld wird letztlich Überzeugungsarbeit und Parolentreue – also der Abstimmungskampf - entscheiden. 3.2.4 Szenarien der weiteren Meinungsbildung Was bedeutet dies nun für die Initiative gegen die Heiratsstrafe? Es bedeutet erstens, dass dem Anliegen grundsätzlich grosse Sympathien entgegengebracht werden und diese argumentativ breit geteilt werden. Diese argumentative Zustimmung zur Initiative liegt zweitens allerdings quasi durchs Band tiefer als die faktische und sie ist drittens lediglich bei Wählerschaften von CVP, FDP, SVP und bei Parteiungebundenen im Einklang mit den Stimmabsichten. Die Überlegungen und Haltungen zu konkreten Auswirkungen und Inhalten der Initiative sind in der Ausgangslage noch wenig kritisch, so dass wir eine typische Ausgangssituation für Initiativen vorfinden: Das Problembewusstsein ist prädisponiert, nicht aber unbedingt die Lösungspräferenz, da sich diese erst im Verlauf eines Meinungsbildungsprozesses auf die Entscheidungsabsichten auswirkt. Entscheidend wird letztlich sein, wie gut es der Gegnerschaft gelingt, ihre Argumente zu platzieren und Zweifel an der Lösung zu streuen, denn die Ungerechtigkeit des Status quo ist nicht wirklich umstritten. Das weitum akzeptierte Contra-Argument der drohenden Steuerausfälle scheint als gegnerisches Kampagnenargument geeignet und hätte am ehesten das Potenzial, den Nein-Anteil zur Initiative zu steigern. Allerdings zeigt die Regressionsanalyse der Argumente, das just dieses Argument bisher keine Wirkung auf einen Stimmentscheid entfaltete. Besonders im Auge zu behalten ist in diesem Kontext die Entwicklung der Stimmabsichten im linken politischen Spektrum, aber auch bei der FDP und bei Parteiungebundenen. Findet wählerseitig eine Angleichung an die Haltungen der Parteieliten respektive an die Kampagnenargumente statt, wird der NeinAnteil unweigerlich steigen. Allerdings hat die Initiative Strahlkraft im rechten Spektrum, namentlich bei der SVP. Damit es allerdings zum Abstimmungserfolg reicht, müssten auch die Parteiungebundenen bei der Stange gehalten werden können. Entsprechend formulieren wir zwei generelle Hypothesen zu den möglichen Trends in der Meinungsbildung zur CVP-Initiative gegen die Heiratsstrafe: Der Normalfall besteht darin, dass die Vorlage vor dem Abstimmungskampf in der Bevölkerungsgunst besser abschneidet; mit der Behandlung durch die Gegnerschaft aber steigt der Nein-Anteil, meist sinkt auch die Zustimmung. Hauptgrund ist die veränderte Intensität der öffentlichen Verhandlung, denn diese schwillt mit den Abstimmungskampagnen an. Hinzu kommt, dass sich 49 damit meist ein Fokuswandel einstellt: Vom Problem verlagert sich die Meinungsbildung hin zur Lösung des Problems. In Ausnahmefällen funktioniert dieser erprobte Mechanismus des Meinungswandels zu Volksinitiativen nicht. Das ist namentlich dann der Fall, wenn es zu einer Protestabstimmung kommt. Die Symbolik der Entscheidung ist dann wichtiger als ihre Konsequenzen. Gegenüber den Behörden soll, in einem meist tabuisierten Bereich, ein klares Zeichen gesetzt werden. Zwei Umstände in unseren Abklärungen sprechen für einen gewissen Meinungsdruck, der den Sonderfall der Meinungsbildung auslösen kann, aber noch längst nicht muss: Die Argumente und die Stimmabsichten sprechen in der Ausgangslage für die Initiative und stehen der behördlichen Meinungsbildung somit entgegen. Zudem ist der Ausgangwert der Zustimmung für eine Initiative doch sehr hoch, so dass es selbst wenn der Regelfall eintritt, reichen könnte. Denkbar ist jedoch auch, dass sich die Ja-Mehrheit halten kann, womit die Initiativurheberschaft ein relevantes Problem aufs Tapet gebracht hätte. Die Entscheidungsfindung zur Volksinitiative gegen die Heiratsstrafe ist aus schwer einzuschätzen und muss bis zum Vorliegen der Daten der zweiten Welle vorerst offen gelassen werden. Tabelle 12 Indikatoren der Einschätzung der VI gegen Heiratsstrafe Parlalament Parolen Erwartung Stimmende Index Argumente dagegen NR: 56% SR: 56% SP, GPS, GLP, FDP - 30% 21% Normalszenario mit Zunahme Nein dafür NR: 44% SR: 44% CVP, EVP, EDU - 53% 67% Spezialfall mit Stagnation Ja oder Polarisierung Ausprägung Insgesamt Erklärung Argumente R2 24% Stimmabsichten Prädisponierung Trenderwartung Dispositionsansatz 56% SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Das Regelfall-Schicksal blühte der inhaltlichen Referenzvorlage, der CVPFamilieninitiative von vergangenem Jahr (siehe Einleitung). Während eine Mehrheit der Befragten in der ersten SRG-Trend-Umfrage vor Beginn des Abstimmungskampfes bestimmt oder eher für die CVP-Familieninitiative stimmen wollten (52%), verlief die anschliessende Meinungsbildung kontinuierlich im Sinne der Initiativgegner (2. SRG-Trend-Umfrage: 40% eher/bestimmt dafür, Resultat Abstimmung: 24.6% Ja). Gerade die Abstimmung über den Familienartikel zeigte allerdings mit ihrem Auseinanderklaffen von Volks- und Ständemehr, dass ein gewisser Meinungsdruck oder Handlungsbedarf in Sachen Familienpolitik und vielleicht eben auch in Fragen der Besteuerung von Ehepartnern nicht von der Hand gewiesen werden kann, weshalb wir auch das zweite Szenario in der Ausgangslage als möglich erachten. Dieses Szenario ist auch vor dem Hintergrund des argumentativen Ja-Überhangs nicht von vorneherein auszuschliessen. 50 Grafik 41 Positiv prädisponierte Initiative ohne Mehrheitswandel, Annahme Positiv prädisponierte Initiative mit Mehrheitswandel, Ablehnung in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Vor der Kampagne Abstimmungstag Nein Nein Unentschieden Unentschieden Ja Ja Vor der Kampagne Abstimmungstag gfs.bern, Campaigning gfs.bern, Campaigning 3.2.5 Stichworte für die Berichterstattung potenzielle Mehrheitsinitiative von rechts (bürgerlich-konservativ) mittelstark fortgeschrittene Meinungsbildung ungerechte Doppelbesteuerung populärstes und wirksamstes Argument auf der Ja-Seite Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare bisher wirksamstes NeinArgument, jedoch nicht gesichert mehrheitsfähig Polarisierungsgrad bisher gering erste Stimmabsichten vor allem bei Parteiungebundenen und im rotgrünen Lager argumentativ wenig abgestützt Ja-Vorsprung erheblich, Hauptkampagnen folgen jedoch erst Ausgang bisher schwer abschätzbar 51 3.3 Volksinitiative "Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer" 3.3.1 Vorläufige Stimmabsichten Zum Zeitpunkt der Befragung fand sich mit 51 Prozent der bestimmt teilnahmewilligen Stimmberechtigten eine knappe Mehrheit für die Initiative "Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer". Diese Gruppe teilt sich in 31 Prozent bestimmt und 20 Prozent eher Befürwortende. Die Gegnerschaft bringt es auf 42 Prozent der bestimmt Teilnahmewilligen. Auch hier sind 31 Prozent bestimmt dagegen; diejenigen, die eher im Nein sind, machen 11 Prozent aus. Grafik 42 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen bestimmt dagegen 31 bestimmt dafür 31 eher dagegen 11 weiss nicht/keine Antwort 7 eher dafür 20 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Der Stand der Meinungsbildung ist eher fortgeschritten, denn bereits 62 Prozent haben eine feste Stimmabsicht, und es sind nur 7 Prozent, die zwar teilnehmen möchten, aber noch nicht wissen, wie sie stimmen wollen. Eine tendenzielle Stimmabsicht haben 31 Prozent der jetzt Teilnahmewilligen geäussert. Von allen vier Vorlagen weist die Durchsetzungsinitiative den am weitesten fortgeschrittenen Stand der Meinungsbildung auf. Ganz überraschend kommt dies nicht, denn die Kontroverse begann 2007 und hält seither an; zudem wurde 2010 über die Ausschaffungsinitiative abgestimmt, auf die sich die neue Vorlage direkt bezieht. Bilanziert man die aktuelle Ausgangslage, starten die Initianten mit einem Vorteil in die Hauptphase des Abstimmungskampfes. Ihr Vorsprung beträgt 9 Prozentpunkte. Der Anteil über 50 Prozent liegt aber im Stichprobenfehler. Im Normalfall ist zudem davon auszugehen, dass das Nein steigt und das Ja abnimmt. Eine gesicherte Ja-Mehrheit ergibt das nicht. 52 Im aktuellen Fall kommt hinzu, dass das Ergebnis unüblich stark von der Beteiligungsabsicht abhängt. Würden sich nicht nur jene beteiligen, die heute sagen bestimmt teilnehmen zu wollen, sondern auch jene, die das eher machen könnten, würde der Ja-Wert auf 57 Prozent für bestimmt und eher dafür ansteigen, und der Nein-Anteil, derjenigen, die bestimmt oder eher dagegen sind, würde auf 36 Prozent sinken. Grafik 43 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt oder eher teilnehmen wollen bestimmt dagegen 25 bestimmt dafür 29 eher dagegen 11 weiss nicht/keine Antwort 7 eher dafür 28 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 1097) Dieses Szenario stellt bei Volksinitiativen die Ausnahme dar. Es kommt aber vor, wenn das Votum einen eigentlichen Protestcharakter bekommt, sprich auf die Mobilisierung unzufriedener Bürgerinnen und Bürger setzt. Das ist in den letzten 6 Jahren bei Volksinitiativen aus dem rechten Lager mehrfach vorgekommen, so bei der Minarettinitiative, aber auch 2014 bei der Masseneinwanderungs- und Pädophileninitiative. Nicht gespielt hat dieser Effekt bei der Ecopop-Vorlage, denn hier nahm die Zustimmungsbereitschaft gegen Ende nochmals ab. Tendenziell war dies auch bei der Ausschaffungsinitiative der Fall: Hier verringerte sich der zustimmende Anteil nach der ersten Umfrage um sechs Prozentpunkte. Die Stimmberechtigten merken, dass der Ausgang auf Messers Schneide ist. Im Schnitt gehen sie selber von einer knappen Annahme aus. Das Mittel der Schätzungen beträgt 54 Prozent Ja zu 46 Prozent Nein Schon die Ausschaffungsinitiative wurde mit 53 Prozent Ja knapp, aber mehrheitlich angenommen. Die Prädisponierung der jetzigen Stimmabsichten durch die damalige Entscheidung ist erheblich. So wollen 75 Prozent der damaligen Gegnerschaft resp. der Befürwortenden erneut stimmen gehen. 80 Prozent der Zustimmenden bei der Ausschaffungsinitiative würden wieder Ja stimmen, während 81 Prozent der früheren Gegnerschaft nochmals dagegen votieren würde. Bewusst die Seite gewechselt haben 16 Prozent der früheren Befürwortenden und 12 Prozent der Gegnerschaft der Ausschaffungsinitiative. Bei 4 resp. 7 Prozent reichen die Angaben nicht, um eine genauere Klassierung vorzunehmen. 53 Grafik 44 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Stimmabgabe Ausschaffungsinitiative: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen bestimmt dagegen 9 7 4 eher dagegen 29 65 weiss nicht/keine Antwort 51 16 eher dafür 7 8 4 JA-Stimmende Ausschungsinitiative bestimmt dafür NEIN-Stimmende Ausschungsinitiative © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. Am meisten Wechsler zwischen 2010 und heute hat es eindeutig bei der FDP, am wenigsten bei der SVP. Unterdurchschnittlich ist der Anteil auch bei der SP, über dem Mittel bei der CVP. Genau im Schnitt befinden sich die Parteiungebundenen. Das spricht dafür, dass die relevante Meinungsbildung heute im Umfeld der bürgerlich-liberalen Mitte stattfindet. 3.3.2 Vorläufiges Konfliktmuster Das Konfliktmuster bei der Durchsetzungsinitiative ist vorwiegend politischer Natur. Zuerst unterscheiden sich die Stimmabsichten nach Parteibindung. Dann variieren sie entlang des Regierungsvertrauens/-misstrauens. An der Basis der SVP wollen 89 Prozent der zufällig ausgewählten Befragten bestimmt oder eher Ja stimmen. Das sind 38 Prozentpunkte mehr als der Schnitt. Den Gegenpol bilden die SP-Wählenden, bei denen 76 Prozent die Vorlage ablehnen wollen. Auch das sind 34 Prozentpunkte mehr als das Mittel. Bei den Grünen sind 71 Prozent auf der Nein-Seite, und bei der CVP sind es 55 Prozent. Am nächsten bei der SVP finden sich die Parteiungebundenen, denn hier sprechen sich heute 57 Prozent für die Durchsetzungsinitiative aus. Bei der FDP schliesslich sind die Verhältnisse gespalten. 46 Prozent würden heute Ja sagen, 42 Prozent Nein. 54 Grafik 45 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Parteibindung: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 4 3 4 bestimmt dagegen 21 28 19 45 59 14 62 14 8 12 10 weiss nicht/keine Antwort 7 34 12 30 14 70 eher dafür 25 12 eher dagegen 7 8 14 3 GPS 9 13 16 SP CVP FDP 23 bestimmt dafür SVP Parteiungebundene © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. Wer dem Bundesrat misstraut, ist zu 73 Prozent für die Durchsetzungsinitiative. Wer Vertrauen hat in die Arbeit der Behörden würde heute zu 53 Prozent Nein sagen. Bürgerinnen und Bürger zwischen den Polen sind zu 50 Prozent auf der Ja-Seite, zu 38 Prozent im Nein-Lager anzutreffen. Grafik 46 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Regierungsvertrauen: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 13 25 40 bestimmt dagegen 8 6 eher dagegen 13 24 13 7 12 weiss nicht/keine Antwort 9 eher dafür 20 41 49 20 Vertrauen bestimmt dafür weiss nicht/keine Antwort Misstrauen © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. 55 Politisch gesprochen, besteht damit eine mehrheitliche Zustimmung an der Basis der SVP, bei den Parteiungebundenen und den Personen mit Behördenmisstrauen. Mitte/Links ist mehrheitlich dagegen, ebenso die Bürgerinnen und Bürger mit Behördenvertrauen. Am wenigsten klar ist die Position der FDPWählenden, die sich irgendwo zwischen den skizzierten Blöcken befindet. Der Polarisierungsgrad ist erheblich. Die Differenz zwischen SVP und SP beträgt im Ja-Anteil 72 Prozentpunkte, im Nein 69 Prozentpunkte. Damit sind die Wahrnehmung und Bewertung der Vorlage fast vollständig konträr. Kontrolliert man auch hier die Effekte einer erhöhten Beteiligung, erhöht sich die Zustimmung überall ausser bei der SVP-Wählerschaft. Am grössten wäre der Sprung mit +14 Prozentpunkten an der Basis der Grünen, während die Zunahme in der Wählerschaft der CVP +13 Prozentpunkte betrüge. Bei der SP würde der Ja-Anteil um 7 Prozentpunkte steigen, bei der FDP und den Parteiungebundenen um je 5 Prozentpunkte. Mit anderen Worten: Ein Teil des Zustimmungspotenzials versteckt sich hinter der unsicheren Teilnahme. Es ist für das stärker ablehnende Mitte/Links-Lager typisch. Wenn die Beteiligung gerade hier steigen würde, wäre das für die JaSeite von Vorteil. Genau das gleiche können wir beim Regierungsvertrauen festhalten. Denn auch hier stiege die Zustimmung bei den Vertrauenden um 9 Prozentpunkte, bei den Misstrauenden aber nur um 1 Prozentpunkt. Der Meinungsdruck gegen die Vorlage, der im Abstimmungskampf medial und werberisch entstanden ist, hat demnach weder zu einer Wahrnehmungsänderung der Stimmberechtigten hinsichtlich der (vermuteten) Mehrheitsverhältnisse geführt, noch die Meinungsbildung der bestimmt Teilnahmewilligen beeinflusst. Er bewirkt aber, dass ein Teil, der mit seiner persönlichen Meinung gegen die Behörden- und Parteimeinung steht, sich vorerst nicht äussern würde. Loyalität zu politischen Akteuren geht hier vor. Wo dies nicht der Fall ist, profitiert die Ja-Seite jetzt schon. Nicht auszuschliessen ist, dass der Prozess anwächst, etwa wenn im offiziell ablehnenden Lager von FDP bis GPS dissidente Kantonalparteien, Jungparteien oder Politiker auftreten sollten. Räumlich gesehen, variiert die Zustimmung vor allem nach Sprachregion. Am höchsten ist der gegenwärtige Ja-Anteil in der italienischsprachigen Schweiz. 65 Prozent befürworten hier bestimmt oder eher die Durchsetzungsinitiative. In der französisch- und deutschsprachigen Schweiz sind es je 51 Prozent. In der Romandie ist die Meinungsbildung mit nur 42 Prozent, die entweder bestimmt dafür oder dagegen sind, am wenigsten fortgeschritten. Am deutlichsten profiliert sind die Stimmabsichten dagegen in der deutschsprachigen Schweiz, denn da haben 66 Prozent eine feste Stimmabsicht. 56 Grafik 47 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Sprachregion: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen bestimmt dagegen 22 18 33 7 16 10 11 21 eher dagegen 11 5 weiss nicht/keine Antwort 18 31 eher dafür 44 33 20 DCH FCH bestimmt dafür ICH © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. Sollte die Beteiligung stark ansteigen, würde die Zustimmung in der lateinischen Schweiz steigen. Am meisten profitieren könnte die SVP-Initiative im Tessin (+10 Prozentpunkte), gefolgt von der Romandie (+9 Prozentpunkte). In der deutschsprachigen Schweiz wäre die Veränderung statistisch nicht relevant. Grafik 48 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Siedlungsart: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen bestimmt dagegen 28 31 32 eher dagegen 10 7 16 10 8 14 6 18 26 39 eher dafür 33 22 ländlich weiss nicht/keine Antwort kleine/mittlere Agglomeration bestimmt dafür grosse Agglomeration © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. 57 Knapp signifikant sind die Unterschiede entlang der Siedlungsart. So sind 55 Prozent der Landbewohnerinnen und -Bewohner bestimmt oder eher dafür, während es in kleinen und mittleren Agglomerationen 51 und in grossen 48 Prozent sind. Auf dem Land ist die Meinungsbildung mit 67 Prozent fest Entschiedenen am weitesten fortgeschritten, in den grossen Agglomerationen ist mit 54 Prozent vergleichsweise noch einiges möglich. Soziologisch gesprochen, unterscheiden sich die Stimmabsichten vor allem entlang der Schichtzugehörigkeit. So sind 63 Prozent der Teilnahmewilligen, welche die obligatorische Schule als höchsten Abschluss angeben, für die Durchsetzungsinitiative. Bei den Abgängerinnen und Abgänger einer Berufsschule sind es 59 Prozent. Dem stehen 50 Prozent mit Nein-Tendenz gegenüber, wenn es sich um Bürgerinnen und Bürger mit einem tertiären Schulabschluss handelt. Grafik 49 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Schulbildung: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 14 bestimmt dagegen 23 39 15 8 6 13 17 50 tief eher dagegen 12 11 7 weiss nicht/keine Antwort 24 eher dafür 19 bestimmt dafür 42 mittel hoch © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. Ein ähnliches Muster findet man auch entlang des Haushaltseinkommens. Denn die klarste Zustimmung findet die Vorlage mit einem denkbaren Ja-Anteil von 67 Prozent bei einem Einkommen von weniger als 3000 CHF monatlich. Mit 58 Prozent ist die Ablehnungstendenz bei einem Haushalteinkommen von 9 bis 11000 CHF am grössten. Dazwischen ist die Entwicklung fast linear. Nur bei der höchsten Einkommensklasse nimmt die Zustimmungsbereitschaft nochmals etwas zu. 58 Grafik 50 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Haushaltseinkommen: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen bestimmt dagegen 22 33 7 4 6 30 31 31 37 eher dagegen 10 5 10 11 8 10 13 10 27 6 1 23 18 25 61 weiss nicht/keine Antwort 23 eher dafür 39 29 bis CHF 3000 CHF 3-5000 23 CHF 5-7000 CHF 7-9000 29 18 CHF 9-11 000 über CHF 11 000 bestimmt dafür © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. Schwach signifikant ist die Abhängigkeit der Stimmabsichten vom Alter. Bei den unter 40 Jährigen befürworten 55 Prozent die Durchsetzungsinitiative. Bei den Rentenbezügern sind es 48 Prozent. Nicht signifikant sind die Stimmabsichten, wenn man nach dem Geschlecht unterscheidet. Bei den Männern wollen 52 Prozent Ja-sagen, bei den Frauen 51 Prozent. Bei ihnen ist einzig die Unschlüssigkeit (wie fast immer) etwas höher. Grafik 51 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Alter: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen bestimmt dagegen 24 30 36 eher dagegen 9 12 13 11 6 25 22 5 weiss nicht/keine Antwort 14 eher dafür 30 29 34 bestimmt dafür 18-39-Jährige 40-64-Jährige 65+-Jährige © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. 