Der Fall - Alpmann Schmidt

Klausuren für das 2. Examen
B 48 Aktenauszug – StA-Klausur/Anklage
Ermittlungsverfahren gegen Raupel und
Unger
15.02.2016 Dr. André Neumann/Dr. Martin Soyka
Staatsanwaltschaft Münster
– 8 Js 1071/15 Vfg.
1. Vermerk:
Am 06.11.2015 wurde der Beschuldigte Willi Raupel aus der Untersuchungshaft zur Vernehmung in
dem hiesigen Verfahren vorgeführt. Dabei erklärte Raupel nach ordnungsgemäßer Belehrung über
seine Rechte als Beschuldigter u.a.:
Er habe dem Kriminalbeamten KK Herbert Unger von der hiesigen Kripo 450 € gegeben und ihn
mehrfach vergeblich zur Rückzahlung aufgefordert. Unger habe ihm die Akte 8 Js 1071/15 in einer
Gaststätte gezeigt. Dabei habe er, Raupel, u.a. gelesen, dass Staatsanwalt Dr. Klaus an die Kriminalpolizei verfügt habe, der Beschuldigte müsse auch dann zu einer Vernehmung aufgefordert werden,
wenn bekannt sei, dass er üblicherweise Vorladungen nicht Folge leiste; erst danach sollten die Akten
der Staatsanwaltschaft zurückgesandt werden. Die Akten des Ermittlungsverfahrens 8 Js 1071/15 (es
handelt sich dabei um ein aus einer Reihe von Verfahren bestehendes Sammelverfahren gegen Raupel
wegen Betruges pp.) enthalten tatsächlich auf Bl. 37 und Bl. 98 jeweils eine Verfügung, die inhaltlich
mit den Angaben des Raupel übereinstimmt.
2. Herrn AL für Abt. 5 vorgelegt z. K. und Entscheidung, ob bezüglich des Unger ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist.
Münster, 13.11.2015
Dr. Klaus
Staatsanwalt
–2–
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Vfg.
1. Vermerk:
Aus dem überreichten Vermerk vom 13.11.2015 ergibt sich ein Anfangsverdacht
gegen Willi Raupel und KK Herbert Unger wegen Korruptionsdelikten.
2. Als neue Js-Sache
gegen PKK Herbert Unger
wegen [vom Abdruck wurde abgesehen]
in Abt. 5 eintragen und präsentieren
3. U.m.A.
dem Polizeipräsidenten
– persönlich oder Vertreter im Amt –
beim Polizeipräsidium Münster
– verschlossen –
mit der Bitte um Kenntnisnahme des Vermerks vom 13.11.2015.
Ich bitte, zunächst Herrn Willi Raupel als Zeugen – unter Beachtung von § 55
StPO - und anschließend den Beschuldigten Herbert Unger verantwortlich durch einen geeigneten Beamten vernehmen zu lassen.
Auch bitte ich, ggf. von dort aus eine Ermächtigung nach § 353 b Abs. 4 StGB bei
der obersten Landesbehörde einzuholen.
4. 1 Monat
Münster,16.11.2015
Meibach
Staatsanwalt
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–3–
Der Beschuldigte wurde in der Untersuchungshaft aufgesucht. Die Vernehmungsniederschrift wurde in seinem Beisein gefertigt und ausgedruckt.
Zur Sache:
Ich kenne Herrn Unger seit 2008. Er hat mich seinerzeit dienstlich zu Ermittlungsvorgängen vernommen. Seit 2010 duzen wir uns. Ich traf häufig privat mit Unger zusammen. Etwa 2011 begann Unger, der ständig in finanziellen Schwierigkeiten war, sich bei mir Geld
zu leihen; ich zahlte auch verschiedentlich Zechschulden für ihn. Ich habe Unger zunächst
aus Freundschaft geholfen, später aber von ihm Gegenleistungen verlangt. Das kam so:
2013 wurde auf die Anzeige meiner geschiedenen Ehefrau hin wegen Betruges und Urkundenfälschung gegen mich ermittelt. Die Akte muss wohl Unger zur Bearbeitung erhalten haben. Er rief mich jedenfalls Anfang November 2014 an und verabredete sich mit mir.
