EDA Der Diplomat auf dem schwierigsten Posten

EDA
* Aargauer Zeitung
Roberto Balzaretti: Der Diplomat auf dem schwierigsten Posten
Back
* Aargauer Zeitung, Seite 5 Inland
28.07.2015
Der Diplomat auf dem schwierigsten Posten
Der Tessiner Roberto Balzaretti ist Schweizer Botschafter bei der Europäischen Union.
Seine wichtigste Eigenschaft: Ein rebellischer Geist.
Von Fabian Fellmann, Brüssel
Es sei, wie auf einem laufenden Motorrad zu sitzen und
vergeblich auf das Startsignal zu warten, sagt Roberto
Balzaretti über seine Arbeit. Der 50-jährige Tessiner ist
Schweizer Botschafter bei der Europäischen Union. Zu
gern würde er in Brüssel die Gespräche über die
Personenfreizügigkeit richtig in Gang bringen, die das
Schweizer Stimmvolk vor eineinhalb Jahren verlangt hat.
Bisher erfolglos. Statt den Abschluss neuer Verträge zu
feiern, ist Balzaretti mit der Beilegung kleinerer und
grösserer Streitigkeiten beschäftigt, die seit der
Masseneinwanderungsabstimmung
das
Verhältnis
zwischen der Schweiz und der EU trüben. Trotzdem sagt
er: «Ich bedaure es, dass sich die EU nicht auf eine
ernsthafte
Auseinandersetzung
über
die
Personenfreizügigkeit einlässt.»
Der Diplomat versucht, die EU-Vertreter zu überzeugen,
dass die Schweizer wirklich ein Problem mit der
Zuwanderung haben, auch mit gezielter Provokation. Im
EU-Parlament wies er im Frühjahr schroff Kritik an der
Masseneinwanderungsabstimmung
zurück:
«Ein
Volksentscheid ist niemals ein Problem.» Es habe ihm
Spass bereitet, dem Parlament eine kleine Lektion in
Demokratie zu erteilen, sagt er Ende Juli. Hier, in seinem
Büro in der Schweizer Mission an der Place du
Luxembourg in Brüssel, ist er ganz Diplomat: dunkler
Anzug, gewellte Haare, markante Gesichtszüge. Hier leitet
er ein Team von gut drei Dutzend Angestellten.
Nur die Krawatte fehlt am letzten Arbeitstag vor den
Sommerferien, ein feiner Hinweis darauf, dass der
Schnelldenker und -sprecher kein Diplomat der alten
Schule ist. Er macht aus seinem Herzen meist keine
Mördergrube, antwortet manchmal ironisch, provozierend
– forsch bis schnippisch, wie es im Bundeshaus heisst, oder
mit mediterranem Temperament, wie es der EUAbgeordnete Andreas Schwab beschrieb. Balzaretti sagt:
«Direkt zu sein, gehört zu meinem Naturell.» Aber er wisse
auch, die Form zu wahren. Mitarbeiter nennen Balzaretti
einen guten Chef, der sie selbstständig arbeiten lasse. Bei
den EU-Institutionen attestiert man dem Schweizer, dass er
erkannt habe, wie wichtig es sei, die Beziehungen auf allen
Ebenen zu pflegen. Dabei wirke Balzaretti nie aufdringlich.
Bald dürfte die Brüsseler Episode für den Tessiner jedoch
ein Ende finden: Gemäss Turnus soll er im kommenden
Sommer Brüssel verlassen, um eine neue Aufgabe zu
erhalten. Wohin es ihn, seine Frau und die fünf teilweise
erwachsenen Kinder verschlagen wird, weiss er nicht – das
gehört zum Leben eines Diplomaten. Den Kontakt mit dem
Tessin halte er dank Familie und Freunden aufrecht, sagt
er, und bei Besuchen höre er sich immer in der Beiz um,
wie über die EU geredet werde. Er selbst scheint die
Heimat nur bedingt zu vermissen. «Ich liebe das Tessin,
aber ich habe die Welt gewählt», sagt Balzaretti, der bei
Mendrisio aufwuchs.
Der Schweizer Botschafter in Brüssel: Roberto Balzaretti. Thierry
Roge/Keystone
Nach dem Gymnasium studierte er in Bern
Rechtswissenschaften und doktorierte. Eine besondere
Beziehung zur EU knüpfte er als diplomatischer Stagiaire
5/87
in Brüssel, wo er mit Botschafter Benedikt von Tscharner
am 20. Mai 1992 das Schweizer Beitrittsgesuch übergab.
Nach einem Abstecher zur Credit Suisse trat Balzaretti eine
Stelle im Aussendepartement an. Vier Jahre später war er
Kabinettschef von SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey
und danach ihr Generalsekretär, bevor er 2012 Botschafter
in Brüssel wurde. Hier beschäftigen ihn nun nicht allein die
Reibereien zwischen der Schweiz und der EU, sondern
auch die EU-interne Krise. «Selbst wenn die
Mitgliedsstaaten unglaublich Mühe haben, gemeinsame
Lösungen zu finden: Es gibt keine Alternative zur EU»,
sagt Balzaretti.
Ist er der Richtige, um in Brüssel die Forderungen einer
SVP-Volksinitiative zu vertreten? Balzaretti macht kein
Geheimnis aus der Tatsache, dass er die Initiative
abgelehnt hat – gemäss der Parole von Bundesrat und
Parlament, wie er betont. «Das Volk hat abgestimmt, und
ich habe überhaupt keine Mühe damit, diese Entscheidung
zu vertreten.» Politiker nehmen ihm das nur bedingt ab.
«Er hat einen ganz schwierigen Job, weil er etwas vertreten
muss, von dem er nicht überzeugt scheint», sagt CVPNationalrätin Kathy Riklin, Vorsitzende der EU-Delegation
der Bundesversammlung. Schwierig ist Balzarettis Job
auch, weil das Berner Personal, mit dem er
zusammenarbeitet,
ständig
wechselt.
Vor
den
Sommerferien etwa hat der Bundesrat angekündigt, einen
neuen
EU-Verhandlungskoordinator
zu
bestellen.
Balzaretti komme dafür nicht infrage, heisst es im
Bundeshaus.
Den Ausgleich zur Arbeit schafft der Diplomat, indem er
frühmorgens mit seinen Hunden durch den Wald unweit
seiner Residenz im schicken Brüsseler Stadtteil Ixelles
läuft – oder beim Taekwondo, einer koreanischen
Kampfsportart, in der er auch mal Holzplatten mit Händen
und Füssen zertrümmert. Dort lerne er viele wichtige
Eigenschaften wie Durchhaltefähigkeit, Selbstkontrolle und
Respekt für andere, sagt Balzaretti: «Aber die Wichtigste
ist ein rebellischer Geist.» Das passt zum Image, das ihm
die «Weltwoche» andichtete: Er gleiche dem Filmstar
Robert De Niro. Seither lächelt Balzaretti höflich, wenn er
darauf angesprochen wird. Dem Schweizer Fernsehen sagte
er, er würde sich eher mit Bruce Willis vergleichen. Der
habe Humor. Am bekanntesten ist Willis für seine
unglaubliche Überlebensgabe, mit der er sich fluchend
durch
Explosionen,
Schiessereien
und
wilde
Verfolgungsjagden
kämpft,
um
schliesslich
als
blutüberströmter Held in die Arme seiner Liebsten zu
hinken. Doch Willis muss auch nie auf ein Startsignal
warten, wenn er auf einem laufenden Motorrad sitzt.
6/87