Abschaffung der Heiratsstrafe und Zweiter Gotthard

Abschaffung der Heiratsstrafe und
Zweiter Gotthard-Tunnel starten mit
klarem Ja-Vorsprung
Mobilisierung beeinflusst Ergebnis zur Durchsetzungsinitiative stark
Medienbericht zur 1. Welle der Befragungsreihe "SRG
Trend" zur Volksabstimmung vom 28. Februar 2016
Studie im Auftrag der SRG SSR, Januar 2016
Projektteam
Claude Longchamp Politikwissenschafter,
Lehrbeauftragter der Universitäten Bern, Zürich und St. Gallen
Martina Imfeld Politikwissenschafterin
Stephan Tschöpe Politikwissenschafter
Marcel Hagemann Sozialwissenschafter
Johanna Schwab Sekretariat und Administration
Sabrina Schüpbach Sozialwissenschafterin
Alexander Frind Politikwissenschafter
Inhaltsverzeichnis
1
WICHTIGES IN KÜRZE ................................................................................3
2
EINLEITUNG ................................................................................................9
2.1 Mandat ................................................................................................14
2.2 Initiative gegen Heiratsstrafe ..............................................................15
2.3 Durchsetzungsinitiative .......................................................................19
2.4 Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation........................................24
2.5 Zweite Gotthardröhre..........................................................................28
2.6 Hypothesen zur Meinungsbildung ......................................................35
3
BEFUNDE ...................................................................................................37
3.1 Vorläufige Teilnahmeabsichten ...........................................................37
3.2 Volksinitiative "Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe" ..........41
3.3 Volksinitiative "Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller
Ausländer" ...........................................................................................52
3.4 Volksinitiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!" ...................68
3.5 Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im
Alpengebiet .........................................................................................78
4
SYNTHESE .................................................................................................89
4.1 Diskussion der Hypothesen ................................................................92
4.2 Thesen ................................................................................................99
5
ANHANG ..................................................................................................101
5.1 Forschungskonzept: erweiterter Dispositionsansatz ........................101
5.2 Die SRG-Befragung ...........................................................................110
5.3 Instrumentenvergleich ......................................................................112
5.4 gfs.bern-Team ...................................................................................115
Bern, 20. Januar 2016
Copyright by gfs.bern
2
1
Wichtiges in Kürze
Wäre bereits am 12. Januar 2016 über die vier Vorlagen der eidgenössischen Volksabstimmung vom 28. Februar 2016 entschieden worden, wären die Zweite Gotthard-Röhre und die Volksinitiativen "gegen Heiratsstrafe" angenommen worden. Knapp mehrheitlich ist die aktuelle Zustimmungsbereitschaft zur Durchsetzungsinitiative, knapp nicht der Fall
ist das bei der Spekulationsstopp-Initiative. Die Beteiligung hätte bei 48
Prozent gelegen. Ein Anwachsen der Teilnahme käme vor allem der
Durchsetzungsinitiative zu Gute.
Das sind die Hauptergebnisse der ersten von zwei Befragungen zur Volksabstimmung vom 28. Februar 2016. Realisiert wird die Serie vom Forschungsinstitut gfs.bern für die Medien der SRG SSR.
Tabelle 1
Übersicht gegenwärtige Stimmabsichten Teilnahmewillige
Abstimmung vom 28. Februar 2016
bestimmt /
eher dafür
bestimmt /
eher dagegen
weiss nicht/
keine Antwort
VI gegen Heiratsstrafe
67
21
12
Durchsetzungsinitiative
51
42
7
VI gegen Nahrungsmittelspekulation
48
39
13
Zweite Gotthardröhre
64
29
7
Bemerkung: Bei allen ausgewiesenen Zahlen ist bei einer 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit ein statistischer
Unsicherheitsbereich von rund 2.7 Prozentpunkten plus/minus mitzudenken.
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
Initiative gegen Heiratsstrafe
Stimmabsichten
Aktuell würden 67 Prozent der teilnahmewilligen Bürgerinnen und Bürger bestimmt oder eher für die Volksinitiative "Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe" stimmen. 21 Prozent wären bestimmt oder eher dagegen. 12 Prozent wären unentschieden. Die Ja-Seite startet demnach mit einem 46 Punktevorsprung in den Hauptabstimmungskampf.
Stand der Meinungsbildung
Über die Hälfte aller Beteiligungsbereiten verfügt über eine dezidierte Meinung
dagegen oder dafür. Die Meinungsbildung ist damit eher fortgeschritten.
Konfliktmuster
Familienpolitische Abstimmungen polarisieren im Normalfall zwischen gesellschaftsliberalen und gesellschaftskonservativen Werthaltungen. Bei liberalen
Reformen setzten sich die konservativen Bedenken bisher meist durch; konservative Volksinitiativen scheiterten bisher an einem Mix von Ablehnungsgründen.
Das aktuelle Konfliktmuster ist wenig ausgeprägt. Es ist von Betroffenheit,
Parteibindungen und regionalen Einflüssen geprägt.
Verheiratete Personen und solche in eingetragener Partnerschaft sind zu 72
Prozent dafür. Bei den übrigen Stimmberechtigten, die sich beteiligen wollen
beträgt die Zustimmung 59 Prozent.
Die höchste Unterstützung kennt die Vorlagen mit 80 Prozent Zustimmungsbereitschaft unter CVP-Wählenden, gefolgt von der SVP-Basis mit 73 Prozent
dafür.
Aber auch die anderen Wählerschaften sind in ihrer Mehrheit für die Initiative,
wenn auch weniger klar. Bei der GPS sind 53 Prozent dafür, bei der SP 55 Pro3
zent und bei der FDP 62 Prozent. Bei diesen drei Parteien ergibt sich wenigstens vorerst ein Widerspruch zwischen Parteiparolen und Stimmabsichten. Die
bisher feststellbare Polarisierung entlang der Parteibindung entspricht damit
eher dem Gegensatz von bürgerlich und rotgrün.
Die Vorlage findet schliesslich auch bei den parteipolitisch Ungebundenen mit
61 Prozent eine zustimmende Mehrheit.
Grafik 1
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Parteibindung: Initiative gegen Heiratsstrafe
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Initiative gegen die Heiratsstrafe abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür,
eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
14
23
16
8
9
3
11
13
14
11
9
6
7
16
11
eher dagegen
17
13
15
bestimmt dagegen
35
29
18
28
23
weiss nicht/keine
Antwort
32
eher dafür
45
44
43
34
32
21
GPS
bestimmt dafür
SP
CVP
FDP
SVP
Parteiungebundene
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
Regional gesehen kennt die Vorlage in der italienischsprachigen Schweiz mit 76
Prozent die höchste Zustimmungsrate. Etwas geringer ist sie im deutschsprachigen Landesteil (68%) respektive im französischsprachigen (56%).
Argumente
Argumentativ entscheidend ist, dass die Doppelbesteuerung von 83 Prozent als
ungerecht empfunden wird. In der bisherigen Meinungsbildung hat dieses Argument auch am meisten gewirkt. Das wirksamste Nein-Argument, welches
von 49 Prozent unterstützt wird, ist die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher
Paare. Noch keine nachweisliche Rolle in der Meinungsbildung gespielt haben
dagegen Fragen der Steuerausfälle.
Die Stimmabsichten werden durch die geprüften Argumente nur unzureichend
bestimmt. Der Erklärungsgrad beträgt gerade mal 24 Prozent.
Das legt nahe, dass die inhaltliche Fundierung des Zustimmungswertes wenigstens bisher zurück geblieben ist. Insbesondere bei Parteiungebundenen
und im rotgrünen Lager ergibt sich argumentativ keine mehrheitliche Zustimmung zur Vorlage. Gerade hier ist mit Rückgängen zu rechnen.
Trend in der
Meinungsbildung
Die Initiative gegen die Heiratsstrafe ist eine potenziell mehrheitsfähige Initiative. Die Meinungsbildung ist eher ausgeprägt, lässt aber einiges an Spielraum
offen.
Im Normalfall nimmt die Ablehnungsbereitschaft mit dem Abstimmungskampf
zu und es sinkt die Zustimmungstendenz. Das ist auch hier zu erwarten, vor
allem wegen den noch geringen Einflüssen der Parteiparolen. Zudem wurde
bislang kaum über die finanziellen Auswirkungen gesprochen, die in der Regel
ein wirksames Nein-Argument darstellen.
4
Die Initianten haben einen Startvorteil; den Ausgang kann man noch kaum abschätzen.
Stichworte für die Berichterstattung

potenzielle Mehrheitsinitiative von rechts (bürgerlich-konservativ)

mittelstark fortgeschrittene Meinungsbildung

ungerechte Doppelbesteuerung populärstes und wirksamstes Argument
auf der Ja-Seite

Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare bisher wirksamstes NeinArgument, jedoch nicht gesichert mehrheitsfähig

Polarisierungsgrad bisher gering

erste Stimmabsichten vor allem bei Parteiungebundenen und im rotgrünen Lager argumentativ wenig abgestützt

Ja-Vorsprung erheblich, Hauptkampagnen folgen jedoch erst

Ausgang bisher schwer abschätzbar
Durchsetzungsinitiative
Stimmabsichten
Aktuell würden 51 Prozent der teilnahmewilligen Bürger und Bürgerinnen bestimmt oder eher für die Volksinitiative "Zur Durchsetzung der Ausschaffung
krimineller Ausländer" stimmen. 42 Prozent wären bestimmt oder eher dagegen. Die Ja-Seite startet mit einem 9 Punkte-Vorsprung in die Hauptphase des
Abstimmungskampfes.
Stand der Meinungsbildung
62 Prozent der Beteiligungsbereiten haben eine dezidierte Stimmabsicht dafür
oder dagegen. Keine Stimmabsichten äusserten nur 7 Prozent der voraussichtlich Teilnehmenden. Das spricht für eine fortgeschrittene Meinungsbildung.
Die Prädisponierung der Stimmabsichten ist durch die gefällten Entscheidungen zur Ausschaffungsinitiative erheblich. 80 Prozent der damaligen Befürworter respektive 81 Prozent der Gegner von damals würden wieder gleich stimmen. Bewegung findet sich vor allem im FDP-Umfeld.
Die Teilnahmewilligen rechnen selber mit einer knappen Annahme der Vorlage.
Im Mittel schätzen sie den Ja-Anteil auf 54 Prozent.
Mobilisierungseffekte
Eine steigende Stimmbeteiligung käme der Initiative zu Gute. Würden alle teilnehmen, die heute sagen, sich bestimmt oder eher beteiligen zu wollen, läge
die Zustimmungsbereitschaft bei 57 Prozent und die Ablehnungstendenz wäre
bei 36 Prozent. Der Vorsprung der Ja-Seite betrüge dann 19 Prozentpunkte.
Bei einer erhöhten Beteiligung würden vor allem zustimmungsbereite Personen
aus dem Mitte/links-Lager mobilisiert, die ein Behördenvertrauen kennen, in
dieser Sache aber anders denken als Bundesrat und Parlament. Aktuell wollen
viele von ihnen nicht stimmen gehen.
5
Konfliktmuster
Das Konfliktmuster bei Vorlagen wie der Durchsetzungsinitiative ist an sich
bekannt. Geprägt wird es durch einen Elite/Basis-Konflikt, wobei wirtschaftliche
Beweggründe dagegen und gesellschaftliche Motive dafür aufeinander treffen.
Neuerdings spielen auch rechtsstaatliche Argumente gegen Volksinitiativen aus
dem nationalkonservativen Lager eine Rolle.
Im aktuellen Fall zeichnet sich das entlang politischer, regionaler und sozial
bestimmt Gegensätze erneut ab. 89 Prozent der SVP-Wählenden sind für die
Durchsetzungsinitiative. Auch bei den Parteiungebundenen ist eine Mehrheit
dafür. Gespalten ist die Basis der FDP. Mehrheitlich im Nein sind die Wählerschaften von SP, GPS und CVP. Der Polarisierungsgrad ist hier ausserordentlich
hoch. Die Polarisierung auf der Links/rechts-Achse beträgt 72 Prozentpunkte
zwischen SVP und SP.
Grafik 2
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Parteibindung: Durchsetzungsinitiative
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür,
eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
4
3
4
28
14
62
14
10
weiss nicht/keine
Antwort
12
14
3
GPS
34
30
14
eher dagegen
8
7
12
12
21
19
45
59
bestimmt dagegen
70
eher dafür
25
7
8
9
13
16
SP
CVP
FDP
23
bestimmt dafür
SVP
Parteiungebundene
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
Mehrheitlich im Ja sind auch regierungsmisstrauische Stimmberechtigte. Klar
überdurchschnittlich ist die Zustimmungsbereitschaft in der italienischsprachigen Schweiz. Das gilt ebenfalls für Personen mit unterem respektive mittlerem
Schulabschluss beziehungsweise der tiefsten Einkommensklassen. Schliesslich
ist die Zustimmung bei den jüngeren Bürgerinnen und Bürger über dem
Schnitt. Heute mehrheitlich im Nein sind dagegen Personen mit einer tertiären
Ausbildung respektive einem Haushalteinkommen von 9-11'000 CHF monatlich.
Argumente
Sachbezogen spricht einiges für die Positionen der Nein-Seite. Doch sie hat
eine offensichtliche Schwäche. Denn der Wunsch, kriminelle Ausländer auszuschaffen, findet bei zwei Drittel der teilnahmewilligen BürgerInnen Anklang.
Populär ist das Nein-Argument, das Parlament habe eine vernünftige Gesetzesvorlage zur angenommenen Ausschaffungsinitiativen ausgearbeitet, die nur bei
einem Nein in Kraft treten könne.
Die bedingungslose Ausschaffung polarisiert von allen getesteten Botschaften
am meisten. Ihre Bedeutung nimmt noch zu, wenn die Stimmbeteiligung
steigt. Die Nein-Seite kennt keine wirklich polarisierende Botschaft. Vielmehr
wirken die geprüften Argumente zielgruppenspezifisch.
6
Der Erklärungsgrad der Stimmabsichten durch die Argumente ist auffällig hoch.
64 Prozent der individuellen Entscheidungen können mit sechs Botschaften
korrekt nachvollzogen werden.
Trend in der
Meinungsbildung
Im Normalfall nimmt die Ablehnungsbereitschaft mit dem Abstimmungskampf
zu, es sinkt auch die Zustimmungstendenz. Automatisch ist diese Entwicklung
gerade bei rechten Volksinitiativen nicht. Im aktuellen Fall kommt jedoch hinzu,
dass Mobilisierungseffekte den Abstimmungsausgang mitbestimmen können.
Denn von einer Emotionalisierung der Kontroverse mit steigender Beteiligung
würde die Ja-Seite profitieren.
Entsprechend erscheint der Ausgang offen.
Stichworte für die Berichterstattung

potenzielle Mehrheitsinitiative von rechts (nationalkonservativ)

fortgeschrittene Meinungsbildung

hohe Prädisponierung durch Stimmverhalten bei Ausschaffungsinitiative

Ausschaffung krimineller Ausländer populärstes und wirksamstes JaArgument

Gesetzgebung zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative bisher wirksamestes Nein-Argument, wirtschaftliche und rechtliche Bedenken ansatzweise auch wirksam

weitere Entwicklung hängt vom Kampagnenverlauf respektive der Mobilisierung ab

Ausgang offen
Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation
Stimmabsichten
Aktuell würden 48 Prozent der teilnahmewilligen Bürger und Bürgerinnen bestimmt oder eher für die Volksinitiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln"
stimmen. 39 Prozent wären bestimmt oder eher dagegen.
Die Ja-Seite startet mit einem 9 Punktevorsprung in den Hauptabstimmungskampf, ohne aber eine gesicherte Zustimmungsmehrheit zu haben.
Stand der Meinungsbildung
47 Prozent der Beteiligungsbereiten haben eine bestimmte Stimmabsicht dafür
oder dagegen. Gar keine Stimmabsichten äusserten 13 Prozent der Teilnahmewilligen. Die Meinungsbildung ist damit wenig fortgeschritten. Veränderungen durch den Abstimmungskampf sind sehr gut möglich.
Konfliktmuster
Angesichts der Neuartigkeit des Themas kennt man hier kein allgemeines Konfliktmuster. Im übergeordneten Sinne ist mit einer Links/rechts-Polarisierung zu
rechnen, allenfalls mit beschränkt konservativer Unterstützung der linken Minderheit.
Das zentrale Konfliktmuster, wie es sich bis jetzt abzeichnet, ist parteipolitischer Natur. Befürwortend ist das rotgrüne Lager, ablehnend das bürgerliche.
Die Polarisierung ist mittelstark (46 Prozentpunkte), weil namentlich rechtskonservative Wählerinnen und Wähler beschränkt für die Vorlage sind.
Zudem ergeben sich Unterschiede zwischen den Sprachregionen, denn Ablehnung und Unschlüssigkeit variieren zwischen der deutsch- und italienischsprachigen Schweiz stark. Schliesslich zeigen Frauen, Jüngere und tiefere Bildungsschichten mehrheitlich Sympathien für das Anliegen.
7
Grafik 3
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Parteibindung: Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation abgestimmt würde, wären Sie dann
bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
4
7
17
14
20
27
18
bestimmt dagegen
28
2
19
14
eher dagegen
24
18
30
29
26
14
19
13
18
58
24
14
13
17
CVP
FDP
39
GPS
SP
22
12
weiss nicht/keine
Antwort
13
eher dafür
27
bestimmt dafür
SVP
Parteiungebundene
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
Argumente
Argumentativ am populärsten ist, dass das weltweite Hungerproblem nicht
durch Spekulationen verursacht wird – ein gegnerisches Argument. Die Initianten können dem aber eine fast ebenso beliebte Anklage gegenüber stellen; mit
Nahrungsmittelspekulation bereichern sich wenige Reiche.
Am meisten polarisierte bisher die Hunger-Thematik. Der Erklärungsgrad der
Stimmabsichten durch die Argumente ist jedoch mit 45 Prozent bei sechs geprüften Botschaften mittel.
Trend in der
Meinungsbildung
Erwartet wird, dass die gegnerische Argumentation ihre Wirkung auf die
Stimmabsichten erst noch entfaltet und die Ablehnung steigt, respektive die
Zustimmung sinkt. Das ist der Normalfall bei einer Volksinitiative. Eine Ablehnung in der Volksabstimmung ist wahrscheinlich.
Stichworte für die Berichterstattung

Minderheitsinitiative von links

Meinungsbildung bisher nicht stark ausgeprägt

mittelstarke Polarisierung auf der Links/rechts-Achse

Polarisierung bisher vor allem durch Ursache des Welthungers mit Vorteilen für die Gegnerschaft

Ablehnung dürfte steigen, Zustimmung sinken

Ablehnung wahrscheinlich
8
Zweite Gotthardröhre
Gegenwärtige
Stimmabsichten
Aktuell würden 64 Prozent der teilnahmewilligen Stimmberechtigten bestimmt
oder eher für die Zweite Gotthardröhre stimmen. 29 Prozent wären dagegen.
Der Ja-Vorsprung in der Ausgangslage beträgt damit 34 Prozentpunkte.
Stand der Meinungsbildung
56 Prozent haben eine feste Intention; sie sind entweder bestimmt dafür oder
bestimmt dagegen. Nur 7 Prozent äussern zwar Beteiligungs-, nicht aber
Stimmabsichten. Die Meinungsbildung ist damit eher fortgeschritten.
Die Teilnahmewilligen gehen von einer knappen Annahme der Vorlage am Abstimmungstag aus. Ihre mittlere Schätzung für den Ja-Anteil beträgt 53 Prozent.
Konfliktmuster
Das Konfliktmuster bei Vergleichsabstimmungen ist einerseits durch eine Polarisierung zwischen rechtem und linkem Lager bestimmt, anderseits wirken sich
regionale und persönliche Betroffenheiten aus.
Das findet sich auch im aktuellen Fall, denn das Konfliktmuster, wie es sich in
der Umfrage zeigt, wird durch politische Bindungen, regionale Interessen und
den Fahrzeugbesitz bestimmt.
Parteipolitisch sind klare Mehrheiten von SVP, FDP und CVP dafür, von GPS
und SP dagegen. Parteipolitisch Ungebundene wollen ähnlich wie die CVP
stimmen. Der Polarisierungsgrad, hier durch SVP und GPS bestimmt, beträgt
erhebliche 52,5 Prozent.
Die höchste Zustimmung überhaupt findet sich in der italienischsprachigen
Schweiz, die geringste in der Romandie. Sie ist aber überall mehrheitlich. Wer
ein oder zwei (und mehr) Fahrzeuge im Haushalt hat, ist zu 64 respektive 71
Prozent dafür. Wer kein Auto besitzt, ist in der relativen Mehrheit gegen den
Bau.
Grafik 4
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Parteibindung: Zweite Gotthardröhre
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet,
abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
15
32
15
55
10
10
9
8
7
3
16
20
8
8
2
32
2
10
GPS
32
11
60
18
18
eher dagegen
27
21
15
bestimmt dagegen
eher dafür
47
36
weiss nicht/keine
Antwort
35
18
bestimmt dafür
SP
CVP
FDP
SVP
Parteiungebundene
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
Argumente
Beide Seiten verfügen über gut eingeführte und mehrere mehrheitsfähige Botschaften. Populärstes Argument überhaupt ist, dass der zweite Tunnel den
9
Verkehr sicherer mache. Die grösste Zustimmung auf der Nein-Seite kennt die
Aussage, mit der zweiten Röhre werde der Druck im In- und Ausland steigen.
Die polarisierendste Wirkung hat das staatspolitische Argument, wonach man
das Tessin nicht von der Schweiz abkapseln dürfe. Es wirkt eindeutig zugunsten der Vorlage. Auf der Nein-Seite polarisiert die Ansicht, die Vorlage widerspreche dem Alpenschutz. Diese Botschaft wirkt sich zugunsten der Gegnerschaft aus.
Die Wirkung der Argumente ist allerdings nicht in allen Sprachregionen gleich.
Der Gesamteindruck wird durch die deutschsprachige Schweiz geprägt, während in der italienisch- und französischsprachigen Schweiz die Frage des aufkommenden Verkehrsaufkommens am meisten polarisiert.
Die acht geprüften Argumente erklären 57 Prozent der individuellen Stimmabsichten. Das ist ein eher hoher Wert und spricht für ein weitgehend rationales
Stimmverhalten in Bezug auf die Meinungsbildung.
Trend in der
Meinungsbildung
Die bisherige Meinungsbildung entspricht dem Typ einer positiv vorbestimmten
Behördenvorlage. Am wahrscheinlichsten ist die Annahme, auch wenn das
Gegenteil noch nicht ganz ausgeschlossen werden kann.
Stichworte für die Berichterstattung

positiv vorbestimmte Entscheidung zu einer Behördenvorlage

Meinungsbildung eher fortgeschritten

auf beiden Seiten mehrheitsfähige Argumente, Sicherheitsfragen populär

Polarisierung vor allem durch staatspolitische Fragen, sprich Abkapselung
des Tessins und Verstoss gegen Alpenschutz

Konfliktmuster mit parteipolitischer Polarisierung und regionalen respektive persönlicher Betroffenheit

im Normalfall wachsen Zunahme- und Ablehnungsbereitschaft, im Ausnahmefall nimmt nur letzteres zu, beide Szenarien an sich möglich, Annahme aber wahrscheinlicher
10
Vorläufige Teilnahmeabsichten
Teilnahmeabsichten
Am 12. Januar 2016 hätten sich 48 Prozent der Stimmberechtigten bestimmt
an den Entscheidungen zu den vier Vorlagen beteiligt, über die am 28. Februar
2016 entscheiden wird. Das ist für den Zeitpunkt vor dem Urnengang ein Wert
leicht über dem Mittel.
Profil
Über dem Mittel mobilisiert gewesen wären die Wählenden von CVP, FDP und
SP, während sich jene von SVP und GPS noch etwas weniger teilnahmebereit
zeigten. Am geringsten teilnahmebereit waren parteiungebundene Bürgerinnen
und Bürger. Regierungsmisstrauische sind bereits heute in allen Parteien gut
mobilisiert.
Auswirkungen auf die Ja/Nein-Anteile bei einer steigenden Beteiligung ist vor
allem bei der Durchsetzungsinitiative möglich. Profitieren würde die Ja-Seite.
Grafik 5
Teilnahmeabsicht an Abstimmung vom 28. Februar 2016
nach Parteibindung
"Würden Sie selber an dieser Abstimmung bestimmt teilnehmen, eher teilnehmen, eher nicht teilnehmen oder
bestimmt nicht teilnehmen?"
in % Stimmberechtigter
9
2
7
5
13
3
4
1
2 1
9
9
bestimmt nicht
teilnehmen
12
28
31
27
9
eher nicht teilnehmen
33
weiss nicht/keine
Antwort
42
52
59
67
62
eher teilnehmen
46
39
37
bestimmt teilnehmen
GPS
SP
CVP
FDP
SVP
Parteiungebundene
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (N = 1213), sig.
Stichworte für die Berichterstattung

aktuell leicht überdurchschnittliche Beteiligungsabsichten

Wählende von CVP, FDP und SP leicht überdurchschnittlich teilnahmebereit

behördenmisstrauische Bürgerinnen und Bürger bereits heute über dem
Mittel mobilisiert

