Die Abschlussentscheidung der Staatsanwaltschaft Wiss. Mit. Ines Klein 1 Die Abschlussentscheidung der StA Mit der Abschlussentscheidung der StA endet das Ermittlungsverfahren Mögliche Varianten, wie es nun weitergehen kann: Einstellung des Verfahrens, weil kein hinreichender Tatverdacht besteht § 170 II StPO ein vorübergehendes Verfahrenshindernis besteht § 205 S. 1 StPO analog Opportunitätsgründe vorliegen §§ 153 ff. StPO Ein Privatklagedelikt vorliegt und die StA das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung verneint §§ 374 ff. StPO Die StA betreibt das Verfahren weiter und Erhebt Anklage § 170 I StPO Stellt einen Strafbefehlsantrag §§ 407 StPO Stellt einen Antrag auf ein beschleunigtes Verfahren §§ 417 StPO Das Opfer erhebt Privatklage Prof. Dr. Katharina Beckemper 2 Die Einstellung des Verfahrens - § 170 II StPO Einstellung aufgrund mangelnden Tatverdachts § 170 II Der hinreichende Tatverdacht kann aus unterschiedlichen Gründen fehlen: Prozessuale Gründe (zB: Verfahrenshindernis, Verfahrensvoraussetzung fehlt) Materiellrechtliche Gründe Tatsächliche Gründe (zB: Tatnachweis ist nicht möglich) Die StA muss den Beschuldigten von der Einstellung in Kenntnis setzen, wenn: Der Beschuldigte vernommen wurde Ein Haftbefehlt gegen ihn erlassen worden ist Der Beschuldigte einen Antrag auf Bescheidung gestellt hat Ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe besteht Prof. Dr. Katharina Beckemper 3 Die Einstellung des Verfahrens - § 170 II StPO Der Bescheid muss nicht begründet werden, es sei denn, der Beschuldigte wünscht dies ausdrücklich, Nr. 88 RiStBV Nach § 171 StPO muss die StA auch den Antragsteller informieren, die die Strafverfolgung durch eine Anzeige veranlasst hat Er muss aber ein persönliches Interesse an der Strafverfolgung haben. Wenn nicht, ist er nur Anzeigeerstatter und kein Antragsteller Nur den Verletztem steht ein förmlicher Rechtsbehelf zu: Das Klageerzwingungsverfahren Die Einstellung bewirkt kein Strafklageverbrauch. Die StA kann jederzeit wieder die Ermittlungen aufnehmen Prof. Dr. Katharina Beckemper 4 Die Einstellung des Verfahrens - § 170 II StPO Liegt ein Privatklagedelikt iSv § 374 I vor und verneint die StA nach §376 das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung, wird das Verfahren ebenfalls wegen Bestehens eines Verfahrenshindernisses für das Offizialverfahren nach § 170 II StPO eingestellt Nr. 86 RiStBV : (2) Ein öffentliches Interesse wird in der Regel vorliegen, wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist, z.B. wegen des Ausmaßes der Rechtsverletzung, wegen der Rohheit oder Gefährlichkeit der Tat, der niedrigen Beweggründe des Täters oder der Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben. Ist der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus nicht gestört worden, so kann ein öffentliches Interesse auch dann vorliegen, wenn dem Verletzten wegen seiner persönlichen Beziehung zum Täter nicht zugemutet werden kann, die Privatklage zu erheben, und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist. Prof. Dr. Katharina Beckemper 5 Die Einstellung des Verfahrens - Privatklageweg Der Verletzte wird dann auf den Privatklageweg verwiesen Der Privatkläger übernimmt eine mit der StA vergleichbare Stellung Ihm stehen dieselben Rechtsmittel zu, die in dem Verfahren auf erhobene öffentliche Klage der StA zustehen, § 390 I StPO Aber nur zulasten des Beschuldigten Die StA kann jederzeit bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils durch eine ausdrückliche Erklärung die Verfolgung übernehmen, § 377 II StPO In den Fällen des § 380 I StPO muss jedoch zuerst von einer durch die Landesjustizverwaltung zu bezeichnender Vergleichsbehörde die Sühne erfolglos versucht worden sein Trifft ein Privatklagedelikt mit einem Offizialdelikt iSe Tat im prozessualen Sinn zusammen, ist die Privatklage ausgeschlossen Das Privatklagedelikt wird ohne Rücksicht auf das öff Interesse mit dem Offizialdelikt verfolgt Prof. Dr. Katharina Beckemper 6 Die Einstellung des Verfahrens - §§ 153, 153a Einstellung aus Opportunitätsgründen 1. Einstellung nach § 153 StPO Voraussetzungen: a) Hinreichender Tatverdacht bzgl. eines Vergehens b) Schuld des Täters wäre als gering anzusehen „wäre“ = Schuld ist noch nicht nachgewiesen, aber Behörde ist nicht verpflichtet, weitere Recherchen zu unternehmen Die bloße Wahrscheinlichkeit der Verurteilung muss ausreichen „gering“ = wenn bei einem Vergleich mit Vergehen gleicher Art die Schuld deutlich unter dem Durchschnitt liegt (Kriterien des § 46 II StGB berücksichtigen) Prof. Dr. Katharina Beckemper 7 Die Einstellung des Verfahrens - §§ 153, 153a c) Das öffentliche Verfolgungsinteresse fehlt Es fehlt, wenn aus spezial- oder generalpräventiven Gründen oder zum Schuldausgleich eine Fortsetzung des Verfahrens nicht erforderlich erscheint Die StA hat einen Beurteilungsspielraum Zwar steht ihr nach Wortlaut auch ein Ermessen zu (sie „kann“ von der Strafverfolgung absehen), aber da die unbestimmten Rechtsbegriffe („geringe Schuld“, „öffentliches Interesse“) bereits eine wertende Tätigkeit erfordern, wurden alle auch für das Ermessen wichtigen Punkte berücksichtigt bei Vorliegen aller Voraussetzungen kommt es zur Ermessensreduzierung auf Null die StA muss einstellen Prof. Dr. Katharina Beckemper 8 Die Einstellung des Verfahrens - §§ 153, 153a Vor Klageerhebung: Einstellung durch StA, § 153 I Das Gericht muss der Entscheidung zustimmen, § 153 I 1 Ausnahme § 153 I 2: „eine im Mindestmaß erhöhten Strafe“: Das Mindestmaß beträgt bei einer Freiheitsstrafe 1 Monat, § 38 II StGB. Beträgt die Strafandrohung bei einem Vergehen mehr als einen Monat (zB: §224 I StGB mind. 6 Monate), handelt es sich um eine „im Mindestmaß erhöhte Strafe“. Der Beschuldigte muss nicht zustimmen Die Entscheidung nach § 153 I erwächst nicht in Rechtskraft Eine Fortsetzung des Verfahrens ist somit jederzeit möglich Nach Klageerhebung: Einstellung durch das Gericht, § 153 II Zustimmung der StA und des Angeklagten nötig Beschluss hat beschränkte Rechtskraft Prof. Dr. Katharina Beckemper 9 Die Einstellung des Verfahrens - §§ 153, 153a 2. Einstellung nach § 153 a StPO Voraussetzungen: a) Hinreichender Tatverdacht bzgl. eines Vergehens b) Schwere der Schuld steht der Einstellung nicht entgegen Das Gesetz geht davon aus, dass Schuld vorliegt Somit ist es keine Einstellung aufgrund unklarer Rechtslage Auch mittlere Kriminalität erfasst c) Auflage befriedigt das öffentliche Strafverfolgungsinteresse Katalog des § 153 a ist nicht abschließend „Auflagenerfindungsrecht“ von StA und Gericht ist aber beschränkt (StA darf sich zB nicht die Fenster putzen lassen) Auflagen und Weisungen müssen in einem inneren Zusammenhang mit der Tat stehen, verfassungsrechtlichen Grundsätzen genügen und keine Regelungen anderer Rechtsgebiete umgehen Prof. Dr. Katharina Beckemper 10 Die Einstellung des Verfahrens - §§ 153, 153a Vor