Schriftliche Kleine Anfrage und Antwort des Senats

BÜRGERSCHAFT
DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG
Drucksache
21/2653
21. Wahlperiode
29.12.15
Schriftliche Kleine Anfrage
des Abgeordneten Philipp Heißner (CDU) vom 21.12.15
und
Betr.:
Antwort des Senats
Der schreckliche Tod des kleinen Tayler – War dieser Tod vermeidbar?
Erneut machen ein schwerer Fall von Kindesmisshandlung und der Tod
eines Kleinkindes in Hamburg Schlagzeilen. Der zwölf Monate alte Junge,
Tayler, wurde laut Medienberichten mit schweren Verletzungen am 12.
Dezember 2015 in ein Krankenhaus eingeliefert und verstarb am 19. Dezember 2015.
Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat:
Bei den erfragten Informationen handelt es sich überwiegend um geschützte Sozialdaten im Sinne der §§ 35 SGB I, 60 fortfolgende SGB VIII, 67 fortfolgende SGB X. Nach
dem umfassenden Sozialdatenbegriff der SGB I, VIII und X sind nicht nur alle in den
Jugendamtsakten befindliche Daten bezüglich des Kindes T. Sozialdaten, sondern
auch alle Daten über seine Familienmitglieder und Dritte. Die Übermittlung solcher
Informationen durch den Senat kommt damit nur unter den engen gesetzlichen
Voraussetzungen infrage.
Gemäß § 67 b Absatz 1 S. 1 SGB X ist die Verarbeitung von Sozialdaten, zu der
gemäß § 67 Absatz 6 S. 1 SGB X auch das Übermitteln gehört, nur zulässig, soweit
eine Rechtsvorschrift im SGB dies erlaubt oder anordnet oder soweit der Betroffene
schriftlich eingewilligt hat. Im SGB existiert keine Übermittlungsbefugnis zugunsten
des Parlaments.
Eine vorherige schriftliche Einwilligung der Betroffenen, die eine Übermittlung zulassen würde, liegt derzeit nicht vor. Auch der Umstand, dass viele Informationen bereits
in den Medien verbreitet wurden, rechtfertigt eine Übermittlung von Sozialdaten nur
dann, wenn die öffentlich bekannten Informationen nachweislich aus einer zuverlässigen Quelle stammen. Nicht als „öffentlich bekannt“ und damit dem Sozialdatenschutz
unterliegend gelten Informationen aus „zweiter Hand“, vom Hörensagen und solche,
deren Ursprung nicht bekannt ist.
Die vom Senat zur Sicherung und Förderung bester Fachpraxis in den Bereichen
erzieherischer Hilfen und Kinderschutz (Umgang mit und Abwendung von Kindeswohlgefährdung) eingerichtete Jugendhilfeinspektion hat den Auftrag für eine anlassbezogenen Untersuchung erhalten und überprüft den Einzelfall und seine Umstände
im bezirklichen Fachamt für Jugend- und Familienhilfe.
Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt:
1.
Seit wann waren die Behörden über die Einlieferung des Kindes ins
Krankenhaus informiert? Wann lagen welchen Behörden, insbesondere
der Polizei und der Staatsanwaltschaft, welche Informationen zu dem
Fall vor?
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Die Polizei erhielt am Abend des 12. Dezember 2015 durch das Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) Kenntnis.
Der Bereitschaftsdienst für Kapitaldelikte der Staatsanwaltschaft Hamburg wurde noch
am selben Tag ab circa 20 Uhr in mehreren Telefonaten von der Mordkommission
über den Rettungsdiensteinsatz und über die im Krankenhaus festgestellten Verletzungen mit dem Verdacht eines Schütteltraumas informiert.
Eine erste Schriftlage lag der Staatsanwaltschaft am 14. Dezember 2015 vor.
Die Justizbehörde wurde noch am 14. Dezember 2015 telefonisch von der Staatsanwaltschaft über den Vorfall und die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die
Mutter und ihren Lebensgefährten informiert. Da die Akte der Staatsanwaltschaft noch
nicht vorlag, war der mitgeteilte Sachverhalt noch vorläufig und nicht gesichert.
Danach sei am 12. Dezember 2015 ein Rettungswagen zu der Wohnung der Mutter
gerufen worden. Anwesend gewesen sei auch deren Lebensgefährte. Das Kleinkind
T. sei ins Krankenhaus gebracht und dort intensivmedizinisch versorgt worden Es soll
Einblutungen im Gehirn sowie mehrere Hämatome aufgewiesen haben und in kritischem Zustand gewesen sein. Das geschädigte Kind sei bereits zuvor aufgrund einer
Verletzung vorübergehend aus der Familie genommen worden. Die Familie sei
anschließend von einer Familienhelferin betreut worden. Es gebe ein Geschwisterkind, das jetzt in Obhut genommen worden sei.
