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Entwurf
Unfall im Treppenhaus zwischen Wohnung und Betriebsstätte kann zur Anerkennung
als Wegeunfall führen, wenn Treppenhaus Betriebszwecken dient
Sozialgericht Meiningen
Az.: S 1 U 119/11
Thüringer Landessozialgericht
Az.: L 1 U 581/12
Leitsatz: Maßgeblich ist, ob neben den gesamten Umständen des Einzelfalles der Teil des
Gebäudes, in dem sich der Unfall ereignet hat, rechtlich wesentlich den Zwecken des
Unternehmens dient. Als Kriterium für die Wesentlichkeit wird eine ständige und nicht nur
gelegentliche Nutzung des Unfallortes für betriebliche Zwecke angeführt. Als ausreichend
hierfür werden zwei bis dreimal wöchentliche Begehungen einer Treppe erachtet (vgl. dazu
auch BSG vom 27.10.1987 – 2 RU 32/87; BSG vom 12.12.2006 – B 2 U 28/05 R)
Die Klägerin hatte im August 2010 im ersten Obergeschoss einer Betriebsstätte eine
Wohnung gemietet. In den darunter befindlichen Büroräumen war sie tätig.
Über der Wohnung im ersten Obergeschoss befanden sich weitere Betriebsräume, die in
unregelmäßigen Zeitabständen aufgesucht werden mussten, sei es um im Konkreten
Reisebusse mit diversen Materialien auszustatten oder Verbrauchsmaterialien für den
Busverkehr und das Büro zu holen.
Am Tage des Unfallereignisses war die Klägerin als Büroangestellte im Omnibusbetrieb im
Erdgeschoss tätig. Da die Arbeitsverhältnisse dort sehr beengt sind und die Klägerin für eine
Tätigkeit entsprechend Ruhe benötigte, um die Tätigkeit in entsprechender Qualität ausführen
zu können, schlug der Arbeitgeber ihr vor, die Arbeitsmaterialien mit in ihre Wohnung über
dem Büro zu nehmen und dort die entsprechende Arbeitsaufgabe zu realisieren.
Als die Klägerin nach Erledigung der Arbeitsaufgabe für den Arbeitgeber ihre Wohnung
verließ, um sich im Treppenhaus wiederum nach unten im Erdgeschoss in die Büroräume der
Arbeitsstelle zu begeben, knickte selbige um.
Die Klägerin musste sich in ärztliche Behandlung begeben, war geraume Zeit arbeitsunfähig
und der Arbeitgeber meldete das Unfallereignis wie auch die Klägerin selbst gegenüber der
Berufsgenossenschaft als Arbeitsunfall an.
Die Berufsgenossenschaft sah jedoch das Treppenhaus zwischen Arbeitsstelle und Wohnung
nicht als einen versicherten Weg, wo sie umgeknickte sei. Deshalb wurde per
Widerspruchsverfahren die Anerkennung als Arbeitsunfall verweigert. Auch im
Widerspruchsverfahren selbst verblieb die Berufsgenossenschaft bei ihrer ablehnenden
Haltung, so dass aufgrund des Widerspruchsbescheids die Klägerin gehalten war, Klage zu
erheben.
In der Begründung wurde vorgetragen, dass die Klägerin davon ausgeht, dass es sich um
einen Betriebsweg gehandelt hat.
Das in erster Instanz zuständige Sozialgericht Meiningen entschied, dass im vorliegenden Fall
ein sachlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Zurücklegen des
Weges gegeben sei, weil der Weg durch die Ausübung der versicherten Tätigkeit oder den
Aufenthalt auf der Betriebsstätte bedingt notwendig gewesen wäre. Auch ob der Besonderheit
im hier vorliegenden Fall, dass sich in dem Haus, in dem die Klägerin wohnte, auch die
Betriebsräume befanden, schätzte das Gericht ein, dass unter Beachtung der entsprechenden
Kriterien die Treppe wesentlich zu Betriebszwecken diente. Somit sei auch die Treppe der
Betriebsstätte zuzuordnen, weil sie objektiv für die Betriebsräume über der Wohnung der
Klägerin durch Mitarbeiter der Betriebsstätte benutzt werden muss.
Dabei ist mit Hinblick auf die Häufigkeit des Aufsuchens der Räumlichkeiten über der
Wohnung der Klägerin das Gericht zu der Feststellung gelangt, dass es sich nicht nur um
gelegentliche betriebliche Nutzung dieser Räume handelt, womit keinesfalls eine rein private
Nutzung der Treppe im Vordergrund stehe, auf welcher die Klägerin verunfallte.
Damit sei Versicherungsschutz im konkreten Fall gegeben gewesen, als die Klägerin ihren
privaten Bereich verließ und während der Arbeitszeit nach Erledigung der betrieblichen
Tätigkeit in ihrer privaten Wohnung sich wieder zu den Arbeitsräumen begeben wollte
(Sozialgericht Meiningen, Az.: S 1 U 119/11).
Gegen diese Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts hat die Berufsgenossenschaft
Berufung eingelegt, so dass eine Entscheidung des Thüringer Landessozialgerichts
erforderlich wurde. In der Begründung wurde dabei im Wesentlichen darauf Bezug
genommen, dass das erstinstanzliche Gericht nicht beachtet hätte, dass bei Räumlichkeiten,
die weder eindeutig der Privatwohnung noch der Betriebsstätte zugeordnet werden können,
der Unfallversicherungsschutz davon abhängig sei, ob dieser Ort wesentlichen
Betriebszwecken diene. Nach Ansicht des Senats war dieser nach der Einvernahme von
Zeugen zu der Feststellung gelangt, dass bei der Klägerin durch das mit der versicherten
Tätigkeit zusammenhängende Betreten bzw. Nutzen der Treppe der erforderliche innere bzw.
sachliche Zusammenhang zur betrieblichen Tätigkeit nachgewiesen worden sei.
Bei Unfällen, die sich in Räumen bzw. auf Treppen ereignen, die weder eindeutig der
Privatwohnung noch der Betriebsstätte zuordnet werden können, ist zu differenzieren, so der
Senat. Zur Entscheidung über den Versicherungsschutz sei dabei darauf abzustellen, ob der
Ort, an dem sich der Unfall ereignete, auch Betriebszwecken (wesentlich) dient, ob der rein
persönliche Lebensbereich schon verlassen wurde bzw. auf den Nutzungszweck zum
Unfallzeitpunkt. Maßgeblich sei, so der Senat, ob neben den – immer zu berücksichtigenden Gesamtumständen des Einzelfalls der Teil des Gebäudes, in dem sich der Unfall ereignete,
rechtlich wesentlich den Zwecken des Unternehmens dient. Als Kriterium für die
Wesentlichkeit komme es dabei auf eine ständige und nicht nur gelegentliche Nutzung des
Unfallortes für betriebliche Zwecke an. Dabei hänge es von der Nutzung der Treppe ab, wie
oft diese wöchentlich für betriebliche Zwecke benutzt werde.
Da im vorliegenden Fall die Zeugeneinvernahme ergab, dass dies wöchentlich unregelmäßig
wiederholt geschehe, sah der Senat selbige Treppe als der Betriebsstätte zugeordnet an und
bestätigte somit dem Grunde nach die Entscheidung des Sozialgerichts Meiningen und wies
die Berufung zurück.
Thüringer Landessozialgericht
Az.: L 1 U 581/12
Rechtskräftig seit 14.05.2015