Klageerhebung: Einstellung durch die StA, § 153 a II Zustimmung des Gerichts (Ausnahme: § 153 a I 7 iVm § 153 I 2 StPO) Zustimmung des Beschuldigten, § 153 a I 1 Dies ist jedoch kein Schuldeingeständnis! Vorläufige Einstellung des Verfahrens, bis die Auflagen/Weisungen erfüllt werden dann tritt ein endgültiges Verfahrenshindernis ein Die Tat kann dann nicht mehr als Vergehen verfolgt werden, § 153 a I 5 (Beschränkter Strafklageverbrauch) Stellt sich später heraus, dass ein Verbrechen vorliegt, kann das Verfahren wieder aufgenommen werden. Bereits erbrachte Leistungen sind nicht zurückzuerstatten, sondern bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Nach Klageerhebung: Einstellung durch das Gericht, § 153 a II StA und Angeschuldigter müssen zustimmen Der Gerichtsbeschluss ist unanfechtbar, § 153 a II 3, 4 StPO Mit Auflagenerfüllung: beschränkter Strafklageverbrauch, § 153 a II 2, I 5 Prof. Dr. Katharina Beckemper 11 Die Einstellung des Verfahrens - §§ 154, 154 a 3. Einstellung nach §§ 154, 154 a §§ 154, 154 a ermöglichen, vom Legalitätsprinzip zugunsten der Verfahrensökonomie abzuweichen, wenn weitere Delikte des Täters neben der Haupttat nicht mehr beträchtlich ins Gewicht fallen Bei selbstständigen Taten im prozessualen Sinn § 264 StPO: Die StA (oder nach Klageerhebung auf Antrag der StA das Gericht) kann bzgl. einzelner Taten nach § 154 I einstellen, wenn die zu erwartende Strafe nicht beträchtlich ins Gewicht fällt zB: T stiehlt am Kiosk eine Kaugummi. Später begeht er einen schweren Raub. Bei derselben Tat im prozessualen Sinn: StA oder Gericht können bzgl. der nicht beträchtlich ins Gewicht fallenden Teile der Tat nach § 154 a einstellen zB: T bricht die Tür auf (§ 303), um so in das Haus desjenigen zu gelangen, der er ermorden will. Prof. Dr. Katharina Beckemper 12 Die Einstellung des Verfahrens - §§ 154, 154 a Dürfen die nach §§ 154, 154a ausgeschiedenen Taten noch strafschärfend berücksichtigt werden? BGH: differenziert → Wurde nach §§ 154, 154a kommentarlos eingestellt oder die Anklage beschränkt, kann der Beschuldigte darauf vertrauen, dass ihm die weggefallenen Taten/Tatteile nicht mehr zur Last fallen (fair trail Gedanke) → Wurde der Beschuldigte ausdrücklich nach § 265 StPO auf diese Möglichkeit hingewiesen: zulässig a.A.: nein → Wenn der Staat glaubt, auf die Verfolgung verzichten zu können, verlangt das Verbot der Fairness, dass insoweit die Schuldfeststellung über alle prozessualen Hürden hinweg lückenlos durch geführt wird Prof. Dr. Katharina Beckemper 13 Die Einstellung des Verfahrens Weitere Einstellungsmöglichkeiten: § 153 b StPO: das Gericht kann von der Strafe absehen § 153 c StPO: bei bestimmten Auslandstaten § 153 d StPO: bei bestimmten politischen Straftaten § 153 e StPO: bei Staatsschutzdelikten, wenn der Agent „rechtzeitig“ offenbart § 153 f StPO: bei Straftaten nach VStGB, wenn die Verfolgung anderweitig sichergestellt ist § 154 c StPO: zu Gunsten von Nötigungs- und Erpressungsopfern § 31 a BtMG: bei Drogendelikten bei geringer Menge und „Eigenverbrauchabsicht“ § 37 BtMG: Absehen von der Verfolgung eines Rauschgiftdelikts, wenn sich der Beschuldigte einer Drogentherapie unterzieht Prof. Dr. Katharina Beckemper 14 Besondere Verfahrensarten – Strafbefehlsverfahren 1. Das Strafbefehlsverfahren §§ 407 ff. StPO Sinn und Zweck des Verfahrens ist es, Fälle minder schwerer Kriminalität unkompliziert und schnell zu verhandeln Es findet keine Hauptverhandlung statt