Am 15. Dezember 2015 berichtete die Staatsanwaltschaft der Justizbehörde schriftlich
im Rahmen des allgemeinen Berichtswesens. Der Bericht enthielt keine über den
oben genannten Sachverhalt hinausgehenden Feststellungen.
Am 21. Dezember 2015 berichtete die Staatsanwaltschaft der Justizbehörde erneut
und teilte mit, dass das Kind am 19. Dezember 2015 im UKE verstorben sei. Die Sektion des Leichnams habe am folgenden Tag stattgefunden. Ein dringender Tatverdacht konnte bisher gegen keine beziehungsweise keinen der beiden Beschuldigten
begründet werden.
Im Übrigen siehe Vorbemerkung.
2.
Gab es Gespräche, Bitten oder Anweisungen, den Vorfall der Öffentlichkeit zeitweise oder ganz vorzuenthalten?
Am 14. Dezember 2015 haben die Staatsanwaltschaft Hamburg und die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg einvernehmlich die Entscheidung getroffen, von einer
aktiven Pressearbeit vorerst abzusehen, da diese die Ermittlungen hätte gefährden
können. Diese Entscheidung ist der Pressestelle der Polizei Hamburg durch die Pressesprecherin der Staatsanwaltschaften am selben Tag mitgeteilt worden.
3.
Welche Behörden haben wann Pressemitteilungen oder vergleichbare
Schriftstücke zu dem Fall vorbereitet? Wann lagen die zugrundeliegenden Informationen den Behörden jeweils vor? Wann wurden diese
jeweils veröffentlicht?
Weder die Pressestelle der Staatsanwaltschaften noch die Pressestelle der Justizbehörde haben eine schriftliche Pressemitteilung vorbereitet oder veröffentlicht. Die Polizei nimmt zu laufenden Ermittlungen aus grundsätzlichen Erwägungen keine Stellung.
Die Präses der BASFI hat ein Statement am 20. Dezember 2015 per Mail und in sozialen Medien sowie am 21. Dezember 2015 auf der Internetseite der BASFI veröffentlicht: http://www.hamburg.de/basfi/pressemeldungen/nofl/4657624/2015-12-20-basfistatement-leonhard/.
Im Übrigen siehe Vorbemerkung.
4.
Welche Erkenntnisse liegen den zuständigen Stellen über die Umstände
der Misshandlung und den darauf folgenden Tod des kleinen Jungen
vor?
Nach dem mittlerweile vorliegenden Sektionsgutachten war eine schwerste Hirnschädigung todesursächlich. Es besteht danach der Verdacht auf ein sogenanntes Schütteltrauma des Kindes. Weder die genauen Umstände der Misshandlung noch der Tatzeitpunkt sind bisher bekannt. Weitere Untersuchungen des Instituts für Rechtsmedi2
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zin stehen noch aus. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dauern an. Der Senat
sieht im Übrigen im Hinblick auf die Möglichkeit der Beeinträchtigung von Ermittlungen
von der Mitteilung weiterer Einzelheiten ab.
5.
Wann wurde Tayler wo geboren und wer hatte das Sorgerecht zu welcher Zeit für das Kind?
Das Kind wurde am 25. November 2014 in Hamburg geboren. Nach den Erkenntnissen der Polizei war die Mutter zum Zeitpunkt des Vorfalls allein sorgeberechtigt. Nach
Mitteilung des Familiengerichts Hamburg-Altona an die Staatsanwaltschaft Hamburg
ist eine Mitarbeiterin des Jugendamtes Altona als Vormund für T. bestellt. Im Übrigen
siehe Vorbemerkung.
6.
Ab welchem Zeitpunkt standen die Mutter oder die Familie unter Aufsicht
des Jugendamtes? Bitte unter Nennung des genauen Datums.
a.
Seit wann und wie lange waren jeweils welche staatlichen Stellen
mit der Familie und Tayler beschäftigt?
b.
Welche Abteilung/-en des zuständigen Jugendamts und weiterer
Behörden waren mit dem Fall im Einzelnen betraut?
c.
Wie viele Kontakte des zuständigen Jugendamtes oder anderer
Behörden gab es zu dem Kind und seinen Eltern seit der Geburt des
Kindes und wann fanden diese in welcher Form statt?
d.
Wann und wie lange wurde die Familie durch wen in welcher Leistungsart und in welchem Umfang betreut?
e.
Welche Entscheidungen zu diesen Hilfen im Hinblick auf Ausweitung oder Kürzung gab es jeweils wann und durch welche Stellen?
f.