59 Alle Abklärungen zu Merkmalsgruppen sind in der nachstehenden Übersicht zusammengefasst: Tabelle 13 Konfliktlinien: Durchsetzungsinitiative Konflikt Signifikanz Ja ++ Nein ++ Unschlüssigkeit ++ Parteibindung sig. SVP, Parteiungebundene GPS, SP, CVP (GPS), (FDP), (Parteiungebundene) Sprachregion sig. ICH (DCH) (FCH), (ICH) Siedlungsart sig. (ländlich) (grosse Agglomeration) (kleine/mittlere Agglomeration) Schulbildung sig. tief, mittel hoch (tief) HH-Einkommen sig. bis CHF 3000, (CHF 3-5000), (CHF 5-7000) (CHF 3-5000), CHF 9-11000, (über CHF 11000) (CHF 7-9000) Geschlecht n.sig. Alter sig. (18- bis 39-Jährige) (40- bis 64-Jährige) 18- bis 39-Jährige Regierungsvertrauen sig. Misstrauen Vertrauen (weiss nicht/keine Antwort) Lesebeispiel: Aufgeführte Untergruppen weichen mehr als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab. Untergruppen in Klammern weichen weniger als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab. SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Sie macht deutlich, dass politische Einstellungen, Raum- und Schichtzugehörigkeiten, beschränkt auch das Alter, die jetzigen Stimmabsichten prägen. 3.3.3 Argumententest Beide Seiten verfügen über mindestens ein mehrheitsfähiges Argument. Auch das ist ein Hinweis auf knappe Verhältnisse, die erst mit der Meinungsbildung (und Mobilisierung) im Abstimmungskampf entschieden werden. Im Ja Lager handelt es sich dabei um die Ausschaffung krimineller Ausländerinnen und Ausländer "ohne Wenn und Aber". Diese Position ist im Abstimmungskampf als Entgegnung zum Vorschlag von Nationalrat Vogt entstanden, der sich etwa bei Secondos Ausnahmen vorstellen konnte. Unsere Umfrage zeigt nun, dass 66 Prozent der Teilnahmewilligen mit der harten Linie voll oder eher einverstanden sind. Nur 32 Prozent widersprechen ihr ausdrücklich. Weniger populär sind die anderen getesteten Ja-Botschaften. So finden nur 44 Prozent, die von Regierung und Parlament vorgeschlagene Umsetzung sei nicht im Einklang mit dem Volkswillen. 41 Prozent sind hier gegenteiliger Meinung. Den Volkswillen höher als das Völkerrecht eingestuft, haben 43 Prozent; genau die Hälfte widerspricht dem. Bei einer erhöhten Beteiligung sinkt die Zustimmung und gleichzeitig steigen alle Anteile an Einverständnis mit Argumenten, vor allem aber bei der bedingungslosen Ausschaffung krimineller Ausländerinnen und Ausländer. 60 Grafik 52 Filter Pro-Argumente zur Durchsetzungsinitiative "Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Durchsetzungsinitiative immer wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie damit voll einverstanden, eher einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden sind." kriminelle Ausländer ausschaffen "Kriminelle Ausländer gehören ohne Wenn und Aber ausgeschafft." Umsetzung Ausschaffungsinitiative ≠ Volkswillen "Die vom Parlament beschlossene Umsetzung der Ausschaffungsinitiative entspricht nicht dem Volkswillen." Volkswille wichtiger als Völkerrecht "Der Schweizer Volkswille ist wichtiger als das Völkerrecht." in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen kriminelle Ausländer ausschaffen Umsetzung Ausschaffungsinitiative ≠ Volkswillen Volkswille wichtiger als Völkerrecht 17 26 voll einverstanden eher nicht einverstanden 19 22 15 23 21 16 16 2 22 44 30 20 7 eher einverstanden überhaupt nicht einverstanden weiss nicht/keine Antwort © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) 68 Prozent der teilnahmewilligen Bürgerinnen und Bürger meinen, ein Ja zur Durchsetzungsinitiative würde die laufenden Verhandlungen mit der EU erschweren. Da sind nur 26 Prozent gegenteiliger Meinung. 61 Prozent finden, das Parlament habe eine vernünftige Gesetzvorlage ausgearbeitet, die nun in Kraft treten solle. Ein Fünftel denkt in dieser Sache genau umgekehrt. 52 Prozent sehen die SVP-Vorlage im Widerspruch zur Menschenrechtskonvention, weil sie keine Härtefallklausel hat. Hier ist ein Drittel anderer Meinung. Grafik 53 Filter Contra-Argumente zur Durchsetzungsinitiative "Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Durchsetzungsinitiative immer wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie damit voll einverstanden, eher einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden sind." Verhandlungen mit EU schwieriger "Eine Annahme der Durchsetzungsinitiative macht die Verhandlungen mit der EU zur Personenfreizügigkeit noch schwieriger." vernünftige Gesetzesvorlage durch Parlament "Das Parlament hat eine vernünftige Gesetzesvorlage ausgearbeitet, die in Kraft tritt, wenn die Durchsetzungsinitiative abgelehnt wird." gegen Menschenrechtskonvention "Die Durchsetzungsinitiative verstösst gegen die Menschenrechtskonventionen weil sie keine Härtefallklausel kennt." in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen Verhandlungen mit EU schwieriger vernünftige Gesetzesvorlage durch Parlament gegen Menschenrechtskonvention voll einverstanden eher nicht einverstanden 43 25 31 29 6 30 23 eher einverstanden überhaupt nicht einverstanden 13 19 15 13 15 18 5 15 weiss nicht/keine Antwort © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) 61 Von einer erhöhten Beteiligung profitiert kein Nein-Argument, stellt man auf die Unterstützenden und die Mobilisierten ab. Mit anderen Worten: Übers Ganze gesehen, hat die Nein-Seite leichte Vorteile mit ihren Botschaften. Sachliche Information hilft ihr in verschiedenen Bereichen der Kontroverse nachweislich. Der Pferdefuss ist eindeutig die bedingungslose Ausschaffung krimineller Ausländer und Ausländerinnen. Da ist die Ja-Seite klar im Vorteil, und dieser Anteil steigt, je emotionaler die Diskussion geführt wird. Quantifiziert man die Effekte der einzelnen Argumente auf die Stimmabsichten, resultiert die nachstehende Reihenfolge hinsichtlich der Polarisierung: kriminelle Ausländerinnen und Ausländer ohne Wenn und Aber ausschaffen Volkswille (nicht) wichtiger als Völkerrecht vernünftige Gesetzvoralge durch das Parlament keine Härtefallklausel verstösst gegen Menschenrechte Verhandlungen mit der EU schwieriger Letztlich spricht genau ein mehrheitsfähiger Grund für die Vorlage: die unbedingte Ausschaffung krimineller Ausländerinnen und Ausländer. Grafik 54 Filter Regressionsanalyse persönliche Stimmabsicht zur Durchsetzungsinitiative Filter: Stimmberechtigte, die bestimmt teilnehmen wollen Ja Nein kriminelle Ausländer ausschaffen Ablehnung zu: Volkswille wichtiger als Völkerrecht vernünftige Gesetzesvorlage durch Parlament gegen Menschenrechtskonvention Verhandlungen mit EU schwieriger © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), R2 = 0.637 Erläuterung: Die eingesetzte Methode der linearen Regression beschreibt das Vorhandensein des Einflusses von unabhängigen Variablen – hier der Pro- und Contra-Argumente – (in abnehmender Reihenfolge) auf eine abhängige Variable, den Stimmentscheid. Anhand der Farbe lässt sich 2 unterscheiden, ob ein Element eher zu einer Ja-Stimmabgabe (blau) oder zu einer Nein-Stimmabgabe (orange) geführt hat. Das R gibt Auskunft darüber, wie erklärungskräftig ein Modell ist – je näher der Wert bei 1 liegt, desto grösser ist der Anteil der Varianz in der abhängigen Variable, der mit den unabhängigen Variablen erklärt wird. Argumente, welche in der Grafik nicht erscheinen, haben keinen Einfluss. Argumente mit dem Wortzusatz "Ablehnung zu" werden mehrheitlich verneint. Entsprechend sind solche Argumente in die andere Richtung eingefärbt und erhalten besagten Zusatz. Die schwarze Linie in der Mitte der Abbildung bezeichnet den Median. Befindet sich ein Argument genau auf der Mitte der Linie, bedeutet dies, dass 50 Prozent der Befragten einverstanden mit dem Argument sind, während die anderen 50 Prozent damit nicht einverstanden sind ("Weiss nicht"-Angaben werden dafür ausgeklammert). Je weiter das Kästchen nach links oder rechts von der 50-Prozentlinie abweicht, desto grösser ist die einseitige Beurteilung des betreffenden Arguments. Der rote Punkt dient als Lesehilfe, er markiert jeweils die Mitte des Kästchens. 62 Zwar polarisiert auch die Rangierung des Schweizer Volkswillens über dem Völkerrecht recht stark, doch sind die Mehrheiten in dieser Frage nicht auf Seiten der Initiantinnen und Initianten. Deren Gegnerinnen und Gegner können am stärksten punkten, wenn sie die Umsetzung der Ausschaffungsinitiative durch das Parlament als vernünftiges Vorgehen profilieren. Damit nehmen sie einen Teil der Unzufriedenheit mit dem Status Quo auf. Jedenfalls ist die gegenwärtige Wirkung dieser Botschaft etwas höher einzuschätzen als die der Menschenrechts- und Bilateralen-Debatte, denn diese sind in erster Linie auf die Themenspezialistinnen und -spezialisten ausgerichtet. 3.3.4 Exkurs zu den Auswirkungen von "Köln" Mehrfach wurde die Frage aufgeworfen, ob die Ereignisse von Köln in der Silvesternacht den Abstimmungsausgang zur Durchsetzungsinitiativen beeinflussen oder nicht. Insbesondere wurde vermutet, Frauen könnten nun vermehrt für die Vorlage stimmen. Erwähnt sei, dass die mediale Aufmerksamkeit mitten in unsere Befragung fiel. Effekte auf die Stimmabsichten müssten nachgewiesen werden können, um die Annahmen zu bestätigen. Spezifische Argumente finden sich in unserer Befragung aber nicht, denn die Vorbereitung wurde vor der Rezeption der Ereignisse in der Schweiz abgeschlossen. Bei Einflüssen von Mediendiskursen ist grundsätzlich nicht davon auszugehen, dass sie nur eine Richtung kennen. Vielmehr muss unterschieden werden zwischen Empfängern von Medienbotschaften mit und ohne Prädispositionen. Wo Prädispositionen vorhanden sind, kann von deren Verstärkung ausgegangen werden. Wo es keine Prädispositionen gibt, ist eine meinungsbildende Wirkung im Sinne des Medientenors denkbar. Nun zeigte unsere Untersuchungsreihe, dass es sich bei der Meinungsbildung zur Durchsetzungsinitiative um einen ausgesprochen stark prädisponierten Fall handelt, so dass insgesamt die Verstärkungswirkung gegenüber dem Meinungsaufbau überwiegen dürfte. Zudem kann festgehalten werden kann vorerst, dass statistisch gesehen keine geschlechtsspezifischen Stimmabsichten nachweisbar sind. Das gilt für die aktuelle Befragung genauso wie für die vergleichbare Erhebung, die im Oktober 2015 zur gleichen Vorlage gemacht wurde. Hinweise auf eine unterschiedliche Reaktion der beiden Geschlechter gibt es damit nicht. Die andere Frage lautet, ob die Ereignisse unabhängig vom Geschlecht Auswirkungen zeigten. Dabei kann man festhalten, dass sich das allgemeine Klima für Fragen Asylsuchender aus Nordafrika und dem vorderen Orient verschlechtert hat. Entscheidend sind die Meldungen aus Deutschland, dass die Koalition in Umfragen an Unterstützung verliert, die rechtspopulistische AfD an Support gewinnt. Hinzu kommt, dass die Stimmung zugunsten der Ausschaffung krimineller Ausländerinnen und Ausländer befördert wurde, wenn auch auf rechtsstaatlichem Wege. In genau diesem Punkt unterscheiden sich die Debatten in Deutschland und der Schweiz. 63 Grafik 55 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Geschlecht: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 13 9 12 16 8 10 33 bestimmt dagegen 9 26 28 6 29 20 13 eher dagegen 9 weiss nicht/keine Antwort eher dafür 21 bestimmt dafür 41 36 Mann/ Frau/ 24. Oktober 2015 24. Oktober 2015 32 30 Mann/ Frau/ 12. Januar 2016 12. Januar 2016 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), n.sig. Im Vergleich zum Oktober 2015 hat die Zustimmung zur Durchsetzungsinitiativen in unseren Umfragen abgenommen. Denn die Ja Werte bewegten sich anfänglich bei 70 Prozent, aktuell sind sie bei 51 Prozent. Das entspricht der Erwartung, die man aufgrund des Verlaufs der Vorkampagnen formulieren konnte. Insbesondere in der zweiten Dezemberhälfte übernahmen die Gegner der Initiative die Themenführung. Nicht ausgeschlossen werden kann jedoch, dass es zu einer möglichen Wende in der generellen Entwicklung zuungunsten der Initiative kam oder kommt. Grafik 56 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 15 31 16 3 21 bestimmt dagegen 11 7 20 eher dagegen weiss nicht/keine Antwort eher dafür bestimmt dafür 45 31 24. Oktober 2015 12. Januar 2016 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) 64 Hierfür kann man anfügen, dass die Zustimmungswerte zur Durchsetzungsinitiative in üblich starkem Masse von der Beteiligung abhängig sind. Fällt sie so aus, wie wir sie immer bestimmen, ist mit einer Mobilisierung von rund der Hälfte der Stimmberechtigten zu rechnen. In diesem Fall lauten die aktuellen Messwerte 51:42. Bei einer deutlich höheren Beteiligung würde die Zustimmung auch stark ansteigen, und zwar auf 57:36. Im ersten Fall ist der Ausgang aus heutiger Sicht offen, namentlich wird das Ständemehr nicht bestimmen. Im zweiten Falle wäre mit einer Annahme der Vorlage zu rechnen. Es kann aber auch sein, dass die Diskrepanz an sich nicht von den genannten Ereignissen abhängen. Denn sie tragen die typischen Kennzeichen einer Polarisierung zwischen meinungsbildender Elite in Politik, Medien und Wissenschaft einerseits, einem misstrauischen Publikum anderseits. Diese ist mittels populistischer Rhetorik, die die Spaltung betont, Schuldige bezeichnet und vor allem emotional ausgerichtet meinungsbildend wirkt, an sich politisierbar. Typisch hier war in den letzten Tagen unserer Befragung die "Albisgütli-Tagung" der SVP, bei der unterstellt wurde, die Schweiz bewege sich auf dem Weg zu einer Diktatur, weil die Ergebnisse der Volksrechte nicht mehr gebührend beachtet würden. 3.3.5 Szenarien der weiteren Meinungsbildung Bei einer Volksinitiative kommt es in der Regel zu einer Verlagerung der kollektiven Meinungsbildung von der Beurteilung des mit der Vorlage angesprochenen Problems hin zur Lösung des Problems. Das führt dazu, dass die Zustimmungsbereitschaft insgesamt sinkt, derweil die Ablehnungstendenz mit dem Abstimmungskampf zunimmt. Der hier beschriebene Mechanismus funktioniert bei Initiativen mit linker Unterstützung letztlich lückenlos, derweil er bei rechten Volksbegehren weniger eindeutig stimmt. So gibt es Fälle, wie die Minarettsinitiative, aber auch die Masseneinwanderungs- und Pädophileninitiative, die einen anderen Verlauf nahelegen. Demnach kann auch der Ja-Wert zunehmen. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Eine Ursache ist, dass die finale Meinungsbildung erst gegen den Schluss einer Kampagne stattfindet. Die andere Ursache betrifft die Mobilisierung im Abstimmungskampf, namentlich dann, wenn sie asymmetrisch ausfällt. Auch das kann dem Ja-Lager zugute kommen. Grafik 57 Positiv prädisponierte Initiative mit Mehrheitswandel, Ablehnung in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Vor der Kampagne gfs.bern, Campaigning Positiv prädisponierte Initiative ohne Mehrheitswandel, Annahme in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Abstimmungstag Nein Nein Unentschieden Unentschieden Ja Ja Vor der Kampagne Abstimmungstag gfs.bern, Campaigning Im aktuellen Fall spricht vieles dafür, dass die Nein-Seite argumentativ etwas besser aufgestellt ist. Sie kann mit dem wirtschaftlichen und politischen Umfeld punkten, die bei der Entscheidung von Belang sind, auch der Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative bildet einen Anker, den man auswerfen kann, um einen Teil der Befürwortenden von damals anzusprechen. 65 Den Initianten der Durchsetzungsinitiative nützt der selbst bei der InitiativGegnerschaft vorhandene Wunsch, kriminelle Ausländerinnen und Ausländer auszuschaffen. Diese Position ist nicht nur mehrheitsfähig, sie wirkt auch am stärksten von allen geprüften Argumenten. Ihr Wert verstärkt sich tendenziell sogar, wenn es zu einer verstärken Mobilisierung kommen sollte. So oder so wird aufgrund dieser Diagnose klar, dass ein Unterschied besteht zwischen der Argumentation der Behörden, die zu über 70 Prozent gegen die Vorlage waren und den Stimmberechtigten, die offensichtlich gespalten sind, mit schwachen Vorteilen für die Gegnerschaft, wenn man auf die Botschaften abstellt, aber wachsendem Vorteil für die Initiantinnen und Initianten je mehr die Entscheidung auf Ausländerkriminalität als mobilisierendes Element abstellt. Zieht man unsere vergleichbare Befragung zur Durchsetzungsinitiative bei, die damals eine Zustimmungsbereitschaft von 70 Prozent ergab, ist seit Beginn des Abstimmungskampfes immerhin einiges in Bewegung geraten. Boden gut gemacht, hat vor allem die Nein-Seite. Das Blatt hat sie dabei aber (noch?) nicht wenden können. Die Beurteilung der Ausgangslage für die Hauptphase des Abstimmungskampfes lautet aufgrund unserer Befragung wie folgt: Indexiert sprechen die (getesteten) Argumente eher für ein Nein. Weder die momentanen Stimmabsichten, noch der erwartete Abstimmungsausgang bestätigen dies. Je höher die Beteiligung an der Entscheidung sein sollte, umso klarer ist der Unterschied. Tabelle 14 Indikatoren der Einschätzung der Durchsetzungsinitiative Ausprägung Parla lament Parolen Erwartung Stimmende Index Argumente Erklärung Argumente R2 Stimmabsichten Prädisponierung Trenderwartung Dispositionsansatz dagegen NR: 71% SR: 83% SP, GPS, GLP, Piraten, CVP, EVP, BDP, FDP 48% 49% Bestimmt Teilnehmende: 42% Bestimmt/eher Teilnehmende: 36% Normalszenario mit leicht sinkendem Ja-Anteil Ausnahmeszenario, wenn Beteiligungsabsicht stark steigend dafür NR: 29% SR: 13% SVP, EDU 58% 42% Bestimmt Teilnehmende: 51% Bestimmt/eher Teilnehmende: 57% Normalszenario mit steigendem Nein-Anteil Ausnahmeszenario, wenn Beteiligungsabsichten stark steigen Insgesamt 64% 62% SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Im Normalfall erwarten wir, dass die festgestellte Diskrepanz zugunsten der Gegnerschaft abbaut. Massgeblich dürfte dabei werden, dass Regierung und Parlament eine Vorlage zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative ausgearbeitet haben, die selbst aus Sicht der Stimmberechtigten nicht im Widerspruch steht zum (damaligen) Volkswillen. Im Spezialfall kann es auch zu einem Protestvotum kommen, wobei die konsequente Ausschaffung kriminell gewordener Ausländerinnen und Ausländer den Entscheid gibt. Je höher die Beteiligung an der Volksabstimmung sein sollte, umso eher ist mit diesem Verlauf zu rechnen. 