"Pottwale im Hafen der Ewigkeit" (Weser

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Thema
SONNTAG
17. JANUAR 2016
G E S T R A N D E T E M EER ESSÄU GER: EXPER TEN ZERLEGEN KADAV ER UND PRÄPARIEREN DAS S KELETT
Aart Walen, Walfachmann und Tierpräparator aus den Niederlanden, hat das Sagen am Kai in Wilhelmshaven: Er und sein Team nehmen sich der verendeten Pottwale von WanFOTOS: CORA SUNDMACHER (6)·DPA
gerooge an.
So wurden die Wale nach Wilhelmshaven
geschleppt: Sehen Sie eine Bildergalerie.
Pottwale im Hafen der Ewigkeit
S
Das Technische Hilfswerk hat eilends Folien-Wannen konstruiert und
gebaut, in denen die toten Pottwale entbeint werden.
Aart Walen setzt an zum ersten Schritt, der den gesamten Rumpf des
toten Tiers entlang führt – bei Wal 1 sind das etwa elf Meter.
Almut Kottwitz, Staatssekretärin im niedersächsischen Umweltministerium, stand Rede und Antwort zu dem „traurigen Ereignis“.
V ON JU S TU S RA N D T
ie tauchen länger als jedes andere
Säugetier, können größer als 20 Meter und schwerer als 60 Tonnen werden – Pottwale sind die größten
Raubtiere der Erde. Selbst als Leichen sind sie ein Fall für den Superlativ:
Als größte Haufen Elend, die sich nur denken lassen, liegen die zwei vor der Insel
Wangerooge angespülten toten Jungbullen im Wilhelmshavener Jade-Weser-Port.
Die gewaltigen Unterkiefer sind abgesägt,
damit niemand die elfenbeinernen Zähne
stehlen kann, die Flossen wurden abgeschnitten, damit sie die bereits verwesenden Leiber nicht bremsten, als sie von der
Insel ins Wasser und mit Schleppern durch
die Nordsee in den Hafen bugsiert wurden.
An der Pier im nördlich abgelegenen Teil
des Hafens haben Werner Duden und
seine Leute von der Jade-Dienst GmbH
Wal 1 und Wal 2 am Freitag abgeliefert. Die
Namen sind den Kadavern zur Unterscheidung mit grüner Farbe aufgesprüht. Die
Schlepper „Jade Tug“ und „Jade Service
I“ hatten die knapp 12 und 13 Meter langen Tiere – die mächtige Fluke voraus – vorsichtig hergeschleppt. Die verwendeten
Trossen haben eine Bruchlast von 70 Tonnen. Duden ist auf Nummer sicher gegangen – niemand konnte schließlich sagen,
wie viel die Tiere wiegen, ohne sie angehoben zu haben. „Irgendwo zwischen 10 und
20 Tonnen liegt die Wahrheit“, hatte Wangerooges Bürgermeister Dirk Lindner geschätzt. Seit Sonnabendmorgen wissen es
alle genau: „Der größere Wal ist mit 16 Tonnen der leichtere, der kleinere wiegt 18
Tonnen“, sagte Almut Kottwitz, Staatssekretärin im niedersächsischen Umweltministerium. „Weshalb das so ist, das kann
ich mir auch nicht erklären.“
Auf die Frage, warum sich die Tiere verirrt haben und verendet sind, hat auch Kottwitz keine Antwort parat: „Das Phänomen,
dass Wale falsch in die Nordsee abbiegen,
ist seit dem 16. Jahrhundert bekannt – und
wohl eher kein Umweltproblem“, sagte sie
vor dem Medientross, der per Bus durch
den abgesperrten Hafen zu den Pottwalen
gebracht wurde – als letztes Geleit.
Wie aufgebahrt liegen die Reste der verendeten Meeresriesen in großen Folienwannen, die das Technische Hilfswerk in aller Eile gebaut hat. Dort hinein hatten Mitarbeiter der Firma Ulferts mit ihrem
300-Tonnen-Teleskopautokran sie gehievt. Die Hebegurte hatten Taucher
nachts bei Stauwasser unter den rund zwei
Meter tief im Wasser schwimmenden Leibern hindurchgezogen – vier je Tier. Das
Hebegeschirr sei eigens für diesen Einsatz
konstruiert worden, hatte Betriebsleiter Oliver Hoheisel gesagt. „Wir sind öfter mal gefordert, ungewöhnliche und schwere Lasten zu heben.“ Mit Walen hatte Hoheisel
bislang ebenso wenig Erfahrung wie Werner Duden, der mit seinem Jade-Dienst
sonst Schiffe im Hafen schleppt, gestrandeten Kapitänen hilft oder verloren gegangene Anker in der Deutschen Bucht birgt.