bei steigender Beteiligung ist vor allem bei der Durchsetzungsinitiative
mit Folgen zu rechnen, profitieren würde Ja-Seite
11
Generelles
Trend Umfragen
Momentaufnahme
Projektionen
Prognosen
Mindestens zweimalige Messung von Stimmabsichten, um Entwicklung der
Meinungsbildung zu sehen.
Einmalige Messung von Stimmabsichten.
Momentaufnahmen, bei denen die Unentschiedenen verteilt werden.
Projektionen, welche die kommende Meinungsbildung bis zum Abstimmungstag mitberücksichtigen und die erwarteten Ja/Nein-Anteil bestimmen.
Wie üblich handelt es sich bei der ersten Befragung um eine Momentaufnahme, ohne direkte prognostische Absicht, denn die Meinungsbildung hat eben
erst eingesetzt und sie kann bei Volksabstimmungen nachweislich das Ja-/
Nein-Verhältnis beeinflussen. Hinzu kommen Effekte aus der noch unbekannten Mobilisierung, sprich Auswirkungen der Beteiligung beider Lager.
Statt einer Prognose erstellen wir aber Szenarien der Meinungsbildung und der
Beteiligungsentwicklung. Dabei gehen wir bei Volksinitiativen grundsätzlich
davon aus, dass sich die Ablehnungsbereitschaft erst mit dem Abstimmungskampf aufbaut und die Zustimmungsbereitschaft vor allem bei linken Initiativen
in dieser Phase sinkt.
Keine Aussagen machen können wir über das Ständemehr, das bei Volksinitiativen ebenfalls entscheidet. Denn die Fallzahl lässt gesicherte Rückschlüsse auf
die Kantone nicht zu.
Erinnert sei, dass der 12. Januar 2016 der mittlere Befragungstag war und die
letzten Entscheidungen am 28. Februar gefällt werden müssen. Das sind 47
Tage oder fast 7 Wochen Differenz, während ein wesentlicher Teil des Abstimmungskampfes und damit der Formierung des Volkswillens erst stattfindet.
12
Datengrundlage
Die vorliegende Befragung wurde vom gfs-Befragungsdienst realisiert, die Berichterstattung nahm das Forschungsinstitut gfs.bern vor. Befragt wurden 1213
repräsentativ ausgewählte Stimmberechtigte in der ganzen Schweiz. Um
sprachregionale Aussagen machen zu können, haben wir die Sprachminderheiten überproportional berücksichtigt. Diese wurden, um nationale Aussagen
machen zu können, wieder ins richtige Verhältnis gebracht.
Tabelle 2
Technischer Kurzbericht SRG-Trend
Volksabstimmung vom 28. Februar 2016
Auftraggeber
CR-Konferenz der SRG SSR
Grundgesamtheit
Stimmberechtigte mit Wohnsitz in der Schweiz
Herkunft der Adressen
Telefonverzeichnis der Swisscom (gepoolt)
Datenerhebung
telefonisch, computergestützt (CATI)
Art der Stichprobenziehung
geschichtet nach
at random/Geburtstagsmethode im Haushalt
Sprachregionen
Befragungszeitraum
11.– 15. Januar 2016
mittlerer Befragungstag 12. Januar 2016
Stichprobengrösse
minimal 1200, effektiv 1213
n DCH: 710, n WCH: 303, n ICH: 200
Stichprobenfehler
+/- 2.9%
Quotenmerkmale
Geschlecht/Alter interlocked
Gewichtung nach
Sprache, Teilnahme, Parteiaffinität
Befragungsdauer
Mittel
Standardabweichung
16.3 Minuten
4.6 Minuten
Publikation
22. Januar 2016, 17h
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016
Die Sperrfrist für den aktuellen Bericht ist Freitag, der 22. Januar 2016, um
17.00 Uhr. Danach sind die Ergebnisse und der Bericht unter Quellenangaben
frei.
Zitierweise
1. Welle der SRG-SSR-Trendbefragung zu den Volksabstimmungen vom 28.
Februar 2016, vom Forschungsinstitut gfs.bern zwischen dem 11. und dem 15.
Januar 2016 bei 1213 repräsentativ ausgewählten Stimmberechtigten durchgeführt.
13
2
Einleitung
2.1
Mandat
Das Projekt "Abstimmungsvorbefragungen und Trendberichterstattung für die
SRG-SSR-Medien", welches das Forschungsinstitut gfs.bern speziell für die
Abstimmungsvorlagen vom 28. Februar 2016 vornimmt besteht aus zwei Befragungen bei einem repräsentativ ausgewählten Querschnitt der stimmberechtigten Schweizer Bevölkerung. Diese Befragungsdaten werden mittels
ausgefeilter statistischer Datenanalyse ausgewertet und die Befunde im Rahmen des Dispositionsansatzes interpretiert. Dieser schliesst von der Vorlage
auf das Abstimmungsergebnis, und zwar unter Berücksichtigung dessen, was
die Politik daraus macht (Einfluss der Kampagnen, Entscheidungen der Behörden, allgemeines politisches Klima) respektive der Prädispositionen der Bürger
und Bürgerinnen (vergleichbare Entscheidungen von früher, Alltagserfahrungen
von heute). Die generelle These lautet: Abstimmungsergebnisse stehen nicht
an sich fest. Sie sind das Produkt aus dem Abstimmungskampf einerseits, und
den Prädispositionen anderseits. Der Abstimmungskampf wird durch das politische Klima und die Positionsbezüge der meinungsbildenden Elite bestimmt,
während sich die Prädispositionen aus den Alltagserfahrungen ableiten, welche
die Bürger und Bürgerinnen mit dem Abstimmungsthema machen.
Grafik 6
Analytisches Schema des Dispositionsansatzes
Klima
Konfliktmuster
meinungsbildende
Eliten
Abstimmungskampf
Vorlage
Dispositionen
Konfliktmuster
Stimmwillige
Entscheidung
Prädispositionen
Zeitachse
© gfs.bern
Abgestimmt wird am 28. Februar 2016 über vier Vorlagen, die nachfolgend
vorgestellt werden:
1.
Volksinitiative "Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe", kurz
Initiative gegen Heiratsstrafe
2.
Volksinitiative "Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer", kurz Durchsetzungsinitiative
3.
Volksinitiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!", kurz Initiative
gegen Nahrungsmittelspekulation
4.
Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im
Alpengebiet (STVG), kurz zweite Gotthardröhre
14
2.2
Initiative gegen Heiratsstrafe
Die Volksinitiative "Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe" will in der
Verfassung verankern, dass Ehepaare steuerlich eine Wirtschaftsgemeinschaft
bilden und nicht benachteiligt werden, namentlich nicht bei den Steuern und
Sozialversicherungen. Lanciert wurde die Initiative aus den Reihen der CVP; im
Initiativkomitee hat es auch Vertreter und Vertreterinnen von SVP und EVP.
In der SRG-Trend-Befragung und in den Erläuterungen des Bundesrates (offizielle Abstimmungsbroschüre) wurde die Vorlage wie folgt umschrieben:
"Die Initiative fordert, dass die Ehe gegenüber anderen Lebensformen nicht
benachteiligt wird, insbesondere nicht bei den Steuern und den Sozialversicherungen. Die Ehe soll die auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft von Mann
und Frau sein, und das Ehepaar soll in steuerlicher Hinsicht eine Wirtschaftsgemeinschaft bilden."
In der Schlussabstimmung des Nationalrates wurde die Initiative gegen die
Heiratsstrafe mit 107 zu 85 Stimmen abgelehnt. Im Ständerat betrug die Ablehnung 25 zu 20 Stimmen. Dem Anliegen der Initianten wurde somit seitens
des Parlamentes keine Folge geleistet. Der Bundesrat, der die Vorlage ursprünglich bejaht hatte, musste sie alsdann ebenfalls ablehnen. Die Mehrheitsverhältnisse in den Behörden waren aber knapp.
Die parlamentarische Gegnerschaft der Initiative stammt vorwiegend aus den
Reihen der SP, der GPS, der GLP und der FDP. Geschlossen hinter der Initiative
standen in der Schlussabstimmung im Nationalrat Parlamentarier und Parlamentarierinnen der CVP, mit einer Ausnahme auch solche der SVP, während
sich die BDP gespalten zeigte.
Grafik 7
Schlussabstimmung Nationalrat Initiative gegen Heiratsstrafe
Lesebeispiel: Ja heisst Zustimmung zum Antrag des Bundesrates: Initiative zur Ablehnung empfehlen.
Quelle: www.politnetz.ch
Für die Herausgabe der Nein-Parole entschieden sich die SP, die GPS, die GLP
und die FDP. Die Ja-Parole gefasst hat neben der Initiantin, der CVP, bisher
einzig die EVP. Wegweisend wird in diesem Fall die Parolenfassung der SVP
sein. Folgt die Partei dem Stimmverhalten der Fraktion, müsste eine Ja-Parole
resultieren. Damit wäre eine Spaltung zwischen einem gesellschaftlichkonservativen Lager gegen den Rest die treffende Beschreibung für den Parolenspiegel der Initiative gegen die Heiratsstrafe.
15
Tabelle 3
Parolen Initiative gegen Heiratsstrafe
Initiative gegen Heiratsstrafe
Stimmempfehlung BR
Nein-Parole
Abstimmung NR
107:85 (Nein-Parole)
Abstimmung SR
25:20 (Nein-Parole)
Befürwortende Parteien
CVP, EVP
Ablehnende Parteien
SP, GPS, GLP, FDP
Quelle: Parteienwebseiten, Stand: 20.01.2016
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016
Die Befürworterschaft der Initiative gegen die Heiratsstrafe betont die Ungerechtigkeit des geltenden Rechts, wonach Heirat finanziell bestraft werde, und
sie will diese vorherrschende Diskriminierung aufgrund des Zivilstands aus dem
Weg räumen. Sie geht davon aus, dass bei einer Annahme der Vorlage 80'000
Menschen, nämlich verheiratete Doppelverdiener-Paare, einen finanzielle Vorteil hätten.
Grafik 8
Die Gegnerschaft der Initiative bemängelt die enge Definition der Ehe als Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau als diskriminierend und rückständig. Kritisiert wird weiter die faktische Erhöhung der Hürde für die Einführung
eines Modells mit Individualbesteuerung, denn mit der Initiative erlangt der
Grundsatz der gemeinsamen Besteuerung von Ehepaaren Verfassungsstatus.
Zudem wird von der Gegnerschaft angeführt, dass Ehepaare bei den Sozialversicherungen gar nicht benachteiligt würden.
Grafik 9
In jüngster Zeit ist mehrfach über vergleichbare Anliegen abgestimmt worden.
Beide vergleichbaren Volksinitiativen, sind in der Volksabstimmung gescheitert.
Tabelle 4
Vergleichbare Abstimmungsvorlagen Vergangenheit
Datum
Vorlagentitel
Trägerschaft
Volksmehr
Ständemehr
24.11.2013
VI "Familieninitiative: Steuerabzüge auch für
Eltern, die ihre Kinder selber betreuen"
Initiantin: SVP
Ja-Parole: SVP, EVP, EDU,
MCR
41.5% Ja
58.5% Nein
2 1/2 Ja
18 5/2 Nein
08.03.2015
VI "Familien stärken! Steuerfreie Kinder- und
Ausbildungszulagen"
Initiantin: CVP
Ja-Parole: CVP, SVP, EVP
24.6% Ja
75.4% Nein
0 Ja
20 6/2 Nein
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016
Am besten eignet sich die CVP-Initiative "Familien stärken!", über die am 8.
März 2015 abgestimmt wurde als Referenzabstimmung. Mit einem JaStimmenanteil von 24.6 Prozent wurde diese Initiative vom Volk und der Ge16
samtheit der Stände abgelehnt. Etwas höhere Ja-Anteile erzielte die Initiative in
Teilen der Romandie und im Tessin, sie wurde aber auch dort mehrheitlich
abgelehnt. Ausser der CVP, die das Anliegen als Initiantin trug, sprach auch die
SVP die nationale Ja-Parole aus.
Grafik 10
Abstimmung vom 8. März 2015: VI "Familien stärken!"
Quelle: www.atlas.bfs.admin.ch
Im Vorfeld der Abstimmung zeigte sich, dass das Anliegen auf Sympathien traf,
denn in im Rahmen der ersten SRG-Trendumfrage sprach sie eine Mehrheit für
die Initiative aus. Mit Fortschreiten des Abstimmungskampfes schwand diese
Mehrheit allerdings und das gegnerische Lager machte Boden gut. Diese Entwicklung war bereits in der zweiten Umfragewelle erkennbar und setzte sich
bis zum Abstimmungssonntag weiter fort. Der Sockel an bestimmter Zustimmung konnte im Wesentlichen gehalten werden, tendenzielle Zustimmende
und die Unentschiedene jedoch wurden durch den Abstimmungskampf zu
Gegnern und Gegnerinnen der Vorlage. Dies ist ein für Initiativen typischer
Meinungsverlauf.
Die VOX-Nachanalyse legte offen, dass die generellen Konfliktlinien bei der
Familieninitiative nicht stark ausgeprägt waren. Sympathisierende aller Parteien
stimmten mehr oder weniger deutlich gegen die Initiative, wobei die Unterstützung bei Anhängerschaften derjenigen Parteien, welche die Ja-Parole herausgegeben hatten, noch am grössten war: Bei der CVP stimmten 49 Prozent und
bei der SVP 27 Prozent für die Initiative. Bei den Anhängerinnen und Anhängern
der SP und der FDP war die Zustimmung klar tiefer (20% bzw. 18%).
Im Vergleich zu früheren familienpolitischen Vorlagen spielte der gesellschaftspolitische Konflikt bei der CVP-Familieninitiative eine untergeordnete Rolle;
vielmehr scheiterte die Initiative aus fiskalpolitischen Gründen. Weiter war die
persönliche Betroffenheit für den Stimmentscheid relevant: Bei kinderlosen,
ledigen Personen fiel die Zustimmung am tiefsten aus und stieg mit der Grösse
der Familie sowie steigendem Einkommen leicht an.
Im Vergleich hierzu hat sich die CVP bei der neuerlichen Abstimmung besser
aufgestellt; vor allem versucht sie, die Interessen der kantonalen Finanzpolitiker
und -politikerinnen durch Berücksichtigung im Initiativkomitee besser einzubinden.
17
Grafik 11
Trend Filter Persönliche Stimmabsicht an Abstimmung vom
8. März 2015: VI "Familien stärken!"
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Volksinitiative "Familien stärken! Steuerfreie Kinder- und Ausbildungszulagen"
abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen/teilgenommen haben
19
35
bestimmt dagegen
14
15
75.4
weiss nicht/keine
Antwort
10
eher dafür
25
14
27
20. Januar 2015
eher dagegen
15
26
17. Februar 2015
bestimmt dafür
24.6
8. März 2015
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 8. März 2015 im Trend, 2. Welle, 16. - 21. Februar 2015 (n = 980), Endergebnis
Fazit Ausgangslage VI gegen Heiratsstrafe
Für die kommende Abstimmung gehen wir davon aus, dass es sich bei der
Volksinitiative gegen die Heiratsstrafe um eine potenziell mehrheitsfähige Vorlage handelt. In der Ausgangslage erwarten wir mehrheitliche Zustimmung.
Während des Abstimmungskampfes gehen wir von einer steigenden Ablehnung und sinkenden Zustimmung aus.
Die Prädisponiertheit ist mittel. Es wurde in jüngster Zeit mehrfach über vergleichbare Abstimmungen entschieden, was festere Meinungen begünstigt.
Das Thema selber kennt ein beachtliches Sympathiepotenzial, während die
Vorlage offensichtliche Schwachstellen hat. Das begünstigt einen hohen Ausgangswert, bei vergleichsweise starken Kampagneneinflüssen auf das Abstimmungsergebnis, namentlich wenn die Nein-Seite eine Schwachstellenkommunikation betreibt.
18
2.3
Durchsetzungsinitiative
Volk und Stände haben im November 2010 die Ausschaffungsinitiative angenommen und damit neue Verfassungsbedingungen geschaffen; Ausländerinnen und Ausländer sollen die Schweiz verlassen, wenn sie wegen bestimmter
Straftaten verurteilt wurden. Im März 2015 hat das Parlament die nötigen Gesetzesbestimmungen dazu verabschiedet, die 2016 in Kraft treten.
Der Urheberschaft der Durchsetzungsinitiative ging die vom Parlament erarbeitete Umsetzung der Ausschaffungsinitiative von Beginn weg zu wenig weit,
weshalb sie die Durchsetzungsinitiative lancierte. Sie verlangt, dass die Bestimmungen zur Ausschaffung direkt und detailliert in die Verfassung geschrieben werden.
In unserer Befragung und in den Erläuterungen des Bundesrates (offizielle Abstimmungsbroschüre) wurde die Durchsetzungsinitiative wie folgt beschrieben:
"Die Initiative verlangt, dass noch einmal über die Ausschaffung krimineller
Ausländerinnen und Ausländer abgestimmt wird. Die Initianten wollen damit
ihre Vorstellung davon durchsetzen, wie die Ausschaffungsinitiative umzusetzen sei. Das Parlament hat diese Umsetzung inzwischen aber beschlossen und
die Gesetze verschärft."
Die Schlussabstimmung im Nationalrat fiel deutlich aus: ausserhalb der Initianten ist keine einzige Stimme für das Anliegen ausgefallen. 140 Ratsmitglieder
sprachen sich gegen die Vorlage aus, die 57 Stimmen dafür, finden sich in der
geschlossenen SVP-Fraktion. In der Schlussabstimmung des Ständerats sahen
die Verhältnisse ähnlich aus; 38 Stimmen für den Antrag des Bundesrats auf
Ablehnung der Initiative, 6 SVP-Stimmen dagegen. Die Polarisierung entspricht
der bekannten Opposition aus rechtsnationaler Sicht gegen die Mehrheit.
Grafik 12
Schlussabstimmung Nationalrat Durchsetzungsinitiative
Lesebeispiel: Ja heisst Zustimmung zum Antrag des Bundesrates: Initiative zur Ablehnung empfehlen
Quelle: www.politnetz.ch
Damit steht eine geschlossene SVP-Fraktion allen anderen im Parlament vertretenen Parteien gegenüber und das übersetzt sich eins zu eins in die nationalen
Parteiparolen: SVP und EDU haben die Ja-Parole gefasst, alle anderen Parteien
sprechen die Nein-Parole aus. Es zeichnet sich damit für die Durchsetzungsinitiative ein ähnlicher Parolenspiegel wie bei der Ausschaffungsinitiative ab. Auch
damals waren neben SVP und EDU, verstärkt durch die Lega im Pro-Lager, alle
anderen Parteien fassten die Nein-Parole.
19
Tabelle 5
Parolen Durchsetzungsinitiative
Durchsetzungsinitiative
Stimmempfehlung BR
Nein-Parole
Abstimmung NR
140:57 (Nein-Parole)
Abstimmung SR
38:6 (Nein-Parole)
Befürwortende Parteien
SVP
Ablehnende Parteien
SP, GPS, GLP, CVP, EVP, BDP, FDP
Stimmfreigabe
-
Abweichende Sektionen Ja
-
Abweichende Sektionen Nein
-
Quelle: Parteienwebseiten, Stand: 20.01.2016
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016
Die mediale Auseinandersetzung mit der Vorlage ist seit geraumer Zeit – eigentlich seit der Lancierung der Initiative – im Gange. Die Durchsetzungsinitiative stellt für die Schweiz ein politisches Novum dar, was Anlass für Medienberichte bietet. Doch bereits der Vorläufer, die Ausschaffungsinitiative, erfuhr
aufgrund ihrer starken Polarisierung und aufgrund des Inhalts hohe mediale
Aufmerksamkeit im In- und Ausland.
Die Befürworterschaft der Initiative argumentiert, dass das von Bundesrat und
Parlament ausgearbeitete Umsetzungsgesetz aufgrund der eingefügten Härtefallklausel, zu weich formuliert sei, weil damit faktisch jede Ausschaffung verhindert werden könne. Die Durchsetzungsinitiative wird als Möglichkeit angesehen, dem ursprünglichen Volkswillen Gehör zu verschaffen und für mehr
Sicherheit in der Schweiz zu sorgen.
Für die Schweiz neu in dieser Intensität und für die bevorstehende Entscheidung ebenfalls relevant, ist eine verbreitete Institutionenkritik gegenüber dem
Rechtstaat allgemein und spezifischer gegenüber dem Bundesgericht sowie
einzelnen Rechtsprofessoren. Kritisiert werden konkret unverständliche Entscheidungen des Bundesgerichts. Hinterfragt werden Integrität und Verhältnismässigkeit des Rechtstaates generell.
Grafik 13
Die gegnerische Seite argumentiert, dass die Durchsetzungsinitiative mit den
Grundregeln der Schweizer Demokratie breche und den Rechtstaat gefährde,
weil das Parlament die Umsetzung beschlossen habe und die Gesetze innerhalb der gesetzten Frist verschärft wurden. Die Durchsetzungsinitiative hebelt
aus Sicht des Contra-Lagers das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren
aus und missachtet die Gewaltenteilung, weil sie die Befugnisse der Justiz
einschränken will. Kritisiert wird zudem, dass die Durchsetzungsinitiative teilweise weiter gehe als die Ausschaffungsinitiative und sie Delikte wie beispielsweise Steuerhinterziehung ausklammere.
Formiert haben sich zwischenzeitlich drei gegnerische Komitees; ein bürgerliches Komitee, vertreten durch die Parteien CVP mit der "Nicht-nötigKampagne", EVP, FDP und BDP, ein SP Komitee, das mit dem Stiefel-Sujet
gegen die Gefährdung des Rechtstaates ankämpft und ein NGO-Komitee, das
mit der Abrissbirne vor den Folgen einer Annahme warnt. Zudem haben zwei
emeritierte Rechtsprofessoren das Manifest "Die Schweiz ist ein Rechtstaat –
20
Nein zur Durchsetzungsinitiative" verfasst, das am 14. Januar 2016 bereits von
120 Rechtsprofessoren unterzeichnet wurde.
Grafik 14
Zu Beginn des Abstimmungskampfes erreichte die deutsche Asyldebatte ausgehend von den sexuellen Übergriffen gegenüber Frauen in Köln die Schweizer
Politik. Diskutiert wird seither, in welchem Masse dieses Ereignis die Entscheidung unseres Landes beeinflussen könne. Offensichtlich ist, dass sich der (sozial) mediale Diskurs zur Initiative weiterentwickelt, indem eine exemplarische
Anbindung an die Situation in der Schweiz gesucht wird. Das Problem krimineller Ausländer und Ausländerinnen erfuhr durch die Ereignisse der Silvesternacht in Köln eine mediale Aufladung, die bis in die Schweiz transportiert und
auf die bevorstehende Abstimmung gemünzt wurde. Explizit machten etwa
SVP-Exponenten den Bezug für ein Ja zur Durchsetzungsinitiative, damit die
Schweiz nicht zu "Köln" werde. Geschaffen wird damit ein Klima, das für die
Initiative spricht. Dieses neue Klima beeinflusst weniger die Stimmabsichten an
sich, sondern vielmehr beeinflusst sie die Mobilisierung. Besonders bei Parteien, die der Vorlage negativ gegenüberstehen, ist ein schlummerndes, allenfalls
mobilisierungsfähiges Potenzial vorhanden.
Über vergleichbare Vorlagen ist in jüngster Zeit mehrfach abgestimmt worden.
Sie betreffen die Migrationsfrage, aber auch das Strafrecht. Beide Politikbereiche kannten mehrfach klar Elite/Basis-Konflikte. Ihnen gemeinsam ist, dass sie
auf der kulturellen Konfliktlinie zwischen Öffnen und Verschliessen angesiedelt
sind, wo sich Themen des Identitätsgewinns respektive -verlustes durch Ausländer und Ausländerinnen, aber auch Straftaten überhaupt gegenüberstehen.
Tabelle 6
Vergleichbare Abstimmungsvorlagen Vergangenheit
Datum
Vorlagentitel
Trägerschaft
Volksmehr
Ständemehr
08.02.2004
VI "Lebenslange Verwahrung für nicht
therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter"
Initiantin: Verein Licht der Hoffnung
Ja-Parole: SVP, EDU, SD
56.2% Ja
43.8% Nein
19 5/2 Ja
1 1/2 Nein
01.06.2008
VI "Für demokratische Einbürgerungen"
Initiantin: SVP
Ja-Parole: SVP, EDU, SD
36.2% Ja
63.8% Nein
1 Ja
19 6/2 Nein
30.11.2008
VI "für die Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern"
Initiantin: Marche Blanche
Ja-Parole: SD, SVP,
51.9% Ja
48.1% Nein
16 4/2 Ja
4 2/2 Nein
29.11.2009
VI "Gegen den Bau von Minaretten"
Initiantin: SVP, EDU
Ja-Parole: SVP, EDU, SD
57.5% Ja
42.5% Nein
17 5/2 Ja
3 1/2 Nein
28.11.2010
VI "Für die Ausschaffung krimineller
Ausländer"
Initiantin: SVP
Ja-Parole: CVP, SVP, EVP, SD
52.3% Ja
47.7% Nein
15 5/2 Ja
5 1/2 Nein
09.02.2014
VI "Gegen Masseneinwanderung"
Initiantin: SVP
Ja-Parole: SVP, EDU, SD
50.3% Ja
49.7% Nein
12 5/2 Ja
8 1/2 Nein
18.05.2014
VI "Pädophile sollen nicht mehr mit
Kindern arbeiten dürfen"
Initiantin: Marche Blanche
Ja-Parole: EDU, MCG, SVP, BDP
63.5% Ja
36.5% Nein
20 6/2 Ja
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016
Die offensichtliche Referenz für die Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative ist ihr Vorläufer die Ausschaffungsinitiative der SVP vom 28. November
2011, die vom Volk mit einem Ja-Anteil von 52.3 Prozent angenommen wurde.
Der Bundesrat, das Parlament und der Grossteil aller Parteien empfahlen die
Vorlage zur Ablehnung und lediglich die SVP sowie einige Parteien aus dem
rechts-konservativen Lager beschlossen die Ja-Parole.
21
Die Volksinitiative war in der Ausgangslage mehrheitsfähig, weil die Kriminalität
bestimmter Ausländergruppen in breiten Bevölkerungsschichten problematisiert worden ist. Der Lösungsansatz der Initianten und Initiantinnen war allerdings gerade im Parlament umstritten, sodass es zu einem Gegenentwurf kam,
der Ziele der Initiative aufnahm, sie aber mit anderen Mitteln verfolgen wollte.
Der Verlauf der Meinungsbildung zur Ausschaffungsinitiative ist kein eindeutiger Regelfall. Obwohl sich der Ja-Anteil, wie bei Initiativen üblich, von der ersten hin zur zweiten Umfrage verringerte, tat er dies nicht in gewohntem Ausmass. Es gelang während der Kampagnenphase beiden Lagern ähnlich gut, mit
ihren Argumenten zu überzeugen. Insbesondere blieb der übliche Meinungswandel der tendenziellen Befürworterschaft aus; aus tendenziellen Befürwortern wurden zum Schluss dezidierte.
Solche Fälle der Meinungsbildung bei Initiativen treten nach unserer Erfahrung
dann auf, wenn es mit der Initiativentscheidung zu einem Tabubruch kommt,
mit dem sich eine Proteststimmung aufbaut. Es ist in solchen Situationen möglich, dass sich die Zusammensetzung der Teilnahmewilligen (zugunsten der
Initiative) ändert oder auch ein kurzfristiger Meinungswandel im Sinne des Zeichensetzens entsteht. Denkbar ist der Fall auch, wenn der Problemdruck als
hoch angesehen wird, sodass mit der Stimmabgabe ein bewusstes Zeichen
gegen die Erfahrungen aus dem Alltag gesetzt wird. Der hitzig geführte Abstimmungskampf und die hohe Mobilisierung von Stimmberechtigten (52.6%
Stimmbeteiligung) stützen diese These.
Der Ausgang der Abstimmung wurde von der VOX-Autorenschaft als historisch
bezeichnet, denn erstmals wurde eine Initiative im Bereich der Ausländerpolitik
im engeren Sinne angenommen. Diesen Erfolg hatte die SVP-Initiative gemäss
VOX-Nachanalyse zunächst der konsequenten Unterstützung in den eigenen
Reihen zu verdanken. Ausserdem fand die Initiative auch Zuspruch in bürgerlichen Kreisen. Etwa jede zweite FDP-Wählerin respektive jeder zweite FDPWähler legte ein Ja ein. Bei der CVP-Anhängerschaft war der Ja-Stimmenanteil
zwar geringer, aber mehr als ein Drittel (37%) von ihnen entschied sich – entgegen der Parteiparole – zugunsten des Begehrens. Im linken Lager stiess die
Initiative erwartungsgemäss auf wenig Sympathie. Nur 12 Prozent der SPAnhängerschaft stimmten zu ihren Gunsten.
Mit Ausnahme von Basel-Stadt erreichte das SVP-Volksbegehren in allen
Deutschschweizer Kantonen eine Mehrheit. In den französischsprachigen Kantonen wurde sie mit Ausnahme des Wallis zwar mehrheitlich verworfen, aber
überall lag der Ja-Stimmenanteil bei über 40 Prozent.
22
Grafik 15
Trend Filter Persönliche Stimmabsicht an Abstimmung vom
28. November 2010: "Ausschaffungs-Initiative"
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon
über die Ausschaffungs-Initiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder
bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
24
37
12
bestimmt dagegen
47.7
eher dagegen
6
6
3
22
15
weiss nicht/keine Antwort
eher dafür
52.3
36
1. Welle/13.10.2010
39
2. Welle/10.11.2010
bestimmt dafür
28.11.2010
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. November 2010 im Trend, 2. Welle, 08. – 13.11.2010 (n = ca. 750), Endergebnis
Denkbar ist auch ein Bezug zur Einbürgerungsinitiative, denn sie zeigte ein ähnliches Konfliktmuster, allerdings bei deutlich geringerer Konfliktintensität. Den
Hauptgrund hierfür sehen wir darin, dass institutionelle Fragen nicht die gleiche
Sprengkraft haben wie gesellschaftspolitische. Deshalb wirken rechtspolitische
Bedenken der Gegnerschaft in solchen Fällen deutlich stärker.
Grafik 16
Abstimmung vom 28. November 2010: Ausschaffungsinitiative
Quelle: www.atlas.bfs.admin.ch
23
Fazit Ausgangslage Durchsetzungsinitiative
Für die kommende Abstimmung gehen wir davon aus, dass es sich bei der
Durchsetzungsinitiative um eine potenziell mehrheitsfähige Vorlage handelt. In
der Ausgangslage erwarten wir mehrheitliche Zustimmung. Während des Abstimmungskampfes gehen wir von einer steigenden Ablehnung und sinkenden
Zustimmung aus.
Die Prädisponiertheit erachten wir als hoch, weil es einen direkten Bezug zur
Ausschaffungsinitiative gibt, über die 2010 in einer Volksabstimmung entschieden wurde. Das damalige Stimmverhalten bildet die Grundlage auf der jetzt
abgestimmt wird. Unsicher ist vor allem die Mobilisierung, denn bei Protestabstimmungen, wie sie angelegt ist, entscheidet die Mobilisierung, insbesondere
regierungskritischer und sachpolitisch enttäuschter Personen mit.
Von der Kampagne erwarten wir, dass sie in erster Linie vorhandene Prädispositionen aktiviert. Meinungsänderungen sind dann zu erwarten, wenn die Gegnerschaft nicht nur die Schwachstellen aufzeigt, sondern auch das behördliche
Handeln seit der letzten Volksabstimmung klar machen kann.
2.4
Initiative gegen
Nahrungsmittelspekulation
Die Initiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!" verlangt, dass spekulative Geschäfte mit Agrarderivaten in der Schweiz verboten werden. Zulässig
bleiben sollen lediglich Geschäfte zur terminlichen und preislichen Absicherung.
Ausserdem soll sich der Bund auf internationaler Ebene dafür einsetzen, dass
die Spekulation auf den Märkten für Agrarderivate bekämpft wird.
Lanciert wurde die Volksinitiative gegen Nahrungsmittelspekulation von den
Juso; mitgetragen wird sie von der jungen CVP, der AL, der EVP und den Grünnen sowie Organisationen aus humanitären und kirchlichen Kreisen.
In unserer Befragung und in den Erläuterungen des Bundesrates (offizielle Abstimmungsbroschüre) wurde die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation
wie folgt beschrieben:
"Die Volksinitiative verlangt in der Schweiz ein Verbot von spekulativen Finanzgeschäften, die sich auf Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel beziehen. Ausserdem soll sich der Bund auf internationaler Ebene dafür einsetzen, dass solche
Geschäfte bekämpft werden."
Im Nationalrat wurde die Initiative mit 130 zu 58 Nein-Stimmen abgelehnt. Im
Ständerat legten 31 Parlamentsmitglieder ein Nein ein, während sich 11 für die
Initiative aussprachen. Das Ergebnis war damit recht klar: Die Polarisierung
entspricht weitgehend der linksgrünen Opposition gegen die bürgerliche Mehrheit.
24
Grafik 17
Schlussabstimmung Nationalrat Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation
Lesebeispiel: Ja heisst Zustimmung zum Antrag des Bundesrates: Initiative zur Ablehnung empfehlen
Quelle: www.politnetz.ch
Es zeichnet sich damit eine politische Entscheidung entlang der Parteispektren
ab, wobei sich die politische Mitte mit dem rechtsbürgerlichen Lager gegen die
SP und die Grünen aufstellen dürften. Die Parteiparolen entsprechen diesem
Bild. Auf der nationalen Ebene beschliessen bisher einzig die SP, die Grünen
und die EVP die Ja-Parole, während GLP, CVP und SVP das Anliegen zur Ablehnung empfehlen.
Tabelle 7
Parolen VI gegen Nahrungsmittelspekulation
VI gegen Nahrungsmittelspekulation
Stimmempfehlung BR
Nein-Parole
Abstimmung NR
130:58 (Nein-Parole)
Abstimmung SR
30:11 (Nein-Parole)
Befürwortende Parteien
SP, GPS, EVP
Ablehnende Parteien
GLP, CVP, FDP, SVP
Quelle: Parteienwebseiten, Stand: 20.01.2016
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016
Agrarrohstoffe werden rund um die Welt gehandelt und die Preise von Weizen,
Reis, Soja, Kaffee, Baumwolle und andern Agrarrohstoffen sind immer wieder
starken Schwankungen unterworfen. Diese sind unter anderem auf Dürre- oder
Frostperioden, auf Überproduktionen oder auch auf Handelsbeschränkungen
von Ländern mit bedeutender Agrarproduktion zurückzuführen. Nach Ansicht
der Initiantinnen und Initianten haben jedoch auch spekulative Geschäfte mit
Agrarderivaten Einfluss auf die Nahrungsmittelpreise und tragen in der Konsequenz zu Armut und Hunger in der Welt bei, weshalb der Handel mit Agrarderivaten verboten werden sollen. Zudem wird kritisiert, dass die Schweiz es im
Unterschied zu anderen Industriestaaten verpasst habe, die Spekulation per
Gesetz einzudämmen. Mit Essen spiele man schliesslich nicht.
25
Grafik 18
Die Gegnerschaft der Initiative führt ins Feld, dass sich in der Schweiz gar keine
Handelsplätze für solche Finanzinstrumente befänden und betroffene Unternehmen ihre Handelsaktivitäten schlichtweg ins Ausland verlegen können. Daher hätte ein Schweizer Verbot kaum Auswirkungen auf den weltweiten Handel
mit Agrarderivaten. Auch wird argumentiert, dass bei einer Annahme der Initiative eine aufwendige Kontrollbürokratie aufgebaut werden müsste, die den
Schweizer Unternehmen schade, weil sie Kosten und Einschränkungen mit
sich bringen würde. Zudem entstünden Wettbewerbsnachteile gegenüber