66 3.3.6 Stichworte für die Berichterstattung potenzielle Mehrheitsinitiative von rechts (nationalkonservativ) fortgeschrittene Meinungsbildung hohe Prädisponierung durch Stimmverhalten bei Ausschaffungsinitiative Ausschaffung krimineller Ausländer populärstes und wirksamstes JaArgument Gesetzgebung zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative bisher wirksamestes Nein-Argument, wirtschaftliche und rechtliche Bedenken ansatzweise auch wirksam weitere Entwicklung hängt vom Kampagnenverlauf respektive der Mobilisierung ab Ausgang offen 67 3.4 Volksinitiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!" 3.4.1 Vorläufige Stimmabsichten Zum Zeitpunkt der Befragung waren 48 Prozent der Teilnahmewilligen bestimmt oder eher für die Volksinitiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln". 39 Prozent waren bestimmt oder eher dagegen. Die Initianten starten demnach mit einem Vorsprung von 9 Prozentpunkten in die Hauptphase des Abstimmungskampfes. Grafik 58 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016: Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen bestimmt dagegen 19 bestimmt dafür 28 eher dagegen 20 eher dafür 20 weiss nicht/keine Antwort 13 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Der Stand der Meinungsbildung bleibt zurück. Nur 47 Prozent der Teilnahmewilligen äusserten eine bestimmte Stimmabsicht. Bei weiteren 40 Prozent war nur eine Tendenz festzustellen, und bei 13 Prozent bekamen wir gar keine diesbezügliche Information. Den Hauptgrund für den geringen Stand an Meinungsbildung orten wir in der Neuheit des Themas. Bisher war es nicht Gegenstand breiter öffentlicher Debatten. Zudem ist das Thema eher kompliziert. Es war bisher für "Börsianer" ein Alltagsthema, während sich die Politik ihm erst schrittweise annähert. Zudem bekommt diese Initiative im laufenden Abstimmungskampf am wenigsten Aufmerksamkeit. Generell gehen wir davon aus, dass sich negative Meinungen zur Nahrungsmittelspekulation einerseits, wirtschaftspolitische Bedenken andererseits bei einer Entscheidfindung zur Initiative gegenüber stehen. 68 3.4.2 Vorläufiges Konfliktmuster Das Konfliktmuster zur Spekulationsstopp-Initiative ist in erster Linie politisch geprägt. Die Stimmabsichten sind je nach Parteibindung ungleich. Keinen Einfluss finden wir dagegen hinsichtlich des Regierungsvertrauens/misstrauens. Am klarsten für die Initiative ist die Wählerschaft der GPS (77%), gefolgt von jener der SP (65%). Am meisten Opposition findet sich an der Basis der FDP. Diese will aktuell zu 56 Prozent gegen die Vorlage stimmen. Die Wählenden der CVP neigen ohne Eindeutigkeit ins Nein (37:44), ebenso jene der SVP (40:46). Bei den Parteiungebundenen ist die Ablehnung mit 40:48 relativmehrheitlich. Fortgeschritten ist die Meinungsbildung nur an der Basis der GPS. Dort haben 62 Prozent eine feste Stimmabsicht. Bei der CVP beträgt der Vergleichswert nun 33 Prozent. Das lässt noch viel an Veränderungsmöglichkeiten zu. Grafik 59 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Parteibindung: Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 4 17 7 14 20 27 18 bestimmt dagegen 28 2 19 14 eher dagegen 24 18 30 29 26 14 19 13 18 58 24 14 13 17 CVP FDP 39 GPS SP 22 12 weiss nicht/keine Antwort 13 eher dafür 27 bestimmt dafür SVP Parteiungebundene © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. Mit anderen Worten: Zentral ist die Polarisierung zwischen dem rotgrünen und bürgerlichen Lager. Das entspricht im Wesentlichen den Parteiparolen. Die Polarisierung ist aber eher gering. Die Differenz zwischen FDP und GPS beträgt im Ja-Anteil 46 Prozentpunkte, beim Nein-Anteil nur 35 Prozentpunkte. Der vergleichsweise hohe Wert für die Zustimmung in der Ausgangslage resultiert demnach vor allem aus den Minderheiten im bürgerlichen Lager, wie sie am 12. Januar festgehalten wurden. Das gilt namentlich für die konservativeren Teile bei SVP und CVP, die sich dem Anliegen der Initiative nicht einfach verschliessen. Vordergründig signifikant sind die Unterschiede nach Sprachregionen. Die JaAnteile variieren jedoch nicht stark, vielmehr gilt dies für die Nein-Anteile respektive die Unentschiedenen. Namentlich in der italienischsprachigen Schweiz ist der Stand der Meinungsbildung gering. 69 Grafik 60 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Sprachregion: Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 9 19 22 21 bestimmt dagegen 9 eher dagegen 12 31 17 11 18 weiss nicht/keine Antwort 18 30 eher dafür 33 30 20 DCH FCH bestimmt dafür ICH © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. Entlang soziodemografischer Merkmale finden sich signifikante Unterschiede entlang der Schulbildung, dem Alter und dem Geschlecht. Grafik 61 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Schulbildung: Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 11 bestimmt dagegen 16 22 11 20 23 12 18 20 eher dagegen 19 14 weiss nicht/keine Antwort 20 eher dafür 40 29 tief mittel 25 bestimmt dafür hoch © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. So sind 58 Prozent der Stimmberechtigten mit Teilnahmeabsicht für die Vorlage, wenn sie die Schulzeit auf der obligatorischen Stufe abgeschlossen haben. Wer einen tertiären Schulabschluss hat, stimmt der Vorlage nur zu 45 Prozent 70 zu. Umgekehrtes zeigt sich, stellt man auf die Nein-Werte ab. Die fallen bei einem hohen Schulabschluss verstärkt aus und sind bei Absolventen der obligatorischen Schule ausgesprochen gering. Vermehrte Zustimmung findet die Vorlage, die aus den Reihen der Juso stammt, bei den jüngeren Bürgern und Bürgerinnen. So sind 56 Prozent der unter 40-Jährigen dafür, derweil sich 42 Prozent der Rentner und Rentnerinnen dagegen aussprechen. Der Stand der Meinungsbildung bleibt aber zurück, je jünger die Befragten mit Teilnahmeabsicht sind. Denn von den Rentnerinnen und Rentner sind bereits 52 Prozent fest in die eine oder andere Richtung entschieden. Unter der jüngsten Befragtengruppe macht dieser Anteil minderheitliche 37 Prozent aus. Grafik 62 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Alter: Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 11 bestimmt dagegen 20 21 21 21 16 eher dagegen 17 12 30 20 14 weiss nicht/keine Antwort 13 eher dafür 26 27 31 18-39-Jährige 40-64-Jährige 65+-Jährige bestimmt dafür © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. Schliesslich ein Wort zu den Stimmabsichten nach Geschlecht. Frauen sehe die Vorlage positiver als Männer. Während Frauen zu 54 Prozent Ja sagen, sind Männer zu 50 Prozent dagegen. 71 Grafik 63 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Geschlecht: Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen bestimmt dagegen 11 27 17 eher dagegen 18 23 weiss nicht/keine Antwort 8 24 16 eher dafür 26 30 Mann Frau bestimmt dafür © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. Das Konfliktmuster zur Spekulationsstopp-Initiative ist damit erwartungsgemäss durch den Links/Rechts-Gegensatz geprägt. Wenn das Ergebnis denn nicht eindeutig ausfällt, hat das mit vermehrten Sympathien bei Frauen, jüngeren Menschen und Angehörigen der Unterschichten zu tun. Festgehalten sei hier noch, dass ausser bei der FDP und unter Männern in keiner Merkmalsgruppe in der Ausgangslage eine mehrheitliche Ablehnung besteht. Tabelle 15 Konfliktlinien: VI gegen Nahrungsmittelspekulation Konflikt Signifikanz Ja ++ Nein ++ Unschlüssigkeit ++ Parteibindung sig. GPS, SP CVP, FDP, SVP, Parteiungebundene CVP, (SP), (SVP) Sprachregion sig. (FCH), (ICH) (DCH) (FCH), ICH Siedlungsart n.sig. Schulbildung sig. Tief, (mittel) (hoch) (tief) HH-Einkommen sig. (bis CHF 3000), CHF 5-7000, (CHF 9-11000) (CHF 7-9000), (CHF 9-11000), über CHF 11000 CHF 3-5000, (CHF 7-9000) Geschlecht sig. Frau Mann (Frau) Alter sig. 18-39-Jährige (40- bis 64-Jährige), (65+-Jährige) (18- bis 39-Jährige) Regierungsvertrauen n.sig. Lesebeispiel: Aufgeführte Untergruppen weichen mehr als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab. Untergruppen in Klammern weichen weniger als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab. SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Das Profil ist typisch für modernisierungskritische Vorlagen, wie es sich auch bei Vorstössen gegen Gentechnologie in der Landwirtschaft findet. Angesichts der wenig fortgeschrittenen Meinungsbildung ist mit erheblichen Wirkungen des Abstimmungskampfes zu rechnen. 72 3.4.3 Argumententest Beide Seiten verfügen über mehrere mehrheitsfähige Argumente. Das spricht für eine recht offene Situation. Die Initianten können sich in erster Linie auf die linke Botschaft stützen, wonach wenige Reiche von der Nahrungsmittelspekulation profitieren. 73 Prozent der Teilnahmewilligen sind da auf ihrer Seite. 60 Prozent sind es, wenn von steigenden Nahrungsmittelpreise die Rede ist. Nicht mehrheitsfähig sind die Initianten, wenn sie propagieren, die Vorlage sei ein wirksames Mittel gegen den Hunger in der Welt. Da widersprechen ihnen 49 Prozent. Grafik 64 Filter Pro-Argumente zur Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation "Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation immer wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie damit voll einverstanden, eher einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden sind." Bereicherung weniger Reicher "Mit Nahrungsmittelspekulationen bereichern sich einige Reiche auf Kosten der Ärmsten." treibt Lebensmittelpreise in die Höhe "Die Nahrungsmittelspekulation treibt die Lebensmittelpreise in die Höhe." Instrument gegen Hunger "Das Verbot von Nahrungsmittelspekulationen ist ein wirkungsvolles Instrument gegen den weltweiten Hunger." in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen Bereicherung weniger Reicher treibt Lebensmittelpreise in die Höhe Instrument gegen Hunger 29 31 16 voll einverstanden eher nicht einverstanden 6 26 47 27 8 eher einverstanden überhaupt nicht einverstanden 8 9 12 12 20 25 24 weiss nicht/keine Antwort © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Das populärste Argument in unserem Test setzt denn auch hier an, wenn auch aus gegnerischer Sicht. 79 Prozent finden, dass das Hungerproblem nicht nur durch Nahrungsmittelspekulation verursacht werde. 54 Prozent der Stimmberechtigten, die bestimmt teilnehmen wollen, haben grundsätzliche Bedenken und zwar weniger zur Initiative an sich als viel mehr zu Eingriffen in die Schweizer Wirtschaft. Sie finden, in der jetzigen Wirtschaftssituation sollten zusätzliche Regulierungen vermieden werden. 50 Prozent befürchten, bei Annahme der Initiative würden Arbeitsplätze und Steuereinnahmen verloren gehen. 73 Grafik 65 Filter Contra-Argumente zur Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation "Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation immer wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie damit voll einverstanden, eher einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden sind." Hungerproblem nicht durch Spekulationen "Das weltweite Hungerproblem entsteht nicht nur durch Nahrungsmittelspekulation." zusätzliche Regulierungen vermeiden "Die Unternehmen in der Schweiz haben momentan mit genug Schwierigkeiten zu kämpfen. Zusätzliche Regulierungen müssen vermieden werden." Arbeitsplätze und Steuereinnahmen gehen verloren "Mit einem Verbot von Nahrungsmittelspekulation werden Unternehmen ihre Geschäfte ins Ausland verlagern, dadurch gehen Arbeitsplätze und Steuereinnahmen verloren." in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen Hungerproblem nicht durch Spekulationen 46 zusätzliche Regulierungen vermeiden Arbeitsplätze und Steuereinnahmen gehen verloren 33 26 19 voll einverstanden eher nicht einverstanden 28 31 9 9 eher einverstanden überhaupt nicht einverstanden 5 20 26 9 7 17 15 weiss nicht/keine Antwort © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Bilanziert man Nähe und Distanz der Teilnahmewilligen zu den gebündelten Argumenten beider Seiten, resultiert ein Patt. Denn es stehen 44 Prozent den Ja-Botschaften näher, und es sind 43 Prozent, bei denen das bezüglich der Nein-Aussagen der Fall ist. Der Test der bisherigen Wirkungen von Argumenten zeigt, dass sich moralische und ökonomische Argumente gegenüber stehen. Am meisten polarisiert die Aussage, ob die Vorlage ein Instrument gegen den Hunger sei. Sie stammt zwar von den Initianten, wird aber nicht mehrheitlich geteilt. Tendenziell handelt es sich damit um ein Bumerang-Argument, denn es wirkt, aber nicht im beabsichtigten Sinne. Anders ausgedrückt: Die Initianten haben das Hauptthema gesetzt, indes nicht mit einer Botschaft, die zu ihren Gunsten zieht. Danach folgt die wirtschaftsrelevante Leseweise der Gegnerschaft, noch vor jener des befürwortenden Lagers. Die Anklage Reicher ist zwar populär, aber nicht besonders wirksam. Die Stimmberechtigten verstehen die Absicht, die damit geäussert wird, entscheidungsrelevant ist sie aber nicht. 74 Grafik 66 Filter Regressionsanalyse persönliche Stimmabsicht zur Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation Filter: Stimmberechtigte, die bestimmt teilnehmen wollen Ja Ablehnung zu: Nein Instrument gegen Hunger zusätzliche Regulierungen vermeiden treibt Lebensmittelpreise in die Höhe Bereicherung weniger Reicher Arbeitsplätze/Steuereinnahmen gehen verloren © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), R2 = 0.445 Erläuterung: Die eingesetzte Methode der linearen Regression beschreibt das Vorhandensein des Einflusses von unabhängigen Variablen – hier der Pro- und Contra-Argumente – (in abnehmender Reihenfolge) auf eine abhängige Variable, den Stimmentscheid. Anhand der Farbe lässt sich 2 unterscheiden, ob ein Element eher zu einer Ja-Stimmabgabe (blau) oder zu einer Nein-Stimmabgabe (orange) geführt hat. Das R gibt Auskunft darüber, wie erklärungskräftig ein Modell ist – je näher der Wert bei 1 liegt, desto grösser ist der Anteil der Varianz in der abhängigen Variable, der mit den unabhängigen Variablen erklärt wird. Argumente, welche in der Grafik nicht erscheinen, haben keinen Einfluss. Argumente mit dem Wortzusatz "Ablehnung zu" werden mehrheitlich verneint. Entsprechend sind solche Argumente in die andere Richtung eingefärbt und erhalten besagten Zusatz. Die schwarze Linie in der Mitte der Abbildung bezeichnet den Median. Befindet sich ein Argument genau auf der Mitte der Linie, bedeutet dies, dass 50 Prozent der Befragten einverstanden mit dem Argument sind, während die anderen 50 Prozent damit nicht einverstanden sind ("Weiss nicht"-Angaben werden dafür ausgeklammert). Je weiter das Kästchen nach links oder rechts von der 50-Prozentlinie abweicht, desto grösser ist die einseitige Beurteilung des betreffenden Arguments. Der rote Punkt dient als Lesehilfe, er markiert jeweils die Mitte des Kästchens. 3.4.4 Szenarien der weiteren Meinungsbildung Bei einer Volksinitiative kommt es in der Regel zu einer Verlagerung der kollektiven Meinungsbildung von der Beurteilung des angesprochenen Problems zur Beurteilung der vorgeschlagenen Lösung. Das hat in der Regel zur Folge, dass die Ablehnungsbereitschaft mit der Dauer des Abstimmungskampfes steigt, während sich die die Zustimmungstendenz verringert. Bei linken Initiativen gilt dieser Normalfall praktisch lückenlos. Die Volksinitiative "Keine Spekulation gegen Nahrungsmittel" der Jungsozialisten, unterstützt von diversen Kreise aus dem Mitte/links-Spektrum, fügt sich in eine Reihe von Vorlagen ein, die vor diesem Hintergrund analysiert werden können. Namentlich erwähnt sei hier die 1:12 Initiativen; verwiesen sei auf vergleichbare Vorlagen wie den Mindestlohn. Ihnen gemeinsam ist, dass sie wirtschaftskritisch aufgestellt sind und stets mit einer moralischen Anklage verbunden sind. Für eine Ablehnung spricht, dass die Behörden die Vorlage ablehnen, aber auch das bürgerlichen Lager mit nur wenigen Ausnahmen auf der Nein-Seite steht. Es kommt hinzu, dass die Vorlage auch bei den Jungparteien polarisiert. Dafür sind die Juso und Teile der Jungen CVP, während sich die Mehrheit der Nachwuchsparteien gegen das Anliegen stellt. 75 Im aktuellen Fall kommt hinzu, dass die Meinungsbildung insgesamt zurück bleibt. Am besten kommt dies bei der CVP zum Ausdruck, wo gerade ein Drittel der Wählenden eine feste Stimmabsicht hat. Fortgeschritten ist die Meinungsbildung letztlich nur an der Basis der Grünen. Das gilt auch für die Erklärungskraft der Argumente hinsichtlich der Stimmabsichten. Sie ist höchstens mittelstark ausgeprägt. Argumentativ bilanzieren wir ein Patt, die Stimmabsichten sind leicht besser für die Pro-Seite, für ein Ja aber nicht hinreichend. Vor allem die Botschaft der Initianten zum Hungerproblem polarisiert, ohne mehrheitlich in ihrem Sinne zu wirken. Was die wirtschaftspolitischen Argumente betrifft, haben die generellen Bedenken der Gegnerschaft bisher mehr Wirkung entfaltet. Tabelle 16 Indikatoren der Einschätzung der VI gegen Nahrungsmittelspekulation Ausprägung Parlalament Parolen Erwartung Stimmende Index Argumente Erklärung Argumente R2 Stimmabsichten Prädisponierung Trenderwartung Dispositionsansatz dagegen NR: 69% SR: 74% GLP, CVP, FDP, SVP, EDU - 43% 39% Normalszenario mit Zunahme Nein dafür NR: 31% SR: 26% SP, GPS, EVP - 44% 48% Normalszenario mit Abnahme Ja Insgesamt 45% 47% SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Zu erwarten ist, dass die gemessenen Stimmabsichten in erheblichem Masse variabel sind und der Abstimmungskampf noch einiges entscheidet. Dabei sind die Aussichten der Gegnerschaft besser als die der Initianten. Eine Ablehnung der Vorlage erscheint uns aufgrund der theoretischen Überlegungen und der empirischen Befunde am wahrscheinlichsten. Entsprechend begnügen wir uns hier mit einem Szenario zum weiteren Verlauf der Meinungsbildung. 76 Grafik 67 Positiv prädisponierte Initiative mit Mehrheitswandel, Ablehnung in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Nein Unentschieden Ja Vor der Kampagne Abstimmungstag gfs.bern, Campaigning 3.4.5 Stichworte für die Berichterstattung Minderheitsinitiative von links Meinungsbildung bisher nicht stark ausgeprägt mittelstarke Polarisierung auf der Links/rechts-Achse Polarisierung bisher vor allem durch Ursache des Welthungers mit Vorteilen für die Gegnerschaft Ablehnung dürfte steigen, Zustimmung sinken Ablehnung wahrscheinlich 77 3.5 Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet 3.5.1 Vorläufige Stimmabsichten Mitte Januar 2016 hätten 64 Prozent der teilnahmewilligen Stimmberechtigten für die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet gestimmt. 