Die blutflüssige Frau; Lukas 8,40-56 Manche Krankheit kann nur die Liebe heilen! 1 Die blutflüssige Frau; Lukas 8,40-56 Zwei Heilungswunder treffen in diesem Text auf einander. Zwei Wunder ganz unterschiedlicher Art. Der eine, Jairus, erbittet sich vor allen Menschen die Hilfe Jesu – ganz öffentlich und laut. Die andere, die Blutflüssige, holt sich die Hilfe ganz im Verborgenen. Gott hat unzählige Wege zu heilen – manchmal durch Wunder, manchmal durch Ärzte, manchmal ganz im Stillen, manchmal vor öffentlicher Versammlung… und manchmal heilt Gott auch nicht, weil Sein Weg mit jedem Menschen einzigartig ist. Wie viele Menschen an jenem Tag, von dem wir hörten, mögen sich Heilung erhofft haben und gingen doch enttäuscht nach Hause, weil es nicht Zeit war, weil ihr Weg mit Gott ein anderer war? Bei Gott gibt es kein Schema „F“. Liebe Gemeinde, Wenden wir uns der Geschichte zu. „Als Jesus zurückkehrte, empfing ihn viel Volk. Sie hatten nämlich auf ihn gewartet.“ (Lk 8,40) Ich kenne die Phasen in meinem Leben, in denen ich wie nie zuvor auf Jesus warte und mich nach Ihm verzehre und nur noch schreien kann: „Komm doch endlich, Herr! Zeig Dich endlich! Erscheine! Beende mein Leiden, Herr! Nimm meine Schmerzen, meine Tränen, meine Qualen.“ Das sind Momente, in denen ich mich ganz nach Ihm ausstrecke und fast verzweifle, wenn ich Ihn nicht spüren kann, wenn Er nicht greifbar ist. Alles wird nebensächlich nach diesem einen Wunsch: „Komm, Herr Jesus, komm!“ Ich kann die Menschen also verstehen, von denen Lukas spricht. Was werden sie wohl gedacht haben? „So lange haben wir uns nach Ihm gesehnt, so lange warten wir schon auf Ihn und jetzt, jetzt ist Er endlich da. Der Retter! Wird Er mich erkennen unter all den Leuten hier? Wird Er ein Auge haben für mich?“ Die blutflüssige Frau ist eine von den Wartenden. Seit 12 Jahren wartet sie auf ihren Erlöser! Was hatte sie erlitten in diesen Jahren!? Die Krankheit: Im alten Israel war die Monatsblutung der Frau etwas Erschreckendes. Der Regelblutung haftete etwas vom Tod an. Damit wollte Mann nichts zu tun haben. In der Zeit der Menstruation galten Frauen als unrein. Sie durften niemanden berühren und nicht berührt werden. Denn das Gesetz sagt: „Wenn eine Frau Ausfluss hat und Blut ausfließt aus ihrer Scheide, bleibt sie sieben Tage in ihrer Unreinheit, und jeder, der sie berührt, ist unrein bis zum Abend.“ (Lev 15,19). „Wenn aber eine Frau während langer Zeit 2 Die blutflüssige Frau; Lukas 8,40-56 Blutfluss hat … so ist sie während der ganzen Zeit ihres unreinen Ausflusses unrein ... Jedes Lager, auf dem sie liegt, ist unrein … Jeder Gegenstand, auf den sie sich setzt, wird unrein …Und jeder, der diese Dinge berührt, wird ebenfalls unrein …“ (Lev 15,25-27) Für eine Frau, die Blutfluss, Primäre Dysmenorrhöe, hat, ist dies der soziale Tod. Diese Krankheit, sagen Psychologen, trifft meist junge Frauen, die sich selbst ablehnen, die sich selbst nicht annehmen können und wollen. Stellen wir uns das also jetzt mal konkret vor: Da kriegt eine junge Frau diese Krankheit. Sie ist verstört. Sie hat Schmerzen. Sie versteht nicht, was in ihrem Körper vor sich geht. „Was geschieht hier? Sterbe ich jetzt?