Monitor erkennt Absatzmärkte für Schokolade und Käse

INTERNATIONAL
Monitor erkennt Absatzmärkte
für Schokolade und Käse
Die Schweizer Nahrungsmittelindustrie leidet unter dem starken Franken. Ein Monitor hilft den
Schokolade-, Käse- und Getreidefabrikanten, vielversprechende Absatzmärkte zu erkennen. Stefan Flückiger, Felix Brill
D ie Wachstumschancen für die Schweizer Nahrungsmittelindustrie liegen
– trotz der im europäischen Vergleich hohen Rohstoffpreise – im Export.1 Denn die
1 Wenn sich die Preise in den letzten Jahren leicht
angenähert haben, so bleiben die Differenzen trotz
des Rohstoffausgleichmechanismus des Bundes bei
den Hauptrohstoffen beträchtlich. Das zeigen eigene
Berechnungen von den Rohstoffen Milch und Getreide
auf der Basis von Daten von Faostat.
inländischen Absatzmärkte sind zunehmend gesättigt. Zudem ist ein verschärfter Wettbewerb durch Importe zu beobachten.
Vor diesem Hintergrund sind für die Exportwirtschaft folgende Fragen zentral:
Wie ist es um die Wettbewerbsposition
von Schweizer Nahrungsmitteln in Exportmärkten bestellt? Welche Absatzmärkte
bieten langfristig betrachtet die grössten
Exportpotenziale?
Die Zürcher Fachhochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) versuchte
diese Fragen zusammen mit dem Beratungsunternehmen Wellershoff & Partners, dem
Dachverband Föderation der Schweizerischen Nahrungsmittel-Industrien (Fial) und
der Handelsförderungsorganisation Switzerland Global Enterprise (S-GE) zu beantworten. Das Projekt «Exportpotenzialmonitor für die Nahrungsmittelindustrie»
wurde vom Bundesamt für Landwirtschaft
(BLW) unterstützt.
Der Exportpotenzialmonitor ist ein
Werkzeug, welches die Firmen bei ihren Exportaktivitäten unterstützen und die Exporte langfristig fördern soll. Die Ergebnisse
sind öffentlich zugänglich.2 Diese gilt es nun
auch im politischen Kontext zu a­ nalysieren.
2www.zhaw.ch/exportpotenzialmonitor
Der Käsekonsum pro Kopf stagniert bei höheren
Einkommen. Das wirkt sich auf die Exporte in Märkte
wie die USA aus.
KEYSTONE
Abstract Aufgabe der Exportförderung ist es, die Schweizer Unternehmen zu unterstützen,
damit diese im Ausland neue Absatzmöglichkeiten finden. Für die Nahrungsmittelindustrie
entwickelte die Zürcher Fachhochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zusammen
mit dem Beratungsunternehmen Wellershoff & Partners, dem Dachverband Föderation
der Schweizerischen Nahrungsmittel-Industrien (Fial) und der Handelsförderungsorganisation Switzerland Global Enterprise (S-GE) deshalb einen sogenannten Exportpotenzialmonitor.
Dieses Werkzeug soll den Unternehmen die Erschliessung ausländischer Märkte erleichtern
und damit die Absatzchancen für schweizerische Nahrungsmittel verbessern. Das Projekt wurde vom Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) unterstützt. Der Monitor schätzt auf der Basis der
Wettbewerbsposition von Schweizer Nahrungsmitteln in den einzelnen Absatzmärkten und
mithilfe eines volkswirtschaftlichen Wachstumsmodells deren langfristiges Nachfragepotenzial. Unter Berücksichtigung von länderspezifischen Informationen werden daraus Potenzialschätzungen für den Gesamtmarkt abgeleitet. In einer ersten Phase wurden die Exportpotenziale für die Produktegruppen Käse, Schokolade und Getreide identifiziert. Weitere folgen.
Die Volkswirtschaft 10 / 2015 41
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Abb 1: Globale Nachfragekurve für Käseprodukte (1961 bis 2011)
FAOSTAT, PENN WORLD TABLES, UNO, WELLERSHOFF & PARTNERS /
DIE VOLKSWIRTSCHAFT
30 Käsekonsum pro Kopf/Jahr (in Kilo)
25
20
15
10
5
0
0
10 000
20 000
30 000
40 000
50 000
60 000
na, Südkorea, den Philippinen und Thailand
vor allem in Asien, in Osteuropa (Russland,
Polen, Rumänien), in Süd- und Mittelamerika (Brasilien, Mexiko, Uruguay) und im arabischen Raum (Vereinigte Arabische Emirate, Saudi-Arabien, Kuwait).
