Samstag, 23. Mai 2015 / Nr. 118 Tagesthema Neue Luzerner Zeitung Neue Zuger Zeitung Neue Nidwaldner Zeitung Neue Obwaldner Zeitung Neue Urner Zeitung Bote der Urschweiz 3 Kompromiss bei Plastikverwertung Rainer Kistler, Leiter Amt für Umweltschutz Zug (links), und Martin Zumstein, Verwaltungsrat Renergia, erachten Kunststoff-Recycling als nicht zwingend. Durch Studienergebnisse sehen sie sich bestätigt. Bild Boris Bürgisser RECYCLING Plastikflaschen werden weiterhin in Perlen verbrannt. Die Renergia Zentralschweiz verspricht aber, Separatsammlungen in den Ökihöfen einzurichten. ALEXANDER VON DÄNIKEN [email protected] Ob Shampoo-, Spülmittel- oder Milchflaschen – die Verpackungen aus dem Kunststoff Polyethylen (PE) landen in der Zentralschweiz überwiegend im Abfall. Das will die Renergia Zentralschweiz AG, welche in Perlen die neue Kehrichtverbrennungsanlage betreibt, auch in Zukunft so handhaben. Dies gaben die Renergia, an der alle Zentralschweizer Kantone beteiligt sind, und die Zentralschweizerische Umweltdirektorenkonferenz (ZUDK) gestern anlässlich einer Medienorientierung bekannt. Die beiden Organisationen haben für 200 000 Franken eine Studie in Auftrag gegeben, die Vor- und Nachteile von Verbrennen und Verwerten aufzeigen soll. Migros und Coop mit Vorreiterrolle Das Verbrennen der Kunststoffe ist umstritten. Verschiedene Studien kamen in den letzten Jahren zum Schluss, dass die Wiederverwertung der Kunststoffe – wie bei Glas und PET – ökologisch sinnvoller ist. Entsprechend rät auch der Bund zu einem PE-Recycling in den Verkaufsgeschäften. Die Grossverteiler Migros und Coop nehmen bereits in allen Filialen leere Kunststoffflaschen gratis zurück. Aufgrund der Berichterstattung unserer Zeitung vor zwei Jahren wuchs auch der politische Druck auf die regionalen Abfallzweckverbände wie Real, eine «offizielle» Kunststoffsammlung zu prüfen. Das haben die Renergia und die Umweltdirektoren nun gemacht – wenn auch mit einer anderen Begründung. «Seit Anfang dieses Jahres ist die KVA Renergia in Betrieb. Wir wollten wissen, wie sich Kosten und Nutzen einer Separatsammlung von Kunststoffen im Vergleich bei dieser hochmodernen Anlage auswirken», so Martin Zumstein, Real-Direktor und Renergia-Verwaltungsrat. Studienfazit: Unentschieden Das Fazit der 120 Seiten starken Studie: «Sowohl das Verbrennen in der KVA Renergia als auch das Recycling weisen hohe Nutzwerte auf.» Für dieses Unentschieden nennen die Studienautoren folgende Gründe: Je höher die Menge von separat gesammelten Kunststoffen ist, desto besser ist der Umweltnutzen. Für die Umwelt ist es also am besten, wenn Kehrichtfahrzeuge neben dem normalen Abfall separat gesammelte Kunststoffe mitnehmen und diese zur Kunststoffe und ihr Recycling Verwertete Abfälle in der Schweiz Jeder Schweizer produziert pro Jahr im Durchschnitt 710 Kilo Abfall. Davon werden 364 Kilo verbrannt und 346 Kilo recycelt. PET-Flaschen 4,8 kg Aluminium 2,3 kg Textilien 6 kg Weissblech 1,6 kg Batterien 0,3 kg Code Bezeichnung Enthalten in PET Getränkeflaschen, Folien, Detailhandel und Textilfasern usw. Recyclingcenter Polyethylenterephthalat Kanister, Flaschenverschlüsse, Waschmittelflaschen, Milchflaschen usw. Grossverteiler Niederdruckpolyethylen (niedrige Dichte) Schrumpffolien, Tragtaschen, Luftpolsterfolien, Kübel usw. Einzelne private Recyclingunternehmen PP Polypropylen Verpackungs- und Kleiderfolien, Gartenmö- Kann nicht zurückbel, Joghurtbecher, gebracht werden Flaschenverschlüsse usw. PC Polycarbonate CDs und DVDs Hochdruckpolyethylen PE-HD (hohe Dichte) Elektroschrott 15 kg PE-LD Glas 44 kg Altpapier 165 kg Kompost 107 kg Weiterverwertung in ein Recyclingunternehmen fahren. Die Kehrseite dabei sind die hohen Kosten von 10 Millionen Franken pro Jahr. Die Bevölkerung müsste rund 20 Prozent mehr Gebühren zahlen als jetzt. Höherer Brennwert Auf der anderen Seite haben die erdölhaltigen Kunststoffe einen höheren Brennwert als übriger Abfall, was die Dampf- und Energieerzeugung in Quelle: BfU 2010 Grafik: Janina Noser der KVA Renergia wortwörtlich «befeuert». Die Renergia liefert durch das Verbrennen von Abfall Strom für 38 000 Haushalte und heizt dabei auch die Papierfabrik Perlen. «Je nach Gewichtung von Umwelt