MANAGEMENT MILCH Arbeitsbelastung Brennen, ohne zu verbrennen E in Milchkuhbetrieb, irgendwo in Deutschland: Der Betriebsleiter, Max M., ist 43 Jahre und hat vor fünf Jahren den Hof von seinem Vater übernommen. Um seine beiden Schwestern auszubezahlen, musste er ein Darlehen aufnehmen. Beide Generationen leben gemeinsam auf dem Hof. Die Eltern helfen noch mit, so gut sie können. Max‘ Vater hält es nach wie vor für sein gutes Recht, sich in die Betriebsleitung einzumischen, als sei er die Nummer eins. Max‘ Frau ist Erzieherin und arbeitet in der nahe gelegenen Kleinstadt. Den alten M.s passt es nicht, dass die Schwiegertochter nicht mit auf dem Hof arbeitet und regelmäßig den Hof verlässt. Max hat viel zu schlichten und muss sich rechtfertigen. Als Max den Hof übernommen hat, standen dort 45 Kühe, jetzt sind es 180. Der Betrieb soll weiter wachsen. Max hat viel Stress mit der Arbeitsorganisation und folgt nicht immer den Empfehlungen seines Beraters: Wieso sollte er die Aufgaben und Arbeitsprozesse analysieren, Schwachstellen aufdecken und sich von Dritten Verbesserungspotentiale anhören, fragt er sich? Auch eine kritische Analyse, um sich mit seinen persönlichen Neigungen, Stärken und Schwächen auseinanderzusetzen, findet er unnötig. Da er keine passenden Mitarbeiter findet, hat Max schon jetzt 66 DLG-Mitteilungen 6/2015 kaum Freizeit. Die Empfehlung »Mehrwert durch Lebensqualität« ist nicht sein Motto, er setzt auf Wachstum. Ein konstruiertes Beispiel? Ja. Aber eine hohe Arbeitsbelastung, innerfamiliäre Auseinandersetzungen, der zunehmende Fachkräftemangel, eine hohe Belastung durch Fremdkapital und gegebenenfalls eine ungeregelte Nachfolge – all das sind Alltagsprobleme in vielen Betrieben. Besonders erschwerend kommt in den landwirtschaftlichen Familienbetrieben hinzu, dass berufliche und private Anforderungen und Wünsche durch die räumliche Nähe oftmals fließend ineinander übergehen. Das notwendige Abgrenzen Foto: Pakhay Oleksandr – fotolia.com Wo hört gelegentlicher Stress auf, und wann fängt ein Burnout an? Auch als Milcherzeuger sollten Sie sich diese Frage stellen. Regina von Einsiedel und Thomas Bonsels beschreiben die Probleme hinter der Erkrankung. nem Mehrgenerationenhaushalt auseinanderzusetzen. Die entstehenden chronischen Stressbelastungen können enorm sein, und nicht jeder ist ihnen gewachsen. Bei dem gesellschaftlich heißen Thema »Brenne ich aus?« geht es um das Phänomen der »Massenerschöpfung«. Die Grenze zwischen leidenschaftlichem »brennen« für den Betrieb und dem Gefühl, ausgebrannt zu sein, ist mitunter fließend. Nicht jeder Mensch kann einem Dauerstress ohne die Entwicklung psychischer Symptome standhalten. Vor allem Männer versuchen, seelischen Druck zu ignorieren, oder nehmen ihn als solchen nicht wahr. Kommt es in der Folge zu einer ernsten behandlungsbedürftigen psychischen Störung, wird der Betroffene von seinem Umfeld oft zusätzlich ausgegrenzt. Ein Aussteigen aus der Abwärtsspirale aus eigener Kraft wird für die Betroffenen immer schwieriger. Berufliche, private und soziale Ausgewogenheit ist ein hohes Gut. von betrieblichen und privaten Bereichen ist häufig nicht möglich. Darüber hinaus ist es für alle Beteiligten zumeist wichtig, sich mit den möglichen Konflikten in ei- Das Burnout-Syndrom. Vom Manager über den Topsportler bis hin zur Kassiererin. Überall begegnet man tatsächlichem oder vermeintlichem Burnout. Vieles in der Diskussion wird durch die Medien geschürt, die Verwen- Grafik 1: Burnout – Ein Problem der Lebensbewältigung dung des Begriffs bleibt dabei sehr schwammig. Burnout kann durch chronischen Stress, der nicht bewältigt wird, ausgelöst werden. Die Fachwelt spricht bei Burnout von einem Problem der Lebensbewältigung. Eine Dauerüberlastung ist ein chronischer Stressor und kann zu einer beruflichen, geistigen und emotionalen Erschöpfung führen (Grafik 1). Es kommt bei den Betroffenen zu psychischen und psychosomatischen Symptomen. Die Erkrankung kann ein erhebliches Leid hervorrufen und sich als chronische Krankheit mit einer Berufsunfähigkeit und Einschränkungen im privaten Umfeld entwickeln. Max grübelt viel, schreit immer mehr herum, wenn er traurig oder überfordert ist. Er hat Schlafstörungen, isst zu viel, trinkt zu viel, will nicht mehr reden und nicht mehr ausgehen. Stressquellen. Man unterscheidet verschiedene Stressquellen: • Bei dem aufgabenbedingten Stress handelt es sich um Über-, aber auch Unterforderung: Um unvorhersehbare Aufgabenwechsel und fehlende Informationen etc. • Der rollenbedingte Stress tritt bei unklaren Verantwortungsbereichen auf: Bei einer unklaren Stellenbeschreibung oder schlechter Vorbereitung auf die Arbeit. • Es gibt karrierebedingten Stress mit zu langsamer oder zu schneller Beförderung bzw. im Falle der Landwirtschaft beispielsweise einer unerwarteten oder verzögerten Hofübernahme, einem Verlust des Netzwerkes oder einer unzureichenden Vorbereitung auf die neuen Aufgaben. • Unter unternehmensexternem Stress versteht man die Probleme in der Familie Berufliche Überbelastung Chronische Stressoren berufliche Erschöpfung geistige – in der Landwirtschaft vor allem die fehlende Trennung zwischen Familie und Betrieb –, die ökonomische Situation oder einen persönlichen Wertewandel. Aber auch die zunehmend höheren Anforderungen durch politische Vorgaben. • Hinzu kommen personenbezogene Aspekte, wie die Überbetonung der Arbeit, das innere Leistungsverständnis mit Höchstleistung als Standard und die eigene Persönlichkeitsstruktur, die eine stressfreie Arbeit erschweren kann. Auch die organisationsbezogenen Risikofaktoren können Ursache eines Ausbrennens sein. Krankheiten im Beruf entstehen also aus einem Ungleichgewicht zwischen der Persönlichkeit, der Gesundheit und der Arbeitswelt (Grafik 2, S. 68). Die Symptome kommen oft schleichend und sind weder für die Betroffenen noch für die Familie oder sogar für Profis schwer zu erkennen. 10 Phasen des Burnout (nach Fengler) Phase 1 Freundlichkeit und (Über-) Idealismus Phase 2 Überforderung (meist nicht wahrgenommen) Phase 3 Geringer werdende Freundlichkeit Phase 4 Schuldgefühle darüber Phase 5 Vermehrte Anstrengungen Phase 6 Erfolglosigkeit Phase 7 Hilflosigkeit Phase 8 Hoffnungslosigkeit Phase 9 Erschöpfung, Abneigung gegen Klienten, Mitarbeiter, Schüler, Apathie Phase 10 Burnout-Syndrom, d. h. Selbstbeschuldigung, Zynismus, psychosomatische Reaktionen, Fehlzeiten, Unfälle etc. emotionale Burnout und seine Geschwister. Je nach Symptomlage werden verschiedene Burnoutphasen beschrieben (Übersicht). Auch der Drang, sich und anderen etwas beweisen zu wollen, die Überarbeitung und das Vernachlässigen persönlicher Bedürfnisse und sozialer Kontakte bis hin zu Verhaltensänderungen, Gleichgültigkeit, Hoffnungslosigkeit oder sogar Suizidgedanken gehören dazu. Kurz gesagt kann am Ende der Kette der mentale und psychische Zusammenbruch stehen – wenn nicht rechtzeitig reagiert wird. Burnout hat aber auch viele »Geschwister«: die Depression, die Sucht, die Persönlichkeitsstörung etc. Die Störungen können gut behandelt werden, aber nicht von Laien und nicht nach demselben Behandlungsschema. Werden die Symptome nicht frühzeitig behandelt, kann eine chronische psychische Störung daraus resultieren. Die Diagnose sollten Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie stellen. Nur sie können die richtige Intervention vorschlagen. Insgesamt muss Burnout schneller erkannt und effektiver bekämpft werden. Max erkennt seine Frühsignale nicht. Er ist von seiner Persönlichkeit her freundlich, ein zugewandter Mann, der geduldig allen Konflikten aus dem Weg geht. Aber durch seine Konfliktscheue besteht ein schwelender Konflikt mit seinem sozialen Umfeld. Die arbeitsbedingten