Diese Märkte deckten im vergangenen Jahr 97 Prozent aller Käseexporte ab.
Beim Getreide gingen 90 Prozent und bei
Schokolade 82 Prozent in die untersuchten
Destinationen.
Reiche verlieren Appetit auf Käse
Die Exportpotenzialanalyse konzentriert
sich auf die Produktkategorien3 «Käse
und Quark», «Schokoladenprodukte» und
«Getreideprodukte inklusive Backwaren».
Für jede dieser Produktegruppen wurden
mehr als 20 wichtige, beziehungsweise
vielversprechende, Exportmärkte identifiziert.4
Die zehn grössten Kernmärkte liegen für
alle drei Produktkategorien fast ausnahmslos in Europa und in Nordamerika. Wichtig sind etwa die vier grossen Nachbarländer der Schweiz sowie die USA und Kanada.
Die Wachstumsmärkte finden sich mit Chi-
Ausgangspunkt für die Schätzung der
langfristigen Exportpotenziale ist eine
empirische Analyse des Nachfrageverhaltens der Konsumenten in Abhängigkeit
von ihrem Einkommen. Abbildung 1 illustriert das Vorgehen am Beispiel von Käse.
Die hellgrauen Punkte vergleichen den
jährlichen Käsekonsum mit dem jeweiligen Pro-Kopf-Einkommen in US-Dollar
für die identifizierten Kern- und Wachstumsmärkte im Zeitraum von 1961 bis
2011.
Mit zunehmendem Pro-Kopf-Einkommen steigt der Käsekonsum deutlich an,
wie die Schätzung einer allgemeinen
Nachfragekurve zeigt (rote Linie). Ab einem
Pro-Kopf-Einkommen von etwa 40 000
Dollar flacht die Kurve zunächst ab, bevor
sie dann sogar zu sinken beginnt. Wie auch
theoretisch zu erwarten war, werden Käseprodukte also mit zunehmendem Einkommen nach und nach durch andere Lebensmittel substituiert.
Im nächsten Schritt werden länderspezifische Nachfragekurven geschätzt, um
regionalen oder auch kulturellen Unterschieden Rechnung zu tragen. Dazu werden als Datenbasis nur die jeweiligen Beobachtungen eines Landes verwendet
– allerdings unter der Nebenbedingung des
Verlaufs der allgemeinen Nachfragekurve.
Im Falle der USA zeigt sich etwa (blaue Kurve), dass sich die Nachfrage mit wachsendem Einkommen zwar ähnlich, aber nicht
identisch verhält.
In einem dritten Schritt wird das Nachfragepotenzial für die nächsten zehn Jahre bestimmt. Dazu werden Projektionen
zum Pro-Kopf-Einkommen gemäss dem
bei vergleichbaren Projekten erprobten
Wachstumsmodell von Wellershoff & Partners5 mit den länderspezifischen Nachfragekurven verknüpft.
3 Zolltarifnummern 0406; 1806 und 1704.9010; 1901, 1902,
1904, 1905.
4 Käse: 22 Länder, Schokolade (27),
Getreideprodukte (28), mehr Details unter
www.zhaw.ch/exportpotenzialmonitor.
5 Für mehr Informationen zum Modell siehe: Wellershoff & Partners, World Growths Until 2030, Critical
Perspectives, Ausgabe 4, November 2010.
Reales Bruttoinlandprodukt pro Kopf (in Dollar)
Alle untersuchten Länder
Beobachtungen USA
Globale Nachfragekurve
Nachfragekurve USA
Projizierter Trend USA
Die hellgrauen Punkte zeigen jeweils Beobachtungen in einem bestimmten Jahr in einem gegebenen Land.
Die fünfzig Beobachtungen für die USA sind in Dunkelgrau hervorgehoben. Die rote Linie zeigt die Schätzung einer globalen Nachfragekurve, welche alle Beobachtungen berücksichtigt. Die blaue Linie gibt die
länderspezifische Schätzung der Nachfragekurve für die USA wieder. Die hellgrüne Linie zeigt schliesslich
den zu erwartenden Käsekonsum pro Kopf für die projizierte Entwicklung des Pro-Kopf-Einkommens in
den USA in den nächsten zehn Jahren.