und Wirtschaftlichkeit ist entweder das Verbrennen oder das Verwerten vorne», erklärt Studienleiter Philip Küttel von der Holinger AG. Zusätzlich wurde auch der gesellschaftliche Aspekt bewertet: Eine Um- Entsorgung frage unter knapp 1200 Haushalten ergab, dass 90 Prozent Kunststoffe separat sammeln würden. Sammelstellen in Ökihöfen Diesem Umstand will die Renergia Rechnung tragen, wie Martin Zumstein erklärt: «Wir prüfen, ob wir in den nächsten Jahren in den bedienten Ökihöfen in der Zentralschweiz jeweils eine separate Sammelstelle für Behältnisse aus PE anbieten.» Details zu den Kosten Grossverteiler oder zum Zeitplan würden noch abgeklärt. Rainer Kistler, Sekretär der ZUDK und Amtsleiter Umweltschutz des Kantons Zug, will die Renergia beim Wort nehmen. «Wir erwarten schon, dass die Sammelstellen in den Ökihöfen bereitgestellt werden», sagt Rainer Kistler. Denn der Grundsatz der Abfallwirtschaft laute «vermeiden – verwerten – entsorgen»; demnach soll die Wiederverwertung von Plastikflaschen höher gewichtet werden als das Verbrennen. Im Kanton Uri kann man Kunststoffabfälle separat entsorgen PLASTIKSTREIT AH/avd. Auch im Kanton Uri ist Plastikabfall heiss begehrt. Die Situation unterscheidet sich aber von jener in Luzern: Aktuell nehmen mehrere Urner Recyclingbetriebe Kunststoffabfälle mit eigenen Abfallsäcken entgegen. Und diese günstigen Säcke sind bei der Urner Bevölkerung gefragt. Denn wer Kunststoff aussortiert, kann Platz im teureren, gebührenpflichtigen Kehrichtsack sparen. Mit der privaten Sammlung alter Kunststoffe ist die Zentrale Organisation für Abfallbewirtschaftung im Kanton Uri (Zaku) aber nicht einverstanden. Die Kunststoffabfälle sind Bestandteil des Siedlungsabfalls, der die Zaku an die neue Kehrichtverbrennungsanlage Renergia in Perlen/Root liefert. Deshalb hatte die Zaku im vergangenen Jahr eine Verfügung gegen die Altdorfer Recyclingunternehmen Baldini AG und Wyrsch AG erlassen. Daraufhin erhob die Baldini AG beim Regierungsrat Beschwerde gegen die Verfügung, die seither sistiert ist. Monopolstellung bei Kunststoff «Nun wollen wir zusammen mit den Altdorfer Recyclingunternehmen am runden Tisch eine Lösung finden», sagt Edi Schilter, Geschäftsführer der Zaku. Die aktuellen Studienergebnisse der Renergia Zentralschweiz AG und der kantonalen Umweltschutzämter der Zentralschweiz sollen dafür eine Diskussionsgrundlage bilden (siehe Haupttext). «Grundsätzlich ist Kunststoff aber ein Siedlungsabfall, auf den die Zaku gesetzlich das Monopol hat», betont Schilter. Die Zaku steht aber einer stofflichen Wiederverwertung der Kunststoffe, wie sie von Coop und Migros betrieben wird, positiv gegenüber. Die beiden Grossverteiler nehmen saubere Hohlkörper aus Kunststoff wie beispielsweise leere Dusch- oder Abwaschmittelflaschen gratis entgegen und produzieren daraus neue Kunststoffverpackungen. Bei den privaten Altdorfer Recyclingunternehmen werde aber nur ein Teil der gesammelten Kunststoffabfälle wiederverwertet, so Schilter. Die restlichen von der Wyrsch AG und der Baldini AG gemischt entgegengenommenen Kunststoffabfälle sind verschmutzt und werden als Kehricht verbrannt oder dienen Zementwerken als Brennstoff, ersetzen dort Kohle und Öl. Bei der Zaku ist man sich zusammen mit den anderen Verbänden zudem am Überlegen, ob man künftig wie Migros und Coop Sammelstellen für sauberen unverschmutzten Kunststoff einrichtet. Zug stoppt Pilotversuch Ab 2016 liefern auch die Zuger ihren Abfall in Perlen ab. Damit endet ein Pilotversuch: Im Stadtzuger Ökihof können derzeit alle Kunststoffe – also nicht nur Flaschen – abgegeben werden. Ab dem Jahreswechsel werden nur noch Behältnisse aus PE entgegengenommen, wie es bereits bei Migros und Coop möglich ist. Dafür wird die Gebühr für einen 35-LiterAbfallsack von 2.90 auf 2.50 Franken gesenkt. Luzerner Einzugsgebiet wächst Das Jahr 2016 ist auch für die Region Innerschwyz von Bedeutung. Ab dann wird der Kehricht aus dem inneren Kantonsteil ins luzernische Perlen geliefert. Ausserschwyz wird aber weiterhin die KVA Niederurnen (Kanton Glarus) mit Kehricht versorgen. Ebenfalls ab dem Jahr 2016 wird der gesamte Kehricht aus den Kantonen Ob- und Nidwalden in Perlen entsorgt.
© Copyright 2024 ExpyDoc