Konkurrenten im Ausland, die keine solchen Auflagen befolgen müssen. Befürchtet wird schliesslich die negative Signalwirkung einer solchen Initiative für
den gesamten Wirtschaftsstandort Schweiz.
Der Bundesrat attestiert der Initiative mit der Bekämpfung von Armut und Hunger hehre Ziele, die wichtig für die Schweiz seien. Statt jedoch auf wirkungslose und teure Verbote, sollte aus bundesrätlicher Sicht besser auf bewährte
Instrumente, wie Entwicklungszusammenarbeit oder humanitäre Nothilfe gesetzt werden. Zudem soll sich die Schweiz international für eine Verbesserung
der Transparenz auf den Rohstoffmärkten engagieren.
Thematische Vergleichsabstimmungen gibt es in diesem Fall keine direkten.
Stellt man mehr auf Stossrichtung und Trägerschaft ab, fällt vor allem die Initiative "1:12 – Für gerechte Löhne" in Betracht. Sie wurde ebenfalls durch die JUSO lanciert. Neben der Identität des Absenders ist auch der Gerechtigkeitsgedanke in Kombination mit Wirtschaftsregulierungen bei den Vorlagen gemein.
Die 1:12-Iniative wurde mit einem Ja-Anteil von 34.7 Prozent in ähnlich hohem
Ausmass wie viele linke Initiativen verworfen. Auf die grösste Unterstützung
stiess das Anliegen in den Kantonen Jura und Tessin, wo sich die Ja-Anteile mit
47.8 respektive 49 Prozent am nächsten der 50-Prozent-Marke befanden.
Grafik 19
Abstimmung vom 24. November 2013: 1:12 –Initiative
26
Quelle: www.atlas.bfs.admin.ch
Der Meinungsverlauf bei der 1:12-Initiative nahm den typischen Verlauf für eine
Initiative: Mit einer Patt-Situation in der Ausgangslage startete das Anliegen
verhalten in die Kampagnenphase und verlor danach kontinuierlich an Boden.
Es gelang der Initiativ-Gegnerschaft relativ früh und vor allem gut eine Problematisierung des Anliegens zu erreichen, nicht zuletzt, weil die 1:12-Iniative im
Fahrwasser der im gleichen Jahr angenommenen Minder-Initiative debattiert
wurde. Die 1:12-Initiative galt ordnungspolitisch als falsch formuliert und die
Kosten einer Annahme gelangten zunehmend in den Fokus. Die lange Debatte
hatte früh eine Meinungsbildung gegen die Vorlage ausgelöst und die letzten
Wochen verstärkten den Trend nur noch leicht.
Grafik 20
Trend Filter Persönliche Stimmabsicht an Abstimmung vom
24. November 2013: 1:12-Initiative
"Wenn morgen schon über die '1:12-Initiative' abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen
oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen / teilgenommen haben
bestimmt dagegen
31
41
65.3
13
12
eher dagegen
weiss nicht/keine
Antwort
13
10
eher dafür
22
13
22
08. Oktober 2013
23
04. November 2013
34.7
bestimmt dafür
24. November 2013
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 24. November 2013 im Trend, 2. Welle, 01. – 08. November 2013 (n = 981),
Endergebnis
Die VOX-Nachanalyse der Abstimmung legte offen, dass der Graben zwischen
Befürworter- und Gegnerschaft der Initiative ziemlich genau zwischen Links
und Mitte-Rechts verlief und tief war: links von der Mitte fand die Forderung
nach einer maximalen Lohnbandbreite eine solide Mehrheit (linksaussen: 76%,
links 57%), während sie ausserhalb des linken Lagers wuchtig abgelehnt wurde. Dieser klassische Links/rechts-Konflikt widerspiegelt sich auch im Entscheid der verschiedenen Parteianhängerschaften.
Der hauptsächliche Grund für die deutliche Ablehnung der Initiative war nicht,
dass sich die Empörung über exorbitant hohe Managerlöhne seit der Annahme
der Abzockerinitiative gelegt hätte. Vielmehr war eine Mehrheit der Stimmenden überzeugt davon, dass das Begehren der Jungsozialisten negative ökonomische Konsequenzen haben werde.
Fazit Ausgangslage VI gegen Nahrungsmittelspekulation
Für die kommende Abstimmung gehen wir davon aus, dass es sich bei der
Spekulationsstopp-Initiative um eine Minderheitsinitiative handelt. In der Ausgangslage erwarten wir keine mehrheitliche Zustimmung. Während des Abstimmungskampfes gehen wir von einer steigenden Ablehnung und sinkenden
Zustimmung aus. Das macht die Ablehnung wahrscheinlich.
27
Die Höhe des Ja-Stimmenanteils in der Abstimmung hängt in erster Linie von
der Prädisponiertheit ab. Diese erachten wir als nicht besonders hoch, da erstmals über einen solchen Inhalt abgestimmt wird. Das lässt vor allem recht viele
Unschlüssige zu Beginn des Abstimmungskampfes vermuten. Mit gefestigten
Stimmabsichten im Ja rechnen wir bei ganz linken Positionen, nicht aber in der
Mitte. Hier kann die Gegnerschaft mit der bekannten SchwachstellenKommunikation punkten.
2.5
Zweite Gotthardröhre
Der Gotthard-Strassentunnel wird jährlich von rund fünf Millionen Personenwagen und 900‘000 Lastwagen genutzt. Die Strasse über den Pass kann jeweils
nur im Sommerhalbjahr befahren werden. Im Winter ist sie nicht passierbar.
Mit einem täglichen Verkehr von durchschnittlich 17‘000 Fahrzeugen ist der
Gotthard die wichtigste Alpenverbindung der Schweiz. Nach rund 35 Jahren
Betrieb soll der Gotthardstrassentunnel altershalber saniert werden. Um die
Strassenverbindung während der mehrjährigen Sanierungsarbeiten aufrecht zu
erhalten, haben Bundesrat und Parlament den Bau einer zweiten Röhre beschlossen, die während der Sanierungsarbeiten als Ausweichröhre dienen soll.
Nach der Sanierung sollen beide Röhren in Betrieb sein, ohne dabei die Kapazität des Tunnels zu erhöhen: Im Gesetz ist verankert, dass immer nur eine Fahrspur pro Richtung betrieben werden darf. Der Bau der zweiten Röhre und die
Sanierung des bestehenden Tunnels kosten rund 2,8 Milliarden Franken. Gegen
die Vorlage wurde von rotgrüner Seite erfolgreich das Referendum ergriffen.
Federführend war der Verein "Nein zur 2. Gotthardröhre" bestehend aus über 50
nationalen und lokalen Organisationen (Parteien, Vereine, Gewerkschaften,
Interessengemeinschaften, Stiftungen und NGOs).
In unserer Befragung und in den Erläuterungen des Bundesrates (offizielle Abstimmungsbroschüre) wurde die Vorlage wie folgt beschrieben:
"Die Gesetzesänderung ermöglicht den Bau einer zweiten Röhre mit anschliessender Sanierung des bestehenden Tunnels. So ist die Strassenverbindung
durch den Gotthard auch während der Sanierung verfügbar. Im Gesetz wird
zudem verankert, dass immer nur eine Fahrspur pro Richtung offen ist."
Der Bau einer Sanierungsröhre wurde von beiden Räten gutgeheissen. Im
Ständerat betrug das Resultat 28 Ja- zu 17 Nein-Stimmen, im Nationalrat wurde
die Vorlage mit 109 Ja- zu 74 Nein-Stimmen angenommen. Die sozialdemokratische, grüne und grünliberale Fraktion stimmten in beiden Kammern geschlossen gegen die zweite Gotthardröhre. Auf der befürwortenden Seite standen in
beiden Räten die BDP, CVP, FDP, BDP und die SVP, wenn auch nicht alle geschlossen. Der Entscheid war nur eher klar, hat jedoch vorwiegend auf entlang
der Links/rechts-Achse polarisiert.
28
Grafik 21
Schlussabstimmung Nationalrat über zweite Gotthardröhre
Lesebeispiel: Das Parlament stimmt über die Änderung der Bundesgesetzes ab. Ein Ja bedeutet: Annahme der Änderung.
Quelle: www.politnetz.ch
Orientiert man sich an der Schlussabstimmung im Parlament kann bei dieser
Abstimmung eine ökologisch-links-orientierte Front gegen eine bürgerlichrechts-orientierte erwartet werden. Durchbrochen werden dürfte dieses Muster allerdings von regionalen Faktoren. National bereits ein Ja als offizielle Parteiparole gefasst haben die SVP, BDP und die CVP. Die Vorlage zur Ablehnung
empfehlen dagegen die SP, GPS, GLP und die EVP.
Tabelle 8
Parolen zweite Gotthardröhre
Bundesbeschluss zweite Gotthardröhre
Stimmempfehlung BR
Ja-Parole
Abstimmung NR
109:74 (Ja-Parole)
Abstimmung SR
28:17 (Ja-Parole)
Befürwortende Parteien
SVP, BDP, FDP, CVP
Ablehnende Parteien
SP, GPS, GLP, EVP
Quelle: Parteienwebseiten, Stand: 20.01.2016
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016
Die Gegner und Gegnerinnen des Gotthardsanierungstunnels argumentieren
primär mit Umwelt- und spezifisch Alpenschutz sowie den Kosten des Projekts.
Befürchtet wird konkret, dass die zweite Röhre, wenn sie einmal gebaut wurde, über kurz oder lang auch genutzt wird und die Schweiz so zur "Transithölle"
verkommen wird. Kritisiert wird auch der Umstand, so viel Geld in ein Projekt
zu schiessen, während in den Städten und Agglomerationen, wo der Verkehr
aus allen Nähten platzt, Geld für notwendige Projekte fehlt. Die Neat dagegen,
in die das Schweizer Volk 24 Milliarden investiert hat, sieht man durch die zweite Gotthardröhre konkurrenziert, wenn nicht gar gefährdet.
Grafik 22
Seitens der Befürworterschaft wird dagegen mit Sicherheit, Kosteneffizienz
und der Wichtigkeit der steten Nord-Südverbindung argumentiert. Der Gotthard-Strassentunnel gilt als Herzstück der Nord-Süd-Verbindung durch die Alpen und sichert Bevölkerung und Wirtschaft eine ganzjährig verfügbare Stras29
senverbindung. Damit diese auch während der Tunnelsanierung offen bleiben
kann, braucht es aus Sicht der Befürworter und Befürworterinnen eine zweite
Röhre, die sich auch längerfristig auszahle: Die Sicherheit werde durch den
Sanierungstunnel markant erhöht. Zudem sei damit für alle künftigen Sanierungen am Gotthard vorgesorgt.
Grafik 23
Eine Vergleichsvorlage aus jüngerer Vergangenheit ist jene über die Finanzierung und den Ausbau der Bahninfrastruktur, kurz FABI. Inhaltich näher am
Thema liegt jedoch eine etwas ältere Vorlage, der Gegenvorschlag zur AvantiInitiative.
Die Automobilverbände TCS und ACS hatten mit einer Ende 2000 eingereichten Volksinitiative verlangt, dass Engpässe auf überlasteten Autobahnteilstücken im Mittelland behoben und am Gotthard ein zweiter Strassentunnel gebaut wird. Letzteres hätte die teilweise Ausserkraftsetzung der 1994 vom Volk
angenommenen Alpenschutzinitiative bedingt. Der Bundesrat lehnte den Gotthardstrassentunnel als nicht dringlich ab und legte einen Gegenentwurf vor.
Dieser sah neben dem Ausbau von überlasteten Nationalstrassen auch die
Förderung des öffentlichen Agglomerationsverkehrs mit bisher für den Strassenbau zweckgebundenen Mitteln vor. Gegen den Willen des Bundesrates
nahm das Parlament zusätzlich den Bau einer zweiten Tunnelröhre durch den
Gotthard in den Gegenvorschlag auf, was die Automobilverbände veranlasste,
ihre Avanti-Initiative zurückzuziehen. Da das Parlament auf die Festlegung eines
Termins für den Bau der Gotthardröhre verzichtet hatte, stellte sich in der Abstimmungskampagne auch der Bundesrat hinter den Parlamentsbeschluss.
Die Fronten im damaligen Abstimmungskampf waren weitgehend klar: Auf der
Gegnerseite befanden sich die SP, die GPS sowie die Umweltschutzorganisationen und die Gewerkschaften. Für den Gegenvorschlag setzten sich die FDP,
die SVP und die Unternehmerverbände ein. Nicht in dieses für Umweltschutzfragen klassische Schema passte die CVP mit ihrer gegen die Parteileitung
gefassten Nein-Parole.
Die Kampagne wurde namentlich von der Contra-Seite sehr engagiert geführt.
Ihre Argumente konzentrierten sich auf zwei Elemente: Den Gotthard-Tunnel,
welcher das Ziel einer Verlagerung des Gütertransitverkehrs auf die Schiene
sabotiere, und die angesichts der Sparanstrengungen des Staates hohen Kosten von rund 30 Milliarden Schweizer Franken. Die Befürworterschaft pries die
Vorlage als ausgewogenes Konzept zur Förderung sowohl des privaten als auch
des öffentlichen Verkehrs an, dessen Finanzierung durch die Verwendung von
zweckgebundenen Abgaben der Automobilisten auch langfristig gesichert sei.
In der Volksabstimmung vom 8. Februar 2004 wurde der Avanti-Gegenvorschlag mit einem Neinstimmen-Anteil von 62,8 Prozent deutlich abgelehnt.
Das für eine Annahme ebenfalls erforderliche Ständemehr hatte sie noch klarer
verfehlt, ergab sich doch in keinem einzigen Kanton eine zustimmende Mehrheit.
30
Grafik 24
Abstimmung vom 8. Februar 2004: Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative
Quelle: www.atlas.bfs.admin.ch
Die VOX-Nachanalyse dieser Abstimmung legte offen, dass das Abstimmungsverhalten von einem klaren Links/rechts-Graben geprägt war: Wer sich politisch
als links einstufte, hatte den Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative abgelehnt,
wer sich rechts einstufte, hatte ihn knapp angenommen. Fast ebenso stark beeinflusste die Einstellung zur Umweltschutzpolitik den Entscheid: Wer den
Schutz der Umwelt höher bewertet als das Wirtschaftswachstum, stimmte zu
79 Prozent Nein.
Dass die Skepsis weit ins bürgerliche Lager hineinreichte, zeigte das Verhalten
der Parteisympathisanten. Nur etwas mehr als die Hälfte der Anhängerschaft
der SVP und der FDP folgte den Ja-Parolen ihrer Parteien. Im Gegensatz dazu
schlossen sich 79 Prozent der SP-Sympathisanten und rund zwei Drittel der
CVP-Gefolgschaft den ablehnenden Empfehlungen ihrer Parteien an. Die sozialen Merkmale wirkten sich nur schwach auf das Abstimmungsverhalten aus.
Am wichtigsten war die Frage, wie viele Personenwagen in einem Haushalt
vorhanden sind. Stimmende aus Haushalten mit mehreren Autos waren die
einzigen, welche den Avanti-Gegenvorschlag mehrheitlich guthiessen.
Für die Mehrheit der Nein-Stimmenden war der Avanti-Gegenvorschlag eindeutig ein Plebiszit gegen die zweite Gotthardröhre. Bereits an zweiter Stelle der
Entscheidmotive folgen die von der Contra-Propaganda herausgestrichenen
Kosten des Projekts. Dabei sind deutliche sprachregionale Differenzen auszumachen. In der Deutschschweiz stellte die Verhinderung des Gotthardstrassentunnels ein wichtiges Entscheidmotiv dar. Das Hauptmotiv für das Nein der
französischsprachigen Schweiz waren dagegen die hohen Kosten. Für die Befürworter des Avanti-Gegenvorschlags war das Ja nur bedingt ein Ja zum Gotthardtunnel. Die Mehrheit von ihnen stimmte vor allem deshalb zu, weil sie das
Paket als guten Mix von Förderungsmassnahmen für den privaten und den
öffentlichen Verkehr einstuften.
31
Grafik 25
Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 8. Februar 2004:
Gegenvorschlag Avanti-Initiative
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie bei einer solchen Abstimmung teilnehmen würden oder
nicht: Wenn morgen schon über den Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative abgestimmt würde, wären Sie dann
bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen/teilgenommen haben
22
37
18
62.8
14
eher dagegen
weiss nicht/keine
Antwort
19
21
bestimmt dagegen /
Nein
17
eher dafür
10
bestimmt dafür / Ja
37.2
20
9. Dezember 2003
22
20. Januar 2004
8. Februar 2004
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 8. Februar 2004 im Trend, 2. Welle, 14. – 25. Januar 2004 (n = 900), Endergebnis
Das Pro-Argument, dass ein zweiter Strassentunnel durch den Gotthard notwendig sei, hat die beiden Lager am meisten polarisiert. Obwohl im politischen
Spektrum die Zustimmung zum Gotthard-Tunnel von links nach rechts zunimmt, war er bei keiner Partei mehrheitsfähig.
Von den gegnerischen Argumenten polarisierte vor allem die Aussage, dass
neue Strassen grundsätzlich zu mehr Verkehr führen und deshalb aus Umweltschutzgründen darauf zu verzichten sei. Eine Zweidrittelmehrheit der Stimmenden war mit dem Argument einverstanden, dass der Bund anstelle der Autobahnen den öffentlichen Nahverkehr ausbauen solle.
Es ging bei FABI um die langfristige Sicherung der Finanzierung von Betrieb,
Unterhalt und Ausbau der Bahninfrastruktur anhand eines unbefristeten Fonds.
Die Mittel daraus sollen den Bauten und Anlagen sowie dem weiteren Ausbau
des Bahnnetzes zugutekommen. Im Unterschied zur aktuellen Vorlage zur
zweiten Gotthardröhre wurde gegen FABI nicht aktiv das Referendum ergriffen,
es handelte sich um ein obligatorisches Referendum.
Am 9. Februar 2014 sagten 62 Prozent der Bevölkerung und – mit Ausnahme
von Schwyz – alle Kantone Ja zum Bundesbeschluss.
32
Grafik 26
Abstimmung vom 9. Februar 2014: Bundesbeschluss FABI
Quelle: www.atlas.bfs.admin.ch
Der Entscheid über den Bundesbeschluss FABI kann ebenfalls zum Vergleich
beigezogen werden. Diese Vorlage lag von Beginn weg in der Gunst der
Stimmberechtigten; sie startete mit einer Ja-Mehrheit in die Kampagnenphase.
Der Bundesrat, unterstützt von einem breiten, überparteilichen Pro-Komitee,
warb für ein Ja. Die Erneuerung der Bahninfrastruktur wurde angesichts wachsender Belastungen als nötig erachtet und man versprach sich wirtschaftliche
Vorteile für die Schweiz und ihre Agglomerationen.
Die Gegnerschaft, primär bestehend aus SVP und Automobilverbänden, monierte den umfassenden Anspruch des Projektes und die daraus folgenden
Kosten für die Allgemeinheit, namentlich bei der Mehrwertsteuer.
Der Abstimmungskampf zur FABI-Vorlage verlief verhältnismässig flau. Wohl
aus diesem Grund blieb die Zustimmungsbereitschaft in den Wochen vor dem
Urnengang relativ stabil.
33
Grafik 27
Trend Filter Persönliche Stimmabsicht an Abstimmung vom
9. Februar 2014: Bundesbeschluss FABI
"Wenn morgen schon über den Bundesbeschluss über die Finanzierung und den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen / teilgenommen haben
13
14
bestimmt dagegen
18
38
10
eher dagegen
17
16
weiss nicht/keine
Antwort
19
30
62
eher dafür
37
26
27. Dezember 2013
bestimmt dafür
21. Januar 2014
9. Februar 2014
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 09. Februar 2014 im Trend, 2. Welle, 20. – 25. Januar 2014 (n = 946), Endergebnis
Die VOX-Nachanalyse dieses Stimmentscheids zeigte, dass die Vorlage von
Stimmenden, die dem Bundesrat grosses Vertrauen entgegenbringen, deutlich
angenommen wurde. Ausserdem wurde die Vorlage im linken Lager stärker
unterstützt. Eine grosse Mehrheit der SP-Anhängerschaft, aber auch der CVPWählenden, stimmte für die FABI-Vorlage, jedoch nur einer von drei SVPSympathisanten. Die Anhänger und Anhägerinnnen der FDP folgten der Abstimmungsempfehlung ihrer Partei am wenigsten.
Das Hauptmotiv der Ja-Stimmenden war die Zustimmung zum Ausbau der
Bahninfrastruktur. Andere Stimmmotive waren deutlich weniger wichtig. Die
Motive der Gegnerschaft waren vielfältiger: Zu hohe Kosten, Ablehnung des
Grundsatzes der Mitfinanzierung durch Autopendler sowie die Zufriedenheit mit
der aktuellen Situation wurden gegen den Bundesbeschluss ins Feld geführt.
Die Argumente gegen die Vorlage haben weniger polarisiert, aber auch wenig
Resonanz erzeugt.
Fazit Ausgangslage zweite Gotthardröhre
Für die kommende Gotthard-Abstimmung gehen wir von einer positiv vorbestimmten, aber nur labil prädisponierten Behördenvorlage aus. Die Vorlage passierte das Parlament mehrheitlich, was ein Vorentscheid ist. Der Konflikt war
mittel, aber polarisiert. Unter den Stimmberechtigten dürften parteipolitische
Erwägungen zentral sein, indessen nicht alleine entscheidend. Denn regionale
Betroffenheit dürfte die parteipolitische Bestimmtheit durchbrechen und es ist
von einer sprachregional unterschiedlichen Nutzenerwartung auszugehen. Wir
nehmen eine mittlere Prädisponiertheit der Entscheidung an. Das alles macht
den Ausgang etwas offen, wenn auch mit Vorteilen für die Ja-Seite.
34
2.6
Hypothesen zur Meinungsbildung
Unsere Abklärungen vor der Befragung lassen die nachstehende Übersicht zu,
die einerseits auf Rechtsform und die Herkunft der Vorlage abstellt, anderseits
auf die Behandlung in den Behörden, die Ausgangslage, das Konfliktmuster und
den Typ der Meinungsbildung. Sie folgt damit der generellen These des Dispositionsansatzes, die einleitend kurz vorgestellt wurde.
Tabelle 9
Übersicht Stimmabsichten nach Parteibindungen, Abweichungen
von Parolen, Unentschiedenheit und Teilnahmebereitschaft
Rechtsform
Opposition
Mehrheitsfähigkeit
Prädisponiertheit
VI gegen Heiratsstrafe
Volksinitiative
Bürgerlichkonservativ
Potenziell
ben
gege- Eher hoch
Linksliberal vs. bürgerlich-konservativ, persönliche Betroffenheit
Durchsetzungsinitiative
Volksinitiative
Nationalkonservativ
Potenziell
ben
gege- Hoch
Nationalkonservativ vs.
linksliberal, aber Elite/Basis
VI gegen Nahrungsmittelspekulation
Volksinitiative
Rotgrün
Nicht gegeben
Gering
Bürgerlich vs. rotgrün
Zweite Gotthardröhre
Behörden- Rotgrün
vorlage
Gegeben
Eher hoch
Bürgerlich vs. rotgrün,
regionale Betroffenheit
Konflikttyp
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
Unsere Hypothesen für die vorliegende Untersuchungsreihe zu den Volksabstimmungen vom 28. Februar 2016 lauten:
Hypothese Beteiligung an Volkabstimmungen
Am 28. Februar 2016 kommt es mit vier Vorlagen zu einer überdurchschnittlichen Zahl an Abstimmungen. Erwartet wird entsprechend eine Beteiligung
über dem langjährigen Mittel.
Sollte es zu einer überdurchschnittlichen Mobilisierung der regierungsmisstrauischen Stimmbürgerschaft kommen, wird der Protestcharakter (von rechts) in
den Voten verstärkt.
Hypothese Initiative gegen Heiratsstrafe
Bei der Initiative gegen Heiratsstrafe handelt es sich um eine potenziell mehrheitsfähige Vorlage, bei welcher der Abstimmungskampf entscheidet.
Mit der Besteuerung von Ehepaaren nimmt sie ein verbreitet problematisch
empfundenes Thema auf, das bis weit in die Behörden hinein akzeptiert wird.
Aufgrund der Ehedefinition und der fiskalischen Folgen ist sie allerdings kritisierbar, weshalb mit dem normalen Verlauf der Meinungsbildung gerechnet
werden kann, bei dem sich die Gegnerschaft im Verlauf des Abstimmungskampfes aufbaut und das Lager der Befürworterschaft schrumpft.
Gerechnet wird mit einer Polarisierung zwischen konservativer und linksliberaler Bürgerschaft, etwas durchbrochen durch die Betroffenheit als verheiratetes
Paar. Das Veränderungspotenzial des Abstimmungskampfes wird als erheblich
eingestuft.
Es bestehen Vorteile für das Ja, der Ausgang der Volksentscheidung ist offen.
35
Hypothese Durchsetzungsinitiative
Bei der Durchsetzungsinitiative handelt es sich um eine potenziell mehrheitsfähige Vorlage mit direktem Bezug zur angenommenen Ausschaffungsinitiative.
Diese griff ein gesellschaftlich breit empfundenes Problem auf, das in erster
Linie mit juristischen Argumenten bekämpft wurde, was erfolglos blieb. Die
neue Initiative verbindet die Problematik mit einer Institutionenkritik, wonach
verschiedene Behörden bei der Ausschaffung zu wenig weit gehen.
In einer solchen Konstellation ist ein Elite/Basis-Konflikt häufig, vermehrt rechts
denn links, bei dem namentlich die Mobilisierungsfrage der innerparteilichen
Minderheiten von Belang wird. Typisiert ist mit einer generellen Konfliktlinie zu
rechnen: Ängste vor Identitätsverlust auf der einen Seite, Befürworter einer
multikulturellen, offenen Schweiz auf der anderen Seite.
Erwartet wird mit einer vergleichbaren Ausgangslage und aufgrund einer alltäglichen und politisch verbreiteten Prädisposition ein eher geringes, aber vorhandenes Veränderungspotenzial durch den Abstimmungskampf.
Es bestehen Vorteile für das Ja, der Ausgang der Volkabstimmung ist aber offen.
Hypothese Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation
Bei der Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation handelt es sich um ein Minderheitsanliegen.
Stossrichtung und Trägerschaft entsprechen einem klaren Linksprofil mit beschränkter Ausstrahlung auf die politische Mitte. Erwartet wird, dass die Gegnerschaft im Verlaufe des Abstimmungskampfes stärker wird und das Lager
der Befürworterschaft abnimmt. Postuliert wird eine Polarisierung im
Links/rechts-Spektrum. Denkbar ist eine beschränkte Unterstützung im konservativ-bürgerlichen Elektorat.
Ein Nein am Abstimmungstag ist das wahrscheinlichste Szenario.
Hypothese zweite Gotthardröhre
Bei der "Gotthard"-Abstimmung handelt es sich um eine Behördenvorlage, die
aufgrund des Alltagsbezugs vorbestimmte Stimmabsichten kennt. Bestimmt
sind diese durch drei Faktoren: Parteizugehörigkeit, regionale Betroffenheit und
Autobesitz.
Aufgrund der Vorteile für den Transitverkehr ist mit einer mehrheitlich Zustimmung in der Ausgangslage zu rechnen, verbunden mit einer Opposition aus
dem rotgrünen, beschränkt auch dem bürgerlichen Lager, das einen Verstoss
gegen die Verlagerungspolitik am Gotthard sieht.
Die Glaubwürdigkeit der Absender ist von Belang, denn es wir mit unsicheren
Auswirkungen vor allem bei einer Annahme argumentiert.
Mit eindeutigen Mehrheiten ist nicht zu rechnen, die Entscheidung fällt erst im
Abstimmungskampf.
36
3
Befunde
3.1
Vorläufige Teilnahmeabsichten
3.1.1 Profil der Beteiligungswilligen
48 Prozent der Stimmberechtigten gaben am 12. Januar 2016 an, sich bestimmt an der Volksabstimmung vom 28. Februar 2016 beteiligen zu wollen.
Dieser Wert liegt etwas über dem Mittel der Stimmbeteiligung der vergangenen Legislatur 2011-2015, welches bei 45.6 Prozent lag.
Die Beteiligungsabsichten stellen damit aktuell eine leicht überdurchschnittliche
Teilnahme, über dem Legislaturmittel in Aussicht. Das ist bei vier Vorlagen
nichts Ungewöhnliches, denn jede Vorlage kennt ihr spezifisches Mobilisierungspotenzial oder anders formuliert ihre Klientel. Von einer relevant überdurchschnittlichen Mobilisierung kann allerdings erst dann die Rede sein, wenn
sich die Teilnahmeabsichten mit dem Abstimmungskampf nochmals deutlich
steigern sollten und die 50-Prozent-Marke erreichen. Erst die zweite SRGTrendumfrage wird darüber Aufschluss geben können.
Grafik 28
Teilnahmeabsicht an Abstimmung vom 28. Februar 2016
"Würden Sie selber an dieser Abstimmung bestimmt teilnehmen, eher teilnehmen, eher nicht teilnehmen oder
bestimmt nicht teilnehmen?"
in % Stimmberechtigter
eher nicht teilnehmen
5
weiss nicht/keine
Antwort
7
bestimmt nicht
teilnehmen
2
bestimmt teilnehmen
48
eher teilnehmen
38
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (N = 1213)
Nach Parteien separiert betrachtet, finden sich unterschiedlich fortgeschrittene
Teilnahmeabsichten: Am wenigsten weit und klar unterdurchschnittlich ist die
Intention einer Abstimmungsteilnahme wie gewohnt bei Parteiungebundenen
(37%). Speziell an der Ausgangsmobilisierung ist jedoch, dass sich Sympathisanten und Sympathisantinnen der GPS nur zu 39 Prozent beteiligen wollen. In
aller Regel kennt diese Partei eine frühe und damit in den ersten Trendumfragen regelmässig hohe Mobilisierung ihrer Anhängerschaft. Diesmal finden wir
diese eher bei der SP und besonders bei den Mitte-Wählerschaften von CVP
und FDP. Die SVP liegt mit 46 Prozent ihrer Anhängerschaft, die angibt, bestimmt teilzunehmen, leicht unter dem nationalen Mittel.
37
Grafik 29
Teilnahmeabsicht an Abstimmung vom 28. Februar 2016
nach Parteibindung
"Würden Sie selber an dieser Abstimmung bestimmt teilnehmen, eher teilnehmen, eher nicht teilnehmen oder
bestimmt nicht teilnehmen?"
in % Stimmberechtigter
2
7
9
13
3
4
1
5
2 1
9
9
bestimmt nicht
teilnehmen
12
28
31
27
9
eher nicht teilnehmen
33
weiss nicht/keine
Antwort
42
52
59
67
62
eher teilnehmen
46
39
37
bestimmt teilnehmen
GPS
SP
CVP
FDP
SVP
Parteiungebundene
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (N = 1213), sig.
Allerdings finden sich quer zu den Parteibindungen Anzeichen einer populistischen Aufladung der Mobilisierung; die regierungsmisstrauische Stimmbürgerschaft ist klar überdurchschnittlich gewillt, an der Abstimmung vom 28. Februar
teilzunehmen, während jene mit Vertrauen in die Regierung sich nahe am
Schnitt bewegt.
Grafik 30
Teilnahmeabsicht an Abstimmung vom 28. Februar 2016
nach Regierungsvertrauen
"Würden Sie selber an dieser Abstimmung bestimmt teilnehmen, eher teilnehmen, eher nicht teilnehmen oder
bestimmt nicht teilnehmen?"
in % Stimmberechtigter
1
4
9
3
7
8
4
6
3
bestimmt nicht
teilnehmen
25
eher nicht teilnehmen
39
52
weiss nicht/keine
Antwort
62
eher teilnehmen
47
30
bestimmt teilnehmen
Vertrauen
weiss nicht/keine Antwort
Misstrauen
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (N = 1213), sig.
38
Auch hier wird die zweite Umfrage zeigen, ob sich diese Tendenz hält oder ob
sie mit Fortschreiten des Abstimmungskampfes neutralisiert wird. Immerhin
gelangen drei Initiativen mit je unterschiedlicher politischer Stossrichtung und
entsprechend unterschiedlichem Mobilisierungspotenzial zur Abstimmung.
Damit könnten Regierungsmisstrauische aus verschiedenen politischen Lagern
angesprochen werden.
Nach Siedlungsart betrachtet sticht die signifikant höhere Teilnahmebereitschaft in grossen Agglomerationen gegenüber der unterdurchschnittlichen in
kleinen und mittleren Agglomerationen ins Auge. Über dem nationalen Mittel
sind aber nicht nur Städter und Städterinnen, sondern auch die in ländlichen
Wohngegenden lebende Stimmbevölkerung zu einer Teilnahme bereit.
Grafik 31
Teilnahmeabsicht an Abstimmung vom 28. Februar 2016
nach Siedlungsart
"Würden Sie selber an dieser Abstimmung bestimmt teilnehmen, eher teilnehmen, eher nicht teilnehmen oder
bestimmt nicht teilnehmen?"
in % Stimmberechtigter
2
4
6
3
5
8
2
6
5
33
37
bestimmt nicht
teilnehmen
eher nicht teilnehmen
41
weiss nicht/keine
Antwort
51
54
eher teilnehmen
43
bestimmt teilnehmen
ländlich
kleine/mittlere Agglomeration
grosse Agglomeration
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (N = 1213), sig.
Abstimmungskämpfe folgen in den Sprachregionen unterschiedlichen zeitlichen
Rhythmen; sie werden in der Deutschschweiz regelmässig zuerst losgetreten
und erst danach in der Westschweiz und im Tessin.
Dieses Bild bestätigt sich eindeutig. In der Deutschschweiz liegt die Teilnahmebereitschaft mit 59 Prozent bereits in der Ausgangslage über dem nationalen Mittel, in der Westschweiz und im Tessin bleibt sie mit 41 respektive 26
Prozent klar zurück.
39
Grafik 32
Teilnahmeabsicht an Abstimmung vom 28. Februar 2016
nach Sprachregion
"Würden Sie selber an dieser Abstimmung bestimmt teilnehmen, eher teilnehmen, eher nicht teilnehmen oder
bestimmt nicht teilnehmen?"
in % Stimmberechtigter
1
3
5
6
3
4
4
7
bestimmt nicht
teilnehmen
14
eher nicht teilnehmen
29
45
53
weiss nicht/keine
Antwort
eher teilnehmen
59
41
26
DCH
FCH
bestimmt teilnehmen
ICH
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (N = 1213), sig.
Kurz zusammengefasst zeigt der erste Teil der Abklärungen zu Beteiligungsabsicht, welche Merkmalsgruppen gegenwärtig die Beteiligung in welche Richtung beeinflussen. Nebst der Parteibindung, dem Regierungsvertrauen, der
Sprachregion und der Siedlungsart, variieren die Teilnahmewerte hinsichtlich
sozioökonomischer (Schulbildung, Haushaltseinkommen) und soziodemografischer Merkmale (Alter, Geschlecht).
Tabelle 10
Konfliktlinien: Teilnahme an Abstimmungen
Konflikt
Signifikanz
bestimmt
teilnehmen
eher
teilnehmen
Parteibindung
sig.
SP, CVP, FDP
(GPS), (SVP), (Parteiungebundene)
Sprachregion
sig.
DCH
ICH
Siedlungsart
sig.
(ländlich), grosse Agglomeration
(kleine/mittlere Agglomeration)
Schulbildung
sig.
(hoch)
(mittel)
HH-Einkommen
sig.
CHF 5-7000,
über CHF 11000
(CHF 7-9000)
Geschlecht
sig.
(Frau)
(Mann)
Alter
sig.
40-64-Jährige
65+-Jährige
(18- bis 39-Jährige), (65+Jährige)
Regierungsvertrauen
sig.
Misstrauen
(Vertrauen),
(weiss nicht/keine Antwort)
Lesebeispiel: Aufgeführte Untergruppen weichen mehr als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Stimmberechtigten ab.
Untergruppen in Klammern weichen weniger als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Stimmberechtigten ab.
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (N = 1213)
40
3.1.2 Stichworte für die Berichterstattung