29 Prozent wären dagegen gewesen. Die Ja-Seite begibt sich mit einem guten Vorsprung in die Hauptphase des Abstimmungskampfes. Denn sie weiss bei wenig unentschiedenen Teilnahmewilligen und einem bereits relativ gefestigten Stand der Meinungsbildung eine klare Mehrheit hinter sich. Grafik 68 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016: Zweite Gotthardröhre "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet, abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen bestimmt dagegen 16 bestimmt dafür 40 eher dagegen 13 weiss nicht/keine Antwort 7 eher dafür 24 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Typologisch entspricht die Sanierungsvorlage zum Gotthardtunnel damit einer positiv prädisponierten Behördenvorlage. Diese Einschätzung ist neben dem JaVorsprung auch dem Umstand geschuldet, dass kein Unterschied in der mehrheitlichen Einschätzung der Vorlage von Regierung, Parlament und der teilnahmewilligen Bevölkerung existiert. Das Meinungsbild kann – einerseits wegen vorhandener Abstimmungserfahrung zu diesem Thema, andererseits aufgrund des hohen Alltagsbezugs – als eher fortgeschritten bezeichnet werden. Bestimmt im Ja oder Nein festgelegt war am 12. Januar 2016 mit 56 Prozent der Teilnahmewilligen eine Mehrheit. Eher festgelegt waren 37 Prozent, gar keine Stimmabsicht äusserten weitere 7 Prozent, was ein geringer Wert ist. Allerdings bedeutet das nicht, dass bereits alles entschieden ist, aber es besteht weniger Spielraum für die Kampagne als etwa bei der Initiative gegen die Heiratsstrafe oder der Durchsetzungsinitiative. Denn die vornehmliche Kampagnenwirkung bei einer Behördenvorlage ist die Überzeugung Unschlüssiger, was die am 12. Januar 2016 festgehaltenen Mehrheitsverhältnisse nicht zum 78 kippen brächte. Vielmehr müssten darüber hinaus tendenziell Entschiedene umgestimmt werden. Klimatisch wird ebenfalls ein Vorteil für die Ja-Seite wahrgenommen, wenn auch etwas verhaltener als die Stimmabsichten vermuten liessen: Die teilnahmewilligen Stimmberechtigten schätzen im Schnitt, dass die Vorlage am Abstimmungstag 53.3 Prozent Zustimmung erreichen wird. Lediglich eine Minderheit von ihnen geht von einer Ablehnung der Vorlage aus (23% gehen von einem Ja-Anteil unter 50 Prozent aus), 70 Prozent rechnen mit einer Zustimmung. 3.5.2 Vorläufiges Konfliktmuster Symptomatisch für diesen eher fortgeschrittenen Stand der Meinungsbildung ist die bereits in der Ausgangslage existente Polarisierung. Sämtliche hier untersuchten Grössen erweisen sich als signifikante Spaltungsmerkmale der Teilnahmewilligen hinsichtlich ihres Stimmentscheids zur zweiten Gotthardröhre. Nur in einem Fall jedoch führt diese Spaltung zu vom Mainstream abweichenden Mehrheiten. Die primäre Polarisierung im Abstimmungskampf ist entlang der parteipolitischen Spaltung zu erwarten. Sie spaltet eindeutig zwischen links und rechts. Der Zusammenhang kann als linear beschrieben werden, wobei die Ja-Anteile umso höher ausfallen, je weiter man sich auf der politischen Achse nach rechts bewegt. Mehrheitlich im Nein sind Sympathisantinnen und Sympathisanten der Grünen und der SP (70% resp. 53% eher/bestimmt dagegen). Bereits im Umfeld der CVP kippen die Mehrheitsverhältnisse dann aber ins Ja (68% eher/bestimmt dafür). FDP und SVP sind mit Zustimmungswerten von hohen 74 respektive 80 Prozent eindeutig im Ja und auch die Parteiungebunden schliessen sich der Mehrheit an (67% eher/bestimmt dafür). Grafik 69 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Parteibindung: Zweite Gotthardröhre "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet, abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 15 32 15 55 10 10 9 8 7 3 16 20 8 8 2 32 2 10 GPS 32 11 60 18 18 eher dagegen 27 21 15 bestimmt dagegen eher dafür 47 36 weiss nicht/keine Antwort 35 18 bestimmt dafür SP CVP FDP SVP Parteiungebundene © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. Damit befinden sich alle Parteiwählerschaften in ihrer Mehrheit im Einklang mit den Parolen ihrer jeweiligen Partei. Das gefestigtste Meinungsbild findet sich 79 an den Polen (GPS vs. SVP) und im Umfeld der FDP. Erst knappe Mehrheiten verfügen dagegen im Umfeld der teilnehmenden SP- und CVP-Wählerschaft über eine harte Meinung in der Gotthardfrage. Drei weitere Variablen erweisen sich als relevant hinsichtlich der Entscheidung zum Gotthard; Sprachregion, Betroffenheit in Form von Autobesitz und Regierungsvertrauen. Auffallend hoch sind die Zustimmungswerte im Kanton Tessin, wo bereits in der Ausgangslage eine Mehrheit bestimmt für die Vorlage stimmen will. Zusammen mit den tendenziellen Befürwortungen der Sanierung erreicht die zweite Gotthardröhre im Tessin einen Zustimmungswert von 76 Prozent. Den Gegenpol bildet die Westschweiz, wo sich zwar ebenso eine zustimmende Mehrheit findet, jedoch bei noch vielen Unentschlossenen. Die Deutschschweiz liegt bei sehr wenigen Unentschlossenen nahe am Gesamtbild der Stimmberechtigten und hätte der Vorlage am 12. Januar 2016 mit einer Zweidrittelmehrheit zugestimmt. Allerdings sind gerade in der Deutschschweiz auch die meisten Gegenstimmen zu finden (31%). Grafik 70 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Sprachregion: Zweite Gotthardröhre "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet, abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 18 13 11 bestimmt dagegen 6 11 13 3 7 eher dagegen 23 22 22 weiss nicht/keine Antwort 32 54 eher dafür 44 21 DCH FCH bestimmt dafür ICH © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. Weniger deutlich, aber ebenso signifikant, sind die Einflüsse der zweiten räumlichen Grösse, der Siedlungsart: Die Zustimmungsbereitschaft ist in grossurbanen Gebieten tiefer als auf dem Land. Die Polarisierung ist jedoch schwach, denn letztlich sind alle drei Siedlungsräume im Ja (ländlich: 69%, kleine/mittlere Agglomeration: 64%, grosse Agglomeration: 59% eher/bestimmt dafür). Die dritte zentrale Polarisierung ist Betroffenheit, denn neben Sympathisanten der SP und der GPS sind Teilnahmewillige ohne Auto die einzige Untergruppe, welche der Vorlage ablehnend gegenübersteht. 47 Prozent von ihnen hätten am 12. Januar 2016 Nein gestimmt und damit eine relative Mehrheit. Teilnahmewillige dagegen, die ein Auto besitzen und noch deutlicher solche mit zwei Autos und mehr hätten den Sanierungstunnel angenommen (64%/71% eher/bestimmt dafür). 80 Grafik 71 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Autobesitz: Zweite Gotthardröhre "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet, abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 10 16 bestimmt dagegen 13 36 13 6 eher dagegen 7 11 25 weiss nicht/keine Antwort 24 12 18 eher dafür 46 40 23 kein Auto bestimmt dafür ein Auto zwei Autos und mehr © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. Und schliesslich ist auch das Institutionenvertrauen ausschlaggebend, wobei ausnahmsweise nicht die Stimmabsichten von Vertrauenden und Misstrauischen am stärksten divergieren. Vielmehr unterscheiden sich die eben genannten Gruppen von Befragten, die keine inhaltliche Angabe zum Regierungsvertrauen machen. Wenig spricht damit für einen Protestcharakter dieser Entscheidung. Grafik 72 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Regierungsvertrauen: Zweite Gotthardröhre "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet, abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 14 16 29 9 14 9 7 24 bestimmt dagegen eher dagegen 12 24 8 weiss nicht/keine Antwort 19 eher dafür 39 44 32 bestimmt dafür Vertrauen weiss nicht/keine Antwort Misstrauen © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. Mit anderen Worten: Die Opposition gegen den Sanierungstunnel am Gotthard kommt von links, wird an der Basis von GPS und SP mehrheitlich getragen und 81 sie wird verstärkt von Teilnahmewilligen, die kein Auto besitzen. Kritische oder zögernde Untertöne finden sich eher bei jenen Teilnahmewilligen, die den Behörden gegenüber indifferent eingestellt sind oder in der Westschweiz leben. Weiter erweisen sich gesellschaftliche Differenzierungen als signifikant, jedoch in keinem Fall als grundlegend. So zeigen sich etwa Frauen weniger dezidiert in ihrer Zustimmung als Männer oder jüngere Teilnahmewillige weniger als ältere. Doch unter dem Strich hätten Mitte Januar Frauen (57%) wie Männer (71%) respektive Junge (66%) wie Teilnahmewillige im mittleren Alter (65%) und wie Pensionierte (58%) mehrheitlich für den Sanierungstunnel am Gotthard gestimmt. Kritische Untertöne finden sich allerdings unter Frauen häufiger als unter Männern. Grafik 73 Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Geschlecht: Zweite Gotthardröhre "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet, abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen bestimmt dagegen 16 9 4 23 17 15 eher dagegen 11 24 weiss nicht/keine Antwort eher dafür 48 33 bestimmt dafür Mann Frau © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig. Am Rande erweisen sich auch sozioökonomische Grössen als relevant. So fällt die Zustimmung zur zweiten Gotthardröhre in allen drei Bildungsgruppen ähnlich hoch aus (65%, 63%, 64% eher/bestimmt dafür), die höchste Bildungsgruppe ist allerdings zurückhaltender in ihrer dezidierten Zustimmung, während die tiefste die meisten bestimmten Gegenvoten auf sich vereint. Nach Einkommen betrachtet fällt auf, dass die beiden tiefsten Gruppen und Teilnahmewillige mit einem Haushaltseinkommen zwischen 9 und 11'000 CHF etwas kritischer sind, als die übrigen. Doch auch diese stimmen der zweiten Gotthardröhre mehrheitlich zu. Zusammengefasst finden sich diese Befunde in der nachfolgenden Tabelle. 82 Tabelle 17 Konfliktlinien: Zweite Gotthardröhre Konflikt Signifikanz Ja ++ Nein ++ Unschlüssigkeit ++ Parteibindung sig. (CVP), FDP, SVP, (Parteiungebundene) GPS, SP, (CVP) (SP) Sprachregion sig. (DCH), ICH (DCH) FCH Siedlungsart sig. ländlich kleine/mittlere Agglomeration grosse Agglomeration Schulbildung sig. (tief) (mittel) (mittel) HH-Einkommen sig. CHF 5-7000, (CHF 7-9000), (über CHF 11000) bis CHF 3000, CHF 3-5000, (CHF 7-9000), CHF 9-11000 CHF 3-5000 Geschlecht sig. Mann (Frau) (Frau) Alter sig. (18- bis 39-Jährige), (40- bis 64-Jährige) (65+-Jährige) (65+-Jährige) Regierungsvertrauen sig. (Misstrauen) (Vertrauen), weiss nicht/keine Antwort (Misstrauen) Autobesitz sig. zwei Autos und mehr kein Auto (kein Auto) Lesebeispiel: Aufgeführte Untergruppen weichen mehr als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab. Untergruppen in Klammern weichen weniger als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab. SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) 3.5.3 Argumententest Beide Seiten verfügen über mehrheitsfähige aber auch über umstrittene Argumente. Das macht die vorgefundenen Mehrheitsverhältnisse beschränkt ambivalent. Die Ja-Seite kann mit drei starken Botschaften werben, eine jedoch wird nicht akzeptiert. Die Hoffnung, dass Staus am Gotthard dank der zweiten Röhre verschwinden könnten, spaltet die Gemüter: 43 Prozent bejahen die Aussage, 49 Prozent widersprechen ihr. Erfolgreich wurde jedoch ins Feld geführt, dass je eine Fahrspur pro Tunnel sicherer sei als eine Variante mit Gegenverkehr. 88 Prozent stimmen dieser Aussage zu, womit sie als annähernd unbestritten bezeichnet werden kann. Auch, dass man das Tessin nicht während dreier Jahre abkoppeln soll, wird von 68 Prozent der Teilnahmewilligen unterstützt. 61 Prozent erachten die Notwendigkeit von Zusatzbauten als gegeben, was Land beanspruche. Kurz und knapp liegt die Vorlage dann richtig, wenn sie die Notwendigkeit des Tunnels glaubhaft machen kann – sei es, um das Tessin nicht abzuhängen, sei es um Landverschwendung zu vermeiden – und, wenn sie an Sicherheitsbedürfnisse appelliert. 83 Grafik 74 Filter Pro-Argumente zur Zweiten Gotthardröhre "Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet immer wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie damit voll einverstanden, eher einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden sind." je eine Fahrspur sicherer "Zwei Tunnelröhren mit je einer Fahrspur sind sicherer als ein Tunnel mit Gegenverkehr." Tessin nicht abschneiden "Wir können uns nicht leisten, das Tessin während dreier Jahre von der Schweiz abzukoppeln." Landverbrauch für Bahnverlad "Ohne Sanierungstunnel werden Zusatzbauten für den Bahnverlad nötig, was viel Land beansprucht." Staus verschwinden "Mit der zweiten Gotthardröhre verschwinden die regelmässigen Staus am Gotthard." in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen je eine Fahrspur sicherer 70 Tessin nicht abschneiden 47 Landverbrauch für Bahnverlad Staus verschwinden 18 21 29 5 32 16 27 voll einverstanden eher nicht einverstanden 15 13 8 4 4 4 12 18 8 29 eher einverstanden überhaupt nicht einverstanden 20 weiss nicht/keine Antwort © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Der Gegnerschaft gelang es allerdings durchaus, Zweifel zu streuen. 65 Prozent der Stimmberechtigten befürchten nämlich, dass der Druck zur Öffnung der zweiten Fahrspur steigen werde und 58 Prozent gehen von einem erhöhten Verkehrsaufkommen am Gotthard aus. Einen Widerspruch zum Alpenschutz erachten 57 Prozent als gegeben und weitere 52 Prozent erachten den hohen Mitteleinsatz am Gotthard als falsch, weil dann Geld zur Lösung anderer Verkehrsengpässe fehle. Grafik 75 Filter Contra-Argumente zur Zweiten Gotthardröhre "Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet immer wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie damit voll einverstanden, eher einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden sind." Druck aus In- und Ausland wird steigen "Der Druck aus dem In- und Ausland zur Öffnung der zweiten Fahrspur, wird nach deren Fertigstellung steigen." Verkehr am Gotthard erhöht sich "Mit der zweiten Röhre erhöht sich der Verkehr am Gotthard, der Ausstoss von Schadstoffen und die Lärmbelastung steigen." widerspricht Schutz der Alpen "Der geplante Sanierungstunnel widerspricht dem vom Volk beschlossenen Schutz der Alpen vor immer mehr Strassenverkehr." verbraucht finanzielle Mittel "Der Bau eines Gotthard-Sanierungstunnels verbraucht finanzielle Mittel, die dann bei Ausbau anderer Verkehrsengpässe in der Schweiz fehlen." in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen Druck aus In- und Ausland wird steigen 33 Verkehr am Gotthard erhöht sich 32 widerspricht Schutz der Alpen 31 verbraucht finanzielle Mittel voll einverstanden eher nicht einverstanden 25 32 7 26 4 26 27 eher einverstanden überhaupt nicht einverstanden 7 8 17 23 21 24 11 15 15 16 weiss nicht/keine Antwort © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) 84 Mit anderen Worten: Der Vorlage stehen verbreitet Bedenken zur Verkehrsbelastung und dem Druck dieser nachzugeben sowie ökologische Einwände entgegen. Interessant ist die Regressionsanalyse, denn erst sie legt offen, wie sich die Argumente im Zusammenspiel verhalten. Bemerkenswert ist, dass erstens alle acht hier getesteten Argumente auf einen Stimmentscheid wirken und zweitens, dass damit hohe 57 Prozent einer Entscheidung für oder gegen die zweite Röhre am Gotthard erklärt werden können. Wir haben es hier also nicht mit einem Bauchentscheid, sondern einer argumentativ abgestützten Entscheidung zu tun. Relativierend muss höchstens der Umstand erwähnt werden, dass bei dieser Vorlage acht anstelle von sechs Argumenten getestet wurden, und das alleine erhöht die Modellgüte leicht. Insofern ist bei direkten Vergleichen mit den Werten der anderen Vorlagen gewisse Vorsicht geboten. Inhaltlich trägt das staatspolitische Argument die Vorlage am stärksten und nicht das breit geteilte Sicherheitsargument. Denn ein Ja wird am ehesten aus dem Grund, das Tessin nicht während der nächsten drei Jahre von der Restschweiz abkoppeln zu wollen, eingereicht. Sicherheitsaspekte wirken lediglich sekundär auf einen Stimmentscheid. Das Sicherheitsargument für den Sanierungstunnel eint die Stimmberechtigten zu sehr, um wirklich entscheidungsrelevant zu sein. Gut lässt sich die Stärke der gegnerischen Argumentation anhand der Regressionsanalyse aufzeigen; ihr gelang es, relevante Zweifel an der Nutzung nach der Sanierung zu streuen und das auf verschiedenen Ebenen. Denn nicht nur erweist sich das weniger-Stau-Argument als Bumerang auf dem zweiten Rang als höchst entscheidungsrelevant. Zusätzlich wirken der Widerspruch zum Alpenschutz und die Angst vor erhöhter Verkehrsbelastung zusammen mit dem Verschleiss finanzieller Mittel eindeutig und stark auf ein Nein. Grafik 76 Filter Regressionsanalyse persönliche Stimmabsicht zur Zweiten Gotthardröhre Filter: Stimmberechtigte, die bestimmt teilnehmen wollen Ja Nein Tessin nicht abschneiden Ablehnung zu: Staus verschwinden widerspricht Schutz der Alpen Verkehr am Gotthard erhöht sich verbraucht finanzielle Mittel je eine Fahrspur sicherer Landverbrauch für Bahnverlad Druck aus In- und Ausland wird steigen © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), R2 = 0.570 Erläuterung: Die eingesetzte Methode der linearen Regression beschreibt das Vorhandensein des Einflusses von unabhängigen Variablen – hier der Pro- und Contra-Argumente – (in abnehmender Reihenfolge) auf eine abhängige Variable, den Stimmentscheid. Anhand der Farbe lässt sich 2 unterscheiden, ob ein Element eher zu einer Ja-Stimmabgabe (blau) oder zu einer Nein-Stimmabgabe (orange) geführt hat. Das R gibt Auskunft darüber, wie erklärungskräftig ein Modell ist – je näher der Wert bei 1 liegt, desto grösser ist der Anteil der Varianz in der abhängigen Variable, der 85 mit den unabhängigen Variablen erklärt wird. Argumente, welche in der Grafik nicht erscheinen, haben keinen Einfluss. Argumente mit dem Wortzusatz "Ablehnung zu" werden mehrheitlich verneint. Entsprechend sind solche Argumente in die andere Richtung eingefärbt und erhalten besagten Zusatz. Die schwarze Linie in der Mitte der Abbildung bezeichnet den Median. Befindet sich ein Argument genau auf der Mitte der Linie, bedeutet dies, dass 50 Prozent der Befragten einverstanden mit dem Argument sind, während die anderen 50 Prozent damit nicht einverstanden sind ("Weiss nicht"-Angaben werden dafür ausgeklammert). Je weiter das Kästchen nach links oder rechts von der 50-Prozentlinie abweicht, desto grösser ist die einseitige Beurteilung des betreffenden Arguments. Der rote Punkt dient als Lesehilfe, er markiert jeweils die Mitte des Kästchens. Aufgrund der regionalen Betroffenheit ist ein Blick auf die Sprachregionen aufschlussreich. Nachfolgende Tabelle fasst die Zustimmung zu den Argumenten und ihre Wirkung gemäss Regressionsanalyse zusammen. Interessant ist das Tessin, denn es erweist sich nur ein einziges der ProArgumente als relevant für einen Stimmentscheid; man will nicht abgeschnitten werden. Davor jedoch erweisen sich zwei Nein-Argumente als stärker entscheidrelevant: die Angst vor erhöhter Verkehrsbelastung und die Kosten. Anders die Romandie, wo die Pro-Argumente alle vier wirksam sind und insbesondere der Sicherheitsaspekt betont wird. Das entscheidwirksamste Argument überhaupt ist jedoch auch in der Romandie die Befürchtung, dass es nach der Sanierung mehr Verkehr geben werde. Die Leseweise ist in der Deutschschweiz nochmal anders, denn dort steht das Pro-Argument, das Tessin nicht abzuschneiden zuoberst punkto Wirksamkeit und wird höchstens von Einwänden rund um den Alpenschutz relevant konkurrenziert. Tabelle 18 Regressionen nach Sprachregion: Zweite Gotthardröhre deutschsprachige Schweiz französischsprachige Schweiz italienischsprachige Schweiz Staus verschwinden Abl. .259 rel. Zust. .160 Zust. n.s. Tessin nicht abschneiden Zust. .323 Zust. .111 Zust. .190 Landverbrauch für Bahnverlad Zust. .073 Zust. .168 Zust. n.s. je eine Fahrspur sicherer Zust. .087 Zust. .233 Zust. n.s. widerspricht Schutz der Alpen Zust. -.223 Zust. -.229 Abl. n.s. Verkehr am Gotthard erhöht sich Zust. -.152 Zust. -.296 Abl. -.367 verbraucht finanzielle Mittel Zust. -.133 rel. Zust. n.s. Abl. -.336 Druck aus In- und Ausland wird steigen Zust. n.s. rel. Zust. -.141 rel. Abl. n.s. JaMehrheit JaMehrheit JaMehrheit hoch .604 mittel .513 mittel .415 Argument Pro Contra Total Erklärungsgrad SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Lesebeispiel: Dargestellt ist, ob ein Argument mehrheitlich ablehnt (Abl.) oder geteilt wird (Zust.) und als Zahl die Stärke des Einflusses eines Arguments auf die Stimmabsicht (beziffert durch den Beta-Koeffizienten aus der Regressionsanalyse). Je näher der Wert des Koeffizienten bei 1 liegt, desto höher der Einfluss des Argumentes. Das Vorzeichen gibt Auskunft über die Richtung des Einflusses. Das Argument "Staus verschwinden" wird in der DCH mehrheitlich abgelehnt (Abl.). Verbunden mit dem positiven Vorzeichen des Beta-Koeffizienten bedeutet dies, dass die Ablehnung des Argumentes in Verbindung mit dem positiven Koeffizienten eher gegen die Vorlage spricht (Bumerang). In der FCH ist eine relative Mehrheit der Meinungmit diesem Argument einverstanden (rel. Zust.) und der positive Koeffizient zeigt, dass es in der Romandie ein Ja stützt. In der italienischsprachigen Schweiz stimmt man dem Argument mehrheitlich zu, für einen Stimmuentscheid ist es jedoch nicht relevant 86 (n.s. = Argument nicht signifikant). Erklärungsgrad: Je näher der Wert bei 1 liegt, desto grösser ist der Anteil der Varianz in der abhängigen Variable, der mit den unabhängigen Variablen erklärt wird. Oder je näher bei 1 desto besser erklären Argumente einen Stimmetnscheid. 