Neuö Zürcör Zäitung 22 PANORAMA Mittwoch, 17. Juni 2015 Nr. 137 Strafe mit Abschreckungseffekt Drei Jahre Gefängnis für den Angreifer der Studentin Tugce Der junge Mann, der mit einem kräftigen Handschlag die Studentin Tugce zu Boden schlug und deren Tod verursachte, muss für drei Jahre in eine Jugendhaftanstalt. Das Gericht in Darmstadt hatte keine andere Wahl. Gerd Kolbe, Bonn Das Landgericht Darmstadt hat im Prozess um den Tod der zur Tatzeit 22-jährigen Lehramtsstudentin mit Vornamen Tugce den 18-jährigen Täter wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Jugendstrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Richter blieben damit um drei Monate unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Vorverurteilt durch Medien Tugce war am 15. November auf dem Parkplatz eines Schnellrestaurants in Offenbach a. M. von dem damals 18-Jährigen tätlich angegriffen worden und nach einem Sturz auf den Kopf ins Koma gefallen. Ihre Eltern liessen nach einer Weile die lebenserhaltenden Geräte abschalten. Die Tat ereignete sich nur wenige Tage nachdem der Angreifer das 18. Lebensjahr vollendet hatte. Das Gericht wandte deshalb noch Jugendstrafrecht an. Zu einer weiteren Strafminderung hat offensichtlich beigetragen, dass die Berichterstattung in einer Vielzahl deutscher Medien zu einer öffentlichen Vorverurteilung führte. Die Verteidigung will trotzdem in Revision gehen. Das Gericht hatte es schwer. Der vorsitzende Richter bewies viel Geduld, musste sich aber trotzdem eines Antrags auf Befangenheit erwehren. Der Prozess war in jeder Hinsicht ungewöhnlich. Tugce galt zu Beginn des Verfahrens als die Heldin von Offen- bach, die zwei 13-jährige Mädchen auf der Toilette des Restaurants mutig vor Belästigungen durch jugendliche Rowdys geschützt hatte. Videobilder als Beweismittel Im Prozessverlauf jedoch stellte sich heraus, dass Tugce durch verbale Attacken und Beleidigungen zur Eskalation des Streits zwischen einer Gruppe junger Frauen und einer Clique ebenfalls alkoholisierter junger Männer beigetragen hatte. Den Disput um die 13-Jährigen hatte ein kräftiger, für die Sicherheit im Restaurant zuständiger Mann beigelegt, wie er vor Gericht aussagte. Die Qualität der von Überwachungskameras gelieferten Videoaufnahmen war miserabel. Dennoch mussten sie als Beweismittel herhalten. Immerhin reichten sie aus, um dem Gericht die Unzulänglichkeit der Zeugenaussagen vor Augen zu führen. Für jedermann im Gerichtssaal war nachvollziehbar, dass die Erklärungen der Freunde des Angeklagten wie auch der Familienangehörigen Tugces abgesprochen und überdies ungenau waren. Immerhin war erkennbar, wie der Richter unterstrich, dass der Verurteilte für die vermeintliche Ohrfeige weit ausgeholt hatte. Die Verteidigung hatte nämlich eingewendet, dass für eine Ohrfeige doch niemand zu Gefängnis verurteilt werden könne. Es handelt sich im Grunde im Fall Tugce um einen tragischen Unfall. Der vorsitzende Richter erklärte deshalb im Blick auf die Angehörigen Tugces, das Strafmass sei «hart genug». Der Angreifer könne nach Verbüssen der Strafe nicht im Rhein-Main-Gebiet bleiben. Zu gross sei die Zahl der Morddrohungen gegen ihn. Das Urteil war zugleich ein Warnsignal an eine Szene in der Region um Frankfurt, in der Gewalttaten von jugendlichen Kriminellen besonders häufig vorkommen. Mers-Todesopfer in Deutschland Drei weitere Personen in Südkorea wegen Coronavirus umgekommen (afp/dpa) In Deutschland ist ein Mann an Mers gestorben. Er erlag bereits in der Nacht auf den 6. Juni in einem Spital in Niedersachsen einer Folgeerkrankung, die auf das Coronavirus zurückzuführen ist, wie die Niels-Stensen-Kliniken am Dienstag mitteilten. Der 65-Jährige ist die dritte Person, die in Deutschland wegen einer Mers-Infektion behandelt wurde. Er hatte sich im Februar bei einer Ferienreise in den Vereinigten Arabischen Emiraten mit dem tödlichen Erreger infiziert. Das weltweit am stärksten von Mers (Middle East Respiratory Syndrome) betroffene Land ist Saudiarabien. Der grösste Mers-Ausbruch ausserhalb Saudiara- ZAHLENRÄTSEL NR. 137 biens ist