Die Menschen stärken und die Sachen klären

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Pflegewissenschaft. Einzelbeitrag | ISSN 1662-3029 | Verlag hpsmedia GmbH | D-63667 Nidda
Pflegewissenschaft
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PFLEGEPÄDAGOGIK
Die Menschen stärken und
die Sachen klären
Zur Förderung personaler Kompetenz
Uta Oelke
Prof. Dr. Uta Oelke
Evangelische Fachhochschule
Hannover
Blumhardtstr. 2
D-30625 Hannover
Tel.: 0511 5301-222
[email protected]
Die Historie der Pflegeausbildung zeigt, dass die traditionelle Persönlichkeitsbildung in der Pflege als unbeugsame weibliche Charakterbildung unter dem Motto
„An sich selbst zu denken, ist schlechte Gewohnheit“ verlief und dem Leitmotiv
dieses Beitrags „Die Menschen stärken und die Sachen klären“ (von Hentig)
diametral gegenüber steht. Eine der Folgen dieser historischen Wurzeln haben
zu einem kollektiven Muster geführt, das sich mit „Pflege ist stumm“ (Steppe)
überschreiben lässt. Zu den zentralen Herausforderungen einer Förderung personaler Kompetenz – die unter anderem diesem Muster entgegenwirkt – gehören
die Stabilisierung der Pflegenden im Umgang mit emotionalen Belastungen und
die Förderung von Reflexionsfähigkeit.
Einleitung
Mit dem neuen Krankenpflegegesetz von 2003 ist in Deutschland erstmals ein Ausbildungsziel formuliert, das nicht nur auf die Vermittlung pflegefachlicher Fertigkeiten und Kenntnisse abzielt, sondern auf die Förderung sowohl fachlicher als auch personaler, sozialer und
methodischer Kompetenzen (vgl. § 3, KrPflG 2003). Diese Zielsetzung erinnert an den „Bildungsauftrag der Berufsschule“ des regulären deutschen Berufsbildungssystems (vgl. KMK
2000, S. 8 ff.). Auch hier zählt die Förderung von Fach-, Personal- und Sozialkompetenz
einschließlich Methoden- und Lernkompetenz zur zentralen Zielsetzung. Anders als beim
Krankenpflegegesetz, bei dem die vier Kompetenzen lediglich als Begriffe benannt sind, hat
die Kultusministerkonferenz (KMK) den „Bildungsauftrag der Berufsschule“ jedoch relativ
genau erläutert und die hier interessierende „Personalkompetenz“ wie folgt definiert:
„Personalkompetenz bezeichnet die Bereitschaft und Fähigkeit, als individuelle Persönlichkeit die Entwicklungschancen, Anforderungen und Einschränkungen in Familie, Beruf und
öffentlichem Leben zu klären, zu durchdenken und zu beurteilen, eigene Begabungen
zu entfalten sowie Lebenspläne zu fassen und fortzuentwickeln. Sie umfasst personale
Eigenschaften wie Selbständigkeit, Kritikfähigkeit, Selbstvertrauen, Zuverlässigkeit, Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein. Zu ihr gehören insbesondere auch die Entwicklung
durchdachter Wertvorstellungen und die selbstbestimmte Bindung an Werte“ (KMK 2000,
S. 9).
Bemerkenswert an dieser Definition ist zweierlei:
• Erstens ist „personale Kompetenz“ nicht nur auf berufliche, sondern auch auf private und
gesellschaftliche Belange bezogen.
• Zweitens werden mit den „personalen Eigenschaften“ sowohl solche benannt, die einem emanzipatorisch-pädagogischen Selbstverständnis entsprechen, wie beispielsweise
Selbstständigkeit, Kritikfähigkeit, Selbstvertrauen, als auch solche, die ein bestimmtes,
staatlich gewünschtes Menschenbild verkörpern, wie die Tugenden Zuverlässigkeit und
Pflichtbewusstsein. Letzteres verwundert nicht, war es doch ursprüngliche Funktion und
Aufgabe der Berufsschule, die Ende des 19. Jahrhunderts entstandene „Erziehungslücke
zwischen Volksschulentlassung und Militärdienst“ (Greinert 1993, S. 46) zu schließen und
junge Männer mit den Tugenden eines getreuen Staatsbürgers auszustatten.
Schlüsselwörter
Personale Kompetenz
Tradition
Herausforderungen
Reflexion
Für die Pflegeausbildung, die außerhalb des deutschen Berufsbildungssystems angesiedelt ist,
gilt diese Definition nicht – sofern nichts anderes auf Landesebene geregelt ist. Dieses Definitionsvakuum soll mit dem nun folgenden Beitrag ein Stück weit gefüllt werden. Zunächst
geht es dabei – ganz im Sinne Wolfgang Klafkis, der Bildungsfragen immer als historischgesellschaftlich determiniert sieht (vgl. ebd. 1985, S. 12 ff.) – um geschichtliche Aspekte: Es
wird aufgezeigt, dass die traditionelle Persönlichkeitsbildung in der Pflege als unbeugsame
weibliche Charakterbildung unter dem Motto „An sich selbst zu denken, ist schlechte Gewohnheit“ verlief und dem Leitmotiv dieses Beitrags „Die Menschen stärken und die Sachen
klären“ (von Hentig 1996, S. 57) diametral gegenüber steht. Auf eine der Folgen dieser historischen Wurzeln wird im zweiten Abschnitt eingegangen: Skizziert wird ein kollektives Muster, das sich in Rückgriff auf die verstorbene Pflegewissenschaftlerin Hilde Steppe mit „Pflege
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PRINTERNET 12/05