3.5.4 Szenarien der weiteren Meinungsbildung Abschliessend werden die Erwartungshaltungen zum Abstimmungsausgang klassifiziert. Dazu dient nachfolgende Übersicht, welche neben der Behördenposition, den Parolen und den Erwartungen der Stimmenden auch deren Stimmabsichten und einen Indexwert zu den Argumenten enthält. Die Stimmabsichten legen ein Plus für die Ja-Seite nahe, werden von argumentativen Haltungen getragen und sind im Einklang mit der Behördenposition und einer Mehrheit der Parolen der grossen fünf Parteien. Die Fokussierung der Debatte auf Schwachstellen und Risiken eines Sanierungstunnels, wie sie die Gegnerschaft versucht, hat die Bevölkerung zwar erreicht, sie gewichtet aber zumindest bisher den Nutzen und Sicherheit offensichtlich höher als Befürchtungen rund um Alpen- und Umweltschutz respektive erhöhtes Verkehrsaufkommen. Nach Parteien gegliedert zeigt sich ein Überwiegen der Parolentreue. Der Konflikt der parlamentarischen Beratung findet seine Verlängerung im Abstimmungskampf und spaltet das linke Lager gegen Mitte-rechts. Tabelle 19 Indikatoren der Einschätzung der zweiten Gotthardröhre Parlalament Parolen Erwartung Stimmende Index Argumente dagegen NR: 40% SR: 38% SP, GPS, GLP, EVP 23% 38% 29% Polarisierung möglich dafür NR: 60% SR: 62% SVP, BDP, FDP, CVP, EDU 70% 55% 64% Polarisierung möglich Ausprägung Insgesamt Erklärung Argumente R2 57% Stimmabsichten Prädisponierung Trenderwartung Dispositionsansatz 56% SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Das Normalszenario für Behördenvorlagen sieht gemäss Dispositionsansatz vor, dass sich Unentschiedene mit dem weiteren Verlauf des Abstimmungskampfes in einem ungewissen Verhältnis auf beide Seiten verteilen. Je nach Ausgangslage und Entwicklungen fällt der Ausgang zugunsten oder zuungunsten des Behördenstandpunktes aus. Setzt dieses Szenario ein, ist die Gotthardsanierung im Trockenen, denn selbst wenn sich alle noch Unentschiedenen bei dieser guten Ausgangslage dem Nein zuwenden würden, hätte die Sanierung eine Abstimmung im Januar 2016 passiert. Setzt jedoch mit fortschreitendem Abstimmungskampf ein Nein-Trend ein, ist mit einem Rückgang der Zustimmung und damit dem Spezialszenario zu rechnen. Die Meinungsbildung in der stimmwilligen Bevölkerung müsste sich deutlich weg vom Behördenstandpunkt und dem Mainstream, hin zur Opposition entwickeln. So oder so haben wir es mit einer positiv prädisponierten Behördenvorlage zu tun und einer aktiven und wahrnehmbaren Gegenkampagne. Wahrscheinlich ist, dass sich beide Seiten im Verlauf des Abstimmungskampfes akzentuieren können, was in einer Annahme des Gotthardsanierungstunnels resultieren würde. 87 Eine durchschlagende Gegenkampagne oder spezifische Ereignisse während einer Kampagnenphase, können den Nein-Anteil allerdings stark aufbauen, womit der Ausgang der Abstimmung zum jetzigen Zeitpunkt streng genommen noch als offen taxiert werden muss. Das Sonderfallszenario kann frühestens bei vorliegen der Daten der zweiten Welle mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Vieles spricht jedoch zurzeit für das erste Szenario einer Annahme der Vorlage. Insbesondere auch die Konfliktanalyse; diese legt nahe, dass man von einem geschlossenen Mitte-/rechts-Feld auf der Ja-Seite ausgehen kann. Das könnte sich ändern, wenn namhafte Kantonalparteien der befürwortenden Parteien ausscheren würden. Grafik 77 Positiv prädisponierte Behördenvorlage, schwache Polarisierung Richtung Nein, Annahme in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Positiv prädisponierte Behördenvorlage mit Meinungswandel zum Nein, Ausgang offen in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Nein Nein Unentschieden Unentschieden Ja Vor der Kampagne Abstimmungstag gfs.bern, Campaigning Ja Vor der Kampagne Während der Kampagne Abstimmungstag gfs.bern, Campaigning Die Meinungsbildung zur eingangs diskutierten Referenzvorlage, der Abstimmung über die Finanzierung und den Ausbau der Bahninfrastruktur (FABI) entsprach diesem Regelfall der Meinungsbildung und sie passierte die Abstimmung bei einem tieferen Ausgangswert in der ersten Umfrage (56%) mit einem Ja-Anteil von 62 Prozent. Die zweite Referenzvorlage entsprach dem Ausnahmeszenario, allerdings handelte es sich bei der Abstimmung über die Avanti-Initiative nicht um einen Gegenvorschlag, der vom Bundesrat nicht vehement verteidigt wurde. Nicht zu vergessen ist, dass damals über eine fixe zweite Gotthardröhre abgestimmt wurde, nicht über einen Sanierungstunnel. Letztlich scheiterte der Gegenvorschlag an dieser zweiten Röhre, weil die Skepsis über dessen Folgen weit ins bürgerliche Lager reichte. Das ist im aktuellen Fall klar anders. 3.5.5 Stichworte für die Berichterstattung positiv vorbestimmte Entscheidung zu einer Behördenvorlage Meinungsbildung eher fortgeschritten auf beiden Seiten mehrheitsfähige Argumente, Sicherheitsfragen populär Polarisierung vor allem durch staatspolitische Fragen, sprich Abkapselung des Tessins und Verstoss gegen Alpenschutz Konfliktmuster mit parteipolitischer Polarisierung und regionalen respektive persönlicher Betroffenheit im Normalfall wachsen Zunahme- und Ablehnungsbereitschaft, im Ausnahmefall nimmt nur letzteres zu, beide Szenarien an sich möglich, Annahme aber wahrscheinlicher 88 4 Synthese Am 28. Februar 2016 entscheiden die Schweizer Stimmberechtigten über vier Vorlagen: Initiative "Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe" (der CVP und Zugewandter) Initiative "Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer" (der SVP) Initiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln" (der Juso und Zugewandter) Zweite Gotthardröhre, durch ein Referendum aus rotgrünen-Kreise in Frage gestellt. Mit der Synthese verdichten wir die Ergebnisse aus den verschiedenen Befunden. Wir konzentrieren uns dabei auf jene, die zur These des Dispositionsansatzes passen. Gemäss unserer allgemeinsten Auffassung über Volksabstimmungen stehen die Resultate von Volksabstimmungen nicht ein für alle Mal fest. Anders als bei Wahlen sind sie grundsätzlich variabel. Denn bei Volksabstimmungen gibt es keine Parteiidentifikation, die fast alles vorbestimmt. Wichtiger sind der Einfluss des Abstimmungskampfes und der Bezug des Themas zum Alltag der Bürgerschaft. Skizziert wird dies mit der nachstehenden Grafik. Die Meinungsbildung über die Zeit hinweg ist in der mittleren Ebene dargestellt. Auf sie wirken die Faktoren, welche die Kampagnen bestimmen, bestehend aus Abstimmungskampf, Konfliktmuster bei der meinungsbildenden Elite wie Regierung, Parlament und Medien sowie dem allgemeinen politischen Klima. Das Ganze wird gespiegelt durch die Prädispositionen, sprich Alltagserfahrungen, die man mit den Abstimmungsthemen gesammelt hat. Je klarer Prädispositionen vorhanden sind, desto eher bestimmen die inneren Einflussfaktoren das Abstimmungsresultat. Ohne starke Prädispositionen sind die äusseren relevanter. Grafik 78 Analytisches Schema des Dispositionsansatzes Klima Konfliktmuster meinungsbildende Eliten Abstimmungskampf Vorlage Dispositionen Konfliktmuster Stimmwillige Entscheidung Prädispositionen Zeitachse © gfs.bern 89 Generell gehen wir davon aus, dass sich die Position der Bürgerschaft im Abstimmungskampf an jene der Behörden anpasst. Initiativen mögen noch so gut starten, ihre Ablehnung nimmt mit den Kampagnen zu und die Zustimmung verringert sich, wenn Regierung und Parlament dagegen sind. Kommt es nicht zu diesem Effekt, ist entweder die Behördenposition löcherig, oder aber, was häufiger ist, mit dem Abstimmungskampf wird ein Protestpotenzial deutlich. Dieses steigt auf die überwiegend eingesetzte Schwachstellenkommunikation gegen die Initiative nicht ein, will vielmehr ein gut sichtbares Zeichen des Unmuts setzen. Auch bei Behördenvorlagen kommt es in aller Regel zu einer Anpassung der Bürgermeinung an jene von Regierung und Parlament. Dabei sind Meinungsänderungen weniger häufig, vielmehr interessiert hier die Meinungsbildung der gänzlich oder tendenziell unschlüssigen BürgerInnen. Im Normalfall verteilen sie sich auf beide Seiten. Im Ausnahmefall zerfällt die anfängliche Zustimmungsbereitschaft und die Zustimmung sinkt. Das ist namentlich dann vorstellbar, wenn die parlamentarische Allianz im Abstimmungskampf auseinander fällt. Bei der Gotthard-Abstimmung handelt es sich um eine Behördenvorlage, der namentlich aus dem rotgrünen Lager Opposition erwachsen ist. Die Prädisponierung ist mehrheitlich positiv und eher hoch. Hauptgrund hierfür ist, dass die Vorlage aus dem Alltag heraus in Umrissen beurteilt werden kann. Erwartet wird bis zum Abstimmungstag, dass es zu einer Polarisierung zwischen dem bürgerlichen und rotgrünen Lager kommt, durchsetzt durch regionale und persönliche Betroffenheiten. Bei den drei anderen Vorlagen handelt es sich um Volksinitiativen. Jene zur Heiratsstrafe stammt aus bürgerlich-konservativen Kreisen. Ihre Mehrheitsfähigkeit ist potenziell gegeben, denn sie verspricht den Stimmberechtigten insgesamt Vorteile. Die Prädisponiertheit schätzten wir als eher hoch ein, denn über Familienfragen wurde in jüngster Zeit mehrfach abgestimmt. Bei Volksinitiativen kam es dabei zu einer Polarisierung zwischen einer linksliberalen Mehrheit und einer konservativen Minderheit, regelmässig durchsetzt durch persönliche Betroffenheiten als Verheiratete oder Eltern, hier auch als Diskriminierte. Die Volksinitiative zur Durchsetzungsinitiative stammt von der SVP und basiert auf einer nationalkonservativen Grundhaltung, wonach die Schweiz vor internationalen Einflüssen zu schützen sei. Die Mehrheitsfähigkeit ist potenziell gegeben, denn die Vorlage nimmt ein gesellschaftspolitisch breit geteiltes Problem auf. Die Prädisponiertheit stuften wir als hoch ein, denn die Vorlage steht im direkten Zusammenhang mit der Ausschaffungsinitiative, die 2010 angenommen wurde. Bei Konfliktmustern vermuteten wir vor allem einen neuerlichen Elite/Basis-Konflikt, wobei die SVP-Position von rechts her auf die verschiedenen Parteiwählerschaften unterschiedlich stark ausstrahlt, insbesondere auch die Parteiungebundenen umfasst. Schliesslich die Volksinitiative zum Spekulationsstopp bei Nahrungsmitteln. Sie stammt aus dem rotgrünen Lager, mit beschränkter Ausstrahlung auf die bürgerliche Mitte, namentlich in christlich geprägten Parteien. Eingestuft haben wir sie deshalb als Minderheitsinitiative. Bei der Prädisponiertheit gingen wir von einem geringen Stand aus, vor allem da das Abstimmungsthema neu ist und in der Öffentlichkeit bisher keine breite Diskussion stattgefunden hat. Bei Konfliktmustern gingen wir entsprechend von der bekannten Polarisierung zwischen bürgerlichen Mehrheit und linker Minderheit aus. Die nachstehende Tabelle vermittelt nun die grosse Übersicht über die relevanten Fakten, die der ersten von zwei Befragungen entstammt und in der Folge einer ersten Würdigung unterzogen werden. 90 Tabelle 20 Übersicht gegenwärtiger Stand der Stimmabsichten und Meinungsbildung Volksabstimmung 28. Februar 2016 Indikatoren Grad der Prädisponierung Teilnahmeabsicht ohne Stimmabsichten mit tendenziellen Stimmabsichten mit festen Stimmabsichten Richtung der Prädisponierung bestimmt und eher dafür bestimmt und eher dagegen Szenarien der Meinungsbildung Szenarien Beteiligung Szenarien Ausgang Volksabstimmung Konfliktmuster signifikant VI gegen Heiratsstrafe mittel fortgeschritten 12 Prozent der Teilnahmewilligen 36 Prozent der Teilnahmewilligen 52 Prozent der Teilnahmewilligen absolute Mehrheit dafür 67 Prozent der Teilnahmewilligen 21 Prozent der Teilnahmewilligen positiv prädisponiert, Polarisierung Richtung Nein wahrscheinlich Durchsetzungsinitiative VI gegen Nahrungsmittelspekulation fortgeschritten wenig fortgeschritten 48 Prozent der Stimmberechtigten 7 Prozent der Teilnahmewilligen 13 Prozent der Teilnahmewilligen 31 Prozent der Teilnahmewilligen 40 Prozent der Teilnahmewilligen 62 Prozent der Teilnahmewilligen 47 Prozent der Teilnahmewilligen absolute Mehrheit dafür relative Mehrheit dafür 51 Prozent der Teilnahmewilligen 48 Prozent der Teilnahmewilligen 42 Prozent der Teilnahmewilligen 39 Prozent der Teilnahmewilligen knapp positiv prädisponiert, Polarinicht prädisponiert, sierung Richtung Nein wahrscheinlich, Polarisierung Richtung Nein wahrscheinMobilisierungseffekt zugunsten Ja lich möglich nimmt zu offen, Vorteile ja offen Ablehnung wahrscheinlich Parteibindung (CVP/SVP. vs. GPS/SP) Sprachregion (DCH/ICH vs. FCH) Zivilstand (verheiratet/verwitwet vs. ledig/geschieden/lebt mit PartnerIn (nicht eingetragene Partnerschaft) Parteibindung (SVP/ Parteiungebundene vs. GPS/SP/CVP) Sprachregion (ICH vs. DCH) Siedlungsart (ländlich vs. grosse Aggl.) Schulbildung (tief/mittel vs. hoch) Haushaltseinkommen (tief vs. hoch) Alter (jung vs. alt) Regierungsvertrauen (Misstrauen vs. Vertrauen) Parteibindung (GPS/SP vs. CVP/FDP/SVP/ Parteiungebundene) Sprachregion (FCH/ICH vs. DCH) Schulbildung (tief vs. hoch) Haushaltseinkommen (tief/mittel vs. mittel/hoch) Geschlecht (Frau vs. Mann) Alter (jung/mittel vs. alt) Schulbildung, Geschlecht, Alter, Siedlungsart, Haushaltseinkommen Regierungsvertrauen modern vs. traditionell, persönliche Betroffenheit, partiell Elite/Basis-Konflikt Geschlecht Regierungsvertrauen Rechts/links, Elite/Basis-Konflikt Bürgerlich/rotgrün Doppelbesteuerung ungerecht Heiraten attraktiver kriminelle Ausländer ausschaffen Ablehnung: Volkswille wichtiger als Völkerrecht Ablehnung: Instrument gegen Hunger treibt Lebensmittelpreise in die Höhe Bereicherung weniger Reicher Contra diskriminiert gleichgeschlechtliche Paare vernünftige Gesetzesvorlage durch Parlament gegen Menschenrechtskonvention Verhandlungen mit EU schwieriger Bestimmungsgrad Zentrale Polarität bisher tief (R =0.237) Doppelbesteuerung ungerecht vs. Diskriminierung Gleichgeschlechtliche nicht signifikant typologisch Mehrheitsfähige Argumente Pro 2 2 hoch (R =0.637) kriminelle Ausl. ausschaffen vs. Vernünftige Gesetzesvoralge Zweite Gotthardröhre eher fortgeschritten 7 Prozent der Teilnahmewilligen 37 Prozent der Teilnahmewilligen 56 Prozent der Teilnahmewilligen absolute Mehrheit dafür 64 Prozent der Teilnahmewilligen 29 Prozent der Teilnahmewilligen positiv prädisponiert, Unentschieden e auf beide Seite wahrscheinlich, Polarisierung Richtung Nein möglich Annahme wahrscheinlicher als Ablehnung Parteibindung (FDP/SVP vs. GPS/SP) Sprachregion (ICH/DCH vs. WCH) Siedlungsart (ländlich vs. kleine/mittlere/ grosse Aggl.) Schulbildung (tief vs. mittel) Geschlecht (Mann vs. Frau) Alter (u 65 vs. ü65) Regierungsvertrauen (Vertrauen/Misstrauen vs./w.n./k.A.) Autobesitz (ja vs. nein) links/rechts, regionale und persönliche Betroffenheit Tessin nicht abschneiden Ablehnung: Staus verschwinden je eine Fahrspur sichere Landverbrauch für Bahnverlad zusätzliche Regulierungen vermeiden widerspricht Schutz der Alpen Arbeitsplätze und Steuereinnahmen gehen Verkehr am Gotthard erhöht sich verloren verbraucht finanzielle Mittel Druck aus In- und Ausland wird steigen 2 2 mittel (R =0.445) mittel (R =0.570) Instrument gegen Welthunger vs. kein Tessin nicht abschneiden vs. AlpenInstrument schutz/Verkehrsaufkommen SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 91 4.1 Diskussion der Hypothesen 4.1.1 Stimmbeteiligung Hypothese Beteiligung an Volkabstimmungen Am 28. Februar 2016 kommt es mit vier Vorlagen zu einer überdurchschnittlichen Zahl an Abstimmungen. Erwartet wird entsprechend eine Beteiligung über dem langjährigen Mittel. Sollte es zu einer überdurchschnittlichen Mobilisierung der regierungsmisstrauischen Stimmbürgerschaft kommen, wird der Protestcharakter (von rechts) in den Voten verstärkt. Gemäss unserer Umfrage liegt der aktuelle Wert bei 48 Prozent. Das ist für den Zeitpunkt der Befragung ein leicht überdurchschnittlicher Wert. In der zurückliegenden Legislatur erreichte die Beteiligung im Mittel 45.6 Prozent am Abstimmungstag, wobei die Beteiligung während des Abstimmungskampfes im Mittel um 3 Prozentpunkte stieg. Die Messung entspricht der Erwartung. Sie zeigt aber auch, dass ein Zusammenhang mit dem Regierungsvertrauen besteht. Das lässt jedenfalls für den Zeitpunkt der Befragung auf die Mobilisierung von Protestpotenzialen schliessen. Diese wirken sich nachweislich auf die Stimmabsichten bei der Durchsetzungsinitiative aus. Entsprechend kann es in dieser Frage zu einem Protestvotum kommen. Bei der Durchsetzungsinitiative besteht auch ein positiver Zusammenhang zu den Stimmabsichten. Die Annahmechancen steigen mit zunehmender Stimmbeteiligung deutlich an. Man kann das auch so formulieren: Insbesondere bei der Entscheidung über die Durchsetzungsinitiative ist ein Protest gegen die Behördenpolitik nicht auszuschliessen, der sogar den Abstimmungsausgang (mit)bestimmen könnte. Dabei besteht ein Konnex zwischen Beteiligungshöhe und Kampagnenstil. Aus Erfahrung gilt: Je emotionaler die diesbezügliche Debatte geführt wird, desto mehr ist mit speziellen Mobilisierungseffekten zu rechnen, die der Ja-Seite nützen. Je sachlicher sie ausfällt, umso eher haben die Gegner eine Chance, das Blatt zu wenden. 