Zulässig, wenn es sich um vor dem Strafrichter abzuurteilende Vergehen handelt § 12 II StGB Besteht ein hinreichender Tatverdacht bzgl. eines Vergehens, stellt die StA bei dem zuständigen Richter einen Antrag auf Erlass eines Strafbefehls Liegen alle Voraussetzungen vor, muss sie ihn stellen Bestehen gegen den Erlass des Strafbefehls keine Bedenken, hat der Richter ihn zu erlassen, § 408 III StPO Prof. Dr. Katharina Beckemper 15 Besondere Verfahrensarten – Strafbefehlsverfahren Der Antrag muss auf bestimmte Rechtsfolgen gerichtet sein, § 407 I 3, II StPO Gem. § 407 I 4 StPO wird durch den Strafbefehlsantrag öffentliche Klage erhoben Das Gericht hat folgende Möglichkeiten zu entscheiden: Der Richter lehnt den hinreichenden Tatverdacht ab und erlässt keinen Strafbefehl, § 408 II Der Richter erlässt den Strafbefehl, wenn er keine Bedenken hat (= den hinreichenden Tatverdacht bejaht und die Sanktion für angemessen hält) § 408 III 1 Der Richter beraumt eine Hauptverhandlung an, § 408 III 2 Wurde eine Hauptverhandlung bereits eröffnet, kann der Strafbefehl nur unter den Voraussetzungen von § 408 a erlassen werden Prof. Dr. Katharina Beckemper 16 Besondere Verfahrensarten – Strafbefehlsverfahren Gegen den Strafbefehl kann der Angeklagte innerhalb von 2 Wochen Einspruch einlegen, § 410 StPO Den Einspruch kann er auf bestimmte Punkte beschränken, zB nur auf Strafausspruch Es gibt 3 Möglichkeiten, um über den Einspruch zu entscheiden: 1. Ist er verspätet oder sonst unzulässig, kann er durch Beschluss verworfen werden, § 411 I 1 1. Sonst wird ein Termin zur Hauptverhandlung anberaumt, § 411 I 2 Der Strafbefehl hat dann die Funktion des Eröffnungsbeschlusses Erweiterte Verlesungsmöglichkeiten, §§ 411 II, 420 I-III (der Unmittelbarkeitsgrundsatz wird eingeschränkt) Einschränkung des Beweisantragsrechtes, §§ 411 II, 420 IV Das Urteil ergeht unabhängig vom Strafbefehl, § 411 IV Prof. Dr. Katharina Beckemper 17 Besondere Verfahrensarten – Strafbefehlsverfahren Das Verbot der reformatio in peius (§§ 331, 358 II) gilt nicht Vor Urteilsverkündung kann der StA kann die Klage bzw. der Beschuldigte den Einspruch zurücknehmen, § 411 III Nach Beginn der Hauptverhandlung muss aber der Beschuldigte bzw. die StA zustimmen, §§ 411 III, 303 S. 1 3. Ist er auf die Höhe der Tagessätze einer Geldstrafe beschränkt, kann mit Zustimmung aller Beteiligten das Gericht darüber durch Beschluss entscheiden, § 411 I 3 Es darf nicht zum Nachteil des Angeklagten abgewichen werden Prof. Dr. Katharina Beckemper 18 Besondere Verfahrensarten – Strafbefehlsverfahren Wird kein Einspruch eingelegt, steht er einem rechtskräftigen Urteil gleich, § 410 III (Rechtskraft des Strafbefehls) Eine Neubeurteilung der Tat ist nach Eintritt der Rechtskraft nur unter Wiederaufnahmegesichtspunkten möglich § 373 a enthält einen zusätzlichen Wiederaufnahmegrund zu Ungunsten des Angeklagten, wenn neue Tatsachen oder Beweise vorliegen, die geeignet sind, die Verurteilung wegen eines Verbrechens zu begründen Prof. Dr. Katharina Beckemper 19 Besondere Verfahrensarten – beschleunigtes Verfahren 2. Das beschleunigte Verfahren = Verfahrensart, die in einfach gelagerten Fällen eine Aburteilung ermöglichen soll, die der Tat auf dem Fuße folgt. Wird von Teilen der Lehre mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip stark kritisiert, v.a. da einige Verfahren u.U. bereits innerhalb von 24 Stunden zur Aburteilung führen können Prof. Dr. Katharina Beckemper 