aktuell leicht überdurchschnittliche Beteiligungsabsichten

Wählende von CVP, FDP und SP leicht überdurchschnittlich teilnahmebereit

behördenmisstrauische Bürgerinnen und Bürger bereits heute über dem
Mittel mobilisiert

bei steigender Beteiligung ist vor allem bei der Durchsetzungsinitiative
mit Folgen zu rechnen, profitieren würde Ja-Seite
3.2
Volksinitiative "Für Ehe und Familie –
gegen die Heiratsstrafe"
3.2.1 Vorläufige Stimmabsichten
Zum Zeitpunkt der Befragung fand sich mit 67 Prozent der teilnahmewilligen
Stimmberechtigten eine Mehrheit für die Initiative gegen die Heiratsstrafe.
Diese Befürwortermehrheit teilt sich auf in 40 Prozent dezidierte Befürworter
und Befürworterinnen und weitere 27 Prozent tendenzielle. Die Gegnerschaft
setzt sich aus 12 Prozent bestimmten und 9 Prozent tendenziellen Gegnern
und Gegnerinnen zusammen. Insgesamt resultiert dies in einem Nein-Potenzial
von 21 Prozent.
Grafik 33
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016:
Initiative gegen Heiratsstrafe
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Initiative gegen die Heiratsstrafe abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür,
eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
bestimmt dagegen
12
eher dagegen
9
bestimmt dafür
40
weiss nicht/keine
Antwort
12
eher dafür
27
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
Der Stand der Meinungsbildung ist mässig fortgeschritten. Mit 52 Prozent verfügt in der Ausgangslage lediglich eine knappe Mehrheit der Teilnahmewilligen
über eine gefestigte Stimmabsicht, sei es für oder gegen die Initiative. 36 Prozent kennen eine tendenzielle Entscheidung, und 12 Prozent der Teilnahmewilligen sind noch unschlüssig, was in verschiedener Hinsicht auf einen gewissen
Spielraum für den Abstimmungskampf verweist: Erstens verbleiben Unent41
schiedene zu überzeugen und zweitens weiss man aus Erfahrung um die Brüchigkeit tendenzieller Unterstützung zu Initiativen.
Nichts desto trotz kann der gute Ausgangswert dieser CVP-Initiative betont
werden. Er liegt klar über dem, was die Partei in jüngerer Vergangenheit mit
einer Initiative erreicht hat.1 Mit ihrem Anliegen die Heiratsstrafe abzuschaffen,
scheint die CVP durchaus einen Nerv getroffen zu haben.
Die Initianten starten also mit einem Vorteil in die Hauptphase des Abstimmungskampfes. Dieser hilft bei Initiativen jedoch in aller Regel eher der NeinSeite. Wie sich die Stimmabsichten bis zum 28. Februar 2016 entwickeln werden, hängt vom Abstimmungskampf, der Mobilisierung und der Meinungsbildung ab.
3.2.2 Vorläufiges Konfliktmuster
Das Konfliktmuster der Initiative ist primär von zwei Grössen geprägt: der Parteiaffinität und der Betroffenheit durch die Vorlage. Interessant ist an der Initiative gegen die Heiratsstrafe, dass sie darüber hinaus kaum polarisiert.
Die erste signifikante Konfliktlinie findet sich entlang der Parteibindungen, wobei selbst hier eher Nuancen als grundlegende Unterschiede vorzufinden sind.
In der Ausgangslage äussern sich Teilnahmewillige jeglicher Parteibindung
mehrheitlich für die Vorlage. Am höchsten fällt die Zustimmung bei den CVPaffinen Teilnahmewilligen aus (80% eher/bestimmt dafür), gefolgt von jenen
der SVP (73%) und FDP (62%). Auch Parteiungebundene reihen sich vom Zustimmungsniveau her (61%) in diesen Block von Mitte-bürgerlich ein. Etwas
dahinter zurück bleiben die Zustimmungswerte im linken Lager, obschon sie
auch dort mehrheitsfähig sind: 55 Prozent der SP-affinen Teilnehmenden gab
am 12. Januar 2016 an, bestimmt oder eher für die Vorlage zu sein und 53 Prozent der GPS-nahen Teilnahmewilligen.
Grafik 34
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Parteibindung: Initiative gegen Heiratsstrafe
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Initiative gegen die Heiratsstrafe abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür,
eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
14
23
8
14
9
16
3
11
11
13
9
6
7
16
11
eher dagegen
17
13
15
bestimmt dagegen
35
29
18
28
23
weiss nicht/keine
Antwort
32
eher dafür
45
44
43
34
32
21
GPS
bestimmt dafür
SP
CVP
FDP
SVP
Parteiungebundene
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
Das Anliegen geniesst damit weit verbreitete Sympathien von links bis rechts.
Allerdings ist die Unterstützung des Anliegens nicht überall gleich gefestigt.
1
siehe Einleitung Kapitel 2.2, Referenzabstimmung VI Familien stärken.
42
Gerade die SP- und GPS-affine Wählerschaft zeigt sich in ihren Stimmabsichten
weniger konsolidiert und auch bei der FDP-affinen Wählergruppe und bei Parteiungebundenen existiert eher Spielraum für Kampagnen-Argumente als bei
Teilnahmewilligen mit Sympathien für CVP oder SVP.
Interessant ist bei dieser Initiative der Umstand, dass sich die Phänomene der
behördlichen Willensbildung nicht oder noch nicht auf die Parteiwählerschaften
übertragen haben. Von den fünf grössten Parteien sind lediglich die Wähler und
Wählerinnen der CVP und der SVP im Einklang – einerseits mit den Parteiparolen und anderseits mit dem Stimmverhalten der Parteivertretenden im Nationalrat. Bei den übrigen drei Parteien finden wir (zumindest in der Ausgangslage)
klare Elite/Basis-Konflikte. Im Nationalrat haben sowohl die GPS und die SP als
auch die FDP geschlossen gegen die Initiative gegen die Heiratsstrafe gestimmt und konsequenterweise die Nein-Parole gefasst. Die Wählersegmente
dieser drei Parteien stehen dem Anliegen in der Ausgangslage allerdings mehrheitlich wohlwollend gegenüber, womit sie nicht auf Fraktionslinie sind.
Entscheidend wird die Frage sein, ob und wie stark sich die offiziellen Parolen
von SP, GPS und FDP im Verlauf des Abstimmungskampfes auf die Stimmabsichten ihrer Wählerschaften auswirken werden.
Aufschlussreich ist das Betroffenheitsmuster der Befragten, denn der Zivilstand
von teilnahmewilligen Stimmberechtigten erweist sich als signifikante Erklärungsgrösse hinsichtlich der Stimmabsicht zur Initiative gegen die Heiratsstrafe.
Ist man nämlich selber verheiratet oder lebt in einer eingetragen Partnerschaft,
ist die Unterstützung für die Initiative klar höher (72% eher/bestimmt dafür), als
wenn man ledig, geschieden, verwitwet oder als Paar ohne Eintrag lebt. Die
potenziellen Begünstigten dieser Vorlage hegen damit noch grössere Sympathien dafür als der Schweizer Durchschnitt. Nicht direkt Begünstigte sind dagegen verhaltener in ihrer Zustimmung (59%).
Verfeinert man die Restgruppe wird der Stand der Meinungsbildung von Belang. Er ist bei Personen, die in nicht-eingetragenen Partnerschaften leben am
höchsten. Allerdings unterschieden sich die Ja-/nein-Anteile nicht wesentlich
von den übrigen Personen in der Restgruppe. Das ist bei verwitweten Personen genau umgekehrt, denn sie sind am stärksten für die CVP-Initiative ohne
dass sich schon überdurchschnittlich viele feste Meinungen ausgebildet hätten.
Grafik 35
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Betroffenheit: Initiative gegen Heiratsstrafe
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Initiative gegen die Heiratsstrafe abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür,
eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
bestimmt dagegen
9
8
11
18
13
eher dagegen
10
29
25
weiss nicht/keine
Antwort
eher dafür
43
34
bestimmt dafür
verheiratet/eingetragene Partnerschaft
Rest
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
43
Ein letzter signifikanter Unterschied findet sich in den Stimmabsichten nach
Sprachregionen: Während die Zustimmung im Tessin und abgeschwächt auch
in der Deutschschweiz gefestigt und mehrheitlich für die Initiative ausfällt, ist
die Unsicherheit in der französischen Schweiz grösser. Zwar wollen auch Romands zu 56 Prozent ein "Oui" zur Abschaffung der Heiratsstrafe einlegen, das
"Si" aus dem Tessin ist aber mit 76 Prozent klar wuchtiger, ebenso wie das "Ja"
aus der Deutschschweiz (68%). Zudem finden sich in der Westschweiz in der
Ausgangslage die meisten Unentschiedenen. Auffallend ist die bereits frühe
und hochgradige Entschlossenheit der Tessinerinnen und Tessiner. Bereits 59
Prozent von ihnen kennen eine bestimmte Entscheidung für (56%) respektive
am Rande auch gegen (3%) diese Initiative. Das entspricht einer ungewohnt
frühen Meinungsbildung in der italienischen Schweiz.
Grafik 36
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Sprachregion: Initiative gegen Heiratsstrafe
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Initiative gegen die Heiratsstrafe abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür,
eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
12
9
14
10
3
5
bestimmt dagegen
16
eher dagegen
11
20
20
26
weiss nicht/keine
Antwort
31
56
eher dafür
42
25
DCH
FCH
bestimmt dafür
ICH
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
Die zweite hier untersuchte räumliche Grösse, die Siedlungsart, erweist sich
bisher als irrelevant, denn vom Land über die kleinen und mittleren Agglomerationen bis in die Städte sprechen sich ähnlich grosse Mehrheiten für die Abschaffung der Heiratsstrafe aus (70%, 65%, 65% eher/bestimmt dafür).
Bemerkenswert ist, dass von den untersuchten sozioökonomischen Grössen
keine für die Haltung zur Initiative gegen die Heiratsstrafe relevant ist. Weder
die Schulbildung, noch das Haushaltseinkommen erweisen sich als signifikant
spaltende Grössen. Möglich, dass der Abstimmungskampf hier noch eine Polarisierung herbeizuführen mag, denn just das Einkommen wird von Gegnern wie
Befürwortern als Kampagnenargument ins Feld geführt.
Erstaunen mag zudem, dass in soziodemografischer Hinsicht zumindest bisher
keine Spaltungen zu Tage treten; Jung und Alt, Mann und Frau alle sind mehrheitlich und auf ähnlichem Niveau für die Initiative.
Eindeutig ist somit aktuell kaum eine Konfliktlinie, die parteipolitische Aufladung
der Stimmabsicht zur CVP-Initiative dürfte sich mit anziehendem Abstimmungskampf etwas verschärfen, ebenso die Betroffenheitsstrukturen der Zustimmung. Auffällig und zu betonen ist allerdings, die über Prädispositionen,
sämtliche Untergruppen und räumliche Grenzen hinweg vorhandene mehrheitliche Zustimmung zu dieser Vorlage.
44
Tabelle 11
Konfliktlinien: VI gegen Heiratsstrafe
Konflikt
Signifikanz
Ja ++
Nein ++
Unschlüssigkeit ++
Parteibindung
sig.
CVP, SVP
GPS, SP, (FDP), (Parteiungebundene)
(GPS), (SP), (Parteiungebundene)
Sprachregion
sig.
(DCH), ICH
(FCH)
FCH, (ICH)
Zivilstand
sig.
(verheiratet),
verwitwet
ledig,
geschieden,
lebt mit PartnerIn (nicht eingetragene Partnerschaft)
ledig
Siedlungsart
n.sig.
Schulbildung
n.sig.
HH-Einkommen
n.sig.
Geschlecht
n.sig.
Alter
n.sig.
Regierungsvertrauen
n.sig.
Lesebeispiel: Aufgeführte Untergruppen weichen mehr als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab.
Untergruppen in Klammern weichen weniger als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab.
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
3.2.3 Argumententest
Aufschlussreich ist die Analyse der Argumente für und gegen die Initiative gegen die Heiratsstrafe, denn sie liefert einen Eindruck davon, inwiefern die aktuelle Ja-Mehrheit inhaltlich abgestützt ist.
So zeigt sich relativ deutlich, dass die Initianten und Initiantinnen ein Problem
aufgegriffen haben, das weite Teile der Stimmberechtigten mit fester Teilnahmeabsicht auch als relevant erachten. Insbesondere das UngerechtigkeitsArgument wird breit akzeptiert (83 eher/voll einverstanden). Nur gerade 11 Prozent widersprechen der Aussage, dass es doppelt ungerecht sei, wenn zwei
Personen durch eine Heirat mehr Steuern bezahlen und weniger Rente erhalten, als wenn sie nicht verheiratet wären.
Dass Heiraten durch die Abschaffung der Ehestrafe generell wieder attraktiver
werde, befürworten 54 Prozent der Teilnahmewilligen, allerdings widersprechen in dieser Frage 38 Prozent.
45
Grafik 37
Filter Pro-Argumente zur Initiative gegen Heiratsstrafe
"Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Initiative gegen die Heiratsstrafe
immer wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie damit voll einverstanden, eher
einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden sind."
Dopppelbesteuerung ungerecht "Es ist doppelt ungerecht, wenn zwei Personen durch eine Heirat mehr Steuern zahlen und
weniger Rente erhalten, als wenn sie nicht verheiratet wären."
Heiraten attraktiver "Die Initiative macht Heiraten wieder attraktiver."
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
Dopppelbesteuerung ungerecht
62
Heiraten attraktiver
28
21
26
voll einverstanden
eher einverstanden
eher nicht einverstanden
überhaupt nicht einverstanden
8
6
24
6
5
14
weiss nicht/keine Antwort
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
Weniger breit aber ebenso mehrheitlich fällt die Unterstützung gegnerischer
Argumente aus. Vor allem drohende Steuereinbussen bei einer Annahme der
Initiative überzeugen 63 Prozent der Teilnahmewilligen. Für eine relative Mehrheit (49%) ist darüber hinaus die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare
problematisch. Immerhin 37 Prozent sehen diesen Umstand der Diskriminierung allerdings nicht als gegeben an.
Grafik 38
Filter Contra-Argumente zur Initiative gegen Heiratsstrafe
"Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Initiative gegen die Heiratsstrafe
immer wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie damit voll einverstanden, eher
einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden sind."
Steuereinbussen "Die Annahme der Initiative führt zu Steuereinbussen."
diskriminiert gleichgeschlechtliche Paare "Die enge Definition von Ehe diskriminiert gleichgeschlechtliche Paare."
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
Steuereinbussen
diskriminiert
gleichgeschlechtliche
Paare
29
26
34
23
10
14
voll einverstanden
eher einverstanden
eher nicht einverstanden
überhaupt nicht einverstanden
16
18
11
19
weiss nicht/keine Antwort
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
Übergreifend fällt auf, dass die Meinungen zu den Argumenten relativ gefestigt
erscheinen, denn die Mehrheiten sind mit einer Ausnahme eindeutig, und es
46
finden sich verhältnismässig wenige unentschiedene Voten zu den vier getesteten Botschaften. Beides spricht für ein erhöhtes Mass an Prädisponierung in
Fragen der Heiratsstrafe.
Führt man sich nämlich die Regressionsanalyse vor Augen, wird deutlich, wo
die Sympathien dem Anliegen gegenüber wirksam begründet liegen. Das Gesamtbild ist dabei klar: In der Ausgangslage dominiert die Pro-Seite auch argumentativ, denn zwei von drei auf einen Stimmentscheid wirksamen Argumente
helfen der Pro-Seite.
Die linke Contra-Botschaft der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare,
erzeugt ihre intendierte Wirkung, jedoch nur schwach, denn die Mehrheitsverhältnisse fallen in dieser Frage nur knapp aus. Das Kron-Argument der gegnerische Kampagne und der medialen Berichterstattung zur Vorlage bewegt sich
damit im Grenzbereich statistischer Relevanz. Und das gegnerische Argument
der Steuereinbussen ist zwar weitum akzeptiert, entfaltet jedoch zumindest
bisher keine Wirkung auf die Stimmabsicht.
Durch die Argumente erklärt werden können aktuell 24 Prozent eines
Stimmentscheids, was in dieser frühen Kampagnenphase einem tiefen bis
mittleren Wert entspricht. Anzufügen ist relativierend, dass der Erklärungswert
eines jeden Modells jedoch schon nur dadurch ansteigt, dass man zusätzliche
Variablen (hier Argumente) in das Modell aufnimmt. Von diesem Standpunkt
aus ist der hier festgehaltene Wert nicht direkt mit jenem zu den anderen drei
Vorlagen zu vergleichen, wo mindestens sechs Botschaften getestet wurden.
Grafik 39
Filter Regressionsanalyse persönliche Stimmabsicht
zur Initiative gegen Heiratsstrafe
Filter: Stimmberechtigte, die bestimmt teilnehmen wollen
Ja
Nein
Doppelbesteuerung ungerecht
Heiraten attraktiver
diskriminiert gleichgeschlechtliche Paare
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), R2 = 0.237
Erläuterung: Die eingesetzte Methode der linearen Regression beschreibt das Vorhandensein des Einflusses von unabhängigen Variablen – hier der
Pro- und Contra-Argumente – (in abnehmender Reihenfolge) auf eine abhängige Variable – den Stimmentscheid. Anhand der Farbe lässt sich
2
unterscheiden, ob ein Element eher zu einer Ja-Stimmabgabe (blau) oder zu einer Nein-Stimmabgabe (orange) geführt hat. Das R gibt Auskunft
darüber, wie erklärungskräftig ein Modell ist – je näher der Wert bei 1 liegt, desto grösser ist der Anteil der Varianz in der abhängigen Variable, der
mit den unabhängigen Variablen erklärt wird. Argumente, welche in der Grafik nicht erscheinen, haben keinen Einfluss. Argumente mit dem
Wortzusatz "Ablehnung zu" werden mehrheitlich verneint. Entsprechend sind solche Argumente in die andere Richtung eingefärbt und erhalten
besagten Zusatz. Die schwarze Linie in der Mitte der Abbildung bezeichnet den Median. Befindet sich ein Argument genau auf der Mitte der Linie,
bedeutet dies, dass 50 Prozent der Befragten einverstanden mit dem Argument sind, während die anderen 50 Prozent nicht einverstanden mit
dem Argument sind ('weiss nicht'-Angaben werden dafür ausgeklammert). Je weiter das Kästchen nach links oder rechts von der 50-Prozentlinie
abweicht, desto grösser ist die einseitige Beurteilung des betreffenden Arguments. Der rote Punkt dient als Lesehilfe, er markiert jeweils die Mitte
des Kästchens.
47
Die Pro-Botschaft, dass die Doppelbesteuerung ungerecht sei, findet über alle
Parteienlager hinweg Zustimmung. Das Argument, dass Heiraten durch die
Abschaffung der Heiratsstrafe wieder attraktiver werden, überzeugt hingegen
nur Mitte-rechts und Parteiungebundene, nicht aber Teilnahmewillige mit Sympathien für die SP oder die GPS.
Die Zustimmung zu den Contra-Botschaften ist diffuser: Die Diskriminierung
gleichgeschlechtlicher Paare akzeptieren ausser jene der SVP alle Parteiwählerschaften mehrheitlich. Wirksam auf einen Stimmentscheid erweist es sich
allerdings nur bei Teilnahmewilligen mit Affinität zur GPS oder zur CVP und bei
beiden Parteien befördert die Zustimmung zu diesem Argument eine Ablehnung der Initiative. Das Argument der Steuereinbussen wird gar von allen Parteiwählerschaften mehrheitlich geteilt, Wirkung entfaltet es jedoch nur im FDPUmfeld.
Nachfolgende Grafik fasst diese Befunde zusammen, denn sie weist nach Parteiwählerschaften aufgespaltet neben dem Ja-Potenzial gemessen an Stimmabsichten auch das argumentative Ja-Potenzial der Vorlage aus, gemessen
anhand eines indexierten Wertes der Argumente.2
Insgesamt relativiert die Index-Analyse den Pro-Überhang in der Ausgangslage
etwas, denn das argumentative Ja-Potenzial liegt tiefer (53%) als das faktische
(67%) gemessen am Stimmentscheid.
Grafik 40
Filter Zustimmung zur Initiative gegen Heiratsstrafe und
Index Argumente nach Parteien
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
80
73
62
55
Index Argumente
Ja+/Nein62
56
61
53
54
53
67
38
41
42
Total
bestimmt
teilnehmende
Parteiungebundene
SVP
FDP
CVP
SP
GPS
Stimmabsicht
bestimmt/eher dafür
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
Erläuterung: Beim Argumentenindex werden die Argumente aufgrund ihrer Bedeutung für die Stimmabsicht recodiert. Dabei wird die Zustimmung
(sehr/eher einverstanden) zu den Pro-Argumenten und die Ablehnung zu den Contra-Argumenten (sehr/eher nicht einverstanden) als positiv
definiert, die Ablehnung (sehr/eher nicht einverstanden) zu den Pro-Argumenten und die Zustimmung (sehr/eher einverstanden) zu den ContraArgumenten als negativ definiert. Keine inhaltliche Nennung (weiss nicht/keine Antwort) bei den Argumenten wird als Null definiert. Dies wird für
jedes Argument berechnet und danach summiert. Entsteht eine positive Summe, liegt ein Überhang zur argumentativen Zustimmung vor, liegt eine
negative Summe vor, eine argumentative Ablehnung. Eine summierte Null bedeutet neutral. Der ausgewiesene Wert ist der positive Überhang zu
den Argumenten.
2
Analytisch gesehen ist es wenig wahrscheinlich, dass ein Argument für alle Bürger und Bürgerinnen massgeblich ist. Daher wird die indexierte Version aller Argumente beigezogen, welche die
Argumente nicht hinsichtlich ihrer Wirkung gewichtet, sondern die mittlere Nähe einer Person zu
allen Argumenten bilanziert.
48
Am stärksten klaffen die Werte bei CVP-affinen Teilnehmenden und Parteiungebundenen auseinander. Anders formuliert liegt das argumentative JaPotenzial innerhalb der Wählerschaft der CVP deutlich unter dem faktischen, so
dass hier die Parolentreue der Wählerschaft entscheidend werden dürfte.
Bei Parteiungebundenen ist zwar die Differenz etwas geringer, es resultieren
jedoch unterschiedliche Mehrheiten: Parteiungebundene gaben in der Ausgangslage an, Ja stimmen zu wollen, sie stehen jedoch aufgrund ihrer Haltungen zu den Argumenten der Vorlage der Contra-Seite näher.
Im Einklang im Ja stehen die Stimmabsichten und Haltungen der bürgerlichen
Wählerschaften von FDP und SVP.
Luft nach unten existiert im linken Spektrum, denn wie bei Parteiungebunden
sind bei SP- und GPS-affiner Wählerschaft die Haltungen und Stimmabsicht
nicht im Einklang: Man gibt an Ja stimmen zu wollen, obwohl man argumentativ ein Gegner der Vorlage ist. Auch in diesem Wählerumfeld wird letztlich
Überzeugungsarbeit und Parolentreue – also der Abstimmungskampf - entscheiden.
3.2.4 Szenarien der weiteren Meinungsbildung
Was bedeutet dies nun für die Initiative gegen die Heiratsstrafe?
Es bedeutet erstens, dass dem Anliegen grundsätzlich grosse Sympathien entgegengebracht werden und diese argumentativ breit geteilt werden. Diese
argumentative Zustimmung zur Initiative liegt zweitens allerdings quasi durchs
Band tiefer als die faktische und sie ist drittens lediglich bei Wählerschaften
von CVP, FDP, SVP und bei Parteiungebundenen im Einklang mit den Stimmabsichten.
Die Überlegungen und Haltungen zu konkreten Auswirkungen und Inhalten der
Initiative sind in der Ausgangslage noch wenig kritisch, so dass wir eine typische Ausgangssituation für Initiativen vorfinden: Das Problembewusstsein ist
prädisponiert, nicht aber unbedingt die Lösungspräferenz, da sich diese erst im
Verlauf eines Meinungsbildungsprozesses auf die Entscheidungsabsichten
auswirkt. Entscheidend wird letztlich sein, wie gut es der Gegnerschaft gelingt,
ihre Argumente zu platzieren und Zweifel an der Lösung zu streuen, denn die
Ungerechtigkeit des Status quo ist nicht wirklich umstritten.
Das weitum akzeptierte Contra-Argument der drohenden Steuerausfälle scheint
als gegnerisches Kampagnenargument geeignet und hätte am ehesten das
Potenzial, den Nein-Anteil zur Initiative zu steigern. Allerdings zeigt die Regressionsanalyse der Argumente, das just dieses Argument bisher keine Wirkung
auf einen Stimmentscheid entfaltete.
Besonders im Auge zu behalten ist in diesem Kontext die Entwicklung der
Stimmabsichten im linken politischen Spektrum, aber auch bei der FDP und bei
Parteiungebundenen. Findet wählerseitig eine Angleichung an die Haltungen
der Parteieliten respektive an die Kampagnenargumente statt, wird der NeinAnteil unweigerlich steigen. Allerdings hat die Initiative Strahlkraft im rechten
Spektrum, namentlich bei der SVP. Damit es allerdings zum Abstimmungserfolg reicht, müssten auch die Parteiungebundenen bei der Stange gehalten
werden können.
Entsprechend formulieren wir zwei generelle Hypothesen zu den möglichen
Trends in der Meinungsbildung zur CVP-Initiative gegen die Heiratsstrafe:
Der Normalfall besteht darin, dass die Vorlage vor dem Abstimmungskampf in
der Bevölkerungsgunst besser abschneidet; mit der Behandlung durch die
Gegnerschaft aber steigt der Nein-Anteil, meist sinkt auch die Zustimmung.
Hauptgrund ist die veränderte Intensität der öffentlichen Verhandlung, denn
diese schwillt mit den Abstimmungskampagnen an. Hinzu kommt, dass sich
49
damit meist ein Fokuswandel einstellt: Vom Problem verlagert sich die Meinungsbildung hin zur Lösung des Problems.
In Ausnahmefällen funktioniert dieser erprobte Mechanismus des Meinungswandels zu Volksinitiativen nicht. Das ist namentlich dann der Fall, wenn es zu
einer Protestabstimmung kommt. Die Symbolik der Entscheidung ist dann
wichtiger als ihre Konsequenzen. Gegenüber den Behörden soll, in einem meist
tabuisierten Bereich, ein klares Zeichen gesetzt werden.
Zwei Umstände in unseren Abklärungen sprechen für einen gewissen Meinungsdruck, der den Sonderfall der Meinungsbildung auslösen kann, aber noch
längst nicht muss: Die Argumente und die Stimmabsichten sprechen in der
Ausgangslage für die Initiative und stehen der behördlichen Meinungsbildung
somit entgegen. Zudem ist der Ausgangwert der Zustimmung für eine Initiative
doch sehr hoch, so dass es selbst wenn der Regelfall eintritt, reichen könnte.
Denkbar ist jedoch auch, dass sich die Ja-Mehrheit halten kann, womit die Initiativurheberschaft ein relevantes Problem aufs Tapet gebracht hätte.
Die Entscheidungsfindung zur Volksinitiative gegen die Heiratsstrafe ist aus
schwer einzuschätzen und muss bis zum Vorliegen der Daten der zweiten Welle vorerst offen gelassen werden.
Tabelle 12
Indikatoren der Einschätzung der VI gegen Heiratsstrafe
Parlalament
Parolen
Erwartung
Stimmende
Index
Argumente
dagegen
NR:
56%
SR:
56%
SP,
GPS,
GLP,
FDP
-
30%
21%
Normalszenario mit
Zunahme Nein
dafür
NR:
44%
SR:
44%
CVP,
EVP,
EDU
-
53%
67%
Spezialfall mit
Stagnation Ja oder
Polarisierung
Ausprägung
Insgesamt
Erklärung
Argumente
R2
24%
Stimmabsichten
Prädisponierung
Trenderwartung
Dispositionsansatz
56%
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
Das Regelfall-Schicksal blühte der inhaltlichen Referenzvorlage, der CVPFamilieninitiative von vergangenem Jahr (siehe Einleitung). Während eine
Mehrheit der Befragten in der ersten SRG-Trend-Umfrage vor Beginn des Abstimmungskampfes bestimmt oder eher für die CVP-Familieninitiative stimmen
wollten (52%), verlief die anschliessende Meinungsbildung kontinuierlich im
Sinne der Initiativgegner (2. SRG-Trend-Umfrage: 40% eher/bestimmt dafür,
Resultat Abstimmung: 24.6% Ja).
Gerade die Abstimmung über den Familienartikel zeigte allerdings mit ihrem
Auseinanderklaffen von Volks- und Ständemehr, dass ein gewisser Meinungsdruck oder Handlungsbedarf in Sachen Familienpolitik und vielleicht eben auch
in Fragen der Besteuerung von Ehepartnern nicht von der Hand gewiesen werden kann, weshalb wir auch das zweite Szenario in der Ausgangslage als möglich erachten. Dieses Szenario ist auch vor dem Hintergrund des argumentativen Ja-Überhangs nicht von vorneherein auszuschliessen.
50
Grafik 41
Positiv prädisponierte Initiative ohne Mehrheitswandel, Annahme
Positiv prädisponierte Initiative mit Mehrheitswandel, Ablehnung
in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht
in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht
Vor der Kampagne
Abstimmungstag
Nein
Nein
Unentschieden
Unentschieden
Ja
Ja
Vor der Kampagne
Abstimmungstag
 gfs.bern, Campaigning
 gfs.bern, Campaigning
3.2.5 Stichworte für die Berichterstattung

potenzielle Mehrheitsinitiative von rechts (bürgerlich-konservativ)

mittelstark fortgeschrittene Meinungsbildung

ungerechte Doppelbesteuerung populärstes und wirksamstes Argument
auf der Ja-Seite

Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare bisher wirksamstes NeinArgument, jedoch nicht gesichert mehrheitsfähig

Polarisierungsgrad bisher gering

erste Stimmabsichten vor allem bei Parteiungebundenen und im rotgrünen Lager argumentativ wenig abgestützt

Ja-Vorsprung erheblich, Hauptkampagnen folgen jedoch erst

Ausgang bisher schwer abschätzbar
51
3.3
Volksinitiative "Zur Durchsetzung der
Ausschaffung krimineller Ausländer"
3.3.1 Vorläufige Stimmabsichten
Zum Zeitpunkt der Befragung fand sich mit 51 Prozent der bestimmt teilnahmewilligen Stimmberechtigten eine knappe Mehrheit für die Initiative "Zur
Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer". Diese Gruppe teilt sich
in 31 Prozent bestimmt und 20 Prozent eher Befürwortende. Die Gegnerschaft
bringt es auf 42 Prozent der bestimmt Teilnahmewilligen. Auch hier sind 31
Prozent bestimmt dagegen; diejenigen, die eher im Nein sind, machen 11 Prozent aus.
Grafik 42
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016:
Durchsetzungsinitiative
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür,
eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
bestimmt dagegen
31
bestimmt dafür
31
eher dagegen
11
weiss nicht/keine
Antwort
7
eher dafür
20
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
Der Stand der Meinungsbildung ist eher fortgeschritten, denn bereits 62 Prozent haben eine feste Stimmabsicht, und es sind nur 7 Prozent, die zwar teilnehmen möchten, aber noch nicht wissen, wie sie stimmen wollen. Eine tendenzielle Stimmabsicht haben 31 Prozent der jetzt Teilnahmewilligen geäussert.
Von allen vier Vorlagen weist die Durchsetzungsinitiative den am weitesten
fortgeschrittenen Stand der Meinungsbildung auf. Ganz überraschend kommt
dies nicht, denn die Kontroverse begann 2007 und hält seither an; zudem wurde 2010 über die Ausschaffungsinitiative abgestimmt, auf die sich die neue
Vorlage direkt bezieht.
Bilanziert man die aktuelle Ausgangslage, starten die Initianten mit einem Vorteil in die Hauptphase des Abstimmungskampfes. Ihr Vorsprung beträgt 9 Prozentpunkte. Der Anteil über 50 Prozent liegt aber im Stichprobenfehler. Im
Normalfall ist zudem davon auszugehen, dass das Nein steigt und das Ja abnimmt. Eine gesicherte Ja-Mehrheit ergibt das nicht.
52
Im aktuellen Fall kommt hinzu, dass das Ergebnis unüblich stark von der Beteiligungsabsicht abhängt. Würden sich nicht nur jene beteiligen, die heute sagen
bestimmt teilnehmen zu wollen, sondern auch jene, die das eher machen könnten, würde der Ja-Wert auf 57 Prozent für bestimmt und eher dafür ansteigen,
und der Nein-Anteil, derjenigen, die bestimmt oder eher dagegen sind, würde
auf 36 Prozent sinken.
Grafik 43
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016:
Durchsetzungsinitiative
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür,
eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt oder eher teilnehmen wollen
bestimmt dagegen
25
bestimmt dafür
29
eher dagegen
11
weiss nicht/keine
Antwort
7
eher dafür
28
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 1097)
Dieses Szenario stellt bei Volksinitiativen die Ausnahme dar. Es kommt aber
vor, wenn das Votum einen eigentlichen Protestcharakter bekommt, sprich auf
die Mobilisierung unzufriedener Bürgerinnen und Bürger setzt. Das ist in den
letzten 6 Jahren bei Volksinitiativen aus dem rechten Lager mehrfach vorgekommen, so bei der Minarettinitiative, aber auch 2014 bei der Masseneinwanderungs- und Pädophileninitiative. Nicht gespielt hat dieser Effekt bei der Ecopop-Vorlage, denn hier nahm die Zustimmungsbereitschaft gegen Ende nochmals ab. Tendenziell war dies auch bei der Ausschaffungsinitiative der Fall: Hier
verringerte sich der zustimmende Anteil nach der ersten Umfrage um sechs
Prozentpunkte.
Die Stimmberechtigten merken, dass der Ausgang auf Messers Schneide ist.
Im Schnitt gehen sie selber von einer knappen Annahme aus. Das Mittel der
Schätzungen beträgt 54 Prozent Ja zu 46 Prozent Nein
Schon die Ausschaffungsinitiative wurde mit 53 Prozent Ja knapp, aber mehrheitlich angenommen. Die Prädisponierung der jetzigen Stimmabsichten durch
die damalige Entscheidung ist erheblich. So wollen 75 Prozent der damaligen
Gegnerschaft resp. der Befürwortenden erneut stimmen gehen. 80 Prozent der
Zustimmenden bei der Ausschaffungsinitiative würden wieder Ja stimmen,
während 81 Prozent der früheren Gegnerschaft nochmals dagegen votieren
würde.
Bewusst die Seite gewechselt haben 16 Prozent der früheren Befürwortenden
und 12 Prozent der Gegnerschaft der Ausschaffungsinitiative. Bei 4 resp. 7
Prozent reichen die Angaben nicht, um eine genauere Klassierung vorzunehmen.
53
Grafik 44
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Stimmabgabe Ausschaffungsinitiative:
Durchsetzungsinitiative
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür,
eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
bestimmt dagegen
9
7
4
eher dagegen
29
65
weiss nicht/keine
Antwort
51
16
eher dafür
7
8
4
JA-Stimmende Ausschungsinitiative
bestimmt dafür
NEIN-Stimmende Ausschungsinitiative
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
Am meisten Wechsler zwischen 2010 und heute hat es eindeutig bei der FDP,
am wenigsten bei der SVP. Unterdurchschnittlich ist der Anteil auch bei der SP,
über dem Mittel bei der CVP. Genau im Schnitt befinden sich die Parteiungebundenen. Das spricht dafür, dass die relevante Meinungsbildung heute im
Umfeld der bürgerlich-liberalen Mitte stattfindet.
3.3.2 Vorläufiges Konfliktmuster
Das Konfliktmuster bei der Durchsetzungsinitiative ist vorwiegend politischer
Natur. Zuerst unterscheiden sich die Stimmabsichten nach Parteibindung. Dann
variieren sie entlang des Regierungsvertrauens/-misstrauens.
An der Basis der SVP wollen 89 Prozent der zufällig ausgewählten Befragten
bestimmt oder eher Ja stimmen. Das sind 38 Prozentpunkte mehr als der
Schnitt.
Den Gegenpol bilden die SP-Wählenden, bei denen 76 Prozent die Vorlage ablehnen wollen. Auch das sind 34 Prozentpunkte mehr als das Mittel. Bei den
Grünen sind 71 Prozent auf der Nein-Seite, und bei der CVP sind es 55 Prozent.
Am nächsten bei der SVP finden sich die Parteiungebundenen, denn hier sprechen sich heute 57 Prozent für die Durchsetzungsinitiative aus. Bei der FDP
schliesslich sind die Verhältnisse gespalten. 46 Prozent würden heute Ja sagen, 42 Prozent Nein.
54
Grafik 45
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Parteibindung: Durchsetzungsinitiative
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür,
eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
4
3
4
bestimmt dagegen
21
28
19
45
59
14
62
14
8
12
10
weiss nicht/keine
Antwort
7
34
12
30
14
70
eher dafür
25
12
eher dagegen
7
8
14
3
GPS
9
13
16
SP
CVP
FDP
23
bestimmt dafür
SVP
Parteiungebundene
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
Wer dem Bundesrat misstraut, ist zu 73 Prozent für die Durchsetzungsinitiative.
Wer Vertrauen hat in die Arbeit der Behörden würde heute zu 53 Prozent Nein
sagen. Bürgerinnen und Bürger zwischen den Polen sind zu 50 Prozent auf der
Ja-Seite, zu 38 Prozent im Nein-Lager anzutreffen.
Grafik 46
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Regierungsvertrauen: Durchsetzungsinitiative
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür,
eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
13
25
40
bestimmt dagegen
8
6
eher dagegen
13
24
13
7
12
weiss nicht/keine
Antwort
9
eher dafür
20
41
49
20
Vertrauen
bestimmt dafür
weiss nicht/keine Antwort
Misstrauen
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
55
Politisch gesprochen, besteht damit eine mehrheitliche Zustimmung an der
Basis der SVP, bei den Parteiungebundenen und den Personen mit Behördenmisstrauen. Mitte/Links ist mehrheitlich dagegen, ebenso die Bürgerinnen und
Bürger mit Behördenvertrauen. Am wenigsten klar ist die Position der FDPWählenden, die sich irgendwo zwischen den skizzierten Blöcken befindet.
Der Polarisierungsgrad ist erheblich. Die Differenz zwischen SVP und SP beträgt im Ja-Anteil 72 Prozentpunkte, im Nein 69 Prozentpunkte. Damit sind die
Wahrnehmung und Bewertung der Vorlage fast vollständig konträr.
Kontrolliert man auch hier die Effekte einer erhöhten Beteiligung, erhöht sich
die Zustimmung überall ausser bei der SVP-Wählerschaft. Am grössten wäre
der Sprung mit +14 Prozentpunkten an der Basis der Grünen, während die Zunahme in der Wählerschaft der CVP +13 Prozentpunkte betrüge. Bei der SP
würde der Ja-Anteil um 7 Prozentpunkte steigen, bei der FDP und den Parteiungebundenen um je 5 Prozentpunkte.
Mit anderen Worten: Ein Teil des Zustimmungspotenzials versteckt sich hinter
der unsicheren Teilnahme. Es ist für das stärker ablehnende Mitte/Links-Lager
typisch. Wenn die Beteiligung gerade hier steigen würde, wäre das für die JaSeite von Vorteil.
Genau das gleiche können wir beim Regierungsvertrauen festhalten. Denn
auch hier stiege die Zustimmung bei den Vertrauenden um 9 Prozentpunkte,
bei den Misstrauenden aber nur um 1 Prozentpunkt.
Der Meinungsdruck gegen die Vorlage, der im Abstimmungskampf medial und
werberisch entstanden ist, hat demnach weder zu einer Wahrnehmungsänderung der Stimmberechtigten hinsichtlich der (vermuteten) Mehrheitsverhältnisse geführt, noch die Meinungsbildung der bestimmt Teilnahmewilligen beeinflusst. Er bewirkt aber, dass ein Teil, der mit seiner persönlichen Meinung gegen die Behörden- und Parteimeinung steht, sich vorerst nicht äussern würde.
Loyalität zu politischen Akteuren geht hier vor. Wo dies nicht der Fall ist, profitiert die Ja-Seite jetzt schon. Nicht auszuschliessen ist, dass der Prozess anwächst, etwa wenn im offiziell ablehnenden Lager von FDP bis GPS dissidente
Kantonalparteien, Jungparteien oder Politiker auftreten sollten.
Räumlich gesehen, variiert die Zustimmung vor allem nach Sprachregion. Am
höchsten ist der gegenwärtige Ja-Anteil in der italienischsprachigen Schweiz.
65 Prozent befürworten hier bestimmt oder eher die Durchsetzungsinitiative. In
der französisch- und deutschsprachigen Schweiz sind es je 51 Prozent.
In der Romandie ist die Meinungsbildung mit nur 42 Prozent, die entweder
bestimmt dafür oder dagegen sind, am wenigsten fortgeschritten. Am deutlichsten profiliert sind die Stimmabsichten dagegen in der deutschsprachigen
Schweiz, denn da haben 66 Prozent eine feste Stimmabsicht.
56
Grafik 47
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Sprachregion: Durchsetzungsinitiative
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür,
eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
bestimmt dagegen
22
18
33
7
16
10
11
21
eher dagegen
11
5
weiss nicht/keine
Antwort
18
31
eher dafür
44
33
20
DCH
FCH
bestimmt dafür
ICH
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
Sollte die Beteiligung stark ansteigen, würde die Zustimmung in der lateinischen Schweiz steigen. Am meisten profitieren könnte die SVP-Initiative im
Tessin (+10 Prozentpunkte), gefolgt von der Romandie (+9 Prozentpunkte). In
der deutschsprachigen Schweiz wäre die Veränderung statistisch nicht relevant.
Grafik 48
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Siedlungsart: Durchsetzungsinitiative
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür,
eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
bestimmt dagegen
28
31
32
eher dagegen
10
7
16
10
8
14
6
18
26
39
eher dafür
33
22
ländlich
weiss nicht/keine
Antwort
kleine/mittlere Agglomeration
bestimmt dafür
grosse Agglomeration
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
57
Knapp signifikant sind die Unterschiede entlang der Siedlungsart. So sind 55
Prozent der Landbewohnerinnen und -Bewohner bestimmt oder eher dafür,
während es in kleinen und mittleren Agglomerationen 51 und in grossen 48
Prozent sind. Auf dem Land ist die Meinungsbildung mit 67 Prozent fest Entschiedenen am weitesten fortgeschritten, in den grossen Agglomerationen ist
mit 54 Prozent vergleichsweise noch einiges möglich.
Soziologisch gesprochen, unterscheiden sich die Stimmabsichten vor allem
entlang der Schichtzugehörigkeit. So sind 63 Prozent der Teilnahmewilligen,
welche die obligatorische Schule als höchsten Abschluss angeben, für die
Durchsetzungsinitiative. Bei den Abgängerinnen und Abgänger einer Berufsschule sind es 59 Prozent. Dem stehen 50 Prozent mit Nein-Tendenz gegenüber, wenn es sich um Bürgerinnen und Bürger mit einem tertiären Schulabschluss handelt.
Grafik 49
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Schulbildung: Durchsetzungsinitiative
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür,
eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
14
bestimmt dagegen
23
39
15
8
6
13
17
50
tief
eher dagegen
12
11
7
weiss nicht/keine
Antwort
24
eher dafür
19
bestimmt dafür
42
mittel
hoch
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
Ein ähnliches Muster findet man auch entlang des Haushaltseinkommens.
Denn die klarste Zustimmung findet die Vorlage mit einem denkbaren Ja-Anteil
von 67 Prozent bei einem Einkommen von weniger als 3000 CHF monatlich.
Mit 58 Prozent ist die Ablehnungstendenz bei einem Haushalteinkommen von
9 bis 11000 CHF am grössten. Dazwischen ist die Entwicklung fast linear. Nur
bei der höchsten Einkommensklasse nimmt die Zustimmungsbereitschaft
nochmals etwas zu.
58
Grafik 50
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Haushaltseinkommen: Durchsetzungsinitiative
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür,
eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
bestimmt dagegen
22
33
7
4
6
30
31
31
37
eher dagegen
10
5
10
11
8
10
13
10
27
6
1
23
18
25
61
weiss nicht/keine
Antwort
23
eher dafür
39
29
bis CHF 3000
CHF 3-5000
23
CHF 5-7000
CHF 7-9000
29
18
CHF 9-11 000
über
CHF 11 000
bestimmt dafür
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
Schwach signifikant ist die Abhängigkeit der Stimmabsichten vom Alter. Bei
den unter 40 Jährigen befürworten 55 Prozent die Durchsetzungsinitiative. Bei
den Rentenbezügern sind es 48 Prozent. Nicht signifikant sind die Stimmabsichten, wenn man nach dem Geschlecht unterscheidet.
Bei den Männern wollen 52 Prozent Ja-sagen, bei den Frauen 51 Prozent. Bei
ihnen ist einzig die Unschlüssigkeit (wie fast immer) etwas höher.
Grafik 51
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Alter: Durchsetzungsinitiative
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür,
eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
bestimmt dagegen
24
30
36
eher dagegen
9
12
13
11
6
25
22
5
weiss nicht/keine
Antwort
14
eher dafür
30
29
34
bestimmt dafür
18-39-Jährige
40-64-Jährige
65+-Jährige
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
59
Alle Abklärungen zu Merkmalsgruppen sind in der nachstehenden Übersicht
zusammengefasst:
Tabelle 13
Konfliktlinien: Durchsetzungsinitiative
Konflikt
Signifikanz
Ja ++
Nein ++
Unschlüssigkeit ++
Parteibindung
sig.
SVP, Parteiungebundene
GPS, SP, CVP
(GPS), (FDP), (Parteiungebundene)
Sprachregion
sig.
ICH
(DCH)
(FCH), (ICH)
Siedlungsart
sig.
(ländlich)
(grosse Agglomeration)
(kleine/mittlere Agglomeration)
Schulbildung
sig.
tief, mittel
hoch
(tief)
HH-Einkommen
sig.
bis CHF 3000,
(CHF 3-5000),
(CHF 5-7000)
(CHF 3-5000),
CHF 9-11000,
(über CHF 11000)
(CHF 7-9000)
Geschlecht
n.sig.
Alter
sig.
(18- bis 39-Jährige)
(40- bis 64-Jährige)
18- bis 39-Jährige
Regierungsvertrauen
sig.
Misstrauen
Vertrauen
(weiss nicht/keine Antwort)
Lesebeispiel: Aufgeführte Untergruppen weichen mehr als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab.
Untergruppen in Klammern weichen weniger als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab.
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
Sie macht deutlich, dass politische Einstellungen, Raum- und Schichtzugehörigkeiten, beschränkt auch das Alter, die jetzigen Stimmabsichten prägen.
3.3.3 Argumententest
Beide Seiten verfügen über mindestens ein mehrheitsfähiges Argument. Auch
das ist ein Hinweis auf knappe Verhältnisse, die erst mit der Meinungsbildung
(und Mobilisierung) im Abstimmungskampf entschieden werden.
Im Ja Lager handelt es sich dabei um die Ausschaffung krimineller Ausländerinnen und Ausländer "ohne Wenn und Aber". Diese Position ist im Abstimmungskampf als Entgegnung zum Vorschlag von Nationalrat Vogt entstanden,
der sich etwa bei Secondos Ausnahmen vorstellen konnte. Unsere Umfrage
zeigt nun, dass 66 Prozent der Teilnahmewilligen mit der harten Linie voll oder
eher einverstanden sind. Nur 32 Prozent widersprechen ihr ausdrücklich.
Weniger populär sind die anderen getesteten Ja-Botschaften. So finden nur 44
Prozent, die von Regierung und Parlament vorgeschlagene Umsetzung sei nicht
im Einklang mit dem Volkswillen. 41 Prozent sind hier gegenteiliger Meinung.
Den Volkswillen höher als das Völkerrecht eingestuft, haben 43 Prozent; genau
die Hälfte widerspricht dem.
Bei einer erhöhten Beteiligung sinkt die Zustimmung und gleichzeitig steigen
alle Anteile an Einverständnis mit Argumenten, vor allem aber bei der bedingungslosen Ausschaffung krimineller Ausländerinnen und Ausländer.
60
Grafik 52
Filter Pro-Argumente zur Durchsetzungsinitiative
"Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Durchsetzungsinitiative immer
wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie damit voll einverstanden, eher einverstanden,
eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden sind."
kriminelle Ausländer ausschaffen "Kriminelle Ausländer gehören ohne Wenn und Aber ausgeschafft."
Umsetzung Ausschaffungsinitiative ≠ Volkswillen "Die vom Parlament beschlossene Umsetzung der Ausschaffungsinitiative
entspricht nicht dem Volkswillen."
Volkswille wichtiger als Völkerrecht "Der Schweizer Volkswille ist wichtiger als das Völkerrecht."
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
kriminelle Ausländer
ausschaffen
Umsetzung
Ausschaffungsinitiative ≠
Volkswillen
Volkswille wichtiger
als Völkerrecht
17
26
voll einverstanden
eher nicht einverstanden
19
22
15
23
21
16
16
2
22
44
30
20
7
eher einverstanden
überhaupt nicht einverstanden
weiss nicht/keine Antwort
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
68 Prozent der teilnahmewilligen Bürgerinnen und Bürger meinen, ein Ja zur
Durchsetzungsinitiative würde die laufenden Verhandlungen mit der EU erschweren. Da sind nur 26 Prozent gegenteiliger Meinung.
61 Prozent finden, das Parlament habe eine vernünftige Gesetzvorlage ausgearbeitet, die nun in Kraft treten solle. Ein Fünftel denkt in dieser Sache genau
umgekehrt.
52 Prozent sehen die SVP-Vorlage im Widerspruch zur Menschenrechtskonvention, weil sie keine Härtefallklausel hat. Hier ist ein Drittel anderer Meinung.
Grafik 53
Filter Contra-Argumente zur Durchsetzungsinitiative
"Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Durchsetzungsinitiative immer
wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie damit voll einverstanden, eher einverstanden,
eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden sind."
Verhandlungen mit EU schwieriger "Eine Annahme der Durchsetzungsinitiative macht die Verhandlungen mit der EU zur
Personenfreizügigkeit noch schwieriger."
vernünftige Gesetzesvorlage durch Parlament "Das Parlament hat eine vernünftige Gesetzesvorlage ausgearbeitet, die in
Kraft tritt, wenn die Durchsetzungsinitiative abgelehnt wird."
gegen Menschenrechtskonvention "Die Durchsetzungsinitiative verstösst gegen die Menschenrechtskonventionen weil sie
keine Härtefallklausel kennt."
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
Verhandlungen mit EU
schwieriger
vernünftige
Gesetzesvorlage durch
Parlament
gegen
Menschenrechtskonvention
voll einverstanden
eher nicht einverstanden
43
25
31
29
6
30
23
eher einverstanden
überhaupt nicht einverstanden
13
19
15
13
15
18
5
15
weiss nicht/keine Antwort
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
61
Von einer erhöhten Beteiligung profitiert kein Nein-Argument, stellt man auf die
Unterstützenden und die Mobilisierten ab.
Mit anderen Worten: Übers Ganze gesehen, hat die Nein-Seite leichte Vorteile
mit ihren Botschaften. Sachliche Information hilft ihr in verschiedenen Bereichen der Kontroverse nachweislich. Der Pferdefuss ist eindeutig die bedingungslose Ausschaffung krimineller Ausländer und Ausländerinnen. Da ist die
Ja-Seite klar im Vorteil, und dieser Anteil steigt, je emotionaler die Diskussion
geführt wird.
Quantifiziert man die Effekte der einzelnen Argumente auf die Stimmabsichten,
resultiert die nachstehende Reihenfolge hinsichtlich der Polarisierung:

kriminelle Ausländerinnen und Ausländer ohne Wenn und Aber ausschaffen

Volkswille (nicht) wichtiger als Völkerrecht

vernünftige Gesetzvoralge durch das Parlament

keine Härtefallklausel verstösst gegen Menschenrechte

Verhandlungen mit der EU schwieriger
Letztlich spricht genau ein mehrheitsfähiger Grund für die Vorlage: die unbedingte Ausschaffung krimineller Ausländerinnen und Ausländer.
Grafik 54
Filter Regressionsanalyse persönliche Stimmabsicht
zur Durchsetzungsinitiative
Filter: Stimmberechtigte, die bestimmt teilnehmen wollen
Ja
Nein
kriminelle Ausländer ausschaffen
Ablehnung zu:
Volkswille wichtiger als Völkerrecht
vernünftige Gesetzesvorlage durch Parlament
gegen Menschenrechtskonvention
Verhandlungen mit EU schwieriger
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), R2 = 0.637
Erläuterung: Die eingesetzte Methode der linearen Regression beschreibt das Vorhandensein des Einflusses von unabhängigen Variablen – hier der
Pro- und Contra-Argumente – (in abnehmender Reihenfolge) auf eine abhängige Variable, den Stimmentscheid. Anhand der Farbe lässt sich
2
unterscheiden, ob ein Element eher zu einer Ja-Stimmabgabe (blau) oder zu einer Nein-Stimmabgabe (orange) geführt hat. Das R gibt Auskunft
darüber, wie erklärungskräftig ein Modell ist – je näher der Wert bei 1 liegt, desto grösser ist der Anteil der Varianz in der abhängigen Variable, der
mit den unabhängigen Variablen erklärt wird. Argumente, welche in der Grafik nicht erscheinen, haben keinen Einfluss. Argumente mit dem
Wortzusatz "Ablehnung zu" werden mehrheitlich verneint. Entsprechend sind solche Argumente in die andere Richtung eingefärbt und erhalten
besagten Zusatz. Die schwarze Linie in der Mitte der Abbildung bezeichnet den Median. Befindet sich ein Argument genau auf der Mitte der Linie,
bedeutet dies, dass 50 Prozent der Befragten einverstanden mit dem Argument sind, während die anderen 50 Prozent damit nicht einverstanden
sind ("Weiss nicht"-Angaben werden dafür ausgeklammert). Je weiter das Kästchen nach links oder rechts von der 50-Prozentlinie abweicht, desto
grösser ist die einseitige Beurteilung des betreffenden Arguments. Der rote Punkt dient als Lesehilfe, er markiert jeweils die Mitte des Kästchens.
62
Zwar polarisiert auch die Rangierung des Schweizer Volkswillens über dem
Völkerrecht recht stark, doch sind die Mehrheiten in dieser Frage nicht auf Seiten der Initiantinnen und Initianten. Deren Gegnerinnen und Gegner können am
stärksten punkten, wenn sie die Umsetzung der Ausschaffungsinitiative durch
das Parlament als vernünftiges Vorgehen profilieren. Damit nehmen sie einen
Teil der Unzufriedenheit mit dem Status Quo auf. Jedenfalls ist die gegenwärtige Wirkung dieser Botschaft etwas höher einzuschätzen als die der Menschenrechts- und Bilateralen-Debatte, denn diese sind in erster Linie auf die Themenspezialistinnen und -spezialisten ausgerichtet.
3.3.4 Exkurs zu den Auswirkungen von "Köln"
Mehrfach wurde die Frage aufgeworfen, ob die Ereignisse von Köln in der Silvesternacht den Abstimmungsausgang zur Durchsetzungsinitiativen beeinflussen oder nicht. Insbesondere wurde vermutet, Frauen könnten nun vermehrt
für die Vorlage stimmen.
Erwähnt sei, dass die mediale Aufmerksamkeit mitten in unsere Befragung fiel.
Effekte auf die Stimmabsichten müssten nachgewiesen werden können, um
die Annahmen zu bestätigen. Spezifische Argumente finden sich in unserer
Befragung aber nicht, denn die Vorbereitung wurde vor der Rezeption der Ereignisse in der Schweiz abgeschlossen.
Bei Einflüssen von Mediendiskursen ist grundsätzlich nicht davon auszugehen,
dass sie nur eine Richtung kennen. Vielmehr muss unterschieden werden zwischen Empfängern von Medienbotschaften mit und ohne Prädispositionen. Wo
Prädispositionen vorhanden sind, kann von deren Verstärkung ausgegangen
werden. Wo es keine Prädispositionen gibt, ist eine meinungsbildende Wirkung
im Sinne des Medientenors denkbar.
Nun zeigte unsere Untersuchungsreihe, dass es sich bei der Meinungsbildung
zur Durchsetzungsinitiative um einen ausgesprochen stark prädisponierten Fall
handelt, so dass insgesamt die Verstärkungswirkung gegenüber dem Meinungsaufbau überwiegen dürfte.
Zudem kann festgehalten werden kann vorerst, dass statistisch gesehen keine
geschlechtsspezifischen Stimmabsichten nachweisbar sind. Das gilt für die
aktuelle Befragung genauso wie für die vergleichbare Erhebung, die im Oktober
2015 zur gleichen Vorlage gemacht wurde. Hinweise auf eine unterschiedliche
Reaktion der beiden Geschlechter gibt es damit nicht.
Die andere Frage lautet, ob die Ereignisse unabhängig vom Geschlecht Auswirkungen zeigten. Dabei kann man festhalten, dass sich das allgemeine Klima für
Fragen Asylsuchender aus Nordafrika und dem vorderen Orient verschlechtert
hat. Entscheidend sind die Meldungen aus Deutschland, dass die Koalition in
Umfragen an Unterstützung verliert, die rechtspopulistische AfD an Support
gewinnt. Hinzu kommt, dass die Stimmung zugunsten der Ausschaffung krimineller Ausländerinnen und Ausländer befördert wurde, wenn auch auf rechtsstaatlichem Wege. In genau diesem Punkt unterscheiden sich die Debatten in
Deutschland und der Schweiz.
63
Grafik 55
Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016
nach Geschlecht: Durchsetzungsinitiative
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür,
eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
13
9
12
16
8
10
33
bestimmt dagegen
9
26
28
6
29
20
13
eher dagegen
9
weiss nicht/keine
Antwort
eher dafür
21
bestimmt dafür
41
36
Mann/
Frau/
24. Oktober 2015 24. Oktober 2015
32
30
Mann/
Frau/
12. Januar 2016 12. Januar 2016
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), n.sig.
Im Vergleich zum Oktober 2015 hat die Zustimmung zur Durchsetzungsinitiativen in unseren Umfragen abgenommen. Denn die Ja Werte bewegten sich
anfänglich bei 70 Prozent, aktuell sind sie bei 51 Prozent. Das entspricht der
Erwartung, die man aufgrund des Verlaufs der Vorkampagnen formulieren
konnte. Insbesondere in der zweiten Dezemberhälfte übernahmen die Gegner
der Initiative die Themenführung. Nicht ausgeschlossen werden kann jedoch,
dass es zu einer möglichen Wende in der generellen Entwicklung zuungunsten
der Initiative kam oder kommt.
Grafik 56
Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar
2016: Durchsetzungsinitiative
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür,
eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
15
31
16
3
21
bestimmt dagegen
11
7
20
eher dagegen
weiss nicht/keine
Antwort
eher dafür
bestimmt dafür
45
31
24. Oktober 2015
12. Januar 2016
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
64
Hierfür kann man anfügen, dass die Zustimmungswerte zur Durchsetzungsinitiative in üblich starkem Masse von der Beteiligung abhängig sind. Fällt sie so
aus, wie wir sie immer bestimmen, ist mit einer Mobilisierung von rund der
Hälfte der Stimmberechtigten zu rechnen. In diesem Fall lauten die aktuellen
Messwerte 51:42. Bei einer deutlich höheren Beteiligung würde die Zustimmung auch stark ansteigen, und zwar auf 57:36. Im ersten Fall ist der Ausgang
aus heutiger Sicht offen, namentlich wird das Ständemehr nicht bestimmen. Im
zweiten Falle wäre mit einer Annahme der Vorlage zu rechnen.
Es kann aber auch sein, dass die Diskrepanz an sich nicht von den genannten
Ereignissen abhängen. Denn sie tragen die typischen Kennzeichen einer Polarisierung zwischen meinungsbildender Elite in Politik, Medien und Wissenschaft
einerseits, einem misstrauischen Publikum anderseits. Diese ist mittels populistischer Rhetorik, die die Spaltung betont, Schuldige bezeichnet und vor allem
emotional ausgerichtet meinungsbildend wirkt, an sich politisierbar. Typisch
hier war in den letzten Tagen unserer Befragung die "Albisgütli-Tagung" der
SVP, bei der unterstellt wurde, die Schweiz bewege sich auf dem Weg zu einer
Diktatur, weil die Ergebnisse der Volksrechte nicht mehr gebührend beachtet
würden.
3.3.5 Szenarien der weiteren Meinungsbildung
Bei einer Volksinitiative kommt es in der Regel zu einer Verlagerung der kollektiven Meinungsbildung von der Beurteilung des mit der Vorlage angesprochenen Problems hin zur Lösung des Problems. Das führt dazu, dass die Zustimmungsbereitschaft insgesamt sinkt, derweil die Ablehnungstendenz mit
dem Abstimmungskampf zunimmt.
Der hier beschriebene Mechanismus funktioniert bei Initiativen mit linker Unterstützung letztlich lückenlos, derweil er bei rechten Volksbegehren weniger
eindeutig stimmt. So gibt es Fälle, wie die Minarettsinitiative, aber auch die
Masseneinwanderungs- und Pädophileninitiative, die einen anderen Verlauf
nahelegen. Demnach kann auch der Ja-Wert zunehmen.
Dafür gibt es verschiedene Gründe: Eine Ursache ist, dass die finale Meinungsbildung erst gegen den Schluss einer Kampagne stattfindet. Die andere
Ursache betrifft die Mobilisierung im Abstimmungskampf, namentlich dann,
wenn sie asymmetrisch ausfällt. Auch das kann dem Ja-Lager zugute kommen.
Grafik 57
Positiv prädisponierte Initiative mit Mehrheitswandel, Ablehnung
in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht
Vor der Kampagne
 gfs.bern, Campaigning
Positiv prädisponierte Initiative ohne Mehrheitswandel, Annahme
in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht
Abstimmungstag
Nein
Nein
Unentschieden
Unentschieden
Ja
Ja
Vor der Kampagne
Abstimmungstag
 gfs.bern, Campaigning
Im aktuellen Fall spricht vieles dafür, dass die Nein-Seite argumentativ etwas
besser aufgestellt ist. Sie kann mit dem wirtschaftlichen und politischen Umfeld punkten, die bei der Entscheidung von Belang sind, auch der Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative bildet einen Anker, den
man auswerfen kann, um einen Teil der Befürwortenden von damals anzusprechen.
65
Den Initianten der Durchsetzungsinitiative nützt der selbst bei der InitiativGegnerschaft vorhandene Wunsch, kriminelle Ausländerinnen und Ausländer
auszuschaffen. Diese Position ist nicht nur mehrheitsfähig, sie wirkt auch am
stärksten von allen geprüften Argumenten. Ihr Wert verstärkt sich tendenziell
sogar, wenn es zu einer verstärken Mobilisierung kommen sollte.
So oder so wird aufgrund dieser Diagnose klar, dass ein Unterschied besteht
zwischen der Argumentation der Behörden, die zu über 70 Prozent gegen die
Vorlage waren und den Stimmberechtigten, die offensichtlich gespalten sind,
mit schwachen Vorteilen für die Gegnerschaft, wenn man auf die Botschaften
abstellt, aber wachsendem Vorteil für die Initiantinnen und Initianten je mehr
die Entscheidung auf Ausländerkriminalität als mobilisierendes Element abstellt.
Zieht man unsere vergleichbare Befragung zur Durchsetzungsinitiative bei, die
damals eine Zustimmungsbereitschaft von 70 Prozent ergab, ist seit Beginn
des Abstimmungskampfes immerhin einiges in Bewegung geraten. Boden gut
gemacht, hat vor allem die Nein-Seite. Das Blatt hat sie dabei aber (noch?) nicht
wenden können.
Die Beurteilung der Ausgangslage für die Hauptphase des Abstimmungskampfes lautet aufgrund unserer Befragung wie folgt:
Indexiert sprechen die (getesteten) Argumente eher für ein Nein. Weder die
momentanen Stimmabsichten, noch der erwartete Abstimmungsausgang bestätigen dies. Je höher die Beteiligung an der Entscheidung sein sollte, umso
klarer ist der Unterschied.
Tabelle 14
Indikatoren der Einschätzung der Durchsetzungsinitiative
Ausprägung
Parla
lament
Parolen
Erwartung
Stimmende
Index
Argumente
Erklärung
Argumente
R2
Stimmabsichten
Prädisponierung
Trenderwartung
Dispositionsansatz
dagegen
NR:
71%
SR:
83%
SP,
GPS,
GLP,
Piraten,
CVP,
EVP,
BDP,
FDP
48%
49%
Bestimmt
Teilnehmende:
42%
Bestimmt/eher
Teilnehmende:
36%
Normalszenario mit leicht
sinkendem Ja-Anteil
Ausnahmeszenario,
wenn Beteiligungsabsicht stark steigend
dafür
NR:
29%
SR:
13%
SVP,
EDU
58%
42%
Bestimmt
Teilnehmende:
51%
Bestimmt/eher
Teilnehmende:
57%
Normalszenario mit steigendem Nein-Anteil
Ausnahmeszenario,
wenn Beteiligungsabsichten stark steigen
Insgesamt
64%
62%
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
Im Normalfall erwarten wir, dass die festgestellte Diskrepanz zugunsten der
Gegnerschaft abbaut. Massgeblich dürfte dabei werden, dass Regierung und
Parlament eine Vorlage zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative ausgearbeitet haben, die selbst aus Sicht der Stimmberechtigten nicht im Widerspruch
steht zum (damaligen) Volkswillen.
Im Spezialfall kann es auch zu einem Protestvotum kommen, wobei die konsequente Ausschaffung kriminell gewordener Ausländerinnen und Ausländer den
Entscheid gibt. Je höher die Beteiligung an der Volksabstimmung sein sollte,
umso eher ist mit diesem Verlauf zu rechnen.
66
3.3.6 Stichworte für die Berichterstattung

potenzielle Mehrheitsinitiative von rechts (nationalkonservativ)

fortgeschrittene Meinungsbildung

hohe Prädisponierung durch Stimmverhalten bei Ausschaffungsinitiative

Ausschaffung krimineller Ausländer populärstes und wirksamstes JaArgument

Gesetzgebung zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative bisher wirksamestes Nein-Argument, wirtschaftliche und rechtliche Bedenken ansatzweise auch wirksam

weitere Entwicklung hängt vom Kampagnenverlauf respektive der Mobilisierung ab

Ausgang offen
67
3.4
Volksinitiative "Keine Spekulation mit
Nahrungsmitteln!"
3.4.1 Vorläufige Stimmabsichten
Zum Zeitpunkt der Befragung waren 48 Prozent der Teilnahmewilligen bestimmt oder eher für die Volksinitiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln". 39 Prozent waren bestimmt oder eher dagegen.
Die Initianten starten demnach mit einem Vorsprung von 9 Prozentpunkten in
die Hauptphase des Abstimmungskampfes.
Grafik 58
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016:
Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation abgestimmt würde, wären Sie dann
bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
bestimmt dagegen
19
bestimmt dafür
28
eher dagegen
20
eher dafür
20
weiss nicht/keine
Antwort
13
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
Der Stand der Meinungsbildung bleibt zurück. Nur 47 Prozent der Teilnahmewilligen äusserten eine bestimmte Stimmabsicht. Bei weiteren 40 Prozent war nur
eine Tendenz festzustellen, und bei 13 Prozent bekamen wir gar keine diesbezügliche Information.
Den Hauptgrund für den geringen Stand an Meinungsbildung orten wir in der
Neuheit des Themas. Bisher war es nicht Gegenstand breiter öffentlicher Debatten. Zudem ist das Thema eher kompliziert. Es war bisher für "Börsianer" ein
Alltagsthema, während sich die Politik ihm erst schrittweise annähert. Zudem
bekommt diese Initiative im laufenden Abstimmungskampf am wenigsten
Aufmerksamkeit.
Generell gehen wir davon aus, dass sich negative Meinungen zur Nahrungsmittelspekulation einerseits, wirtschaftspolitische Bedenken andererseits bei einer
Entscheidfindung zur Initiative gegenüber stehen.
68
3.4.2 Vorläufiges Konfliktmuster
Das Konfliktmuster zur Spekulationsstopp-Initiative ist in erster Linie politisch
geprägt. Die Stimmabsichten sind je nach Parteibindung ungleich. Keinen Einfluss finden wir dagegen hinsichtlich des Regierungsvertrauens/misstrauens.
Am klarsten für die Initiative ist die Wählerschaft der GPS (77%), gefolgt von
jener der SP (65%). Am meisten Opposition findet sich an der Basis der FDP.
Diese will aktuell zu 56 Prozent gegen die Vorlage stimmen. Die Wählenden
der CVP neigen ohne Eindeutigkeit ins Nein (37:44), ebenso jene der SVP
(40:46). Bei den Parteiungebundenen ist die Ablehnung mit 40:48 relativmehrheitlich.
Fortgeschritten ist die Meinungsbildung nur an der Basis der GPS. Dort haben
62 Prozent eine feste Stimmabsicht. Bei der CVP beträgt der Vergleichswert
nun 33 Prozent. Das lässt noch viel an Veränderungsmöglichkeiten zu.
Grafik 59
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Parteibindung: Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation abgestimmt würde, wären Sie dann
bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
4
17
7
14
20
27
18
bestimmt dagegen
28
2
19
14
eher dagegen
24
18
30
29
26
14
19
13
18
58
24
14
13
17
CVP
FDP
39
GPS
SP
22
12
weiss nicht/keine
Antwort
13
eher dafür
27
bestimmt dafür
SVP
Parteiungebundene
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
Mit anderen Worten: Zentral ist die Polarisierung zwischen dem rotgrünen und
bürgerlichen Lager. Das entspricht im Wesentlichen den Parteiparolen. Die
Polarisierung ist aber eher gering. Die Differenz zwischen FDP und GPS beträgt
im Ja-Anteil 46 Prozentpunkte, beim Nein-Anteil nur 35 Prozentpunkte.
Der vergleichsweise hohe Wert für die Zustimmung in der Ausgangslage resultiert demnach vor allem aus den Minderheiten im bürgerlichen Lager, wie sie
am 12. Januar festgehalten wurden. Das gilt namentlich für die konservativeren
Teile bei SVP und CVP, die sich dem Anliegen der Initiative nicht einfach verschliessen.
Vordergründig signifikant sind die Unterschiede nach Sprachregionen. Die JaAnteile variieren jedoch nicht stark, vielmehr gilt dies für die Nein-Anteile respektive die Unentschiedenen. Namentlich in der italienischsprachigen Schweiz
ist der Stand der Meinungsbildung gering.
69
Grafik 60
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Sprachregion: Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation abgestimmt würde, wären Sie dann
bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
9
19
22
21
bestimmt dagegen
9
eher dagegen
12
31
17
11
18
weiss nicht/keine
Antwort
18
30
eher dafür
33
30
20
DCH
FCH
bestimmt dafür
ICH
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
Entlang soziodemografischer Merkmale finden sich signifikante Unterschiede
entlang der Schulbildung, dem Alter und dem Geschlecht.
Grafik 61
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Schulbildung: Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation abgestimmt würde, wären Sie dann
bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
11
bestimmt dagegen
16
22
11
20
23
12
18
20
eher dagegen
19
14
weiss nicht/keine
Antwort
20
eher dafür
40
29
tief
mittel
25
bestimmt dafür
hoch
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
So sind 58 Prozent der Stimmberechtigten mit Teilnahmeabsicht für die Vorlage, wenn sie die Schulzeit auf der obligatorischen Stufe abgeschlossen haben.
Wer einen tertiären Schulabschluss hat, stimmt der Vorlage nur zu 45 Prozent
70
zu. Umgekehrtes zeigt sich, stellt man auf die Nein-Werte ab. Die fallen bei
einem hohen Schulabschluss verstärkt aus und sind bei Absolventen der obligatorischen Schule ausgesprochen gering.
Vermehrte Zustimmung findet die Vorlage, die aus den Reihen der Juso
stammt, bei den jüngeren Bürgern und Bürgerinnen. So sind 56 Prozent der
unter 40-Jährigen dafür, derweil sich 42 Prozent der Rentner und Rentnerinnen
dagegen aussprechen. Der Stand der Meinungsbildung bleibt aber zurück, je
jünger die Befragten mit Teilnahmeabsicht sind. Denn von den Rentnerinnen
und Rentner sind bereits 52 Prozent fest in die eine oder andere Richtung entschieden. Unter der jüngsten Befragtengruppe macht dieser Anteil minderheitliche 37 Prozent aus.
Grafik 62
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Alter: Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation abgestimmt würde, wären Sie dann
bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
11
bestimmt dagegen
20
21
21
21
16
eher dagegen
17
12
30
20
14
weiss nicht/keine
Antwort
13
eher dafür
26
27
31
18-39-Jährige
40-64-Jährige
65+-Jährige
bestimmt dafür
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
Schliesslich ein Wort zu den Stimmabsichten nach Geschlecht. Frauen sehe die
Vorlage positiver als Männer. Während Frauen zu 54 Prozent Ja sagen, sind
Männer zu 50 Prozent dagegen.
71
Grafik 63
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Geschlecht: Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation abgestimmt würde, wären Sie dann
bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
bestimmt dagegen
11
27
17
eher dagegen
18
23
weiss nicht/keine
Antwort
8
24
16
eher dafür
26
30
Mann
Frau
bestimmt dafür
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
Das Konfliktmuster zur Spekulationsstopp-Initiative ist damit erwartungsgemäss durch den Links/Rechts-Gegensatz geprägt. Wenn das Ergebnis denn
nicht eindeutig ausfällt, hat das mit vermehrten Sympathien bei Frauen, jüngeren Menschen und Angehörigen der Unterschichten zu tun. Festgehalten sei
hier noch, dass ausser bei der FDP und unter Männern in keiner Merkmalsgruppe in der Ausgangslage eine mehrheitliche Ablehnung besteht.
Tabelle 15
Konfliktlinien: VI gegen Nahrungsmittelspekulation
Konflikt
Signifikanz
Ja ++
Nein ++
Unschlüssigkeit ++
Parteibindung
sig.
GPS, SP
CVP, FDP, SVP, Parteiungebundene
CVP, (SP), (SVP)
Sprachregion
sig.
(FCH), (ICH)
(DCH)
(FCH), ICH
Siedlungsart
n.sig.
Schulbildung
sig.
Tief, (mittel)
(hoch)
(tief)
HH-Einkommen
sig.
(bis CHF 3000),
CHF 5-7000,
(CHF 9-11000)
(CHF 7-9000),
(CHF 9-11000),
über CHF 11000
CHF 3-5000, (CHF 7-9000)
Geschlecht
sig.
Frau
Mann
(Frau)
Alter
sig.
18-39-Jährige
(40- bis 64-Jährige),
(65+-Jährige)
(18- bis 39-Jährige)
Regierungsvertrauen
n.sig.
Lesebeispiel: Aufgeführte Untergruppen weichen mehr als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab.
Untergruppen in Klammern weichen weniger als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab.
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
Das Profil ist typisch für modernisierungskritische Vorlagen, wie es sich auch
bei Vorstössen gegen Gentechnologie in der Landwirtschaft findet. Angesichts
der wenig fortgeschrittenen Meinungsbildung ist mit erheblichen Wirkungen
des Abstimmungskampfes zu rechnen.
72
3.4.3 Argumententest
Beide Seiten verfügen über mehrere mehrheitsfähige Argumente. Das spricht
für eine recht offene Situation.
Die Initianten können sich in erster Linie auf die linke Botschaft stützen, wonach wenige Reiche von der Nahrungsmittelspekulation profitieren. 73 Prozent
der Teilnahmewilligen sind da auf ihrer Seite. 60 Prozent sind es, wenn von
steigenden Nahrungsmittelpreise die Rede ist. Nicht mehrheitsfähig sind die
Initianten, wenn sie propagieren, die Vorlage sei ein wirksames Mittel gegen
den Hunger in der Welt. Da widersprechen ihnen 49 Prozent.
Grafik 64
Filter Pro-Argumente zur Initiative gegen
Nahrungsmittelspekulation
"Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Initiative gegen
Nahrungsmittelspekulation immer wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie damit voll
einverstanden, eher einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden sind."
Bereicherung weniger Reicher "Mit Nahrungsmittelspekulationen bereichern sich einige Reiche auf Kosten der Ärmsten."
treibt Lebensmittelpreise in die Höhe "Die Nahrungsmittelspekulation treibt die Lebensmittelpreise in die Höhe."
Instrument gegen Hunger "Das Verbot von Nahrungsmittelspekulationen ist ein wirkungsvolles Instrument gegen den weltweiten
Hunger."
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
Bereicherung
weniger Reicher
treibt
Lebensmittelpreise in
die Höhe
Instrument gegen
Hunger
29
31
16
voll einverstanden
eher nicht einverstanden
6
26
47
27
8
eher einverstanden
überhaupt nicht einverstanden
8
9
12
12
20
25
24
weiss nicht/keine Antwort
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
Das populärste Argument in unserem Test setzt denn auch hier an, wenn auch
aus gegnerischer Sicht. 79 Prozent finden, dass das Hungerproblem nicht nur
durch Nahrungsmittelspekulation verursacht werde.
54 Prozent der Stimmberechtigten, die bestimmt teilnehmen wollen, haben
grundsätzliche Bedenken und zwar weniger zur Initiative an sich als viel mehr
zu Eingriffen in die Schweizer Wirtschaft. Sie finden, in der jetzigen Wirtschaftssituation sollten zusätzliche Regulierungen vermieden werden. 50 Prozent befürchten, bei Annahme der Initiative würden Arbeitsplätze und Steuereinnahmen verloren gehen.
73
Grafik 65
Filter Contra-Argumente zur Initiative gegen
Nahrungsmittelspekulation
"Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Initiative gegen
Nahrungsmittelspekulation immer wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie damit voll
einverstanden, eher einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden sind."
Hungerproblem nicht durch Spekulationen "Das weltweite Hungerproblem entsteht nicht nur durch
Nahrungsmittelspekulation."
zusätzliche Regulierungen vermeiden "Die Unternehmen in der Schweiz haben momentan mit genug Schwierigkeiten zu
kämpfen. Zusätzliche Regulierungen müssen vermieden werden."
Arbeitsplätze und Steuereinnahmen gehen verloren "Mit einem Verbot von Nahrungsmittelspekulation werden Unternehmen
ihre Geschäfte ins Ausland verlagern, dadurch gehen Arbeitsplätze und Steuereinnahmen verloren."
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
Hungerproblem
nicht durch
Spekulationen
46
zusätzliche
Regulierungen
vermeiden
Arbeitsplätze und
Steuereinnahmen
gehen verloren
33
26
19
voll einverstanden
eher nicht einverstanden
28
31
9
9
eher einverstanden
überhaupt nicht einverstanden
5
20
26
9
7
17
15
weiss nicht/keine Antwort
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
Bilanziert man Nähe und Distanz der Teilnahmewilligen zu den gebündelten
Argumenten beider Seiten, resultiert ein Patt. Denn es stehen 44 Prozent den
Ja-Botschaften näher, und es sind 43 Prozent, bei denen das bezüglich der
Nein-Aussagen der Fall ist.
Der Test der bisherigen Wirkungen von Argumenten zeigt, dass sich moralische und ökonomische Argumente gegenüber stehen. Am meisten polarisiert
die Aussage, ob die Vorlage ein Instrument gegen den Hunger sei. Sie stammt
zwar von den Initianten, wird aber nicht mehrheitlich geteilt. Tendenziell handelt es sich damit um ein Bumerang-Argument, denn es wirkt, aber nicht im
beabsichtigten Sinne. Anders ausgedrückt: Die Initianten haben das Hauptthema gesetzt, indes nicht mit einer Botschaft, die zu ihren Gunsten zieht.
Danach folgt die wirtschaftsrelevante Leseweise der Gegnerschaft, noch vor
jener des befürwortenden Lagers. Die Anklage Reicher ist zwar populär, aber
nicht besonders wirksam. Die Stimmberechtigten verstehen die Absicht, die
damit geäussert wird, entscheidungsrelevant ist sie aber nicht.
74
Grafik 66
Filter Regressionsanalyse persönliche Stimmabsicht
zur Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation
Filter: Stimmberechtigte, die bestimmt teilnehmen wollen
Ja
Ablehnung zu:
Nein
Instrument gegen Hunger
zusätzliche Regulierungen vermeiden
treibt Lebensmittelpreise in die Höhe
Bereicherung weniger Reicher
Arbeitsplätze/Steuereinnahmen gehen verloren
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), R2 = 0.445
Erläuterung: Die eingesetzte Methode der linearen Regression beschreibt das Vorhandensein des Einflusses von unabhängigen Variablen – hier der
Pro- und Contra-Argumente – (in abnehmender Reihenfolge) auf eine abhängige Variable, den Stimmentscheid. Anhand der Farbe lässt sich
2
unterscheiden, ob ein Element eher zu einer Ja-Stimmabgabe (blau) oder zu einer Nein-Stimmabgabe (orange) geführt hat. Das R gibt Auskunft
darüber, wie erklärungskräftig ein Modell ist – je näher der Wert bei 1 liegt, desto grösser ist der Anteil der Varianz in der abhängigen Variable, der
mit den unabhängigen Variablen erklärt wird. Argumente, welche in der Grafik nicht erscheinen, haben keinen Einfluss. Argumente mit dem
Wortzusatz "Ablehnung zu" werden mehrheitlich verneint. Entsprechend sind solche Argumente in die andere Richtung eingefärbt und erhalten
besagten Zusatz. Die schwarze Linie in der Mitte der Abbildung bezeichnet den Median. Befindet sich ein Argument genau auf der Mitte der Linie,
bedeutet dies, dass 50 Prozent der Befragten einverstanden mit dem Argument sind, während die anderen 50 Prozent damit nicht einverstanden
sind ("Weiss nicht"-Angaben werden dafür ausgeklammert). Je weiter das Kästchen nach links oder rechts von der 50-Prozentlinie abweicht, desto
grösser ist die einseitige Beurteilung des betreffenden Arguments. Der rote Punkt dient als Lesehilfe, er markiert jeweils die Mitte des Kästchens.
3.4.4 Szenarien der weiteren Meinungsbildung
Bei einer Volksinitiative kommt es in der Regel zu einer Verlagerung der kollektiven Meinungsbildung von der Beurteilung des angesprochenen Problems
zur Beurteilung der vorgeschlagenen Lösung. Das hat in der Regel zur Folge,
dass die Ablehnungsbereitschaft mit der Dauer des Abstimmungskampfes
steigt, während sich die die Zustimmungstendenz verringert. Bei linken Initiativen gilt dieser Normalfall praktisch lückenlos.
Die Volksinitiative "Keine Spekulation gegen Nahrungsmittel" der Jungsozialisten, unterstützt von diversen Kreise aus dem Mitte/links-Spektrum, fügt sich in
eine Reihe von Vorlagen ein, die vor diesem Hintergrund analysiert werden
können. Namentlich erwähnt sei hier die 1:12 Initiativen; verwiesen sei auf
vergleichbare Vorlagen wie den Mindestlohn. Ihnen gemeinsam ist, dass sie
wirtschaftskritisch aufgestellt sind und stets mit einer moralischen Anklage
verbunden sind.
Für eine Ablehnung spricht, dass die Behörden die Vorlage ablehnen, aber auch
das bürgerlichen Lager mit nur wenigen Ausnahmen auf der Nein-Seite steht.
Es kommt hinzu, dass die Vorlage auch bei den Jungparteien polarisiert. Dafür
sind die Juso und Teile der Jungen CVP, während sich die Mehrheit der Nachwuchsparteien gegen das Anliegen stellt.
75
Im aktuellen Fall kommt hinzu, dass die Meinungsbildung insgesamt zurück
bleibt. Am besten kommt dies bei der CVP zum Ausdruck, wo gerade ein Drittel der Wählenden eine feste Stimmabsicht hat. Fortgeschritten ist die Meinungsbildung letztlich nur an der Basis der Grünen. Das gilt auch für die Erklärungskraft der Argumente hinsichtlich der Stimmabsichten. Sie ist höchstens
mittelstark ausgeprägt.
Argumentativ bilanzieren wir ein Patt, die Stimmabsichten sind leicht besser für
die Pro-Seite, für ein Ja aber nicht hinreichend. Vor allem die Botschaft der
Initianten zum Hungerproblem polarisiert, ohne mehrheitlich in ihrem Sinne zu
wirken. Was die wirtschaftspolitischen Argumente betrifft, haben die generellen Bedenken der Gegnerschaft bisher mehr Wirkung entfaltet.
Tabelle 16
Indikatoren der Einschätzung der VI gegen Nahrungsmittelspekulation
Ausprägung
Parlalament
Parolen
Erwartung
Stimmende
Index
Argumente
Erklärung
Argumente R2
Stimmabsichten
Prädisponierung
Trenderwartung
Dispositionsansatz
dagegen
NR:
69%
SR:
74%
GLP,
CVP,
FDP,
SVP,
EDU
-
43%
39%
Normalszenario mit
Zunahme Nein
dafür
NR:
31%
SR:
26%
SP, GPS,
EVP
-
44%
48%
Normalszenario mit
Abnahme Ja
Insgesamt
45%
47%
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
Zu erwarten ist, dass die gemessenen Stimmabsichten in erheblichem Masse
variabel sind und der Abstimmungskampf noch einiges entscheidet. Dabei sind
die Aussichten der Gegnerschaft besser als die der Initianten.
Eine Ablehnung der Vorlage erscheint uns aufgrund der theoretischen Überlegungen und der empirischen Befunde am wahrscheinlichsten. Entsprechend
begnügen wir uns hier mit einem Szenario zum weiteren Verlauf der Meinungsbildung.
76
Grafik 67
Positiv prädisponierte Initiative mit Mehrheitswandel, Ablehnung
in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht
Nein
Unentschieden
Ja
Vor der Kampagne
Abstimmungstag
 gfs.bern, Campaigning
3.4.5 Stichworte für die Berichterstattung

Minderheitsinitiative von links

Meinungsbildung bisher nicht stark ausgeprägt

mittelstarke Polarisierung auf der Links/rechts-Achse

Polarisierung bisher vor allem durch Ursache des Welthungers mit Vorteilen für die Gegnerschaft