4.1.2 Initiative gegen Heiratsstrafe Hypothese Initiative gegen Heiratsstrafe Bei der Initiative gegen Heiratsstrafe handelt es sich um eine potenziell mehrheitsfähige Vorlage, bei welcher der Abstimmungskampf entscheidet. Mit der Besteuerung von Ehepaaren nimmt sie ein verbreitet problematisch empfundenes Thema auf, das über die eignen Reihe hinaus Akzeptanz geniesst. Aufgrund der Ehedefinition und der fiskalischen Folgen ist sie allerdings kritisierbar, weshalb mit dem normalen Verlauf der Meinungsbildung gerechnet werden kann, bei dem sich die Gegnerschaft im Verlauf des Abstimmungskampfes aufbaut und das Lager der Befürworterschaft schrumpft. Gerechnet wird mit einer Polarisierung zwischen konservativer und linksliberaler Bürgerschaft, etwas durchbrochen durch die Betroffenheit als verheiratetes Paar. Das Veränderungspotenzial des Abstimmungskampfes wird als erheblich eingestuft. Es bestehen Vorteile für das Ja, der Ausgang der Volksentscheidung ist offen. 92 Die Hypothese wird, soweit sie die Ausgangslage beschreibt, durch unsere Befunde, bestätigt. Die Mehrheitsfähigkeit der Vorlage vor der Hauptphase der Kampagne ist nachweislich vorhanden. Hauptgrund ist das ungelöste Problem der Besteuerung von Ehepaaren. Zur bisherigen Meinungsbildung können wir festhalten, dass die Initianten mit der Gerechtigkeitsfrage das zentrale Thema gesetzt haben. Sie können es auch zu ihren Gunsten besetzen. Das erklärt ihren bisherigen Vorsprung in den Stimmabsichten. Demgegenüber hat sich die Nein-Seite stark auf die Diskriminierungsfrage gleichgeschlechtlicher Paare konzentriert. Sie überschätzt die Möglichkeiten der Meinungsbildung mit diesem Argument tendenziell. Erwartungsgemäss positioniert hat sich so letztlich nur die grüne Wählerschaft. Bei Personen, die in nicht eingetragenen Partnerschaften leben, ist die Meinungsbildung schon weit fortgeschritten. Doch auch sie neigen bisher leicht ins Ja. Stark zugunsten der Befürworter polarisiert und prädisponiert sind insbesondere die Teilnahmewilligen in der italienischsprachigen Schweiz. Sie äussern sich ausserordentlich stark im Sinne der CVP-Initiative, wie die untenstehende Grafik zeigt. Grafik 79 Wenn die bisherige Polarisierung gering ausfällt, hat das mit dem Stand des Abstimmungskampfes zu tun. Dieser begann später als der zur GotthardAbstimmung und Durchsetzungsinitiative. Bisher fand eine mediale Vorkampagne statt, die sich im Wesentlichen auf die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare konzentrierte. Die Folge ist, dass die bisherige Polarisierung der Stimmbürgerschaft und der Teilnahmewilligen nicht wie erwartet zwischen modernen und konservativen Werthaltungen geschah. Wenn es bisher eine nachweisliche Polarisierung gab, dann beschränkt zwischen bürgerlicher und rotgrüner Wählerschaft. Dabei stehen sich eher Positionen der Steuersenkung und der Diskriminierung gegenüber. Aus dem bisherigen Prozess der Meinungsbildung kann abgeleitet werden, dass insbesondere FDP, aber auch SP und GPS ein internes Elite/Basis93 Problem kennen. Erwartet werden kann aber, dass sich dieses mit dem noch kommenden Abstimmungskampf abbaut, denn die Anpassung der Meinung an die der eigenen Partei ist durchaus plausibel. Hinzu kommt, dass sich die Opposition der Finanzpolitiker eben erst ankündigte, in die Umfrage aber noch nicht einfliessen konnte. Das bestätigt die Erwartung, dass das Nein wegen Steuerausfällen seine Wirkung erst noch entfalten wird. Das Mass, in dem das alles stattfindet, ist noch offen. Das entscheidet letztlich der Abstimmungskampf. Das Potenzial ist gegeben, denn von den Teilnahmewilligen haben nur gut die Hälfte eine feste Stimmabsicht. Die andere Hälfte hat zwar Neigungen, doch ist gerade bei Volksinitiativen bekannt, dass sich diese auch recht kurzfristig ändern können, vor allem vom tendenziellen Ja ins tendenzielle Nein. Es bestehen also, wie erwartet, Vorteile für die Initianten. Der Ausgang der Volksentscheidung ist aber an sich offen. 4.1.3 Durchsetzungsinitiative Hypothese Durchsetzungsinitiative Bei der Durchsetzungsinitiative handelt es sich um eine potenziell mehrheitsfähige Vorlage mit direktem Bezug zur angenommenen Ausschaffungsinitiative. Diese griff ein gesellschaftlich breit empfundenes Problem auf, das in erster Linie mit juristischen Argumenten bekämpft wurde, was erfolglos blieb. Die neue Initiative verbindet die Problematik mit einer Institutionenkritik, wonach verschiedene Behörden bei der Ausschaffung zu wenig weit gehen. In einer solchen Konstellation ist ein Elite/Basis-Konflikt häufig, vermehrt rechts denn links, bei dem namentlich die Mobilisierungsfrage der innerparteilichen Minderheiten von Belang wird. Typisiert ist mit einer generellen Konfliktlinie zu rechnen: Ängste vor Identitätsverlust auf der einen Seite, Befürworter einer multikulturellen, offenen Schweiz auf der anderen Seite. Erwartet wird mit einer vergleichbaren Ausgangslage und aufgrund einer alltäglichen und politisch verbreiteten Prädisposition ein eher geringes, aber vorhandenes Veränderungspotenzial durch den Abstimmungskampf. Es bestehen Vorteile für das Ja, der Ausgang der Volkabstimmung ist aber offen. Die Hypothese wird, soweit sie mit den bisherigen Befunden überprüft werden kann, bestätigt. Die bisherigen Stimmabsichten sind mehrheitlich im Ja. Der Vorsprung auf die Nein-Seite ist aber recht gering. Gesichert ist die Zustimmung nicht, sowohl beim Volksmehr (denn die Abweichung von 50 Prozent ist im Stichprobenfehler), als auch beim Ständemehr (das bisher nicht untersucht werden konnte). Die bisher ausgelöste Polarisierung ist exemplarisch, gerade zwischen den Wählerschaften von SVP und SP unüblich massiv. Hinzu kommen Unterschieden in den Sprachregionen, Polarisierungen entlang der sozialen Stellung und beschränkt des Alters Bisher wenig entwickelt und gerichtet sind die Meinungen insbesondere in der französischsprachigen Schweiz. Hinzu kommen Parteiungebundene und FDPWähler und Wählerinnen. Was in diesen Zielgruppen geschieht, dürfte letztlich den Ausschlag geben. Denn es ist gut bekannt, dass rechte Initiativen abgelehnt werden, wenn die Mehrheit der Parteiungebundenen sie nicht stützt, und die Minderheiten in den bürgerlichen Parteien dafür klein bleiben. 94 Grafik 80 Hauptgrund für die gute Ausgangslage dieser Initiative ist, dass das Problem der Kriminalität, insbesondere auch der Ausländerkriminalität in breiten Bevölkerungsschichten als gross empfunden wird, und die eingeleiteten Massnahmen dagegen noch nicht greifen. Der Diskurs in Eliten und an der Basis ist deshalb verschieden: Die Eliten setzen grossmehrheitlich darauf, dass sich die Wirkung einstellen wird, und zwar auf rechtsstaatlich vertretbarem Wege. Die neuerliche Initiative würde deshalb der Schweiz schaden, und zwar in wirtschaftlicher und völkerrechtlicher Sicht. In der Bevölkerung ist die Position, kriminelle Ausländer seien unverzüglich und ohne wenn und aber auszuschaffen, durchaus mehrheitsfähig. Bis zu zwei Drittel der Stimmberechtigten teilen diese Position. Immerhin, die Meinungsbildung ist mit der Vorkampagne der Gegnerschaft in Bewegung geraten. Eine Vorbefragung unseres Instituts bereits im Oktober 2015 sprach noch von 70 Prozent Zustimmungsbereitschaft. Der Vergleichswert hierzu liegt heute bei 51 Prozent. Demnach zeigten die Kampagnen zu den Folgen für die Menschenrechte und die Bilateralen erste Wirkungen. Nicht ganz ausschliessen können wir, dass der Trend zwischenzeitlich gegenteilig verläuft. Wichtiger als die Ereignisse in Köln, die in erster Linie das Umfeld der Entscheidung geprägt haben, erachten wir die Kampagne der SVP, die letztlich erst im Umfeld der "Albisgütli-Tagung" eingesetzt hat und prominent auf Behörden- und Gesellschaftskritik setzt, den Druck auf die Politik erhöht und mit Annahme der Initiative Rechtssicherheit verspricht. Kritisiert wird neuerdings, dass der Deliktkatalog der SVP selektiv sei, teils hinter dem Stand der vorgesehenen Gesetzgebung zurückbleibe. Unsere Untersuchung legt zudem nahe, dass die Verlagerung der NeinKampagne zur vorgesehenen Behördenpolitik in Sachen Umsetzung der Ausschaffungsinitiative mehrheitsfähig ist und Wirkung zeigt. Insbesondere zu vermuten ist eine Wirkung bei Bürgerinnen und Bürgern, die 2010 für die Ausschaffungsinitiative stimmten, jetzt aber auf der Nein-Seite stehen oder unsicher sind. Für Gegner und Gegnerinnen der Initiative sind genaue diese, von der Ausschaffungs- zur Durchsetzungsinitiative vom SVP-Kurs abgekommen Bürgerinnen und Bürger, erheblich. Nicht zuletzt um Teilnehmende zu kompen95 sieren, die sich in der Zwischenzeit der SVP zugewandt haben – sei es in Form von Wahlverhalten oder lediglich in Bezug auf Abstimmungsparolen. Alles wird noch etwas komplizierter, wenn man sich an die Aussagen erinnert, die wir bei der Beteiligung gemacht haben. Demnach steigt die Zustimmungsbereitschaft bei einer weiteren Zunahme der Stimmbeteiligung über das übliche Ausmass hinaus genau bei dieser Vorlage. 4.1.4 Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation Hypothese Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation Bei der Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation handelt es sich um ein Minderheitsanliegen. Stossrichtung und Trägerschaft entsprechen einem klaren Linksprofil mit beschränkter Ausstrahlung auf die politische Mitte. Erwartet wird, dass die Gegnerschaft im Verlaufe des Abstimmungskampfes stärker wird und das Lager der Befürworterschaft abnimmt. Postuliert wird eine Polarisierung im Links/rechts-Spektrum. Denkbar ist eine beschränkte Unterstützung im konservativ-bürgerlichen Elektorat. Ein Nein am Abstimmungstag ist das wahrscheinlichste Szenario. Die Hypothese wird, soweit sie durch unsere Befunde geprüft werden kann, bestätigt. Das Anliegen der JUSO und Zugewandten findet in der Ausgangslage keine Mehrheit. Allerdings ist die Vorbedingung nur sehr knapp erfüllt. Für eine linke Volksinitiative startet die Spekulationsstopp-Initiative vergleichsweise gut. Die Unterstützung in der Ausgangslage ist vor allem bei der grünen Wählerschaft ausgeprägt, bei der SP vorhanden. Den Gegenpol bildet die FDP, unterstützt von Wählerschaften aus dem Umfeld von SVP und CVP. Die bisherige Polarisierung ist eher mittelstark zu werten. Das drückt sich darin aus, dass die Geschlossenheit auf bürgerlicher Seite zurück bleibt, insbesondere bei den konservativen Teilen, die wirtschaftskritisch eingestellt sind. Latent zeigt sich hier ein parteispezifischer Elite/Basis-Konflikt. Dieser könnte aber verschwinden, wenn die interne Meinungsbildung zu wirken beginnt, denn namentlich bei der CVP hat diese erst in geringem Masse zu klaren Stimmabsichten geführt. Darüber hinaus stellen wir fest, dass Frauen, Jüngere und tiefe Bildungsschichten Sympathien für die Vorlagen haben. Die Beschäftigung der Öffentlichkeit mit dieser Vorlage blieb bisher zurück. Das hat in erster Linie damit zu tun, dass sich nur wenige Organisationen ausgiebig mit der Thematik beschäftigt haben, sodass es an Basiswissen mangelt, aber auch eingespielte Argumentations- und Überzeugungsketten weitgehend fehlen. Das wirkt sich auch auf die Medienberichterstattung aus, die quantitativ zurückbleibt und nicht einfach zuzuspitzen ist. In einer solche Situation ist zu erwarten, dass allgemeinen Konfliktmuster entscheiden. Dabei drängt sich die Polarisierung entlang der Links/rechts-Achse auf. Eine Kampagne könnte sich dabei gegen die Initianten selber oder aber die Zielsetzung der Initiative richten. Vergleichsabstimmungen hierzu gibt es genügend, die auf eine anwachsende Geschlossenheit im Nein-Lager verweisen, aber auch auf Zweifel bei gewissen sozialdemokratischen Wählenden. 96 Grafik 81 Bei dieser Ausgangslage ist es sicher, dass sich die Zustimmungswerte aus der jetzigen Umfrage verringern, und jene zur Ablehnung ansteigen werden. Mit dem Kippen der (relativen) Mehrheiten während des Abstimmungskampfes ist zu rechnen. Entsprechend ist das Szenario "Nein" das wahrscheinlichste. 4.1.5 Zweite Gotthardröhre Hypothese zweite Gotthardröhre Bei der "Gotthard"-Abstimmung handelt es sich um eine Behördenvorlage, die aufgrund des Alltagsbezugs vorbestimmte Stimmabsichten kennt. Bestimmt sind diese durch drei Faktoren: Parteizugehörigkeit, regionale Betroffenheit und Autobesitz. Aufgrund der Vorteile für den Transitverkehr ist mit einer mehrheitlich Zustimmung in der Ausgangslage zu rechnen, verbunden mit einer Opposition aus dem rotgrünen, beschränkt auch dem bürgerlichen Lager, das einen Verstoss gegen die Verlagerungspolitik am Gotthard sieht. Die Glaubwürdigkeit der Absender ist von Belang, denn es wird mit unsicheren Auswirkungen vor allem bei einer Annahme argumentiert. Mit eindeutigen Mehrheiten ist nicht zu rechnen, die Entscheidung fällt erst im Abstimmungskampf. Die Hypothese wird, jedenfalls für den Teil, der schon prüfbar ist, durch unsere Befunde weitgehend bestätigt. Die Prädispositionen sind mehrheitlich positiv vorhanden und schon einigermassen stabilisiert. Entsprechend führt die Ja-Seite gemäss Umfragewerten recht deutlich. Hauptgrund ist, dass die Befürworter mit der Sicherheitsfrage ein zentrales Thema gesetzt haben, dass grosse Aufmerksamkeit und gemäss Umfrage auch Zustimmung findet. Die Themen, welche die bisherige Meinungsbildung am meisten beeinflusst haben, liegen aber anderswo. Sie haben eher staats- denn 97 verkehrspolitischen Charakter: Auf der Ja-Seite ist es die befürchtete Abkapselung des. Diese Argumentation greift in den deutsch- und italienischsprachigen Landesteilen. Auf der Nein-Seite ist es die Verfassungstreue beim Alpenschutz, verbunden mit der Vermutung einer Ausdehnung der Kapazität durch den Gotthardtunnel in der Zukunft. Die Polarisierung, die so entstanden ist, fällt zunächst parteipolitisch aus, dann zeigt sie Effekte der regionalen Betroffenheit beispielsweise durch kommende Verkehrsbelastungen einerseits, andererseits persönliche, bei denen die Verkehrseffizienz im Vordergrund steht. Grafik 82 Klar positioniert haben sich die GPS und die SVP, aber auch die italienischsprachige Schweiz und die Besitzer mehrerer Automobile. Ein wenig schwingt auch hier die Position zu den Behörden mit, wobei sich das Misstrauen nicht gegen Bundesrat und Parlament auswirkt, sondern zu ihren Gunsten. Bisher am klarsten zurückgeblieben ist die Meinungsbildung in der französischsprachigen Schweiz. Was das bürgerliche Lager angeht, erscheint die bisherige Geschlossenheit eher grösser als in der Hypothese vermutet. Bei der CVP machen die NeinSager 30 Prozent aus, bei FDP und SVP gar nur 18 resp. 17 Prozent. Die Chancen, dass die Vorlage die Volksabstimmung passiert, ist damit durchaus gegeben. Das Normalszenario erscheint uns am wahrscheinlichsten. Demnach verteilen sich die Unschlüssigen in unserer Befragung auf beide Seiten, was Zustimmungs- und Ablehnungswert ansteigen lässt, die Vorteil der JaSeite aber nicht mindert. Nicht ganz ausschliessen können wir die Ausnahme nicht. Sie ergibt sich dann, wenn Teile der zustimmenden Allianz ausscheren würden, was insbesondere in regionaler Hinsicht denkbar bleibt. Wir halten die Annahme der Vorlage dennoch für die wahrscheinliche Variante. 98 4.2 Thesen These Stimmbeteiligung Die Beteiligungsabsichten sind für den Moment etwas überdurchschnittlich. Mehr als der Schnitt ist heute die politische Mitte mobilisiert, aber auch die regierungskritische Bürgerschaft. Im Normalfall nehmen die Beteiligungsabsichten während des Abstimmungskampfes nochmals etwas zu. Sollten sie bis zur Volksabstimmung stark zunehmen, ist mit Auswirkungen vor allem bei der Durchsetzungsinitiative im Sinne der Initianten zu rechnen. These Initiative gegen Heiratsstrafe Bei der Vorlage über die Heiratsstrafe handelt es sich um eine potenzielle Mehrheitsinitiative. Die Zustimmung ist jedenfalls in der Ausgangslage mehrheitlich. Die Prädisponierung ist aber nur mittelstark, sodass Veränderungen in den Stimmabsichten durchaus denkbar sind. Bei Initiativen ist die Zunahme der Ablehnungsbereitschaft am wahrscheinlichsten, gefolgt von der Abnahme der Zustimmungstendenz. Beide Seiten verfügen über mehrheitsfähige Botschaften. Im Lager der Initianten ist das vor allem die ungerechte Ehebesteuerung nach heutigem Recht, auf der Nein Seite sind das finanzpolitische Auswirkungen. Bisher polarisiert hat jaseitig die Doppelbesteuerung, nein-seitig die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare. Von den gegnerischen Aussagen zu den finanziellen Folgen ist noch keine Wirkung ausgegangen. Das Konfliktmuster ist bisher wenig ausgeprägt, am ehesten parteipolitischer Natur sowie durch die unmittelbare Betroffenheit charakterisiert. Elite/BasisKonflikte finden sich gegenwärtig bei der FDP, der SP und der GPS, alle im Nein-Lager, nicht aber bei den befürwortenden Parteien CVP und SP. Die bisherigen Stimmabsichten werden auffällig schwach durch die Argumentenbewertungen gestützt, sodass mit erheblichen Veränderungen namentlich im rotgrünen Lager und bei Parteiungebundenen gerechnet werden kann. These Durchsetzungsinitiative Bei der Vorlage zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer handelt es sich um eine potenzielle Mehrheitsinitiative, die vor allem durch die Entscheidungen bei der Ausschaffungsinitiative stark prädisponiert ist. Die Meinungsbildung ist effektiv fortgeschritten, wenn auch nicht abschliessend gemacht. Es besteht eine knappe Ja-Mehrheit. Änderungen im Ja/Nein-Anteil sind hier auch durch die Mobilisierung möglich; bei einer weiter steigenden Beteiligung ist insbesondere mit Vorteilen für die Initianten zu rechnen. Populärstes Argument der Kampagne ist die konsequente Ausschaffung krimineller Ausländer. Es hat bisher auch mit Abstand am meisten polarisiert. Seitens der Gegner gibt es kein so eindeutiges Argument. Mehrheitlich akzeptiert und zielgruppenspezifisch wirkungsvoll sind die Gesetzgebung des Parlaments zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative, die fehlende Härtefallklausel in der Volksinitiative und die Folgen für die Bilateralen. Tendenziell als Bumerang wirkt es sich aus, wenn die Initianten den Volkswillen generell über das Völkerrecht stellen. 