20 Besondere Verfahrensarten – beschleunigtes Verfahren Voraussetzungen § 417 StPO: 1. Erstinstanzliche Zuständigkeit des Amtsgerichtes (des Strafrichters § 25 GVG oder Schöffengerichts § 24 GVG) 2. Schriftlicher oder mündlicher Antrag der StA auf Aburteilung im beschleunigten Verfahren („Schnellantrag“) 3. Eignung zur sofortigen Verhandlung auf Grund einfachen Sachverhalts oder klarer Beweislage = die Hauptverhandlung könnte sofort oder in sehr kurzer Zeit schon innerhalb eines Termins durchgeführt und abgeschlossen werden. Die Hauptverhandlung soll daher innerhalb von 1 bis 2 Wochen stattfinden. 4. Der Beschuldigte muss ein Erwachsener oder Heranwachsender sein; bei Jugendlichen ist das beschleunigte Verfahren nach § 79 II JGG unzulässig Prof. Dr. Katharina Beckemper 21 Besondere Verfahrensarten – beschleunigtes Verfahren Besonderheiten des Verfahrens Wegfall des Zwischenverfahrens Gem. § 418 I StPO wird die Hauptverhandlung sofort/in kurzer Frist durchgeführt werden, ohne dass es einer Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens bedarf. Die Anklage kann auch mündlich erfolgen, § 418 III Keine Ladung des Beschuldigten, § 418 II Außer er stellt sich nicht freiwillig zur Hauptverhandlung oder wird nicht dem Gericht vorgeführt Beschränkung der Rechtsfolgen, § 419 I Nur Geldstrafe und Freiheitsstrafe unter 1 Jahr; keine Maßregeln der Besserung und Sicherung außer Entzug der Fahrerlaubnis Prof. Dr. Katharina Beckemper 22 Besondere Verfahrensarten – beschleunigtes Verfahren Besonderheiten der Hauptverhandlung Erweiterte Verlesungsmöglichkeiten, § 420 I, II (Unmittelbarkeitsgrundsatz wird eingeschränkt) Im Verfahren vor dem Strafrichter kann dieser Beweisanträge ablehnen, ohne an die Ablehnungsgründe des § 244 III-IV gebunden zu sein Vorläufige Festnahme wird durch § 127 b I gegenüber § 127 II erleichtert § 127 b II sieht mit der „Hauptverhandlungshaft“ einen neuen Haftgrund neben § 112 vor § 418 IV ordnet eine notwendige Verteidigung an, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens 6 Monaten zu erwarten ist Ein Verstoß dagegen stellt einen absoluten Revisionsgrund dar, § 338 Nr. 5 Prof. Dr. Katharina Beckemper 23 Besondere Verfahrensarten – Sicherungsverfahren Sicherungsverfahren §§ 413 ff. StPO Ist der Beschuldigte schuld- oder verhandlungsunfähig, kann die StA nach § 413 StPO beantragen, dass Maßregeln der Besserung und Sicherung gegen ihn angeordnet werden. Insoweit ergänzen §§ 413 ff. StPO verfahrensrechtlich § 71 StGB Prof. Dr. Katharina Beckemper 24 Die Anklageerhebung Bieten die Ermittlungen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die StA sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht, § 170 I Die Anklageschrift enthält gem. § 199 II, 200: Name des Angeschuldigten Die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, insbes. Zeit und Ort Die gesetzlichen Merkmale der Straftat Die anzuwendenden Strafvorschriften Die StA vermerkt den Abschluss der Ermittlungen in den Akten, § 169a Durch den Abschlussvermerk bestimmt den Zeitpunkt, ab dem der Pflichtverteidiger zu bestellen ist, § 141 III 3 und uneingeschränkte Akteneinsicht gewährt werden muss, § 147 II Prof. Dr. Katharina Beckemper 25 Die Anklageerhebung Folgen der Anklageerhebung: Die Verfahrensherrschaft geht auf das Gericht über Festlegung des Prozessgegenstandes (Umgrenzungsfunktion) Das Gericht darf die Untersuchung nicht willkürlich auf andere, nicht angeklagten Taten ausdehnen