Ablehnung dürfte steigen, Zustimmung sinken

Ablehnung wahrscheinlich
77
3.5
Änderung des Bundesgesetzes über den
Strassentransitverkehr im Alpengebiet
3.5.1 Vorläufige Stimmabsichten
Mitte Januar 2016 hätten 64 Prozent der teilnahmewilligen Stimmberechtigten
für die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet gestimmt. 29 Prozent wären dagegen gewesen. Die Ja-Seite begibt
sich mit einem guten Vorsprung in die Hauptphase des Abstimmungskampfes.
Denn sie weiss bei wenig unentschiedenen Teilnahmewilligen und einem bereits relativ gefestigten Stand der Meinungsbildung eine klare Mehrheit hinter
sich.
Grafik 68
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016:
Zweite Gotthardröhre
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet,
abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
bestimmt dagegen
16
bestimmt dafür
40
eher dagegen
13
weiss nicht/keine
Antwort
7
eher dafür
24
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
Typologisch entspricht die Sanierungsvorlage zum Gotthardtunnel damit einer
positiv prädisponierten Behördenvorlage. Diese Einschätzung ist neben dem JaVorsprung auch dem Umstand geschuldet, dass kein Unterschied in der mehrheitlichen Einschätzung der Vorlage von Regierung, Parlament und der teilnahmewilligen Bevölkerung existiert.
Das Meinungsbild kann – einerseits wegen vorhandener Abstimmungserfahrung zu diesem Thema, andererseits aufgrund des hohen Alltagsbezugs – als
eher fortgeschritten bezeichnet werden. Bestimmt im Ja oder Nein festgelegt
war am 12. Januar 2016 mit 56 Prozent der Teilnahmewilligen eine Mehrheit.
Eher festgelegt waren 37 Prozent, gar keine Stimmabsicht äusserten weitere 7
Prozent, was ein geringer Wert ist.
Allerdings bedeutet das nicht, dass bereits alles entschieden ist, aber es besteht weniger Spielraum für die Kampagne als etwa bei der Initiative gegen die
Heiratsstrafe oder der Durchsetzungsinitiative. Denn die vornehmliche Kampagnenwirkung bei einer Behördenvorlage ist die Überzeugung Unschlüssiger,
was die am 12. Januar 2016 festgehaltenen Mehrheitsverhältnisse nicht zum
78
kippen brächte. Vielmehr müssten darüber hinaus tendenziell Entschiedene
umgestimmt werden.
Klimatisch wird ebenfalls ein Vorteil für die Ja-Seite wahrgenommen, wenn
auch etwas verhaltener als die Stimmabsichten vermuten liessen: Die teilnahmewilligen Stimmberechtigten schätzen im Schnitt, dass die Vorlage am Abstimmungstag 53.3 Prozent Zustimmung erreichen wird. Lediglich eine Minderheit von ihnen geht von einer Ablehnung der Vorlage aus (23% gehen von
einem Ja-Anteil unter 50 Prozent aus), 70 Prozent rechnen mit einer Zustimmung.
3.5.2 Vorläufiges Konfliktmuster
Symptomatisch für diesen eher fortgeschrittenen Stand der Meinungsbildung
ist die bereits in der Ausgangslage existente Polarisierung. Sämtliche hier untersuchten Grössen erweisen sich als signifikante Spaltungsmerkmale der Teilnahmewilligen hinsichtlich ihres Stimmentscheids zur zweiten Gotthardröhre.
Nur in einem Fall jedoch führt diese Spaltung zu vom Mainstream abweichenden Mehrheiten.
Die primäre Polarisierung im Abstimmungskampf ist entlang der parteipolitischen Spaltung zu erwarten. Sie spaltet eindeutig zwischen links und rechts.
Der Zusammenhang kann als linear beschrieben werden, wobei die Ja-Anteile
umso höher ausfallen, je weiter man sich auf der politischen Achse nach rechts
bewegt. Mehrheitlich im Nein sind Sympathisantinnen und Sympathisanten der
Grünen und der SP (70% resp. 53% eher/bestimmt dagegen). Bereits im Umfeld der CVP kippen die Mehrheitsverhältnisse dann aber ins Ja (68% eher/bestimmt dafür). FDP und SVP sind mit Zustimmungswerten von hohen 74
respektive 80 Prozent eindeutig im Ja und auch die Parteiungebunden schliessen sich der Mehrheit an (67% eher/bestimmt dafür).
Grafik 69
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Parteibindung: Zweite Gotthardröhre
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet,
abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
15
32
15
55
10
10
9
8
7
3
16
20
8
8
2
32
2
10
GPS
32
11
60
18
18
eher dagegen
27
21
15
bestimmt dagegen
eher dafür
47
36
weiss nicht/keine
Antwort
35
18
bestimmt dafür
SP
CVP
FDP
SVP
Parteiungebundene
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
Damit befinden sich alle Parteiwählerschaften in ihrer Mehrheit im Einklang mit
den Parolen ihrer jeweiligen Partei. Das gefestigtste Meinungsbild findet sich
79
an den Polen (GPS vs. SVP) und im Umfeld der FDP. Erst knappe Mehrheiten
verfügen dagegen im Umfeld der teilnehmenden SP- und CVP-Wählerschaft
über eine harte Meinung in der Gotthardfrage.
Drei weitere Variablen erweisen sich als relevant hinsichtlich der Entscheidung
zum Gotthard; Sprachregion, Betroffenheit in Form von Autobesitz und Regierungsvertrauen.
Auffallend hoch sind die Zustimmungswerte im Kanton Tessin, wo bereits in
der Ausgangslage eine Mehrheit bestimmt für die Vorlage stimmen will. Zusammen mit den tendenziellen Befürwortungen der Sanierung erreicht die
zweite Gotthardröhre im Tessin einen Zustimmungswert von 76 Prozent. Den
Gegenpol bildet die Westschweiz, wo sich zwar ebenso eine zustimmende
Mehrheit findet, jedoch bei noch vielen Unentschlossenen. Die Deutschschweiz liegt bei sehr wenigen Unentschlossenen nahe am Gesamtbild der
Stimmberechtigten und hätte der Vorlage am 12. Januar 2016 mit einer Zweidrittelmehrheit zugestimmt. Allerdings sind gerade in der Deutschschweiz auch
die meisten Gegenstimmen zu finden (31%).
Grafik 70
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Sprachregion: Zweite Gotthardröhre
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet,
abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
18
13
11
bestimmt dagegen
6
11
13
3
7
eher dagegen
23
22
22
weiss nicht/keine
Antwort
32
54
eher dafür
44
21
DCH
FCH
bestimmt dafür
ICH
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
Weniger deutlich, aber ebenso signifikant, sind die Einflüsse der zweiten räumlichen Grösse, der Siedlungsart: Die Zustimmungsbereitschaft ist in grossurbanen Gebieten tiefer als auf dem Land. Die Polarisierung ist jedoch schwach,
denn letztlich sind alle drei Siedlungsräume im Ja (ländlich: 69%, kleine/mittlere
Agglomeration: 64%, grosse Agglomeration: 59% eher/bestimmt dafür).
Die dritte zentrale Polarisierung ist Betroffenheit, denn neben Sympathisanten
der SP und der GPS sind Teilnahmewillige ohne Auto die einzige Untergruppe,
welche der Vorlage ablehnend gegenübersteht. 47 Prozent von ihnen hätten
am 12. Januar 2016 Nein gestimmt und damit eine relative Mehrheit. Teilnahmewillige dagegen, die ein Auto besitzen und noch deutlicher solche mit zwei
Autos und mehr hätten den Sanierungstunnel angenommen (64%/71% eher/bestimmt dafür).
80
Grafik 71
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Autobesitz: Zweite Gotthardröhre
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet,
abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
10
16
bestimmt dagegen
13
36
13
6
eher dagegen
7
11
25
weiss nicht/keine
Antwort
24
12
18
eher dafür
46
40
23
kein Auto
bestimmt dafür
ein Auto
zwei Autos und mehr
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
Und schliesslich ist auch das Institutionenvertrauen ausschlaggebend, wobei
ausnahmsweise nicht die Stimmabsichten von Vertrauenden und Misstrauischen am stärksten divergieren. Vielmehr unterscheiden sich die eben genannten Gruppen von Befragten, die keine inhaltliche Angabe zum Regierungsvertrauen machen. Wenig spricht damit für einen Protestcharakter dieser Entscheidung.
Grafik 72
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Regierungsvertrauen: Zweite Gotthardröhre
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet,
abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
14
16
29
9
14
9
7
24
bestimmt dagegen
eher dagegen
12
24
8
weiss nicht/keine
Antwort
19
eher dafür
39
44
32
bestimmt dafür
Vertrauen
weiss nicht/keine Antwort
Misstrauen
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
Mit anderen Worten: Die Opposition gegen den Sanierungstunnel am Gotthard
kommt von links, wird an der Basis von GPS und SP mehrheitlich getragen und
81
sie wird verstärkt von Teilnahmewilligen, die kein Auto besitzen. Kritische oder
zögernde Untertöne finden sich eher bei jenen Teilnahmewilligen, die den Behörden gegenüber indifferent eingestellt sind oder in der Westschweiz leben.
Weiter erweisen sich gesellschaftliche Differenzierungen als signifikant, jedoch
in keinem Fall als grundlegend. So zeigen sich etwa Frauen weniger dezidiert in
ihrer Zustimmung als Männer oder jüngere Teilnahmewillige weniger als ältere.
Doch unter dem Strich hätten Mitte Januar Frauen (57%) wie Männer (71%)
respektive Junge (66%) wie Teilnahmewillige im mittleren Alter (65%) und wie
Pensionierte (58%) mehrheitlich für den Sanierungstunnel am Gotthard gestimmt. Kritische Untertöne finden sich allerdings unter Frauen häufiger als
unter Männern.
Grafik 73
Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach
Geschlecht: Zweite Gotthardröhre
"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn
morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet,
abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?"
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
bestimmt dagegen
16
9
4
23
17
15
eher dagegen
11
24
weiss nicht/keine
Antwort
eher dafür
48
33
bestimmt dafür
Mann
Frau
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), sig.
Am Rande erweisen sich auch sozioökonomische Grössen als relevant. So fällt
die Zustimmung zur zweiten Gotthardröhre in allen drei Bildungsgruppen ähnlich hoch aus (65%, 63%, 64% eher/bestimmt dafür), die höchste Bildungsgruppe ist allerdings zurückhaltender in ihrer dezidierten Zustimmung, während
die tiefste die meisten bestimmten Gegenvoten auf sich vereint.
Nach Einkommen betrachtet fällt auf, dass die beiden tiefsten Gruppen und
Teilnahmewillige mit einem Haushaltseinkommen zwischen 9 und 11'000 CHF
etwas kritischer sind, als die übrigen. Doch auch diese stimmen der zweiten
Gotthardröhre mehrheitlich zu.
Zusammengefasst finden sich diese Befunde in der nachfolgenden Tabelle.
82
Tabelle 17
Konfliktlinien: Zweite Gotthardröhre
Konflikt
Signifikanz
Ja ++
Nein ++
Unschlüssigkeit ++
Parteibindung
sig.
(CVP), FDP, SVP, (Parteiungebundene)
GPS, SP, (CVP)
(SP)
Sprachregion
sig.
(DCH), ICH
(DCH)
FCH
Siedlungsart
sig.
ländlich
kleine/mittlere Agglomeration
grosse Agglomeration
Schulbildung
sig.
(tief)
(mittel)
(mittel)
HH-Einkommen
sig.
CHF 5-7000,
(CHF 7-9000),
(über CHF 11000)
bis CHF 3000,
CHF 3-5000,
(CHF 7-9000),
CHF 9-11000
CHF 3-5000
Geschlecht
sig.
Mann
(Frau)
(Frau)
Alter
sig.
(18- bis 39-Jährige),
(40- bis 64-Jährige)
(65+-Jährige)
(65+-Jährige)
Regierungsvertrauen
sig.
(Misstrauen)
(Vertrauen), weiss
nicht/keine Antwort
(Misstrauen)
Autobesitz
sig.
zwei Autos und mehr
kein Auto
(kein Auto)
Lesebeispiel: Aufgeführte Untergruppen weichen mehr als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab.
Untergruppen in Klammern weichen weniger als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab.
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
3.5.3 Argumententest
Beide Seiten verfügen über mehrheitsfähige aber auch über umstrittene Argumente. Das macht die vorgefundenen Mehrheitsverhältnisse beschränkt ambivalent.
Die Ja-Seite kann mit drei starken Botschaften werben, eine jedoch wird nicht
akzeptiert. Die Hoffnung, dass Staus am Gotthard dank der zweiten Röhre verschwinden könnten, spaltet die Gemüter: 43 Prozent bejahen die Aussage, 49
Prozent widersprechen ihr. Erfolgreich wurde jedoch ins Feld geführt, dass je
eine Fahrspur pro Tunnel sicherer sei als eine Variante mit Gegenverkehr. 88
Prozent stimmen dieser Aussage zu, womit sie als annähernd unbestritten
bezeichnet werden kann. Auch, dass man das Tessin nicht während dreier Jahre abkoppeln soll, wird von 68 Prozent der Teilnahmewilligen unterstützt. 61
Prozent erachten die Notwendigkeit von Zusatzbauten als gegeben, was Land
beanspruche.
Kurz und knapp liegt die Vorlage dann richtig, wenn sie die Notwendigkeit des
Tunnels glaubhaft machen kann – sei es, um das Tessin nicht abzuhängen, sei
es um Landverschwendung zu vermeiden – und, wenn sie an Sicherheitsbedürfnisse appelliert.
83
Grafik 74
Filter Pro-Argumente zur Zweiten Gotthardröhre
"Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Änderung des Bundesgesetzes
über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet immer wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte
jeweils, ob Sie damit voll einverstanden, eher einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht
einverstanden sind."
je eine Fahrspur sicherer "Zwei Tunnelröhren mit je einer Fahrspur sind sicherer als ein Tunnel mit Gegenverkehr."
Tessin nicht abschneiden "Wir können uns nicht leisten, das Tessin während dreier Jahre von der Schweiz abzukoppeln."
Landverbrauch für Bahnverlad "Ohne Sanierungstunnel werden Zusatzbauten für den Bahnverlad nötig, was viel Land
beansprucht."
Staus verschwinden "Mit der zweiten Gotthardröhre verschwinden die regelmässigen Staus am Gotthard."
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
je eine Fahrspur
sicherer
70
Tessin nicht
abschneiden
47
Landverbrauch für
Bahnverlad
Staus verschwinden
18
21
29
5
32
16
27
voll einverstanden
eher nicht einverstanden
15
13
8
4 4 4
12
18
8
29
eher einverstanden
überhaupt nicht einverstanden
20
weiss nicht/keine Antwort
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
Der Gegnerschaft gelang es allerdings durchaus, Zweifel zu streuen. 65 Prozent
der Stimmberechtigten befürchten nämlich, dass der Druck zur Öffnung der
zweiten Fahrspur steigen werde und 58 Prozent gehen von einem erhöhten
Verkehrsaufkommen am Gotthard aus. Einen Widerspruch zum Alpenschutz
erachten 57 Prozent als gegeben und weitere 52 Prozent erachten den hohen
Mitteleinsatz am Gotthard als falsch, weil dann Geld zur Lösung anderer Verkehrsengpässe fehle.
Grafik 75
Filter Contra-Argumente zur Zweiten Gotthardröhre
"Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Änderung des Bundesgesetzes
über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet immer wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte
jeweils, ob Sie damit voll einverstanden, eher einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht
einverstanden sind."
Druck aus In- und Ausland wird steigen "Der Druck aus dem In- und Ausland zur Öffnung der zweiten Fahrspur, wird nach
deren Fertigstellung steigen."
Verkehr am Gotthard erhöht sich "Mit der zweiten Röhre erhöht sich der Verkehr am Gotthard, der Ausstoss von Schadstoffen
und die Lärmbelastung steigen."
widerspricht Schutz der Alpen "Der geplante Sanierungstunnel widerspricht dem vom Volk beschlossenen Schutz der Alpen vor
immer mehr Strassenverkehr."
verbraucht finanzielle Mittel "Der Bau eines Gotthard-Sanierungstunnels verbraucht finanzielle Mittel, die dann bei Ausbau
anderer Verkehrsengpässe in der Schweiz fehlen."
in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen
Druck aus In- und
Ausland wird steigen
33
Verkehr am Gotthard
erhöht sich
32
widerspricht Schutz der
Alpen
31
verbraucht finanzielle
Mittel
voll einverstanden
eher nicht einverstanden
25
32
7
26
4
26
27
eher einverstanden
überhaupt nicht einverstanden
7
8
17
23
21
24
11
15
15
16
weiss nicht/keine Antwort
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
84
Mit anderen Worten: Der Vorlage stehen verbreitet Bedenken zur Verkehrsbelastung und dem Druck dieser nachzugeben sowie ökologische Einwände entgegen.
Interessant ist die Regressionsanalyse, denn erst sie legt offen, wie sich die
Argumente im Zusammenspiel verhalten. Bemerkenswert ist, dass erstens alle
acht hier getesteten Argumente auf einen Stimmentscheid wirken und zweitens, dass damit hohe 57 Prozent einer Entscheidung für oder gegen die zweite
Röhre am Gotthard erklärt werden können. Wir haben es hier also nicht mit
einem Bauchentscheid, sondern einer argumentativ abgestützten Entscheidung
zu tun. Relativierend muss höchstens der Umstand erwähnt werden, dass bei
dieser Vorlage acht anstelle von sechs Argumenten getestet wurden, und das
alleine erhöht die Modellgüte leicht. Insofern ist bei direkten Vergleichen mit
den Werten der anderen Vorlagen gewisse Vorsicht geboten.
Inhaltlich trägt das staatspolitische Argument die Vorlage am stärksten und
nicht das breit geteilte Sicherheitsargument. Denn ein Ja wird am ehesten aus
dem Grund, das Tessin nicht während der nächsten drei Jahre von der Restschweiz abkoppeln zu wollen, eingereicht. Sicherheitsaspekte wirken lediglich
sekundär auf einen Stimmentscheid. Das Sicherheitsargument für den Sanierungstunnel eint die Stimmberechtigten zu sehr, um wirklich entscheidungsrelevant zu sein.
Gut lässt sich die Stärke der gegnerischen Argumentation anhand der Regressionsanalyse aufzeigen; ihr gelang es, relevante Zweifel an der Nutzung nach
der Sanierung zu streuen und das auf verschiedenen Ebenen. Denn nicht nur
erweist sich das weniger-Stau-Argument als Bumerang auf dem zweiten Rang
als höchst entscheidungsrelevant. Zusätzlich wirken der Widerspruch zum Alpenschutz und die Angst vor erhöhter Verkehrsbelastung zusammen mit dem
Verschleiss finanzieller Mittel eindeutig und stark auf ein Nein.
Grafik 76
Filter Regressionsanalyse persönliche Stimmabsicht
zur Zweiten Gotthardröhre
Filter: Stimmberechtigte, die bestimmt teilnehmen wollen
Ja
Nein
Tessin nicht abschneiden
Ablehnung zu:
Staus verschwinden
widerspricht Schutz der Alpen
Verkehr am Gotthard erhöht sich
verbraucht finanzielle Mittel
je eine Fahrspur sicherer
Landverbrauch für Bahnverlad
Druck aus In- und Ausland wird steigen
© SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793), R2 = 0.570
Erläuterung: Die eingesetzte Methode der linearen Regression beschreibt das Vorhandensein des Einflusses von unabhängigen Variablen – hier der
Pro- und Contra-Argumente – (in abnehmender Reihenfolge) auf eine abhängige Variable, den Stimmentscheid. Anhand der Farbe lässt sich
2
unterscheiden, ob ein Element eher zu einer Ja-Stimmabgabe (blau) oder zu einer Nein-Stimmabgabe (orange) geführt hat. Das R gibt Auskunft
darüber, wie erklärungskräftig ein Modell ist – je näher der Wert bei 1 liegt, desto grösser ist der Anteil der Varianz in der abhängigen Variable, der
85
mit den unabhängigen Variablen erklärt wird. Argumente, welche in der Grafik nicht erscheinen, haben keinen Einfluss. Argumente mit dem
Wortzusatz "Ablehnung zu" werden mehrheitlich verneint. Entsprechend sind solche Argumente in die andere Richtung eingefärbt und erhalten
besagten Zusatz. Die schwarze Linie in der Mitte der Abbildung bezeichnet den Median. Befindet sich ein Argument genau auf der Mitte der Linie,
bedeutet dies, dass 50 Prozent der Befragten einverstanden mit dem Argument sind, während die anderen 50 Prozent damit nicht einverstanden
sind ("Weiss nicht"-Angaben werden dafür ausgeklammert). Je weiter das Kästchen nach links oder rechts von der 50-Prozentlinie abweicht, desto
grösser ist die einseitige Beurteilung des betreffenden Arguments. Der rote Punkt dient als Lesehilfe, er markiert jeweils die Mitte des Kästchens.
Aufgrund der regionalen Betroffenheit ist ein Blick auf die Sprachregionen aufschlussreich. Nachfolgende Tabelle fasst die Zustimmung zu den Argumenten
und ihre Wirkung gemäss Regressionsanalyse zusammen.
Interessant ist das Tessin, denn es erweist sich nur ein einziges der ProArgumente als relevant für einen Stimmentscheid; man will nicht abgeschnitten
werden. Davor jedoch erweisen sich zwei Nein-Argumente als stärker entscheidrelevant: die Angst vor erhöhter Verkehrsbelastung und die Kosten.
Anders die Romandie, wo die Pro-Argumente alle vier wirksam sind und insbesondere der Sicherheitsaspekt betont wird. Das entscheidwirksamste Argument überhaupt ist jedoch auch in der Romandie die Befürchtung, dass es nach
der Sanierung mehr Verkehr geben werde.
Die Leseweise ist in der Deutschschweiz nochmal anders, denn dort steht das
Pro-Argument, das Tessin nicht abzuschneiden zuoberst punkto Wirksamkeit
und wird höchstens von Einwänden rund um den Alpenschutz relevant konkurrenziert.
Tabelle 18
Regressionen nach Sprachregion: Zweite Gotthardröhre
deutschsprachige
Schweiz
französischsprachige
Schweiz
italienischsprachige
Schweiz
Staus verschwinden
Abl.
.259
rel. Zust.
.160
Zust.
n.s.
Tessin nicht abschneiden
Zust.
.323
Zust.
.111
Zust.
.190
Landverbrauch für Bahnverlad
Zust.
.073
Zust.
.168
Zust.
n.s.
je eine Fahrspur sicherer
Zust.
.087
Zust.
.233
Zust.
n.s.
widerspricht Schutz der Alpen
Zust.
-.223
Zust.
-.229
Abl.
n.s.
Verkehr am Gotthard erhöht sich
Zust.
-.152
Zust.
-.296
Abl.
-.367
verbraucht finanzielle Mittel
Zust.
-.133
rel. Zust.
n.s.
Abl.
-.336
Druck aus In- und Ausland wird
steigen
Zust.
n.s.
rel. Zust.
-.141
rel. Abl.
n.s.
JaMehrheit
JaMehrheit
JaMehrheit
hoch
.604
mittel
.513
mittel
.415
Argument
Pro
Contra
Total
Erklärungsgrad
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
Lesebeispiel: Dargestellt ist, ob ein Argument mehrheitlich ablehnt (Abl.) oder geteilt wird (Zust.) und als Zahl die Stärke des Einflusses eines
Arguments auf die Stimmabsicht (beziffert durch den Beta-Koeffizienten aus der Regressionsanalyse). Je näher der Wert des Koeffizienten bei 1
liegt, desto höher der Einfluss des Argumentes. Das Vorzeichen gibt Auskunft über die Richtung des Einflusses. Das Argument "Staus
verschwinden" wird in der DCH mehrheitlich abgelehnt (Abl.). Verbunden mit dem positiven Vorzeichen des Beta-Koeffizienten bedeutet dies, dass
die Ablehnung des Argumentes in Verbindung mit dem positiven Koeffizienten eher gegen die Vorlage spricht (Bumerang). In der FCH ist eine
relative Mehrheit der Meinungmit diesem Argument einverstanden (rel. Zust.) und der positive Koeffizient zeigt, dass es in der Romandie ein Ja
stützt. In der italienischsprachigen Schweiz stimmt man dem Argument mehrheitlich zu, für einen Stimmuentscheid ist es jedoch nicht relevant
86
(n.s. = Argument nicht signifikant). Erklärungsgrad: Je näher der Wert bei 1 liegt, desto grösser ist der Anteil der Varianz in der abhängigen Variable,
der mit den unabhängigen Variablen erklärt wird. Oder je näher bei 1 desto besser erklären Argumente einen Stimmetnscheid.
3.5.4 Szenarien der weiteren Meinungsbildung
Abschliessend werden die Erwartungshaltungen zum Abstimmungsausgang
klassifiziert. Dazu dient nachfolgende Übersicht, welche neben der Behördenposition, den Parolen und den Erwartungen der Stimmenden auch deren
Stimmabsichten und einen Indexwert zu den Argumenten enthält.
Die Stimmabsichten legen ein Plus für die Ja-Seite nahe, werden von argumentativen Haltungen getragen und sind im Einklang mit der Behördenposition und
einer Mehrheit der Parolen der grossen fünf Parteien.
Die Fokussierung der Debatte auf Schwachstellen und Risiken eines Sanierungstunnels, wie sie die Gegnerschaft versucht, hat die Bevölkerung zwar
erreicht, sie gewichtet aber zumindest bisher den Nutzen und Sicherheit offensichtlich höher als Befürchtungen rund um Alpen- und Umweltschutz respektive erhöhtes Verkehrsaufkommen.
Nach Parteien gegliedert zeigt sich ein Überwiegen der Parolentreue. Der Konflikt der parlamentarischen Beratung findet seine Verlängerung im Abstimmungskampf und spaltet das linke Lager gegen Mitte-rechts.
Tabelle 19
Indikatoren der Einschätzung der zweiten Gotthardröhre
Parlalament
Parolen
Erwartung
Stimmende
Index
Argumente
dagegen
NR:
40%
SR:
38%
SP,
GPS,
GLP,
EVP
23%
38%
29%
Polarisierung möglich
dafür
NR:
60%
SR:
62%
SVP,
BDP,
FDP,
CVP,
EDU
70%
55%
64%
Polarisierung möglich
Ausprägung
Insgesamt
Erklärung
Argumente R2
57%
Stimmabsichten
Prädisponierung
Trenderwartung
Dispositionsansatz
56%
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793)
Das Normalszenario für Behördenvorlagen sieht gemäss Dispositionsansatz
vor, dass sich Unentschiedene mit dem weiteren Verlauf des Abstimmungskampfes in einem ungewissen Verhältnis auf beide Seiten verteilen. Je nach
Ausgangslage und Entwicklungen fällt der Ausgang zugunsten oder zuungunsten des Behördenstandpunktes aus. Setzt dieses Szenario ein, ist die Gotthardsanierung im Trockenen, denn selbst wenn sich alle noch Unentschiedenen bei
dieser guten Ausgangslage dem Nein zuwenden würden, hätte die Sanierung
eine Abstimmung im Januar 2016 passiert.
Setzt jedoch mit fortschreitendem Abstimmungskampf ein Nein-Trend ein, ist
mit einem Rückgang der Zustimmung und damit dem Spezialszenario zu rechnen. Die Meinungsbildung in der stimmwilligen Bevölkerung müsste sich deutlich weg vom Behördenstandpunkt und dem Mainstream, hin zur Opposition
entwickeln.
So oder so haben wir es mit einer positiv prädisponierten Behördenvorlage zu
tun und einer aktiven und wahrnehmbaren Gegenkampagne. Wahrscheinlich
ist, dass sich beide Seiten im Verlauf des Abstimmungskampfes akzentuieren
können, was in einer Annahme des Gotthardsanierungstunnels resultieren
würde.
87
Eine durchschlagende Gegenkampagne oder spezifische Ereignisse während
einer Kampagnenphase, können den Nein-Anteil allerdings stark aufbauen,
womit der Ausgang der Abstimmung zum jetzigen Zeitpunkt streng genommen
noch als offen taxiert werden muss. Das Sonderfallszenario kann frühestens
bei vorliegen der Daten der zweiten Welle mit Sicherheit ausgeschlossen werden.
Vieles spricht jedoch zurzeit für das erste Szenario einer Annahme der Vorlage.
Insbesondere auch die Konfliktanalyse; diese legt nahe, dass man von einem
geschlossenen Mitte-/rechts-Feld auf der Ja-Seite ausgehen kann. Das könnte
sich ändern, wenn namhafte Kantonalparteien der befürwortenden Parteien
ausscheren würden.
Grafik 77
Positiv prädisponierte Behördenvorlage, schwache Polarisierung
Richtung Nein, Annahme
in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht
Positiv prädisponierte Behördenvorlage mit Meinungswandel zum
Nein, Ausgang offen
in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht
Nein
Nein
Unentschieden
Unentschieden
Ja
Vor der Kampagne
Abstimmungstag
 gfs.bern, Campaigning
Ja
Vor der Kampagne
Während der Kampagne
Abstimmungstag
 gfs.bern, Campaigning
Die Meinungsbildung zur eingangs diskutierten Referenzvorlage, der Abstimmung über die Finanzierung und den Ausbau der Bahninfrastruktur (FABI) entsprach diesem Regelfall der Meinungsbildung und sie passierte die Abstimmung bei einem tieferen Ausgangswert in der ersten Umfrage (56%) mit einem Ja-Anteil von 62 Prozent.
Die zweite Referenzvorlage entsprach dem Ausnahmeszenario, allerdings handelte es sich bei der Abstimmung über die Avanti-Initiative nicht um einen Gegenvorschlag, der vom Bundesrat nicht vehement verteidigt wurde. Nicht zu
vergessen ist, dass damals über eine fixe zweite Gotthardröhre abgestimmt
wurde, nicht über einen Sanierungstunnel. Letztlich scheiterte der Gegenvorschlag an dieser zweiten Röhre, weil die Skepsis über dessen Folgen weit ins
bürgerliche Lager reichte. Das ist im aktuellen Fall klar anders.
3.5.5 Stichworte für die Berichterstattung

positiv vorbestimmte Entscheidung zu einer Behördenvorlage

Meinungsbildung eher fortgeschritten

auf beiden Seiten mehrheitsfähige Argumente, Sicherheitsfragen populär

Polarisierung vor allem durch staatspolitische Fragen, sprich Abkapselung
des Tessins und Verstoss gegen Alpenschutz

Konfliktmuster mit parteipolitischer Polarisierung und regionalen respektive persönlicher Betroffenheit

im Normalfall wachsen Zunahme- und Ablehnungsbereitschaft, im Ausnahmefall nimmt nur letzteres zu, beide Szenarien an sich möglich, Annahme aber wahrscheinlicher
88
4
Synthese
Am 28. Februar 2016 entscheiden die Schweizer Stimmberechtigten über vier
Vorlagen:

Initiative "Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe" (der CVP und
Zugewandter)

Initiative "Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer" (der
SVP)

Initiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln" (der Juso und Zugewandter)

Zweite Gotthardröhre, durch ein Referendum aus rotgrünen-Kreise in
Frage gestellt.
Mit der Synthese verdichten wir die Ergebnisse aus den verschiedenen Befunden. Wir konzentrieren uns dabei auf jene, die zur These des Dispositionsansatzes passen.
Gemäss unserer allgemeinsten Auffassung über Volksabstimmungen stehen
die Resultate von Volksabstimmungen nicht ein für alle Mal fest. Anders als bei
Wahlen sind sie grundsätzlich variabel. Denn bei Volksabstimmungen gibt es
keine Parteiidentifikation, die fast alles vorbestimmt. Wichtiger sind der Einfluss
des Abstimmungskampfes und der Bezug des Themas zum Alltag der Bürgerschaft.
Skizziert wird dies mit der nachstehenden Grafik. Die Meinungsbildung über die
Zeit hinweg ist in der mittleren Ebene dargestellt. Auf sie wirken die Faktoren,
welche die Kampagnen bestimmen, bestehend aus Abstimmungskampf, Konfliktmuster bei der meinungsbildenden Elite wie Regierung, Parlament und
Medien sowie dem allgemeinen politischen Klima. Das Ganze wird gespiegelt
durch die Prädispositionen, sprich Alltagserfahrungen, die man mit den Abstimmungsthemen gesammelt hat. Je klarer Prädispositionen vorhanden sind,
desto eher bestimmen die inneren Einflussfaktoren das Abstimmungsresultat.
Ohne starke Prädispositionen sind die äusseren relevanter.
Grafik 78
Analytisches Schema des Dispositionsansatzes
Klima
Konfliktmuster
meinungsbildende
Eliten
Abstimmungskampf
Vorlage
Dispositionen
Konfliktmuster
Stimmwillige
Entscheidung
Prädispositionen
Zeitachse
© gfs.bern
89
Generell gehen wir davon aus, dass sich die Position der Bürgerschaft im Abstimmungskampf an jene der Behörden anpasst.

Initiativen mögen noch so gut starten, ihre Ablehnung nimmt mit den
Kampagnen zu und die Zustimmung verringert sich, wenn Regierung und
Parlament dagegen sind. Kommt es nicht zu diesem Effekt, ist entweder
die Behördenposition löcherig, oder aber, was häufiger ist, mit dem Abstimmungskampf wird ein Protestpotenzial deutlich. Dieses steigt auf die
überwiegend eingesetzte Schwachstellenkommunikation gegen die Initiative nicht ein, will vielmehr ein gut sichtbares Zeichen des Unmuts setzen.

