Erst im tausend Grad heißen Feuer werden die Schrauben weich

Erst im tausend Grad heißen Feuer werden die Schrauben weich - Kultur - Tageblatt.de
Autor: Daniel Beneke
KULTUR
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15.10.2015
Erst im tausend Grad heißen Feuer werden die
Schrauben weich
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MITTELNKIRCHEN/STADE. In seiner Werkstatt in Mittelnkirchen schmiedet der
pensionierte Ingenieur Klaus Noormann unter freiem Himmel faszinierende
Skulpturen aus Stein und Holz.
Ein hell leuchtendes Feuer aus Steinkohle brennt in der kleinen Esse mit
Rauchabzug. Mittendrin eine Schale mit glimmenden Schrauben. Klaus
Noormann ist ganz in seinem Element. Mit einer Zange holt er die feinen
Metallstifte aus der Hitze, schüttelt sie zunächst in eine Konservendose und
wendet sie dann noch einmal in einer Pfanne. „So fällt der Zinkstaub ab“, erklärt
der 68-Jährige. Nach dem Bad in der bis zu 1000 Grad heißen Glut sind die
Schrauben biegsam wie nie zuvor. Unter einer hydraulischen Presse werden je
150 von ihnen zu runden Klumpen verdichtet. Auf diese Weise hat Klaus
Noormann bereits 8000 Schrauben, insgesamt zwölf Kilogramm Metall,
verarbeitet. Daraus entsteht eine Skulptur für die neue Ausstellung des Stader
Kunstvereins „Schraubkunst“, die im Dezember eröffnet wird. Klaus Noormann
ist einer der Kunstschaffenden, die bei der außergewöhnlichen Schau im
Schleusenhaus mitmischen. Der „Deichschmied“, wie er sich nennt, ist Jahrgang
1947, stammt aus Jork und verbrachte seine Kindheit in der alten Schmiede
seines Großvaters. Dort stand auch der 225 Kilogramm schwere Amboss aus
dem 19. Jahrhundert, an dem er heute das Eisen für seine Skulpturen biegt.
„Ich bin mit den Gesellen aufgewachsen“, erzählt der pensionierte Ingenieur. Im
Ruhestand baute er von 2010 an die Remise neben seinem Haus an der Lühe in
Mittelnkirchen, wo er seit 20 Jahren mit seiner Frau Dorle lebt, zur
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Schmiedewerkstatt aus. Vor allem bei Werken, die Eisen und Stein verbinden,
sucht der handwerklich begabte Mann die Herausforderung.
In seinem Garten stehen meterhohe Holzstäbe, auf denen verschlungene
Metallfiguren thronen, die einen Stein festhalten. Nicht nur im Wind geben sie
ein faszinierendes Bild ab. Immer wieder stoßen Passanten auf seine
Kreationen, die in Sichtweite der Hogendiekbrücke aufgestellt sind. Seine
jüngste Arbeit, über die er nichts Näheres verrät, läuft jetzt unter dem Titel
Schraubkunst, international bekannt als Screw Art, eine relativ junge
Kunstrichtung, vergleichbar mit Street Art oder Land Art.
Vor ein paar Monaten hat sich der Stader Kunstverein dieser Ausdrucksform
verschrieben. Anfang des Jahres hatte das Team um die Vorsitzende Marie
Schirrmacher-Meitz einen Wettbewerb ins Leben gerufen. Vorgegeben war nur
das Material: Die Firma Eisen Trabandt stellte dem Verein tausende
ausgemusterte Kreuzschlitzschrauben zur Verfügung. Regionale Künstler
reichten ihre Entwürfe für zwei- oder dreidimensionale Arbeiten ein. 20 von
ihnen stellen vom 6. Dezember bis zum 31. Januar 2016 im Schleusenhaus in
der Altländer Straße aus. Im neuen Jahr werden herausragende Zeugnisse ihres
Schaffens prämiert.
Derweil fertigen auch Elftklässler vom Vincent-Lübeck-Gymnasium gemeinsam
mit ihrer Lehrerin Maren Posselt eine ganze Reihe von Skulpturen aus
Schrauben an. Die Ergebnisse dieses ungewöhnlichen Unterrichtsprojekts sind
vom 11. bis zum 31. Januar 2016 in den Geschäftsräumen von Eisen Trabandt
in der Hansestraße zu sehen. Wer in Sachen „Schraubkunst“ neugierig geworden
ist, kann auf der Internetseite des Kunstvereins über erste Berichte und Fotos
der Teilnehmer über die Entstehung ihrer Ausstellungsstücke staunen. „Das wird
eine ganz ungewöhnliche, spannende Sache“, verspricht Marie SchirrmacherMeitz. Klaus Noormanns Beitrag, dessen Titel noch nicht verraten werden soll,
wird dabei „sicherlich ein Highlight“, frohlockt die Vereinschefin. „Brötchen mit
Loch“ nennt sie die gepressten Rohlinge, die bald zu einem großen Ganzen
werden. Das Projekt Schraubkunst trifft den Geschmack des humorvollen
Altländers, der nicht nur ein begnadeter Schmied ist, sondern sich überdies der
Philosophie verschrieben hat. Nach 20 Jahren als Schüler hat er jetzt die Leitung
eines Volkshochschulkurses in Buxtehude übernommen, in dem er mit 14
Gleichgesinnten die Schriften historischer und zeitgenössischer Autoren des
Faches diskutiert.
Kontakt: klaus.noormann(at)t-online.de
www.kunstvereinstade.de
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