Wir trafen uns in einer Gaststätte am Roggenmarkt. Unger erzählte mir, dass gegen mich
ein Ermittlungsverfahren laufe und ihm die Akte vorliege. Im Laufe des Gesprächs bot ich
ihm Geld an, wenn er die Ermittlungsakte verschwinden lasse. Nach anfänglichem Zögern
war er einverstanden und erhielt von mir 170 €. Was mit der Akte geschehen ist, weiß ich
nicht genau. Ich kann mich aber erinnern, Unger gefragt zu haben, ob das mit der Akte
auch nicht auffalle. Er antwortete mir, er habe sich einen Weg überlegt, wie er den Verlust der Akte geschickt vertuschen könne. Im August 2015 erfuhr ich bei einer Zechtour
von Unger, dass gegen mich ein neues umfangreiches Ermittlungsverfahren wegen Vertreterbetruges in mehreren Fällen und anderer Delikte eingeleitet worden sei und dass dieses
Verfahren von einem Kollegen von ihm bearbeitet werde. Da mich interessierte, was gegen mich vorgebracht wurde, bat ich Unger verschiedentlich, mir die Akten zu besorgen.
Eines Tages brachte Unger die Akten mit in die Gaststätte Achterburg und zeigte sie mir
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unter dem Tisch. Ich las dabei auch die Verfügungen von Staatsanwalt Dr. Klaus. Besonders ist mir im Gedächtnis geblieben, dass der bearbeitende Kriminalbeamte in die Akte
geschrieben hatte, ich würde zu keiner Vernehmung erscheinen, eine Vorladung sei daher
sinnlos, und dass der Staatsanwalt daraufhin verfügt hatte, ich müsse jedenfalls vorgeladen werden. Ich wollte die Akten behalten, damit war aber Unger nicht einverstanden,
weil das – wie er meinte – auffiele. Ich habe ihn dann aufgefordert, mir von wichtigen Teilen der Akten Fotokopien zu machen. Dafür habe ich ihm im August 2015 450 € gegeben.
Er war auch einverstanden, hat mir dann aber weder die Fotokopien gebracht noch – trotz
meiner Aufforderungen – mein Geld zurückgegeben. Auch hat er mir nicht – wie versprochen – vor Vollstreckung des Haftbefehls gegen mich, dessen Beantragung er mir mitgeteilt hatte, Bescheid gesagt, sodass ich mich nicht mehr absetzen konnte.
Ende der Vernehmung: 12.30 Uhr
selbst gelesen, genehmigt
und unterschrieben
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Jäger, KK
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Willi Raupel
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Vermerk:
Das gegen den Vertreter Willi Raupel auf Anzeige seiner geschiedenen Ehefrau hin eingeleitete Ermittlungsverfahren hatte das staatsanwaltschaftliche Aktenzeichen 4 Js 1203/13.
Meine Nachforschungen bzgl. dieses Vorgangs haben ergeben:
Die Akten wurden KK Unger am 6. Oktober 2014 zur Bearbeitung übergeben. Als die Akten nach Fristablauf nicht zur Staatsanwaltschaft zurückgesandt wurden, erinnerte diese
am 14 November 2014 an die Erledigung. Vom Verwalter des Haupttagebuchs bei der Kriminalpolizei wurde dann – den von mir nachgeprüften Eintragungen im Tagebuch entsprechend – mitgeteilt, die Akte 4 Js 1203/13 sei am 10. November 2014 an die Staatsanwaltschaft abverfügt und im Tagebuch ausgetragen worden; ein zweiter Eingang sei im
Tagebuch nicht vermerkt. Da weitere Nachforschungen nach der Akte ohne Erfolg blieben, wurde später eine Ersatzakte angelegt. Das Verfahren 4 Js 1203/13 ist dann nach
§ 154 Abs. 1 StPO eingestellt worden.
Am 22.12.2015 hat der Unterzeichner Kontakt mit dem zuständigen Staatsanwalt aufgenommen zwecks Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses bezüglich des Schreibtischs
des Beschuldigten. Da nicht ausgeschlossen werden konnte, dass KK Unger bereits zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von den Ermittlungen hatte, hat StA Meibach mit dem zuständigen Ermittlungsrichter telefonisch Kontakt aufgenommen und um beschleunigten Erlass
eines Durchsuchungsbeschlusses ersucht. Da sich der Ermittlungsrichter in einer Haftvorführung befunden hatte, sah er sich daran gehindert, zeitnah und ohne Akten über den
Durchsuchungsantrag zu entscheiden. StA Meibach hat daher um 15:45 Uhr die Durchsuchung des Schreibtisches wegen Gefahr im Verzuge angeordnet. Bei der Durchsuchung ist
die vermisste Akte in einer Schublade gefunden worden, in der sich sonst nur persönliche
Sachen befanden. Die Akte ist nicht bearbeitet. KK Unger hat sie am 10 November 2014 an
die Staatsanwaltschaft abverfügt.