Auch bei Behördenvorlagen kommt es in aller Regel zu einer Anpassung
der Bürgermeinung an jene von Regierung und Parlament. Dabei sind
Meinungsänderungen weniger häufig, vielmehr interessiert hier die Meinungsbildung der gänzlich oder tendenziell unschlüssigen BürgerInnen.
Im Normalfall verteilen sie sich auf beide Seiten. Im Ausnahmefall zerfällt
die anfängliche Zustimmungsbereitschaft und die Zustimmung sinkt. Das
ist namentlich dann vorstellbar, wenn die parlamentarische Allianz im
Abstimmungskampf auseinander fällt.
Bei der Gotthard-Abstimmung handelt es sich um eine Behördenvorlage, der
namentlich aus dem rotgrünen Lager Opposition erwachsen ist. Die Prädisponierung ist mehrheitlich positiv und eher hoch. Hauptgrund hierfür ist, dass die
Vorlage aus dem Alltag heraus in Umrissen beurteilt werden kann. Erwartet
wird bis zum Abstimmungstag, dass es zu einer Polarisierung zwischen dem
bürgerlichen und rotgrünen Lager kommt, durchsetzt durch regionale und persönliche Betroffenheiten.
Bei den drei anderen Vorlagen handelt es sich um Volksinitiativen. Jene zur
Heiratsstrafe stammt aus bürgerlich-konservativen Kreisen. Ihre Mehrheitsfähigkeit ist potenziell gegeben, denn sie verspricht den Stimmberechtigten insgesamt Vorteile. Die Prädisponiertheit schätzten wir als eher hoch ein, denn
über Familienfragen wurde in jüngster Zeit mehrfach abgestimmt. Bei Volksinitiativen kam es dabei zu einer Polarisierung zwischen einer linksliberalen Mehrheit und einer konservativen Minderheit, regelmässig durchsetzt durch persönliche Betroffenheiten als Verheiratete oder Eltern, hier auch als Diskriminierte.
Die Volksinitiative zur Durchsetzungsinitiative stammt von der SVP und basiert
auf einer nationalkonservativen Grundhaltung, wonach die Schweiz vor internationalen Einflüssen zu schützen sei. Die Mehrheitsfähigkeit ist potenziell gegeben, denn die Vorlage nimmt ein gesellschaftspolitisch breit geteiltes Problem
auf. Die Prädisponiertheit stuften wir als hoch ein, denn die Vorlage steht im
direkten Zusammenhang mit der Ausschaffungsinitiative, die 2010 angenommen wurde. Bei Konfliktmustern vermuteten wir vor allem einen neuerlichen
Elite/Basis-Konflikt, wobei die SVP-Position von rechts her auf die verschiedenen Parteiwählerschaften unterschiedlich stark ausstrahlt, insbesondere auch
die Parteiungebundenen umfasst.
Schliesslich die Volksinitiative zum Spekulationsstopp bei Nahrungsmitteln. Sie
stammt aus dem rotgrünen Lager, mit beschränkter Ausstrahlung auf die bürgerliche Mitte, namentlich in christlich geprägten Parteien. Eingestuft haben wir
sie deshalb als Minderheitsinitiative. Bei der Prädisponiertheit gingen wir von
einem geringen Stand aus, vor allem da das Abstimmungsthema neu ist und in
der Öffentlichkeit bisher keine breite Diskussion stattgefunden hat. Bei Konfliktmustern gingen wir entsprechend von der bekannten Polarisierung zwischen bürgerlichen Mehrheit und linker Minderheit aus.
Die nachstehende Tabelle vermittelt nun die grosse Übersicht über die relevanten Fakten, die der ersten von zwei Befragungen entstammt und in der Folge
einer ersten Würdigung unterzogen werden.
90
Tabelle 20
Übersicht gegenwärtiger Stand der Stimmabsichten und Meinungsbildung Volksabstimmung 28. Februar 2016
Indikatoren
Grad der Prädisponierung
Teilnahmeabsicht
ohne Stimmabsichten
mit tendenziellen Stimmabsichten
mit festen Stimmabsichten
Richtung der Prädisponierung
bestimmt und eher dafür
bestimmt und eher dagegen
Szenarien der Meinungsbildung
Szenarien Beteiligung
Szenarien Ausgang
Volksabstimmung
Konfliktmuster
signifikant
VI gegen Heiratsstrafe
mittel fortgeschritten
12 Prozent der Teilnahmewilligen
36 Prozent der Teilnahmewilligen
52 Prozent der Teilnahmewilligen
absolute Mehrheit dafür
67 Prozent der Teilnahmewilligen
21 Prozent der Teilnahmewilligen
positiv prädisponiert,
Polarisierung Richtung Nein wahrscheinlich
Durchsetzungsinitiative
VI gegen Nahrungsmittelspekulation
fortgeschritten
wenig fortgeschritten
48 Prozent der Stimmberechtigten
7 Prozent der Teilnahmewilligen
13 Prozent der Teilnahmewilligen
31 Prozent der Teilnahmewilligen
40 Prozent der Teilnahmewilligen
62 Prozent der Teilnahmewilligen
47 Prozent der Teilnahmewilligen
absolute Mehrheit dafür
relative Mehrheit dafür
51 Prozent der Teilnahmewilligen
48 Prozent der Teilnahmewilligen
42 Prozent der Teilnahmewilligen
39 Prozent der Teilnahmewilligen
knapp positiv prädisponiert, Polarinicht prädisponiert,
sierung Richtung Nein wahrscheinlich,
Polarisierung Richtung Nein wahrscheinMobilisierungseffekt zugunsten Ja
lich
möglich
nimmt zu
offen, Vorteile ja
offen
Ablehnung wahrscheinlich
Parteibindung (CVP/SVP. vs. GPS/SP)
Sprachregion (DCH/ICH vs. FCH)
Zivilstand (verheiratet/verwitwet vs. ledig/geschieden/lebt mit PartnerIn (nicht
eingetragene Partnerschaft)
Parteibindung (SVP/ Parteiungebundene vs. GPS/SP/CVP)
Sprachregion (ICH vs. DCH)
Siedlungsart (ländlich vs. grosse Aggl.)
Schulbildung (tief/mittel vs. hoch)
Haushaltseinkommen (tief vs. hoch)
Alter (jung vs. alt)
Regierungsvertrauen (Misstrauen vs.
Vertrauen)
Parteibindung (GPS/SP vs. CVP/FDP/SVP/
Parteiungebundene)
Sprachregion (FCH/ICH vs. DCH)
Schulbildung (tief vs. hoch)
Haushaltseinkommen (tief/mittel vs.
mittel/hoch)
Geschlecht (Frau vs. Mann)
Alter (jung/mittel vs. alt)
Schulbildung, Geschlecht, Alter, Siedlungsart, Haushaltseinkommen
Regierungsvertrauen
modern vs. traditionell, persönliche Betroffenheit, partiell Elite/Basis-Konflikt
Geschlecht
Regierungsvertrauen
Rechts/links, Elite/Basis-Konflikt
Bürgerlich/rotgrün
Doppelbesteuerung ungerecht
Heiraten attraktiver
kriminelle Ausländer ausschaffen
Ablehnung: Volkswille wichtiger als
Völkerrecht
Ablehnung: Instrument gegen Hunger
treibt Lebensmittelpreise in die Höhe
Bereicherung weniger Reicher
Contra
diskriminiert gleichgeschlechtliche Paare
vernünftige Gesetzesvorlage durch
Parlament
gegen Menschenrechtskonvention
Verhandlungen mit EU schwieriger
Bestimmungsgrad
Zentrale Polarität bisher
tief (R =0.237)
Doppelbesteuerung ungerecht vs. Diskriminierung Gleichgeschlechtliche
nicht signifikant
typologisch
Mehrheitsfähige Argumente
Pro
2
2
hoch (R =0.637)
kriminelle Ausl. ausschaffen vs. Vernünftige Gesetzesvoralge
Zweite Gotthardröhre
eher fortgeschritten
7 Prozent der Teilnahmewilligen
37 Prozent der Teilnahmewilligen
56 Prozent der Teilnahmewilligen
absolute Mehrheit dafür
64 Prozent der Teilnahmewilligen
29 Prozent der Teilnahmewilligen
positiv prädisponiert, Unentschieden e
auf beide Seite wahrscheinlich,
Polarisierung Richtung Nein möglich
Annahme wahrscheinlicher als Ablehnung
Parteibindung (FDP/SVP vs. GPS/SP)
Sprachregion (ICH/DCH vs. WCH)
Siedlungsart (ländlich vs. kleine/mittlere/
grosse Aggl.)
Schulbildung (tief vs. mittel)
Geschlecht (Mann vs. Frau)
Alter (u 65 vs. ü65)
Regierungsvertrauen (Vertrauen/Misstrauen vs./w.n./k.A.)
Autobesitz (ja vs. nein)
links/rechts, regionale und persönliche
Betroffenheit
Tessin nicht abschneiden
Ablehnung: Staus verschwinden
je eine Fahrspur sichere
Landverbrauch für Bahnverlad
zusätzliche Regulierungen vermeiden
widerspricht Schutz der Alpen
Arbeitsplätze und Steuereinnahmen gehen Verkehr am Gotthard erhöht sich
verloren
verbraucht finanzielle Mittel
Druck aus In- und Ausland wird steigen
2
2
mittel (R =0.445)
mittel (R =0.570)
Instrument gegen Welthunger vs. kein
Tessin nicht abschneiden vs. AlpenInstrument
schutz/Verkehrsaufkommen
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016
91
4.1
Diskussion der Hypothesen
4.1.1 Stimmbeteiligung
Hypothese Beteiligung an Volkabstimmungen
Am 28. Februar 2016 kommt es mit vier Vorlagen zu einer überdurchschnittlichen Zahl an Abstimmungen. Erwartet wird entsprechend eine Beteiligung
über dem langjährigen Mittel.
Sollte es zu einer überdurchschnittlichen Mobilisierung der regierungsmisstrauischen Stimmbürgerschaft kommen, wird der Protestcharakter (von rechts) in
den Voten verstärkt.
Gemäss unserer Umfrage liegt der aktuelle Wert bei 48 Prozent. Das ist für den
Zeitpunkt der Befragung ein leicht überdurchschnittlicher Wert. In der zurückliegenden Legislatur erreichte die Beteiligung im Mittel 45.6 Prozent am Abstimmungstag, wobei die Beteiligung während des Abstimmungskampfes im
Mittel um 3 Prozentpunkte stieg.
Die Messung entspricht der Erwartung. Sie zeigt aber auch, dass ein Zusammenhang mit dem Regierungsvertrauen besteht. Das lässt jedenfalls für den
Zeitpunkt der Befragung auf die Mobilisierung von Protestpotenzialen schliessen. Diese wirken sich nachweislich auf die Stimmabsichten bei der Durchsetzungsinitiative aus. Entsprechend kann es in dieser Frage zu einem Protestvotum kommen.
Bei der Durchsetzungsinitiative besteht auch ein positiver Zusammenhang zu
den Stimmabsichten. Die Annahmechancen steigen mit zunehmender Stimmbeteiligung deutlich an.
Man kann das auch so formulieren: Insbesondere bei der Entscheidung über
die Durchsetzungsinitiative ist ein Protest gegen die Behördenpolitik nicht auszuschliessen, der sogar den Abstimmungsausgang (mit)bestimmen könnte.
Dabei besteht ein Konnex zwischen Beteiligungshöhe und Kampagnenstil. Aus
Erfahrung gilt: Je emotionaler die diesbezügliche Debatte geführt wird, desto
mehr ist mit speziellen Mobilisierungseffekten zu rechnen, die der Ja-Seite
nützen. Je sachlicher sie ausfällt, umso eher haben die Gegner eine Chance,
das Blatt zu wenden.
4.1.2 Initiative gegen Heiratsstrafe
Hypothese Initiative gegen Heiratsstrafe
Bei der Initiative gegen Heiratsstrafe handelt es sich um eine potenziell mehrheitsfähige Vorlage, bei welcher der Abstimmungskampf entscheidet.
Mit der Besteuerung von Ehepaaren nimmt sie ein verbreitet problematisch
empfundenes Thema auf, das über die eignen Reihe hinaus Akzeptanz geniesst. Aufgrund der Ehedefinition und der fiskalischen Folgen ist sie allerdings
kritisierbar, weshalb mit dem normalen Verlauf der Meinungsbildung gerechnet
werden kann, bei dem sich die Gegnerschaft im Verlauf des Abstimmungskampfes aufbaut und das Lager der Befürworterschaft schrumpft.
Gerechnet wird mit einer Polarisierung zwischen konservativer und linksliberaler Bürgerschaft, etwas durchbrochen durch die Betroffenheit als verheiratetes
Paar. Das Veränderungspotenzial des Abstimmungskampfes wird als erheblich
eingestuft.
Es bestehen Vorteile für das Ja, der Ausgang der Volksentscheidung ist offen.
92
Die Hypothese wird, soweit sie die Ausgangslage beschreibt, durch unsere
Befunde, bestätigt.
Die Mehrheitsfähigkeit der Vorlage vor der Hauptphase der Kampagne ist
nachweislich vorhanden. Hauptgrund ist das ungelöste Problem der Besteuerung von Ehepaaren.
Zur bisherigen Meinungsbildung können wir festhalten, dass die Initianten mit
der Gerechtigkeitsfrage das zentrale Thema gesetzt haben. Sie können es auch
zu ihren Gunsten besetzen. Das erklärt ihren bisherigen Vorsprung in den
Stimmabsichten. Demgegenüber hat sich die Nein-Seite stark auf die Diskriminierungsfrage gleichgeschlechtlicher Paare konzentriert. Sie überschätzt die
Möglichkeiten der Meinungsbildung mit diesem Argument tendenziell. Erwartungsgemäss positioniert hat sich so letztlich nur die grüne Wählerschaft.
Bei Personen, die in nicht eingetragenen Partnerschaften leben, ist die Meinungsbildung schon weit fortgeschritten. Doch auch sie neigen bisher leicht ins
Ja.
Stark zugunsten der Befürworter polarisiert und prädisponiert sind insbesondere die Teilnahmewilligen in der italienischsprachigen Schweiz. Sie äussern sich
ausserordentlich stark im Sinne der CVP-Initiative, wie die untenstehende Grafik zeigt.
Grafik 79
Wenn die bisherige Polarisierung gering ausfällt, hat das mit dem Stand des
Abstimmungskampfes zu tun. Dieser begann später als der zur GotthardAbstimmung und Durchsetzungsinitiative. Bisher fand eine mediale Vorkampagne statt, die sich im Wesentlichen auf die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare konzentrierte.
Die Folge ist, dass die bisherige Polarisierung der Stimmbürgerschaft und der
Teilnahmewilligen nicht wie erwartet zwischen modernen und konservativen
Werthaltungen geschah. Wenn es bisher eine nachweisliche Polarisierung gab,
dann beschränkt zwischen bürgerlicher und rotgrüner Wählerschaft. Dabei stehen sich eher Positionen der Steuersenkung und der Diskriminierung gegenüber.
Aus dem bisherigen Prozess der Meinungsbildung kann abgeleitet werden,
dass insbesondere FDP, aber auch SP und GPS ein internes Elite/Basis93
Problem kennen. Erwartet werden kann aber, dass sich dieses mit dem noch
kommenden Abstimmungskampf abbaut, denn die Anpassung der Meinung an
die der eigenen Partei ist durchaus plausibel.
Hinzu kommt, dass sich die Opposition der Finanzpolitiker eben erst ankündigte, in die Umfrage aber noch nicht einfliessen konnte. Das bestätigt die Erwartung, dass das Nein wegen Steuerausfällen seine Wirkung erst noch entfalten
wird.
Das Mass, in dem das alles stattfindet, ist noch offen. Das entscheidet letztlich
der Abstimmungskampf. Das Potenzial ist gegeben, denn von den Teilnahmewilligen haben nur gut die Hälfte eine feste Stimmabsicht. Die andere Hälfte
hat zwar Neigungen, doch ist gerade bei Volksinitiativen bekannt, dass sich
diese auch recht kurzfristig ändern können, vor allem vom tendenziellen Ja ins
tendenzielle Nein.
Es bestehen also, wie erwartet, Vorteile für die Initianten. Der Ausgang der
Volksentscheidung ist aber an sich offen.
4.1.3 Durchsetzungsinitiative
Hypothese Durchsetzungsinitiative
Bei der Durchsetzungsinitiative handelt es sich um eine potenziell mehrheitsfähige Vorlage mit direktem Bezug zur angenommenen Ausschaffungsinitiative.
Diese griff ein gesellschaftlich breit empfundenes Problem auf, das in erster
Linie mit juristischen Argumenten bekämpft wurde, was erfolglos blieb. Die
neue Initiative verbindet die Problematik mit einer Institutionenkritik, wonach
verschiedene Behörden bei der Ausschaffung zu wenig weit gehen.
In einer solchen Konstellation ist ein Elite/Basis-Konflikt häufig, vermehrt rechts
denn links, bei dem namentlich die Mobilisierungsfrage der innerparteilichen
Minderheiten von Belang wird. Typisiert ist mit einer generellen Konfliktlinie zu
rechnen: Ängste vor Identitätsverlust auf der einen Seite, Befürworter einer
multikulturellen, offenen Schweiz auf der anderen Seite.
Erwartet wird mit einer vergleichbaren Ausgangslage und aufgrund einer alltäglichen und politisch verbreiteten Prädisposition ein eher geringes, aber vorhandenes Veränderungspotenzial durch den Abstimmungskampf.
Es bestehen Vorteile für das Ja, der Ausgang der Volkabstimmung ist aber offen.
Die Hypothese wird, soweit sie mit den bisherigen Befunden überprüft werden
kann, bestätigt. Die bisherigen Stimmabsichten sind mehrheitlich im Ja. Der
Vorsprung auf die Nein-Seite ist aber recht gering. Gesichert ist die Zustimmung nicht, sowohl beim Volksmehr (denn die Abweichung von 50 Prozent ist
im Stichprobenfehler), als auch beim Ständemehr (das bisher nicht untersucht
werden konnte).
Die bisher ausgelöste Polarisierung ist exemplarisch, gerade zwischen den
Wählerschaften von SVP und SP unüblich massiv. Hinzu kommen Unterschieden in den Sprachregionen, Polarisierungen entlang der sozialen Stellung und
beschränkt des Alters
Bisher wenig entwickelt und gerichtet sind die Meinungen insbesondere in der
französischsprachigen Schweiz. Hinzu kommen Parteiungebundene und FDPWähler und Wählerinnen. Was in diesen Zielgruppen geschieht, dürfte letztlich
den Ausschlag geben. Denn es ist gut bekannt, dass rechte Initiativen abgelehnt werden, wenn die Mehrheit der Parteiungebundenen sie nicht stützt, und
die Minderheiten in den bürgerlichen Parteien dafür klein bleiben.
94
Grafik 80
Hauptgrund für die gute Ausgangslage dieser Initiative ist, dass das Problem
der Kriminalität, insbesondere auch der Ausländerkriminalität in breiten Bevölkerungsschichten als gross empfunden wird, und die eingeleiteten Massnahmen dagegen noch nicht greifen.
Der Diskurs in Eliten und an der Basis ist deshalb verschieden: Die Eliten setzen grossmehrheitlich darauf, dass sich die Wirkung einstellen wird, und zwar
auf rechtsstaatlich vertretbarem Wege. Die neuerliche Initiative würde deshalb
der Schweiz schaden, und zwar in wirtschaftlicher und völkerrechtlicher Sicht.
In der Bevölkerung ist die Position, kriminelle Ausländer seien unverzüglich und
ohne wenn und aber auszuschaffen, durchaus mehrheitsfähig. Bis zu zwei Drittel der Stimmberechtigten teilen diese Position.
Immerhin, die Meinungsbildung ist mit der Vorkampagne der Gegnerschaft in
Bewegung geraten. Eine Vorbefragung unseres Instituts bereits im Oktober
2015 sprach noch von 70 Prozent Zustimmungsbereitschaft. Der Vergleichswert hierzu liegt heute bei 51 Prozent. Demnach zeigten die Kampagnen zu den
Folgen für die Menschenrechte und die Bilateralen erste Wirkungen.
Nicht ganz ausschliessen können wir, dass der Trend zwischenzeitlich gegenteilig verläuft. Wichtiger als die Ereignisse in Köln, die in erster Linie das Umfeld der Entscheidung geprägt haben, erachten wir die Kampagne der SVP, die
letztlich erst im Umfeld der "Albisgütli-Tagung" eingesetzt hat und prominent
auf Behörden- und Gesellschaftskritik setzt, den Druck auf die Politik erhöht
und mit Annahme der Initiative Rechtssicherheit verspricht. Kritisiert wird neuerdings, dass der Deliktkatalog der SVP selektiv sei, teils hinter dem Stand der
vorgesehenen Gesetzgebung zurückbleibe.
Unsere Untersuchung legt zudem nahe, dass die Verlagerung der NeinKampagne zur vorgesehenen Behördenpolitik in Sachen Umsetzung der Ausschaffungsinitiative mehrheitsfähig ist und Wirkung zeigt. Insbesondere zu
vermuten ist eine Wirkung bei Bürgerinnen und Bürgern, die 2010 für die Ausschaffungsinitiative stimmten, jetzt aber auf der Nein-Seite stehen oder unsicher sind. Für Gegner und Gegnerinnen der Initiative sind genaue diese, von
der Ausschaffungs- zur Durchsetzungsinitiative vom SVP-Kurs abgekommen
Bürgerinnen und Bürger, erheblich. Nicht zuletzt um Teilnehmende zu kompen95
sieren, die sich in der Zwischenzeit der SVP zugewandt haben – sei es in Form
von Wahlverhalten oder lediglich in Bezug auf Abstimmungsparolen.
Alles wird noch etwas komplizierter, wenn man sich an die Aussagen erinnert,
die wir bei der Beteiligung gemacht haben. Demnach steigt die Zustimmungsbereitschaft bei einer weiteren Zunahme der Stimmbeteiligung über das übliche Ausmass hinaus genau bei dieser Vorlage.
4.1.4 Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation
Hypothese Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation
Bei der Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation handelt es sich um ein Minderheitsanliegen.
Stossrichtung und Trägerschaft entsprechen einem klaren Linksprofil mit beschränkter Ausstrahlung auf die politische Mitte. Erwartet wird, dass die Gegnerschaft im Verlaufe des Abstimmungskampfes stärker wird und das Lager
der Befürworterschaft abnimmt. Postuliert wird eine Polarisierung im
Links/rechts-Spektrum. Denkbar ist eine beschränkte Unterstützung im konservativ-bürgerlichen Elektorat.
Ein Nein am Abstimmungstag ist das wahrscheinlichste Szenario.
Die Hypothese wird, soweit sie durch unsere Befunde geprüft werden kann,
bestätigt.
Das Anliegen der JUSO und Zugewandten findet in der Ausgangslage keine
Mehrheit. Allerdings ist die Vorbedingung nur sehr knapp erfüllt. Für eine linke
Volksinitiative startet die Spekulationsstopp-Initiative vergleichsweise gut.
Die Unterstützung in der Ausgangslage ist vor allem bei der grünen Wählerschaft ausgeprägt, bei der SP vorhanden. Den Gegenpol bildet die FDP, unterstützt von Wählerschaften aus dem Umfeld von SVP und CVP. Die bisherige
Polarisierung ist eher mittelstark zu werten. Das drückt sich darin aus, dass die
Geschlossenheit auf bürgerlicher Seite zurück bleibt, insbesondere bei den
konservativen Teilen, die wirtschaftskritisch eingestellt sind. Latent zeigt sich
hier ein parteispezifischer Elite/Basis-Konflikt. Dieser könnte aber verschwinden, wenn die interne Meinungsbildung zu wirken beginnt, denn namentlich bei
der CVP hat diese erst in geringem Masse zu klaren Stimmabsichten geführt.
Darüber hinaus stellen wir fest, dass Frauen, Jüngere und tiefe Bildungsschichten Sympathien für die Vorlagen haben.
Die Beschäftigung der Öffentlichkeit mit dieser Vorlage blieb bisher zurück. Das
hat in erster Linie damit zu tun, dass sich nur wenige Organisationen ausgiebig
mit der Thematik beschäftigt haben, sodass es an Basiswissen mangelt, aber
auch eingespielte Argumentations- und Überzeugungsketten weitgehend fehlen. Das wirkt sich auch auf die Medienberichterstattung aus, die quantitativ
zurückbleibt und nicht einfach zuzuspitzen ist.
In einer solche Situation ist zu erwarten, dass allgemeinen Konfliktmuster entscheiden. Dabei drängt sich die Polarisierung entlang der Links/rechts-Achse
auf. Eine Kampagne könnte sich dabei gegen die Initianten selber oder aber die
Zielsetzung der Initiative richten.
Vergleichsabstimmungen hierzu gibt es genügend, die auf eine anwachsende
Geschlossenheit im Nein-Lager verweisen, aber auch auf Zweifel bei gewissen
sozialdemokratischen Wählenden.
96
Grafik 81
Bei dieser Ausgangslage ist es sicher, dass sich die Zustimmungswerte aus der
jetzigen Umfrage verringern, und jene zur Ablehnung ansteigen werden. Mit
dem Kippen der (relativen) Mehrheiten während des Abstimmungskampfes ist
zu rechnen.
Entsprechend ist das Szenario "Nein" das wahrscheinlichste.
4.1.5 Zweite Gotthardröhre
Hypothese zweite Gotthardröhre
Bei der "Gotthard"-Abstimmung handelt es sich um eine Behördenvorlage, die
aufgrund des Alltagsbezugs vorbestimmte Stimmabsichten kennt. Bestimmt
sind diese durch drei Faktoren: Parteizugehörigkeit, regionale Betroffenheit und
Autobesitz.
Aufgrund der Vorteile für den Transitverkehr ist mit einer mehrheitlich Zustimmung in der Ausgangslage zu rechnen, verbunden mit einer Opposition aus
dem rotgrünen, beschränkt auch dem bürgerlichen Lager, das einen Verstoss
gegen die Verlagerungspolitik am Gotthard sieht.
Die Glaubwürdigkeit der Absender ist von Belang, denn es wird mit unsicheren
Auswirkungen vor allem bei einer Annahme argumentiert.
Mit eindeutigen Mehrheiten ist nicht zu rechnen, die Entscheidung fällt erst im
Abstimmungskampf.
Die Hypothese wird, jedenfalls für den Teil, der schon prüfbar ist, durch unsere
Befunde weitgehend bestätigt.
Die Prädispositionen sind mehrheitlich positiv vorhanden und schon einigermassen stabilisiert. Entsprechend führt die Ja-Seite gemäss Umfragewerten recht
deutlich.
Hauptgrund ist, dass die Befürworter mit der Sicherheitsfrage ein zentrales
Thema gesetzt haben, dass grosse Aufmerksamkeit und gemäss Umfrage auch
Zustimmung findet. Die Themen, welche die bisherige Meinungsbildung am
meisten beeinflusst haben, liegen aber anderswo. Sie haben eher staats- denn
97
verkehrspolitischen Charakter: Auf der Ja-Seite ist es die befürchtete Abkapselung des. Diese Argumentation greift in den deutsch- und italienischsprachigen
Landesteilen. Auf der Nein-Seite ist es die Verfassungstreue beim Alpenschutz,
verbunden mit der Vermutung einer Ausdehnung der Kapazität durch den Gotthardtunnel in der Zukunft.
Die Polarisierung, die so entstanden ist, fällt zunächst parteipolitisch aus, dann
zeigt sie Effekte der regionalen Betroffenheit beispielsweise durch kommende
Verkehrsbelastungen einerseits, andererseits persönliche, bei denen die Verkehrseffizienz im Vordergrund steht.
Grafik 82
Klar positioniert haben sich die GPS und die SVP, aber auch die italienischsprachige Schweiz und die Besitzer mehrerer Automobile. Ein wenig schwingt auch
hier die Position zu den Behörden mit, wobei sich das Misstrauen nicht gegen
Bundesrat und Parlament auswirkt, sondern zu ihren Gunsten. Bisher am klarsten zurückgeblieben ist die Meinungsbildung in der französischsprachigen
Schweiz.
Was das bürgerliche Lager angeht, erscheint die bisherige Geschlossenheit
eher grösser als in der Hypothese vermutet. Bei der CVP machen die NeinSager 30 Prozent aus, bei FDP und SVP gar nur 18 resp. 17 Prozent.
Die Chancen, dass die Vorlage die Volksabstimmung passiert, ist damit durchaus gegeben. Das Normalszenario erscheint uns am wahrscheinlichsten. Demnach verteilen sich die Unschlüssigen in unserer Befragung auf beide Seiten,
was Zustimmungs- und Ablehnungswert ansteigen lässt, die Vorteil der JaSeite aber nicht mindert.
Nicht ganz ausschliessen können wir die Ausnahme nicht. Sie ergibt sich dann,
wenn Teile der zustimmenden Allianz ausscheren würden, was insbesondere in
regionaler Hinsicht denkbar bleibt.
Wir halten die Annahme der Vorlage dennoch für die wahrscheinliche Variante.
98
4.2
Thesen
These Stimmbeteiligung
Die Beteiligungsabsichten sind für den Moment etwas überdurchschnittlich.
Mehr als der Schnitt ist heute die politische Mitte mobilisiert, aber auch die
regierungskritische Bürgerschaft.
Im Normalfall nehmen die Beteiligungsabsichten während des Abstimmungskampfes nochmals etwas zu. Sollten sie bis zur Volksabstimmung stark zunehmen, ist mit Auswirkungen vor allem bei der Durchsetzungsinitiative im
Sinne der Initianten zu rechnen.
These Initiative gegen Heiratsstrafe
Bei der Vorlage über die Heiratsstrafe handelt es sich um eine potenzielle
Mehrheitsinitiative. Die Zustimmung ist jedenfalls in der Ausgangslage mehrheitlich. Die Prädisponierung ist aber nur mittelstark, sodass Veränderungen in
den Stimmabsichten durchaus denkbar sind. Bei Initiativen ist die Zunahme der
Ablehnungsbereitschaft am wahrscheinlichsten, gefolgt von der Abnahme der
Zustimmungstendenz.
Beide Seiten verfügen über mehrheitsfähige Botschaften. Im Lager der Initianten ist das vor allem die ungerechte Ehebesteuerung nach heutigem Recht, auf
der Nein Seite sind das finanzpolitische Auswirkungen. Bisher polarisiert hat jaseitig die Doppelbesteuerung, nein-seitig die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare. Von den gegnerischen Aussagen zu den finanziellen Folgen ist
noch keine Wirkung ausgegangen.
Das Konfliktmuster ist bisher wenig ausgeprägt, am ehesten parteipolitischer
Natur sowie durch die unmittelbare Betroffenheit charakterisiert. Elite/BasisKonflikte finden sich gegenwärtig bei der FDP, der SP und der GPS, alle im
Nein-Lager, nicht aber bei den befürwortenden Parteien CVP und SP.
Die bisherigen Stimmabsichten werden auffällig schwach durch die Argumentenbewertungen gestützt, sodass mit erheblichen Veränderungen namentlich
im rotgrünen Lager und bei Parteiungebundenen gerechnet werden kann.
These Durchsetzungsinitiative
Bei der Vorlage zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer handelt es sich um eine potenzielle Mehrheitsinitiative, die vor allem durch die
Entscheidungen bei der Ausschaffungsinitiative stark prädisponiert ist. Die
Meinungsbildung ist effektiv fortgeschritten, wenn auch nicht abschliessend
gemacht. Es besteht eine knappe Ja-Mehrheit. Änderungen im Ja/Nein-Anteil
sind hier auch durch die Mobilisierung möglich; bei einer weiter steigenden
Beteiligung ist insbesondere mit Vorteilen für die Initianten zu rechnen.
Populärstes Argument der Kampagne ist die konsequente Ausschaffung krimineller Ausländer. Es hat bisher auch mit Abstand am meisten polarisiert. Seitens der Gegner gibt es kein so eindeutiges Argument. Mehrheitlich akzeptiert
und zielgruppenspezifisch wirkungsvoll sind die Gesetzgebung des Parlaments
zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative, die fehlende Härtefallklausel in der
Volksinitiative und die Folgen für die Bilateralen. Tendenziell als Bumerang wirkt
es sich aus, wenn die Initianten den Volkswillen generell über das Völkerrecht
stellen.
99
Das Konfliktmuster gleicht dem, das man aus Vergleichsabstimmungen kennt.
Die Opposition ist parlamentarisch nicht mehrheitsfähig, unter den Stimmwilligen aber grösser, weil es Elite/Basis-Konflikte gibt, rechts ausgeprägter als
links, aber auch bei den Parteiungebundenen. Verstärkt kommen sie durch JaStimmen der regierungsmisstrauischen Bürgerinnen und Bürger vor. Sie kennzeichnen aber auch die Stimmabsichten der unteren Schichten. Neu ist, dass
die Zustimmungsbereitschaft bei jüngeren Personen höher ist als im hohen
Alter.
These gegen Nahrungsmittelspekulation
Bei der Vorlage zum Spekulationsstopp bei Nahrungsmittel handelt es sich um
eine Minderheitsinitiative, die ein neues Thema aufwirft, sodass nicht mit ausgeprägt prädisponierten Stimmabsichten gerechnet werden kann.
Effektiv besteht keine absolute Zustimmungsmehrheit, jedoch eine relative. Die
Meinungsbildung ist wie erwartet bisher wenig fortgeschritten. Die Polarisierung folgt wie im Parlament dem Links/rechts-Muster; sie ist bisher aber wenig
ausgeprägt. Insbesondere unter den Wählenden der SVP und CVP gibt es recht
starke Abweichungen von den Parteiparolen.
Argumentativ dreht sich die Debatte aus Bevölkerungssicht um die Ursachen
des Welthungers. Die Initianten haben damit ein zentrales Thema gesetzt, finden aber mit ihrem Lösungsansatz keine Mehrheit.
These zweite Gotthardröhre
Bei der Vorlage, die zu einer zweiten Gotthardröhre führen soll, handelt es sich
um eine positiv vorbestimmte Behördenvorlage, gegen die von rotgrüner Seite
das Referendum ergriffen worden ist.
Die bisherige Debatte wird durch Sicherheitsfragen bestimmt. Polarisierend
wirken aber eher die staatspolitischen Botschaften: Die drohende Abkapselung
des Tessins ohne den neuen Tunnel einerseits, die Ritzung des Alpenschutzes
bei einer zweiten Röhre anderseits.
Die bisherige Polarisierung folgt der Konfliktlinie im Parlament. Sie ist in erster
Linie durch den Gegensatz zwischen bürgerlicher und links (Verkehrs-) Politik
geprägt. Hinzu kommen Unterschiede nach Sprachregionen, wobei die italienischsprachige Schweiz (verstärkt dafür) und die Romandie (verstärkt unentschieden) die Gegensätze bilden. Die parteipolitische Polarisierung ist dabei
mittelstark, ohne dass es bisher zu namhaften Abweichungen der nationalen
Parolen gekommen wäre.
100
5
Anhang
5.1
Forschungskonzept: erweiterter
Dispositionsansatz
gfs.bern fasst sein Forschungskonzept zu Abstimmungen im Dispositionsansatz zusammen. In seiner ursprünglichen Form ist er 1998 durch uns entwickelt
worden; seither ist er laufend an neuste wissenschaftliche Erkenntnisse und
Standards angepasst und aufgrund der Anwendungen überprüft worden.
Primär dient der Dispositionsansatz der Analyse von Prozessen der Meinungsbildung vor Volksabstimmungen, denn er bildet einen sinnvollen Rahmen, mit
dem Umfragedaten zum Entscheidungsprozess analysiert, interpretiert und
eingebettet werden können.
Unseres Wissens ist der Dispositionsansatz die einzige sozialwissenschaftliche
Vorgehensweise, die geeignet ist, Abstimmungsergebnisse in der Schweiz in
der dynamischen Perspektive zu untersuchen.
Untenstehende Grafik zeigt auf, worauf der Dispositionsansatz abstellt und die
die vermuteten Zusammenhänge wirksam werden.
Grafik 83
Analytisches Schema des Dispositionsansatzes
Klima
Konfliktmuster
meinungsbildende
Eliten
Abstimmungskampf
Vorlage
Dispositionen
Konfliktmuster
Stimmwillige
Entscheidung
Prädispositionen
Zeitachse
© gfs.bern
Bei Wahlen bildet die Parteibindung die relevante Grundhaltung auf Basis welcher entschieden wird. Sie bestimmt in einem hohen Masse, wie man Parteien, Kandidierende und Wahlkampfthemen wahrnimmt. Eine solche Vereinfachung ist bei Volksabstimmungen direkt nicht möglich. Dafür variiert die Themenbreite der Vorlagen zu stark. Ausserdem sind Abstimmungskämpfe weniger standardisiert als Wahlkämpfe. Entsprechend ist die informationsgestützte
Meinungsbildung bei Sachentscheidungen wichtiger als bei den routinierteren
Wahlen.
101
Statt auf einer einfachen Parteibindung aufzubauen, stützt sich die Abstimmungsforschung vorzugsweise mit Prädispositionen. Konkret handelt es sich
dabei um Elemente der individuellen Meinungsbildung, die gegeben sind, bevor
ein konkreter Prozess der Entscheidungsfindung einsetzt. Die Meinungsbildung
steht nämlich weder ein für alle Mal fest, noch beginnt sie jedes Mal bei Null.
Zu den bei Volksabstimmungen relevanten Prädispositionen zählen wir insbesondere:

Alltagserfahrungen mit dem Abstimmungsgegenstand (Problembewusstsein)

eindeutige Interessenslagen hinsichtlich einer Vorlage (aufgrund von
Schaden-Nutzen-Erwartungen)

durch Politik und Kultur bestimmte Werthaltungen (wie Einstellung zum
Staat, Präferenzen für Lösungsansätze politischer Probleme)

die Parteibindung (inklusive die Position der Bürger und Bürgerinnen auf
der Links/rechts-Achse)

Abstimmungsroutinen (beispielsweise die Teilnahmeabsicht, Regierungsvertrauen/-misstrauen).
Was die Dynamik angeht, unterscheiden wir generell:

Meinungsaufbau (aus Unentschiedenen werden Entschiedene)

Meinungswandel (aus Vorentschiedenen werden Entschiedene in die
entgegengesetzte Richtung)

Meinungsverstärkung (aus Vorentschiedenen werden Entschiedene in
die sich abzeichnende Richtung)
Das Mass an Vorbestimmtheit von Volksabstimmungen bezeichnen wir als
Prädisponiertheit. Deren Mass und Grad hängt dabei einerseits vom generellen
Vorhandensein relevanter Prädispositionen ab, andererseits von der Art und
Weise, wie Abstimmungskampagnen diese Prädispositionen mobilisieren, verstärken oder verändern können. Insgesamt gilt, dass die Prädisponiertheit von
Abstimmungen geringer ist als diejenige von Wahlen, insbesondere von Parteiwahlen.
Der Dispositionsansatz stützt sich empirisch nicht nur auf die Sonntagsfrage(n)
zu den Stimm- und Teilnahmeabsichten, wie das beispielsweise die Vorschriften des Verbandes der Markt- und Sozialforschung minimal verlangen, sondern
berücksichtigt auch weitere Einstellungsfragen. Im Mandat Trendumfragen vor
Abstimmungen sind dies der Argumententest und das Konfliktmuster, wie es
bei den Stimm- und Teilnahmeabsichten zum Ausdruck kommt. Sie werden
verwendet, um die Ausgangslage und Möglichkeiten von Kampagnen im Abstimmungskampf zu bestimmen und damit das Potenzial von Veränderungen
auszuloten.
5.1.1 Anwendung auf Volksinitiativen
Fast allen Volksinitiativen ist gemeinsam, dass deren Forderungen von Regierung und Parlament nach der Behandlung abgelehnt oder zu Gegenvorschlägen
umformuliert (und somit zu Behördenvorlagen) werden – was sich wiederum
auf die meinungsbildenden Eliten auswirkt. Das unterscheidet Meinungsbildungsprozesse zu Volksinitiativen von solchen zu Behördenvorlagen grundlegend.
Volksinitiativen beinhalten in der Regel einen Sachverhalt, der in der Öffentlichkeit bereits behandelt wurde. Ohne substanzielles Problembewusstsein ist es
schwierig, im vorgeschriebenen Zeitrahmen genügend Unterschriften für das
Zustandekommen einer Initiative zu sammeln. Das heisst indes nicht, dass die
von einer Initiative vorgeschlagene Problemlösung im gleichen Masse bekannt
102
sein muss, ausser sie ist allein durch ihren Titel klar. Entsprechend muss die
Meinungsbildung hinsichtlich des Problems und hinsichtlich seiner spezifischen
Behebung durch die Initiative unterschieden werden. Wir postulieren hier generell, dass das Problembewusstsein erfolgreicher Initiativen prädisponiert ist,
nicht aber die Lösungspräferenz, da sich diese erst im Verlaufe eines Meinungsbildungsprozesses auf die Entscheidungsabsichten auswirkt.
Die Ausgangslage für eine Volksinitiative wird durch das Mass des Problembewusstseins in der Öffentlichkeit bestimmt. Je problematischer eine Situation
eingeschätzt wird, desto eher findet sich vor einer Kampagne eine Zustimmungsbereitschaft zur entsprechenden Initiative. Als je weniger dringlich ein
Problem beurteilt wird, desto eher liegt eine offene, allenfalls sogar negativ
vorbestimmte Ausgangslage vor.
Unsere für die Entscheidung zu Volksinitiativen spezifizierte These lautet demnach: Bei einer Volksinitiative kommt es in der Regel zu einer Verlagerung der
kollektiven Meinungsbildung weg von der Beurteilung des angesprochenen
Problems hin zur Beurteilung der vorgeschlagenen Lösung. Dies alleine kann
die Stimmabsichten beeinflussen. Entsprechend formulieren wir zwei generelle
Hypothesen zu Trends in der Meinungsbildung bei Volksinitiativen:

Der Nein-Anteil nimmt mit der Dauer des Abstimmungskampfes zu.