“ In dieser Situation braucht sie nichts dringender als Liebe, als Zuwendung, als eine Umarmung, als die Nähe lieber Menschen, als die Annahme durch andere. Aber genau das wird ihr verweigert. Sie ist jetzt nicht nur völlig durcheinander und verängstigt – nein -, sie wird gleichzeitig auch noch aus der Gemeinschaft mit anderen Menschen ausgeschlossen. Was braucht ein Mensch, wenn er sich zu Tode ängstigt? Nähe und Obsorge! Und was hat diese Frau bekommen? Ablehnung! Ausschluss aus der Gesellschaft! Das Stigma der Unberührbarkeit! Keine Umarmung – 12 Jahre lang. Keine Händedruck – 12 Jahre lang. Keine Tischgemeinschaft – 12 Jahre lang. So manche Krankheit kann nur die Liebe heilen. Und genau diese Liebe bekam sie nicht. Wie gerne hätte sie sich einem anderen Menschen genähert? Wie sehr hat sie sich einen Menschen zum Liebhaben gewünscht? Wie groß war die Sehnsucht, an der Schulter eines zärtlichen, fürsorglichen Menschen einzuschlafen? Hätte ihr doch jemand gesagt, dass er sie lieb hat. Die einzigen Beziehungen, die diese Frau eingehen konnte, waren jene mit den Ärzten. Diese waren die einzigen Menschen, mit denen sie Kontakt haben durfte. Aber das, was sie sich ersehnte, nämlich Beziehung und Liebe, konnten die Ärzte ihr nicht geben. Ärzte, Therapeuten und Seelsorger werden nie leisten können, was sich der Mensch erhofft - die Erfahrung persönlicher Liebe, die Bestätigung der Liebenswürdigkeit als Mensch, die Beruhigung der tiefen Angst vor Ungenügen und Versagen. 12 Jahre lang war diese Frau ausgeschlossen gewesen. Doch jetzt kommt Jesus, ihre letzte Chance! Jenseits des Legalen, jenseits des Anständigen will sie diese Chance beim Schopf packen. Wenn es gelingt und sie zu Jesus durchdringt, wird sie geheilt sein und eine Zukunft haben. Wenn es 3 Die blutflüssige Frau; Lukas 8,40-56 schief geht, dann ist alles verloren. Sie weiß nämlich genau, dass ihre Unreinheit (laut Gesetz) auf jeden Menschen und jeden Gegenstand übergeht, den sie berührt. Und doch drängt sie sich durch die Menschenmenge und verunreinigt die gesamte Masse. Sie begibt sich damit in Todesgefahr! Dafür könnte sie gesteinigt werden. Was für ein Mut der Verzweiflung!! Sie setzt alles auf Jesus. Entweder Er rettet mich oder ich sterbe! Das Gewühl der Menge dient ihr als Versteck, um anonym zu bleiben. Ihr einziges Ziel: Jesus berühren, von hinten, ganz verstohlen, ja, nicht mal Jesus selbst, sondern nur sein Gewand. Ihre Sehnsucht nach Liebe verdichtet sich in dieser einen Geste der Hoffnung und des Vertrauens. Und es gelingt. „Auf der Stelle kam ihr Blutfluss zum Stillstand“ (8,44). Halleluja! Was für ein Wunder! Es muss ihr irgendwie wie ein Diebstahl vorgekommen sein, sich so anzuschleichen und die Kraft Jesu für sich zu erschleichen – ganz im Verborgenen. Auch Jesus merkt, dass hier etwas Sonderbares geschehen ist, „dass aus ihm eine Kraft ausgegangen ist“ (Mk 5,30). Er spürt, dass ihn jemand berührt hat. Viele Menschen sind hier und viele werden an ihn gestoßen sein, ihn angerempelt haben, Körperkontakt mit ihm gehabt haben. Aber nur diese eine Frau hat ihn wirklich berührt! Unfassbar! Sie ist also geheilt, diese junge Frau. Und vermutlich würde sie jetzt am liebsten sofort unauffällig verschwinden. Doch Jesus fordert sie auf, für sich selbst einzustehen. Dies tut er nicht, um sie blosszustellen, sondern allein um sie zu schützen und um allen klar zu machen: „Sie ist jetzt rein! Sie darf berührt werden! Behandelt sie nicht mehr wie eine Aussätzige!“ Ich vermute, Er will auch der Frau selbst etwas klar machen: „Du darfst Wünsche haben; Wünsche nur für Dich. Du musst Dir das, was Dir wichtig ist, nicht erschleichen oder erstehlen. Du musst Dich nicht ständig für andere verströmen. Du darfst auch hin und wieder etwas nur für Dich wünschen und erbitten! Ich verströme mich für Dich, damit Du Dich nicht mehr verströmen musst für andere. Du darfst für Deine Wünsche grade stehen und kämpfen.“ Bei Jesus merkt die Frau, dass sie angenommen und geliebt ist, dass sie gut ist, wie sie ist. Auch Du bist angenommen und geliebt, auch Du darfst zu Deinen Wünschen nach Nähe und Fürsorge stehen, auch Du darfst Dich jederzeit an Jesus halten. Er wird Dich nicht ablehnen, wenn Du zu IHM kommst. AMEN 4
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