Konflikte sind vermeintlich klein, der Betrieb läuft wirtschaftlich gut. Aber chronische Stressoren sind z. B. die ständigen Auseinandersetzungen mit den Eltern und die hohe Schuldenbelastung. Ein weiteres Problem sind das unbedingte Wachstum trotz des DLG-Mitteilungen 6/2015 67 bereits bestehenden Arbeitskraftmangels und fehlende Zeit für Freizeit und Erholung. Max hat arbeitsbedingte Stressoren, die über ein Burnout-Syndrom hinausgehen. Auffällig ist z. B. ein gesundheitsschädlicher Alkoholkonsum. Weiterhin sind die Affekte, also die Stimmung, auffällig, denn Angst und Trauer werden mit Schreien »überschrieben«. Desinteresse an seiner Frau, das Verleugnen der eigenen Bedürfnisse und Schlafstörungen sind deutliche Symptome einer beginnenden Depression. Wege aus dem Burnout. Um Burnout in der Landwirtschaft vermehrt in das Bewusstsein von Beratern und Landwirten zu rücken und wirkungsvoll zu behandeln, empfehlen sich fünf Schritte: 1 Coach the Coach. Berater von Milchkuhbetrieben sollten in Workshops und Einzelcoachings von Psychiatern und Psychotherapeuten geschult werden (Kasten). So können sie sensibilisiert werden, Burnout und andere psychische Störungen schneller zu erkennen, die Betroffenen gezielt anzusprechen und zu beraten. 2 Beraterleistung im Betrieb. Die zunehmende Spezialisierung der Betriebe erfordert klare Konzepte. Dazu gehört, dass Wachstumsschritte immer einer Reflexion und Analyse sowohl der Ist-Situation als auch im Ziel unterzogen werden müssen. Entscheidend ist dabei, dass die »Lebensphilosophie« aller am Prozess Beteiligten berücksichtigt wird. Gehen alle Foto: Wiermans MANAGEMENT MILCH Arbeitsbelastung Sorgen Sie nicht nur für Wohlbefinden bei Ihren Kühen – sondern auch bei sich selbst. in einer gemeinsamen auszuarbeitenden Zieldefinition den zukünftigen Weg mit, werden lang- und kurzfristige Ziele bzw. Meilensteine erarbeitet und die weitere Vorgehensweise festgelegt. Die »interne Analyse« beleuchtet die unternehmensinterne Situation, zeigt Potentiale, aber auch Grenzen auf und gibt Auskunft über Stärken und Schwächen. Hierzu zählen neben dem Standort z. B. die Finanzsituation oder auch die Arbeitskräfteausstattung. Ebenso wichtig ist eine Selbstreflexion: • Welche Aufgaben/Arbeitsbereiche sind unbedingt notwendig und müssen auch zukünftig im Betrieb verankert sein? Grafik 2: Ungleichgewicht zwischen der Persönlichkeit und der Arbeitswelt führt zu psychischen Symptomen Arbeitsanforderungen Arbeitsplatzbedingungen Psychische Gesundheit Arbeitswelt Gesundheit Persönlichkeit Fähigkeiten und Eigenschaften Emotionen und Bedürfnisse 68 DLG-Mitteilungen 6/2015 Körperliche Gesundheit • Müssen diese Aufgaben/Arbeitsbereiche zwingend von mir/uns erledigt werden? • Wenn ja, habe ich/haben wir zur optimalen Erledigung das notwendige (Fach-) Wissen? Durch die »externe Analyse« werden Faktoren beleuchtet, auf die das Unternehmen keinen direkten Einfluss hat. Dazu gehören z. B. die zukünftige Entwicklung des Absatzmarktes oder auch politische Rahmenbedingungen. Aus der Kombination von »interner und externer« Analyse werden dann entsprechende Handlungsstrategien entwickelt. In diesem Prozess hat der Berater, sofern er aktiv eingebunden ist, eine entscheidende Aufgabe. In der Phase der Selbstreflexion ist »aktives Zuhören« wichtig, um die Botschaften des Klienten richtig zu deuten und zu entschlüsseln. Das ist die Basis für eine vertrauensvolle, langfristige Zusammenarbeit. Der Problemkreis »Burnout« erfordert zudem, Konfliktsituationen zwischen Berater und Klienten zu vermeiden. Hier tragen »Ich-Botschaften« dazu bei, dem Klienten zu zeigen, dass auch der Berater »nur ein Mensch« ist, mit all seinen Stärken, Schwächen und Gefühlen. »IchBotschaften« entspannen gegenüber »Du-Botschaften« die Situation und deeskalieren, indem z. B. gesagt wird: »Ich bin besorgt, dass dieser zusätzliche Betriebszweig eine zu große Arbeitsbelastung für dich bedeutet. Wie empfindest du das?