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3. Ulmer Therapietag im Häussler-Forum
am Samstag, 20. Februar 2016
zum Thema „Das VeRegO-Konzept – Neue Wege
in der Therapie bei Menschen im Wachkoma”
Daniela Schuster bei der Begrüßung der
Teilnehmer der Fortbildungsveranstaltung
„Das VeRegO-Konzept – Neue Wege in der Therapie bei Menschen im
Wachkoma”, lautete das Thema des 3. Ulmer Therapietages des HäusslerForums. Bei dieser erweiterten die 33 Teilnehmer aus Physiotherapie,
Logopädie und Ergotherapie sowie Fachpflege ihr medizinisches Fachwissen.
Sie erfuhren etwas über moderne Therapiemöglichkeiten, Erkenntnisse aus
der Medizin, die atmungstherapeutische Betrachtungsweise sowie den
ganzheitlichen transdisziplinären Therapieansatz. Das VeRegO-Konzept
versteht sich als Weiterentwicklung des interdisziplinären Arbeitens. Am
Nachmittag hatten die Teilnehmer die Möglichkeit in Workshops das
Praxiswissen zu verbessern. Das Häussler-Forum versteht sich als
Schulungsplattform für medizinische und therapeutische Berufsgruppen.
Häussler-Geschäftsführer Hans-Peter Dahlmann begrüßte die Seminarteilnehmer am frühen Morgen. Danach hatte Daniela Schuster das Wort.
Die Leiterin des Häussler-Forums freute sich über das Interesse an dieser
Fortbildungsveranstaltung und bedankte sich bei der Firma Medica
Medizintechnik GmbH (Hochdorf) für deren Zusammenarbeit.
Aufmerksame Besucher im Plenum
Inga Petzoldt hatte therapeutische
Ansätze für das Wachkoma parat
Kleine Stärkung in der Frühstückspause
Dr. Bernd Eifert befasste
sich mit den medizinischen
Erkenntnissen beim
Thema Wachkoma
Im ersten Vortrag schilderte Inga Petzoldt die Arbeit in ihrer außerklinischen
Praxis. Wir haben es dort schwer, weil uns in der „Rehaphase F“ anders
als in den Kliniken keine Ergotherapeuten, Logopäden oder Ärzte zur
Verfügung stehen”, erklärte sie. Als Konzepte stellte die Physiotherapeutin
ein aktives, respektives Üben des Patienten vor, das Üben von isolierten
Bewegungen oder das aufgabenorientierte Üben von Aktivitäten. Auch
zielorientierte Tätigkeiten (Hand-Off-Konzept) kämen in Frage. Petzoldt
plädierte für die Verknüpfung der Arbeit am Patienten im Rahmen einer
3-Säulen-Strategie. Hierzu zählen die Vertikalisierung, Regulation und
Oralisierung. Petzoldt: „Miteinander planen und arbeiten im Team über
mehrere Berufsgruppen hinweg, das ist für mich die Lösung”. Dies führe
dazu, dass während einer 45minütigen Behandlung gleich mehrere
Therapeuten mit dem Patienten beschäftigt sind, viel effektiver und
erfolgreicher als bisher. Diese Verzahnung führe dazu, dass alle Berufsgruppen
voneinander lernten und sich immer besser ergänzten. Für den Kranken
sei es das Ziel, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Bei dessen Unterstützung achte sie nicht nur auf Symptome, sondern auf Ressourcen, also
das, was noch beim Schwerkranken da ist und gefördert werden kann.
Mit den neuesten medizinischen Erkenntnissen setzte sich Dr. Bernd Eifert
in seinem Referat auseinander. Der ärztliche Leiter für Intensivmedizin und
neurologische Frührehabilitation am SRH Fachkrankenhaus Neresheim
sprach von aktuell 10.000 Wachkoma-Patienten in Deutschland. Er grenzte
die Zustände Koma, Wachkoma und minimal bewusstes Zustandsbild (MCS)
voneinander ab und sprach vom Verlust des Bewusstseins, welches den
Wachkoma-Patienten charakterisiere. Anhand des Locked-in-Syndroms
(LIS) stellte Eifert dar, welche große Bandbreite es an Symptomen gibt.
Er sah starke Gefahren der Fehldiagnose u.a. durch fehlendes Wissen, zu
kurze Beobachtung und unzureichende Messinstrumente. Entscheidend
sei für ihn, in welchem Zustand sich der Patient befinde, d.h. wie er auf
gezielte Reize reagiere. Dies müsse länger beobachtet und bewertet werden.
