Erfahrungsbericht Name: Anna Lena Pfäffle Studium an der UA / Fakultät: Philologisch-Historische Fakultät Austauschjahr: 2015 (Sommersemester) Praktikumseinrichtung: Ensemble scolaire Sainte Marie - Saint Jean-Baptiste Stadt: Royan Land: Frankreich Aus Spam-Schutzgründen wird die E-Mail-Adresse nicht im Internet veröffentlicht, kann aber im Akademischen Auslandsamt erfragt werden. Ich kannte die Charente-Maritime bereits von einigen Urlauben der letzten Jahre und hatte sie deshalb als Ziel für mein Praktikum in Frankreich ausgesucht. Nicht zuletzt auch deshalb, weil hier seit einigen Jahren die Eltern meines Freundes, sowie seine Schwester mit ihren beiden Kindern leben und ich so verhältnismäßig günstig zur Miete wohnen konnte und zugleich auch schon etwas Anschluss ans Leben hier hatte. Nach einigen Initiativbewerbungen bot mir schließlich das Collège Sainte Marie-Saint Jean-Baptiste in Royan an, mein Praktikum als Deutschassistentin bei ihnen abzuleisten. Anfang März kam ich nach einer wunderschönen zweitägigen Autofahrt - einmal quer durch Frankreich - in der Charente-Maritime an und nutzte den letzten freien Tag vor Arbeitsbeginn zum Kofferauspacken, Schrankeinräumen, Gegend-Erkunden etc. Tags darauf ging es dann aber schon los! Ich hatte nach meiner Ankunft einen Termin mit der Deutschlehrerin des Collèges vereinbart und so trafen wir uns in einer Pause im Lehrerzimmer, besprachen alles Wichtige sowie das Vorgehen für die nächsten Tage/Wochen - ich bekam auch schon ein paar kleinere Projekte zur Vorbereitung - und schließlich nahm sie mich gleich mit in den Unterricht. Zuerst lernte ich die Schüler der 5ème kennen, das entspricht in Deutschland Schülern der 7. Klasse. Die 5ème ist die zweite Jahrgangsstufe des Collèges, welches mit der 6ème (Jahrgangsstufe 6 in Deutschland) beginnt und mit der 3ème (Jahrgangsstufe 9 in Deutschland) endet. Die Schüler waren sehr neugierig ob der ihnen unbekannten Person, die sie von nun an für einige Monate begleiten sollte, anfangs auch noch etwas schüchtern, tauten dann aber schnell auf. Die Deutschlehrerin bat sie, mir Fragen zu stellen, um so viel wie möglich über mich herauszufinden. Auf Deutsch wohl gemerkt. Die Jungen und Mädchen hatten im zweiten Jahr Deutschunterricht, kannten also schon einige Fragen zur Person (z. B. nach dem Namen, nach dem Alter, Wohnort, zur Familie, Lieblingsfarbe, -musik, -essen usw.) - hatten aber das meiste bereits vergessen. Also blätterten sie wie wild in ihren Deutschheften, um die Fragen wieder zu finden. Nach einigen Minuten hatte ich mich auch daran gewöhnt, automatisch langsam und deutlich zu sprechen, mich zu wiederholen, umzuformulieren etc., damit die Schüler mich bestmöglich verstanden. Hierbei half mir auch meine Erfahrung aus den Deutschkursen für Asylbewerber, welche ich seit einem halben Jahr gab, denn dort arbeite ich viel mit Menschen, mit denen ich keine Sprache “gemeinsam” hatte. Hier bin ich auch darauf angewiesen, mich so verständlich wie möglich im Deutschen auszudrücken, damit die Kursteilnehmer mich verstehen. Nach einiger Zeit hatten die Schüler auch sichtlich Spaß daran, Informationen über mich herauszufinden und zu verstehen - erstmals konnten sie ihre Fremdsprache Deutsch im authentischen Gespräch mit einer Muttersprachlerin anwenden und sahen ihre Fortschritte bzw. erkannten, wie viel Nützliches sie bereits beherrschten. Ich hatte mir zwar vorgenommen, mit den Schülern so viel wie möglich Deutsch zu sprechen und so wenig wie möglich Französisch - schließlich sollten sie ja von meiner Anwesenheit im Deutschunterricht profitieren, doch zu hundert Prozent ließ sich das gar nicht umsetzen und irgendwann fingen wir dann auch an, uns ein bisschen auf Französisch zu unterhalten. So konnten die Schüler detailhaftere Informationen zu mir erfragen, müheloser - und vor allen Dingen auch ungenierter plaudern. Ähnliche Erfahrungen machte ich mit den Schülern der 6ème, Jahrgangsstufe 6 in Deutschland, im ersten Jahr am Collège und auch im ersten Lernjahr Deutsch, allerdings fiel mir hier auf, dass diese Schüler mir deutlich spontaner