ROXIN Newsletter | Ausgabe 06/2015 Wirtschaftsstrafrecht 2. Voraussetzungen einer faktischen Geschäftsführung und Beihilfestrafbarkeit, wenn sie fehlen Als faktischer Geschäftsführer ist strafrechtlich verantwortlich, wer die Geschäftsführung mit Einverständnis der Gesellschafter ohne förmliche Bestellung faktisch übernommen hat, sie tatsächlich ausübt und gegenüber dem formellen Geschäftsführer zumindest ein deutliches Übergewicht hat. Die alleinverantwortliche Tätigkeit im Bereich Lohnbuchhaltung / Buchhaltung / Personal genügt nicht, kann aber eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) begründen. LG Augsburg, Beschluss vom 15.01.2014 – 2 Qs 1002/14 = BeckRS 2014, 20778 Am 02.04.2013 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen P, den Geschäftsführer der P-GmbH, wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 369 Fällen und Betrugs in 36 Fällen. Wegen derselben Vorwürfe erhob die Staatsanwaltschaft am 04.04.2013 Anklage gegen S, da diese bei der P-GmbH alleinverantwortlich für Buchhaltung, Lohnbuchhaltung und Personalfragen zuständig war und deshalb als faktische Teilgeschäftsführerin anzusehen sei. Das Amtsgericht ließ die Anklage gegen S nicht zur Hauptverhandlung zu. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg. Das Landgericht ließ die Anklage gegen S aber nur unter dem Gesichtspunkt der Beihilfe zu. Für eine täterschaftliche Begehung durch S bestehe kein hinreichender Tatverdacht. Es könne nicht von einer faktischen Geschäftsführung durch S ausgegangen werden, so dass S nicht Täterin des § 266a StGB sein könne. Faktischer Geschäftsführer sei, wer ohne förmliche Bestellung die Geschäftsführung faktisch übernommen habe, sie tatsächlich ausübe und gegenüber den formellen Geschäftsführern eine Stellung einnehme, der zumindest das deutliche Übergewicht zukomme. Dafür müsse die Tätigkeit des faktischen Geschäftsführers in der Regel zumindest sechs der acht Kernbereiche der Geschäftsführung umfassen. Dies sei bei S nicht der Fall. In allen wesentlichen Fragen habe die Letztentscheidungskompetenz bei P gelegen. Eine alleinverantwortliche Zuständigkeit für Lohnabrechnung und Personal sei aber für eine Beihilfestrafbarkeit nach §§ 266a, 27 StGB ausreichend. Praxis-Tipp von Michael Reinhart, ROXIN Rechtsanwälte LLP Für strafbewehrte Verstöße gegen die Pflichten eines Geschäftsleiters können nicht nur formelle, sondern gleichermaßen auch sog. faktische Geschäftsführer zur Verantwortung gezogen werden; diesen Grundsatz hat das LG Augsburg erneut bekräftigt. Nicht zufriedenstellend beantwortet hat es aber die Frage, wann jemand als faktischer Geschäftsführer im strafrechtlichen Sinne anzusehen ist. Mit seinen Feststellungen, dass für die faktische Geschäftsführung regelmäßig ein Tätigwerden in sechs von acht klassischen Geschäftsführungsbereichen (welche dies sind, lässt das Gericht offen) erforderlich ist, eine Gesamtbetrachtung im Einzelfall aber auch etwas anderes ergeben könne, lässt es den Rechtsunterworfenen dass für die faktische Geschäftsführung regelmäßig ein Tätigwerden in sechs von acht klassischen Geschäftsführungsbereichen (welche dies sind, lässt das Gericht offen) erforderlich ist, eine Gesamtbetrachtung im Einzelfall aber auch etwas anderes ergeben könne, lässt es den Rechtsunterworfenen wohl eher ratlos zurück. Betroffenen ist daher dringend zu raten, Leitungsaufgaben erst nach ihrer formellen Bestellung zum Vertretungsorgan einer Gesellschaft zu übernehmen und sich im übrigen strikt an die Aufgabenbeschreibung in ihrem Anstellungsvertrag zu halten. Aber auch wer nicht als faktischer Geschäftsführer anzusehen ist, kann nach allgemeinen Grundsätzen immer noch als Gehilfe des formellen Geschäftsführers bei dessen Taten strafbar sein. Auch dies hat das Gericht klargestellt. Für alle Angestellten gilt daher: Wer die strafrechtliche Relevanz bestimmter betrieblicher Vorgänge erkennt, muss seine Mitwirkung verweigern. Wer Strafbarkeiten vermutet, sollte unabhängigen Rechtsrat einholen.
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