Der Ja-Anteil nimmt mit der Dauer des Abstimmungskampfes ab.
Damit ist nur etwas über die Richtung ausgesagt, nicht aber über das Ausmass
der Veränderung. Dieses hängt davon ab, wie stark die Prädisponierung (vor
allem der Ja-Seite) ist respektive wie viele Teilnahmewillige unentschieden sind
und wie wirksam die Kampagnen auf solche Unsicherheiten eingehen. Dabei
ist bekannt, dass die Schwachstellenkommunikation zum Lösungsvorschlag die
effektivste ist, sprich am ehesten Unschlüssige und latent Befürwortende zu
Gegnern und Gegnerinnen werden lässt.
Das Ausmass des Meinungswandels in ein Nein ist schwer vorhersehbar: Je
ausgeprägter generell das Problembewusstsein ist, desto kleiner fällt der Meinungswandel aus. Eine rein mechanische Betrachtung führt indessen nicht zum
Ziel; es braucht auch eine dynamische Analyse, die beispielsweise konkrete
Kampagnenaktivitäten miteinbezieht.
In der Realität ist ein Rückgang des Ja-Anteils (fast) immer zu beobachten, das
Ausmass dieses Rückgangs variiert allerdings zwischen 2 und 25 Prozent. Das
Mittel seit 2008 beträgt rund 10 Prozent. Grösser ist der Umschwung auf der
Nein-Seite; im Schnitt beträgt er 25 Prozent.
Eine eindeutige Regel dazu, wie gross der zu erwartende Anteil der Veränderung in den Stimmabsichten ist, gibt es nicht. Am ehesten kann geltend gemacht werden, dass der Prozentsatz "eher-befürwortender" Bürger und Bürgerinnen ein brauchbarer Prädiktor ist. Allerdings kennen wir zwei Typen von Veränderungen: Beim einen schmilzt der ganze Anteil der Befürwortenden weg,
beim anderen Typus hingegen nur weniger als die Hälfte. Zum ersten Typus
kommt es, wenn das Anliegen selbst sehr sympathisch wirkt und so vorerst
viel Zustimmung generiert – während die darauf folgende Kritik am Inhalt der
Vorlage dann zur Erosion der Unterstützung führt. Der zweite Typus hingegen
hat verschiedene Ursachen: Unter anderem diejenige, dass die Zustimmung
von Beginn weg gering ist und sich mit den Kampagnen auch nicht viel ändert.
Vereinfacht kann der Meinungsbildungsprozess zu Initiativen in vier idealtypischen Szenarien festgehalten werden.
Szenario 1: Mehrheitlich positiv prädisponierte Mehrheit in der Ausgangslage,
kaum Opposition zum Lösungsvorschlag oder sehr hoher Problemdruck: Nein
nimmt zu, Ja bleibt (fast) stabil, Vorlage wird (in der Regel) angenommen.
Szenario 2: Mehrheitlich positiv prädisponierte Mehrheit in der Ausgangslage,
beschränkt hoher Problemdruck und Opposition zum Lösungsvorschlag: NeinAnteil nimmt zu, Ja-Anteil nimmt ab. Die Vorlage wird abgelehnt, ausser prä103
disponierter Ja-Anteil über 50 Prozent ist höher als der nachfolgende Meinungswandel während des Abstimmungskampfes.
Grafik 84
Positiv prädisponierte Initiative ohne Mehrheitswandel, Annahme
in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht
Vor der Kampagne
Positiv prädisponierte Initiative mit Mehrheitswandel, Ablehnung
in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht
Nein
Nein
Unentschieden
Unentschieden
Ja
Ja
Vor der Kampagne
Abstimmungstag
Abstimmungstag
 gfs.bern, Campaigning
 gfs.bern, Campaigning
Szenario 3: Minderheitlich positiv prädisponierte Mehrheit in der Ausgangslage: Nein-Anteil nimmt zu, Ja-Anteil nimmt ab, Vorlage wird abgelehnt.
Szenario 4: In Ausnahmefällen kann das Szenario 3 ausbleiben. Das ist nach
unserer Auffassung dann der Fall, wenn es mit der Initiativentscheidung zu
einem Tabubruch kommt, mit dem sich eine Proteststimmung aufbaut. Es ist
möglich, dass sich die Zusammensetzung der Teilnahmewilligen (zugunsten
der Initiative) ändert oder ein kurzfristiger Meinungswandel im Sinne des Zeichensetzens entsteht. Nach unserer Erfahrung ist das sehr selten; es muss
sich aufgrund der Beteiligungsabsichten (im Abstimmungskampf stark steigend) andeuten, im Argumententest sichtbar werden (indem Gegner und Gegnerinnen und Unschlüssige vermehrt Ja-Botschaften zustimmen) und es
braucht in der Regel eine doppelte Öffentlichkeit, was bedeutet, dass
Mainstream-Medien gegen die Initiative sind, Zielgruppenmedien aber eine
verbreitete Zustimmung erahnen lassen. Unter diesen Bedingungen tritt der
vierte und unten postulierte Verlauf ein: Hier hinkt die Darstellung allerdings
etwas, da die Beteiligungsabsichten asymmetrisch zunehmen.
Grafik 85
Negativ prädisponierte Initiative ohne Mehrheitswandel, Ablehnung Negativ prädisponierte Initiative mit Mehrheitswandel wegen
Enttabuisierung, Annahme
in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht
Vor der Kampagne
 gfs.bern, Campaigning
in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht
Abstimmungstag
Nein
Nein
Unentschieden
Unentschieden
Ja
Ja
Vor der Kampagne
Abstimmungstag
 gfs.bern, Campaigning
5.1.2 Anwendung auf Behördenvorlagen
Zu Behördenvorlagen zählen obligatorische Referenden, fakultative Referenden
und Gegenvorschläge zu Volksinitiativen. Ihnen ist gemein, dass sie vom Parlament mehrheitlich abgesegnet wurden. Sämtliche Verfassungsänderungen
gelangen als obligatorische Referenden automatisch vors Stimmvolk. Gesetzesvorlagen hingegen kommen nur dann zur Abstimmung, wenn 50'000 Bürger
104
und Bürgerinnen dies verlangen. In solchen Fällen (fakultatives Referendum) ist
mit einer organisierten Opposition zu rechnen, während dies bei obligatorischen Referenden nicht zwingend der Fall sein muss (Ausnahme: gleichzeitige
Abstimmung zu Volksinitiative und Gegenvorschlag).
Die These, die wir zur Meinungsbildung zu Behördenvorlagen entwickelt haben, ist komplex, da die Voraussetzungen einer Volksentscheidung zuweilen
wenig einheitlich sind: Einmal kann es an einer organisierten Opposition fehlen
– dann gibt es Fälle, wo die parlamentarische Allianz zerfällt, sobald es zu einer
Volksabstimmung kommt. Letzteres Szenario ist eigentlich nicht vorgesehen
und es erschwert die Annahmechancen in der Bevölkerung, denn die Situation
gleicht jener, die wir bei Volksinitiativen beschrieben haben. Den Mechanismus
nennen wir Meinungsbildung zum Nein.
Beim Ausbleiben organisierter Opposition kommt es zu einem lauen Abstimmungskampf, bei dem es an Kontroversen mangelt und es zu einer Zustimmung ohne grosse Beschäftigung mit dem Thema kommt. Wir bezeichnen dies
als Meinungsumschwung zum Ja.
Der Normalfall bei Behördenvorlagen liegt dazwischen. Er ist durch folgende
Eigenschaften in der Ausgangslage gekennzeichnet:

Die prädisponierte Zustimmung überwiegt die prädisponierte Ablehnung;
die Ja-Seite verfügt in der Ausgangslage jedoch nicht zwingend über eine
absolute Mehrheit.

Die nicht prädisponierten Bürger und Bürgerinnen sind eine relevante
Grösse.
Ein grosser Anteil nicht prädisponierter Bürger und Bürgerinnen kann zwei unterschiedliche Ursachen haben: Einmal kann es sein, dass der Abstimmungsgegenstand zu alltagsfern ist und damit bei einem erheblichen Teil der stimmberechtigten Bevölkerung keine vorgängige Meinungsbildung erfolgt ist. Dann
ist es möglich, dass eine Vorlage so kompliziert ist, dass man aufgrund einer
schnellen Beurteilung nicht zu einem endgültigen – oder auch nur vorläufigen –
Schluss kommen kann.
Die zentrale Wirkung des Abstimmungskampfes zu einer Behördenvorlage
besteht in der Regel darin, dass anfänglich nicht-prädisponierte Stimmberechtigte polarisiert werden. Dabei gibt es keinen Schlüssel dafür, welche Anteile
eher ins Ja respektive eher ins Nein wechseln – dies ist weitgehend variabel.
Es kann vermutet werden, dass die Aktivitäten der einzelnen Akteure im Abstimmungskampf entscheidend sind. Mit anderen Worten: vom aktiven Verhalten der Befürwortenden, die für eine Behördenvorlage werben, und von der
Propagandaintensität beider Seiten im Vergleich. Wir sprechen dann auch von
einer kampagnenabhängigen Polarisierung zum Ja oder Nein. Im Unterschied
zum Meinungsumschwung, wie wir ihn zu Initiativen beschrieben haben, erfasst die Polarisierung nur die Unschlüssigen, nicht aber die vorentschiedenen
Bürger und Bürgerinnen.
Wir brauchen drei Hypothesen, um die denkbare Dynamik abbilden zu können
und veranschaulichen sie mit idealtypischen Verläufen der Meinungsbildung zu
Behördenvorlagen:
105
Szenario 1: Meinungsaufbau zum Ja: Der Ja-Anteil steigt während des Abstimmungskampfes – der Nein-Anteil sinkt. Es kommt zu einer Annahme der
Vorlage.
Grafik 86
Positiv prädisponierte Behördenvorlage, Meinungsaufbau Richtung Nicht prädisponierte Behördenvorlage, Meinungsaufbau Richtung
Ja, Annahme
Ja, Annahme
in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht
Negativ prädisponierte Behördenvorlage, Meinungsaufbau
zum Ja, Annahme
in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht
in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht
Nein
Nein
Unentschieden
Unentschieden
unentschieden
Ja
Ja
Vor der Kampagne
Während der Kampagne
Abstimmungstag
Ja
Vor der Kampagne
Während der Kampagne
Abstimmungstag
vor der Kampagne
während der Kampagne
Abstimmungstag
 gfs.bern, Campaigning
 gfs.bern, Campaigning
 gfs.bern, Campaigning
Nein
Szenario 2: Polarisierung (entweder ins Ja- oder ins Nein-Lager): Ja- und NeinAnteile steigen gleichzeitig, bei der (häufiger vorkommenden) Polarisierung ins
Nein stärker zugunsten der Gegnerschaft. Bei der (selteneren) Polarisierung ins
Ja vermehrt zugunsten der Befürwortenden. Der Ausgang ist offen. Er hängt
von der Stärke der Einzeleffekte ab. Wenn der prädisponierte Nein-Anteil grösser ist als der Ja-Anteil, ist mit einer Ablehnung zu rechnen
Grafik 87
Positiv prädisponierte Behördenvorlage, schwache
Polarisierung, Annahme
Nicht-prädisponierte Behördenvorlage, Polarisierung,
Annahme oder Ablehnung je nach Ausgangslage
in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht
Negativ prädisponierte Behördenvorlage, Polarisierung,
Ablehnung
in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht
in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht
Nein
Nein
Nein
unentschieden
unentschieden
unentschieden
Ja
Ja
Ja
vor der Kampagne
Abstimmungstag
vor der Kampagne
vor der Kampagne
 gfs.bern, Campaigning
 gfs.bern, Campaigning
während der Kampagne
Abstimmungstag
während der Kampagne
Abstimmungstag
 gfs.bern, Campaigning
Szenario 3: Meinungsumschwung ins Nein: Der Nein-Anteil steigt während
des Abstimmungskampfes, der Ja-Anteil sinkt. Es kommt zu einer Ablehnung
der Vorlage.
Grafik 88
Positiv prädisponierte Behördenvorlage mit
Meinungsumschwung zum Nein, Ablehnung
Nicht prädisponierte Behördenvorlage, Polarisierung
Richtung Nein mit negativem Meinungsaufbau
in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht
in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht
Nein
Nein
unentschieden
unentschieden
Ja
Ja
vor der Kampagne
vor der Kampagne
 gfs.bern, Campaigning
während der Kampagne
Abstimmungstag
Abstimmungstag
 gfs.bern, Campaigning
106
5.1.3 Anwendung auf die Stimmbeteiligung
Bisher wenig beachtet wurden die Auswirkungen der Abstimmungskämpfe auf
die Mobilisierung, respektive auf die Verteilung der Stimmabsichten. Das ist
dem Umstand geschuldet, dass die Identifizierung von Zusammenhängen angesichts einer rasch wechselnden Zahl an Vorlagen und Themen nicht ganz
einfach ist.
Wir halten fest, dass die Auffassung, die Beteiligungshöhe hinge nur vom Abstimmungskampf ab, widerlegt ist. Vielmehr gilt, dass es einen Sockel routinemässig teilnehmender Bürger und Bürgerinnen gibt sowie einen Anteil der
Bevölkerung, der sich in Abhängigkeit vom Klima, der Konfliktsituation und der
eigenen Meinungsbildung beteiligt. Zudem halten wir fest, dass die mittlere
Beteiligung an Volksabstimmungen der letzten Legislatur (2011-2015) bei 45.6
Prozent lag3. Stimmbeteiligungen zwischen 40 und 50 Prozent zeigen meist
keine relevanten Veränderungen in der Zusammensetzung des Elektorates.
Fällt die Beteiligung jedoch höher aus, nimmt vor allem der Anteil der wenig
politischen Bürger und Bürgerinnen zu und die Chancen populistisch geprägter
Entscheidungen steigen. Bei geringeren Teilnahmewerten beteiligen sich die
Bürger und Bürgerinnen mit starkem Interesse an der Politik vergleichsweise
mehr, sodass die Chancen kurzfristiger Veränderungen sinken.
Die Zunahme der Beteiligung(sabsicht) hängt davon ab, ob es eine Vorlage gibt,
die klar mobilisierend wirkt. Hinzu kommt, dass Abstimmungstermine mit mehreren Abstimmungsthemen eher mehr Zusatzbeteiligung auslösen als solche
mit nur einer Vorlage. Hauptgrund dafür ist, dass die Beteiligung dann über den
Sockel hinaus vorlagenspezifischer ausfallen kann. Verwiesen sei aber darauf,
dass die Beteiligungswerte für die einzelnen Vorlagen nicht unbedingt identisch
sein müssen. Mit anderen Worten: Zwischen der Beteiligung an sich und der
Stimmabgabe zu den einzelnen Vorlagen kommt es immer mehr zu einer Differenzierung.
Vereinfachend halten wir hier den Mobilisierungsfall als Regelbeispiel fest. Dabei nimmt die Stimmbeteiligung in Funktion des Abstimmungskampfes im Mittel um 5 Prozentpunkte zu. Alles andere sind Ausnahmen.
Grafik 89
Normalentwicklung der Teilnahmeabsichten während
Abstimmungskampf
in % Stimmberechtigter
Nichtteilnehmende
Teilnehmende
1. Welle
2. Welle
3. Welle
 gfs.bern, Campaigning
3
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/17/03/blank/key/stimmbeteiligung.html
107
5.1.4 Prognose, Momentaufnahme oder Trend?
Ergebnisse aus Abstimmungsumfragen sind per se Momentaufnahmen, keine
Prognosen. Zu viele unbekannte Faktoren verhindern, sie direkt als Vorhersage
verwenden zu können.
Der Dispositionsansatz hilft, die Entwicklung verständlich zu machen. Da dieser
auch von den Trends abhängig ist, die vom Abstimmungskampf beeinflusst
werden, kann man – ohne Kenntnisse des spezifischen Kommunikationsmomentes auf Basis einer einzelnen Befragung – an sich keine Prognosen machen.
In unseren Berichten hat es sich eingebürgert, in diesem Zusammenhang folgende Begriffe zu verwenden:
Trend-Umfragen – fortgesetzte Messung des Standes der Dinge.
Momentaufnahme – Messung des Standes der Dinge zu einem bestimmten
Zeitpunkt.
Projektionen – Annahmen zur Verteilung von Unentschiedenen in Momentaufnahmen oder Trend-Umfragen.
Prognosen – Annahmen zur weiteren Entwicklung der Meinungsbildung, namentlich in Trendumfragen, die rund zwei Wochen vor der Abstimmung gemacht werden müsse).4
Die Übersicht zu Momentaufnahmen und Projektionen über alle 60 Fälle seit
2008 ist in den nachstehenden beiden Grafiken zusammengefasst.
Würde man bei Behördenvorlagen nur die erste Befragungswelle berücksichtigen, würde man die Abstimmungsmehrheit in nur 71 Prozent der Fälle kennen.
Das ist eindeutig zu wenig. Mit der zweiten Befragungswelle steigert sich der
Vergleichswert auf 94 Prozent. Bezieht man auch die Extrapolation von Trends
mit ein, kommt man auf einen Wert von 97 Prozent.5
Grafik 90 Allenfalls in
Trend prozentuale Häufigkeit der Bestimmung der richtigen
Mehrheit 1. und 2. Welle im Vergleich zum besten Modell
100%
Volksinitiativen
90%
linke Volksinitiativen
80%
70%
rechte Volksinitiativen
60%
Behördenvorlagen
50%
-19
-46
0
Anzahl Tage bis zur Abstimmung
4
Vorschrift Verband VSMS: Publikation spätestens 10 Tage vor Abstimmung.
Wir halten hier ausdrücklich fest, dass sich diese Form der Evaluierung eindeutig von derjenigen
unterscheidet, welche der Datenblog des Tagesanzeigers ohne unser Wissen gemacht hat. Diese
Missachtung ist aus unserer Sicht gerade für einen Kommunikationswissenschafter unverzeihlich,
da die Meinungsbildung bei Volksabstimmung nicht invariant ist und ein Vergleich von Endergebnissen und Befragungswerten nur schon deshalb nicht identisch sein muss.
5
108
Lesebeispiel: Die x-Achse enhält die Tage vor dem Abstimmungstag, die y-Achse den Populationsschätzer. Der erste Wert bezieht sich auf die
Ergebnisse der 1. Welle, der zweite auf jene der 2. Welle. Der dritte Wert ist der zur Extrapolation. Angeziegt wird die qualitative Übereinstimmung
mit dem Endergebnis (links) und die mittlere quantiative Abweichung (rechts). Die Kurven zeigen an, mit der Zeit oder dem Verfahren
Verbesserungen erzielt werden.
Grafik 91
Trend Durchschnittliche Abweichung 1. und 2. Welle im
Vergleich zum Modell mit der geringsten Abweichung
15
Volksinitiativen
13
11
linke Volksinitiativen
9
rechte Volksinitiativen
7
5
Behördenvorlagen
3
-46
-19
0
Anzahl Tage bis zur Abstimmung
Bei Initiativen mit linker Urheberschaft liegt die mittlere Abweichung bei der
zweiten Befragungswelle bei gerundeten 4 Prozentpunkten. Mittels der Extrapolation von Trends kommen wir auf eine Differenz von 3.3 Prozentpunkten.
Bei Initiativen aus dem rechten Lager liegen beide Werte höher, nämlich bei
rund 8 Prozentpunkten. Wir werden auf diesen Punkt anschliessend speziell
eingehen. Bei Behördenvorlagen kommt die zweite Befragungswelle bis auf
gerundete 9 Prozentpunkte an das Endergebnis heran. Mit der Extrapolation
ergibt sich eine Verbesserung auf 5 Prozent.
In qualitativer Hinsicht sind die Werte deutlich besser. Bei linken Initiativen
zeigen sich bei 100 Prozent der Vorlagen die richtigen Mehrheiten, und zwar
unabhängig davon, ob man auf die zweite Welle oder auf die Extrapolation abstellt. Bei rechten Initiativen kommen wir auf 88 Prozent (zweite Welle) respektive 94 Prozent (Extrapolation) Treffgenauigkeit. Bei Behördenvorlagen liegend
die Werte bei 64 Prozent (zweite Welle) respektive 96 Prozent (Extrapolation).
Mit anderen Worten: Dank einer Extrapolation der Trends aus beiden Befragungen kommen wir sehr wohl in den Bereich, der bei Stichprobenerhebungen
erwartet werden darf.
Wenn Ungenauigkeiten verbleiben, hat das nicht mit der oft behaupteten
Mess(un)genauigkeit von Befragungen tun, sondern in der Sache selbst – das
heisst in der Dynamik der Meinungsbildung, die nicht unabhängig vom Zeitpunkt und vom konkreten Verlauf ermittelt werden kann. Dabei spielt die Karenzfrist zur Publikation von abstimmungsbezogenen Umfragen, die sich der
Branchenverband auf Wunsch der Politik selbst auferlegt hat, eine wichtige
Rolle. Sie führt dazu, dass die letztmögliche Befragung am Abstimmungstag
meist zwischen zwei und drei Wochen alt ist. Im Vergleich zu Wahlen sind die
Effekte bei Abstimmungen deutlich höher, sodass vermehrte Vorsicht mit
Schlussfolgerungen angezeigt ist.
Um die Sicherheit qualitativer Einschätzungen dennoch etwas zu erhöhen,
verwenden wir zusätzliche weitere Indikatoren der Meinungsbildung Zu den
gebräuchlichsten gehören das Abstimmungsergebnis im Parlament oder der
Parolenspiegel der Parteien. Bezogen auf Befragungen können nebst der
Stimmabsicht auch die indexierten argumentativen Haltungen oder der bevöl109
kerungsseitig erwartete Abstimmungsausgang beigezogen werden. Schliesslich bieten die Modellierungen der Trendverläufe gemäss Dispositionsansatz
Anhaltspunkte, um qualitative Prognosen vorzunehmen.
5.2
Die SRG-Befragung
5.2.1 Fragebogen
Kernbestandteile jeder Befragung im genannten Forschungsprojekt sind:
1.
Klärung der Stimmberechtigung
2.
Klärung der Teilnahme- respektive Stimmabsichten (Sonntagsfragen)
3.
Klärung der Zustimmung/Ablehnung mit je zwei oder drei Kernargumenten der Pro- respktive Contra-Seite
4.
Klärung der Personen- und Ortsmerkmale (Geschlecht, Alter, Schulabschluss, Haushaltseinkommen, Siedlungsart [Stadt/Land], Sprachregion).
Es werden die vom Verband VSMS respektive von uns entwickelten und standardisierten Fragen verwendet. Dies gilt insbesondere für den obigen Punkt
zwei. So wird die Vergleichbarkeit erhöht, was wiederum die Interpretationssicherheit – wie sie bei Wahlen besteht, bei Abstimmungen aber erst in Entwicklung begriffen ist – steigert.
5.2.2 Stichprobenbildung
Gesichert wird die Repräsentativität durch ein doppeltes At-random-Verfahren,
das auf dem Telefonverzeichnis für Festnetzanschlüsse der Swisscom aufbaut.
Dieses gilt unverändert als bestes allgemein zugängliches Verzeichnis für Telefonumfragen. Doppelt ist das systematische Zufallsverfahren deswegen, weil
zuerst die Telefonhaushalte gezogen und erst dann in diesen die zu befragende
Person mit der Geburtstagsmethode At-random bestimmt wird. Gesichert wird
die Datenqualität durch siebenfache Kontaktversuche zu verschiedenen Tageszeiten zwischen 8 Uhr und 20 Uhr. Um der Problematik Rechnung zu tragen,
dass das Swisscom-Verzeichnis seit 2009 nicht mehr alle Telefonnummer enthält, ergänzen wir dieses durch Nummernblöcke privater Anschlüsse, die wir
aus der Erfahrung erarbeitet haben.
Befragt werden Personen mit Wohnsitz in der Schweiz. Auslandschweizer und
Auslandschweizerinnen werden nicht berücksichtigt, da ihre Erreichbarkeit
aufgrund spezifischer Datenschutzbestimmungen des Bundes mit CATIBefragungen nicht sichergestellt werden kann. Zur Grundgesamtheit zählen
Personen, die der deutschen, französischen oder italienischen Sprache mächtig
sind. Spricht die Person Schweizerdeutsch, wird diese auf Schweizerdeutsch
befragt. Da die Erreichbarkeit von Personen in Mehrpersonenhaushalten beispielsweise nach Geschlecht und Alter nicht ganz identisch ist, wird dies mit
Vorgaben zu Maximalquoten für Befragte mit entsprechenden Merkmalen kontrolliert.
Repräsentativ sind diese, weil sie sich an der At-random-Theorie für die Stichprobenbildung orientierten. Nach dieser ist eine Befragung repräsentativ, wenn
alle Personen der Grundgesamtheit die gleiche Chance haben, befragt zu werden. Das ist bei Telefonbefragungen nicht ganz, aber weitgehend der Fall. Gewisse Einschränkungen ergeben sich aus dem Kreis der Personen, die über gar
keine registrierte Privatadresse mehr telefonisch erreichbar sind. Tests hierzu
zeigen, dass dies aber die Befragungsergebnisse nicht wesentlich beeinflusst,
solange der diesbezügliche Anteil nicht wesentlich über 10 Prozent liegt.
110
Die Genauigkeit der Aussagen hängt zunächst von der Repräsentativität ab,
dann aber auch von der Anzahl der Befragten. Für die erste Welle werden 1200
Personen befragt, für die zweite 1400. Dies geschieht, um die Aussagegenauigkeit der letzten Befragungswelle insbesondere in den Sprachregionen etwas
zu erhöhen. Dies wird zudem unterstützt, indem jede Welle letztlich aus drei
Befragungen besteht: je einer in der deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Schweiz. Dabei ist die Zahl der Befragten in den Sprachminderheiten
bewusst zu hoch, denn das verringert die Unsicherheiten, die bei einer geringeren Stichprobengrösse vorhanden sind. Für gesamtschweizerische Aussagen
wird diese mit einer Designgewichtung rückgängig gemacht, das heisst die
Ergebnisse in den Sprachregionen fliessen in der korrekten Proportion in das
gesamtschweizerische Resultat mit ein.
Die Aussagegenauigkeit wird üblicherweise mit dem Stichprobenfehler bestimmt. Dieser besagt, in welchem Masse effektiv eine Abweichung von einem gemessenen Wert der Fall ist. Die Unsicherheit hängt zuerst von der
Stichprobengrösse ab, dann von der Wahrscheinlichkeit, mit der man eine Aussage machen will.
Beispielhaft gilt: Bei einer Stichprobengrösse von 1200 Befragten und einer
Irrtumswahrscheinlichkeit von maximal 5 Prozent (sprich in einem von 20 Fällen), beträgt der Stichprobenfehler ±2.9 Prozent. Konkret heisst dies, dass ein
ausgewiesener Wert von 50 Prozent maximal zwischen 47.1 und 52.9 Prozent
variieren kann. Darüber hinaus gilt: Je kleiner die Zahl der Befragten ist, desto
grösser ist der Stichprobenfehler. Dies gilt auch, wenn die verlangte Sicherheit
erhöht wird.
5.2.3 Befragungsarbeit
Die Befragung wird vom gfs-Befragungsdienstes durchgeführt. Dieser ist eine
gemeinsame Tochtergesellschaft von gfs.bern und gfs-zürich. Die Interviewer
und Interviewerinnen arbeiten nach einer zentralen Schulung dabei wahlweise
von einem Heimarbeitsplatz oder vom zentralen Telefonlabor in Zürich aus.
Nach der erfolgten Schulung werden die neu instruierten Personen intensiv
überprüft und unmittelbar kontrolliert.
Befragt wird von Montag bis Samstag, wobei auch der Sonntag – nur auf
Wunsch der Probanden – für vorterminierte Interviews genutzt wird. Während
der ganzen Befragungsdauer werden rund 50 Interviewer und Interviewerinnen
aus dem Pool des gfs-Befragungsdienstes eingesetzt. Wir garantieren, dass
jeder und jede an den Interviews Beteiligte höchstens 5 Prozent der Interviews
durchführt.
111
Tabelle 21
Technischer Kurzbericht SRG-Trend
Volksabstimmung vom 28. Februar 2016
Auftraggeber
CR-Konferenz der SRG SSR
Grundgesamtheit
Stimmberechtigte mit Wohnsitz in der Schweiz
Herkunft der Adressen
Telefonverzeichnis der Swisscom (gepoolt)
Datenerhebung
telefonisch, computergestützt (CATI)
Art der Stichprobenziehung
geschichtet nach
at random/Geburtstagsmethode im Haushalt
Sprachregionen
Befragungszeitraum
11.– 15. Januar 2016
mittlerer Befragungstag 12. Januar 2016
Stichprobengrösse
minimal 1200, effektiv 1213
n DCH: 710, n WCH: 303, n ICH: 200
Stichprobenfehler
+/- 2.9%
Quotenmerkmale
Geschlecht/Alter interlocked
Gewichtung nach
Sprache, Teilnahme, Parteiaffinität
Befragungsdauer
Mittel
Standardabweichung
16.3 Minuten
4.6 Minuten
Publikation
22. Januar 2016, 17h
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016
5.3
Instrumentenvergleich
Insgesamt liegen bisher neben jener von gfs.bern zwei weitere Umfragen zu
den Vorlagen vom 28. Februar 2016 vor. Alle drei Befragungen beinhalten alle
Abstimmungsvorlagen, basieren aber auf unterschiedlichen Vorgehensweisen.
Die SRG-Trendumfragen basieren auf einer At-random-Stichprobe und werden
telefonisch durchgeführt. Die Stichprobenbildung funktioniert damit nach den
wissenschaftlichen Regeln des Zufallverfahrens. Zufall meint dabei, dass ein
systematisches Auswahlverfahren auf eine vordefinierte Grundgesamtheit angewendet wird. Die Grundgesamtheit sind für die vorliegende Studie Stimmberechtigte mit Wohnsitz in der Schweiz, die einen verzeichneten Telefonanschluss haben, egal ob das ein Festnetz- oder ein Handyanschluss ist.
Die Umfragen von "20 Minuten" basieren auf einer nicht randomisierten Stichprobe, die online befragt und mittels Gewichtung nachträglich korrigiert wird.
Das heisst, es ist offen, wer an der Mitmach-Umfrage teilnimmt. Beeinflusst
wird dies dadurch, dass man einen Internet-Anschluss hat und sich auf die
Plattform von "20 Minuten" begibt. Die entstehende Stichprobe wird nach Vorgaben poststratifiziert, sodass die Struktur der Stimmberechtigten stimmt.
Die SRG-Umfragen werden in allen Landesteilen realisiert, die "20-Minuten"Erhebungen umfassen lediglich die deutsche und die französische Schweiz,
nicht aber das Tessin.
Der Vorteil der Umfragen für "20 Minuten" besteht in der Stichprobengrösse,
die deutlich höher ausfällt als bei der SRG-SSR-Umfrage. Der Nachteil ist, dass
das Auswahlverfahren keine individuelle Repräsentativität garantiert.
Die Vorgehensweise von Marketagent ist in der Publikation der Sonntagszeitung nicht beschrieben. Bekannt ist lediglich, dass die Interviews online auf
Panelbasis realisiert werden.
112
Tabelle 22
Instrumentevergleich
Institut
gfs.bern, 1. Welle
20 Minuten, 1. Welle
Sonntagszeitung
Befragung
Repräsentativbefragung
Mitmachbefragung, gewichtet
Mitmachbefragung (Panel)
Auswertung
Momentaufnahme
Momentaufnahme
Momentaufnahme
Zeitvergleich
beabsichtigt
beabsichtigt
--
Raum
DCH/FCH/ICH
DCH/FCH
k. A.
Grundgesamtheit
Stimmberechtigte
Stimmberechtigte
Stimmberechtigte
Befragungszahl
1213
32'654
k. A.
Zeitraum
11.–15. Januar 2016
5. –7. Januar 2016
(Dezember 2015)
Ergebnis VI gegen
Heiratsstrafe
61:21 (12)
63:24 (13)
45:24 (31)
Ergebnis
Durchsetzungsinitiative
51:42 (7)
61:36 (3)
55:25 (20)
Ergebnis VI gegen
Nahrungsmittelspekulation
48:39 (13)
41:30 (29)
k. A.
Ergebnis zweite
Gotthardröhre
64:29 (7)
58:31 (11)
63:16 (21)
Beteiligung
48%
k. A.
k. A.
 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11. –15. Januar 2016
Wie oben aufgezeigt, beruhen die Vorumfragen der SRG und von 20 Minuten
auf unterschiedlichen Verfahren der Datenbeschaffung und -gewichtung. Untenstehende Auswertung zeigt die idealisierte Linie der Unterschiede zwischen
den Ergebnissen der zweiten Welle und dem Endresultat für beide Serien. Sie
legt nahe, dass bei knappen Entscheidungen die SRG-Umfragen mittels repräsentativen Stichproben im Schnitt genauer sind, während bei einseitigen Ergebnissen im Ja oder Nein die 20 Minuten-Erhebung besser abschneidet.
In der Regel finden sich bei den Umfragen von 20 Minuten wesentlich weniger
Unentschiedene als bei den SRG-Trendumfragen, was nicht den Entscheidrhythmen gemäss VOX-Analysen oder statistischen Ämtern entspricht. Entsprechend sind die Abweichungen der 20-Minuten-Umfragen gerade bei unbestrittenen Vorlagen geringer.
113
Grafik 92
114
5.4
gfs.bern-Team
CLAUDE LONGCHAMP
Verwaltungsratspräsident und Vorsitzender der Geschäftsleitung gfs.bern, Verwaltungsrat gfs-bd, Politikwissenschafter und Historiker, Lehrbeauftragter der
Universitäten Bern, Zürich und St. Gallen, Dozent an der Zürcher Hochschule
Winterthur, am MAZ Luzern und am VMI der Universität Fribourg und am KPM
der Universität Bern.
Schwerpunkte:
Abstimmungen, Wahlen, Parteien, politische Kultur, politische Kommunikation,
Lobbying, öffentliche Meinung, Rassismus, Gesundheits- und Finanzpolitik
Zahlreiche Publikationen in Buchform, in Sammelbänden, wissenschaftlichen
Zeitschriften
MARTINA IMFELD
Projektleiterin, Politikwissenschafterin
Schwerpunkte:
Analyse politischer Themen und Issues, nationale Abstimmungen und Wahlen
(SRG-Trend, VOX-Analysen, Wahlbarometer), Image- und Reputationsanalysen,
Integrierte Kommunikationsanalysen, Medieninhaltsanalysen, Qualitative Methoden, Gesellschaftsthemen (Jugendforschung, Rassismus, Familien, Mittelschicht)
STEPHAN TSCHÖPE
Leiter Analyse und Dienste, Politikwissenschafter
Schwerpunkte:
Koordination Dienstleistungen, komplexe statistische Datenanalytik, EDV- und
Befragungs-Programmierungen, Hochrechnungen, Parteien- und Strukturanalysen mit Aggregatdaten, Integrierte Kommunikationsanalysen, Visualisierung
MARCEL HAGEMANN
Datenanalytiker, Sozialwissenschafter
Schwerpunkte:
Datenanalyse und Datenbanken, Programmierungen, Integrierte Kommunikationsanalysen, Medienanalysen, Recherchen, Visualisierungen, Hochrechnungen
115
JOHANNA LEA SCHWAB
Sekretariat und Administration, Kauffrau EFZ
Schwerpunkte:
Desktop-Publishing, Visualisierungen, Projektadministration, Vortragsadministration
SABRINA SCHÜPBACH
Praktikantin, Sozialwissenschafterin
Schwerpunkte:
Datenanalyse, Programmierungen, Qualitative Methoden, Recherchen, Medienanalysen, Visualisierungen
ALEXANDER FRIND
Praktikant, Politikwissenschafter
Schwerpunkte:
Datenanalyse, Programmierungen, Qualitative Methoden, Recherchen, Medienanalysen, Visualisierungen
116
gfs.bern ag
Hirschengraben 5
Postfach
CH – 3001 Bern
Telefon +41 31 311 08 06
Telefax +41 31 311 08 19
[email protected]
www.gfsbern.ch
Das Forschungsinstitut gfs.bern ist Mitglied des Verbands
Schweizer Markt- und Sozialforschung und garantiert, dass
keine Interviews mit offenen oder verdeckten Werbe-, Verkaufsoder Bestellabsichten durchgeführt werden.
Mehr Infos unter www.schweizermarktforschung.ch