einfache Fragen zu meiner Person stellen konnten, als dies bei den Schülern der 5ème der Fall war. Im Vergleich fiel mir dann auf, dass die 6ème die Fragen einfach noch präsenter hatten, da sie sie ja zum Teil erst einige Wochen zuvor im Unterricht gelernt hatten, wohingegen die 5ème einen Großteil bereits wieder vergessen hatten. War ja auch schon im letzten Schuljahr gewesen. Schüler und ihre Vergesslichkeit! Am nächsten Tag lernte ich noch die Schüler der beiden verbleibenden Jahrgangsstufen, 4ème und 3ème (Klassen 8 und 9 in Deutschland), kennen. Hier zeigte sich ein Phänomen recht deutlich, welches in einigen Fällen durchaus auch ein Lernproblem darstellte, wie ich in den folgenden Wochen entdecken sollte: die Pubertät. Die Schüler und Schülerinnen waren zwar im Großen und Ganzen sehr nett, leider aber auch meist lustlos und unmotiviert im Unterricht und hatten oftmals eine Abneigung gegen Deutsch bzw. - alterstypisch - die Schule überhaupt. So weit, so gut, einige waren aber auch wirklich unverschämt, insbesondere der Deutschlehrerin gegenüber, worauf diese aber leider meist gar nicht oder zumindest nicht angemessen reagierte. Hier kann ich sagen, dass ich mich in solchen Situationen oft unwohl fühlte, da ich gerne anders reagiert hätte - ich bin der Meinung, dass auf unangemessenes Verhalten der Schüler reagiert werden muss - aber nicht wusste, wie genau ich mich verhalten sollte, da die Lehrerin meist wenig bis nichts unternahm. Einerseits wollte ich anders reagieren, andererseits wollte bzw. konnte ich mit meinen Handlungen auch nicht komplett dem Vorgehen bzw. den Regeln der Deutschlehrerin widersprechen, sodass ich versuchte, wenn möglich einen Mittelweg zu finden und innerhalb meiner Möglichkeiten zu reagieren. Insgesamt hatte ich aber auch zu den älteren Schülern einen sehr positiven Kontakt. In den nächsten Wochen liefen die Unterrichtsstunden und meine Aufgaben so ab, dass mich die Deutschlehrerin oftmals kleine Einheiten bzw. Teile von Unterrichtsstunden vorbereiten ließ, sozusagen in Vorbereitung auf meine ersten eigenen Stunden. Das hat mir sehr geholfen, da ich nicht sofort “ins kalte Wasser” geschmissen wurde, sondern Zeit hatte, alle Schüler besser kennenzulernen und Gelegenheit bekam, mich mit den Unterrichtsgepflogenheiten, Vorgehensweisen, Lehrbüchern etc. vertraut zu machen, ehe ich mich selber an die Vorbereitung ganzer Stunden wagte. So bereitete ich beispielsweise Hörverständnisaufgaben vor, übernahm Übungseinheiten zu bereits bekannten Themen oder führte die Schüler Anfang April durch das Thema “Ostern”. Letzteres war insbesondere wertvoll, weil ich hier zum ersten Mal die Erfahrung machte, ein- und dasselbe Thema an verschiedene Lernstufen zu adaptieren. Der Umgang mit den Schülern war wie bereits erwähnt fast durchgehend positiv, in den Klassen der 4ème und der 3ème allerdings - vermutlich größtenteils altersbedingt - nicht immer einfach. Schwierig wurde es dann, wenn die Deutschlehrerin Fehlverhalten zu oft durchgehen ließ. Die Schüler verstanden ja recht schnell, dass sie auch mit mangelnder Disziplin durchkamen. Oftmals dachte ich mir, dass ich in manchen Situationen wohl strenger durchgegriffen bzw. überhaupt eingegriffen hätte. Besonders in Erinnerung blieb mir hier eine Klassenarbeit in der 4ème, während derer ich eine Schülerin dabei erwischte, wie sie in einem kleinen Wörterbuch “spickte”. Ich ging sofort zu ihr, nahm ihr das Buch ab und wandte mich dann, da es mir als Praktikantin selbstverständlich nicht gestattet war, der Schülerin den Test wegzunehmen und mit einer “sechs” zu bewerten, an die Deutschlehrerin, welche allerdings nichts unternahm. An dieser Stelle war ich ein wenig entsetzt, überlegte kurz und entschied dann, die Schülerin - welche nicht wusste, was ich mit der Lehrerin besprochen hatte - trotz mangelnder Folgen durch die Lehrkraft, zu ermahnen. Ich warnte sie vor einem erneuten Spickversuch damit, dass sie beim nächsten Mal null Punkte erhalten würde. Zudem behielt ich selbstverständlich das Wörterbuch bis zum Ende der Stunde ein. In solchen Situationen zeigte