hoch
Abb. 2: Exportpotenzialmatrix für Schokoladenprodukte
Vietnam
Niederlande
Grossbritannien
Marktwachstum
Türkei
Malaysia
Exportbedeutung
gemessen am Total
tief
Spanien
Frankreich
Kanada
Südkorea
Philippinen
Australien
20 Prozent
10 Prozent
5 Prozent
2.5 Prozent
Russland
Brasilien
Thailand
Belgien
Uruguay
Italien
USA
Japan
Indonesien
Deutschland
Saudi-Arabien
klein
Marktgrösse
EZV, FAOSTAT, PENN WORLD TABLES, UNO, WELLERSHOFF & PARTNERS / DIE
VOLKSWIRTSCHAFT
China
gross
Die Grösse der Kreise gibt die Bedeutung der Absatzmärkte aus Schweizer Sicht gemessen am im Jahr 2014
beobachteten Exportanteil wieder. Auf der vertikalen Achse kann das Marktwachstumspotenzial für die
nächsten zehn Jahre abgelesen werden, auf der horizontalen Achse die Grösse der jeweiligen Absatzmärkte.
Am interessantesten sind die Länder im oberen, rechten Quadranten.
Kern- und Wachstumsmärkte
im Fokus
42 Die Volkswirtschaft 10 / 2015
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In den USA dürfte das Pro-Kopf-Einkommen in den nächsten zehn Jahren insgesamt um 5 Prozent wachsen. Im gleichen Zeitraum nimmt der Käsekonsum pro
Kopf aber lediglich um rund 1,5 Prozent zu
(siehe Abbildung 1). Im Jahr 2025 isst der
Durchschnittsamerikaner somit 16 Kilo Käse
pro Jahr. Dank des angenommenen Bevölke­
rungsanstiegs von 320 auf 345 Millionen
Menschen im selben Zeitraum wächst die
Gesamtnachfrage dennoch insgesamt um
rund 9 Prozent.
Briten und Chinesen für Schokoladenproduzenten immer wichtiger
Nun hängt die Exportentwicklung aus
Schweizer Sicht nicht nur vom Trendwachstum der jeweiligen Absatzmärkte ab, sondern auch von der Wettbewerbsposition der
Schweizer Anbieter in den Exportmärkten.
So können etwa die Exporte selbst in einem
stagnierenden Absatzmarkt gesteigert werden, wenn Marktanteile gewonnen werden.
Um diesem Faktor Rechnung zu tragen, wurde in den jeweiligen Absatzmärkten der Importmarktanteil der Schweizer
Hersteller bestimmt. Mithilfe von Einschätzungen der Länderexperten von
S-GE wurde schliesslich beurteilt, ob in
den nächsten zehn Jahren mit konstanten,
sinkenden oder steigenden Importmarktanteilen gerechnet werden kann.
Die Ergebnisse zeigen: Für Schokoladenprodukte ist insbesondere Grossbritannien ein wichtiger Wachstumsmarkt.
Dieser aus Schweizer Sicht bereits bedeutende Markt weist hohe Wachstumsraten
auf (siehe Abbildung 2). Ebenfalls ein grosses Potenzial bietet China.
Auffällig ist etwa, dass Deutschland
zwar aktuell der mit Abstand grösste Exportmarkt für Schweizer Schokoladenprodukte ist, aber nur ein vergleichsweise geringes Marktwachstumspotenzial bietet.
Nahrungsmittelindustrie verarbeitet mehr Milch und Getreide
Mit einer Wirkungsanalyse, verbunden
mit einer Expertenumfrage, wurde auch
die Wirkung auf die Märkte und die landwirtschaftlichen Strukturen untersucht.
Dabei zeigt sich: In Zukunft wird die einheimische Nahrungsmittelindustrie als
Abnehmerin von Schweizer Agrarrohstoffen wie Milch und Weizen noch bedeutender. Insbesondere die Exporte dürften
ansteigen.