jener in Südkorea. Dort wurde der erste Mers-Fall am 20. Mai bekannt, der 68-jährige Patient war zuvor von einem Aufenthalt in Saudiarabien zurückgekehrt. Seitdem breitete sich das Virus schnell aus. In Südkorea sind an der Atemwegskrankheit unterdessen drei weitere Personen gestorben. Damit sind 19 Personen der Infektionskrankheit erlegen. Die Zahl der bestätigten Infektionen stieg um vier auf insgesamt 154 Fälle. Mers gehört zu den Coronaviren, zu denen auch der Sars-Erreger und Erkältungsviren zählen. Die Erkrankung geht oft mit grippeähnlichen Beschwerden einher. Forschung und Technik, Seite 55 IN KÜRZE ................................................................................. Tote bei Kollision von Zug und Lkw (ap) Ein Zugunglück in Tunesien hat 18 Personen das Leben gekostet. Mindestens 86 Personen wurden laut Behörden verletzt, als der Zug am Dienstagmorgen nahe dem Ort Fahs rund 60 Kilometer westlich von Tunis mit einem Sattelschlepper zusammenstiess. Mount Everest offenbar verschoben SPIELREGELN «KRINGEL»: Die Ziffern 1 bis 7 sind so einzutragen, dass sie in jeder Reihe einmal vorkommen. Zwischen zwei Feldern gilt: Ausgefüllter Kreis: Eine Zahl ist das Doppelte der anderen. Leerer Kreis: Eine Zahl ist um 1 grösser als die andere. Kein Kreis: Keine der beiden Eigenschaften trifft zu. (afp) Der Gipfel des Mount Everest ist durch das schwere Erdbeben im April offenbar verschoben worden. Das nordöstlich verlaufende Massiv des höchsten Bergs der Erde wanderte laut chinesischen Angaben drei Zentimeter nach Südwesten. An der Höhe von 8848 Metern hat sich aber nichts geändert. Frau in Siders tot aufgefunden Auflösung: Zahlenrätsel Nr. 136 (sda) In einem Wohnhaus in Siders ist am Dienstagmorgen eine 40-jährige Frau tot aufgefunden worden. Sie wies viele Stichverletzungen auf. Der 57-jährige Ehemann wurde schwer verletzt ins Spital gebracht. Die Umstände der Tat könnten familiärer Natur sein, hiess es. Nicht immer ist das Zusammenspiel zwischen Mann und Frau so lustig und einfach wie hier auf der senegalesischen Insel Gorée – vor allem nicht in einer polygamen Ehe. FINBARR O’REILLY / REUTERS HEIRATEN IN . . . Die Tücken der Polygamie Fern-Trauungen, Monogamie-Versprechen und die Warnung des Propheten in Senegal Bei der eigenen Trauung muss man im westafrikanischen Land Senegal nicht unbedingt präsent sein. Dafür ist es wichtig, dass man im Falle der Polygamie gleich viel Zeit mit der ersten wie mit der zweiten Frau verbringt. David Signer In Senegal muss man bei der eigenen Trauung nicht unbedingt anwesend sein. Bei der zivilen schon, aber bei der religiösen nicht. Der Mann trifft sich mit dem Imam und den erforderlichen Zeugen, die Frau wartet unterdessen zu Hause. Dann kommt er heim und sagt: «Du bist jetzt meine Frau.» Es können sogar sowohl Braut wie Bräutigam abwesend sein. Da Senegal ein Auswanderungsland ist und viele Senegalesen in Europa leben, kommt das öfters vor. Ein Senegalese lernt also zum Beispiel in Neapel eine Frau kennen – sei’s eine Afrikanerin oder eine Europäerin –, und sie beschliessen zu heiraten. Dann wird die Familie in Senegal informiert, die alles Notwendige einfädelt. Wenn es so weit ist, telefoniert oder skypt der Imam mit dem Paar, führt in Dakar die Formalitäten durch, und schon sind die Brautleute in Neapel «Mann und Frau». Das «deuxième bureau» Etwas komplizierter wird es, wenn nicht beide Muslime sind. Im Islam geht man davon aus, dass in der Familie der Einfluss des Mannes stärker ist als jener der Frau. Heiratet also zum Beispiel eine Christin einen Muslim, kann sie ihren Glauben behalten. Ist hingegen der Mann Nicht-Muslim, muss er zuerst konvertieren, bevor er die Muslimin heiraten kann. Die religiöse Trauung ist in Senegal immer noch relevanter als die zivile, aber insbesondere in der Stadt und bei gebildeteren Leuten wird der Gang zum Zivilstandsamt wichtiger. Bevor man die definitive Unterschrift unter die Heiratsurkunde setzt, muss man ankreuzen, ob man sich für Monogamie oder Polygamie entschieden hat. Es ist immer wieder vorgekommen, dass eine Frau