sich die Schwierigkeit, mich in die Rolle der Lehrkraft einzufinden. Meine eigene Schulzeit habe ich erst vor knapp drei Jahren beendet, ich kann mich also noch recht gut mit den Schülern identifizieren bzw. mich in sie hineinversetzen. Das ist natürlich vorteilhaft, hat es mir aber z. T. auch erschwert, mich in die Rolle der Lehrerin hineinzuversetzen. Zumal ich ja noch keine richtige Lehrerin bin. Besonders zu Beginn des Praktikums “schwebte” ich also in einer Art “Zwischenrolle” - ich war keine Schülerin mehr, aber auch noch keine volle Lehrerin - aus der ich mich erst nach und nach halbwegs heraus entwickeln konnte. Diese Erfahrung hat mich sehr erstaunt, war aber durchaus auch positiv, weil ich ganz bewusst die “Perspektivenunterschiede” zwischen Schülern und Lehrern erlebt habe. Nach einigen Wochen durfte ich dann meine ersten Unterrichtsstunden vorbereiten: Mit den Schülern der 5ème und der 4ème arbeitete ich jeweils zum Thema “Deutschland”. Das klingt zwar ganz stereotyp, ist aber als erstes Projekt gar nicht so schlecht und wenn man es einigermaßen ansprechend gestaltet, für die Schüler durchaus eine Abwechslung zum sonstigen Unterricht. Das versuchte ich natürlich zu erreichen und so führte ich mit den Schülern eine Art Stations- und Gruppenarbeit durch. Die Deutschlehrkraft erlaubte mir sogar, die Schüler am Ende der Lektion zu benoten. Ich machte mir also zur Arbeit jeden Schülers Notizen und überlegte mir, wie ich ihn bzw. sie benoten würde, anschließend an die Projektstunden besprach ich meine Überlegungen/Ergebnisse dann mit der Lehrerin. Das war eine sehr tolle Erfahrung! Wie ich zu den Schülern sehr positiven Kontakt hatte, so war auch der Kontakt zum restlichen Lehrerkollegium sehr unbeschwert und angenehm. Vormittags nach der zweiten Stunde gab es immer eine kleine, viertelstündige Kaffeepause in der Schulmensa, zu der sich der Großteil des Kollegiums traf und bei welcher ich die Gelegenheit hatte, auch mit anderen Lehrern und Lehrerinnen ins Gespräch zu kommen. Alle waren freundlich und interessierten sich für die Art meines Aufenthalts an ihrer Schule, meine Herkunft und meine Beweggründe, zu ihnen zu kommen. Ich im Gegenzug erfuhr - neben Wissenswertem und mir Unbekanntem über das Schul- und Bildungssystem - viel Interessantes über die Ausbildung und Arbeit der Lehrer in Frankreich. So ergab es sich schon recht bald, dass ich besonders zu drei Kolleginnen - neben meiner betreuenden Deutschlehrkraft - recht guten Kontakt hatte, auch außerhalb der Schule. Ab und an gingen wir am Wochenende zusammen bowlen bzw. im Sommer an den Strand oder wir aßen gemeinsam zu Abend. Eine der drei wohnte sogar in derselben Ortschaft wie ich. Für sie veranstalteten wir zu ihrem 30. Geburtstag eine Überraschungsparty, das war sehr nett. Meine beste Freundin hier aber wurde Alejandra, eine junge Spanischlehrerin aus Costa Rica, die seit ca. sechs Jahren in Frankreich lebt und mit der ich sehr viel unternahm. Bevor ich meinen Frankreichaufenthalt antrat, hatte ich zuweilen die Befürchtung, wenig soziale Kontakte zu finden, da ich ja kein typisches Auslandssemester an einer Uni absolvieren würde - mit Unmengen an Gleichaltrigen - sondern in einer Schule arbeiten würde - mit vielen deutlich jüngeren Schülern und deutlich älteren Kollegen um mich herum. Diese Befürchtungen blieben aber allesamt unbegründet! Unschlagbar während meiner Zeit in der Charente-Maritime war vor allen Dingen auch das Wetter. Auf ein mildes Frühjahr (verglichen mit den Frühjahren bei uns) folgte ab Juni, sogar fast schon ab Mitte Mai, ein hervorragender Sommer. Ab Juni war ich überwiegend mit dem Fahrrad unterwegs und verbrachte weite Teile meiner Freizeit am Strand, am Pool, beim Eisessen - jedenfalls an der Sonne. Was zur Folge hatte, dass mich zwei Freundinnen, die mich im Juni an meinem Geburtstag für einige Tage besuchen kamen, am Flughafen folgenderweise begrüßten: “Oh Anna! Du warst noch nie in deinem Leben so braun!” Ja, am Ende meiner Zeit hier fühlte ich mich fast wie eine Einheimische.
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