Gab es vor dem Tod des Kindes bereits eine Inobhutnahme gemäß
§ 42 SGB VIII?
Falls ja, wann, für wie lange und wo wurde das Kind gegebenenfalls
untergebracht?
Wenn ja, warum und wann wurde das Kind der Mutter wiedergegeben?
Die Zuständigkeit lag im Bezirksamt Altona – Fachamt Jugend- und Familienhilfe, JA
1/ASD 1 ASD 1 (Kerngebiet Altona).
Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Antwort zu 1.
g.
Welche Mitarbeiter welcher Stellen haben das Kind wann zuletzt
aus welchem Anlass gesehen? Eine Sozialarbeiterin soll die Familie
noch am 11. Dezember 2015 besucht und blaue Flecken im Gesicht
des Kindes entdeckt haben. Hat der Senat Erkenntnisse darüber,
warum die Mitarbeiterin dies nicht dem ASD gemeldet hat?
Der Sprecher des vom Jugendamt beauftragten Trägers hat der Presse gegenüber
bestätigt, dass die Mitarbeiterin noch am 11. Dezember 2015 in der Familie war und
die blaue Flecken bemerkt, diese aber seiner „wachsenden Mobilität“ zugeschrieben
hat. Darüber hinaus hat der Senat zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Kenntnisse,
warum die Mitarbeiterin des Trägers das Jugendamt nicht über ihre Beobachtungen
informiert hat.
Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Antwort zu 4.
h.
Wurde das Kind dabei in Augenschein genommen?
Falls ja, was wurde dabei festgestellt?
Falls nein, weshalb nicht?
i.
Laut den Medienberichten soll der Junge bereits im Oktober 2015
ins Krankenhaus eingewiesen worden sein. Warum nahm das Amt
diesen Vorfall nicht zum Anlass, das Kind in Obhutnahme zu neh3
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men beziehungsweise warum wurde die Inobhutnahme wieder
beendet?
j.
Welche Maßnahmen wurden nach der Misshandlung veranlasst?
Siehe Vorbemerkung und Antworten zu 1. und 4.
7.
Im Zusammenhang mit dem Tod Yagmurs hat der damalige PUA mit der
Empfehlung Nummer 18 fraktionsübergreifend beschlossen, im Falle
unklarer medizinischer Fragestellungen bei Kindesmisshandlungen
Rücksprache mit dem Kinder-KOMPT zu halten und im Falle von Auffälligkeiten, die Kinder einer regelmäßigen Kontrolle durch das KinderKOMPT zu unterziehen.
a.
Inwieweit, wann und mit welchem Ergebnis wurde das KinderKOMPT bei Tayler in Zusammenhang mit der früheren Verletzung
eingeschaltet?
b.
Wurden im Anschluss daran regelmäßige Kontrollen bei Tayler im
Kinder-KOMPT veranlasst?
Wenn nein, warum nicht?
8.
Der verstorbene Tayler hat auch einen Bruder. Sind hier Misshandlungen bekannt?
Siehe Vorbemerkung und Antwort zu 4.
9.
Laut Medienberichten lebte Tayler bei seiner Mutter und deren Lebensgefährten, welcher nicht sein leiblicher Vater war. Wurde der leibliche
Vater des Kindes über die Vorgänge informiert? Wann und von wem?
Hat er das Sorgerecht für das Kind gehabt? Welche genauen Erkenntnisse zu dem Vater liegen dem Senat vor?
Der Kindesvater gab am 17. Dezember 2015 gegenüber der Mordkommission des
Landeskriminalamtes (LKA 41) an, am 15. Dezember 2015 durch die Großmutter von
T. darüber informiert worden zu sein, dass dieser sich im Krankenhaus befinde. Er
habe anschließend die Kindesmutter aufgesucht und von dieser Näheres zu den Verletzungen erfahren.
Der Kindesvater bestätigte, dass das Sorgerecht alleine bei der Kindesmutter liege.
Darüber hinaus sieht der Senat aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes des Kindesvaters von der weiteren Beantwortung der Fragestellung ab.
10. Kam es seit der Geburt des Kindes zu Polizeieinsätzen in der Wohnung
der Familie oder wegen der Familie des Kindes? Waren der Vater
und/oder die Mutter vor dem Tod des Kindes polizeibekannt?
Wenn ja, aus welchen Gründen?
Polizeieinsätze im Sinne der Fragestellung gab es im erfragten Zeitraum nicht.
Bei der Polizei Hamburg war die Kindesmutter bisher als Beschuldigte nicht in
Erscheinung getreten; darüber hinaus sieht der Senat aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes von der weiteren Beantwortung der Fragestellung ab.
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