nur in die Heirat einwilligte, wenn der Mann ihr hoch und heilig versprach, keine Zweitfrau zu nehmen. Und dann hielt er doch nicht Wort. Aber auch wenn er nun «Monogamie» ankreuzt, hat er immer noch die Möglichkeit, die zweite Frau nur religiös zu heiraten. Oder gar nicht. Das «deuxième bureau» ist in Westafrika legendär. Der Ausdruck spielt darauf an, dass der Mann gerne behauptet, er müsse noch Überstunden im Büro machen, wenn er zu seiner Geliebten geht. (Das Pendant für den Liebhaber der Frau ist der «pneu de réserve».) Regeln gegen Eifersucht Die Untreue dürfte mit der Migration zugenommen haben. Häufig arbeitet der Mann nämlich in Europa, während die Frau mit den Kindern in Senegal bleibt. Die lange Abwesenheit des Mannes wird im Islam als Scheidungsgrund anerkannt. Oft heisst es, wenn der Mann vier Monate lang nicht mit seiner Frau geschlafen habe, dürfe sie sich von ihm trennen. Allerdings können sich viele Männer höchstens einen Aufenthalt im Heimatland pro Jahr leisten. Nicht selten hat der Mann dann eine Freundin in Europa und die Frau einen Freund in Senegal. Senegal ist das Land mit der höchsten Polygamie-Rate in Afrika. Etwa die Hälfte der Frauen lebt in polygamen Ehen. Obwohl es heutzutage bei einer Bewerbung um eine Kader- und Staatsstelle eher nachteilig ist, mehrere Ehefrauen zu haben – man gilt dann rasch als rückständiger Provinzler –, ist sie alles andere als im Begriff zu verschwinden. Das hat auch wirtschaftliche Gründe. Gerade für gebildete Frauen ist es ab einem gewissen Alter gar nicht so einfach, einen geeigneten Mann zu finden. Viele sagen sich dann: «Lieber Zweitfrau eines interessanten, wohlhabenden, älteren Mannes als Erstfrau eines jungen, netten, aber armen Schluckers.» Um Eifersucht zu vermeiden, ist der Rhythmus des Zusammenlebens in einem polygamen Haushalt genau geregelt. Nicht umsonst nennt eine Ehefrau ihre Mit-Frau «la rivale». Die wenigsten Mit-Frauen wohnen – in der Stadt – unter demselben Dach. Der Mann besucht seine Gattinnen nach einem festgelegten Wochenplan: Montag und Dienstag schläft er bei A, die dann auch für ihn kocht, am Mittwoch und Donnerstag bei B usw. Übrigens sagte Mohammed, man solle nur so viele Frauen heiraten, wie man gerecht behandeln könne (Sure 4,3). An anderer Stelle heisst es, Gerechtigkeit sei in dieser Sache nicht möglich (4,129). Scharfsinnige Koran-Exegeten folgerten daraus, der Prophet habe eigentlich von der Polygamie abgeraten. DER ANDERE ALLTAG In einer losen Serie blickt die NZZ in fremde Welten: Heiraten liegt wieder im Trend. Wie unterscheidet sich die Kultur der Eheschliessung in Senegal von der unsrigen? www.nzz.ch/panorama Anklage wegen Mordes in St. Galler Moschee Die Staatsanwaltschaft beantragt 20 Jahre Freiheitsstrafe für die Bluttat kru. St. Gallen Die Staatsanwaltschaft beurteilt die Bluttat vom August letzten Jahres in einer St. Galler Moschee als Mord. Sie habe die Untersuchungen abgeschlossen und werde vor dem Kreisgericht St. Gallen eine Freiheitsstrafe von 20 Jahren beantragen, teilt sie mit. Der 52-jährige, geständige Täter sei voll schuldfähig, wie aus einem psychiatrischen Gutachten hervorgehe. Er habe sich nicht nur des Mordes, sondern auch der mehrfachen Gefährdung des Lebens und mehrfacher Vergehen gegen das Waffengesetz schuldig gemacht. Der Mann befindet sich bereits im vorzeitigen Strafvollzug. Bei der Tat am 22. August 2014 (NZZ 23. 8. 14) handelte es sich offensichtlich um einen Racheakt für einen 17 Jahre zurückliegenden Vorfall. Der Täter streckte einen betenden Mann in der Moschee des albanischen Zentrums «El Hidaje» im St. Galler Stadtteil Win- keln mit mehreren Schüssen in den Rücken nieder. Er liess sich danach widerstandslos festnehmen. Opfer und Täter stammten aus der mehrheitlich von Albanern bewohnten Stadt Presevo im Süden Serbiens. Beide zogen in die Schweiz, das Opfer in die Stadt St. Gallen, der Täter nach Unterterzen. Beide waren 1997 in ein Tötungsdelikt in Walenstadt verwickelt, bei dem der Bruder des jetzigen Täters ums Leben kam.
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