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Die atmungstherapeutische
Betrachtungsweise war das
Thema von Frank Willkomm
„Ohne motorische Fähigkeiten des Patienten sind wir in der klinischen
Untersuchung blind”, so Eifert. Hilfreich in der Technik sei das funktionelle
Kernspin des Gehirns, die Messung des Sauerstoffverbrauchs bei Erfüllung
einer Aufgabe (z.B. das Öffnen der Faust). Auch das EEG könne hier adäquat
eingesetzt werden. Ziel sei es in der Zukunft, das „Verarbeiten” im Gehirn
über neuronale Netzwerke zu beobachten und zu analysieren. Bei Störungen
der Nerven lasse sich auch das Brain-Computer-Interface einsetzen. Eifert
sah Behandlungsmethoden durch die Arzneimittel und die Chirurgie („das
Verlegen von Drähtchen”, das Implantieren zur Gehirnstimulation). Der
Mediziner würde alle Sinnesmodalitäten ansprechen, die Belastbarkeit
testen und Inselstudien gutheißen.
Über therapeutische Ansätze berichtete Inga Petzoldt in ihrem zweiten
Vortrag. Sie warb für den Einsatz von Stehbetten, Therapieliegen mit
Stehfunktion bzw. Steh- und Balancetrainer für die Verbesserung der
Gleichgewichtsfunktion. „Vertikalisierung und Regulation hängen eng
zusammen”, so Petzoldt. Die Physiotherapeutin forderte die Anwesenden
auf: „Seien Sie mutig und probieren Sie an ihren Patienten aus, was ihnen
gut tut und hilft.” Inga Petzoldt warb dafür, Patienten zum Stehen zu
bringen, denn das verändere Vieles zum Guten. Anhand eines Videos über
eine Patientin, die langsam an das eigene Zähneputzen herangeführt wurde,
zeigte sie Möglichkeiten des aufgabenorientierten Arbeitens. Für die Fachfrau
sind auch der Einsatz von Tieren wie Hunden oder Pferden wichtig, die
Verhaltensveränderungen mit sich bringen könnten. Eine gesunde
Tagesstruktur ist für sie bei einem erfolgreichen Heilungsprozess unerlässlich.
Gut versorgt In der
Mittagspause
gab es gute
Gespräche und
leckere Speisen
Die atmungstherapeutische Betrachtungsweise des Wachkomas hatte Frank
Willkomm auf der Agenda. Der Fachkrankenpfleger für Anästhesie und
Intensivpflege stellte dar, wie wichtig eine möglichst gute Lungenfunktion
ist. „Ein gestörtes Abhusten, der Körper produziert 200 ml davon am Tag,
schaffe Probleme. Darum ist für Willkomm ein professionelles Sekretmanagement wichtig, zu dem eine Veränderung des Sekretes, dessen
Entfernung, die Mobilisation und die Atemgasveränderung durch
Befeuchtung gehören. Für ihn kommt auch die Verwendung eines Hustenassistenten zum Trainieren der Lunge, eine Rüttelweste, medikamentöse
Unterstützung oder Vernebelungstechniken in Frage.
Workshop I zeigte Ansätze,
wie man als Patient raus aus dem Bett
und rein in das Leben kommt
Im Workshop II zeigte
Fatih Özkaya, wie
unterstützte
Kommunikation
funktionieren kann
Fatih Özkaya, Medizintechnik-Berater bei Häussler, zeigte in seinem Vortrag
im Rahmen eines Workshops Details der unterstützten Kommunikation bei
Wachkomapatienten. Diese sei die einzige Form der Selbst- oder Mitbestimmung für den Betroffenen, unterstütze die Sprachentwicklung und
ermögliche die aktive Teilnahme am Schulunterricht. „Kommunikation ist
überall”, so Özkaya. Bei Sprach- und Sprechstörungen gäbe es eine Menge
an sinnvollen technischen Möglichkeiten mit einer großen Palette an
Angeboten.
Nach einer Mittagspause am reichhaltigen Buffet ging es für die motivierten
Seminaristen im rollierenden System in zwei verschiedene Workshops. Hier
konnte man die neue Technik selbst ausprobieren, mit Kollegen besprechen
und fachsimpeln. Nach acht Stunden Hören, Sehen und Erleben ging ein
rundum gelungener Therapietag im Häussler-Forum Ulm zu Ende. Dieser
hat Lust auf eine Fortsetzung im kommenden Jahr gemacht:
Der 4. Ulmer Therapietag findet am 11.03.2017 statt.
Text und Fotos: Roland Schütter