Auch Wangerooges Bürgermeister Dirk
Lindner kannte Wale – ob tot oder lebendig
– „bisher nur aus dem Fernsehen. Als die
Wale noch frischer waren, konnte man
rund um ihre Mäuler die Abdrücke von Oktopus-Saugnäpfen sehen, groß wie ZweiEuro-Stücke.“ Jetzt, gut eine Woche nachdem die Kadaver im Osten der Insel gefunden worden waren, stand Lindner zwi-
schen den toten Tieren – „um zu schauen,
wie hier alles dem Ende entgegengeht“.
Zumindest Wal 2, der größere und leichtere, soll zurückkommen und seinen Platz
vor dem Nationalparkhaus Wangerooges
finden – als Skelett. Rund 60 000 Euro wird
es kosten, die Knochen auf ihr nacktes Dasein vorzubereiten, in gut einem Jahr
könnte alles fertig sein, schätzt Lindner.
„Der Landkreis Friesland hat spontan
10 000 Euro zugesagt.“ Die Kosten für die
Bergung und Entsorgung der toten Säugetiere hingegen trägt das Land – vielleicht
80 000 Euro, wurde bereits vermutet. „Wir
haben noch keine Rechnung“, sagt Rudi
Zimmeck, Sprecher des Umweltministeriums in Hannover.
Noch am Vormittag gingen die niederländischen Walexperten und Tierpräparatoren Aart Walen und Mickel van Leeuwen
mit ihren Helfern daran, die toten Tiere zu
zerlegen. Mit langen Lanzen und flachen,
Schaufeln ähnelnden und scharf geschliffenen Klingen rückten sie den Pottwalkadavern zu Leibe. Bis Montag sollen die Knochen komplett vom Fleisch befreit sein.
„Später nehmen wir kleine Messer, das
geht schneller“, sagte van Leeuwen. „Wir
machen sonst kleinere Tiere, auch mal
einen Bären oder einen Tiger.“
Die Pottwale erfordern ein besonderes
Vorgehen: „Erst kommt ein Längsschnitt,
dann wird ein ein Meter breiter Specklappen entfernt, dann suchen wir die Knochen.“ Er und der Wittmunder Tierarzt Jan
Herrmann als Freiwilliger sind die Erfahrensten im Team: „Wir schneiden das Fell
nach, wenn der Bagger zieht“, sagt Aart
Walen. Das Technische Hilfswerk hat
schweres Gerät aufgefahren. Herrmann
macht sich an Wal 1 nützlich – und Hoffnung: „Wir versuchen, ein paar Knochen
für das Wattenmeerbesucherzentrum in
Wilhelmshaven zu sichern.“
Der Kopf und zwei Wirbel von Wal 1 sollen ebenfalls zu Bildungszwecken hergerichtet werden, wie die Staatssekretärin
sagt. „Es ist ein trauriges Ereignis, aber wir
wollen das Beste daraus machen.“ Dieses
Ziel verfolgt auch Arndt Meyer-Vosgerau.
Der stellvertretende Leiter der WattenmeerNationalparkverwaltung erinnert daran,
dass „üblicherweise nach der Devise Natur
Natur sein lassen“ verfahren werde. Aber
die toten Wale mussten weg von Wangerooge. „Weil sich das nicht gut macht auf
einer Touristeninsel, weil das Skelett präpariert werden soll und weil die strengen
Schutzbedingungen für die Wale auch
dann gelten,wenn sie tot sind.“
Anders werde da mit dem toten Wal in
der Außenweser bei Südeversand verfahren, sagt Meyer-Vosgerau: Der Kadaver
solle bleiben, wo er ist – rund acht Kilometer vor der Küste. „Wir werden beobachten, wie schnell sich der Wal zersetzt, wenn
wir die volle Vogel-Power haben“, sagt er –
sobald sich die Möwen an ihm laben.
Aart Walen und seine Leute hatten unterdessen letzte Vorbereitungen getroffen,
erste tiefe Schnitte in die Walkörper gesetzt und damit beißenden Gestank entfesselt. Wie sie den Geruch beschreiben
würde? „Irgendwie süßlich“, sagt Almut
Kottwitz, atemberaubend jedenfalls. Die
Staatssekretärin wechselte lieber das
Thema. Als Aufsichtsratsmitglied der JadeWeser-Port-Realisierungs-GmbH freue sie
sich, dass gleich mit der „MSC Zoe“ eines
der weltweit größten Containerschiffe in
den Tiefwasserhafen einlaufen werde.
Noch auf Wangerooge hatten Walexperten die Tierkadaver angeschnitten, damit Faulgase entweichen konnten.
Mit einem 300-Tonnen Teleskopautokran und einem extra konstruierten Hebegeschirr wurde der Wal Freitagnacht an Land gehoben.
Wangerooges Bürgermeister Dirk Lindner war im Hafen dabei, um zu
sehen, „wie hier alles dem Ende entgegengeht“, mit den Walen.