Kasten 1: Nahrungsmittelindustrie leidet unter starkem Franken
Die exportierenden Firmen der
Schweizer Nahrungsmittelindustrie stehen zunehmend unter
Druck. Besonders betroffen
sind sie von der Aufhebung der
Wechselkurs-Untergrenze zum
Euro. Denn Exporte in die EU
wurden dadurch auf einen Schlag
um knapp 15 Prozent teurer – das
ist trotz «Swissness-Bonus»
schwer zu verkraften. Dabei
wird die «Swissness» durch den
Erlass einer speziellen Verordnung über die Verwendung der
Herkunftsangabe «Schweiz»
für Lebensmittel (HASLV) neu
reglementiert. Dies wird zu
einem grossen bürokratischen
Aufwand und neuen Kosten für
diejenigen Firmen führen, die
das Schweizer Kreuz weiterhin
auf ihrer Verpackung verwenden
möchten, was gerade im Export
bei vielen Produkten unerlässlich
ist. Weitere Regulierungstendenzen unter dem Titel «Grüne
Wirtschaft», aber auch die immer
geringer werdenden Ausfuhrbeiträge, deren vollständiges
Verbot durch die WTO droht,
erschweren die Situation
zusätzlich. Der Dachverband
Föderation der Schweizerischen
Nahrungsmittel-Industrien (Fial)
sucht aktiv nach Antworten auf
diese vielfältigen Herausfor-
derungen. Nebst konstanter
Innovation der Produkte und
dem bestmöglichen Ausnützen der Rahmenbedingungen,
insbesondere der verschiedenen
Freihandelsabkommen, hilft dabei auch der Exportpotenzialmonitor. Er schafft einzigartige und
massgeschneiderte Möglichkeiten bei der Suche nach neuen
Exportmärkten und soll Unternehmer in ihren Bestrebungen,
neue Märkte zu erschliessen,
bestmöglich unterstützen. Urs Reinhard Dr. iur., Rechtsanwalt, Co-Geschäftsführer der
Föderation der Schweizerischen
Nahrungsmittel-Industrien (Fial)
Kasten 2: Konsumfreudige Mittelschicht wächst weltweit
Die Handelsförderungsorganisation Swiss Global Enterprise
(S-GE) unterstützt Schweizer
Nahrungsmittelfirmen dabei, ihr
Geschäft zu internationalisieren.
Denn trotz Frankenstärke im
Euroraum liegen im Export die
künftigen Wachstumstreiber
der Branche. Die Lebensmittelindustrie profitierte vom
globalen Wachstum der Mittelschicht. In den zehn Märkten
mit der grössten wachsenden
Mittelschicht – von China über
Indien bis Brasilien – werden
die Ausgaben für Lebensmittel
stark steigern. S-GE arbeitet eng
zusammen mit den Verbänden
der Lebensmittelbranche, um
möglichst spezifische Dienstleistungen anbieten zu können.
Eine solche Dienstleistung ist
der Exportpotenzialmonitor, mit
dem die Unternehmungen ihre
Exportaktivitäten strategisch
planen und weitere Entschei-
Im Jahr 2014 ging fast ein Fünftel der
total vermarkteten Milchäquivalente als
verarbeitete Produkte (etwa als Käse oder
Schokolade) ins Ausland. Bei der inländischen Weichweizenproduktion6 (etwa
in Form von Teig, Müesli oder Backwaren) betrug dieser Anteil fast einen Zehntel. Je nach Szenario ist bei der Verarbeitung von Milch zu Schokolade bis zum
Jahr 2025 im Vergleich zu heute mit einer
Zunahme der Exporte zwischen rund 13
und 38 Prozent zu rechnen. Bei der Verarbeitung zu Käse beträgt das prognostizierte Exportwachstum zwischen rund
10 und 40 Prozent; bei der Verarbeitung
zu Getreideprodukten zwischen rund 3
und 9 Prozent.
Dennoch gehen die Agrarexperten davon aus, dass diese zum Teil beachtlichen
Mehrmengen die Rohstoffpreise und die
Landwirtschaftsstruktur nicht massgeblich beeinflussen. Im Vergleich zu anderen
Effekten, wie beispielsweise Agrarschutz,
Klima, Währungsschwankungen, können
sie sogar vernachlässigt werden.
6 inkl. Biskuitweizen.
dungsgrundlagen zur Verfügung
haben. Weitere Dienstleistungen
sind die Beratung zur Anwendung von Freihandelsabkommen, Begleitung beim Prozess
der Internationalisierung, die
Teilnahme an Messen. Zudem
analysiert S-GE die Zielmärkte
im Ausland und vermittelt den
Exporteuren lokale Partner.
Jonas Spahn Projektmanager
Food und Tourismus, Switzerland
Global Enterprise (S-GE)
Mit dem Exportpotenzialmonitor steht
den Unternehmen und deren Branchen ein
Planungsinstrument zur Verfügung, um
Entscheidungsgrundlagen für ihr strategisches Marketing zu haben und langfristige
Investitionsentscheide verbessern zu können. Über eine regelmässige Aktualisierung
der Daten oder die Aufnahme von neuen
Branchen in den Exportpotenzialmonitor
werden derzeit Gespräche geführt.
Stefan Flückiger
Dr. sc. tech., Dozent
für Agrarwirtschaft
und Nachhaltigkeit
an der Zürcher
Hochschule für
Angewandte
Wissenschaften,
Wädenswil
Felix Brill
Dr. rer. oec., Partner
und Geschäftsführer
des Beratungsunternehmens Wellershoff & Partners,
Zürich
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