«, statt zu sagen: »Das wirst du arbeitsmäßig nicht schaffen!« 3 Ambulante Facharztbehandlung. Wenn eine seelische Erkrankung so schwer ausgeprägt ist, dass der Betroffene das Gesundheitssystem in Anspruch nehmen muss, kommt man um eine ambulante Facharztbehandlung durch einen niedergelassenen Psychiater und/oder Psychotherapeuten nicht herum. 4 Schnelldiagnostik. Bei langen Wartezeiten für eine ambulante oder stationäre Behandlung wäre eine mit den Krankenkassen vereinbarte 3-Tage-Diagnostik in einer auf Beruf und Gesundheit spezialisierten Rehabilitationsklinik denkbar, wie dem Zentrum für Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin (ZPPM) in Bad Lippspringe. Damit kann einer Krankheitsverschlechterung oder Chronifizierung vorgebeugt werden. 5 Spezifische und maßgeschneiderte Rehabilitationsbehandlung. Der Betroffene muss aufgrund der Schwere der Erkrankung in stationäre Behandlung. Diese kann in psychosomatischen Rehabilitationseinrichtungen erfolgen, die sich auf die Behandlung von Patienten mit besonderen beruflichen Problemlagen spezialisiert haben (Reha-Antrag muss gestellt und genehmigt werden). Max begibt sich auf Anraten seines Beraters in ambulante Behandlung. Schon während der Psychotherapie plant er mit seiner Familie und dem Berater eine Restrukturierung der Arbeitsabläufe auf dem Hof. Nach eineinhalb Jahren hat Max seine Arbeit und sein Privatleben zu aller Zufriedenheit ausbalanciert. Seminarangebot Ein neues Seminar der DLG-Akademie soll sich mit den sensiblen Problemen in der landwirtschaftlichen Beratung befassen: familiäre Probleme, schwere Erkrankungen in der Familie, Überlastung, drohender Suizid, Alkoholismus, psychische Probleme. Ziel ist es, Berater zu schulen, wie sie mit diesen Themen in der Beratung umgehen können und an welchen Stellen sie externe Fachleute und Institutionen einbeziehen oder an diese verweisen sollten. Das Seminar soll am 06./07. Oktober in Niedersachsen stattfinden. Weitere Informationen sind erhältlich unter: [email protected] oder Tel.: 069 24788-333. Fazit. Burnout ist eine moderne Erkrankung der arbeitenden Bevölkerung und auch bei Landwirten nicht selten. Ausgelöst wird das Syndrom durch chronische Dauerstressfaktoren, die von den Betroffenen nicht adäquat bewältigt werden können. Es kommt aufgrund einer beruflichen Überbelastung zu Problemen der Lebensbewältigung. Die Folge ist eine emotionale, geistige und berufliche Erschöpfung mit unterschiedlichen Symptomen. Nicht alles, was wie ein Burnout aussieht, ist auch einer. Die wichtigsten Differentialdiagnosen sind Depressionen, Sucht, Anpassungs- oder Persönlichkeitsstörungen. Es ist für die Betroffenen selbst und die Außenstehenden oft schwer, die Symptome zu erkennen und richtig einzuordnen. Ein frühzeitiges Gegensteuern ist aber wichtig, um einer chronischen Krankheit und möglicherweise langfristigen Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen. Die Behandlung des Burnout oder seiner Geschwisterkrankheiten ist unterschiedlich. Es kann eine Beratung oder ein Coaching erfolgen. Bei manchen Betroffenen sind eine ambulante Psychotherapie und eine Medikation vonnöten. Hilfreich ist auch eine fokussierte Therapie in einer Rehabilitationsklinik, die sich auf Beruf und seelische Gesundheit spezialisiert hat. Die Art der Behandlung richtet sich nach der Schwere der Symptome und der Diagnose. Diese muss ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie stellen. Dr. Regina von Einsiedel, Zentrum für Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin (ZPPM) im MZG Bad Lippspringe und von Einsiedel-Institut, Detmold, Thomas Bonsels, Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen, Kassel Literatur beim Verfasser
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