99 Das Konfliktmuster gleicht dem, das man aus Vergleichsabstimmungen kennt. Die Opposition ist parlamentarisch nicht mehrheitsfähig, unter den Stimmwilligen aber grösser, weil es Elite/Basis-Konflikte gibt, rechts ausgeprägter als links, aber auch bei den Parteiungebundenen. Verstärkt kommen sie durch JaStimmen der regierungsmisstrauischen Bürgerinnen und Bürger vor. Sie kennzeichnen aber auch die Stimmabsichten der unteren Schichten. Neu ist, dass die Zustimmungsbereitschaft bei jüngeren Personen höher ist als im hohen Alter. These gegen Nahrungsmittelspekulation Bei der Vorlage zum Spekulationsstopp bei Nahrungsmittel handelt es sich um eine Minderheitsinitiative, die ein neues Thema aufwirft, sodass nicht mit ausgeprägt prädisponierten Stimmabsichten gerechnet werden kann. Effektiv besteht keine absolute Zustimmungsmehrheit, jedoch eine relative. Die Meinungsbildung ist wie erwartet bisher wenig fortgeschritten. Die Polarisierung folgt wie im Parlament dem Links/rechts-Muster; sie ist bisher aber wenig ausgeprägt. Insbesondere unter den Wählenden der SVP und CVP gibt es recht starke Abweichungen von den Parteiparolen. Argumentativ dreht sich die Debatte aus Bevölkerungssicht um die Ursachen des Welthungers. Die Initianten haben damit ein zentrales Thema gesetzt, finden aber mit ihrem Lösungsansatz keine Mehrheit. These zweite Gotthardröhre Bei der Vorlage, die zu einer zweiten Gotthardröhre führen soll, handelt es sich um eine positiv vorbestimmte Behördenvorlage, gegen die von rotgrüner Seite das Referendum ergriffen worden ist. Die bisherige Debatte wird durch Sicherheitsfragen bestimmt. Polarisierend wirken aber eher die staatspolitischen Botschaften: Die drohende Abkapselung des Tessins ohne den neuen Tunnel einerseits, die Ritzung des Alpenschutzes bei einer zweiten Röhre anderseits. Die bisherige Polarisierung folgt der Konfliktlinie im Parlament. Sie ist in erster Linie durch den Gegensatz zwischen bürgerlicher und links (Verkehrs-) Politik geprägt. Hinzu kommen Unterschiede nach Sprachregionen, wobei die italienischsprachige Schweiz (verstärkt dafür) und die Romandie (verstärkt unentschieden) die Gegensätze bilden. Die parteipolitische Polarisierung ist dabei mittelstark, ohne dass es bisher zu namhaften Abweichungen der nationalen Parolen gekommen wäre. 100 5 Anhang 5.1 Forschungskonzept: erweiterter Dispositionsansatz gfs.bern fasst sein Forschungskonzept zu Abstimmungen im Dispositionsansatz zusammen. In seiner ursprünglichen Form ist er 1998 durch uns entwickelt worden; seither ist er laufend an neuste wissenschaftliche Erkenntnisse und Standards angepasst und aufgrund der Anwendungen überprüft worden. Primär dient der Dispositionsansatz der Analyse von Prozessen der Meinungsbildung vor Volksabstimmungen, denn er bildet einen sinnvollen Rahmen, mit dem Umfragedaten zum Entscheidungsprozess analysiert, interpretiert und eingebettet werden können. Unseres Wissens ist der Dispositionsansatz die einzige sozialwissenschaftliche Vorgehensweise, die geeignet ist, Abstimmungsergebnisse in der Schweiz in der dynamischen Perspektive zu untersuchen. Untenstehende Grafik zeigt auf, worauf der Dispositionsansatz abstellt und die die vermuteten Zusammenhänge wirksam werden. Grafik 83 Analytisches Schema des Dispositionsansatzes Klima Konfliktmuster meinungsbildende Eliten Abstimmungskampf Vorlage Dispositionen Konfliktmuster Stimmwillige Entscheidung Prädispositionen Zeitachse © gfs.bern Bei Wahlen bildet die Parteibindung die relevante Grundhaltung auf Basis welcher entschieden wird. Sie bestimmt in einem hohen Masse, wie man Parteien, Kandidierende und Wahlkampfthemen wahrnimmt. Eine solche Vereinfachung ist bei Volksabstimmungen direkt nicht möglich. Dafür variiert die Themenbreite der Vorlagen zu stark. Ausserdem sind Abstimmungskämpfe weniger standardisiert als Wahlkämpfe. Entsprechend ist die informationsgestützte Meinungsbildung bei Sachentscheidungen wichtiger als bei den routinierteren Wahlen. 101 Statt auf einer einfachen Parteibindung aufzubauen, stützt sich die Abstimmungsforschung vorzugsweise mit Prädispositionen. Konkret handelt es sich dabei um Elemente der individuellen Meinungsbildung, die gegeben sind, bevor ein konkreter Prozess der Entscheidungsfindung einsetzt. Die Meinungsbildung steht nämlich weder ein für alle Mal fest, noch beginnt sie jedes Mal bei Null. Zu den bei Volksabstimmungen relevanten Prädispositionen zählen wir insbesondere: Alltagserfahrungen mit dem Abstimmungsgegenstand (Problembewusstsein) eindeutige Interessenslagen hinsichtlich einer Vorlage (aufgrund von Schaden-Nutzen-Erwartungen) durch Politik und Kultur bestimmte Werthaltungen (wie Einstellung zum Staat, Präferenzen für Lösungsansätze politischer Probleme) die Parteibindung (inklusive die Position der Bürger und Bürgerinnen auf der Links/rechts-Achse) Abstimmungsroutinen (beispielsweise die Teilnahmeabsicht, Regierungsvertrauen/-misstrauen). Was die Dynamik angeht, unterscheiden wir generell: Meinungsaufbau (aus Unentschiedenen werden Entschiedene) Meinungswandel (aus Vorentschiedenen werden Entschiedene in die entgegengesetzte Richtung) Meinungsverstärkung (aus Vorentschiedenen werden Entschiedene in die sich abzeichnende Richtung) Das Mass an Vorbestimmtheit von Volksabstimmungen bezeichnen wir als Prädisponiertheit. Deren Mass und Grad hängt dabei einerseits vom generellen Vorhandensein relevanter Prädispositionen ab, andererseits von der Art und Weise, wie Abstimmungskampagnen diese Prädispositionen mobilisieren, verstärken oder verändern können. Insgesamt gilt, dass die Prädisponiertheit von Abstimmungen geringer ist als diejenige von Wahlen, insbesondere von Parteiwahlen. Der Dispositionsansatz stützt sich empirisch nicht nur auf die Sonntagsfrage(n) zu den Stimm- und Teilnahmeabsichten, wie das beispielsweise die Vorschriften des Verbandes der Markt- und Sozialforschung minimal verlangen, sondern berücksichtigt auch weitere Einstellungsfragen. Im Mandat Trendumfragen vor Abstimmungen sind dies der Argumententest und das Konfliktmuster, wie es bei den Stimm- und Teilnahmeabsichten zum Ausdruck kommt. Sie werden verwendet, um die Ausgangslage und Möglichkeiten von Kampagnen im Abstimmungskampf zu bestimmen und damit das Potenzial von Veränderungen auszuloten. 5.1.1 Anwendung auf Volksinitiativen Fast allen Volksinitiativen ist gemeinsam, dass deren Forderungen von Regierung und Parlament nach der Behandlung abgelehnt oder zu Gegenvorschlägen umformuliert (und somit zu Behördenvorlagen) werden – was sich wiederum auf die meinungsbildenden Eliten auswirkt. Das unterscheidet Meinungsbildungsprozesse zu Volksinitiativen von solchen zu Behördenvorlagen grundlegend. Volksinitiativen beinhalten in der Regel einen Sachverhalt, der in der Öffentlichkeit bereits behandelt wurde. Ohne substanzielles Problembewusstsein ist es schwierig, im vorgeschriebenen Zeitrahmen genügend Unterschriften für das Zustandekommen einer Initiative zu sammeln. Das heisst indes nicht, dass die von einer Initiative vorgeschlagene Problemlösung im gleichen Masse bekannt 102 sein muss, ausser sie ist allein durch ihren Titel klar. Entsprechend muss die Meinungsbildung hinsichtlich des Problems und hinsichtlich seiner spezifischen Behebung durch die Initiative unterschieden werden. Wir postulieren hier generell, dass das Problembewusstsein erfolgreicher Initiativen prädisponiert ist, nicht aber die Lösungspräferenz, da sich diese erst im Verlaufe eines Meinungsbildungsprozesses auf die Entscheidungsabsichten auswirkt. Die Ausgangslage für eine Volksinitiative wird durch das Mass des Problembewusstseins in der Öffentlichkeit bestimmt. Je problematischer eine Situation eingeschätzt wird, desto eher findet sich vor einer Kampagne eine Zustimmungsbereitschaft zur entsprechenden Initiative. Als je weniger dringlich ein Problem beurteilt wird, desto eher liegt eine offene, allenfalls sogar negativ vorbestimmte Ausgangslage vor. Unsere für die Entscheidung zu Volksinitiativen spezifizierte These lautet demnach: Bei einer Volksinitiative kommt es in der Regel zu einer Verlagerung der kollektiven Meinungsbildung weg von der Beurteilung des angesprochenen Problems hin zur Beurteilung der vorgeschlagenen Lösung. Dies alleine kann die Stimmabsichten beeinflussen. Entsprechend formulieren wir zwei generelle Hypothesen zu Trends in der Meinungsbildung bei Volksinitiativen: Der Nein-Anteil nimmt mit der Dauer des Abstimmungskampfes zu. Der Ja-Anteil nimmt mit der Dauer des Abstimmungskampfes ab. Damit ist nur etwas über die Richtung ausgesagt, nicht aber über das Ausmass der Veränderung. Dieses hängt davon ab, wie stark die Prädisponierung (vor allem der Ja-Seite) ist respektive wie viele Teilnahmewillige unentschieden sind und wie wirksam die Kampagnen auf solche Unsicherheiten eingehen. Dabei ist bekannt, dass die Schwachstellenkommunikation zum Lösungsvorschlag die effektivste ist, sprich am ehesten Unschlüssige und latent Befürwortende zu Gegnern und Gegnerinnen werden lässt. Das Ausmass des Meinungswandels in ein Nein ist schwer vorhersehbar: Je ausgeprägter generell das Problembewusstsein ist, desto kleiner fällt der Meinungswandel aus. Eine rein mechanische Betrachtung führt indessen nicht zum Ziel; es braucht auch eine dynamische Analyse, die beispielsweise konkrete Kampagnenaktivitäten miteinbezieht. In der Realität ist ein Rückgang des Ja-Anteils (fast) immer zu beobachten, das Ausmass dieses Rückgangs variiert allerdings zwischen 2 und 25 Prozent. Das Mittel seit 2008 beträgt rund 10 Prozent. Grösser ist der Umschwung auf der Nein-Seite; im Schnitt beträgt er 25 Prozent. Eine eindeutige Regel dazu, wie gross der zu erwartende Anteil der Veränderung in den Stimmabsichten ist, gibt es nicht. Am ehesten kann geltend gemacht werden, dass der Prozentsatz "eher-befürwortender" Bürger und Bürgerinnen ein brauchbarer Prädiktor ist. Allerdings kennen wir zwei Typen von Veränderungen: Beim einen schmilzt der ganze Anteil der Befürwortenden weg, beim anderen Typus hingegen nur weniger als die Hälfte. Zum ersten Typus kommt es, wenn das Anliegen selbst sehr sympathisch wirkt und so vorerst viel Zustimmung generiert – während die darauf folgende Kritik am Inhalt der Vorlage dann zur Erosion der Unterstützung führt. Der zweite Typus hingegen hat verschiedene Ursachen: Unter anderem diejenige, dass die Zustimmung von Beginn weg gering ist und sich mit den Kampagnen auch nicht viel ändert. Vereinfacht kann der Meinungsbildungsprozess zu Initiativen in vier idealtypischen Szenarien festgehalten werden. Szenario 1: Mehrheitlich positiv prädisponierte Mehrheit in der Ausgangslage, kaum Opposition zum Lösungsvorschlag oder sehr hoher Problemdruck: Nein nimmt zu, Ja bleibt (fast) stabil, Vorlage wird (in der Regel) angenommen. Szenario 2: Mehrheitlich positiv prädisponierte Mehrheit in der Ausgangslage, beschränkt hoher Problemdruck und Opposition zum Lösungsvorschlag: NeinAnteil nimmt zu, Ja-Anteil nimmt ab. Die Vorlage wird abgelehnt, ausser prä103 disponierter Ja-Anteil über 50 Prozent ist höher als der nachfolgende Meinungswandel während des Abstimmungskampfes. Grafik 84 Positiv prädisponierte Initiative ohne Mehrheitswandel, Annahme in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Vor der Kampagne Positiv prädisponierte Initiative mit Mehrheitswandel, Ablehnung in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Nein Nein Unentschieden Unentschieden Ja Ja Vor der Kampagne Abstimmungstag Abstimmungstag gfs.bern, Campaigning gfs.bern, Campaigning Szenario 3: Minderheitlich positiv prädisponierte Mehrheit in der Ausgangslage: Nein-Anteil nimmt zu, Ja-Anteil nimmt ab, Vorlage wird abgelehnt. Szenario 4: In Ausnahmefällen kann das Szenario 3 ausbleiben. Das ist nach unserer Auffassung dann der Fall, wenn es mit der Initiativentscheidung zu einem Tabubruch kommt, mit dem sich eine Proteststimmung aufbaut. Es ist möglich, dass sich die Zusammensetzung der Teilnahmewilligen (zugunsten der Initiative) ändert oder ein kurzfristiger Meinungswandel im Sinne des Zeichensetzens entsteht. Nach unserer Erfahrung ist das sehr selten; es muss sich aufgrund der Beteiligungsabsichten (im Abstimmungskampf stark steigend) andeuten, im Argumententest sichtbar werden (indem Gegner und Gegnerinnen und Unschlüssige vermehrt Ja-Botschaften zustimmen) und es braucht in der Regel eine doppelte Öffentlichkeit, was bedeutet, dass Mainstream-Medien gegen die Initiative sind, Zielgruppenmedien aber eine verbreitete Zustimmung erahnen lassen. Unter diesen Bedingungen tritt der vierte und unten postulierte Verlauf ein: Hier hinkt die Darstellung allerdings etwas, da die Beteiligungsabsichten asymmetrisch zunehmen. Grafik 85 Negativ prädisponierte Initiative ohne Mehrheitswandel, Ablehnung Negativ prädisponierte Initiative mit Mehrheitswandel wegen Enttabuisierung, Annahme in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Vor der Kampagne gfs.bern, Campaigning in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Abstimmungstag Nein Nein Unentschieden Unentschieden Ja Ja Vor der Kampagne Abstimmungstag gfs.bern, Campaigning 5.1.2 Anwendung auf Behördenvorlagen Zu Behördenvorlagen zählen obligatorische Referenden, fakultative Referenden und Gegenvorschläge zu Volksinitiativen. Ihnen ist gemein, dass sie vom Parlament mehrheitlich abgesegnet wurden. Sämtliche Verfassungsänderungen gelangen als obligatorische Referenden automatisch vors Stimmvolk. Gesetzesvorlagen hingegen kommen nur dann zur Abstimmung, wenn 50'000 Bürger 104 und Bürgerinnen dies verlangen. In solchen Fällen (fakultatives Referendum) ist mit einer organisierten Opposition zu rechnen, während dies bei obligatorischen Referenden nicht zwingend der Fall sein muss (Ausnahme: gleichzeitige Abstimmung zu Volksinitiative und Gegenvorschlag). Die These, die wir zur Meinungsbildung zu Behördenvorlagen entwickelt haben, ist komplex, da die Voraussetzungen einer Volksentscheidung zuweilen wenig einheitlich sind: Einmal kann es an einer organisierten Opposition fehlen – dann gibt es Fälle, wo die parlamentarische Allianz zerfällt, sobald es zu einer Volksabstimmung kommt. Letzteres Szenario ist eigentlich nicht vorgesehen und es erschwert die Annahmechancen in der Bevölkerung, denn die Situation gleicht jener, die wir bei Volksinitiativen beschrieben haben. Den Mechanismus nennen wir Meinungsbildung zum Nein. Beim Ausbleiben organisierter Opposition kommt es zu einem lauen Abstimmungskampf, bei dem es an Kontroversen mangelt und es zu einer Zustimmung ohne grosse Beschäftigung mit dem Thema kommt. Wir bezeichnen dies als Meinungsumschwung zum Ja. Der Normalfall bei Behördenvorlagen liegt dazwischen. Er ist durch folgende Eigenschaften in der Ausgangslage gekennzeichnet: Die prädisponierte Zustimmung überwiegt die prädisponierte Ablehnung; die Ja-Seite verfügt in der Ausgangslage jedoch nicht zwingend über eine absolute Mehrheit. Die nicht prädisponierten Bürger und Bürgerinnen sind eine relevante Grösse. Ein grosser Anteil nicht prädisponierter Bürger und Bürgerinnen kann zwei unterschiedliche Ursachen haben: Einmal kann es sein, dass der Abstimmungsgegenstand zu alltagsfern ist und damit bei einem erheblichen Teil der stimmberechtigten Bevölkerung keine vorgängige Meinungsbildung erfolgt ist. Dann ist es möglich, dass eine Vorlage so kompliziert ist, dass man aufgrund einer schnellen Beurteilung nicht zu einem endgültigen – oder auch nur vorläufigen – Schluss kommen kann. Die zentrale Wirkung des Abstimmungskampfes zu einer Behördenvorlage besteht in der Regel darin, dass anfänglich nicht-prädisponierte Stimmberechtigte polarisiert werden. Dabei gibt es keinen Schlüssel dafür, welche Anteile eher ins Ja respektive eher ins Nein wechseln – dies ist weitgehend variabel. Es kann vermutet werden, dass die Aktivitäten der einzelnen Akteure im Abstimmungskampf entscheidend sind. Mit anderen Worten: vom aktiven Verhalten der Befürwortenden, die für eine Behördenvorlage werben, und von der Propagandaintensität beider Seiten im Vergleich. Wir sprechen dann auch von einer kampagnenabhängigen Polarisierung zum Ja oder Nein. Im Unterschied zum Meinungsumschwung, wie wir ihn zu Initiativen beschrieben haben, erfasst die Polarisierung nur die Unschlüssigen, nicht aber die vorentschiedenen Bürger und Bürgerinnen. Wir brauchen drei Hypothesen, um die denkbare Dynamik abbilden zu können und veranschaulichen sie mit idealtypischen Verläufen der Meinungsbildung zu Behördenvorlagen: 105 Szenario 1: Meinungsaufbau zum Ja: Der Ja-Anteil steigt während des Abstimmungskampfes – der Nein-Anteil sinkt. Es kommt zu einer Annahme der Vorlage. Grafik 86 Positiv prädisponierte Behördenvorlage, Meinungsaufbau Richtung Nicht prädisponierte Behördenvorlage, Meinungsaufbau Richtung Ja, Annahme Ja, Annahme in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Negativ prädisponierte Behördenvorlage, Meinungsaufbau zum Ja, Annahme in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Nein Nein Unentschieden Unentschieden unentschieden Ja Ja Vor der Kampagne Während der Kampagne Abstimmungstag Ja Vor der Kampagne Während der Kampagne Abstimmungstag vor der Kampagne während der Kampagne Abstimmungstag gfs.bern, Campaigning gfs.bern, Campaigning gfs.bern, Campaigning Nein Szenario 2: Polarisierung (entweder ins Ja- oder ins Nein-Lager): Ja- und NeinAnteile steigen gleichzeitig, bei der (häufiger vorkommenden) Polarisierung ins Nein stärker zugunsten der Gegnerschaft. Bei der (selteneren) Polarisierung ins Ja vermehrt zugunsten der Befürwortenden. Der Ausgang ist offen. Er hängt von der Stärke der Einzeleffekte ab. Wenn der prädisponierte Nein-Anteil grösser ist als der Ja-Anteil, ist mit einer Ablehnung zu rechnen Grafik 87 Positiv prädisponierte Behördenvorlage, schwache Polarisierung, Annahme Nicht-prädisponierte Behördenvorlage, Polarisierung, Annahme oder Ablehnung je nach Ausgangslage in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Negativ prädisponierte Behördenvorlage, Polarisierung, Ablehnung in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Nein Nein Nein unentschieden unentschieden unentschieden Ja Ja Ja vor der Kampagne Abstimmungstag vor der Kampagne vor der Kampagne gfs.bern, Campaigning gfs.bern, Campaigning während der Kampagne Abstimmungstag während der Kampagne Abstimmungstag gfs.bern, Campaigning Szenario 3: Meinungsumschwung ins Nein: Der Nein-Anteil steigt während des Abstimmungskampfes, der Ja-Anteil sinkt. Es kommt zu einer Ablehnung der Vorlage. Grafik 88 Positiv prädisponierte Behördenvorlage mit Meinungsumschwung zum Nein, Ablehnung Nicht prädisponierte Behördenvorlage, Polarisierung Richtung Nein mit negativem Meinungsaufbau in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Nein Nein unentschieden unentschieden Ja Ja vor der Kampagne vor der Kampagne gfs.bern, Campaigning während der Kampagne Abstimmungstag Abstimmungstag gfs.bern, Campaigning 106 5.1.3 Anwendung auf die Stimmbeteiligung Bisher wenig beachtet wurden die Auswirkungen der Abstimmungskämpfe auf die Mobilisierung, respektive auf die Verteilung der Stimmabsichten. Das ist dem Umstand geschuldet, dass die Identifizierung von Zusammenhängen angesichts einer rasch wechselnden Zahl an Vorlagen und Themen nicht ganz einfach ist. Wir halten fest, dass die Auffassung, die Beteiligungshöhe hinge nur vom Abstimmungskampf ab, widerlegt ist. Vielmehr gilt, dass es einen Sockel routinemässig teilnehmender Bürger und Bürgerinnen gibt sowie einen Anteil der Bevölkerung, der sich in Abhängigkeit vom Klima, der Konfliktsituation und der eigenen Meinungsbildung beteiligt. Zudem halten wir fest, dass die mittlere Beteiligung an Volksabstimmungen der letzten Legislatur (2011-2015) bei 45.6 Prozent lag3. Stimmbeteiligungen zwischen 40 und 50 Prozent zeigen meist keine relevanten Veränderungen in der Zusammensetzung des Elektorates. Fällt die Beteiligung jedoch höher aus, nimmt vor allem der Anteil der wenig politischen Bürger und