Jede Akte, die bei der Polizeidirektion eingeht, wird zunächst im Tagebuch vermerkt und
vor Rücksendung an die Staatsanwaltschaft wieder ausgetragen. Der Raum, in dem der
Verwalter des Haupttagebuchs sitzt, ist Bediensteten der Kriminalpolizei, die häufig Akten
dort hin bringen oder holen, jederzeit zugänglich. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat KK
Unger die bereits ausgetragene Akte wieder aus dem Stoß der zur Rücksendung an die
Staatsanwaltschaft bestimmten Akten herausgenommen.
Münster, 23.12.2015
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Jäger, KK
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Vfg.
1. Die Ermittlungen sind abgeschlossen.
Eine Ermächtigung nach § 353 b Abs. 4 Nr.3 StGB ist nicht erteilt worden.
2. Der Vorgang wird der
Staatsanwaltschaft Münster
zur weiteren Veranlassung übersandt.
Münster, 07.01.2016
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Jäger, KK
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Staatsanwaltschaft Münster
–5 Js 31/15–
Vfg.
1.Vermerk
Der bislang nur als Zeuge geführte Willi Raupel hat sich ebenfalls wegen Straftaten
im Zusammenhang mit denen des Beschuldigten Unger verdächtigt gemacht. Allerdings fällt die Strafe, die dieser in der Ursprungssache 8 Js 1071/15 - StA Münster – zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht. Da die Ermittlungen dort noch
nicht abgeschlossen sind, kommt eine endgültige Entscheidung über eine Einstellung gemäß § 154 Abs. 1 StPO noch nicht in Betracht, auch wenn diese zu erwarten ist. Daher ist das Verfahren bezüglich Raupel abzutrennen, um dieses gesondert einer Einstellung zumindest bis zum Ausgang des Bezugsverfahrens zuzuführen
2. Herrn AL 5
3. Mit beglaubigter Abschrift des Vermerks zu Ziff. 1 und einer zu fertigenden
Komplettablichtung der Akten beginnt ein neues Js-Ermittlungsverfahren
gegen Willi Raupel, geb. 17.05.1964 in Münster
wegen [vom Abdruck wurde abgesehen],
das in Abt. 5 einzutragen und zu präsentieren ist.
4. WVL
Münster, 13.01.2016
Meibach
Staatsanwalt
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Vermerk für die Bearbeitung
I.
Der Sachverhalt ist dahin zu begutachten, ob der Beschuldigte sich hinreichend tatverdächtig gemacht hat. Die Entschließung der Staatsanwaltschaft ist zu entwerfen. Straftaten außerhalb des StGB
und Ordnungswidrigkeiten sind nicht zu erörtern. §§ 153 ff. StPO sind nicht anzuwenden.
Die tatsächliche Würdigung des Sachverhaltes ist bei den einzelnen Merkmalen der untersuchten
Straftatbestände vorzunehmen.
Sollten weitere Ermittlungen für notwendig gehalten werden, so ist davon auszugehen, dass diese
durchgeführt worden sind und keine neuen Gesichtspunkte ergeben haben. Die Durchführung einer
nicht im Aktenstück enthaltenen verantwortlichen Vernehmung darf aber nicht unterstellt werden.
Im Falle der Anklageerhebung oder Stellung dieser gleichstehenden Anträge ist von einer Darstellung
des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen abzusehen. Örtlich zuständig ist das Amtsgericht bzw.
das Landgericht Münster.
II.
Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft (Az.: 5 Js 31/15) ergeht am 18.01.2016.
Bei den Akten befindet sich der Bundeszentralregisterauszug des Beschuldigten. Er weist keine Eintragung auf.
III.
Bitte geben Sie am Ende der Klausur an,
1. welche Auflagen der zugelassenen Kommentare Sie benutzt haben,
2. auf welchem Stand sich die von Ihnen verwendeten Gesetzestexte befunden haben,
3. ob Sie bei der Entschließung dem in Norddeutschland oder Süddeutschland üblichen Aufbau folgen, möglichst mit Angabe des Bundeslandes,
4. ob von dem für Sie zuständigen Prüfungsamt üblicherweise Teile der Bearbeitung erlassen sind
(z.B. die Begleitverfügung).
Hinweis: Der von Ihnen genutzte Aufgabentext wird nicht zur Korrektur genommen. Bezugnahmen
oder Verweisungen, die nur durch Einsicht in das von Ihnen benutzte Exemplar des Aktenstückes verständlich werden, verbieten sich deshalb.
Unsere Musterlösung folgt dem in Norddeutschland üblichen Aufbau (vgl. AS-Skript Die staatsanwaltliche Assessorklausur [2015]).
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