Der Beschuldigte wird jetzt Angeschuldigter genannt Prof. Dr. Katharina Beckemper 26 Rechtsschutz gegen die Abschlussentscheidung 1. Dienstaufsichtsbeschwerde Dem Beschuldigte steht gegen die Abschlussentscheidung kein förmlicher Rechtsbehelf zu Er kann – wie auch der Verletzte - gegen die Einstellung Dienstaufsichtsbeschwerde erheben Sie erfasst das dienstliche Verhalten des Beamten und die Sachbehandlung (Fachaufsichtsbeschwerde) Anforderungen und Erfolgsaussichten: formlos, fristlos, (idR) fruchtlos Prof. Dr. Katharina Beckemper 27 Rechtsschutz gegen die Abschlussentscheidung 2. Klageerzwingungsverfahren, §§ 172 ff. Trotz Einstellung durch die StA kann sie durch den Verletzen zur Klageerhebung gezwungen werden Verletzter = wer durch die behauptete Tat, ihre Begehung unterstellt, unmittelbar in einem Rechtsgut beeinträchtigt ist Der Verletzte muss zuvor einen Antrag auf Erhebung öffentlicher Klage iSv § 171 gestellt haben (Antragsteller) Verfahren ist ausgeschlossen, wenn Privatklage möglich ist oder die StA aus Opportunitätsgründen eingestellt hat, § 172 II 3 Prof. Dr. Katharina Beckemper 28 Rechtsschutz gegen die Abschlussentscheidung Ablauf: 1. Stellt die StA das Ermittlungsverfahren ein oder leistet sie dem Antrag auf Erhebung öffentlicher Klage eine Folge, wird dies dem Antragsteller mitgeteilt 2. Gegen die Einstellungsverfügung ist nach § 172 I die förmliche Beschwerde beim vorgesetzten Beamten des StA – idR der Generalstaatsanwalt – möglich (Einstellungsbeschwerde) Hält er sie für begründet: Klage wird erhoben Weist er sie ab: Verletzte kann innerhalb 1 Monats Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen, § 172 II 1, III Darüber entscheidet das OLG, § 172 IV Prof. Dr. Katharina Beckemper 29 Rechtsschutz gegen die Abschlussentscheidung Prüfungsschema: I. Zulässigkeit 1. Statthaftigkeit, § 172 II 3 2. Antragsberechtigung, § 172 I 1 a) Verletzter b) Antragsteller, §§ 158 I, II, 171 3. Einstellungsbeschwerde, § 172 I 1 4. Zuständigkeit: OLG, § 172 IV 5. Form, § 172 III und Frist, § 172 II II. Begründetheit §§ 174, 175 Hinreichender Tatverdacht §§ 170 I, 203 Prof. Dr. Katharina Beckemper 30 Adressat der Anklageschrift Will die StA Klage erheben, muss sie dies beim zuständigen Gericht tun Zuständigkeitsregeln setzen ein Verfassungsprinzip um: Prinzip des gesetzlichen Richters Art. 101 I 2 GG iVm § 16 s. 2 GVG Durch das Gesetz und den Geschäftsverteilungsplan des Präsidiums muss im Vorfeld so genau wie möglich festgelegt sein, wer zuständiger Richter für die Strafsache ist Dadurch soll verhindert, dass durch die bewusste Auswahl des Richters auf den Ausgang des Verfahrens Einfluss genommen werden kann Wendet ein Gericht infolge eines Irrtums Zuständigkeitsvorschriften falsch an, genügt dies nicht für einen beachtlichen Verstoß gegen das Prinzip (!) Dies ist nur bei Willkür der Fall, wenn die Entscheidung offensichtlich unhaltbar ist und auf sachfremden Erwägungen beruht Prof. Dr. Katharina Beckemper 31 Adressat der Anklageschrift 1. Örtliche Zuständigkeit = Gerichtsstand Aus Sonderzuweisungen ergeben sich besondere Gerichtsstände: Bei Staatsschutzdelikten: OLG § 120 I GVG LG § 74a GVG Bei Pressedelikten: § 7 II StPO Ordentliche Gerichtsstände: §§ 7 ff. StPO Tatort, § 7 I Wohnsitz bzw. Aufenthaltsort des Angeschuldigten, § 8 Ergreifungsort § 9 Bei mehreren Gerichtsständen: Ermessen der StA Prof. Dr. Katharina Beckemper 32 Adressat der Anklageschrift 2. Sachliche Zuständigkeit = welches Gericht für die Strafsache in erster Instanz zuständig ist Wird gem. § 1 StPO durch das GVG bestimmt Amtsgericht § 24 GVG Spruchkörper: Strafrichter und Schöffengericht 1. Instanz: Bei einer zu erwartenden Freiheitsstrafe von bis zu 4 Jahren und nicht mit einer Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung zu rechnen ist Wenn die StA nicht aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit von Verletzten, des besonderen Umfangs oder der besonderen Bedeutung des Falles Anklage beim Landgericht erhebt (§ 24 I Nr. 3) Prof. Dr. Katharina Beckemper 33 Adressat der Anklageschrift Strafrichter: entscheidet als Einzelrichter über leichte Kriminalität (= Vergehen mit Straferwartung bis zu 2 Jahre oder Vergehen im Privatklageweg verfolgt, § 25 GVG) Schöffengericht: 1 Berufsrichter und 2 ehrenamtliche Richter, § 29 GVG Entscheidet über mittlere Kriminalität Negativabgrenzung zur Zuständigkeit des Einzelrichters, § 28 GVG: Vergehen mit Straferwartung von 2 – 4 Jahre Verbrechen mit Straferwartung bis 4 Jahre Prof. Dr. Katharina Beckemper 34 Adressat der Anklageschrift Landgericht §§ 59 ff. GVG Spruchkörper: kleine und große Strafkammer 1. Instanz: Verbrechen und schweren Vergehen, ab einer Straferwartung von vier Jahren Freiheitsstrafe Wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung zu erwarten ist Wenn die StA wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit von Verletzten, des Umfangs oder der besonderen Bedeutung des Falls Anklage beim LG erhebt Für Mord, Totschlag und andere Taten mit Todesfolge ist es als Schwurgericht (große Strafkammer) zuständig § 74 II GVG Rechtmittelinstanz: Berufung Urteile des AG (kleine Strafkammer zuständig) Beschwerden gegen Entscheidungen der Amtsgerichte (große Strafkammer) Prof. Dr. Katharina Beckemper 35 Adressat der Anklageschrift OLG §§ 115 ff. GVG Spruchkörper: Senat 1. Instanz: § 120 I GVG: Staatsschutzdelikte § 120 II GVG: Der Generalbundesanwalt übernimmt aufgrund der besonderen Bedeutung die Verfolgung (sog. Evokationsbefugnis) Rechtsmittelinstanz: Für Revisionen § 121 I Nr. 1 GVG Urteil des AG (Sprungrevision, § 335 StPO) Berufungsurteil des LG Erstinstanzliches Urteil des LG, wenn Revision ausschließlich auf Verletzung von Landesrecht gestützt Für Beschwerden § 121 I Nr. 2 GVG Vorlagepflicht zum BGH § 121 II GVG, wenn OLG von Rechtsprechung des BGH/OLG abweichen will Prof. Dr. Katharina Beckemper 36 Adressat der Anklageschrift BGH §§ 123 ff. GVG Spruchkörper: Senat Rechtsmittelinstanz: Revision § 135 I GVG Urteile des OLG in 1. Instanz Urteile der großen Strafkammer (in 1. Instanz) bestimmte Beschwerden § 135 II GVG Großer Senat § 132 GVG Besteht aus dem Präsidenten und je 2 Mitgliedern der Strafsenate Zuständig, wenn ein Senat von der Rechtsprechung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweichen will Vereinigte Große Senate § 132 II GVG Zuständig, wenn ein Strafsenat von der Rechtsprechung eines Zivilsenats, des Großen Senats für Zivilsachen oder von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will Prof. Dr. Katharina Beckemper 37 Besetzung der Spruchkörper BGH § 139 I GVG OLG Senat 1. Instanz Senat als Revisionsinstanz § 122 II 1 GVG § 122 I GVG LG Große Strafkammer Kleine Strafkammer § 76 I 1 HS 1 GVG § 76 I 1 HS 2 GVG § 76 VI GVG AG Strafrichter Schöffengericht §§ 25, 28 GVG § 29 I 1 GVG Prof. Dr. Katharina Beckemper § 29 II 1 GVG 38
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