Bürgerinnen zu und die Chancen populistisch geprägter Entscheidungen steigen. Bei geringeren Teilnahmewerten beteiligen sich die Bürger und Bürgerinnen mit starkem Interesse an der Politik vergleichsweise mehr, sodass die Chancen kurzfristiger Veränderungen sinken. Die Zunahme der Beteiligung(sabsicht) hängt davon ab, ob es eine Vorlage gibt, die klar mobilisierend wirkt. Hinzu kommt, dass Abstimmungstermine mit mehreren Abstimmungsthemen eher mehr Zusatzbeteiligung auslösen als solche mit nur einer Vorlage. Hauptgrund dafür ist, dass die Beteiligung dann über den Sockel hinaus vorlagenspezifischer ausfallen kann. Verwiesen sei aber darauf, dass die Beteiligungswerte für die einzelnen Vorlagen nicht unbedingt identisch sein müssen. Mit anderen Worten: Zwischen der Beteiligung an sich und der Stimmabgabe zu den einzelnen Vorlagen kommt es immer mehr zu einer Differenzierung. Vereinfachend halten wir hier den Mobilisierungsfall als Regelbeispiel fest. Dabei nimmt die Stimmbeteiligung in Funktion des Abstimmungskampfes im Mittel um 5 Prozentpunkte zu. Alles andere sind Ausnahmen. Grafik 89 Normalentwicklung der Teilnahmeabsichten während Abstimmungskampf in % Stimmberechtigter Nichtteilnehmende Teilnehmende 1. Welle 2. Welle 3. Welle gfs.bern, Campaigning 3 http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/17/03/blank/key/stimmbeteiligung.html 107 5.1.4 Prognose, Momentaufnahme oder Trend? Ergebnisse aus Abstimmungsumfragen sind per se Momentaufnahmen, keine Prognosen. Zu viele unbekannte Faktoren verhindern, sie direkt als Vorhersage verwenden zu können. Der Dispositionsansatz hilft, die Entwicklung verständlich zu machen. Da dieser auch von den Trends abhängig ist, die vom Abstimmungskampf beeinflusst werden, kann man – ohne Kenntnisse des spezifischen Kommunikationsmomentes auf Basis einer einzelnen Befragung – an sich keine Prognosen machen. In unseren Berichten hat es sich eingebürgert, in diesem Zusammenhang folgende Begriffe zu verwenden: Trend-Umfragen – fortgesetzte Messung des Standes der Dinge. Momentaufnahme – Messung des Standes der Dinge zu einem bestimmten Zeitpunkt. Projektionen – Annahmen zur Verteilung von Unentschiedenen in Momentaufnahmen oder Trend-Umfragen. Prognosen – Annahmen zur weiteren Entwicklung der Meinungsbildung, namentlich in Trendumfragen, die rund zwei Wochen vor der Abstimmung gemacht werden müsse).4 Die Übersicht zu Momentaufnahmen und Projektionen über alle 60 Fälle seit 2008 ist in den nachstehenden beiden Grafiken zusammengefasst. Würde man bei Behördenvorlagen nur die erste Befragungswelle berücksichtigen, würde man die Abstimmungsmehrheit in nur 71 Prozent der Fälle kennen. Das ist eindeutig zu wenig. Mit der zweiten Befragungswelle steigert sich der Vergleichswert auf 94 Prozent. Bezieht man auch die Extrapolation von Trends mit ein, kommt man auf einen Wert von 97 Prozent.5 Grafik 90 Allenfalls in Trend prozentuale Häufigkeit der Bestimmung der richtigen Mehrheit 1. und 2. Welle im Vergleich zum besten Modell 100% Volksinitiativen 90% linke Volksinitiativen 80% 70% rechte Volksinitiativen 60% Behördenvorlagen 50% -19 -46 0 Anzahl Tage bis zur Abstimmung 4 Vorschrift Verband VSMS: Publikation spätestens 10 Tage vor Abstimmung. Wir halten hier ausdrücklich fest, dass sich diese Form der Evaluierung eindeutig von derjenigen unterscheidet, welche der Datenblog des Tagesanzeigers ohne unser Wissen gemacht hat. Diese Missachtung ist aus unserer Sicht gerade für einen Kommunikationswissenschafter unverzeihlich, da die Meinungsbildung bei Volksabstimmung nicht invariant ist und ein Vergleich von Endergebnissen und Befragungswerten nur schon deshalb nicht identisch sein muss. 5 108 Lesebeispiel: Die x-Achse enhält die Tage vor dem Abstimmungstag, die y-Achse den Populationsschätzer. Der erste Wert bezieht sich auf die Ergebnisse der 1. Welle, der zweite auf jene der 2. Welle. Der dritte Wert ist der zur Extrapolation. Angeziegt wird die qualitative Übereinstimmung mit dem Endergebnis (links) und die mittlere quantiative Abweichung (rechts). Die Kurven zeigen an, mit der Zeit oder dem Verfahren Verbesserungen erzielt werden. Grafik 91 Trend Durchschnittliche Abweichung 1. und 2. Welle im Vergleich zum Modell mit der geringsten Abweichung 15 Volksinitiativen 13 11 linke Volksinitiativen 9 rechte Volksinitiativen 7 5 Behördenvorlagen 3 -46 -19 0 Anzahl Tage bis zur Abstimmung Bei Initiativen mit linker Urheberschaft liegt die mittlere Abweichung bei der zweiten Befragungswelle bei gerundeten 4 Prozentpunkten. Mittels der Extrapolation von Trends kommen wir auf eine Differenz von 3.3 Prozentpunkten. Bei Initiativen aus dem rechten Lager liegen beide Werte höher, nämlich bei rund 8 Prozentpunkten. Wir werden auf diesen Punkt anschliessend speziell eingehen. Bei Behördenvorlagen kommt die zweite Befragungswelle bis auf gerundete 9 Prozentpunkte an das Endergebnis heran. Mit der Extrapolation ergibt sich eine Verbesserung auf 5 Prozent. In qualitativer Hinsicht sind die Werte deutlich besser. Bei linken Initiativen zeigen sich bei 100 Prozent der Vorlagen die richtigen Mehrheiten, und zwar unabhängig davon, ob man auf die zweite Welle oder auf die Extrapolation abstellt. Bei rechten Initiativen kommen wir auf 88 Prozent (zweite Welle) respektive 94 Prozent (Extrapolation) Treffgenauigkeit. Bei Behördenvorlagen liegend die Werte bei 64 Prozent (zweite Welle) respektive 96 Prozent (Extrapolation). Mit anderen Worten: Dank einer Extrapolation der Trends aus beiden Befragungen kommen wir sehr wohl in den Bereich, der bei Stichprobenerhebungen erwartet werden darf. Wenn Ungenauigkeiten verbleiben, hat das nicht mit der oft behaupteten Mess(un)genauigkeit von Befragungen tun, sondern in der Sache selbst – das heisst in der Dynamik der Meinungsbildung, die nicht unabhängig vom Zeitpunkt und vom konkreten Verlauf ermittelt werden kann. Dabei spielt die Karenzfrist zur Publikation von abstimmungsbezogenen Umfragen, die sich der Branchenverband auf Wunsch der Politik selbst auferlegt hat, eine wichtige Rolle. Sie führt dazu, dass die letztmögliche Befragung am Abstimmungstag meist zwischen zwei und drei Wochen alt ist. Im Vergleich zu Wahlen sind die Effekte bei Abstimmungen deutlich höher, sodass vermehrte Vorsicht mit Schlussfolgerungen angezeigt ist. Um die Sicherheit qualitativer Einschätzungen dennoch etwas zu erhöhen, verwenden wir zusätzliche weitere Indikatoren der Meinungsbildung Zu den gebräuchlichsten gehören das Abstimmungsergebnis im Parlament oder der Parolenspiegel der Parteien. Bezogen auf Befragungen können nebst der Stimmabsicht auch die indexierten argumentativen Haltungen oder der bevöl109 kerungsseitig erwartete Abstimmungsausgang beigezogen werden. Schliesslich bieten die Modellierungen der Trendverläufe gemäss Dispositionsansatz Anhaltspunkte, um qualitative Prognosen vorzunehmen. 5.2 Die SRG-Befragung 5.2.1 Fragebogen Kernbestandteile jeder Befragung im genannten Forschungsprojekt sind: 1. Klärung der Stimmberechtigung 2. Klärung der Teilnahme- respektive Stimmabsichten (Sonntagsfragen) 3. Klärung der Zustimmung/Ablehnung mit je zwei oder drei Kernargumenten der Pro- respktive Contra-Seite 4. Klärung der Personen- und Ortsmerkmale (Geschlecht, Alter, Schulabschluss, Haushaltseinkommen, Siedlungsart [Stadt/Land], Sprachregion). Es werden die vom Verband VSMS respektive von uns entwickelten und standardisierten Fragen verwendet. Dies gilt insbesondere für den obigen Punkt zwei. So wird die Vergleichbarkeit erhöht, was wiederum die Interpretationssicherheit – wie sie bei Wahlen besteht, bei Abstimmungen aber erst in Entwicklung begriffen ist – steigert. 5.2.2 Stichprobenbildung Gesichert wird die Repräsentativität durch ein doppeltes At-random-Verfahren, das auf dem Telefonverzeichnis für Festnetzanschlüsse der Swisscom aufbaut. Dieses gilt unverändert als bestes allgemein zugängliches Verzeichnis für Telefonumfragen. Doppelt ist das systematische Zufallsverfahren deswegen, weil zuerst die Telefonhaushalte gezogen und erst dann in diesen die zu befragende Person mit der Geburtstagsmethode At-random bestimmt wird. Gesichert wird die Datenqualität durch siebenfache Kontaktversuche zu verschiedenen Tageszeiten zwischen 8 Uhr und 20 Uhr. Um der Problematik Rechnung zu tragen, dass das Swisscom-Verzeichnis seit 2009 nicht mehr alle Telefonnummer enthält, ergänzen wir dieses durch Nummernblöcke privater Anschlüsse, die wir aus der Erfahrung erarbeitet haben. Befragt werden Personen mit Wohnsitz in der Schweiz. Auslandschweizer und Auslandschweizerinnen werden nicht berücksichtigt, da ihre Erreichbarkeit aufgrund spezifischer Datenschutzbestimmungen des Bundes mit CATIBefragungen nicht sichergestellt werden kann. Zur Grundgesamtheit zählen Personen, die der deutschen, französischen oder italienischen Sprache mächtig sind. Spricht die Person Schweizerdeutsch, wird diese auf Schweizerdeutsch befragt. Da die Erreichbarkeit von Personen in Mehrpersonenhaushalten beispielsweise nach Geschlecht und Alter nicht ganz identisch ist, wird dies mit Vorgaben zu Maximalquoten für Befragte mit entsprechenden Merkmalen kontrolliert. Repräsentativ sind diese, weil sie sich an der At-random-Theorie für die Stichprobenbildung orientierten. Nach dieser ist eine Befragung repräsentativ, wenn alle Personen der Grundgesamtheit die gleiche Chance haben, befragt zu werden. Das ist bei Telefonbefragungen nicht ganz, aber weitgehend der Fall. Gewisse Einschränkungen ergeben sich aus dem Kreis der Personen, die über gar keine registrierte Privatadresse mehr telefonisch erreichbar sind. Tests hierzu zeigen, dass dies aber die Befragungsergebnisse nicht wesentlich beeinflusst, solange der diesbezügliche Anteil nicht wesentlich über 10 Prozent liegt. 110 Die Genauigkeit der Aussagen hängt zunächst von der Repräsentativität ab, dann aber auch von der Anzahl der Befragten. Für die erste Welle werden 1200 Personen befragt, für die zweite 1400. Dies geschieht, um die Aussagegenauigkeit der letzten Befragungswelle insbesondere in den Sprachregionen etwas zu erhöhen. Dies wird zudem unterstützt, indem jede Welle letztlich aus drei Befragungen besteht: je einer in der deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Schweiz. Dabei ist die Zahl der Befragten in den Sprachminderheiten bewusst zu hoch, denn das verringert die Unsicherheiten, die bei einer geringeren Stichprobengrösse vorhanden sind. Für gesamtschweizerische Aussagen wird diese mit einer Designgewichtung rückgängig gemacht, das heisst die Ergebnisse in den Sprachregionen fliessen in der korrekten Proportion in das gesamtschweizerische Resultat mit ein. Die Aussagegenauigkeit wird üblicherweise mit dem Stichprobenfehler bestimmt. Dieser besagt, in welchem Masse effektiv eine Abweichung von einem gemessenen Wert der Fall ist. Die Unsicherheit hängt zuerst von der Stichprobengrösse ab, dann von der Wahrscheinlichkeit, mit der man eine Aussage machen will. Beispielhaft gilt: Bei einer Stichprobengrösse von 1200 Befragten und einer Irrtumswahrscheinlichkeit von maximal 5 Prozent (sprich in einem von 20 Fällen), beträgt der Stichprobenfehler ±2.9 Prozent. Konkret heisst dies, dass ein ausgewiesener Wert von 50 Prozent maximal zwischen 47.1 und 52.9 Prozent variieren kann. Darüber hinaus gilt: Je kleiner die Zahl der Befragten ist, desto grösser ist der Stichprobenfehler. Dies gilt auch, wenn die verlangte Sicherheit erhöht wird. 5.2.3 Befragungsarbeit Die Befragung wird vom gfs-Befragungsdienstes durchgeführt. Dieser ist eine gemeinsame Tochtergesellschaft von gfs.bern und gfs-zürich. Die Interviewer und Interviewerinnen arbeiten nach einer zentralen Schulung dabei wahlweise von einem Heimarbeitsplatz oder vom zentralen Telefonlabor in Zürich aus. Nach der erfolgten Schulung werden die neu instruierten Personen intensiv überprüft und unmittelbar kontrolliert. Befragt wird von Montag bis Samstag, wobei auch der Sonntag – nur auf Wunsch der Probanden – für vorterminierte Interviews genutzt wird. Während der ganzen Befragungsdauer werden rund 50 Interviewer und Interviewerinnen aus dem Pool des gfs-Befragungsdienstes eingesetzt. Wir garantieren, dass jeder und jede an den Interviews Beteiligte höchstens 5 Prozent der Interviews durchführt. 111 Tabelle 21 Technischer Kurzbericht SRG-Trend Volksabstimmung vom 28. Februar 2016 Auftraggeber CR-Konferenz der SRG SSR Grundgesamtheit Stimmberechtigte mit Wohnsitz in der Schweiz Herkunft der Adressen Telefonverzeichnis der Swisscom (gepoolt) Datenerhebung telefonisch, computergestützt (CATI) Art der Stichprobenziehung geschichtet nach at random/Geburtstagsmethode im Haushalt Sprachregionen Befragungszeitraum 11.– 15. Januar 2016 mittlerer Befragungstag 12. Januar 2016 Stichprobengrösse minimal 1200, effektiv 1213 n DCH: 710, n WCH: 303, n ICH: 200 Stichprobenfehler +/- 2.9% Quotenmerkmale Geschlecht/Alter interlocked Gewichtung nach Sprache, Teilnahme, Parteiaffinität Befragungsdauer Mittel Standardabweichung 16.3 Minuten 4.6 Minuten Publikation 22. Januar 2016, 17h SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 5.3 Instrumentenvergleich Insgesamt liegen bisher neben jener von gfs.bern zwei weitere Umfragen zu den Vorlagen vom 28. Februar 2016 vor. Alle drei Befragungen beinhalten alle Abstimmungsvorlagen, basieren aber auf unterschiedlichen Vorgehensweisen. Die SRG-Trendumfragen basieren auf einer At-random-Stichprobe und werden telefonisch durchgeführt. Die Stichprobenbildung funktioniert damit nach den wissenschaftlichen Regeln des Zufallverfahrens. Zufall meint dabei, dass ein systematisches Auswahlverfahren auf eine vordefinierte Grundgesamtheit angewendet wird. Die Grundgesamtheit sind für die vorliegende Studie Stimmberechtigte mit Wohnsitz in der Schweiz, die einen verzeichneten Telefonanschluss haben, egal ob das ein Festnetz- oder ein Handyanschluss ist. Die Umfragen von "20 Minuten" basieren auf einer nicht randomisierten Stichprobe, die online befragt und mittels Gewichtung nachträglich korrigiert wird. Das heisst, es ist offen, wer an der Mitmach-Umfrage teilnimmt. Beeinflusst wird dies dadurch, dass man einen Internet-Anschluss hat und sich auf die Plattform von "20 Minuten" begibt. Die entstehende Stichprobe wird nach Vorgaben poststratifiziert, sodass die Struktur der Stimmberechtigten stimmt. Die SRG-Umfragen werden in allen Landesteilen realisiert, die "20-Minuten"Erhebungen umfassen lediglich die deutsche und die französische Schweiz, nicht aber das Tessin. Der Vorteil der Umfragen für "20 Minuten" besteht in der Stichprobengrösse, die deutlich höher ausfällt als bei der SRG-SSR-Umfrage. Der Nachteil ist, dass das Auswahlverfahren keine individuelle Repräsentativität garantiert. Die Vorgehensweise von Marketagent ist in der Publikation der Sonntagszeitung nicht beschrieben. Bekannt ist lediglich, dass die Interviews online auf Panelbasis realisiert werden. 112 Tabelle 22 Instrumentevergleich Institut gfs.bern, 1. Welle 20 Minuten, 1. Welle Sonntagszeitung Befragung Repräsentativbefragung Mitmachbefragung, gewichtet Mitmachbefragung (Panel) Auswertung Momentaufnahme Momentaufnahme Momentaufnahme Zeitvergleich beabsichtigt beabsichtigt -- Raum DCH/FCH/ICH DCH/FCH k. A. Grundgesamtheit Stimmberechtigte Stimmberechtigte Stimmberechtigte Befragungszahl 1213 32'654 k. A. Zeitraum 11.–15. Januar 2016 5. –7. Januar 2016 (Dezember 2015) Ergebnis VI gegen Heiratsstrafe 61:21 (12) 63:24 (13) 45:24 (31) Ergebnis Durchsetzungsinitiative 51:42 (7) 61:36 (3) 55:25 (20) Ergebnis VI gegen Nahrungsmittelspekulation 48:39 (13) 41:30 (29) k. A. Ergebnis zweite Gotthardröhre 64:29 (7) 58:31 (11) 63:16 (21) Beteiligung 48% k. A. k. A. SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11. –15. Januar 2016 Wie oben aufgezeigt, beruhen die Vorumfragen der SRG und von 20 Minuten auf unterschiedlichen Verfahren der Datenbeschaffung und -gewichtung. Untenstehende Auswertung zeigt die idealisierte Linie der Unterschiede zwischen den Ergebnissen der zweiten Welle und dem Endresultat für beide Serien. Sie legt nahe, dass bei knappen Entscheidungen die SRG-Umfragen mittels repräsentativen Stichproben im Schnitt genauer sind, während bei einseitigen Ergebnissen im Ja oder Nein die 20 Minuten-Erhebung besser abschneidet. In der Regel finden sich bei den Umfragen von 20 Minuten wesentlich weniger Unentschiedene als bei den SRG-Trendumfragen, was nicht den Entscheidrhythmen gemäss VOX-Analysen oder statistischen Ämtern entspricht. Entsprechend sind die Abweichungen der 20-Minuten-Umfragen gerade bei unbestrittenen Vorlagen geringer. 113 Grafik 92 114 5.4 gfs.bern-Team CLAUDE LONGCHAMP Verwaltungsratspräsident und Vorsitzender der Geschäftsleitung gfs.bern, Verwaltungsrat gfs-bd, Politikwissenschafter und Historiker, Lehrbeauftragter der Universitäten Bern, Zürich und St. Gallen, Dozent an der Zürcher Hochschule Winterthur, am MAZ Luzern und am VMI der Universität Fribourg und am KPM der Universität Bern. Schwerpunkte: Abstimmungen, Wahlen, Parteien, politische Kultur, politische Kommunikation, Lobbying, öffentliche Meinung, Rassismus, Gesundheits- und Finanzpolitik Zahlreiche Publikationen in Buchform, in Sammelbänden, wissenschaftlichen Zeitschriften MARTINA IMFELD Projektleiterin, Politikwissenschafterin Schwerpunkte: Analyse politischer Themen und Issues, nationale Abstimmungen und Wahlen (SRG-Trend, VOX-Analysen, Wahlbarometer), Image- und Reputationsanalysen, Integrierte Kommunikationsanalysen, Medieninhaltsanalysen, Qualitative Methoden, Gesellschaftsthemen (Jugendforschung, Rassismus, Familien, Mittelschicht) STEPHAN TSCHÖPE Leiter Analyse und Dienste, Politikwissenschafter Schwerpunkte: Koordination Dienstleistungen, komplexe statistische Datenanalytik, EDV- und Befragungs-Programmierungen, Hochrechnungen, Parteien- und Strukturanalysen mit Aggregatdaten, Integrierte Kommunikationsanalysen, Visualisierung MARCEL HAGEMANN Datenanalytiker, Sozialwissenschafter Schwerpunkte: Datenanalyse und Datenbanken, Programmierungen, Integrierte Kommunikationsanalysen, Medienanalysen, Recherchen, Visualisierungen, Hochrechnungen 115 JOHANNA LEA SCHWAB Sekretariat und Administration, Kauffrau EFZ Schwerpunkte: Desktop-Publishing, Visualisierungen, Projektadministration, Vortragsadministration SABRINA SCHÜPBACH Praktikantin, Sozialwissenschafterin Schwerpunkte: Datenanalyse, Programmierungen, Qualitative Methoden, Recherchen, Medienanalysen, Visualisierungen ALEXANDER FRIND Praktikant, Politikwissenschafter Schwerpunkte: Datenanalyse, Programmierungen, Qualitative Methoden, Recherchen, Medienanalysen, Visualisierungen 116 gfs.bern ag Hirschengraben 5 Postfach CH – 3001 Bern Telefon +41 31 311 08 06 Telefax +41 31 311 08 19 [email protected] www.gfsbern.ch Das Forschungsinstitut gfs.bern ist Mitglied des Verbands Schweizer Markt- und Sozialforschung und garantiert, dass keine Interviews mit offenen oder verdeckten Werbe-, Verkaufsoder Bestellabsichten durchgeführt werden. 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